1. Einer darf schwänzen
Die Rede zur Lage der Nation ist eines der wichtigsten Rituale der US-Politik. Das lässt sich allein daran erkennen, dass alle Kongressmitglieder sowie die gesamte Regierung anwesend sind. Alle? Nein. Einer darf schwänzen, während alle anderen gemeinsam dem Präsidenten lauschen. Besser gesagt: muss schwänzen. Denn falls Godzilla, ein Erdbeben oder irgendeine andere unvorhergesehene Katastrophe die versammelte Judikative und Exekutive der USA auslöschen sollte, wäre ja keiner mehr da, der das Land regieren kann. Also wird vorher ein „Designated Survivor“ ausgewählt. Wer das ist, bleibt bis zur Rede geheim. Die kann er dann unter hohen Sicherheitsvorkehrungen an einem geheimen Ort im Fernsehen verfolgen. Oder einfach „Survivor“ von Destiny’s Child im Dauerloop hören.
Ein Mann und sein Füller - Obama arbeitet im Oval Office an seiner Rede.
2. Das Trinkspiel
Regierungserklärungen oder Thronreden sind nicht selten total überraschend. Vor allem politische Gegner des Redners weisen im Anschluss immer darauf hin, er habe nichts Neues oder Weltbewegendes gesagt. Eine konservative Anti-Obamacare-Organisation hat schon vorab deutlich gemacht, dass sie von ihrem Präsidenten nur Floskeln erwartet und deshalb zu einem Trinkspiel in einer Bar in Washington D.C. eingeladen. Jedes Mal, wenn Obama zum Beispiel „Let me be clear“ sagt, muss ein Schnaps geleert werden. Spricht er von Steuern als einem „Shared Sacrifice“, müssen die Spieler ein Bier mit ihrem Nachbarn teilen.
3. Das zweite Watergate
Nach Obamas Rede im vergangenen Jahr erlangte der Republikaner Marco Rubio weltweite Berühmtheit. Der Senator aus Florida hatte die Ehre, die seit 1960 übliche Antwortrede der Opposition auf den Bericht des Präsidenten zu halten. Berühmt wurde er aber nicht wegen der Inhalte seiner Rede, sondern weil er schon nach dem ersten Satz nach links unten abtauchte, sich wenig elegant ein Wasserfläschchen angelte und mit gehetztem Blick einen glucksenden Schluck nahm. Das gesamte Netz machte sich am Tag darauf unter dem Hashtag #Watergate darüber lustig.
http://www.youtube.com/watch?v=dWkjVvoXIS0
4. Clinton hält den Längenrekord
Wie lange und ausführlich der Präsident redet, ist seine Sache. Seit Lyndon Johnsons wird darüber Buch geführt, und den längsten Atem hatte bislang Bill Clinton. Er sprach in seiner Amtszeit im Durchschnitt eine Stunde, 14 Minuten und 51 Sekunden über die Lage der Nation. Muss viel losgewesen sein zu Bills Zeit.
5. Taft hält den Wörter-Rekord
Mann muss ihn trotzdem ein bisschen relativieren, den Rekord des Bill Clinton. Weil: Er mag zwar lange gebraucht haben für seine Reden. Das heißt aber nicht, dass er auch tatsächlich viel gesagt hat. Seine Berichte bestanden durchschnittlich aus 7.426 Wörtern, die von Präsident Howard Taft waren gerne mal länger als 22.000 Wörter.
6. Vielleicht mal ein Rap zur Lage der Nation?
Spitzfindige Leser werden jetzt den Zeigefinger heben und fragen: „Moment mal, so lahmarschig kann der Clinton doch gar nicht gesprochen haben, dass er für 7.000 Wörter länger braucht als der alte Taft für 22.000!“ Hat er auch nicht. Taft hat seine Berichte nie vorgelesen, sondern schriftlich eingereicht. Es ist nämlich nirgends festgeschrieben, dass der Präsident wirklich vor dem Kongress reden muss. Ganz was anderes ginge theoretisch auch. Obama könnte theoretisch zum Beispiel seinen Buddy Jay-Z beauftragen, ihm einen hübschen Beat zur Lage der Nation zu basteln und ein bisschen drüber rappen, wie es dem Land geht.
7. Obama spricht in Twittersätzen
Auch wenn solche Rap-Pläne bislang nicht bekannt sind, gibt es einige andere interessante Erkenntnisse über den Stil seiner Reden und Berichte zur Lage der Nation. Ein paar findige Menschen fanden es zum Beispiel bemerkenswert, wie schnell und präzise der Twitteraccount des weißen Hauses noch während der Reden von Obama die Kernaussagen in die Welt bläst. Man könnte fast den Eindruck bekommen, die Redenschreiber hätten die Anweisung bekommen, Obamas Sätze so zu formulieren, dass sie in einen Tweet passen. Eine Untersuchung (mit interaktiver Aufbereitung) hat ergeben, dass circa 70 Prozent der Sätze in seinen Berichten zur Lage der Nation twittertauglich waren.
8. Die Shout-Outs
Der Präsident kann zu seiner Rede Leute einladen. Das sind natürlich nicht irgendwelche Kumpels, sondern US-Bürger, die der Präsident in irgendeiner Form loben, würdigen oder ehren möchte, indem er sie in seiner Rede anspricht. Initiator dieser Gewohnheit ist Ronald Reagan. Er lobte einen Arbeiter, der in den eiskalten Potomac River gesprungen war, um ein Opfer eines Flugzeug-Crashs zu retten.
9. Die Gäste 2014
Vor der Rede hat das weiße Haus folgende Gäste angekündigt, die sie vom Kongressbalkon aus verfolgen dürfen: Jason Collins, ein NBA-Star, der vergangenes Jahr sein Coming-out als Homosexueller hatte. Zwei Überlebende des Attentats von Boston, Carlos Arredondo und Jeff Bauman. Ein Feuerwehrmann aus einer Stadt in Oklahoma, die von einem Tornado verwüstet worden ist. Ein 16-jähriger Intel-Praktikant und Jungunternehmer. Und die Lehrerin des Jahres aus Washington DC.
10. Same procedure as every year?
Nö. In der Verfassung heißt es, der Präsident müsse sich mit seinem Bericht „von Zeit zu Zeit“ an den Kongress wenden. Der jährliche Rhythmus hat sich schlicht und einfach eingebürgert. Ist ja auch eine schöne Gelegenheit für einen Präsidenten. Schließlich kann man sich da zur Prime Time eine Stunde oder länger ins Fernsehen stellen und allen mal schön die Meinung sagen.