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17.-23. Februar: Stalin und der Fuchs

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Der Beginn der Woche ist unspektakulär. Unser Staubsauger erleidet den Burn-out-Tod und wird durch ein jüngeres, besser aussehendes Modell ersetzt. Draußen wird wiederholt ein stark leuchtender Himmelskörper gesichtet. Meine Kollegen, die nach dem Umzug ja eigentlich gerade erst frisch eingerichtet sind, planen einen kompletten Möbeltausch und denken über einen Einweihungsumtrunk für die neuen Räume nach.


Am Donnerstag geht es dann nach Berlin, zu einer Tagung über die Zeit nach Stalins Tod. Fast alle Teilnehmer sind Männer und dazu meistens deutlich über fünfzig Jahre alt, ich trage meinen Rock mit dem surrealen, aber nicht unangenehmen Gefühl, in die Fünfziger Jahre zurückgereist zu sein, denn über die wird ja auch die ganze Zeit gesprochen. Übrigens nicht nur während der Tagung, sondern auch beim Frühstück, beim Mittagessen und beim Abendessen. Dabei rauscht die Erkenntnis nur so in mich hinein, und es gibt seltsame Sternstunden, etwa eine abendliche Taxifahrt mit einem Polen, einem Italiener, einem Amerikaner, einem Briten und einem Ungarn, fast alle doppelt so alt wie ich, die allesamt fließend Deutsch miteinander sprechen, obwohl sie sich beruflich alle mit Russland beschäftigen (und deshalb neben dem obligatorischen Englisch und ihrer eigenen Sprache alle Russisch können), und Scherze über den Zweiten Weltkrieg machen. In solchen Momenten läuft einem der europäische Geist schaurigschön über den Rücken.


Am letzten Morgen sehen wir dann einen Fuchs, der in unserem Beisein lässig durch den Garten tollt und angeblich nebenan auf einem unbewohnten Grundstück eine ganze Familie untergebracht hat. Aber Grunewald ist ohnehin eigentlich nicht Berlin, und alle Straßen, durch die der von Schlaflosigkeit geplagte Kollege S. und ich morgens spazieren, haben Jagdnamen. Nach dem Schluss der Tagung gehe ich noch in die Barbara-Klemm-Retrospektive und schaue mir fast fünfzig Jahre Fotografie- und Zeitgeschichte an. Von den tollsten Fotos, etwa einem Porträt von Simone de Beauvoir in ihrer Wohnung, gibt es natürlich keine Postkarten. Beim Rausgehen sehe ich dann eine Menschenmenge, die sich – um die Künstlerin selbst schart, sympathisch und unprätentiös, die ihre Fotos erklärt. Hier entsteht wohl ein hübsches Übersetzungsproblem: Für die Besucher ist nämlich interessant, wen sie auf den Bildern erkennen (oh, das ist doch der Gerhard Richter), für Klemm dagegen das Licht und die Schwärze.


Der Sonntag ist dann ein Sonn-Tag: mit Vorfrühlingslicht, Tischtennis mit Gegenwind und einem Bienenstichespresso auf der Couch. Meine Lieblingskatze habe ich am Morgen im Tierheim auch noch gestreichelt. Die beiden schlecht gelaunten tauben Kater haben überraschend einen Besitzer gefunden, und man stellt ihnen euphorisch eine „Aussteuer“ zusammen.


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