Fotzen. Es geht gleich mal mit Fotzen los. Sind Sie noch da? Ja? Tja. Dann haben wir eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte ist: Sie sind dem Mann, von dem hier die Rede sein soll, gerade auf den Leim gegangen, ganz so, wie er es wünscht: Sie haben sich locken lassen von der verbalen Grenzüberschreitung, dem Nesteln am Tabu. Die gute Nachricht ist: Alle, die jetzt schon nicht mehr mitlesen, weil sie abgestoßen sind, vielleicht sogar angewidert, die sind ihm natürlich auch auf den Leim gegangen. Anders gesagt: Wenn Sie sich erhofft haben, dass wir hier vom Feuilleton-Thron aus ganz locker erst mal ein paar Witzchen über den sogenannten deutschen Gangster-Rap servieren, müssen wir Sie enttäuschen.
Rapper Bushido vor einem Büro seines Musiklabels. In seinen Liedern preist Bushido Gewalt an. Offiziell distanziert er sich davon - und gerät trotzdem wegen Prügeleien mit dem Gesetz in Konflikt.
Wir haben hier nämlich ein echtes Problem, und dass der deutsche Gangster-Rap bislang vor allem als ästhetisches, strafrechtliches und moralisches Problem angesehen wurde, macht die Sache nicht einfacher. Sieht man es so, sind die, die sich ekeln, fein raus. Was jedoch, wenn das nur die für alle bequemste Variante der Wahrheit wäre?
Aber eins nach dem anderen.
„Fotzen“ heißt der erste Track auf dem neuen Album „Sonny Black“ (Ersguterjunge Records) des derzeit bekanntesten und umstrittensten deutschen Rappers Bushido. Zweifellos eine brutale Beleidigungsorgie gegen jeden, der sich Bushido alias Sonny Black in den Weg zu stellen wagt, übelstes, unverstelltes Vulgär-Herrenmenschentum: „Kuck mich an, ich mach Berlin wieder hart, Nutte / Electro Ghetto Rap in deinen Arsch, Nutte (...) Du kleiner Hurensohn / fick deine Schulnoten / Friss meine Schulsohlen / Leck meine Spucke jetzt vom Fußboden...“ Sehr schön ist auch der, äh, Refrain: „Wenn der Benz anspringt und die Reifen wieder qualmen / Bin ich auf der Jagd nach euch Fotzen / Und ich find’ euch fette Schweine überall.“ Und so geht das immer weiter: Alle „Fotzen“, „schwulen Spasten“, „Nutten“, „Missgeburten“, Mütter seiner Feinde, „schwulen Studenten“, „Homos“, Olli Pochers, „Öko Boys“ und „Grünen-Wähler“ werden so richtig nach Strich und Faden von Bushido gefickt („Ich bin hochkarätig/Großes Ego, großer Penis“), gerne auch mit Nahkampfwaffen wie Totschlägern. Bevorzugt anal. Klar.
Der einzige Witz, der hier durscheint, ist Herrenmenschenhumor
Uferlose Gewalt-, Sex- und Auslöschungsphantasien werden hier, anders als bei anderen zwanghaften Explizitisten im Pop wie etwa der Band Rammstein („Schönes Fräulein, Lust auf mehr / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“), doch recht unironisch vorgetragen. Der einzige Witz, der durchscheint, ist Herrenmenschenhumor, Gags auf Kosten derer, die für wertlos erklärt werden.
Mit Musik hat das nicht allzu viel zu tun. Die Musik verhält sich bei diesem Gangster-Rap zu Text und Attitüde etwa so wie Becher oder Waffel zu Kugeleis. Ohne geht es nicht, aber wirklich kümmern tut es auch niemanden. Zu hören sind nicht mehr ganz so klapprige Beats wie noch vor einigen Jahren. Bushidos Soundspuren klingen inzwischen professioneller, schwerer, schleppender, aber doch noch immer ziemlich eindimensional. Interessant ist am ehesten, dass sie in enger Zusammenarbeit mit Vincent Stein alias Beatzarre und Konstantin Scherer alias Djorkaeff produziert wurden, die inzwischen auch für deutsche Schlagerstars wie Ich + Ich und Adel Tawil arbeiten.
Als Rapper ist Bushido mit echten Königen wie Eminem und Jay-Z oder jüngeren Virtuosen wie Kendrick Lamar im Grunde nicht vergleichbar. Darauf wird in Bushido-Artikeln auch gerne hingewiesen. Wirklich gut rappen kann er streng genommen tatsächlich nicht. Aber das, was im Englischen attitude genannt wird, und in dieser Kunst ebenso entscheidend ist wie Text und Technik – das hat er zweifellos auf internationalem Niveau. Man muss das ja erst mal schaffen, Verse wie die zitierten, die sich wie ihre eigenen Parodien lesen, so vorzutragen, dass sie nicht lächerlich, sondern wirklich nach scheußlichen Herrenmenschenphantasien klingen.
Als Phänomen ist Bushido dabei alles andere als singulär. Der deutsche Gangster-Rap ist seit mehr als zehn Jahren etabliert. Es gibt ein treues und gar nicht so kleines Publikum. Die neuen Alben der Stars der Szene sind regelmäßig in den Top Ten, nicht selten auf dem ersten Platz. Man kann also jeweils von ein paar Zehntausend bis mehr als hunderttausend verkauften Platten ausgehen. Es wäre übrigens auch keine Überraschung, wenn „Sonny Black“ nächste Woche die deutschen Album-Charts anführt, bei iTunes ist es schon ganz vorn.
Der Mann wurde von diesem Land schon einmal fest umarmt
Anis Ferchichi alias Bushido alias Sonny Black ist allerdings der eine deutsche Gangster-Rapper, dessen Lebensgeschichte Bernd Eichinger 2010 verfilmt hat (mit Bushido in der Hauptrolle) und dem im Jahr darauf Hubert Burda einen Bambi verlieh, um ihn für seine vorbildhafte Integration in die deutsche Gesellschaft zu ehren. Der Mann wurde von diesem Land also, als es endlich nicht mehr verdrängen konnte, dass es ein Einwanderungsland ist, schon einmal fest umarmt.
Bushidos Vater ist Tunesier, aufgewachsen ist der heute 35-Jährige bei seiner alleinerziehenden deutschen Mutter im Berliner Bezirk Tempelhof, er besuchte bis zur 11. Klasse das Gymnasium und wurde danach – so steht es wenigstens in seiner Autobiografie – von einem Gericht wegen Sachbeschädigung und Drogenhandel zu einer Malerlehre verdonnert. Als Rapper bekannt wurde er Anfang der Nullerjahre, es folgten Erfolg, beträchtlicher Reichtum, Körperverletzungen, Beleidigungen, Indizierungen, Vorwürfe wegen Islamismus sowie Schwulen-, Frauen- und Judenfeindlichkeit, Musikpreise, Vergleiche, mehrere Verurteilungen zu Geldstrafen bis zu 20000 Euro, Spekulationen über Verbindungen zur organisierten Kriminalität, eine Zweitkarriere im Immobiliengeschäft, der Film, der Bambi, sogar ein Praktikum bei einem CDU-Abgeordneten, ein Anti-Sarrazin-Buch mit dem Titel „Auch wir sind Deutschland“ und schließlich – vor allem in den Augen seiner beflissenen Integrationshelfer – der Rückfall.
Im vergangenen Jahr wurde nach Berichten und Recherchen des Stern bekannt, dass das Berliner Landeskriminalamt den Rapper als Mitglied eines Berliner Mafia-Clans ansieht (die Brüder des Clans mit palästinensischen Wurzeln, mit dem er in Verbindung gebracht wird, sind übrigens allesamt nach Judenfeinden benannt, einer heißt sogar Rommel mit Vornamen). Schon seit 2012 ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin. Empörung, Politiker distanzierten sich, der öffentliche Druck stieg und Bushido rappte schließlich auf dem Track „Stress ohne Grund“ seiner Protegés Shindy im Juli 2013 Sätze wie: „Du wirst in den Arsch gefickt wie Wowereit“ und „Ich will, dass Serkan Tören jetzt ins Gras beißt“ und „Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz“. Wowereit und Tören erstatteten Strafanzeige.
Im Fernsehen rechtfertigte sich Anis Ferchichi für seine Gast-Zeilen in „Stress ohne Grunde“ bauernschlau und vorbildlich verbindlich. Er berief sich auf die Freiheit der Kunst, die Spielregeln des Gangster-Rap – und wollte alles nicht so verstanden wissen, wie es Bushido gesagt hatte. Wer mit dem Gangster-Rap vertraut sei, wisse schon, was da gemeint sei und zwar „auf keinen Fall ein Aufruf zu Gewalt“. Wenn die Justiz im Übrigen zu der Ansicht komme, dass es doch nicht in Ordnung sei, werde er das selbstverständlich akzeptieren. Die Klage der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung und Beleidigung wurde Ende November 2013 vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten mit Verweis auf die Kunstfreiheit abgewiesen.
Das war also erst mal erledigt. Aber nun gibt es ein neues Album, das sollen alle wissen, und deshalb müssen die Schmähungen weitergehen. Zuletzt wurden der „Wetten-dass..?“-Moderator Markus Lanz und Peter Maffay mit justiziablen Beleidigungen bedacht und ein abtrünniger ehemaliger Komplize mit einem Song und Video, in dem es um seine Hinrichtung geht.
Der Gangster-Rap ist die opportunistischste Kunstform überhaupt.
Auch dieser Artikel wird Bushidos Bekanntheit nicht mindern. Ignoranz ist aber auch keine Lösung mehr, denn tatsächlich kann man sich zu einem so prominenten Phänomen wie Bushido schwer noch indifferent verhalten. Abgeklärt mit den Schultern zu zucken und das Phänomen Bushido gönnerhaft ästhetisierend als auserzählt zu betrachten, das hieße, üble habituelle Beleidigungen, Diskriminierungen und doch recht unironische Todesdrohungen eines populären Künstlers für völlig akzeptabel zu halten. Empört Verbote und Strafen zu fordern, kann es natürlich ebenso wenig sein. Schon weil das hieße, Frank Zappa zu verraten, der in den Siebzigern und Achtzigern so viel Kraft darauf verwendet hat, den ganz eifrigen Tugendwächtern zu erklären, dass es einen Unterschied zwischen Worten und Taten gebe und freie Gesellschaften sehr gut daran tun, eben diesen Unterschied sehr hoch zu achten.
Und zwar auch dann, wenn die eigenen Vorstellungen vom guten Ton und Stil dabei gelegentlich auf eine harte Probe gestellt werden – wie im Fall Bushido, dessen Erfolg ja darauf beruht, dass er glaubwürdig vermitteln kann, eben doch nicht nur ein Maulheld zu sein. Sich wie Bushido im Geschäft des professionellen Beleidigens, Beleidigtwerdens und Beleidigtseins zu engagieren – das heißt, die mächtige Sinnressource Stolz sehr, sehr ernst zu nehmen. Es hat einen eigenen Reiz in diesem Zusammenhang, das über zweieinhalb Stunden lange Video-Interview anzusehen, dass er kürzlich dem Rap-Online-Magazin „16 Bars“ gegeben hat. Er ist da mal der nette, gar nicht dumme Familienvater und reflektierte Aufmerksamkeitsingenieur, mal der unverstellt autoritäre, ungnädige Macht-Taktiker, der, wenn’s um die Wurst geht, gar keinen Spaß mehr versteht.
Mit anderen Worten: Wenn man nur genau genug hinsieht, sind wir damit auf der für uns unbequemen Seite der Wahrheit. Das ästhetische und moralische Problem Bushido wird nämlich genau hier zu einem kulturellen und ideologischen Problem. Und damit zu unserem. Der Gangster-Rap ist schließlich die dem Kapitalismus gegenüber opportunistischste Kunstform überhaupt. Seine Protagonisten wollen keine andere Welt, sie wollen ihren Teil von dieser – und zwar einen möglichst großen.
Auf dem Weg dahin nehmen sie die entscheidenden Merkmale der beiden wesentlichen massenbewusstseinsprägenden gesellschaftlichen Sphären der Gegenwart wirklich ernst: aus der Kunst die Selbstverständlichkeit, sich keinen Regeln fügen zu müssen, und aus dem Sport den Behauptungswillen um beinahe jeden Preis. Anders gesagt: Wenn man sich den Idealtyp des zeitgenössischen Kapitalisten vorstellen will, kommt dabei ein Gangster-Rapper wie Bushido heraus, der die Tugenden, denen wir bei allerlei Gelegenheiten im Stadion und im Museum besten Gewissens selbst huldigen, einfach nur ein bisschen auf die Spitze treibt. Bushido, primus inter pares. Wenn das kein Grund für etwas Unbehagen ist.
Rapper Bushido vor einem Büro seines Musiklabels. In seinen Liedern preist Bushido Gewalt an. Offiziell distanziert er sich davon - und gerät trotzdem wegen Prügeleien mit dem Gesetz in Konflikt.
Wir haben hier nämlich ein echtes Problem, und dass der deutsche Gangster-Rap bislang vor allem als ästhetisches, strafrechtliches und moralisches Problem angesehen wurde, macht die Sache nicht einfacher. Sieht man es so, sind die, die sich ekeln, fein raus. Was jedoch, wenn das nur die für alle bequemste Variante der Wahrheit wäre?
Aber eins nach dem anderen.
„Fotzen“ heißt der erste Track auf dem neuen Album „Sonny Black“ (Ersguterjunge Records) des derzeit bekanntesten und umstrittensten deutschen Rappers Bushido. Zweifellos eine brutale Beleidigungsorgie gegen jeden, der sich Bushido alias Sonny Black in den Weg zu stellen wagt, übelstes, unverstelltes Vulgär-Herrenmenschentum: „Kuck mich an, ich mach Berlin wieder hart, Nutte / Electro Ghetto Rap in deinen Arsch, Nutte (...) Du kleiner Hurensohn / fick deine Schulnoten / Friss meine Schulsohlen / Leck meine Spucke jetzt vom Fußboden...“ Sehr schön ist auch der, äh, Refrain: „Wenn der Benz anspringt und die Reifen wieder qualmen / Bin ich auf der Jagd nach euch Fotzen / Und ich find’ euch fette Schweine überall.“ Und so geht das immer weiter: Alle „Fotzen“, „schwulen Spasten“, „Nutten“, „Missgeburten“, Mütter seiner Feinde, „schwulen Studenten“, „Homos“, Olli Pochers, „Öko Boys“ und „Grünen-Wähler“ werden so richtig nach Strich und Faden von Bushido gefickt („Ich bin hochkarätig/Großes Ego, großer Penis“), gerne auch mit Nahkampfwaffen wie Totschlägern. Bevorzugt anal. Klar.
Der einzige Witz, der hier durscheint, ist Herrenmenschenhumor
Uferlose Gewalt-, Sex- und Auslöschungsphantasien werden hier, anders als bei anderen zwanghaften Explizitisten im Pop wie etwa der Band Rammstein („Schönes Fräulein, Lust auf mehr / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“), doch recht unironisch vorgetragen. Der einzige Witz, der durchscheint, ist Herrenmenschenhumor, Gags auf Kosten derer, die für wertlos erklärt werden.
Mit Musik hat das nicht allzu viel zu tun. Die Musik verhält sich bei diesem Gangster-Rap zu Text und Attitüde etwa so wie Becher oder Waffel zu Kugeleis. Ohne geht es nicht, aber wirklich kümmern tut es auch niemanden. Zu hören sind nicht mehr ganz so klapprige Beats wie noch vor einigen Jahren. Bushidos Soundspuren klingen inzwischen professioneller, schwerer, schleppender, aber doch noch immer ziemlich eindimensional. Interessant ist am ehesten, dass sie in enger Zusammenarbeit mit Vincent Stein alias Beatzarre und Konstantin Scherer alias Djorkaeff produziert wurden, die inzwischen auch für deutsche Schlagerstars wie Ich + Ich und Adel Tawil arbeiten.
Als Rapper ist Bushido mit echten Königen wie Eminem und Jay-Z oder jüngeren Virtuosen wie Kendrick Lamar im Grunde nicht vergleichbar. Darauf wird in Bushido-Artikeln auch gerne hingewiesen. Wirklich gut rappen kann er streng genommen tatsächlich nicht. Aber das, was im Englischen attitude genannt wird, und in dieser Kunst ebenso entscheidend ist wie Text und Technik – das hat er zweifellos auf internationalem Niveau. Man muss das ja erst mal schaffen, Verse wie die zitierten, die sich wie ihre eigenen Parodien lesen, so vorzutragen, dass sie nicht lächerlich, sondern wirklich nach scheußlichen Herrenmenschenphantasien klingen.
Als Phänomen ist Bushido dabei alles andere als singulär. Der deutsche Gangster-Rap ist seit mehr als zehn Jahren etabliert. Es gibt ein treues und gar nicht so kleines Publikum. Die neuen Alben der Stars der Szene sind regelmäßig in den Top Ten, nicht selten auf dem ersten Platz. Man kann also jeweils von ein paar Zehntausend bis mehr als hunderttausend verkauften Platten ausgehen. Es wäre übrigens auch keine Überraschung, wenn „Sonny Black“ nächste Woche die deutschen Album-Charts anführt, bei iTunes ist es schon ganz vorn.
Der Mann wurde von diesem Land schon einmal fest umarmt
Anis Ferchichi alias Bushido alias Sonny Black ist allerdings der eine deutsche Gangster-Rapper, dessen Lebensgeschichte Bernd Eichinger 2010 verfilmt hat (mit Bushido in der Hauptrolle) und dem im Jahr darauf Hubert Burda einen Bambi verlieh, um ihn für seine vorbildhafte Integration in die deutsche Gesellschaft zu ehren. Der Mann wurde von diesem Land also, als es endlich nicht mehr verdrängen konnte, dass es ein Einwanderungsland ist, schon einmal fest umarmt.
Bushidos Vater ist Tunesier, aufgewachsen ist der heute 35-Jährige bei seiner alleinerziehenden deutschen Mutter im Berliner Bezirk Tempelhof, er besuchte bis zur 11. Klasse das Gymnasium und wurde danach – so steht es wenigstens in seiner Autobiografie – von einem Gericht wegen Sachbeschädigung und Drogenhandel zu einer Malerlehre verdonnert. Als Rapper bekannt wurde er Anfang der Nullerjahre, es folgten Erfolg, beträchtlicher Reichtum, Körperverletzungen, Beleidigungen, Indizierungen, Vorwürfe wegen Islamismus sowie Schwulen-, Frauen- und Judenfeindlichkeit, Musikpreise, Vergleiche, mehrere Verurteilungen zu Geldstrafen bis zu 20000 Euro, Spekulationen über Verbindungen zur organisierten Kriminalität, eine Zweitkarriere im Immobiliengeschäft, der Film, der Bambi, sogar ein Praktikum bei einem CDU-Abgeordneten, ein Anti-Sarrazin-Buch mit dem Titel „Auch wir sind Deutschland“ und schließlich – vor allem in den Augen seiner beflissenen Integrationshelfer – der Rückfall.
Im vergangenen Jahr wurde nach Berichten und Recherchen des Stern bekannt, dass das Berliner Landeskriminalamt den Rapper als Mitglied eines Berliner Mafia-Clans ansieht (die Brüder des Clans mit palästinensischen Wurzeln, mit dem er in Verbindung gebracht wird, sind übrigens allesamt nach Judenfeinden benannt, einer heißt sogar Rommel mit Vornamen). Schon seit 2012 ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin. Empörung, Politiker distanzierten sich, der öffentliche Druck stieg und Bushido rappte schließlich auf dem Track „Stress ohne Grund“ seiner Protegés Shindy im Juli 2013 Sätze wie: „Du wirst in den Arsch gefickt wie Wowereit“ und „Ich will, dass Serkan Tören jetzt ins Gras beißt“ und „Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz“. Wowereit und Tören erstatteten Strafanzeige.
Im Fernsehen rechtfertigte sich Anis Ferchichi für seine Gast-Zeilen in „Stress ohne Grunde“ bauernschlau und vorbildlich verbindlich. Er berief sich auf die Freiheit der Kunst, die Spielregeln des Gangster-Rap – und wollte alles nicht so verstanden wissen, wie es Bushido gesagt hatte. Wer mit dem Gangster-Rap vertraut sei, wisse schon, was da gemeint sei und zwar „auf keinen Fall ein Aufruf zu Gewalt“. Wenn die Justiz im Übrigen zu der Ansicht komme, dass es doch nicht in Ordnung sei, werde er das selbstverständlich akzeptieren. Die Klage der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung und Beleidigung wurde Ende November 2013 vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten mit Verweis auf die Kunstfreiheit abgewiesen.
Das war also erst mal erledigt. Aber nun gibt es ein neues Album, das sollen alle wissen, und deshalb müssen die Schmähungen weitergehen. Zuletzt wurden der „Wetten-dass..?“-Moderator Markus Lanz und Peter Maffay mit justiziablen Beleidigungen bedacht und ein abtrünniger ehemaliger Komplize mit einem Song und Video, in dem es um seine Hinrichtung geht.
Der Gangster-Rap ist die opportunistischste Kunstform überhaupt.
Auch dieser Artikel wird Bushidos Bekanntheit nicht mindern. Ignoranz ist aber auch keine Lösung mehr, denn tatsächlich kann man sich zu einem so prominenten Phänomen wie Bushido schwer noch indifferent verhalten. Abgeklärt mit den Schultern zu zucken und das Phänomen Bushido gönnerhaft ästhetisierend als auserzählt zu betrachten, das hieße, üble habituelle Beleidigungen, Diskriminierungen und doch recht unironische Todesdrohungen eines populären Künstlers für völlig akzeptabel zu halten. Empört Verbote und Strafen zu fordern, kann es natürlich ebenso wenig sein. Schon weil das hieße, Frank Zappa zu verraten, der in den Siebzigern und Achtzigern so viel Kraft darauf verwendet hat, den ganz eifrigen Tugendwächtern zu erklären, dass es einen Unterschied zwischen Worten und Taten gebe und freie Gesellschaften sehr gut daran tun, eben diesen Unterschied sehr hoch zu achten.
Und zwar auch dann, wenn die eigenen Vorstellungen vom guten Ton und Stil dabei gelegentlich auf eine harte Probe gestellt werden – wie im Fall Bushido, dessen Erfolg ja darauf beruht, dass er glaubwürdig vermitteln kann, eben doch nicht nur ein Maulheld zu sein. Sich wie Bushido im Geschäft des professionellen Beleidigens, Beleidigtwerdens und Beleidigtseins zu engagieren – das heißt, die mächtige Sinnressource Stolz sehr, sehr ernst zu nehmen. Es hat einen eigenen Reiz in diesem Zusammenhang, das über zweieinhalb Stunden lange Video-Interview anzusehen, dass er kürzlich dem Rap-Online-Magazin „16 Bars“ gegeben hat. Er ist da mal der nette, gar nicht dumme Familienvater und reflektierte Aufmerksamkeitsingenieur, mal der unverstellt autoritäre, ungnädige Macht-Taktiker, der, wenn’s um die Wurst geht, gar keinen Spaß mehr versteht.
Mit anderen Worten: Wenn man nur genau genug hinsieht, sind wir damit auf der für uns unbequemen Seite der Wahrheit. Das ästhetische und moralische Problem Bushido wird nämlich genau hier zu einem kulturellen und ideologischen Problem. Und damit zu unserem. Der Gangster-Rap ist schließlich die dem Kapitalismus gegenüber opportunistischste Kunstform überhaupt. Seine Protagonisten wollen keine andere Welt, sie wollen ihren Teil von dieser – und zwar einen möglichst großen.
Auf dem Weg dahin nehmen sie die entscheidenden Merkmale der beiden wesentlichen massenbewusstseinsprägenden gesellschaftlichen Sphären der Gegenwart wirklich ernst: aus der Kunst die Selbstverständlichkeit, sich keinen Regeln fügen zu müssen, und aus dem Sport den Behauptungswillen um beinahe jeden Preis. Anders gesagt: Wenn man sich den Idealtyp des zeitgenössischen Kapitalisten vorstellen will, kommt dabei ein Gangster-Rapper wie Bushido heraus, der die Tugenden, denen wir bei allerlei Gelegenheiten im Stadion und im Museum besten Gewissens selbst huldigen, einfach nur ein bisschen auf die Spitze treibt. Bushido, primus inter pares. Wenn das kein Grund für etwas Unbehagen ist.