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Deine, meine, unsere Termine

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In einer Beziehung herrscht nicht immer nur Spontaneität, immer wieder ist auch Planung gefragt. Darum haben unsere Autorin und ihr Freund jetzt einen gemeinsamen Google-Kalender. Ist das kontrollsüchtig oder vernünftig?

An manchen Tagen überkommt mich das siedend heiße Gefühl, dass ich gerade eigentlich irgendwo anders sein müsste. Auf einem Geburtstag, einer Veranstaltung, einem wichtigen Treffen, und dass ich es einfach vergessen habe. Dann stürze ich zum Kalender und kann (meistens) erleichtert sein oder muss (manchmal) überstürzt aufbrechen. Ohne meinen Kalender wäre ich verloren. Ich habe nicht übertrieben viele Termine, ich kann sie mir nur so schrecklich schlecht merken. Noch weniger kann ich mir die Termine anderer merken, auch nicht die meines Freundes. Viel zu oft vergesse ich, dass er länger irgendwo hinmuss, irgendetwas vorbereiten muss, an einem Tag sehr eingespannt ist. Wenn ich dann vorsichtig nachfrage, was noch mal anstand, ist da immer diese leichte Enttäuschung in seiner Stimme, wenn er „Aber das habe ich dir doch vorige Woche schon erzählt“ sagt. Darum gibt es in unserem Leben jetzt etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass wir es mal haben würden: einen gemeinsamen Google-Kalender.  

Ein gemeinsamer Kalender, wie er in vielen Paar-Wohnungen an der Küchenwand hängt, war für mich immer der Inbegriff der Spießigkeit. Er erinnert mich an diese seltsamen Familienkalender mit vier oder fünf nebeneinander verlaufenden Spalten, in die man oben „Papa“, „Mama“, „Nils“ und „Lena“ einträgt und daneben womöglich noch „Familien-Termine“. Er ist die papiergewordene Abhängigkeit, das Abbild eines durchchoreographierten Lebens, dem jede Spontaneität verlorengegangen ist. Dass wir einen Online-Kalender haben macht das Ganze nicht besser und ist nur dem Umstand geschuldet, dass wir nicht in einer gemeinsamen Wohnung und noch nicht mal in derselben Stadt wohnen.  



Als Paar teilt man ja sehr viel - sollte man auch einen Kalender teilen?

Ich selbst war es, die den gemeinsamen Kalender vorgeschlagen hat, inspiriert von meinem Kopf, der keine Termine behalten kann. Gleichzeitig kam mir diese Idee so absurd vor und ich rechnete so fest mit Gegenwehr, dass ich sofort fragte, ob das „zu kontrollsüchtig“ von mir sei. Mein Freund fand das nicht. Also luden wir uns gegenseitig zu unseren Kalendern ein und vereinten sie. Dort stehen nun seine Termine in rot und meine in violett und man sieht auf den ersten Blick, wann sich etwas überschneidet und wann Lücken für gemeinsame Zeit sind, wer an welchem Wochenende den anderen besuchen oder eben nicht besuchen kann. Diese Ansicht voller Daten und farblich gekennzeichneter, knapp benannter Termine ist das Unromantischste, was ich jemals gesehen habe, und ich kann mich noch immer nicht so recht entscheiden, was ich davon halten soll.  

Zum einen macht mir der Kalender Angst. Werde ich jetzt nie wieder irgendwem spontan zum Feierabendbier zusagen, ohne vorher nachzuschauen, ob das eventuell der einzige Abend in dieser Woche ist, den ich terminfrei mit meinem Freund verbringen kann? Wie viel Planung verträgt Liebe denn? Und verschluckt dieser Kalender vielleicht den letzten Rest Unabhängigkeit in unserer Beziehung? Immerhin erzeugt er dieses große „Wir“, das man nur sehr ungern ausspricht: „WIR haben da Zeit / können da nicht / kommen gern!“ Ich fürchte mich davor, auf eine Einladung hin in den Kalender zu schauen und sofort für uns beide antworten zu können. Wenn ich meinen Freund erst fragen muss, ob er Zeit hat, kann er viel leichter absagen. Natürlich will ich auch weiterhin erstmal nachfragen, aber durch die gemeinsame Terminübersicht wird es einfacher, diesen Schritt auszulassen, es verführt zur Kontrolle über die Planung des anderen. Es verführt dazu, so zu werden, wie man nie sein wollte.  

Andererseits habe ich das Gefühl, diese Übersicht zu brauchen. Zum Beispiel, um mir das Leben meines Freundes vorstellen zu können. Er hat keinen festen Tagesablauf und ist viel unterwegs. Ich wäre gerne zu null Prozent kontrollsüchtig, aber ich mag es zu wissen, ob er sich gerade in einem klimatisierten Büro oder in einem Park mit akuter Heuschnupfengefahr aufhält. Ich mag es, am Abend gleich die richtigen Fragen stellen zu können, weil ich ja weiß, was er gemacht hat. Und ich mag es ebenfalls, unsere Termine vereinbaren zu können. Wenn ich beispielsweise sehe, dass er die kommenden drei Wochenenden Termine in seiner Stadt hat, wir uns also nur sehen können, wenn ich zu ihm fahre, muss ich eventuell auf eine Geburtstagsparty in meiner Stadt verzichten und weiß das früh genug. So ungern ich es zugebe, aber eine Beziehung (und besonders eine auf Distanz) braucht Planung.  

Als Letztes ist da noch ein schönes Gefühl, das ich trotz unromantischer Tabellenästhetik und trotz aller Angst vor Kontrollsucht und Spießigkeit beim Anblick des Kalenders habe: das heimelige Gefühl, etwas zu teilen, ein gemeinsames Leben zu führen, auf den anderen zu achten, Interesse zu haben. Wenn die Angst vor der Kontrollsüchtigen in mir zu groß wird, dann denke ich daran und dass ich bis jetzt noch nie im Namen meines Freundes einen Termin zu- oder abgesagt habe. Und wenn selbst das nicht hilft, dann sage ich mir eben: Es ist nur ein Kalender. Es sind nur rote und violette Kästchen, die uns nicht daran hindern werden, weiterhin spontan zu sein. Hoffentlich.

In Case of Emergency, bitte BH ausziehen!

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Eine Medizinerin hat vor drei Jahren einen BH erfunden, der sich in zwei Gasmasken umfunktionieren lässt. Die gewaltsam unterdrückten Proteste in Kairo, Athen und Istanbul verhelfen dem "Emergency Bra" jetzt zu neuer Aufmerksamkeit.

Eine Atemschutzmaske bedeutet nie etwas Gutes: Sie bedeutet immer so etwas wie: Atomunfall! Giftige Gase! Seuchengefahr! Smog! Das wissen wir von den blauen Aufklebern und Schildern, die zum Beispiel in einer Fabrik anzeigen, dass man ohne Atemschutz hier nicht herumlaufen darf. Von den Bildern aus dem Jahr 2003, als zum Beispiel in Hong Kong aus Angst vor dem SARS-Virus viele nur noch mit Atemschutzmasken aus dem Haus gingen. Von den Fotos nach dem Atomunfall von Fukushima im März 2011. Bei jedem noch so kleinen Feuerwehreinsatz, sogar bei den Sicherheitshinweisen im Flugzeug, denen man höchstens mit einem Ohr zuhört, verfehlt dieses Symbol nicht seine Wirkung, weil es an eine elementare Angst appelliert: davor, keine Luft zu bekommen oder giftige einzuatmen.  

Spätestens seit den Protesten in Ägypten hat das Symbol noch eine weitere Bedeutung. Überall, wo die Polizei zum Beispiel mit Tränengas gegen Demonstranten vorgeht, tauchen die Masken auf. In Istanbul werden sie auf der Straße verkauft. In Athen werden sie auf Hauswände gesprüht und gemalt. Der ägyptische Street-Art-Künstler El-Zeft klebte ein Bild von Nofretete, der Hauptgemahlin des Pharaos Echnaton, mit Gasmaske an eine Mauer in der Nähe des Tahrir-Platzes in Kairo.  

Die Gasmaske ist zu einem Symbol für gewaltsam unterdrückten Protest geworden, und ein bisschen auch zu Kunst. Die Masken sind zur Zeit überall, seit ein paar Tagen verhelfen sie sogar einer drei Jahre alten Idee zu neuer Aufmerksamkeit, zumindest auf Facebook, Twitter und Blogs: dem "Emergency Bra", kurz "EBra", einem BH, den man im Notfall in zwei einfache Gasmasken umfunktionieren kann.  

Seine Erfinderin, die ukrainische Medizinerin Elena Bodnar, war 1986 als Ärztin unter den Helfern bei der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl und behandelte vor allem Kinder mit Strahlenkrankheit. Mit billigsten Gasmasken hätten sie kein verstrahltes Jod-131 eingeatmet, davon war sie überzeugt, und begann, an einem Prototypen zu basteln.  



Im Notfall ausziehen und zwei Gasmasken daraus basteln: der "Emergency Bra".

Der Büstenhalter habe sich als offensichtliche Lösung angeboten, zitiert Welt Online die Erfinderin, denn der Großteil der Frauen würde ja einen tragen. Außerdem hätten die Körbchen ohnehin die Form einer optimalen Gesichtsmaske. Der EBra funktioniert so: Jedes der beiden Körbchen kann man wie eine Atemschutzmaske über Mund und Nase halten, die BH-Träger fixieren die Maske auf dem Kopf. Ausziehen kann man ihn übrigens ohne sich zu entblößen.
Bei Feuer, einer Explosion, einem Atomunfall oder einer Naturkatastrophe kann das Leben retten, und zwar zwei. Als Bodnar mit dem "Ig-Nobelpreis" ausgezeichnet wurde, einer satirischen Auszeichnung, die wissenschaftliche Leistungen ehrt, die die "Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen", sagte sie bei der Preisverleihung: "Ist es nicht wunderbar, dass Frauen zwei Brüste haben, nicht nur eine? Wir können nicht nur unser eigenes Leben, sondern auch noch das eines Mannes unserer Wahl retten."  





Für 29,99 US-Dollar kann man sich den original EBra bestellen, für 49,99 kriegt man das neuere Modell mit Strahlungssensor. Bisher gibt es den multifunktionalen BH nur in Rot, angeboten wird er auf einer Website, deren Ästhetik mehr auf einen drittklassigen Erotikfotografen als auf eine preisgekrönte Erfindung schließen lässt. Als ob das nicht reicht, wird auch noch mit dem Slogan "Be sexy, be safe" und einer vollbusigen Frau auf Satin-Bettwäsche und mit Rosenblättern geworben, was die eigentlich vernünftige Idee dahinter endgültig zur Nebensache macht. Auch die Fotos der aufgesetzten Maske sehen mehr wie eine Werbung für Fetischartikel aus. Den Gasmaskenfetisch gibt es sogar, "Breathcontrol" nennt sich das Ganze dann.

Sexy Protest schockiert spätestens seit den Auftritten der Oben-ohne-Aktivistinnen von Femen höchstens diejenigen, gegen die sich die Aufschrift auf ihren Brüsten richtet. In diesem Fall haben es die Webdesigner aber etwas zu gut gemeint mit der vermeintlich sexy Aufmachung. Vielleicht planen sie ja einen Relaunch angesichts der neuen Aufmerksamkeit, die der EBra genießt. Er passt auf jeden Fall viel besser ins Jahr 2013 als in sein Erscheinungsjahr. Bevor man zu einer Demo geht, bei der man damit rechnen muss, mit Tränengas beschossen zu werden, kann man sich durchaus vorstellen, den Emergency Bra anzuziehen.

Elena Bodnar hat sich ihren EBra allerdings nicht als Accessoire für besondere Anlässe vorgestellt. Fox News zitiert die Erfinderin: "You have to be prepared all the time, at any place, at any moment." Aus diesem Grund kann man ihn auch, wie einen normalen BH, bei 60 Grad waschen. Den Strahlungsmesser muss man vorher allerdings entfernen.
Bleibt nur die Frage, ob nicht eine Mini-Atemmaske für den Geldbeutel effektiver gewesen wäre als ein BH, den man in case of emergency ausziehen muss. Aber dann könnte man ja nicht so gute Werbeslogans erfinden.

Globaler Sachschaden ist garantiert

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Superman vs. Batman: Auf der Comic Con in San Diego, der größten Messe für Popkultur, kündigt das Warner-Studio einen Superhelden-Superblockbuster an

Warum die Comic Con in San Diego immer noch diesen Namen trägt, ist im Grunde ein Rätsel. Das Publikum interessiert sich von Jahr zu Jahr weniger für die Hefte aus dem Goldenen oder Silbernen Zeitalter der Comic-Kunst, sondern sehr viel stärker für die allerneuesten Filme, TV-Serien oder Games. Hier, zur weltweit größten Messe der populären Kultur, lässt Hollywood seine Stars aufmarschieren. 'Hollywood Con' wäre ein durchaus passender Name.

In diesem Jahr gab es einen echten Knaller, als 'Man of Steel'-Regisseur Zack Snyder bei einer Präsentation der Warner Studios, die die Rechte an den DC-Superhelden besitzen, verkündete, dass er demnächst einen weiteren Superman-Film drehen und darin auch Batman auftreten werde. Seit Monaten wurde über dieses Spitzentreffen spekuliert, nun ist die Sensation perfekt, dass die beiden größten Superhelden der Geschichte zum ersten Mal gemeinsam auf der Kinoleinwand zu sehen sein werden. In den Comics war dies bereits der Fall; im Film werden Elemente aus Frank Millers Klassiker 'The Dark Knight Returns' enthalten sein. Wer Batman spielen wird, steht noch nicht fest, Christian Bale wird es höchstwahrscheinlich nicht sein. Sicher aber ist, dass sich der dunkle Ritter und der Mann aus Stahl nicht als Freunde begegnen werden, gigantischer globaler Sachschaden ist also garantiert. Der Kinostart ist für 2015 geplant.



Bald auch im Kino vereint! Regisseur Zack Snyder plant einen neuen Superman-Film mit Batman.

Bis es so weit ist, hat DC-Konkurrent Marvel die Nase vorn. Das liegt auch daran, dass deren Superhelden-Ensemble gleich von mehreren Film-Studios betreut wird. So startet Sony nächstes Jahr im Mai einen zweiten 'Amazing Spider-Man'-Film. Als Besitzer von Marvel Comics hat Disney gleich mehrere Eisen im Feuer. Neben 'Thor: The Dark World' startet bald 'Captain America: The Winter Soldier', außerdem entsteht 'Guardians of the Galaxy'. Und auch andere Studios setzen weiterhin auf Superhelden. Die 20th Century Fox wird demnächst nicht nur 'Wolverine: Weg des Kriegers' in die Kinos bringen, sondern - ebenfalls mit Hugh Jackman - 'X-Men: Days of Future Past'. Dies wurde auf der Comic Con mit einem Staraufgebot gefeiert, das sogar jenen fast schon legendären Moment übertraf, als Disney vor drei Jahren alle 'Avengers' in San Diego aufmarschieren ließ. Neben Jackman zeigten sich die Mutanten-Darsteller Ian McKellen, Patrick Steward, Ellen Page, Halle Berry, Jennifer Lawrence und Michael Fassbender sowie Regisseur Bryan Singer.

Weit mehr als 130000 Besucher kamen in diesem Jahr zur Comic Con, kaum vorstellbar, dass die 1970 gegründete Messe als quasi-private Fanveranstaltung in einem Hotelzimmer begann. In diesem Jahr waren die Eintrittskarten zur Convention knapp zwei Stunden nachdem sie im Februar im Internet angeboten wurden, bereits ausverkauft. Doch selbst wer eines der begehrten Tickets ergattert hatte, fand nicht automatisch Zutritt zu allen Veranstaltungen. Viele Besucher kampierten deshalb vor dem Convention Center, um in der Früh einen der 6500 Plätze in der Halle H zu bekommen, wo Hollywood seine Stars aufmarschieren ließ. Dass das nicht eben kleine Convention Center aus allen Nähten platzte, hatte aber nicht nur Nachteile. Etliche Attraktionen mussten ausgelagert werden und wurden somit auch für Besucher zugänglich, die keine Tickets mehr bekommen hatten. Im Stil einer Freizeitpark-Attraktion gab es in einem Lagerhaus erste Einblicke in einen im nächsten Jahr startenden 'Godzilla'-Film. Die Kulissen aus 'Ender"s Game', einem Science-Fiction-Film mit Harrison Ford, wurden in einer eigens dafür errichteten Halle zur Schau gestellt. Bei einigen der lautstark um die Aufmerksamkeit der Passanten buhlenden Selbstdarsteller war nicht auf Anhieb festzustellen, ob sie Medienprodukte promoteten oder - religiös bewegt - Besucher der Comic Con wachrütteln wollten. Dieses Straßenfest mit seinen phantasievoll kostümierten Besuchern, Marktschreiern und Wanderpredigern sowie Open Air Partys geriet oftmals sehr viel lebendiger als das mehr oder weniger geordnete Chaos im voll klimatisierten Convention Center.

Bei den Eisner Awards, den wichtigsten Preisen der amerikanischen Comicbranche, wurde Chris Ware als bester Künstler und Autor ausgezeichnet. In Deutschland ist gerade seine Graphic Novel 'Jimmy Corrigan' erschienen, nominiert war er für 'Building Stories'. Dafür bekam er auch den Preis für den besten Comic des Jahres; außerdem wurde er als bester Letterer geehrt und für das beste Design einer Veröffentlichung. Als beste neue sowie beste laufende Serie wurde die Science-Fiction-Reihe 'Saga' von Brian K. Vaughan und Zeichnerin Fiona Staples ausgezeichnet. Vaughan wurde zudem auch als bester Autor geehrt

Das Leben nach dem Massaker

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Norwegen gedenkt der Opfer des Massenmörders Anders Breivik

Der Massenmörder hat sein Ziel nicht erreicht. Anders Breivik, heute 34 Jahre alt, wollte die vernichten, die er in seiner hasserfüllten Ideologie als Vaterlandsverräter ansah, weil sie Norwegen dem Ansturm der Muslime auslieferten. Am 22. Juli 2011 zündete er vor dem Regierungsgebäude in Oslo eine gewaltige Bombe, die acht Menschen in den Tod riss, ehe er, als Polizist verkleidet, auf der Insel Utøya 69 Teilnehmer eines Ferienlagers der AUF, der sozialdemokratischen Arbeiterjugend, erschoss oder in den Tod trieb. Zwei Jahre später beweisen die Norweger, dass man Ideen nicht mit dem Sturmgewehr auslöschen kann. Zum ersten Mal nach dem Massaker von Utøya lud die AUF wieder zu einem Sommerlager ein, und es kamen mehr Teilnehmer als je zuvor. 750 Jugendliche trafen sich im Ferienlager Gulsrud am Ufer des Tyrifjord-Sees. Bei klarem Wetter kann man von dort Utøya sehen. Auf der Insel kamen am Montag - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - Überlebende des Amoklaufs und Angehörige der Opfer zu einer Gedenkfeier zusammen.



Anders Breivik bei Gericht – er wurde knapp ein Jahr nach dem Attentat zu 21 Jahren Haft verurteilt.

In Oslo legte der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg vor dem Gebäude, in dem sich bis zum Tag des Anschlags auch sein Arbeitszimmer befand, einen Kranz nieder. 'Wir dürfen unsere Werte, die am 22. Juli angegriffen wurden, nie aufgeben: Humanität, Vielfalt, Solidarität und eine offene Gemeinschaft', sagte Stoltenberg. 'Sie sind unsere stärkste Waffe und unsere stärkste Verteidigung gegen Gewalt und Terror.' Stoltenberg hatte sich in den Tagen nach Breiviks Terroranschlag durch sein besonnenes und mitfühlendes Auftreten großen Respekt erworben. 'Unsere Antwort auf den Terror lautet: mehr Offenheit, mehr Demokratie, aber keine Naivität', sagte er damals. Nachdem Breivik knapp ein Jahr nach dem beispiellosen Verbrechen zu 21 Jahren Haft verurteilt worden war, wurde aber auch Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen und am teilweise chaotischen Einsatz der Polizei laut. Heute sei das Land besser auf Terrorangriffe vorbereitet, sagte Stoltenberg. 'Wir haben analysiert, gelernt und gehandelt. Wir haben eine bessere Überwachung, mehr Hubschrauber und mehr Polizei.'

Es gibt aber auch Zweifel, dass Breiviks Terroranschlag die norwegische Gesellschaft nachhaltig aufgerüttelt hat. 'Es gibt heute nicht weniger ausländerfeindliche und vor allem muslimfeindliche Norweger als vor dem Massaker', sagt der Sozialwissenschaftler Lars Gule von der Universität Oslo. Der Wirtschaftswissenschaftler Ali Esbati, der das Utøya-Massaker überlebte, beklagt, dass starke politische Kräfte wie die rechtspopulistische Fortschrittspartei, kein Interesse an einer Diskussion über Ausländerfeindlichkeit hätten. 'Norwegen hat es nicht geschafft, die Ereignisse in einen politischen Kontext einzubetten', sagte Esbati in einem Interview mit dem Wiener Standard. Umfragen zufolge müssen die Sozialdemokraten bei der bevorstehenden Parlamentswahl in Norwegen mit erheblichen Verlusten rechnen. Dann könnte es auch zu einer Mitte-rechts-Koalition unter Beteiligung der Fortschrittspartei kommen.

Teurer wohnen

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Hohe Mieten belasten Familien mit geringem Einkommen. Laut einer Studie ist in Jena das Verhältnis von Mietpreisen und Einkommensniveau besonders angespannt.

666 Euro. So viel hat eine einkommensschwache Familie, zwei Kinder, zwei Erwachsene, nach Abzug der Miete monatlich zur Verfügung. Zumindest, wenn die Familie in Jena lebt. Dort, so hat es die Bertelsmann-Stiftung in einer am Montag veröffentlichten Studie beschrieben, ist das Zusammenspiel von Einkommensniveau und Mietpreisen besonders prekär. In München, der Stadt mit den höchsten Mieten, ist die Situation etwas besser - denn hier liegt das Durchschnittseinkommen deutlich höher als in Jena.



Wohnen, das macht die Studie deutlich, bestimmt die wirtschaftliche Situation eines Haushalts heute mehr als jeder andere Faktor.

666 Euro. Das sind 503 Euro weniger als der Hartz-IV-Regelsatz, der der Familie zustünde. Offiziell gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erhält. Doch ob ein kleines Gehalt dazu führt, dass Kinder und Eltern in die Armut rutschen, hängt in Deutschland davon ab, in welcher Stadt sie leben. Denn unter den gleichen Bedingungen - Vier-Personen-Haushalt, weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens, familientaugliche Wohnung - hätte eine Familie in Heilbronn noch 1941 Euro in der Kasse.

Wohnen, das macht die Studie deutlich, bestimmt die wirtschaftliche Situation eines Haushalts heute mehr als jeder andere Faktor. Das verschärft soziale Ungleichheit: Während die Deutschen im Jahr 2011 durchschnittlich 28,3 Prozent fürs Wohnen ausgaben, mussten Geringverdiener 50 Prozent ihres Einkommens aufwenden. Besonders hart trifft es arme Haushalte mit Kindern: Die vierköpfige Modellfamilie zahlte 42,9 Prozent für die Wohnung, armutsgefährdete Alleinerziehende 52,3 Prozent. Dabei können Familien vielerorts froh sein, eine Wohnung zu haben: Nach Angaben der Stiftung sind in Städten wie Frankfurt, Freiburg, Hamburg, München, Potsdam und Jena kaum bezahlbare Angebote für Familien auf dem Markt - auch nicht mit einem normalen Einkommen.

Den Grund sieht die Studie in einer Binnenwanderung, die das Land immer deutlicher in Schrumpfungs- und Wachstumsregionen teilt. Die gute Arbeitsmarktsituation zieht Familien in Wachstumsregionen - doch wegen der hohen Mieten ist dort auch das Armutsrisiko hoch. In 60 der 100 größten deutschen Städte hat die vierköpfige Modellfamilie weniger zur Verfügung als den Hartz-IV-Regelsatz, der nach Abzug der Unterkunftskosten bei 1169 Euro liegt.

'Familien aus der unteren Mittelschicht und der oberen Unterschicht' geraten in Boom-Städten unter finanziellen Druck - das ist das Fazit von Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Er fordert, Armut müsse stärker regional erfasst und bekämpft werden. Eine Forderung, die nicht so schwer umzusetzen sein könnte: Eine Folge der hohen Mieten ist eine immer klarere räumliche Trennung armer und reicher Haushalte. So kommen für arme Familien nur etwa zwei Prozent des Münchner Stadtgebiets in Frage. Wer Armut in deutschen Großstädten erforschen wollte, wüsste zumindest eines: Wo er suchen muss.


EU bewertet Hisbollah als Terrororganisation

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Die Radikalislamische Miliz heizt den Konflikt in Syrien an. Die EU erklärt nun die Hisbollah als Terrororganisation. Der Dialog mit der Regierung in Beirut soll aber weitergehen.

Die Europäische Union stuft den militärischen Arm der libanesischen Hisbollah-Bewegung als Terrorgruppe ein. Eine entsprechende Entscheidung fällten die Außenminister der 28 EU-Regierungen am Montag bei ihrem Treffen in Brüssel. "Es ist gut, dass die EU entschieden hat, die Hisbollah als das zu bezeichnen, was sie ist: eine terroristische Organisation", sagte der niederländische Außenminister Frans Timmermans, dessen Land schon vor Jahren die gesamte Hisbollah-Bewegung, also auch den politischen Arm, als terroristisch eingestuft hat. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach von einer "glasklaren Entscheidung", die "nicht nur gerechtfertigt, sondern auch notwendig" sei. Diese Entscheidung besage: "Wir dulden keinen Terror von nichts und niemandem in Europa." Die Entscheidung der Europäischen Union bedeutet, dass Geldmittel und Vermögenswerte der Hisbollah in der Europäischen Union beschlagnahmt werden können. Zudem gelten verstärkte Maßnahmen zur Polizei- und Justiz-Zusammenarbeit. Unklar ist, wie groß die Vermögenswerte der Hisbollah in Europa sind. Offenbar sind zurzeit auch keine Maßnahmen gegen Angehörige der Hisbollah vorgesehen. Allerdings zeigte sich Timmermans überzeugt davon, dass mit der Listung die Handlungsfähigkeit der Hisbollah entscheidend begrenzt wird. Der Antrag auf Listung der israelfeindlichen Hisbollah war Ende Mai von der britischen Regierung eingebracht worden. Er fußte insbesondere auf Erkenntnissen der bulgarischen und zyprischen Justizbehörden zu je einem vollendeten und einem vereitelten Anschlag, die der Hisbollah zugeschrieben werden.




Befeuert wurde die Debatte über die Listung der Hisbollah durch die vorbehaltlose Solidarisierung der radikalislamischen Miliz mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad.

Im bulgarischen Ferienort Burgas waren bei einem Attentat auf einen mit israelischen Touristen besetzten Bus im Juli 2012 sechs Menschen ums Leben gekommen; im zyprischen Limassol wurde ein Mann mit Verbindungen zur Hisbollah verurteilt, der israelische Touristen ausgespäht hatte. Westerwelle nannte zwar keine Ermittlungsdetails. Er unterstrich allerdings, dass die Faktenlage hinreichend klar sei, um eine juristisch wasserdichte Entscheidung über die Listung der Hisbollah zu treffen. Organisationen, die als terroristisch eingestuft werden, können juristisch gegen diese Entscheidung vorgehen.


Befeuert wurde die Debatte über die Listung der Hisbollah aber nicht nur durch die Terrorattacken des Sommers 2012. Sondern auch durch die vorbehaltlose Solidarisierung der radikalislamischen Miliz mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad. Die Hisbollah kämpft in Syrien an der Seite der regierungstreuen Truppen. Darauf spielte auch der österreichische Außen-Staatssekretär Reinhold Lopatka an. Er erklärte am Rande der Außenministertagung, letztlich sei "das Gesamterscheinungsbild der Hisbollah" entscheidend gewesen.

Anträge auf Listung der Hisbollah waren in früheren Jahren stets im Sande verlaufen. Auch der jüngste Vorstoß war lange umstritten. Eine Gruppe von Ländern scheute die Ächtung der Hisbollah, weil ihr politischer Arm ein wichtiger innenpolitischer Faktor im Libanon ist und befürchtet wurde, dass eine demonstrative Ächtung der Miliz das Land noch weiter destabilisieren könnte. Die Hisbollah ist dort über ihre Partei im Parlament vertreten und eine wichtige Stütze der Regierung. Eine Reihe von EU-Ländern willigten der Listung daher nur unter der Bedingung ein, dass der politische Dialog, insbesondere mit der libanesischen Regierung, fortgesetzt werden könnten. Westerwelle nannte dies eine "kluge, balancierte Entscheidung."

Weitere Bedenken kamen von EU-Mitgliedsstaaten, die in der Region an UN-Missionen beteiligt sind, etwa an der UNIFIL-Beobachtungsmission im Libanon selbst. Der britische Außenminister Hague versuchte, derartige Befürchtungen zu zerstreuen - unter anderem mit Verweis darauf, dass London den militärischen Arm der Hisbollah schon vor gut fünf Jahren als Terrororganisation bezeichnet hatte, aber dennoch mit den Libanesen und ihrer Regierung im Gespräch geblieben ist. Man steuere beispielsweise Geld zum Unterhalt der Grenztruppen, aber auch für humanitäre Hilfsaktionen bei. Die Listung werde "die starken Beziehungen der Europäischen Union und Großbritannien zum Libanon in keiner Weise in Mitleidenschaft ziehen", unterstrich Hague.

Während von der Hisbollah selbst zunächst keine Reaktion vorlag, begrüßte die israelische Regierung die Entscheidung der Europäischen Union. Der stellvertretende israelische Außenminister Zeev Elkin erklärte laut Nachrichtenagentur DPA, Israel habe viel Zeit investiert, um diesen "bedeutenden" EU-Beschluss zu erreichen. Allerdings wäre Israel eine Einstufung der gesamten Hisbollah als Terrororganisation noch lieber gewesen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte skeptische europäische Politiker telefonisch zu der Entscheidung gedrängt. Justizministerin Tzipi Livni erklärte, nun sei "der ganzen Welt klar", dass die Hisbollah keine legitime politische Partei sei.

Krawalle nach Polizeikontrolle

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Der seit Jahren schwelende Streit zwischen der Republik Frankreich und der radikalen Minderheit unter ihren etwa sechs Millionen muslimischen Einwohnern ist in der kleinen Stadt Trappes ausgebrochen. Anlass war die Routinekontrolle einer Polizeistreife.

Am Wochende kam es zu Unruhen in Paris. Ausgelöst wurden diese durch eine Polizeikontrolle in der Stadt Trappas. Die Beamten hielten am Freitagabend eine vollverschleierte Frau an und forderte sie auf, den Gesichtsschleier zu entfernen, damit sie sie identifizieren könnten. Das Tragen der Burka ist seit dem Jahr 2010 durch Gesetz verboten. Daraufhin soll der Mann der Frau die drei Polizisten angeschrien, bespuckt und geschlagen haben. Angeblich hat er auch einen der Beamten am Hals gefasst und gewürgt.



Mehr als 20 Autos gingen in Trappes und anliegenden Gemeinden in Flammen auf.

Während ein Gerichtsmediziner am Hals des Polizisten Würgemale feststellte, behauptet ein Verein zur Bekämpfung der Islamophobie, die offizielle Darstellung stimme nicht. Die Polizisten hätten es an Respekt fehlen lassen und die Frau wie einen Hund angeschrien. Der Ehemann der Betroffenen wurde festgenommen, später aber bis zum Prozess wieder nach Hause geschickt. Noch während seines Gewahrsams auf der Polizeiwache forderten drei Dutzend Gleichgesinnte seine Freilassung, wurden jedoch abgewiesen. Darauf kam es zu schweren Krawallen, in deren Verlauf mehrere Hundert Demonstranten die Polizeiwache mit Pflastersteinen und Molotow-Cocktails bewarfen. Mehr als 20 Autos gingen in Trappes und anliegenden Gemeinden in Flammen auf. Bushaltestellen wurden demoliert, Mülltonnen angezündet. Ein Unbekannter versuchte, Polizisten auf der Straße mit seinem Auto zu überfahren. Trotz Verfolgung durch einen Hubschrauber konnte er entkommen.

Seit Sonntag herrscht in Trappes, das früher nur durch den größten Verschiebebahnhof Frankreichs bekannt war und im Krieg unter schweren Luftangriffen zu leiden hatte, wieder Ruhe. Mannschaftswagen der Polizei schützen die zentralen Punkte der Stadt, die in den vergangenen Jahren unter beträchtlichem Aufwand saniert wurde. Die soziale Erneuerung, so werfen Kritiker der Regierung vor, sei jedoch völlig vernachlässigt worden. Gegen vier junge Männer, die sich an den Ausschreitungen beteiligt hatten, begann am Montag in Versailles das in solchen Fällen vorgesehene Schnellverfahren.

Sowohl die verschleierte Frau als auch ihr Mann sind Konvertiten zum Islam. Die 20 Jahre alte Cassandra B. stammt aus Martinique, ihr Mann Michael K. soll russisch-nordafrikanischer Herkunft sein. Beide gehören einem Zirkel von Salafisten an, die einen besonders strikten Islam pflegen und in Trappes offenbar relativ viele Anhänger haben. Wie stets, wenn Fundamentalisten mit der Staatsgewalt in Konflikt geraten, tritt ein gewisser Solidarisierungseffekt zwischen den Radikalen und der großen Mehrheit der gemäßigten Muslime ein. "Warum kann die Polizei die verschleierten Frauen nicht wenigstens ein paar Tage in Ruhe lassen?" zitiert die Zeitung Le Monde eine Einwohnerin. "Bei dieser Hitze ist es im Ramadan schon schwierig genug, zu fasten." Der Präsident des Departements Yvelines, Erard Corbin de Mangoux, erklärte, ein kleiner Kern nutze jede Gelegenheit, um in der Stadt Feuer zu legen.

Für die sozialistische Regierung bedeutet die Affäre eine große Verlegenheit. Sie muss ein Verbot durchsetzen, das ihre Mehrheit nicht wollte. Das einschlägige Gesetz wurde auf Betreiben des früheren konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy eingeführt. Im Parlament wurde es von der damaligen Mehrheit der Rechten und der Mitte verabschiedet. Nur 14 sozialistische Abgeordnete stimmten dafür, unter ihnen freilich der jetzige Innenminister Manuel Vals. Der französische Premierminister Jean-Marc Ayrault nahm an der Abstimmung nicht teil, gab jedoch zu verstehen, dass seine Fraktion sich der Annahme der Vorlage nicht widersetzen werde.

Innenminister Vals besuchte am Montag die Wache in der Stadt Trappes und sprach den Polizisten sein volles Vertrauen aus. "Der Staat lässt mit sich keine Scherze treiben", sagte der Minister. "Die Lage ist unter Kontrolle." Von einem Teil seines eigenen Lagers wird Vals für seine kompromisslose Haltung immer wieder heftig kritisiert.

Training für Angestellte

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Das neue Magazin 'Tweed' würde gerne britischen Lebensstil vermitteln

Nein, man wird leider kein Gentleman, indem man Gentleman-Magazine liest. So, wie man auch nicht königlicher wird, wenn man die Geburt eines königlichen Babys in Echtzeit verfolgt.

Nehmen wir mal das Schuheputzen. Das Schuheputzen ist ja immer ein ganz großes Ding in solchen Blättern, so auch in dem ersten Heft des neuen Magazins Tweed, das jetzt deutschen Männern 'britischen Lebensstil' nahebringen will. Da wird von 'Schuhpflegeseminaren' berichtet, die 'voll im Trend' seien. Und wieder einmal wird die penible, wenn auch nicht sehr alltagsstresskompatible Vorschrift erteilt, dass die Schnürsenkel zum Putzen 'natürlich' stets herauszunehmen seien.

Aber hat man eigentlich je den Gentleman alter Schule, auf den sich Herren- und Stil-Magazine gerne berufen, beim Herausfriemeln von Schnürsenkeln aus seinen Lederschuhen gesehen? Hat man je gehört, dass er in Oxford ein Schuhpflegeseminar belegt hätte? Hat man nicht. Der Gentleman alter Schule hatte für solche Aufgaben nämlich Personal.



Das neue Magazin 'Tweed' gibt Tipps für die richtige Pflege der eigenen Luxus-Lederschuhe. Ob damit die gewünschte Zielgruppe erreicht wird?

Und damit ist auch das Problem der meisten Heraufbeschwörungen der feinen englischen Art benannt: Sie richten sich nunmehr an gehobene Angestellte, die sich einen Stil antrainieren wollen. Sie sitzen auf Dienstreisen am Flughafen, blättern in entsprechenden Magazinen herum und schwelgen, wie in Tweed, in folgenden Themen: Maßanzüge, teure Hemden, 100Jahre Aston Martin, edle Füllfederhalter, Benimm- und Stilregeln, Rasiermesser, Oldtimertreffen, Polo-Clubs, das legendäre Savoy-Hotel in London, die schätzungsweise siebentausendste Reportage aus einer Whisky-Destillerie ...

Da sind gewiss viele schöne Dinge dabei. Was sich aber für den Edelmann aus Besitz und Erziehung ergab, das droht, demonstrativ bemüht, zur affigen Maskerade zu werden. Und das gilt erst recht für Deutsche, die ihre - durchaus berechtigte- Anglophilie allzu sichtbar nach außen tragen. Es ist dies ja eine Liebe, die von den wenigsten Engländern erwidert wird - ein bisschen zu viel Tweed eben. (Ein Wort, das heute übrigens niemand ungestraft mit 'Tweet' verwechselt.)

Having said that - auch wenn man diese Warnungen beherzigt, macht es natürlich trotzdem Spaß, sich englische Herrenbekleidung oder Herrenhäuser anzuschauen. Weil sie schön und bewährt gut gemacht sind. Und wenn man es nicht übertreibt mit dem Gehabe, dann kann man sich, auch aus dem Magazin Tweed (Startauflage: etwa80000), ein paar ganz einfache, sinnvolle Alltagsregeln abschauen: zum Beispiel niemals ein Sakko zu kaufen, das irgendwo Richtung Knie herunterhängt, und niemals kurzärmelige Oberhemden zu tragen. So kann vielleicht auch der Traum vieler Männer mit etwas Geld und wenig Zeit wahr werden: haltbare, stilvolle Sachen zu erwerben und dann sehr, sehr lange nicht einkaufen zu gehen.

All das müsste allerdings in einem Magazin über britischen Stil selber mit Stil und Witz vorgetragen werden. Davon kriegt man aber für 9,80 Euro pro Tweed-Heft (alle zwei Monate) in den Texten noch ziemlich wenig geboten. Das Blatt erscheint im Wieland Verlag, der sonst auf Fachliteratur über Messer und Klingen spezialisiert ist. Da gibt es an der Schärfe des Stils noch einiges zu schleifen.

Beschränkt empfehlenswert!

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Freunde können mit Buchempfehlungen ziemlich daneben liegen. Aber auch die Algorithmen von Amazon und anderen Buchportalen kennen uns meistens schlecht. Von wem nimmst du Empfehlungen an?

Linear abhängig zur Sommerzeit wachsen die Buchempfehlungen. Erst ist nur die Leipziger Buchmesse im März, auf der bereits die Werke wuschelköpfiger Jungautoren als Sommerlektüre angepriesen werden. Dann kommt eine Beilage in der Wochenzeitung "Die Zeit", in der neben ganzseitigen Autorenfotos Leseempfehlungen verteilt werden. Und schließlich kommt das Sommerloch und so ziemlich jede Redaktion packt einmal ihre Sommerbücher aus. Zumindest, wenn sie nicht komplett identisch mit jener der Großbuchhandlung um die Ecke sind. Die zahlreichen Empfehlungen von Freunden, die vergangenes Jahr dieses und jenes tolle Buch gelesen haben, mal ausgeklammert.



Die Buchempfehlungen der anderen können oft ziemlich danebenliegen. Wem vertraust du?

Ein neues Internetprojekt aus dem Karlsruher Raum haut nun genau in diese Kerbe der Buchempfehlungen: Auf Lokibo.org kann man seine Lieblingsromane bewerten und danach angeben, welche Eigenschaften das nächste Leseobjekt haben soll. In der Theorie spuckt einem der Algorithmus dann den neuen Lieblingsroman aus, was in der Tat eine ziemlich gute Idee für Baggersee-Nachmittage und lange Bahnfahrten ist.

Praktisch funktioniert das bei mir leider nicht. Sogar der verdammte Algorithmus scheint nicht in der Lage zu sein, mir ein meinem Geschmack entsprechendes Buch zu nennen. Anders kann ich mir nicht erklären, warum alle Welt mir Nora-Roberts-ähnliche Bücher mit lilafarbenen Cover und Titel wie "Flammen/Mond/Feuer/Hitze im Morgengrauen/Abendrot/irgendeinem englischen Cottage" andrehen möchte. Denn das ist genau die Art von Buch, die ich nicht lesen möchte. Auch Amazon reitet seit Jahren auf einer Anna-Gavalda-Bestellung von mir rum und sogar meine Mutter scheint mittlerweile in Algorithmen zu denken. Auch von ihr bekam ich letztes Jahr zum Geburtstag ein blaues Cecilia-Ahern-Werk mit Schnörkelschrift und Wattewolken. Mein Fazit: Vielleicht sollte ich auch Leseempfehlungen meiner Mutter zukünftig eher vorsichtig genießen, wenn sie mich so schlecht kennt.

Nun sind schlechte Buchempfehlungen ja noch harmlos. Bei manchen Freunden kann es sogar sehr hilfreich sein, wenn sie einem etwas empfehlen, weil man dann genau weiß, was man nicht lesen sollte. Aber es gibt ja auch wichtige Entscheidungen neben den Büchern: Zu welchem Restaurant sollte man gehen? Welche Ärztin ist gut? Und wo sollte der nächste Urlaub hingehen? Wie ist das bei dir? Vertraust du bei solchen Entscheidungen deinen Freunden? Eltern? Oder doch lieber einem Online-Portal?

Bildervergleich: Das Royal Baby vs. Alf

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William und Kate haben einen Sohn bekommen. Aber gibt es nicht noch ein berühmtes Ehepaar mit denselben Vornamen und einem prominenten Familienmitglied? Klar: Alfs "Eltern" Willie und Kate Tanner. Das Royal Baby und Alf im Bildervergleich

Herkunft




Vor der Ankunft





Erbliches kosmetisches Problem




Wenn die Familie zu Besuch kommt



Natürlicher Feind




Schlechtes Vorbild





So ähnlich in Deutschland




Großes Geschrei




Spielzeug




Leibspeise




Rap Rendezvous: Wir hören neue Platten mit Denyo

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Jeden Monat plaudert jetzt.de mit einem Vertreter des HipHop-Kosmos über aktuelle Rap-Veröffentlichungen. Heute mit Denyo von den Beginnern über die Neuerscheinungen von Muso, Fler, LL Cool J, Quasimoto und Talib Kweli.

In dieser Kolumne geht es um einen Dialog. Um ein Zwiegespräch zwischen Redakteur und Rapper. Und eine Szene-Größe wie Denyo hat nicht nur viel zu sagen, sondern auch eine fundierte Meinung, wie er als Musiker schon oft genug unter Beweis gestellt hat. Als Teil der Beginner hat er stets die HipHop-Flagge für Hamburg (mittlerweile Berlin) hochgehalten – und damit auch das Qualitätslevel für die gesamte Szene. Das „Bambule“-Album der Beginner von 1998 gilt heute als das Album, das hierzulande den ersten HipHop-Boom eingeläutet hat. 



Denyo

Aber auch solo ist Denyo durchaus überzeugend in Erscheinung getreten, und zwar nicht nur als Rapper, sondern vor vier Jahren auch als Singer/Songwriter unter seinem bürgerlichen Namen Dennis Lisk. Außerdem hat Denyo vor zwei Jahren auf Vox die mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Sendung „Cover My Song“ moderiert, bei der Rapper Schlagerlieder und Schlagersänger Rap-Tracks covern mussten.  

Auf ein neues Beginner-Album werden wir hingegen leider noch eine Weile warten müssen, da sich Eizi Eiz vorerst wieder dem Output seines erfolgreichen Alter Egos Jan Delay widmet. Aber am 28. August sind die Beginner beim „Beats auf der Bahn“-Festival in Hamburg immerhin mal wieder live zu sehen.   

http://vimeo.com/20349168

Aber jetzt geht es los mit dem Rap Review Rendezvous und...



Muso – Straciatella Now 

jetzt.de: Deine Meinung zum Album?

Denyo:
Auf der EP vor dem Album haben mich ein, zwei Songs ziemlich beeindruckt. In Sachen Sound hat er da voll den Zeitgeist getroffen, das war super umgesetzt. Vom Album bin ich allerdings ein bisschen enttäuscht.  

Inwiefern?

Muso wirkt auf mich wie ein ungeschliffener Diamant. Der hat geile Ansätze mit tollen Wortspielen, aber man merkt auch, dass er das Wortspiel über alles stellt, und dadurch checkt man seine Intention oft gar nicht mehr. Und, bei allem Respekt, Muso macht es sich manchmal ein bisschen einfach: Er lässt sich mit den Wörtern oft gehen und bringt seine Texte nicht konsequent in Form. Als Zuhörer verlierst du da sehr schnell den Faden. Da freut man sich, wenn mal ein etwas konzeptionellerer Song kommt.  

http://www.youtube.com/watch?v=ssoVcPK1QiI 
 
Zum Beispiel?
Das Liebeslied „Blinder Passagier“ funktioniert für mich ganz gut, zumal das auch ein bisschen langsamer ist, sodass ihm musikalisch der nötige Platz eingeräumt wird. Da versteht man seine Doppeldeutigkeiten und Metaphern endlich mal. Vielleicht bräuchte der so einen Rick-Rubin-mäßigen Produzenten, der wie ein Mentor fungiert und ihm ein bisschen die Richtung weist.  

Die Platte wurde von Konstantin Gropper (Get Well Soon) und Markus Ganter (Sizarr) produziert. Hörst du eine fehlende Rap-Sozialisation heraus?

Von der Produktion her finde ich eigentlich alles cool. Da sind Drum’n’Base-Sounds drin, dann aber auch mal klassische 808s, dann mal eine Gitarre. Das passt schon. Insgesamt passiert mir da aber ein bisschen zu viel. Man hätte da Reduce-to-the-max-mäßig noch mehr rausholen können.  

Wie würdest du das Album in einem Satz beschreiben?
Die Platte wirkt auf mich wie eine durchdesignte Psychose. Aber das hat was – irgendwo zwischen Kopfschütteln und Kopfnicken. Ich find es ja immer schon geil, wenn jemand etwas zu sagen hat. Selbst, wenn ich nichts davon verstehe. Ich bin auf jeden Fall gespannt, ob der auf diesem Weg irgendwann in der Klapse landet oder wirklich was reißt.



Fler – Blaues Blut 

Wie stehst du generell zum Output und der Attitüde von Fler?

(lange Pause)
Ich kann das nicht cool finden. Das ist so Standard-Blockbuster-Rap mit den immer gleichen Themen: Ich mach Kohle; ich komm von der Straße und hab’s geschafft; ich mach noch mehr Kohle; ich fick alle Frauen, denn dafür sind sie da; außer die eine, der ich das Herz gebrochen habe, und die jetzt keinen Bock mehr auf mich hat, aber die ich für immer lieben werde; und Mama. Das ist Neandertaler-Style. Aber es ist auch ein Spiegel der Gesellschaft. So funktioniert die Welt.  

Gibt es nichts an dem Album, das dir gefällt?

Fler hat schon ein paar geile Punchlines und bringt den einen oder anderen lockeren Spruch. Das ist etwas, das vielen Rappern fehlt, die mich interessieren; dass die einfach mal einen raushauen. Das ist der Charme, den Leute wie Fler besitzen. Die coolen Jungs nehmen sich eher zurück, weil sie eine Geschichte erzählen oder eine anspruchsvolle Bildsprache benutzen wollen. Fler scheißt da aber drauf. Er rappt auch okay. Aber rappen ist einfach. Geil rappen, das ist schwer.  

In Fleurs Oeuvre schwingt immer ein bisschen mit, nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen etwas beweisen zu müssen. Gehört das zu einer Competition-Kultur wie HipHop dazu oder hat Fler einfach einen zu starken Anerkennungsdrang?
Dieser Anerkennungsdrang ist das einzige, das ich nachvollziehen kann. Wenn du aufgrund deines Aussehens offensichtlich nicht dazu gehörst, musst du dich dieser Opfer-Position eben offensiv entgegenstellen.

http://www.youtube.com/watch?v=6-M58BHGRNQ

Die Farbe „blau“ im Titel seiner letzten Platte „Hinter blauen Augen“ und seines aktuellen Albums „Blaues Blut“ nimmt nicht nur Bezug auf seine deutsche Herkunft in einem Migranten-Umfeld, sondern auch auf den Film „American Gangster“ und der dort von Frank Lucas, wie Fler sich auch selbst nennt, vertriebenen Droge „Blue Magic“. Was hältst du davon?
Er nutzt dieses polarisierende Element seiner deutschen Herkunft im Ghetto-Umfeld natürlich für sich. Er profitiert von der provozierten Kontroverse, sich als weißer Rapper Eminem-mäßig behaupten zu müssen. Und wahrscheinlich ist er auch ein großer Jay-Z-Fan – daher eben „American Gangster“.  

Wie stehst du zu diesem Hashtag-Rap-Style, den Fler auf der Platte durchexerziert, mit Lines wie „Man sagt, ich schwimme jetzt in Geld #Dagobert“ oder „Es gibt für dich kein Happy End #Sexmassage“?

Das ist für mich total Rick Ross. Der hat das zwar auch nicht erfunden, aber noch mal auf ein anderes Level gebracht. Teilweise ist das schon lustig. Ich selbst versuche immer, etwas Positives zu schaffen, deshalb verzichte ich eher mal auf die eine oder andere politisch unkorrekte Line. Fler hingegen ballert die einfach raus und das finde ich schon lustig. Da er das aber an keiner Stelle durch eine intelligente Aussage bricht und mal eine augenzwinkernde Komponente mit reinbringt, ist das letztlich ein Trauerspiel. Wenn er das ernst meint, ist das echt schlimm. Aber dieses Ignorante ist eben unterhaltsam. Das erklärt wohl auch seinen Erfolg.

Auf der nächsten Seite: Denyo spricht über die neuen Alben von LL Cool J, Quasimoto und Talib Kweli.

LL Cool J – Authentic 

War LL Cool J Teil deiner Rap-Sozialisation?

Klar. Das „Bigger And Deffer“-Album und die „I Need Love“-Single von 1987 habe ich derbe gefeiert. Bis 1993, bis zu „Mama Said Knock You Out“, war LL Cool J wichtig. Ich finde sein neues Album auch gut, aber es hat keine Relevanz mehr. Da steckt Arbeit drin, aber nicht mehr diese Leidenschaft.  

LL Cool J hat auf der Platte ein bisschen herumexperimentiert und mit so verschiedenen Leuten wie Snoop Dogg, Seal, Eddie van Halen, Chuck D, Tom Morello und Earth, Wind & Fire zusammengearbeitet. Was hältst du davon?
Man weiß am Ende nicht so genau, was er will. Klar, einen Song wie „We Came To Party“ mit Snoop und Fatman Scoop kann man auch mal im Club spielen, aber die Crossover-Nummern finde ich altbacken, trotz der fetten Gitarren. Ich find das alles sympathisch, aber es ist nicht nachhaltig.

http://www.youtube.com/watch?v=IGyBCo53q1k

LL Cool J hat sein aktuelles Album „Authentic“ genannt. Hast du das Album als authentisch empfunden?
Doch, auf seine Art schon. Er tanzt auf der Platte musikalisch auf ähnlich vielen Hochzeiten wie er das künstlerisch tut, denn er ist ja nicht nur Musiker, sondern auch Schauspieler. Trotzdem versucht er natürlich, zu gefallen und radiotauglich zu sein, aber das ist vermutlich ebenfalls Teil seiner Persönlichkeit und insofern auch wieder authentisch.  

In „Bath Salt“ rappt LL Cool J: „Tha game lost its flavor, I wonder where the taste went.“ Hast du dich das in Bezug auf ihn und seine Platte auch gefragt?

Das sagen so viele Leute, aber ich finde, das stimmt nicht. Das kommt ja auch häufig von denen, die nicht mehr am Start sind. Vielleicht muss man einen anderen Blickwinkel einnehmen, aber hör dir doch mal einen Joey Bada$$ an – da hast du deinen Flavor. Rap ist einfach vielschichtiger geworden. Aber klar: Vieles wurde bereits gemacht, also kannst du es nur genauso machen oder ganz anders. Und wenn du es ganz anders machst, kommen eben die Alten und sagen „the game lost its flavor.“



Quasimoto – Yessir Whatever 

Gefällt dir die Platte?
Ich finde es gut, dass es solche Platten gibt, aber das ist nicht meins. Mir ist das zu gestrig. Ich find’s aber krass, dass man so eine Liebe dafür haben kann, dass man immer noch dieses alte Equipment benutzt. Ich find das sympathisch, das ist ein gutes Gegengewicht zu dem ganzen Pop-Scheiß.  

Jan (Eizi Eiz) hat damals schon recht früh Marsimoto unterstützt und mit auf Tour genommen und der wiederum hat sich seinen Style ja bei Quasimoto abgeschaut. Kannst du mit Marsimoto mehr anfangen?

Absolut, weil der eben viel moderner klingt. Marsi ist musikalisch im Hier und Jetzt. Ich war auch nie einer von dieser Fraktion, die J. Dilla so abgöttisch gefeiert hat. Ich bin neo. Ich mag Synthies und schaue lieber, was es Neues gibt. Hinzu kommt, dass mein Englisch nicht so gut ist, dass ich bei Quasimoto textlich alles mitbekomme.  

Quasimoto rappt häufig leicht neben dem Beat – nervt dich das als Rapper oder ist das ein legitimes Style-Element?
Der zieht das hundertprozentig durch, deswegen finde ich das vollkommen legitim. Mir ist das insgesamt aber zu chaotisch. Das hat für mich keine Form.

http://www.youtube.com/watch?v=eeeX3c6XohI

Der Beat zu „Broad Factor“ ist ähnlich dem von Mad Skillz’„The Nod Factor“, das Bob-James-Sample aus „Nautilus“ kam auch schon auf Jeru The Damajas „My Mind Spray“ zu Ehren. Nervt es dich, wenn du bestimmte Samples bereits mit einem anderen Track in Verbindung bringst oder findest du es cool, wenn es noch mal in einem anderen Kontext auftaucht?
Ich kann da leider keine Liebe vorheucheln. Da musst du vielleicht eher mal Mirko Machine fragen. Oder DJ Stylewarz. Oder DJ Mad.  

Quasimoto ist ein Alter Ego von Madlib. Du selbst hast ja auch schon unter verschiedenen Namen Musik gemacht – Denyo, Denyo 77, Dennis Deutschland, Dennis Lisk. Warum diese Pseudonyme?
Manchmal ist das wichtig, um klar zu definieren, wofür man mit einem bestimmten Namen steht. Für ein Feature auf Jans „Seaching For The Jan Soul Rebels“ habe ich mich mal Dennis Dubplate genannt, das hätte ich mir sicherlich sparen können, genauso wie Denyo 77 oder Dennis Deutschland. Dass ich mich für meine letzte Platte jedoch Dennis Lisk genannt habe, hat total Sinn gemacht, weil es musikalisch eben etwas ganz anderes war als das, wofür ich als Denyo stehe.



Talib Kweli – Prisoner Of Conscious 

Bist du per se ein Anhänger von Talib Kweli?

Natürlich. Wie kann man den nicht cool finden?  

Dann hat dir sein aktuelles Album also gefallen?

Ja. Ich weiß zwar nicht, ob ich es wirklich oft hören werde, aber es ist derbe. Talib Kweli rappt einfach immer unglaublich gut. Im Zweifelsfall würde ich aber vermutlich doch eher zu den alten Alben greifen, bei denen alles voll auf den Punkt ist. Auf der neuen Platte ist ein bisschen viel Rumgedaddel dabei. Ich habe irgendwo gelesen, früher hätte er eine Revolution starten wollen, heute will er nur noch den Soundtrack dazu abliefern. Und der ist mit „Prisoner Of Conscious“ wieder ziemlich gut geworden.

http://www.youtube.com/watch?v=m4S2avleyeM

Dem Albumtitel nach zu urteilen sieht er sich ein bisschen im Conscious-Rap-Korsett gefangen. Konnte er sich mit der neuen Platte von den Fesseln lösen?
Ich find den Titel auf jeden Fall geil, selbst wenn er vermutlich nicht so selbstironisch gemeint ist, wie ich ihn verstehe. Aus dieser Schublade kommt er eben nicht raus, aber ich weiß auch gar nicht, ob er das wirklich will, wenn ich mir die Platte so anhöre.  

An Rap-Features hat Talib Kweli Leute wie Busta Rhymes, aber auch Kendrick Lamar, Curren$y und Nelly mit an Bord. Wen magst du von den Genannten am liebsten?
Die Gästeliste ist cool. Kendrick Lamar ist super, ich finde sogar den Song mit Miguel ganz gut. Bei Nelly hätte ich es eigentlich ganz lustig gefunden, dass er den wieder ausgegraben hat, aber der ist letztens mit so ganz schlimmer Justin-Bieber-Mucke um die Ecke gekommen. Das geht leider gar nicht.

Auf der nächsten Seite: Denyo verrät seine aktuellen und seine All-Time-Lieblingsalben.

Denyos aktuelle Album-Top-5 bzw. -6: 

The Weeknd – Trilogy
Das ist die Weiterentwicklung des R’n’B-Genres. Bevor der um die Ecke kam, gab es eigentlich nur noch diesen Pop-R’n’B, der geile, ernstzunehmende Neo-R’n’B ohne sämtliche Klischees à la Usher war praktisch tot. Aber Weeknd hat richtig Kante. Und damit hat er von Drake über Miguel alle beeinflusst. Das ist für mich ein ungekrönter King.  

Frank Ocean – nostalgia, ULTRA
Frank Ocean kommt gleich nach The Weeknd. Einfach geil.  

Major Lazer – Free The Universe

Ich bin viel in Clubs unterwegs und Diplo ist einfach einer der wichtigsten Produzenten unserer Zeit.  

Marteria – Zum Glück in die Zukunft bzw. Marsimoto – Grüner Samt

In Deutschland zur Zeit mit das Beste, was wir haben.  

Jay-Z – Magna Carta Holy Grail

Derbe.
 

Denyos Alltime-Album-Top-5 bzw. -6: 

Public Enemy – It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back

Wegen der Platte habe ich angefangen zu rappen. Das war das erste Mal, dass ich so eine Mucke gehört habe. Das hatte eine unglaubliche Energie. Damals war Flavor Flav auch noch cool – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.  

Jay-Z – The Blueprint

Das war damals das kompletteste und im positiven Sinne durchdesignteste Album, das es gab. Das war von Leuten wie Kanye West und Just Blaze revolutionär produziert, ohne dass man so genau wusste, was daran eigentlich so revolutionär war. Und Jay-Z war da einfach on top of the game. Untouchable.  

Bob Marley – Uprising bzw. Dennis Brown – Words Of Wisdom
Beide habe ich damals ganz viel gehört.  

Advanced Chemistry/Fremd im eigenen Land (Maxi)

Ohne Torch hätten wir damals nicht angefangen, auf Deutsch zu rappen. Dieser Song hatte damals einfach alles: Die Aussage, für damalige Verhältnisse fette Beats und unglaublich gute Raps. Das waren die deutschen Public Enemy. Bei denen haben wir gelernt. Das waren die Kings.  

Dr. Der – The Chronic 2001

Das war vom Sound einfach derbe revolutionär.

In nicht so guter Gesellschaft

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Der alt bewährte Held Robert Redford ist derzeit im Thriller "The Company you keep" zu sehen. Man merkt es dem Film an, dass sich inzwischen die Standards in Hollywood geändert haben.

Schauspielerkarrieren halten länger als die von, sagen wir mal, Fußballern. Aber für die Ewigkeit sind sie eigentlich nicht gemacht. Robert Redford legte vor fast einem halben Jahrhundert los, mit Jane Fonda als Gegenpart, in 'Ein Mann wird gejagt' (1966) und 'Barfuß im Park' (1967), 'Butch Cassidy and the Sundance Kid' (1969) brachte ihn dann in Position als größtes Sex-Symbol der Siebziger - das ist eine sehr lange Karriere. Vielleicht hätte sie seinen vierzigsten Geburtstag nicht überlebt, hätte er sich nicht ziemlich schnell neu erfunden, als politische Figur, jenseits der 68er, weit jenseits der jungen Wilden von New Hollywood. Redford war die linksliberale Stimme der Vernunft, was dann 1976 im nächsten Triumph gipfelte: im von ihm selbst produzierten Watergate-Film 'Die Unbestechlichen', in dem er als Bob Woodward ungefähr drei Generationen Journalisten das Idealbild vorspielte, dem sie alle folgen wollten. Sein neuer Film 'The Company You Keep - Die Akte Grant' sehnt sich nach dieser Zeit zurück - nach allem, wofür Redford damals stand.



Redford hat 'The Company You Keep' inszeniert, und spielt darin auch die Hauptrolle.

Redford hat 'The Company You Keep' inszeniert, und er spielt auch die Hauptrolle: Jim Grant, Anwalt und alleinerziehender Vater einer halbwüchsigen Tochter, er lebt in ganz bürgerlichen Verhältnissen. Das tut auch die biedere Vorstadt-Mum, die Susan Sarandon spielt - ihr zweites Leben. Dreißig Jahre lang hat sie eine falsche Identität aufrechterhalten, dann wird sie verhaftet. Im ersten Leben war sie ein Mitglied der Weather Underground, sie wird als Terroristin gesucht.

Die Freundschaft mit dem heutigen Professor Bill Ayers brachte Barack Obama im Wahlkampf 2008 in Bedrängnis, Ayers war einer der Gründer der Gruppierung The Weather Underground, die sich 1969 auf dem Campus der Universität von Ann Arbor, Michigan, formierte. Es ging um Marxismus, Antiimperialismus, vor allem aber befand man sich auf der Höhe des Protests gegen den Vietnamkrieg - Weather Underground wurde militant, hielt die USA bis in die Achtziger mit Anschlägen in Atem. Es waren allerdings Bombenanschläge gegen leere Gebäude, bis zu jener Bombe, die 1970 zu früh detonierte, drei Mitglieder umbrachte - und die sich dann doch gegen Menschen hatte richten sollen. In 'The Company You Keep' geht es um die Siebziger, als die Gruppe eigentlich keine Opfer mehr in Kauf nehmen wollte, der Fall, für den Redford und Sarandon gesucht werden, spielt auf einen Überfall 1981 an, bei dem zwei Polizisten und ein Wachmann ums Leben kamen.

So kommen die Figuren in 'The Company You Keep' in den Untergrund, nehmen eine neue Identität an. Der junge Journalist Ben Shepard (Shia LaBeouf) wittert, als er von der Verhaftung hört, dass an der Story mehr dran sein muss - und kommt mit seinen Recherchen bald Jim Grant auf die Spur, der in einem ersten Leben Nick Sloan hieß und auch auf der Weather-Underground-Fahndungsliste steht. Grant bringt erst mal seine Tochter bei seinem Bruder (Chris Cooper) unter, den er seit Jahren nicht gesehen hat, und beginnt eine wilde Jagd - die nur Ben Shepard versteht: Grant ist gar nicht auf der Flucht, er sucht seine frühere Freundin Mimi (Julie Christie), die auch untergetaucht ist - sie weiß, dass er an dem Bankraub, für den er angeklagt werden soll, gar nicht beteiligt war: Er hat Gewalt immer abgelehnt. Grant stand der Gruppe nur nahe, weil er mit dem Staat, in dem er lebte, in Unfrieden war - und wurde dann sehr schnell zum Gejagten, der niemandem ein Haar gekrümmt hatte. Es ist Zufall, dass diese Geschichte gerade ganz gut zum Fall Edward Snowden passt.

Natürlich möchte Redford damit Fragen stellen, die mit der Gegenwart zu tun haben: nach Überreaktionen aus Angst vor Terror, danach - das will Redford in all seinen Filmen wissen -, ob einer gleichzeitig moralisch sein und politisch handeln kann. Genüsslich zerrt er immer wieder Stückchen amerikanischer Geschichte hervor, die die Öffentlichkeit verdrängt - seine letzte Regiearbeit war 'Die Lincoln-Verschwörung', da ging es um den Prozess gegen Mary Surratt, die Mutter eines der Lincoln-Verschwörer, die später als erste Frau in den USA hingerichtet wurde.

'The Company You Keep' ist von ähnlichen Motiven getrieben, von Redfords Eifer, das Verdrängte ans Licht zu zerren. Und eigentlich ist es ein schöner Thriller geworden im Stil der Siebziger, 'Die drei Tage des Condor' etwa, in dem Redford als CIA-Analyst einer Mörderbande entwischt, die seine eigenen Vorgesetzten anheuerten, um ihre Machenschaften zu vertuschen. Aber man merkt 'The Company You Keep' an, dass sich inzwischen die Standards in Hollywood geändert haben.

Die Hauptrollen spielen vier Oscarpreisträger - Redford, Sarandon, Christie, Chris Cooper; in den Nebenrollen war fast jeder für einen Oscar nominiert, außer Shia LaBeouf, dem jungen Zugpferd der 'Transformers'-Blockbuster-Reihe. Das ist ein Ausdruck von Angst - dass einen Film wie 'The Company' heute womöglich niemand mehr sehen will -, aber es ist noch kein Schaden: Susan Sarandon und Julie Christie sind ganz wunderbar gealtert, und sie bringen melancholische Nostalgie in die Geschichte. Eher stört es, dass sich die Geschichte an manchen Stellen den derzeit geltenden Gesetzen des Entertainments zu unterwerfen versucht - diesen Regeln folgten auch die Filme der Siebziger nicht, denen 'The Company You Keep' nachempfunden ist. Man kann einfach manchen Geschichten kein Happy End verpassen, ohne sie kaputt zu machen, auch 'Die drei Tage des Condor' hat keins.

Für Redford selbst, der sich zuletzt in den Achtzigern neu erfand - als Gründer des Sundance-Festivals und Pate des unabhängigen amerikanischen Films -, ist es vielleicht trotzdem das Ende eines Kapitels. Stars können mit dem Altern auf unterschiedliche Arten umgehen, männliche zumal, denen das Altern leichter zugestanden wird: Jack Nicholson ging es offensiv an mit einem Film wie 'About Schmidt', in dem er mit der Pensionierung fertigwerden muss; Robert De Niro begann relativ früh, Komödien zu drehen; Dustin Hoffman hat mit 75 Jahren erst angefangen, Regie zu führen. Redford spielt in 'The Company You Keep' noch einmal die Heldenrolle seiner Glanzzeit, mit Teenie-Tochter und Verantwortung. Vielleicht hat er diese Rolle nun zum letzten Mal gespielt und erfindet sich noch einmal neu - bei den Filmfestspielen in Cannes lief in diesem Jahr der Film, den er nach 'The Company You Keep' gedreht hat, 'All Is Lost', inszeniert von J.C. Chandor - Redford ganz allein, in jeder Szene, ein Verlorener auf hoher See, der um sein Leben kämpft. Als Schauspieler ist er dabei so bei sich wie nie zuvor - und es ist vielleicht Zeit, noch mal nach vorn zu blicken und etwas Neues zu versuchen. 'Just keep moving', hat Redford unlängst über das Altern gesagt - wer stehen bleibt, der stirbt.

The Company You Keep, USA 2012 - Regie: Robert Redford. Drehbuch: Lem Dobbs. Kamera: Adriano Goldman. Mit: Robert Redford, Shia LaBeouf, Julie Christie, Susan Sarandon, Chris Cooper. Concorde, 122 Minuten.

Magister sorgenfrei

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Wer studiert, bekommt fast immer gute Jobs - aber nicht sofort

Der Spruch aus dem Poesiealbum mag abgedroschen klingen: 'Lerne, leiste, schaffe was, dann bist du, kannst du, hast du was.' Wenn mit dem Lernen konkret ein Studium gemeint ist, trifft er aber zu: Ein Hochschulabschluss ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Das HIS-Institut für Hochschulforschung hat, gefördert durch das Bundesbildungsministerium, knapp 5000 Absolventen des Jahres 2001 befragt. In regelmäßigen Abständen wollten die Forscher wissen, wo und wie die Akademiker arbeiten. Das Ergebnis der Studie, die an diesem Mittwoch erscheint und der Süddeutschen Zeitung vorliegt: Die Arbeitslosenquote rangiert bei gerade mal einem Prozent. 41 Prozent der Befragten haben bereits eine Führungsposition inne. Für die Karriere sind jedoch zwei Nachteile hinzunehmen: eine Phase der beruflichen Unsicherheit meist in den ersten Jahren nach dem Examen - sowie ein Aufschub der Familiengründung.



Endlich fertig! Wer einen Uni-Abschluss in der Tasche hat, findet in den meisten Fällen auch einen Job.

Neun von zehn der damaligen Absolventen sind heute erwerbstätig, die übrigen nennen sich 'Hausfrauen' - teils auch 'Hausmänner' - oder sind Leute, die sich, etwa durch eine Promotion, weiterqualifizieren. 'Trotz zwischenzeitlicher Wirtschaftskrisen sind die Chancen für Hochschulabsolventen langfristig sehr gut', sagt HIS-Projektleiter Kolja Briedis. Nur drei Prozent der Befragten haben seit dem Abschluss dauerhaft einen Job, der nicht dem Niveau eines akademischen Abschlusses entspricht. Das Klischee von Massen an taxifahrenden Soziologen und kellnernden Linguisten räumt die Studie also aus. Viele Absolventen sind mit den Arbeitsinhalten (85Prozent) und ihrer Position (73Prozent) zufrieden. Drei Viertel der erwerbstätigen Befragten sind unbefristet beschäftigt, 15 Prozent selbständig. Im Schnitt verdienen die Vollzeitkräfte 63000 Euro brutto pro Jahr.

Allerdings: Nur etwa einem Drittel ist nahtlos der Übergang vom Studium in eine unbefristete Vollzeitanstellung gelungen. Quer durch die Fächer ist zunächst eine Zeit mit Befristungen und Werksverträgen üblich. Oder die Jobsuche dauert eine Weile: Im ersten Monat nach dem Examen waren zwölf Prozent der Befragten arbeitslos, schon zum Ende des ersten Jahres sank der Anteil auf zwei Prozent. 'Unsicherheitsphasen gelten für fast alle. Bildungsrenditen machen sich in der Regel nicht sofort nach dem Studium bemerkbar', sagt Forscher Briedis. In manchen Fächern bleiben diese Risiken bestehen. So haben zehn Jahre nach dem Abschluss 20 Prozent der Geisteswissenschaftler keine reguläre Vollzeitanstellung - was freilich auch nicht immer gewünscht wird. Nach einer Dekade sind außerdem vier Prozent der Magister, also der Geistes- und Sozialwissenschaftler, arbeitslos, sechs Prozent der Tiermediziner und sogar sieben Prozent der Biologen.

Für die Karriere stellen viele Akademiker die Familienplanung erst mal zurück. 40 Prozent aller Befragten sind kinderlos. Nur sieben Prozent hatten schon beim Abschluss eine Familie. Der Anteil der Eltern steigt erst im dritten Jahr nach dem Examen deutlich an - nachdem also die oft heikle Übergangsphase in den Job gemeistert ist. Briedis sieht eine 'Verschiebung', von den kinderlosen Frauen äußert noch fast jede zweite einen Kinderwunsch. Das Durchschnittsalter dieser Gruppe liegt allerdings bei 37 Jahren.

Kommissar Nerd

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Bei Internetfahndung denkt man dieser Tage zuerst an Spionage, die NSA und Edward Snowden. Aber was ist mit den Cybercops, die zum Beispiel für das bayerische LKA arbeiten? Ihre Arbeit verdient Respekt

Was weiß Amerikas National Security Agency über jeden von uns? Wie genau und wo zapfen die am besten ausgestatteten Cyberspione der Welt die Datenleitungen an? Diese Fragen und viele mehr sind seit den Enthüllungen des Edward Snowden zwar gestellt, aber längst nicht erschöpfend beantwortet. Doch nicht nur die Geheimdienste werfen ihre Netze im Internet aus, auch die Polizei muss sich der Tatsache stellen, dass Computer und Internet bei mehr und mehr Straftaten eine entscheidende Rolle spielen. Aber weder können sich die Beamten einfach so über Gesetze hinwegsetzen, noch reicht die normale dreijährige Polizeiausbildung aus um zu lernen, wie man zum Beispiel ein verschlüsseltes Passwort knackt oder eine Computer-Festplatte auswertet. Wie wird man eigentlich Internetermittler, oder, wie sie meist genannt werden, Cybercop?

Der junge Mann, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, macht nicht unbedingt den Eindruck eines Abenteurers. Er hatte einen guten Job. Gut bezahlt, sicher und beim Staat. Aber bloß darauf zu achten, dass in einem Rechenzentrum alles nach Plan läuft, das war ihm auf Dauer zu langweilig. Also beschloss er mit 27, noch einmal neu anzufangen. Er wurde Polizist, doch kein gewöhnlicher. Er ist einer von 38 Computerexperten, die 2010 als Internetkriminalisten bei der Bayerischen Polizei eingestiegen sind.



Spurensuche im Netz: Die Arbeit sogenannter Cybercops wird immer wichtiger für die Polizei.

'Es ist einfach spannend, wenn man dazu beitragen kann, dass Straftaten aufgeklärt werden', sagt der heute 30-Jährige über sein Motiv. 'Man macht sich ja keine Vorstellung, was es da so für Seiten gibt.' Der junge Kriminaloberkommissar beim Landeskriminalamt (LKA) meint damit kinderpornografische Internetseiten. Diejenigen zu ermitteln, die solche Bilder und Videos verbreiten, vor allem aber Täter zu jagen, die Kinder selbst missbrauchen, gehört zu den Hauptarbeitsgebieten der Internetkriminalisten.

Sie warten nicht bloß darauf, dass neue Fälle gemeldet werden. Auf ihren Computern laufen auch Suchprogramme, die einschlägige Seiten automatisiert abrufen und registrieren, wenn neue Bilder eingestellt werden. Die Ermittler versuchen dann herauszubekommen, wer dafür verantwortlich sein könnte. Aber sie müssen schnell sein. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2010 sind die Internetanbieter nicht mehr verpflichtet, sich zu merken, an wen zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Internetadresse vergeben war. Bernhard Egger, Leiter des Dezernats Fahndung und Erkennungsdienst beim LKA und Chef der Cybercops, wäre es ziemlich egal, wie genau der Zugriff auf diese Daten geregelt wäre, gäbe es denn wenigstens irgendeine Regelung. Denn eines ist für ihn klar: Ohne diese Vorratsdaten haben seine Ermittler kaum eine Chance. Sie seien dann darauf angewiesen, dass ihnen der Zufall hilft, zum Beispiel, wenn ein Kindesmissbrauch im Freien stattfindet und man anhand von Gebäuden oder markanten Punkten in der Landschaft erkennen kann, wo das gewesen sein könnte.

Wie aber wird man fertig damit, dauernd mit den ekelhaften Darstellungen konfrontiert zu sein, mit dem Leid der Kinder? 'Man muss lernen, die Bilder abstrakt zu betrachten', sagt Egger. Und, ergänzt er, bei den fünf Internetkriminalisten im LKA gelte die Regel: 'Stärke heißt auch, dass man mal sagt, diesen Fall kann ich jetzt nicht bearbeiten.' Es kommt auch schon mal vor, dass ein Ermittler vorzeitig nach Hause geht oder eine Pause einlegt - 'wir regeln das flexibel und im Team.'

Internetermittler gibt es auch in anderen Bundesländern - mit einem Unterschied: Sie sind keine Polizisten, sondern arbeiten nur zu. Wenn es ernst wird, wenn zum Beispiel bei der Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung oder ein Haftbefehl erwirkt werden sollen, dann müssen die Internetexperten einen Polizeibeamten hinzuziehen. In Bayern ist man einen anderen Weg gegangen, offenbar mit Erfolg. Kaum ein einschlägiger Kongress, auf dem Egger oder sein Kollege Jürgen Miller, zuständig für Wirtschaftskriminalität, nicht eingeladen werden, um von ihren Erfahrungen zu berichten.

Die Ermittler stehen ja alle vor derselben schwierigen Situation: Die Anzeigen häufen sich, bei denen es um Kriminalität im Zusammenhang mit Computern und Internet geht, aber der Polizei fehlen Fachkräfte mit entsprechenden Kenntnissen. In Bayern sprangen die Behörden daher über den Schatten ihrer eigenen Ausbildungsrichtlinien und schufen eine Art Turboausbildung zum Polizisten: IT-Fachleute werden dabei in einem Jahr mit allem vertraut gemacht, was Polizisten wissen müssen. Vor allem geht es um das Polizeiaufgabengesetz und um die Vorschriften des Strafgesetzbuchs. Richtige Polizisten, das gibt Miller zu, sind sie dann noch nicht, den Rest lernen sie aber unter Anleitung erfahrener Beamter on the job.

Cybercops tragen übrigens auch Waffen, haben diese bisher jedoch nur beim Schießtraining benutzt. Das Training aber ist Pflicht. Wer die geforderte Trefferquote nicht schafft, muss womöglich die Waffe abgeben. Auch sonst gelten die gleichen Anforderungen wie im Polizeidienst, sagt Miller: 'Wer noch nie joggen gegangen ist, der kriegt schon Probleme beim 3000-Meter-Lauf.' Für den klassischen Nerd, der am PC sitzt und kaum Sport treibt, kann das eine unüberwindbare Hürde sein.

Überrannt wird die Personalabteilung jedenfalls nicht gerade mit Bewerbungen. Bei der ersten Einstellungsrunde 2010 gab es noch zahlreiche Interessenten, von denen viele die Anforderungen nicht erfüllten. Ein Informatikstudium mindestens an einer Fachhochschule ist Pflicht, bevorzugt werden Bewerber, die bereits ein paar Jahre Berufserfahrung gesammelt haben. Bei der zweiten Runde, die am 5.August zu Ende geht, ist der Zulauf bis jetzt noch ziemlich überschaubar, vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Die 2010 an Bord gekommen sind, machen ihren Job aber gerne, versichert Egger. Je nach Qualifikation werden sie als Kommissar oder Oberkommissar eingestellt, die Einstiegsgehälter liegen zwischen knapp 2000 und knapp 2700 Euro netto im Monat. In der freien Wirtschaft wird deutlich mehr bezahlt. Ohne eine Portion Idealismus ist diese Arbeit eben einfach nicht zu machen.

Schöpfungsfrage

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Das Verteidigungsministerium verklagt die WAZ-Gruppe. Die hatte Einsatzberichte der Bundeswehr gedruckt und damit angeblich das Urheberrecht verletzt.

Der Fall klingt absurd und könnte dennoch in ein Grundsatzverfahren münden. Die Rechercheure des WAZ-Portals 'Der Westen' haben Tausende Seiten der Bundeswehr-Einsatzberichte aus Afghanistan online gestellt - nun hat das Bundesverteidigungsministerium die Funke-Mediengruppe, wie sich die WAZ-Gruppe inzwischen offiziell nennt, vor dem Landgericht Köln verklagt. Nicht etwa wegen Bruchs der Geheimhaltung; die Papiere waren mit der niedrigsten Stufe versehen, sie dienten der Information des Verteidigungsausschusses. Sondern weil das Urheberrecht der Autoren verletzt sei. Die schildern zwar durchaus akribisch die Details des Konflikts ('Am 14.07.12 ereignete sich ein Selbstmordanschlag auf eine Hochzeitsgesellschaft in der Provinz Samangan'). WAZ-Rechercheur David Schraven fragt sich aber doch, worin genau die urheberrechtliche 'Schöpfungstiefe' der Texte bestehe.



Gibt es ein Copyright auf Bundeswehr-Einsatzberichte?

Tatsächlich nutzt die Klage einen juristischen Graubereich. Sollte man die Soldatenprosa wirklich als 'individuelle geistige Schöpfungsleistung' ansehen, wie es das Ministerium tut, gilt das Urheberrechtsgesetz. Und dort findet man keinen eindeutigen Paragrafen, der eine Veröffentlichung zuließe. Für amtliche Dokumente gilt kein Urheberschutz - nur für solche, die bereits veröffentlicht sind. Ähnlich schwierig ist der Rückgriff auf das Zitatrecht: Journalisten dürfen normalerweise auch aus Geheimpapieren zitieren. Ob sie komplette urheberrechtlich geschützte Dokumentenpakete ins Netz stellen dürfen, ist unklar.

Gleichwohl dürften Schraven und seine Kollegen - die Gegenwehr angekündigt haben - am Ende Recht bekommen. Denn über dem Urheberrecht rangiert das Grundgesetz und damit die Pressefreiheit. Hinzu kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: Vor kurzem hat er entschieden, dass das Urheberrecht gegen die Informationsfreiheit der Menschenrechtskonvention abgewogen werden müsse. Die Richter müssten dann das Interesse der Texter in Uniform an ihrer 'geistigen Schöpfungsleistung' in die eine Waagschale legen, das Interesse der Öffentlichkeit an einer breiten Informationsbasis zum Kriegsverlauf in Afghanistan in die andere. Also Feinunze gegen Pfund.

Jedenfalls muss Klarheit geschaffen werden, Grauzonen sind der Feind der Pressefreiheit. Der Justiziar des Deutschen Journalistenverbandes, Benno Pöppelmann, empfiehlt: 'Es lohnt sich, den Fall durchzufechten.'

Blaues Blut

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Die strickten Regeln der Thronfolge haben sich in den letzten Jahren deutlich gelockert.

Mit der Weitergabe 'blauen' Blutes ist das so eine Sache. Im Jahr 1649 zum Beispiel köpfte man den amtierenden Herrscher des Vereinigten Königreichs - bis heute die letzte antimonarchische Regung auf der Insel, die derart drastische Folgen hatte. Der Sohn des Hingerichteten, Karl II., durfte anschließend wieder regieren; aber während er mit Mätressen mindestens zwölf uneheliche Kinder gehabt haben soll, brachte er leider keinen einzigen legitimen Erben hervor.

Also kam sein Bruder auf den Thron, Jakob II. Der wiederum wurde aber nach vier Jahren verjagt, weil er katholisch war und seinen Untertanen einen ebenso katholischen Sohn präsentierte, der nach Meinung der protestantischen Mehrheit aber gar nicht echt, sondern in einer Wärmpfanne ins Kindbett geschmuggelt worden war. Seitdem musste aus Angst vor untergejubelten Nachkommen stets ein Vertreter der Regierung bei der königlichen Niederkunft dabei sein - eine Regel, an der noch bis zur Geburt des gegenwärtigen Thronfolgers, des Prinzen von Wales, im Jahr 1948 festgehalten wurde.



Ein Prinz und eine Bürgerliche? Sowas hätte es früher nicht gegeben!

Heute geht es, nach den zwischenzeitlich wilden Jahren rund um Prinzessin Diana, deutlich weniger turbulent zu. Niemand verlangt von Prinz William einen Vaterschaftstest zum Beweis der Legitimität des neuen Erben, eine Methode, die bei Erbfolgestreitigkeiten in früheren Jahrhunderten bestimmt verwendet worden wäre, wenn es sie schon gegeben hätte. Überhaupt wird der medizinisch-technische Fortschritt vom englischen Hof erfolgreich ausgeblendet: Keine pränatale Diagnostik, kein 3-D-Ultraschallbild ist während der Schwangerschaft nach außen gedrungen. Das Mysterium einer natürlichen Erbfolge aus Gottes Gnaden ist erstaunlich intakt. Je bürgerlicher und politisch machtloser die Königlichen in Wirklichkeit werden, je mehr Celebrity, desto wichtiger scheint es zu sein, dass die Institution der Monarchie in existenziellen Momenten vormoderne Rituale aufführt: Traditionstheater mit Kutschen und Kanonenschlägen bei Hochzeiten, Jubiläen und Beerdigungen. Und eben die Vorspiegelung einer quasi magischen Geburt ohne jedes Zutun von Gentechnik und Biomedizin.

Wer einwendet, dass das blaue Blut doch durch bürgerliche Gene verwässert werde, sollte sich vor Augen führen, dass früher die Genealogie des Hochadels auch schon ziemlich verschlungen war. Als das Haus Stuart ausstarb, zu dem die anfangs erwähnten Könige gehörten, wurde die britische Thronfolge durch Einheirat in deutsche Adelshäuser fortgesetzt: zuerst das Haus Hannover von 1714 an - da setzt der hier abgebildete Stammbaum ein -, dann das Haus Sachsen-Coburg & Gotha seit der Herrschaft von Königin Viktoria (1837). Diese deutsche Herkunft setzt sich bis heute fort, auch wenn die Dynastie im Ersten Weltkrieg (1917) in 'Haus Windsor' umbenannt wurde.

Es ist übrigens das erste Mal seit knapp 120 Jahren, dass ein amtierender Monarch die Geburt eines Urenkels in direkter Thronfolge erlebt. Jetzt müssen sich gleich drei Jungs in Geduld üben.

Fernweh ist eine Illusion

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Die Lust auf Veränderung bringt uns dazu, unser Zuhause zu verlassen und in die weite Welt hinauszuziehen. Was aber, wenn man plötzlich bemerkt, dass man es auch in der Fremde immer mit denselben Schauplätzen und Personen zu tun hat?

Seitdem ich denken kann, will ich weg. In die Wüste, die Berge, ans Meer, vor allem aber in eine größere Stadt, weg aus der Provinz. Das Gefühl, das sich einstellte, wenn ich dann wirklich verreiste, war überwältigend. Das Wegsein war stets auf eine unvergleichliche Art grandios und aufregend und brachte zugleich ein Gefühl der Ruhe mit sich. So als ob man endlich am richtigen Ort sei. 

Fernweh zu haben ist modern. Wir versuchen, möglichst viel Auslandserfahrung in unsere Lebensläufe zu stopfen. Es ist Teil jenes Leistungsdenken, das uns glauben lässt, dass wir alles erreichen können, wenn wir nur hart genug dafür arbeiten. Und alles zu erreichen heißt auch, überall leben zu können, es überall aushalten zu müssen. Wir wollen weiter kommen und dafür reicht es nun einmal nicht, sich immer nur am selben Ort aufzuhalten. Wer sich heute in die Ferne sehnt, sehnt sich so oft auch nach Erfolg, Glanz und Ausnahmezustand.  

Darum fühlte auch ich mich lange so, als hätte ich versagt, weil ich die letzten Jahre in nur einer Stadt verbracht hatte. Es fühlte sich so an, als wäre ich steckengeblieben und als würde mir etwas Wichtiges entgehen. In meiner Pubertät wollte ich weg aus dem kleinen, spießigen Land, dem ich mich nie zugehörig fühlen wollte. Weg von den Kleingeistern mit hirnrissigen Konventionen und beschränktem Horizont. In meinen Augen war ich immer ein bisschen Kanye und der Rest die doofen Douchebags. Später waren es dann die Familie, die mir zu sehr als Last erschien, die Freunde, die mir plötzlich fremd waren, die Beziehung, die mir wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit vorkam und nicht mehr zu meinem neuesten Ich-Entwurf passte. Der Sehnsucht in die Ferne basierte immer schon auf einem tiefen Veränderungsdrang und auf Unzufriedenheit, auf dem Traum des ultimativen Neubeginns. Weg, weil man Belastendes hinter sich lassen will. Weg, weil es nur besser, schöner sein kann als dort, wo man gerade ist.  



Die Ferne lockt - aber finden wir dort wirklich, was wir suchen?

Das letzte Jahr habe ich zum Großteil in fremder Umgebung verbracht. Und auf einmal beschleicht mich der Gedanke, dass es sich bei meinem Fernweh eigentlich um eine Illusion handelt. Nicht, dass das Wegsein mich nicht verändert hätte und gut gewesen wäre – es war super und eine wichtige Erfahrung. Aber ist meine Auswandererexistenz wirklich so anders als die, die ich Zuhause liegen ließ? 

Der Zweifel kam, als eine Schulfreundin mich hier in München besuchte. „Komm doch ins Café Nils, das ist nett, ist so wie das Café Stern, sagte ich ihr am Telefon. Das „Café Stern“ war ein Kaffeehaus in der Kleinstadt, in der ich acht Jahre lang zur Schule ging, die ich nicht ausstehen konnte und der ich nach dem Abi kompromisslos den Rücken kehrte. Nach der Schulzeit habe ich die Stadt jahrelang gemieden. Noch heute überfällt mich, wenn ich dort bin, das beklemmende Gefühl, dass die Zeit still steht. Die Stadt riecht nach trister Langeweile und Einheitsbrei. Beides Dinge, die ich nicht leiden kann. Und plötzlich ertappe ich mich dabei, wie ich in einem ganz ähnlichen Café sitze und es super finde. Aber es bleibt nicht nur bei dieser Beobachtung. Da fällt mir auf einmal Pete ein, den ich in Dänemark kennen gelernt habe und mit dem ich im letzten Jahr viel Zeit verbracht habe: Er erinnerte mich immer an meinen alten Mitbewohner. Und meine Lieblings-Kommilitonin Lena, die doch eigentlich genau wie meine Freundin Anna ist. Auf einmal merke ich: In meinem vermeintlich „neuem“ Leben wimmelt es nur so von Doubles. Zu verblüffend vielen Personen und Orten lässt sich Zuhause ein Äquivalent finden. Kann es sein, dass ich ständig denke etwas Neues zu erleben und mich in Wirklichkeit stets in Parallelwelten aufhalte?  

Mit neuen Städten ist es ein bisschen wie mit dem Verliebtsein. Man hetzt von einem Stadtviertel ins nächste, man will der Stadt näher kommen, ja nichts verpassen und ihren Rhythmus kennenlernen. Sie steht für etwas Neues und Unbekanntes. Man erhofft sich dadurch, selbst erneuert und generalsaniert zu werden. Es ist diese berauschende Überforderung, die reizvoll ist. Und die kleinen Momente des Verlorengehens, die sich aufregend anfühlen. Vor einem liegt der Asphalt, der erobert werden will. Eine neue Haut, in die man hineinkriechen kann. Die Stadt ist der Partner, mit dem man diesmal alles richtig machen will. Man will die richtigen Menschen treffen und die richtigen Orte besuchen.  

So wie man aber auch in einer Beziehung von der ersten Verliebtheit in die Routine rutscht, passiert das auch mit der neuen Stadt. Ich ertappe mich jedes Wochenende am gleichen Platz am Wasser, mit der selben Limo in der Hand oder wie ich nach einem Thai-Lokal Ausschau halte, wo es dieselbe Suppe wie in der Heimatstadt gibt. Aber ist das Heimweh? Als ich in Dänemark auf der Uni zufällig jemanden traf, der aus dem selben 500-Einwohner-Kaff stammte wie ich, ergriff ich schnell die Flucht und ging ihm das restliche Semester aus dem Weg. Wie ein ungebetener Gast kam er mir vor, in meinem neuen Leben. Wieso suche ich also jetzt plötzlich heimlich nach Vertrautheit? Sie war es doch, der ich entkommen wollte.

Eine naheliegende und banale Antwort ist der Wiederholungszwang - nicht nur die Dinge zu suchen, die man mag, sondern auch die, die einen nerven. Oder das alles bedeutet einfach, dass es zu Hause eigentlich auch ganz okay ist. Oder, dass es überall irgendwie gleich ist. Ein neuer Ort soll die Veränderung bringen, die es für das neue Ich braucht. Vielleicht ist  „das andere“ aber gar nicht so anders wie wir immer glauben und überall fällt dasselbe Licht auf einen und überall wirft man dieselben Schatten.  

Wenn das so ist, dann ist Fernweh ein Stück Heimweh. Die Sehnsucht nach der Ferne eigentlich ein Ankommenwollen, an einem Platz, an den man gehört und an dem man sich wohlfühlt. Und dieses Zuhause ist vielleicht mehr als nur ein Ort und etwas zu dem auch Menschen, Gefühle, Stimmungen und Erinnerungen gehören. Eine Mischung aus Neuem und Altem, Positivem und Negativem. Das bedeutet dann womöglich, dass Zuhause in einem selbst schlummert, wandelbar und beständig zugleich. Etwas, das man wie ein Schneckenhaus immer mit sich herumträgt und nicht so leicht abwerfen kann. Auch wenn man es manchmal wirklich gern loswäre.           

Helfer im Gefängnis

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Führende Al-Qaida-Mitglieder türmen aus dem irakischen Gefängnis von Abu Ghraib.

Irakische Truppen suchen mit Hubschraubern in der Wüste westlich von Bagdad nach Hunderten Terroristen, die in der Nacht auf Montag von Gesinnungsgenossen aus dem Gefängnis von Abu Ghraib befreit worden sind. Die Regierung hatte zunächst versucht, die Schlappe herunterzuspielen, und von nur sieben Geflohenen berichtet. Doch nach den Worten des Abgeordneten Hakim al-Samili, der dem Verteidigungsausschuss des Parlaments angehört, sind 500 Häftlinge geflüchtet, darunter führende Al-Qaida-Mitglieder und zum Tode verurteilte Terroristen. Nur ein kleiner Teil der Geflohenen konnte bisher wieder eingefangen werden.



Nur ein kleiner Teil der Geflohenen konnte bisher wieder eingefangen werden.

Der Überfall war von den Befreiern auf militärische Weise ausgeführt worden. Sie fuhren am Sonntagabend Sprengstoffautos an die Tore und Umfassungen des Hochsicherheitsgefängnisses, um sich auf diese Weise den Weg zu öffnen. Die Bewacher wurden mit Mörsern und Raketen beschossen. An der nahen Straße bezogen andere Terroristen Stellung, um die zu Hilfe gerufene Verstärkung abzuwehren. Während der Kämpfe, welche die ganze Nacht dauerten, kamen 20 Sicherheitsleute um. Eine unbekannte Zahl von Angreifern wurde erschossen. Erst am frühen Montagmorgen brachten Regierungstruppen die Lage mit Hubschraubern wieder unter Kontrolle.

Wie das irakische Innenministerium bekannt gab, hatten die Angreifer Helfer im Gefängnis, das im Jahr 2004 wegen der entwürdigenden Behandlung irakischer Gefangener durch amerikanische Bewacher traurige Berühmtheit erlangte. Das Zusammenspiel einiger Wächter mit terroristischen Banden sei der Hauptgrund für die dramatische Entwicklung des Zwischenfalls. Viele der jetzt entflohenen Al-Qaida-Kämpfer waren noch von den Amerikanern inhaftiert worden. "Es handelte sich zweifellos um einen terroristischen Angriff von al-Qaida", zitierte Reuters einen Sicherheitsbeamten in Bagdad. Al-Dschasira sprach von der "ernstesten Herausforderung, die al-Qaida der Regierung seit Jahren geliefert hatte". Der Angriff sei von einer Gruppe ausgeführt worden, von der die Regierung dachte, sie sei zerschlagen.

Eine zweite Attacke, die zeitgleich auf das Gefängnis von Tadschi, 25 Kilometer nördlich der Hauptstadt, ausgeführt wurde, schlug fehl. Hier konnten keine Gefangenen entkommen. In Tadschi wurden im Verlauf der Kämpfe 16 Soldaten und sechs Angreifer getötet. Das überraschende Eingeständnis der Regierung, dass ihr eigener Sicherheitsapparat terroristisch unterwandert ist, bestätigt die Stärkung jener Terror-Gruppen radikaler irakischer Sunniten, die sich zu al-Qaida bekennen. Durch die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten syrischen Kräften haben sie eine breitere Operationsbasis beiderseits der Grenze und bekommen. Ferner steht dem irakischen Widerstand, dem es schon bisher nicht an Waffen fehlte, zusätzliches Material zur Verfügung. Ihre gemeinsame Organisation, die sich "Islamischer Staat im Irak und an der Levante" nennt, bedroht sowohl den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad als auch das schiitische Regime von Nuri al-Maliki in Bagdad.

Gruppenchat mit dem Mathelehrer?

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Kurze Rundmail auf Facebook an die Schüler? Klausurenvorbereitung in der Cloud? Baden-Württemberg hat jetzt aus Datenschutzgründen die Nutzung von Sozialen Netzwerken für Unterrichtszwecke verboten. Aber will man denn überhaupt sein Referatsthema mit Lehrern und Profs auf Facebook und Co. besprechen?

Gegen Ende meiner Schulzeit hatte ich eine durchaus engagierte Lehrerin, die Klausuren grundsätzlich nur mit der Hand aufsetzte und in ihrem Unterricht – wenn überhaupt – den Overhead-Projektor als einziges technisches Hilfsmittel zuließ. Powerpoint-Referate und Youtube-Einspieler? Nicht mit ihr! Das war zu dieser Zeit schon ziemlich antiquiert. Selbst die Arbeitsblätter von Oberstudienrätinnen jenseits der 60 waren mit Comic Sans und Clip Art-Bildchen bereits im Computer-Zeitalter angekommen, und ältliche Physiklehrer verschickten Arbeitsblätter wie selbstverständlich per Mail. Die Konsequenz, mit der sich diese Lehrerin den neuen Medien verweigerte, fand ich aber schon wieder bewundernswert.



Facebook-Chat zwischen Lehrern und Schülern? In Baden-Würtemberg ist das jetzt tabu.

Pädagogen, die noch im medialen Pleistozän stecken, sind mittlerweile allerdings vom Aussterben bedroht. Die neue Generation von Lehrern baut ihren Unterricht nicht nur immer multi-medialer auf, sondern tummelt sich auch vermehrt in den Sozialen Netzwerken. Klar, warum sollte ein Lehrer um die 30 auch nicht bei Facebook angemeldet sein. Problematisch wird es allerdings, wenn er sich dort mit Schülern oder auch Kollegen austauscht. So sieht es zumindest das Kultusministerium in Baden-Württemberg und hat deshalb jetzt einige Regeln zum „Einsatz von Sozialen Netzwerken an Schulen“ herausgebracht. Darin heißt es unter anderem, dass Lehrer keinerlei Infos zum Unterricht oder schulischen Terminen über Facebook, Googel+ oder Twitter mitteilen dürfen. „Mathe fällt morgen aus“-Tweeds sind also genauso tabu, wie ein Gruppenchat auf Facebook, bei dem die Schüler Fragen zur anstehenden Klausur stellen können.  Selbst die Kommunikation von Lehrern untereinander solle sich laut dem Papier auf den „konventionellen Schriftverkehr oder die Nutzung von verschlüsselten E-Mails“ beschränken. Arbeitsblätter per Dropbox austauschen geht dann also auch nicht.

Begründung für die neue Regelung: Die Datenschutzstandards von Facebook und Co. stehen nicht mit den deutsche „in Einklang“. Deshalb ist die „Nutzung von sozialen Netzwerken zu dienstlichen Kommunikationszwecken“ verboten. Datenschutz hin oder her, aber muss man sich wirklich Sorgen machen, dass Nachrichten mit Details zum geplanten Wandertag illegalerweise auf amerikanischen Servern landen? Ein Lehrer beklagte zudem auf Spiegel Online, dass er seine Schüler nur noch auf Facebook kurzfristig erreichen könne, weil viele Teenager einfach keine E-Mails mehr lesen würden.

Was hältst du von der Lehrer-Schüler-Kommunikation 2.0? Findest du den Datenschutzaspekt wichtig, oder ist er in deinen Augen total übertrieben? Würdest du überhaupt auf Facebook mit deinem Lehrer oder Prof chatten wollen, um letzte Fragen zum Referat zu klären? Oder tauschst du dich vielleicht bereits über ein soziales Netzwerk mit deinem Seminarleiter über Uni-Kram aus?

Aus dem Leben einer Social-Media-Masochistin

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Das Internet hat es unmöglich gemacht, den Kontakt mit Ex-Partnern vollständig abzubrechen. Eine US-Autorin schreibt nun, dass wir darüber insgeheim ganz froh sind. Tipps für Nicht-Masochisten gibt sie aber auch.

Angestrichen
"There was a time, I am told, when exes lived in Texas and you could avoid them by moving to Tennessee. Cutting ties is no longer so easy—nor, I guess, do we really want it to be. We gorge ourselves on information about the lives of our exes. We can’t help ourselves."



Auseinander-sein war mal. Heute ist man immer noch unfreiwillig eng zusammen.

Wer sagt das?
Maureen O'Connor in ihrem Text "
All My Exes Live in Texts: Why the Social Media Generation Never Really Breaks Up" auf The Cut, einer Frauenseite des New York Magazines. Und wer mit der Musik der 80er nicht so firm ist: "All my exes live in Texas" ist ein Song von George Strait aus dem Jahr 1987.
http://www.youtube.com/watch?v=lMNw_-yUm_0

Und worum geht es genau?
Um unsere Unfähigkeit anders als George Straite in den 80ern einfach umzuziehen, wenn wir verflossenen Lieben aus dem Weg gehen wollen. Stattdessen verfolgen sie uns über soziale Netzwerke, den Google-Chat oder die fiese Autokorrektur, die immer den Namen des Ex' vorschlägt, wenn man eine bestimmte Buchstabenkombination zu verwenden wagt. Dabei beschreibt die Autorin ziemlich viel, was man von sich selbst oder dem eigenen Freundeskreis kennt: Der Ex sieht auf den Urlaubsbildern auf einmal unverschämt gut aus, postet ein Bild mit der neuen Freundin (die im schlimmsten Fall über ihr Sexualleben bloggt) oder liked ständig die eigenen Posts. Und das gilt nicht nur für frühere Langzeitbeziehungen: Auch der One-Night-Stand freundet einen mittlerweile auf Facebook und erinnert so konsequent an die Existenz dieser einen Nacht.
Anstatt das allerdings zu verdammen, schreibt O'Connor, dass wir doch genau das wollen: Die Tür zur Vergangenheit nicht so richtig zumachen. Immer noch ein bisschen durch den Spalt lugen und überprüfen, was der andere macht. Sie bezeichnet sich und ihre Freunde deshalb als "Social-Media-Masochisten", die gerade in einsamen Nächten oder Momenten der Langeweile Cyberstalking beim Ex betreiben. Natürlich nur, um für ein eventuelles Treffen in der Realität gestählt zu sein, schon klar...


Und wenn ich aber kein "Social-Media-Masochist" sein will?
Dafür gibt es mittlerweile glücklicherweise ein paar Haushaltstricks: Bei Facebook und Chats kann man Menschen blockieren, für Twitter gibt es mutetweet, wodurch Menschen nicht entfolgt, ihre Tweets aber ausgeblendet werden. Problematisch wird es allerdings, wenn der Ehemalige dann auf anderen Kanälen Kontakt aufnimmt, um nachzufragen, warum man ihn denn geblockt hat. Sowas mündet meistens in halbherzigen Rechtfertigungsversuchen, sodass die Kommunikation über einen weiteren, viel zu langen Zeitraum nicht sterben muss.

Ein weiteres Problem ist die große Menge Datenmüll, die Beziehungen mit der Zeit auf sozialen Netzwerken hinterlassen. Die Autorin empfiehlt deshalb, für das Zusenden von (Nackt-)Fotos nur Snapchat zu verwenden - da werden die Bilder automatisch nach einer bestimmten Zeit wieder gelöscht.
Wem das noch in der Beziehung zu unromantisch erschien, dem hilft die App killswitch, die automatisch den Facebook-Account von Bildern und Postings mit dem Namen des Verflossenen entrümpelt. Und wer wirklich hartgesotten ist und trotz Trennung immer noch Telefonkontakt zum Ex sucht, der kann sich die App "The Ex Lover Blocker" kaufen: Wenn man dort in einem schwachen Moment die Nummer des ehemaligen Partners wählt, werden stattdessen vorher eingegebene Freunde angerufen, um einen abzuhalten. Hilft das auch nichts, verunglimpft einen die App eigenständig auf der eigenen Pinnwand als Weichei. Aber das ist dann wohl eine ganz andere Art des Social-Media-Masochismus.

http://www.youtube.com/watch?v=uFbb0nUHTLw#at=111
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