Wenn die Beziehung scheitert, gibt es diverse Möglichkeiten sich davon abzuhalten, eben jenes Scheitern gründlich zu reflektieren und gar daraus etwas zu lernen. Natürlich kommt es bei diesen Möglichkeiten immer darauf an, in welchem Lager man sich nach der Trennung befindet: In dem Lager, das leidet, schreit und weint und die Welt nicht mehr versteht. Oder das Lager, das vor Erleichterung das erste mal in Monaten (oder Jahren) wieder befreit atmen kann. Ich befinde mich gerade in Lagervariante Zwei. Ich bin erleichtert darüber, endlich ausgebrochen zu sein aus dem, was mich seit Monaten gequält hat: Die Gewissheit, dass diese Beziehung eigentlich schon beendet ist. Ich hab jetzt ein bisschen Spielraum, wie ich nach der Trennung verfahren kann. Im Idealfall: Ruhe und Pause gönnen, verarbeiten, reflektieren und zu sich selbst finden. Oder: Sich Hals über Kopf in eine lockere Affäre stürzen. Alles ganz unkompliziert versteht sich. Oder so.
Klingt eigentlich ganz gut: Man stolpert zufällig übereinander, man ist ein bisschen betrunken, der Abend entwickelt sich unerwartet gut, die Stimmung ist hoch, ausgelassen, amüsant. Es knistert ein bisschen, das Knistern schaukelt sich hoch und zusammen mit dem Alkohol begrüßt man dann den alten Freund „Begehren“ in der illustren Runde des Abends.
Woah! Was für ein Gefühl nach den deprimierenden letzten Monaten, in denen Begehren im Alltag soweit weg war wie die FDP von einem ordentlichen Wahlergebnis, spürt man es wieder: Das Adrenalin und die Frage: „Geht da heute noch was“. Und letztendlich „geht“ da tatsächlich heute noch was, es wird geknutscht, mit einer Hingabe und Leidenschaft, die einem schon fast fremd geworden ist. Man tritt den gemeinsamen Heimweg an. Und plötzlich ist alles irgendwie fast magisch, man ist sich eigentlich fremd, man ist betrunken und stürzt sich Hals über Kopf in die Nacht und den frühen Morgen. Wenn diese Nacht auch noch gut war und nicht mit einem betrunkenen rumgestochere endet, das nur am Rande mit Sex zu tun hat, dann geht man am nächsten Morgen nach Hause mit einem Hochgefühl, das einen den ganzen Tag schweben lässt. Man ist sofort angefixt und weiß: Genau das will ich wieder haben. Man könnte es bei dieser einen Nacht belassen. Eigentlich keine schlechte Idee, die Geschichte kurz zu halten: Wir waren betrunken, hatten Spaß – auf Wiedersehen! Allerdings gibt es jemanden der rationale Entscheidungen gar nicht gern mag: Das Gefühl. Das Gefühl sagt mir, dass ich es eigentlich gar nicht mag, alleine zu sein und das eine konstante Sache, sprich eine nette Affäre, doch gar nicht so schlecht wäre. Da aber gerade die gescheiterte Beziehung wie ein Koffer mit Altlasten hinter einem hergezogen wird, möchte man etwas unkompliziertes, weil zu viel Gefühl, das wollen wir natürlich auch nicht. Die perfekte Vision einer lockeren Affäre entsteht: Zwangloser Sex, ohne Gefühle, die die Sache kompliziert machen könnten, jedoch mit derselben Person, die uns ein gewissen Maß an Vertrautheit bieten kann. Die perfekte lockere Affäre ist quasi das Best of einer Beziehung: Die Erfüllung körperlicher Bedürfnisse und die Geborgenheit, die man mit einer vertrauten Personen verspürt. Gern auch „ein Stück vom falschen Glück“ genannt. Klingt alles super, Ende vom Text. Danke für die Aufmerksamkeit.
Wenn es nur so einfach wäre. Es ist gerade nämlich gar nicht einfach, gar nicht locker und schon gar nicht unkompliziert. Denn solche Beziehungen (und ja, das ist auch ein Form von Beziehung) sind niemals statisch, sich haben keinen gesteckten Rahmen wie die klassische monogame Zweierbeziehung, in der irgendwie jedem klar ist, welche Erwartungshaltungen denn nun die künftige traute Zweisamkeit bestimmen. In dem weiten Feld der lockeren Affären gibt es tausend Regeln, ungeschriebene Gesetze und wiederum nichts davon. Falls man sich dafür entscheidet, gelegentlich Sex miteinander zu haben und ansonsten sich nicht sonderlich für sein Gegenüber interessiert, ist die Sache ziemlich klar. Beginnt man aber festzustellen, dass man sich tatsächlich etwas zu sagen hat, gemeinsame Interessen teilt, das Gegenüber durchaus attraktiv und ansprechend findet, hat mein ein Problem: Selbst wenn man sich, wie in meinem Fall, schon zu Beginn darauf einigt, dass das, was man hat, nur auf körperlicher Ebene passieren soll und keinen höheren Zweck verfolgt (=Beziehung) verheddert man sich in dem Minenfeld der Umgangsformen und Erwartungshaltungen. Und spätestens dann ist es vorbei mit locker, mit unkompliziert. Das Problem: Mein Ego, das während der Beziehung auf die Größe einer Rosine zusammen getrocknet ist – weil aus dem Ich und Du ein Wir wurde - schreit nach Aufmerksamkeit. Es will auch ein Stück vom Kuchen. Bedeutend nun ihm Klartext: Ich will begehrt werden, gewollt werden, er soll sich gefälligst nach mir verzehren, ich will ein Stück Exklusivität, einen Status in seinem Leben. Eben Erwartungshaltungen, verdammt hohe Erwartungshaltungen für ein lockere Affäre, ohne Gefühle (dieses "ohne Gefühle" stellt sich der geneigte Leser jetzt bitte dick und fett und mit neon vor!). Denn die vermeintlichen Umgangsformen müssen ja zwanglos und locker sein, das gewünschte Verhalten bzw. die gewünschte Reaktion ist anders als in einer Beziehung nicht einforderbar, denn sobald ich fordere, mache ich einen Anspruch auf die andere Person geltend. Genau diesen Anspruch, der einen Menschen an einen anderen bindet, sollte doch tunlichst vermieden werden. Genau dieses Hin und Her, diese Unsicherheiten – unsicher, nicht nur weil man nicht weiß, was die andere Person will, sondern auch, oder vor allem, weil man selbst nicht so recht weiß, was man eigentlich will, machen den Begriff „lockere Affäre“ zu einer leeren Worthülse.
Denn Plötzlich ist aus der lockeren Affäre eine (Sex-)Beziehung geworden. Und Beziehungen sind nun mal genauso kompliziert, anstrengend und mühsam wie sie schön, aufregend und glücklich sind. Ein Schritt vorwärts und zwei zurück, gerade lebe ich diesen Status Quo, was die Zukunft bringt und wohin mich oder uns das alles führt – ich weiß es nicht. Für den Moment schließe ich meine Augen und fahre Achterbahn mit meinem Gefühl, meinem Ego und dem alten Freund Begehren.