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„Ich werde jetzt viel häufiger Dan gerufen“

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Seine aktive Zeit als Zauber-Novize liegt nun schon ein wenig zurück. Doch seine magische Anziehungskraft funktioniert offenbar weiter. Und die macht es schwer, Daniel Radcliffe pünktlich zum Interview zu treffen. Um zu der Filmfestival-Lounge auf dem Lido in Venedig zu gelangen, muss man sich erst den Weg bahnen durch Hunderte aufgeregt wartender Mädchen. Als der frühere Harry-Potter-Star dann tatsächlich auftaucht, gerät Bewegung in die Menge – Kreischen, Tränen, Kreislaufkollaps. Dabei bedient Radcliffes neuer Film alles andere als jugendliche weibliche Fans. In „Kill Your Darlings“ spielt er den jungen Beatnik-Poeten Allen Ginsberg – schwuler Sex inklusive. Die pottersche Unbeholfenheit? Wie weggezaubert. Sollte Radcliffe endgültig erwachsen geworden sein? Zum schwarz-weiß karierten Hemd trägt er helle Chinos, sein Händedruck ist kräftig. „Hallo, ich bin Dan.“ Als ob man das nicht wüsste.

SZ: Bis heute denken die meisten wohl eher an Potter, wenn sie Radcliffe sehen. Warum waren ausgerechnet Sie nun der richtige Mann, um die Beatnik-Ikone Allen Ginsberg zu spielen?

Radcliffe: Ob ich der Richtige bin, müssen Sie beurteilen. Aber ich glaube, mein Regisseur John Krokidas hat schnell erkannt, dass ich mich im Leben an einem ähnlichen Punkt befinde wie Ginsberg zu dieser Zeit. Das konnte er für den Film nutzen.

Wo sehen Sie denn die Parallelen?

Wie Ginsberg damals versuche ich gerade, meine Selbstzweifel hinter mir zu lassen und ein neues Gebiet zu erforschen, um als Künstler eigenständig zu werden und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Aber eigentlich hasse ich es, das Wort Künstler im Zusammenhang mit Schauspiel.

Warum denn?

Solange du keinen Pinsel in der Hand hast, bist du kein richtiger Künstler, oder?

Angeblich haben Sie sich – wie Ginsberg – auch selbst an Poesie versucht.

Ja, zwischen meinem 16. und 19. Lebensjahr habe ich Gedichte geschrieben. Damals fand ich sie sehr bedeutungsvoll. Heute würde ich sie wahrscheinlich hassen.

Wieso das?

Weil sie einfach nicht besonders gut waren. Trotzdem hat mir das Schreiben großen Spaß gemacht. Und ich schreibe immer noch, allerdings an Drehbüchern.

Wovon handeln die?

Das kann ich Ihnen jetzt leider nicht detailliert erzählen, sonst klaut jemand die Idee.

Ginsberg sucht verzweifelt nach jemandem, der ihn aus seinem alten, engen Leben befreit. Wer soll Sie befreien?

In gewisser Weise hat John Krokidas das für mich getan. Er hat mir zum Beispiel all diese für mich neuen Schauspieltechniken gezeigt, er hat mich dadurch aus meiner vorherigen Arbeitsweise befreit.

Die Tage, in denen man wild herumexperimentiert, sind wichtig fürs Erwachsenwerden. Hatten Sie als dauerdrehender Kinderstar denn Gelegenheit dazu, oder kommt die exzessive Phase erst noch?

Oh, das ist schon alles passiert. Es stimmt natürlich, dass ich nicht dieselbe Freiheit hatte wie meine Altersgenossen, Fehler zu machen. Trotzdem ist es mir gelungen, Mist zu bauen und zu scheitern. Daraus habe ich gelernt und bin daran gewachsen



Daniel Radcliffe bei der Weltpremiere des letzten Harry Potter Sequels in London - damals wurde er noch Harry gerufen.

Sie erregten Aufsehen, als Sie für Ihre erste Theaterrolle nackt auf der Bühne standen, nun spielen sie in einer schwulen Liebesgeschichte – mit einer wichtigen Sex-Szene. Ist das Ihre Art, um aus Ihrem Image auszubrechen?

Ich mache das eher, um zu überraschen. Die schwule Liebesszene war aber kein Grund für mich, diesen Film zu machen. Sie ergibt sich einfach so. Ich möchte als Schauspieler wahrgenommen werden, und der Charakter in diesem Film ist Teil dieses Prozesses. Ganz ehrlich? Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich wirklich stolz auf meine Performance bin.

Was hat Ihnen vorher nicht gefallen?

Ich war nie ganz glücklich mit dem, was ich gemacht habe. Die Filme gefallen mir, aber nicht meine Leistung als Schauspieler.

Ernsthaft?

Ich verspreche Ihnen: Es ist mir sehr ernst.

Wie können Sie Schüchternheit vor der Kamera spielen, wenn Sie doch davor aufgewachsen sind?

Gute Frage. Filmsets schüchtern mich wirklich nicht mehr so ein. Manchmal ist es eher der Druck, den ich vor einer sehr wichtigen Szene spüre. Wenn du weißt, der ganze Film hängt davon ab und alle warten darauf, dass ich meine Leistung bringe.

Wenn man am Set groß geworden ist – fühlt man sich dann dort sicherer als im wirklichen Leben?

Ich liebe Filmsets. Ich stehe seit meinem neunten Lebensjahr vor der Kamera, also weiß ich, wie diese Orte funktionieren. Das kann man ja vom richtigen Leben nicht immer behaupten. Ich beobachte andere Schauspieler in meinem Alter, die von der Schauspielschule kommen und zum ersten Mal bei Dreharbeiten sind. Dann denke ich, was für ein Glück ich hatte, denn sie müssen noch so viel lernen. Wer hat schon mit 24 Jahren 15 Jahre Berufserfahrung?

Aber vor den Sex-Szenen waren Sie bestimmt nervös.

Wir haben in erster Linie gelacht, weil es ja auch etwas Komisches hat. Aber irgendwie hatte ich dann natürlich doch die Hosen voll. Schließlich wusste ich, wie viel dem Regisseur diese Szene bedeutet. Er sagte vorher zu mir: „Die ist mir enorm wichtig, weil es auf der Leinwand noch keine wirklich gut dargestellte schwule Entjungferung gegeben hat. Deshalb soll unsere Szene die maßgebliche Fassung werden.“

Interessante Form der Verantwortung.

Das hat er uns allen Ernstes bei laufender Kamera erzählt! Ich und mein Schauspielkollege waren schon nackt. Er lag sogar schon auf mir drauf. Von der Seite schrie John uns ständig zu: „Küsst Euch! Nein, nein, nicht so, es soll wie verrücktes Sex-Küssen aussehen.“ Es war ein ständiger Kampf, mich mit der nötigen Intensität auf meinen Sex-Partner zu konzentrieren und keinen Lachanfall zu bekommen.

Bei der „Nouvelle Vague“ und den Beatniks geht es darum, die Regeln zu brechen, um die eigene Stimme zu finden. Wann fühlen Sie sich frei?

Ginsberg zu spielen, fand ich sehr befreiend. Denn immer wenn ich in einen Spiegel gesehen habe, blickte mir eine andere Person entgegen. Garry Oldman hat mir einmal erzählt, dass er sich als Schauspieler am freiesten fühlte, als er das entstellte Opfer von Hannibal Lecter in „Hannibal“ spielte. Sein Gesicht war mit Ausnahme eines Auges mit einer Maske bedeckt. Ich glaube, je mehr wir verbergen können, desto freier werden wir letztendlich, weil wir weniger reflektieren und nicht mehr über unser eigentliches Aussehen nachdenken.

Wo sind Sie freier, vor der Kamera oder auf der Bühne?

Vor der Kamera. Es klingt vielleicht seltsam, aber da bin ich am glücklichsten. Es ist nicht so, dass ich zu Hause unglücklich bin. Aber wenn ich mich zwischen Arbeit und Freizeit entscheiden müsste, dann würde ich immer lieber arbeiten.

Ich habe auf dem Weg zum Interview die Massen von schreienden Mädchen gesehen, die auf Sie gewartet haben.

Es war gar nicht so einfach, mir meinen Weg von der Toilette zu bahnen. Das ist verrückt, aber auch schmeichelhaft. Ich muss das sportlich sehen und versuchen, darüber zu lachen, anders geht es nicht.

Wann dürfen Sie wirklich Sie selbst sein?

Bei Dreharbeiten. Oder wenn ich mit Freunden zusammen bin. Und ich glaube nicht, dass ich als Mensch sehr weit von dem entfernt bin, was Sie jetzt im Interview von mir erleben. Ich weiß, dass die Leute meinen, sie wüssten alles über mich. Aber das stimmt nicht. Ich habe ein Privatleben.

Trotzdem können Sie sich nie allein öffentlich bewegen. Angeblich haben Sie ständig Ihren Bodyguard Sam dabei. Stimme das?

Das ist richtig.

Ist das nicht irgendwie surreal?

Finde ich nicht. Ich brauche ihn ja sehr.

Jetzt wartet er vor der Tür, oder?

Genau. Aber schreiben Sie jetzt bitte nicht, Radcliffe rennt nur noch mit einem verdammten Bodyguard durch die Gegend. Das klingt so dämlich. Aber ich kann die Paparazzi nicht selber unter Kontrolle halten. Und die tauchen nun einmal überall auf, wo ich hingehe.

Harry Potter muss sich für Sie wie ein vergangenes Leben anfühlen.

Ja, und es fühlt sich so an, als liege diese Zeit ewig lange zurück.

Manche Fans sprechen Sie immer noch mit „Harry“ an. Nervt das eigentlich?

Ich werde aber jetzt viel häufiger „Dan“ gerufen. Darüber bin ich sehr froh. Und wenn manche doch „Harry“ rufen, ist das auch okay. Irgendwie ist es ja schmeichelhaft.

Apropos „Kill Your Darlings“ – müssen Sie „Harry Potter“ abmurksen, um Ihre eigene künstlerische Stimme zu finden?

Ich werde immer sehr stolz darauf sein, dass ich Harry spielen durfte. Ich muss ihn ja nicht gleich umbringen. Ich will mich nur von ihm distanzieren. Die Zuschauer sollen mich als Schauspieler akzeptieren und nicht nur als diese eine Rolle.

Sie waren schon als Jugendlicher reich. Was bedeutet Ihnen Geld eigentlich?

Ich weiß gut, dass ich unglaubliches Glück habe, mir über Geld keine Sorgen machen zu müssen. Es gibt mir die Freiheit, Dinge auszuprobieren, für Projekte, die nicht kommerziell sind. Es ist mir aber vor allem peinlich, in meinem Alter so viel Geld mit etwas verdient zu haben, das mir so viel Spaß macht. Und das ist einer der Gründe, warum ich so hart an mir arbeite. Ich will beweisen, dieses Geld auch wert zu sein.

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