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Eine fehlerhafte Kiste

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Es ist die Schattenseite des grenzenlosen Komforts: Mit Geräten, die kaum größer sind als früher eine Zigarrenkiste, lässt sich das häusliche Telefonnetz in ein drahtloses Multimedia-Paradies verwandeln, man kann sogar die digitale Musiksammlung von unterwegs aus anzapfen. Doch wenn es schlecht läuft, kann das passieren, was einigen Dutzend deutschen Internetnutzern passiert ist: Kriminelle haben sich in ihren Internet-Router eingehackt. Sie haben Verbindungen zu sogenannten Mehrwertdiensten aufgebaut, teuren Telefonanschlüssen im Ausland also, bei denen sowohl der Anbieter wie auch der Mieter der Nummer profitieren. Schnell schlugen mehrere Tausend Euro Gebühren zu Buche.



Im Visier von Hackern - die Fritzbox weist einige Sicherheitsmängel auf

Ins Zentrum des Interesses gerückt sind nun die betroffenen kleinen roten Router des Berliner Herstellers AVM, unter dem Namen Fritzbox bekannt. Sie stehen in etwa der Hälfte der deutschen Haushalte mit Internetanschluss. Und sie sind das Ziel der Attacken, die über das Internet ausgeführt werden, über einen Weg, der eigentlich dazu gedacht ist, die Box aus der Ferne zu steuern. Anders als viele andere Hersteller, die nur schwerfällig oder gar nicht auf derartige Sicherheitsprobleme reagieren, hat AVM schnell gehandelt und unmittelbar nachdem die Techniker herausgefunden hatten, wo die Lücke klaffte, Updates für die ersten Fritzboxen zur Verfügung gestellt.

Auch Router brauchen wie Computer oder Smartphones eine Betriebssoftware, die sogenannte Firmware. In dieser Software steckte der Fehler, den die Kriminellen ausgenutzt haben. Deshalb sollten alle Nutzer einer Fritzbox unbedingt ihre Firmware aktualisieren (siehe Kasten „Update“). Das Update schließt auch eine weitere Sicherheitslücke, welche die Computerzeitschrift c’t entdeckt hatte. Diese Lücke war zwar bisher nicht für Angriffe genutzt worden, und diese wären auch erheblich aufwendiger und riskanter für den Angreifer, aber auch dieser Weg wird durch das Update nun versperrt, wie AVM-Sprecher Urban Bastert versichert: „Unser Rat ist einfach: Machen Sie das Update.“

Bisher allerdings haben nur etwa die Hälfte der Besitzer einer Fritzbox auch die neue Software heruntergeladen, so Bastert. Diejenigen Nutzer, die den Fernzugriff aktiviert hatten und damit am stärksten gefährdet waren, haben sich jedoch immerhin schon zu 95 Prozent mit der neuen Software versorgt.

Bei manchen Anbietern ist das aber auch gar nicht nötig. Beim Internetanbieter 1&1, wo Fritzboxen mit schwarzem Gehäuse als „1&1Homeserver“ angeboten werden, wurde das Update bereits automatisch an die Nutzer geschickt, ebenso verfuhr Kabel Deutschland bei seinen Kunden.

Sicherheitslücken in Routern sind keine Seltenheit. Es empfiehlt sich daher, in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob es ein Update für die Firmware gibt. Dies einzuspielen, erfordert keine Spezialkenntnisse; die Einstellungen wie zum Beispiel das Passwort für den Internetzugang werden dabei meistens übernommen.

Friedhof der Kuscheltiere

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Morgens liegt der Strand von Rantum da wie ein frisch gemachtes Bett, frisch und unberührt, die Nordsee braust, die Möwen rufen einander, es riecht nach Freiheit. Jasmin Lemcke geht jeden Tag mit ihrem Hund ans Meer, seit Generationen wohnt ihre Familie auf der Insel, als echte Sylterin gehört sie zu einer bedrohten Art. Nur genießen kann sie die Idylle inzwischen kaum noch. Ihr Blick wandert jeden Morgen über den Sand, halb bang, halb zornig. Sie hält Ausschau, ob wieder eine Blutlache hinzugekommen ist.



Tierquälerei? Allein im Januar wurden laut offizieller Statistik auf Sylt 130 Robben getötet. Die Tiere waren todkrank, sagen die Robbenjäger - sie würden der Natur nur vorgreifen.

Acht Mal musste sie das schon mit anschauen, sagt sie: Ein junger Seehund liegt im Sand, für Lemcke sieht er „total gesund“ aus, da braust von hinten ein dunkler Pick-up heran. Ein Mann steigt aus, sein Blick ist ernst. Was dann passiert, beschreibt Lemcke so: „Der läuft einmal um diesen Seehund rum und schießt ihn ab, das dauert keine zwei Minuten.“ Eine Blutlache versickert im Sand, noch eine. „Die knallen hier ohne Ende.“ 130 Tiere starben so allein im Januar, laut offizieller Statistik. Ein Frevel?

Derzeit schwappt der Ärger der Tierschützer über die Insel wie eine Sturmflut. Jasmin Lemcke und ihre Mitstreiter sammeln Beweise für das nach ihrer Meinung unglaubliche Verhalten der Robbenjäger. Einige Insulaner, so erzählt man sich, laufen morgens sogar die Strände ab und scheuchen Robben zurück ins Wasser. Dann gibt es noch die Online-Petition: Mehr als 5000 Menschen fordern „mit großem Entsetzen“ den Umweltminister von Schleswig-Holstein auf, das Treiben der Robbenjäger zu beenden. Doch der Minister denkt nicht daran. Im Gegenteil, er verteidigt die Robbenjäger.

Die Männer, die gerade so verachtet werden, tragen festes Schuhwerk und dicke Pullover, sie treffen sich mit dem Reporter am Lister Hafen, oben im Norden der Insel, im Freien. Sie sind wetterfest und sturmerprobt. Das müssen sie auch sein, wenn sie als Seehundjäger im staatlichen Auftrag arbeiten, wenn sie für eine Aufwandsentschädigung von 45 Euro genau jene Tiere töten, die nebenan im Hafenladen als Kuschelrobbe „Robby“ verkauft werden.

„Erlegen!“, ruft Claus Dethlefs. Er tötet die Robben nicht, schon gar nicht knallt er sie ab, nein, er erlegt sie mit einem Fangschuss aus der Pistole. Darauf legt er wert. Dethlefs ist Seenotretter in List; weil sein Vater Seehundjäger war, ist er auch einer geworden, ehrenamtlich. Er gibt gern Auskunft, er will einiges klarstellen.

Früher, sagt Dethlefs, als die Robben noch wirklich gejagt werden durften, ging das so: Der Jäger watete mit seinem Jagdgast raus auf die Sandbank, er legte sich nieder. Der Jäger machte Seehund-Laute nach, ouh, ouh, und wenn ein Tier mit mindestens einer Körperlänge an Land war, durfte er schießen. Neun Tiere im Jahr pro Jäger. Seit 1974 ist das verboten, damals gab es kaum noch Seehunde im Wattenmeer, es sah düster aus. Seither unterliegen Robben einer ganzjährigen Schonzeit, aber auch weiterhin dem Jagdrecht. Deswegen gibt es Seehundjäger bis heute, sie arbeiten inzwischen als Jagdaufseher, fahren die Strände ab, bergen tote Tiere, schicken lebendige in die Pflegestation Friedrichskoog und erlegen die kranken, die keine Überlebenschance mehr haben. „Es ist unser Auftrag, die Tiere von ihren Leiden zu erlösen“, sagt Dethlefs.

Er kann den tödlichen Kreislauf erklären, in den viele Robben geraten, sobald ihre Mutter sie nicht mehr stillt. Dann fressen sie Fisch und infizieren sich mit Parasiten. Manche verkraften das, andere nicht. Sie werden schwächer, erbeuten weniger Nahrung, verlieren ihre Fettschicht, frieren, bekommen eine Lungenentzündung und werden todkrank. Ein gutes Drittel aller Seehunde überlebt das erste Jahr nicht. Und weil es dieses Jahr so viele Jungtiere gibt wie seit den 70er-Jahren nicht, sterben eben mehr. „Wir greifen der Natur im Grunde nur vor“, sagt Dethlefs. Mehr nicht.

„Das hier ist mal ein Bild von ’ner Lunge“, sagt Thomas Diedrichsen, der zweite Jäger auf Sylt. Er zeigt ein Foto, das an Spaghetti mit Tomatensoße erinnert. Was aussieht wie Soße, ist eine von Tierärzten geöffnete Lunge, die Spaghetti sind Lungenwürmer. Es ist kein schöner Anblick, Dietrichsen weiß das. Er will zeigen, dass es Tierquälerei wäre, würde er die kranken Tiere nicht erlösen. Er neigt nicht zu Romantik, auch nicht zu Diplomatie. Er nennt Kritiker, die sich morgens am Strand über ihn aufregen, „Hundetanten“.

Einmal, sagt Diedrichsen, habe ihn so eine „Hundetante“ sogar angezeigt, eine Touristin. Sie sah, wie er einen Seehund vom Strand sammelte und wegfuhr, sie verlangte, er müsse das Tier einem Tierarzt vorstellen. Diedrichsen dachte nicht daran. Bald darauf rief ihr Anwalt an und verklagte ihn wegen „Tötung eines Wirbeltiers“. Diedrichsen lacht bitter. So seien sie halt, die „Hundetanten“.

Das Tier wurde seziert. Ursula Siebert von der Tierärztlichen Hochschule Hannover bekommt jede Robbe zu sehen, die von den 40 Seehundjägern in Schleswig-Holstein geschossen wird. Jede Fünfte etwa untersucht sie. „Ich bin immer wieder beeindruckt, wie gut die Jäger die klinische Einschätzung machen“, sagt die Professorin. Dass künftig allein Tierärzte über den Tod der Robben entscheiden sollen, von derlei Forderungen hält sie nichts. „Das ist in der Praxis nicht sehr realistisch und auch nicht sinnvoll.“ Denn die Jäger wie Dethlefs und Diedrichsen würden fast täglich Robben sehen, während viele Tierärzte nicht auf maritime Säuger spezialisiert seien. Auch Robert Habeck, der grüne Umweltminister, verteidigt die Jäger: „Der Nationalpark Wattenmeer ist ein Raum, wo Natur Natur sein soll.“ Man könne nicht jedes schwerkranke Tier aufpäppeln.

Also geht alles so weiter? Eine Änderung fände Claus Dethlefs dann doch ganz sinnvoll. Der Titel „Seehundjäger“, den sie aus Tradition all die Jahre behielten, soll einem sanfteren weichen. Ein wenig Imagepflege tut schon Not.

Herz

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Lass ihn nicht an dich ran,


lass ihn nicht in dein Herz


und doch


ist er in deinem Herzen


noch bevor du Herz


sagen kannst.

Lachen

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Es ist das Lachen,


das mich weinen lässt,


das Lachen,


das ich längst verloren geglaubt habe,


das wieder da ist,


das mich glücklich macht.


Du bringst mich zum lachen,


danke dafür.

Meine Straße: Theresienstraße

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Ich bin aus Köln in diese Wohnung gezogen und kann mir nicht mehr vorstellen, hier jemals wieder wegzuziehen. Das Publikum auf der Straße ist eine ausgeglichene Mischung aus Studenten, Museumsbesuchern, Hut tragenden Künstlerherren und allem, was es dazwischen noch gibt. Meine Nachbarn sind furchtbar nett. Ich halte mich fast immer nur in nächster Nähe auf, denn es gibt hier alles, was ich brauche. Ich empfinde auch eigentlich nur den Straßenteil zwischen dem Museum Brandhorst und der Ludwigstraße so richtig als „meine Straße“, weiter unten bin ich nie.  



Sophie in der Theresienstraße

Direkt unter meiner Wohnung befindet sich der Getränkemarkt Pachmayr, ein ziemlicher Klassiker, der vom Erscheinungsbild her fast schon aus der Zeit gefallen ist. Die beiden jungen Typen, die den Laden heute führen, sind wahnsinnig nett und helfen mir auch immer gern, mein Fahrrad auf den Ständer im Hof zu hieven. Leider haben sie vor kurzem die Schaufensterdekoration modernisiert, dabei war das alte Schaufenster mit all den vergilbten, nebeneinander aufgereihten Flaschen immer mit das Schönste am ganzen Laden. Jetzt ist da irgendeine austauschbare Werbung für eine Trendlimo drin. Hoffentlich nur vorübergehend.  

Gleich gegenüber ist meine Lieblingsbar, die Cabane-Bar. Das war die allererste Bar, die ich überhaupt in München besucht habe. Ihr Besitzer, der Hacky, der übrigens auch ein total liebenswertes Original ist, wohnt seit kurzem direkt über mir, und im Cabane habe ich damals vorm Einzug meine Wohnungsschlüssel abgeholt. Am liebsten mag ich es, im Sommer draußen vor der Bar zu sitzen. So zwischen halb sieben und acht scheint die Sonne dann direkt auf den Bürgersteig und man fühlt sich wie in einer römischen Straßenbar.  

Einer meiner ganz neuen Lieblingsläden ist der Klamottenladen Sprout. Da kaufe ich zwar selten etwas, weil es kaum etwas unter 200 Euro gibt, aber ich besuche ihn einfach so, wie man eine Bücherei besucht, zum Stöbern. Ich gucke mir all die schönen Klamotten an und quatsche ein bisschen mit der netten Besitzerin. Und freue mich dann immer, dass es in meiner Straße so einen coolen Laden gibt, den man eher im Glockenbachviertel erwarten würde.  

Essensmäßig kann ich den Inder Sarowar empfehlen, er ist meiner Meinung nach der einzige Inder im Viertel, bei dem man richtig lecker essen kann. Ich setze mich bloß nicht so gern rein, denn ich finde es dort ein bisschen miefig. Aber zum Mitnehmen ist er wirklich super. Ich empfehle die Gerichte 54 und 59.  

Relativ neu ist auch das Theresa, ein ziemlich schickes Steak-Restaurant mit einer Kegelbahn im Keller. Abends ist mir da aber viel zu viel Schickeria unterwegs und das Essen hat mich bisher auch nicht so umgehauen. Aber tagsüber kann man dort super spät frühstücken, sie machen tolle Eggs Benedict und French Toasts und solche Sachen. Und mittags ist es auch viel günstiger.  

Das Nido gehört auch zu meinen Favoriten, es gibt super Pasta, Burger und Pommes, die ich mir an einigen Tagen einfach schnell hole und mit rauf in meine Wohnung nehme. Wenn die wenigen Tische vorm Cabane besetzt sind, setzen wir uns vors Nido und gucken auf unser schönes Haus.      

Das Balla Beni braucht man als Tipp ja eigentlich nicht nennen, das kennt sowieso jeder. Mich nervt der Hype und noch dazu finde ich es viel zu überteuert. Leider haben sie halt trotzdem sehr gutes Eis. Außerdem muss ich mich nur aus dem Fenster lehnen und kann sehen, wie lang die Schlange ist und ob es sich lohnt, kurz rüberzugehen.  

Es gibt hier gleich mehrere Antiquitätenläden, aber mein liebster ist der Frankie, da kaufe ich oft kleine Geschenke auf Vorrat. Es gibt viel Fünfziger-Jahre-Schnickschnack, nach Farben sortiertes Geschirr und alte Stofftaschentücher. Schräg gegenüber von meiner Wohnung ist auch noch ein Antiquitätenladen, der verkauft alte Sportmöbel und Leuchtbuchstaben. Kaufen würde ich dort aber nichts, denn erstens ist er ziemlich überteuert und zweitens hat die Besitzerin mir und meinem Freund bei einem Platzregen einmal verboten, uns in ihrem Ladeneingang unterzustellen. Zum Glück gibt es in unserer Straße Unterstände genug.

Herz aus Gold

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Du schaust mich mit müden Augen und leerem Blick an. Aus deinem rechten Ohr tropft flüssiges Blei. Es ist übergelaufen. Dein Kopf war voll damit. Zu voll. Lass es raus, bis der letzte Tropfen vertrocknet ist. Du brauchst dieses dunkelgraue Zeug nicht. Denn es klebt und macht undurchschaubar. Kratz auch den letzten Rest weg. Du brauchst es nicht.


Vielleicht liegt zwischen deinem und meinem Hier und Jetzt dann gar nicht mehr so ein langer Weg. Wir müssen nur den selben gehen. Und irgendwann treffen wir uns in der Mitte. In der Mitte, da wo dein Herz liegt. Das was du vergessen hast. Dein Herz aus Gold. Und du weißt doch, echtes Gold rostet nicht. Sauerstoff tut dir nichts. Also geh raus und atme ein und atme aus, so tief du kannst, bis zum letzten Zug.


Bleib bei dir und nehm dich in Acht vor Blei. Blei, vor allen Dingen Blei, aber auch vor den anderen Schwermetallen. Sie sind Gift für dich. Für uns. Lass die Finger weg. Und bitte pass ein bisschen mehr auf.


Auf Dich. Ab und zu auf mich. Und auf dein Herz. Dein Herz aus Gold.


www.facebook.com/Gedankenart

"Stromberg gucken macht mir Spaß"

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jetzt.de: Herr Herbst, wenn Sie als Jugendlicher die Wahl hatten zwischen Hausaufgaben machen, Fußball spielen, Mädels treffen und Fernsehen – was war Ihre erste Wahl?
Christoph Maria Herbst: Alles der Reihe nach. Weil ich dachte, ich könnte Mädels treffen und Fußball spielen erst dann richtig genießen, wenn ich vorher meine Hausaufgaben schon gemacht hatte. Ansonsten hätte ich so einen Druck im Nacken gespürt. Ich war damals schon erschreckend langweilig und diszipliniert.  

Fernsehen kam an letzter Stelle?
Das war für mich immer so ein Sonntagsding. An den viel zu langen, zähen Sonntagen habe ich mich nachmittags vor die Glotze gesetzt und meine Liebe zu Heinz-Rühmann- und Hans-Moser-Filmen entwickelt. Wir hatten ja sonst nichts.  

Keine Lust gehabt auf die damalige Jugendkultur? Kein "Formel Eins" geguckt?

Nee, das war nicht meine Welt. Dann lieber Hans Moser.  

Wann hatten Sie denn Ihren ersten eigenen Fernseher?

Tatsächlich erst, als ich zu Hause ausgezogen bin und mein erstes Theaterengagement hatte. Irgendeine Rappelkiste habe ich damals mit in meine kleine Bude genommen. Wobei ich nicht wirklich dazu gekommen bin, das Fernsehen zu vertiefen, ich hatte zu viel zu tun. Wenn man am Theater beschäftigt ist, probt man ja vor allem zu Uhrzeiten, zu denen im Fernsehen die spannenden Sachen laufen – so es die denn überhaupt gibt.




Guckt lieber sechs Folgen "Tatortreiniger" am Stück als Olympia: Christoph Maria Herbst, 48, der als Bernd Stromberg ab diesem Donnerstag im Kino zu sehen ist.

Der Fernseher wurde also auch erst mal nicht größer und moderner
?
Gott sei Dank nicht. Ich eifere nicht dem Kollegen Bastian Pastewka nach, der zu Hause ganze Räume vollgestellt hat mit Fernsehern und Rekordern. Ich habe durchaus auch einen Festplattenrekorder, aber der ist randgefüllt mit irgendwelchen Dateien, die ich mir gar nicht ansehe.  

Wieso nicht?

Mir passiert es oft, dass ich Sendungen aufnehme, sie drei Monate später entdecke und gar nicht mehr anschauen will. Weil ich denke, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum schon abgelaufen ist. Und dann lösche ich’s. Frische ist mir beim Fernsehen schon wichtig.
 
Beginnen wir jetzt mal einen gemeinsamen Fernsehabend. Ich schalte durch, Sie sagen Stopp. ProSieben: "Die Simpsons".
Ja, lassen Sie mal laufen, das ist schon lustig. Vielleicht ist das sogar die Folge, in der ich mit synchronisiert habe.

Im Zweiten kommt ja gerade Olympia: Snowboardfahren der Damen.
Nee, bleiben wir mal auf ProSieben. Was kommt denn da als nächstes?  
"taff".
Dann lassen Sie uns doch mal Olympia gucken!  

Gucken Sie generell viel Sport?
Ich freue mich jetzt vor allem auf die Weltmeisterschaft. Mit Kunstschnee und Putin habe ich’s nicht so.  

Danach: "Das!" im NDR. Auf dem roten Sofa sitzt Attila Hildmann.

Spannend, der hat sich ja der veganen Küche verschrieben, was durchaus ein Thema ist, das mich interessiert. Trotzdem schade, dass Katja Riemann gerade nicht da ist.  

Schalten wir noch mal weiter …

… nee, wir bleiben im NDR, da kommt vielleicht gleich "Tatortreiniger"!  

Das mögen Sie?

Ja! Am liebsten gucke ich das aber auf DVD, weil, wenn ich "Tatortreiniger" gucke, dann gebe ich mir auch die volle Packung und haue mir gleich sechs Folgen hintereinander rein.
 
Acht Uhr: "Tagesschau"?
Selbstverständlich!  

Gucken Sie die regelmäßig?

Auf keinen Fall.
 
Um 20.15 Uhr haben Sie die Wahl zwischen: "Der Bachelor" auf RTL, "Typisch Kölsch - Ausschnitte aus der traditionellen Prunksitzung der Ehrengarde der Stadt" im ZDF und einer Doppelfolge "Two and a Half Men" auf ProSieben.
Es wird Zeit für "House of Cards", was ich gerade auf DVD da habe.

Fehlt Ihnen grundsätzlich was im Abendprogramm?
Ich bin ganz zufrieden – so lange mein DVD-Player funktioniert. 

Sehen Sie sich eigentlich gerne selbst?
Ja, so lange es nicht "Traumschiff" ist, wo ich aber auch nur einmal mitgespielt habe. Die meisten Sachen von mir kann ich mir schon angucken, gerade "Stromberg" macht mir Spaß, das kann ich nicht anders sagen. Ich gehöre nicht zu den Kollegen, die sagen: Ich ertrage mich überhaupt nicht!  

Lachen Sie auch über sich selbst?
Ich lache über das, was ich lustig finde, und dazu gehört teilweise auch das, was ich selbst spiele. Ich lache dann aber nicht, weil ich finde, dass mir irgendwas wahnsinnig geil gelungen ist, sondern weil die Situationen, die Ralf Husmann...  
...der "Stromberg"-Autor...
 
...erfunden hat, so herrlich absurd sind, und weil es dem Regisseur Arne Feldhusen gelungen ist, sie auch noch fantastisch in Szene zu setzen.  

Sind Sie selbstkritisch?
Sehr! Es gibt kaum einen Film oder eine Folge "Stromberg", nach der ich nicht gedacht habe: An der und der Stelle hätte ich mal ein bisschen weniger machen müssen. Das ist aber auch gut so, denn es kommt ja irgendwann eine nächste Chance, und dann kann man es besser machen. Grundsätzlich ist es ein gutes Regulativ, sich selbst zu gucken, das kann ich nur jedem Schauspieler empfehlen. Nur Dienst nach Vorschrift zu machen, ergibt keinen Sinn. Man sollte sich dem nachher auch stellen.   

Kralle Krawinkel (21.04.1947-16.02.2014)

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http://www.youtube.com/watch?v=hn5EoWbcvSM






"Es tut mir weh, nicht dort zu sein"

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jetzt.de: Du warst bis Sonntag in Kiew und berichtest jetzt immer noch aktuell auf Facebook und Twitter über die Lage in der Ukraine. Warum warst du dort?
Marina Weisband: Ich war 2012 schonmal in der Ukraine um dort zu protestieren. Dieses Mal war ich eingeladen, auf dem Maidan oder in der offenen Universität über Liquid Democracy zu sprechen, weil den Demonstrierenden dort dringend eine Technik gefehlt hat, um sich politisch zu vernetzen. Ich habe dort dann auch vorgetragen und das ist auch auf fruchtbaren Boden gefallen. Wir haben eigentlich die ganze Woche fieberhaft damit verbracht, den Maidan zu vernetzen und politische Forderungen zu finden, die wirklich von den Leuten selbst kommen und nicht von irgendwelchen politischen Anführern oder Gruppierungen dort. Seit ich zurück bin, telefoniere ich weiterhin mit den Leuten vor Ort. Halte Kontakte per SMS und Facebook, verfolge das ukrainische und russischsprachige Twitter, höre das ukrainische Radio und schaue parallel drei Streams. Das sind meine Quellen, und diese Informationen gebe ich weiter.  

Bist du dann noch Beobachterin oder bereits Teil des Protests?
Ich sehe mich schon als Teil dieser Bewegung, auch wenn ich nicht die ganze Zeit physisch präsent sein kann. Ich bin dort aufgetreten, habe die Leute aktiv vernetzt, gehöre zu den Netzwerken - ich hänge da drin.  

Planst du, demnächst noch mal in die Ukraine zu fahren?

Ich werde definitiv noch mal nach Kiew reisen. Im Moment ist allerdings ein wenig ungeklärt, ob die Einreise für mich wirklich sicher wäre, wegen meiner ukrainischen Staatsbürgerschaft. Sollte es aber nicht demnächst zu einer massiven Verhaftungswelle kommen, sehe ich mich nicht so sehr in Gefahr, dass ich nicht hinreisen würde.  

Warum ist es für dich als ukrainische Staatsbürgerin dort gefährlich?
Wir rechnen im Moment damit, dass es nach der Auflösung des Maidans zu vielen Verhaftungen kommen wird, insbesondere unter den Aktivisten, die dort namentlich aufgetreten sind. Dadurch, dass ich dort ja auch in Erscheinung getreten bin, gibt es für mich ein Risiko. Wenn man mich dann schon mal am Flughafen hat, mit dem Pass in der Hand, ist das Risiko einer Verhaftung höher. Meine deutsche Staatsbürgerschaft wird dort nicht anerkannt, für die bin ich Ukrainerin.  

Weswegen würde man dich dann offiziell verhaften?

Das weiß ich nicht. Ein Kumpel von mir, der einen der größeren Livestreams aus der Ukraine betreibt, hat an einer Tankstelle Benzin für die Generatoren gekauft. Er wurde dort verhaftet mit dem Argument, dass das Benzin für Molotow-Cocktails sei. Die Polizei kann da also sehr kreativ und unvorhersehbar handeln. Außerdem wurden alle auf dem Maidan-Platz zu Terroristen erklärt, das wäre auch noch mal eine Rechtfertigung für Verhaftungen.  

Du bist kurz vor der großen Eskalation von Montag auf Dienstag abgereist. Wie hast du vorher die Stimmung auf dem Maidan-Platz erlebt?

Ich habe einen sehr desorientierten Maidan mitbekommen. Es war sehr ruhig und friedlich, aber alle haben von einer Ruhe vor dem Sturm gesprochen. Es wussten also alle, dass etwas passieren wird. Aber nicht, dass es so bald passiert. Das war für alle gestern sehr überraschend. Allerdings lief schon in der vergangenen Woche jeder zweite maskiert auf dem Maidan herum, also mit Helmen und in Camouflage, teilweise hatten sie auch Knüppel. In Deutschland würden wir das als bedrohlich empfinden. Ich habe mich aber in der Nähe dieser Menschen wohler gefühlt als in der Nähe von Polizisten. Ich war auch im Regierungsviertel, da war natürlich eine gewisse Spannung zu spüren. Die Straße ist dort komplett abgebrannt, es türmen sich Barrikaden. Die Demonstranten stehen dort Auge in Auge mit der Berkut (Anm. d. Red.: Bewaffnete ukrainische Spezialeinheit), die das Viertel verteidigt.  



Marina Weisband wurde 1987 in Kiew geboren. Bis April 2012 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei.

Was genau meinst du, wenn du sagst, die Leute waren desorientiert?

Die Leute waren gegen etwas versammelt, aber gleichzeitig herrschte eine große Ratlosigkeit, für was sie denn eigentlich sind. Was für gemeinsame Forderungen sie haben und wie die Ukraine aussehen soll, wenn das alles hoffentlich gut über die Bühne gegangen ist. Mit der immer stärker werdenden Gewalt wird das umso schwieriger. Um politische Strukturen zu planen, braucht man Frieden und Ruhe. Das ist aber das Gegenteil von dem, was wir dort gerade erleben.  

Damit es Ruhe gibt, müsste die Regierung aber erst einmal abgesetzt werden...

Ich befürchte, ja. Das Problem ist natürlich, dass, wenn die Regierung weg ist, es auch keine Zeit gibt, um etwas Neues zu planen, weil dann direkt Neuwahlen sein werden. Dann muss man hoffen, dass bei den Neuwahlen etwas Besseres herumkommt, als das, was wir bisher hatten.  

Was wäre etwas Besseres?

Ein demokratischer Präsident, der die komplette Spitze der Justiz, der Verwaltung und der Polizei austauscht. 

In den deutschen Medien wird viel über Vitali Klitschko als Oppositionspolitiker berichtet. Ist der für dich eine ernstzunehmende Alternative?
Nein. Seine Rolle in der Ukraine ist nicht so stark wie sie hier erscheint. Er wird hier überzeichnet, weil man ihn kennt, das ist „einer von uns“. In der Ukraine wird er als sehr schwach wahrgenommen. Er spricht kaum Ukrainisch, ist wenig charismatisch, hat viel Zeit im Ausland verbracht. Stattdessen spricht er Russisch und taucht immer wieder mal auf dem Maidan auf, spricht ein paar Worte und dann ist er wieder weg. Seine Einschätzung der Situation deckt sich auch nicht mit der vieler Ukrainer. Er ruft die Demonstranten zu Frieden und Geduld auf, aber die haben keine Geduld mehr. Deshalb wird er auch immer wieder ausgebuht.  

Gibt es alternative Persönlichkeiten, auf die die Menschen hoffen?
Nein. Das ist auch eines der Probleme des Maidans. Wobei ich das nicht so als Problem sehe. Ich glaube, die Leute müssen langsam mal lernen, ohne starke Führungsfigur klarzukommen. Aber das ist noch ein weiter Weg.  

Wie haben deine Freunde auf die Gewalt in der vergangenen Nacht reagiert? Sind sie geflohen?
Das ist ja das Interessante: In der vergangenen Nacht (Anm. d. Red.: 18. auf 19. Februar) sind die Leute eher noch auf den Maidan gestürzt als davon runter. Allen ist klar: Wenn der Maidan aufgelöst wird, ist die Sache vorbei. Deshalb versuchen die Menschen, aus dem ganzen Land Verstärkung zu rufen. Die Taxiunternehmen wurden bequatscht, die Leute dort hinzubringen. Danach war es dann auch wichtig, dass Leute wiederkommen um die Infrastruktur neu aufzubauen.  

Inwiefern?
Man muss sich vorstellen, dass auf dem Maidan die vergangenen Wochen eine Mini-Stadt war, bestehend aus Zelten. In diesen war alles Überlebensnotwendige: Feuerholz für Wärme, trockene Anziehsachen, Medizin, IT fürs Streaming und die Kommunikation auf dem Maidan. Diese Zelte sind in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch komplett abgebrannt und jetzt fehlt es an allem. Über soziale Netzwerke wird jetzt zu Blutspenden aufgerufen, wegen der Verletzten. Die gehen ja nicht ins Krankenhaus aus der Angst heraus, verhaftet zu werden.  

Hast du gerade das Gefühl, es ist gut, dass du da weg bist?

Nein, es tut mir weh, nicht dort zu sein.  

Was kann man aus deiner Sicht von Deutschland aus noch tun um zu helfen?

Die deutsche Politik kann etwas machen und wir können Druck auf die deutsche Politik machen. Janukowitsch und seine Freunde haben in der EU Konten, auf denen illegal erworbenes Geld liegt. Wenn man diese Konten sperrt, kann man Druck ausüben und sie zwingen die Gewalt einzustellen.  

Denkst du, die Situation in der Ukraine wird noch stärker eskalieren als in der vergangenen Nacht?

Das kann definitiv passieren. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt zulassen, dass sich eine so große Versammlung noch einmal bildet. Aber im Moment strömen die Menschen wieder auf den Maidan, aus der gesamten Ukraine. Es wird immer größeres Geschütz aufgefahren. Ich weiß nicht, inwieweit das Drohgebärde ist oder inwiefern dort etwas sehr Schreckliches vorbereitet wird. Ich denke aber, dass die Gewalt, sobald es dunkel wird, wieder eskalieren wird, und ich bete, dass es nicht schlimmer wird als Dienstagnacht.    

Die Liebe zum Tanz

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Für mich gehört es mit zu den wundervollsten Dingen im Leben, neben der Liebe zu einem (bestimmten) Mann. Tanzen ist etwas, was sich nicht so einfach beschreiben lässt und doch will ich es versuchen.


Diese Liebe zum Tanzen beginnt mit dem ersten Herzschlag eines Liedes, einer Melodie, bei dem sich der Rhythmus des Herzens der Rhythmik des Liedes anpasst. Das Herz und der Takt sind sich sehr verbunden und beginnen etwas neues. Wenn das Bein mit wippt und sich die Hin- und Herbewegung des Kopfes nicht mehr vermeiden lässt, ist es geboren:
Die Liebe zum Tanzen.


Tanzen kann jeder. Manche besser, manche schlechter. Keiner sollte davor Angst haben oder sich erst betrinken müssen, damit es einigermaßen erträglich ist.


Wenn sich erstmal diese rhythmische Bewegung durchgesetzt hat, bedeuten sie viel mehr:
Ehrliche Emotionen, sich ausdrücken und Selbstbewusstsein.
Tanzen ist eine Sprache die überall auf der Erde verstanden wird. Seien es die langsamen Bewegungen beim Ausdruckstanz, beim dem meist Leid, Hoffnung und Schmerz gezeigt werden oder der sexy Salsa, bei dem die Hüften und der Flow andeuten: "Hier bin ich und mir geht es verdammt gut. Schau mich an!"


Auch mit einem Tanzpartner zu tanzen ist etwas besonderes. Jemanden auf die Art und Weise an einem selbst teilhaben zu lassen, ist eine sehr intime Sache und nur möglich wenn wir dem Anderen vertrauen. Keiner, vor allem kein Mann, sollte sich die Aufforderung zu tanzen entgehen lassen.
Er verpasst eine sinnliche Erfahrung. Ihn entgeht etwas, etwas was sich nicht im alltäglichen Leben finden lässt.


Und sobald die Musik verstummt, bemerkt man dieses erleichternde Gefühl und möchte sofort weiter tanzen. Aber leider ist es nicht möglich, wir können nicht durchs Leben tanzen. Wir können uns nur freuen auf den nächsten Tanz, den nächsten Rhythmus, Tag für Tag. Und dann ist es wieder da, was nie verschollen war:
Die Liebe zum Tanz.


Fast schon vergleichbar mit der Liebe zu einem Mann. 

unterwegs

Serhij Zhadan

Teure Schnapsideen

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Das Video ist mit der Handkamera aufgenommen. Ein Mann in roter Jacke steht im Museum und hält diese riesige Vase in den Händen. Dann fällt sie. Zerspringt in unendlich viele Splitter, während das Krachen durch die geräumige Ausstellungshalle schallt. Es ist ein Geräusch, bei dem man ahnt: „Scheiße, das gibt Ärger!“ Der Mann, er heißt Maximo Caminero, wollte mit der Zerstörung der Vase ein Zeichen setzen gegen die Übervorteilung von internationaler Kunst in amerikanischen Museen.  



Verflixt, das könnte teuer werden!

Was Caminero nicht wusste: Die Vase des chinesischen Künstlers ist mehrere Tausend Jahre alt und entsprechend wertvoll – ungefähr eine Million Dollar. Die Aktion war einigermaßen bis maximal dämlich und auch die politische Idee dahinter spricht nicht für besondere Weitsicht. Das Gefühl, mit dem sich Caminero jetzt rumschlagen muss, dürfte aber vielen bekannt sein.

Denn irgendwann haben wir alle schon mal etwas kaputt gemacht. Die Frage ist nur, was. Während normal tollpatschige Menschen im schlimmsten Fall hier und dort eine Tasse fallen lassen, benehmen sich andere wie der Todesstern im Porzellanladen - ob versehentlich, aus Trunkenheit oder aus Prinzip. Ein kontrollierbar wirkender Wurf mit einer leeren Bierflasche, der versehentlich den Weg ins Fenster eines Sportwagens findet oder eine Sektdusche für ein Sofa, das leider ein Designerstück war: Es gibt zahllose Möglichkeiten, sich mit doofen Aktionen um die eigenen Ersparnisse zu bringen. Gruppendynamik und Alkoholrausch führen besonders in den Morgenstunden gerne mal zu einer Wird-schon-gut-gehen-Attitüde, die solchen Aktionen den optimalen Nährboden bietet.

Welchen Schaden hast du im Affekt verursacht? Was hast du mal zerbrochen, versenkt oder in Brand gesetzt? Eine Stereoanlage, die Nase eines Teamkollegen auf dem Sportplatz oder einen Nationalpark? Für welches Unglück zahlst du noch heute monatlich Raten?

Bushido als Beruf

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Fotzen. Es geht gleich mal mit Fotzen los. Sind Sie noch da? Ja? Tja. Dann haben wir eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte ist: Sie sind dem Mann, von dem hier die Rede sein soll, gerade auf den Leim gegangen, ganz so, wie er es wünscht: Sie haben sich locken lassen von der verbalen Grenzüberschreitung, dem Nesteln am Tabu. Die gute Nachricht ist: Alle, die jetzt schon nicht mehr mitlesen, weil sie abgestoßen sind, vielleicht sogar angewidert, die sind ihm natürlich auch auf den Leim gegangen. Anders gesagt: Wenn Sie sich erhofft haben, dass wir hier vom Feuilleton-Thron aus ganz locker erst mal ein paar Witzchen über den sogenannten deutschen Gangster-Rap servieren, müssen wir Sie enttäuschen.



Rapper Bushido vor einem Büro seines Musiklabels. In seinen Liedern preist Bushido Gewalt an. Offiziell distanziert er sich davon - und gerät trotzdem wegen Prügeleien mit dem Gesetz in Konflikt.

Wir haben hier nämlich ein echtes Problem, und dass der deutsche Gangster-Rap bislang vor allem als ästhetisches, strafrechtliches und moralisches Problem angesehen wurde, macht die Sache nicht einfacher. Sieht man es so, sind die, die sich ekeln, fein raus. Was jedoch, wenn das nur die für alle bequemste Variante der Wahrheit wäre?

Aber eins nach dem anderen.

„Fotzen“ heißt der erste Track auf dem neuen Album „Sonny Black“ (Ersguterjunge Records) des derzeit bekanntesten und umstrittensten deutschen Rappers Bushido. Zweifellos eine brutale Beleidigungsorgie gegen jeden, der sich Bushido alias Sonny Black in den Weg zu stellen wagt, übelstes, unverstelltes Vulgär-Herrenmenschentum: „Kuck mich an, ich mach Berlin wieder hart, Nutte / Electro Ghetto Rap in deinen Arsch, Nutte (...) Du kleiner Hurensohn / fick deine Schulnoten / Friss meine Schulsohlen / Leck meine Spucke jetzt vom Fußboden...“ Sehr schön ist auch der, äh, Refrain: „Wenn der Benz anspringt und die Reifen wieder qualmen / Bin ich auf der Jagd nach euch Fotzen / Und ich find’ euch fette Schweine überall.“ Und so geht das immer weiter: Alle „Fotzen“, „schwulen Spasten“, „Nutten“, „Missgeburten“, Mütter seiner Feinde, „schwulen Studenten“, „Homos“, Olli Pochers, „Öko Boys“ und „Grünen-Wähler“ werden so richtig nach Strich und Faden von Bushido gefickt („Ich bin hochkarätig/Großes Ego, großer Penis“), gerne auch mit Nahkampfwaffen wie Totschlägern. Bevorzugt anal. Klar.

Der einzige Witz, der hier durscheint, ist Herrenmenschenhumor

Uferlose Gewalt-, Sex- und Auslöschungsphantasien werden hier, anders als bei anderen zwanghaften Explizitisten im Pop wie etwa der Band Rammstein („Schönes Fräulein, Lust auf mehr / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“), doch recht unironisch vorgetragen. Der einzige Witz, der durchscheint, ist Herrenmenschenhumor, Gags auf Kosten derer, die für wertlos erklärt werden.

Mit Musik hat das nicht allzu viel zu tun. Die Musik verhält sich bei diesem Gangster-Rap zu Text und Attitüde etwa so wie Becher oder Waffel zu Kugeleis. Ohne geht es nicht, aber wirklich kümmern tut es auch niemanden. Zu hören sind nicht mehr ganz so klapprige Beats wie noch vor einigen Jahren. Bushidos Soundspuren klingen inzwischen professioneller, schwerer, schleppender, aber doch noch immer ziemlich eindimensional. Interessant ist am ehesten, dass sie in enger Zusammenarbeit mit Vincent Stein alias Beatzarre und Konstantin Scherer alias Djorkaeff produziert wurden, die inzwischen auch für deutsche Schlagerstars wie Ich + Ich und Adel Tawil arbeiten.

Als Rapper ist Bushido mit echten Königen wie Eminem und Jay-Z oder jüngeren Virtuosen wie Kendrick Lamar im Grunde nicht vergleichbar. Darauf wird in Bushido-Artikeln auch gerne hingewiesen. Wirklich gut rappen kann er streng genommen tatsächlich nicht. Aber das, was im Englischen attitude genannt wird, und in dieser Kunst ebenso entscheidend ist wie Text und Technik – das hat er zweifellos auf internationalem Niveau. Man muss das ja erst mal schaffen, Verse wie die zitierten, die sich wie ihre eigenen Parodien lesen, so vorzutragen, dass sie nicht lächerlich, sondern wirklich nach scheußlichen Herrenmenschenphantasien klingen.

Als Phänomen ist Bushido dabei alles andere als singulär. Der deutsche Gangster-Rap ist seit mehr als zehn Jahren etabliert. Es gibt ein treues und gar nicht so kleines Publikum. Die neuen Alben der Stars der Szene sind regelmäßig in den Top Ten, nicht selten auf dem ersten Platz. Man kann also jeweils von ein paar Zehntausend bis mehr als hunderttausend verkauften Platten ausgehen. Es wäre übrigens auch keine Überraschung, wenn „Sonny Black“ nächste Woche die deutschen Album-Charts anführt, bei iTunes ist es schon ganz vorn.

Der Mann wurde von diesem Land schon einmal fest umarmt

Anis Ferchichi alias Bushido alias Sonny Black ist allerdings der eine deutsche Gangster-Rapper, dessen Lebensgeschichte Bernd Eichinger 2010 verfilmt hat (mit Bushido in der Hauptrolle) und dem im Jahr darauf Hubert Burda einen Bambi verlieh, um ihn für seine vorbildhafte Integration in die deutsche Gesellschaft zu ehren. Der Mann wurde von diesem Land also, als es endlich nicht mehr verdrängen konnte, dass es ein Einwanderungsland ist, schon einmal fest umarmt.

Bushidos Vater ist Tunesier, aufgewachsen ist der heute 35-Jährige bei seiner alleinerziehenden deutschen Mutter im Berliner Bezirk Tempelhof, er besuchte bis zur 11. Klasse das Gymnasium und wurde danach – so steht es wenigstens in seiner Autobiografie – von einem Gericht wegen Sachbeschädigung und Drogenhandel zu einer Malerlehre verdonnert. Als Rapper bekannt wurde er Anfang der Nullerjahre, es folgten Erfolg, beträchtlicher Reichtum, Körperverletzungen, Beleidigungen, Indizierungen, Vorwürfe wegen Islamismus sowie Schwulen-, Frauen- und Judenfeindlichkeit, Musikpreise, Vergleiche, mehrere Verurteilungen zu Geldstrafen bis zu 20000 Euro, Spekulationen über Verbindungen zur organisierten Kriminalität, eine Zweitkarriere im Immobiliengeschäft, der Film, der Bambi, sogar ein Praktikum bei einem CDU-Abgeordneten, ein Anti-Sarrazin-Buch mit dem Titel „Auch wir sind Deutschland“ und schließlich – vor allem in den Augen seiner beflissenen Integrationshelfer – der Rückfall.

Im vergangenen Jahr wurde nach Berichten und Recherchen des Stern bekannt, dass das Berliner Landeskriminalamt den Rapper als Mitglied eines Berliner Mafia-Clans ansieht (die Brüder des Clans mit palästinensischen Wurzeln, mit dem er in Verbindung gebracht wird, sind übrigens allesamt nach Judenfeinden benannt, einer heißt sogar Rommel mit Vornamen). Schon seit 2012 ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin. Empörung, Politiker distanzierten sich, der öffentliche Druck stieg und Bushido rappte schließlich auf dem Track „Stress ohne Grund“ seiner Protegés Shindy im Juli 2013 Sätze wie: „Du wirst in den Arsch gefickt wie Wowereit“ und „Ich will, dass Serkan Tören jetzt ins Gras beißt“ und „Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz“. Wowereit und Tören erstatteten Strafanzeige.

Im Fernsehen rechtfertigte sich Anis Ferchichi für seine Gast-Zeilen in „Stress ohne Grunde“ bauernschlau und vorbildlich verbindlich. Er berief sich auf die Freiheit der Kunst, die Spielregeln des Gangster-Rap – und wollte alles nicht so verstanden wissen, wie es Bushido gesagt hatte. Wer mit dem Gangster-Rap vertraut sei, wisse schon, was da gemeint sei und zwar „auf keinen Fall ein Aufruf zu Gewalt“. Wenn die Justiz im Übrigen zu der Ansicht komme, dass es doch nicht in Ordnung sei, werde er das selbstverständlich akzeptieren. Die Klage der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung und Beleidigung wurde Ende November 2013 vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten mit Verweis auf die Kunstfreiheit abgewiesen.

Das war also erst mal erledigt. Aber nun gibt es ein neues Album, das sollen alle wissen, und deshalb müssen die Schmähungen weitergehen. Zuletzt wurden der „Wetten-dass..?“-Moderator Markus Lanz und Peter Maffay mit justiziablen Beleidigungen bedacht und ein abtrünniger ehemaliger Komplize mit einem Song und Video, in dem es um seine Hinrichtung geht.

Der Gangster-Rap ist die opportunistischste Kunstform überhaupt.

Auch dieser Artikel wird Bushidos Bekanntheit nicht mindern. Ignoranz ist aber auch keine Lösung mehr, denn tatsächlich kann man sich zu einem so prominenten Phänomen wie Bushido schwer noch indifferent verhalten. Abgeklärt mit den Schultern zu zucken und das Phänomen Bushido gönnerhaft ästhetisierend als auserzählt zu betrachten, das hieße, üble habituelle Beleidigungen, Diskriminierungen und doch recht unironische Todesdrohungen eines populären Künstlers für völlig akzeptabel zu halten. Empört Verbote und Strafen zu fordern, kann es natürlich ebenso wenig sein. Schon weil das hieße, Frank Zappa zu verraten, der in den Siebzigern und Achtzigern so viel Kraft darauf verwendet hat, den ganz eifrigen Tugendwächtern zu erklären, dass es einen Unterschied zwischen Worten und Taten gebe und freie Gesellschaften sehr gut daran tun, eben diesen Unterschied sehr hoch zu achten.

Und zwar auch dann, wenn die eigenen Vorstellungen vom guten Ton und Stil dabei gelegentlich auf eine harte Probe gestellt werden – wie im Fall Bushido, dessen Erfolg ja darauf beruht, dass er glaubwürdig vermitteln kann, eben doch nicht nur ein Maulheld zu sein. Sich wie Bushido im Geschäft des professionellen Beleidigens, Beleidigtwerdens und Beleidigtseins zu engagieren – das heißt, die mächtige Sinnressource Stolz sehr, sehr ernst zu nehmen. Es hat einen eigenen Reiz in diesem Zusammenhang, das über zweieinhalb Stunden lange Video-Interview anzusehen, dass er kürzlich dem Rap-Online-Magazin „16 Bars“ gegeben hat. Er ist da mal der nette, gar nicht dumme Familienvater und reflektierte Aufmerksamkeitsingenieur, mal der unverstellt autoritäre, ungnädige Macht-Taktiker, der, wenn’s um die Wurst geht, gar keinen Spaß mehr versteht.

Mit anderen Worten: Wenn man nur genau genug hinsieht, sind wir damit auf der für uns unbequemen Seite der Wahrheit. Das ästhetische und moralische Problem Bushido wird nämlich genau hier zu einem kulturellen und ideologischen Problem. Und damit zu unserem. Der Gangster-Rap ist schließlich die dem Kapitalismus gegenüber opportunistischste Kunstform überhaupt. Seine Protagonisten wollen keine andere Welt, sie wollen ihren Teil von dieser – und zwar einen möglichst großen.

Auf dem Weg dahin nehmen sie die entscheidenden Merkmale der beiden wesentlichen massenbewusstseinsprägenden gesellschaftlichen Sphären der Gegenwart wirklich ernst: aus der Kunst die Selbstverständlichkeit, sich keinen Regeln fügen zu müssen, und aus dem Sport den Behauptungswillen um beinahe jeden Preis. Anders gesagt: Wenn man sich den Idealtyp des zeitgenössischen Kapitalisten vorstellen will, kommt dabei ein Gangster-Rapper wie Bushido heraus, der die Tugenden, denen wir bei allerlei Gelegenheiten im Stadion und im Museum besten Gewissens selbst huldigen, einfach nur ein bisschen auf die Spitze treibt. Bushido, primus inter pares. Wenn das kein Grund für etwas Unbehagen ist.

Russisches Puppentheater

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Am Morgen nach der Nacht der Gewalt, als in Kiew die Barrikaden noch rauchten, die Toten identifiziert und die Verwundeten behandelt wurden, als nach Monaten besorgter Appelle an beide Seiten EU-Diplomaten erstmals den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch uneingeschränkt für das Blutvergießen verantwortlich machten, da erinnerte in Moskau Wladimir Putins Sprecher Dmitrij Peskow an die heilige Doktrin der russischen Außenpolitik: „Das oberste Prinzip besteht darin, sich in die Ereignisse in Kiew nicht einzumischen“, sagte Peskow, „das haben wir immer wieder gesagt, und daran hält sich der Kreml.“



Unter einer Decke? - Viktor Janukowitsch und Vladimir Putin

Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Anzeichen dafür, dass Moskau durchaus nicht tatenlos zuschaut, wie sich die Situation im Bruderland entwickelt. Und das sind nicht nur der bekannte Milliardenkredit und der großzügige Rabatt beim Gaspreis, mit dem der Kreml die Ukraine in letzter Sekunde vor dem Bankrott rettete, an dessen Rand er sie zuvor mit einem Handelsstopp erst gebracht hatte. Anders aber als die EU beschränken sich die Russen nicht auf symbolische Gesten bei Besuchen in Kiew. Vielmehr nehmen sie Einfluss hinter den Kulissen, über die Medien und mit Hilfe der Geheimdienste.

Mehrmals sei in den vergangenen Wochen Wladislaw Surkow in der Ukraine gewesen, berichten ukrainische Medien. Surkow ist einer der Strippenzieher Putins. Über Jahre hinweg hat er die politischen Prozesse in Moskau aus dem Hintergrund gesteuert. Er gilt als Schöpfer der Kreml-Jugend „Naschi“ und der Schein-Opposition „Gerechtes Russland“. Nachdem sein System bei den Wahlen im Winter 2011/2012 offensichtlich versagt hatte und Putin eine Weile angeschlagen wirkte, war er kurz von der Bildfläche verschwunden. Im September kehrte er zurück in den Kreml – als Berater des Präsidenten, zuständig für die von Georgien abgetrennten Gebiete Südossetien und Abchasien.

Beobachter in der Ukraine und in Russland sehen seine Besuche als Indiz dafür, dass der Kreml in der Ukraine ein Szenario nach dem Muster Georgiens anstreben könnte: Wenn das Land sich von Moskau ab- und Europa zuwendet, sollen wenigstens einzelne Gebiete unter russischer Kontrolle gehalten und damit eine echte Integration nach Europa blockiert werden. Die jüngste Eskalation könnte dazu beitragen.

Nach dem georgischen Muster würde ein ohnehin im Land bestehender Konflikt zugespitzt, schreibt die Kiewer Zeitung Serkalo Nedeli. Wenn dann Gewalt ins Spiel komme, könne Russland auf Bitten der prorussischen Seite zu Hilfe kommen, wie im Fünf-Tage-Krieg in Südossetien während der Olympischen Spiele in Peking 2008.

Der innere Konflikt in der Ukraine zwischen den zu Russland neigenden Regionen links des Dnjepr und den nach Europa orientierten Regionen im Westen hat sich in den vergangenen Wochen verschärft. Besonders auf der Halbinsel Krim, die erst 1954 von Nikita Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik zugesprochen wurde, haben sich zuletzt zahlreiche prorussische Organisationen gegründet, die sich für eine Trennung von Kiew aussprechen, sollten dort „Faschisten“ einen Umsturz wagen. Als solchen aber stellen die russischen Fernsehsender Erster Kanal, Rossija und NTW die Ereignisse in Kiew dar.

Einer Erhebung der Stiftung Demokratische Initiative zufolge beziehen 22 Prozent der Ukrainer ihre Nachrichten überwiegend aus dem russischen Fernsehen. Eifrigster Verfechter der Föderalisierung in der Ukraine selbst ist Viktor Medwedschuk, ein Anwalt und Unternehmer – und persönlicher Freund von Wladimir Putin. Laut einem Bericht der Ukrainska Pravda teilt er mit dem russischen Präsidenten nicht nur eine Vergangenheit im KGB, Putin soll 2004 auch Taufpate von Medwedschuks Tochter gewesen sein.

Schon seit einigen Monaten werde in kremlnahen Kreisen eine Föderalisierung der Ukraine diskutiert, sagt die Politikwissenschaftlerin Lilia Schewzowa vom Moskauer Carnegie-Zentrum. In Fachzeitschriften wie Russia in Global Affairs werde sie als beste Alternative gepriesen, um eine Entwicklung wie einst in Jugoslawien zu verhindern. Hinter dem harmlos klingenden Wort verberge sich mehr: „Wenn Janukowitsch die Kontrolle verliert, könnte Kiew den westlichen Regionen den Laufpass geben, oder die russisch geprägten Regionen links des Dnjepr erklären ihre Unabhängigkeit und schließen sich der Zollunion mit Russland an.“ Bei den Besuchen Surkows in der Ukraine ging es offiziell um den Bau einer Brücke über die Meerenge von Kertsch, die die Krim mit Russland verbinden soll. „Jeder, der sich in Russland etwas mit Politik beschäftigt, kann darüber nur lachen“, sagt Schewzowa.

Dass sich russische Spezialeinheiten an einer Niederschlagung des Aufstands beteiligen könnten, hat Moskau wiederholt empört zurückgewiesen. Dennoch wird der Vorwurf von den Protestierenden immer wieder erhoben. Zuletzt hatte der entführte und misshandelte Dmytro Bulatow den Verdacht geäußert, seine Peiniger seien Russen gewesen. Beweisen kann er es allerdings nicht. Für eine enge Zusammenarbeit des russischen Geheimdienstes FSB mit seinem ukrainischer Pendant SBU gibt es mindestens zwei Beispiele: Der eine Vorfall liegt zwei Jahre zurück. Als nach Massenprotesten und Fälschungsvorwürfen leichte Zweifel an einer Wiederwahl Putins zum Präsidenten aufkamen, nahm der SBU im Februar 2012 in Odessa mehrere Männer fest. Das russische Fernsehen strahlte Videos aus, auf denen die Festgenommenen offenbar unter Druck bekannten, sie hätten einen Anschlag auf Putin geplant.

Im Oktober desselben Jahres verschwand dann der russische Oppositionelle Leonid Raswosschajew, nachdem er sich in einem Büro der Vereinten Nationen in Kiew über die Möglichkeiten hatte beraten lassen, Asyl zu beantragen. Tage später tauchte er in den Händen russischer Ermittler in Moskau wieder auf, die ein Geständnis präsentierten, er habe einen Umsturz geplant. Raswosschajew widerrief und berichtete, er sei in Kiew von russischen Geheimdienstleuten überwältigt, nach Moskau verschleppt und dort gefoltert worden. Während die UN und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Erklärung forderten, gab sich die ukrainische Regierung ahnungslos. Jeder, so könnte man in Anlehnung an die Formulierung der Ukraine-Expertin Schwewzowa sagen, der sich mit der Politik in der Ukraine beschäftigt, kann darüber nur lachen.

Weniger indes über Berichte ukrainischer Medien vom Mittwoch, denen zufolge Janukowitsch in der Nacht vergeblich versucht haben soll, Putin telefonisch zu erreichen. Dessen Sprecher Peskow dementierte, strikt nach dem Prinzip der Nicht-Einmischung: Davon sei ihm „nichts bekannt“.

Tagesblog - 20. Februar 2014

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9:30 Uhr: Kaputt gegangen ist gestern zum Glück nix - wäre aber ein guter Anlass gewesen, das in den heutigen Ticker zu schreiben. Darin diskutiert der Kosmos über Dinge, die im Rausch versehentlich zu Bruch gegangen sind.

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Spurensicherung am Platz von Kollegin Schlüter.

8:30 Uhr:
Logbuch, Donnerstagmorgen. Es riecht nach Bier im Büro. Hatten gestern Abend einen kleinen Redaktions-Umtrunk mit dem Chef. Wichtige Themen waren der erstaunliche Bartwuchs des jungen Praktikanten Piet van Riesenbeck sowie sein Heidelberger Lieblingsdrink, den er uns staunenden Büro-Olmen erklärte: der "Kornado". Mein Wort des Tages.

Bang, Boom, Bang

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Die Zahlen knallen rein. 97 Prozent aller US-Teenager, so ergab eine repräsentative Umfrage vor einiger Zeit, zocken regelmäßig Videospiele. Bei Erwachsenen waren es immerhin noch 50 Prozent, die gewohnheitsmäßig Zerstreuung vor der Konsole oder dem Rechner suchen. Die durchschnittliche Dauer, die dabei wöchentlich vor dem Bildschirm verbracht wird, summiert sich auf etwa 13Stunden. Das ist viel Zeit, um eine gigantische Menge virtuelles Blut zu vergießen, schließlich setzen die kommerziell erfolgreichsten Spiele alle auf Gewalt. Es wird geschossen, geprügelt, gemeuchelt, zählt eigentlich jemand die Toten? Da kommt immer wieder aufs Neue die Frage auf, was dieses Gemetzel in den Köpfen der Spieler anrichtet. Eine neue Meta-Analyse liefert nun eine Antwort. Die Kurzfassung lautet: Aggressive Spiele verstärken aggressives Verhalten; und Spiele mit prosozialem Inhalt verstärken prosoziales Verhalten.



Alles über einen Haufen schießen, was sich rührt - ein altbewährtes Prinzip für Computerspiele. Das Große Geld der Computerspielbranche fließt in die Entwicklung von Kriegsspielen.

Während Jugendliche scheinbar kollektiv vor dem Rechner die Magazine virtueller Sturmgewehre leer ballern, pflegt auch die Videospiel-abstinente Öffentlichkeit ihre Obsessionen. Es scheint kaum eine Woche ohne kritische Veröffentlichungen zu vergehen, in denen der Untergang der Jugend oder der Verlust der Menschlichkeit durch fiese Killerspiele beklagt wird. Und auch die Wissenschaft widmet sich mit Feuereifer dem Thema: Alleine seit 2009 sind zur Frage nach den Auswirkungen von Videospielen mindestens 98 einzelne Studien mit insgesamt 36965 Probanden erschienen – das entspricht etwa einer Veröffentlichung pro Monat.

Alle diese Untersuchungen haben Tobias Greitemeyer und Dirk Mügge von der Universität Innsbruck zusammengefügt und für eine Meta-Analyse ausgewertet, die im Fachmagazin Personality and Social Psychology Bulletin erscheinen wird. Demnach zeigen Computerspiele Wirkung bei jenen, die viel Zeit damit verbringen – im Guten wie auch im Schlechten.

„Es gibt einen Effekt, alles andere wäre eine Überraschung“, sagt Greitemeyer, „allerdings ist dieser Effekt nicht besonders groß.“ In einer oft hysterisch geführten Debatte klingt das überraschend zurückhaltend. Wird die Gefahr, die von Computerspielen ausgeht, also übertrieben? Man könne durchaus diskutieren, ob der beobachtete, eher schwache Zusammenhang von aggressiven Spielen und aggressivem Verhalten berechtigter Anlass zur Sorge sei, schreiben Greitemeyer und Mügge. Doch die beiden Psychologen legen sich fest: Weil so viele Menschen in virtuellen Schlachten Blut vergießen, stelle das Phänomen tatsächlich ein relevantes Problem dar. Der Effekt mag klein sein, doch wenn er Millionen Menschen betrifft, zeigt er eben Auswirkungen, die für eine Gesellschaft von Bedeutung sind. Die Auswirkungen sind schließlich mutmaßlich gravierend, selbst wenn nur wenige exzessive Spieler auffällig werden.

Mit scharfer Chilisauce und schmerzhaft lauten Tönen messen Psychologen Aggressionen

Die beiden Wissenschaftler bestätigen mit ihrer Arbeit Befunde anderer Forschungsgruppen. So publizierten Psychologen um Craig Anderson von der Iowa State University 2010 im Fachblatt Psychological Bulletin die bis dahin umfangreichste Meta-Analyse zum Effekt von Computerspielen. Das Team wertete Studien mit insgesamt mehr als 130000 Teilnehmern aus. Dabei gelangten sie zu ähnlichen Schlüssen: Ballerspiele verstärken aggressive Gedanken, aggressive Affekte und entsprechendes Verhalten. Zugleich reduzieren sie empathische Gefühle und die Bereitschaft zu helfen. Auch hier waren die beobachteten Effekte zwar deutlich, aber insgesamt moderat. Klar ist aber auch: Im Einzelfall lässt sich niemals sagen, dass Computerspiele Ursache einer Gewalttat waren.

Ist der Fall damit nun endlich abgeschlossen und bei den Akten? Schließlich haben Greitemeyer und Mügge alle relevanten Studien ausgewertet, die seit der Arbeit von Anderson erschienen sind. Bestimmt nicht. „Die Debatte ist nach wie vor am Laufen“, sagt auch Greitemeyer. Das liegt auch mit an der hohen Frequenz, mit der neue Studien zum Thema veröffentlicht werden. Diese Einzelbefunde verfügen meist über wenig Aussagekraft, erst aus einer Masse an Befunden lässt sich ein valides Bild schälen – wie nun in der aktuellen Meta-Analyse. Zum einen streuen Ergebnisse schlicht und einfach: Eine einzelne Studie kann trotz aller Sorgfalt einen Zufallstreffer ergeben. Zum anderen sei der Aufbau so gut wie jeder einzelnen Untersuchung zur Auswirkung von Computerspielen diskussionswürdig, sagt Greitemeyer. „Alle Designs haben Schwachstellen.“

Denn wie lässt sich Aggression im Labor messen? Die Probanden gehen ja nicht automatisch mit dem Messer auf den Experimentator los, wenn sie zuvor am Rechner einige Stunden geballert haben. Wissenschaftler müssen Umwege gehen und bei jedem einzelnen dieser indirekten Kniffe ist die Frage berechtigt, welche Aussagen er zulässt. In Experimenten untersuchen Psychologen etwa, ob Computerspieler nach einer Gewaltorgie am Rechner anderen eher Schmerzen zufügen – mit hohen Tönen oder zum Beispiel indem sie scharfe Chilisauce ins Getränk anderer kippen. Lautstärke oder Schärfegrad könnten Aggressionen quantifizierbar machen, andererseits wirkt das Setting auch artifiziell.

Andere Möglichkeiten sind Korrelationsstudien, in denen über lange Zeiträume etwa delinquentes Verhalten und die Zeit in Zusammenhang gebracht werden, die mit gewaltsamen Computerspielen verbracht wird. Dabei taucht jedoch die Frage auf: Wenn jemand aggressiv auffällt, liegt das an solchen Spielen? Oder haben aggressive Typen eher einen Hang zum Egoshooten? Kurz, auch solche Studien lassen sich kritisieren. Genauso wie Untersuchungen, bei denen die Probanden zur Introspektion angehalten werden, bei denen sie ihr Verhalten etwa in fiktiven Situationen selbst einschätzen sollen. Wie ehrlich fallen solche Antworten aus? Wie gesagt, jedes Studiendesign hat seine Schwächen – und so bekommen Gegner und Freunde von Computerspielen stets frische Munition, um ihren Standpunkt weiter zu verteidigen und sich hinter ihren Haltungen zu verschanzen.

Wissenschaftlich sollte der Fall abgeschlossen sein. Greitemeyer unterfüttert nun aber einen bislang weniger beachteten Aspekt mit einem Datenfundament: Die Spiele verfügen auch über potenzielle positive Effekte. Prosoziale Spiele fördern erwünschtes Verhalten im Vergleich zu neutralen Spielen eher und senken Aggressionen. Wissenschaftlich mag das eine seriöse Erkenntnis sein, doch für die Praxis ist das wahrscheinlich wenig relevant. Es besteht eben das Problem, dass die meisten Spiele mit zu befürwortender Wirkung irre fad und schlecht gemacht sind. Grafisch schmieren solche Produktionen gegen Gangster-Epen wie die Grand-Theft-Auto-Serie oder Ego-Shooter-Klassiker wie Counterstrike ab. Das große Geld wandert in die Entwicklung kriegerischer Spiele – Panzergefechte, Häuserschlachten, das ganze Programm. Warum ist das so?

Man könnte genauso gut fragen, warum das große Popcorn-Kino eine solche Obsession für Gewaltorgien und Rachephantasien hat. Solche Inhalte verkaufen sich eben, das Publikum mag solche Filme – und ist andersherum an solche Inhalte gewöhnt, weil sie eben produziert werden.

Die Abenteuer der Raupe Nimmersatt

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Langsam gleitet die Kamera durch den dunklen Hinterhof, in dem zart prasselndes Regenwasser an Dachziegeln und Regenrinnen entlangfließt, an einem Belüftungsrad vorbei, das sich quietschend an der Wand dreht. Weiter unten: ein schwarzes, schlundartiges Loch. Vorsichtig dringt die Kamera ein. Dann, urplötzlich, zerreißt die brachiale Musik von Rammstein die Stille, und eine aus dem Boden gestanzte Totale kappt abrupt das Gleiten der Kamera. Da liegt eine Frau auf dem Boden, reglos, Blut im Gesicht. Der Film ist entjungfert.



In Flagranti - Charlotte Gainsbourg und Shia LaBeouf

Es ist dies die erste Sexszene in Lars von Triers „Nymphomaniac: Volume 1“. Genauer gesagt eine Szene, die von Anfang an klarmacht, was wir im Folgenden unter „Sex“ zu verstehen haben werden – etwas anderes nämlich als das, was gemeinhin mit den Hardcore-Sexszenen in diesem Film über eine männerverschlingende, sich selbst als nymphoman bezeichnende Heldin assoziiert wird. Stattdessen ist es die Sinnlichkeit des Regens, das Transpirat einer feuchten, atmenden, das Gemäuer aufweichenden Natur, nachgezeichnet von einer meditativen Kamera, die den starken Einfluss Andrej Tarkowskijs erkennen lässt – eine Erotik also, die wesentlich weiter gefasst werden muss.

Es sollte vorangestellt werden, dass Gegenstand dieses Textes nicht das ganze „Nymphomaniac“-Werk ist, bestehend aus Volume 1 & 2, wie es in einer insgesamt viereinhalbstündigen Fassung bereits im Dezember in Dänemark in die Kinos kam und in dieser Form auch hier schon rezensiert wurde (SZ vom 27. Dezember 2013). Diesmal geht es nur um Teil eins, der für sich steht. Denn wie in vielen Ländern kommen auch in Deutschland beide Teile separat ins Kino, Volume 2 startet mit einiger Verzögerung erst Anfang April. Dass der Verleih anscheinend Angst vor der enormen Länge der Gesamtfassung hat, ist natürlich bitter. Dennoch eröffnet das dem Rezensenten, der den zweiten Teil ebenso wenig kennt wie die Zuschauer, die jetzt ihre Reise ins „Nymphomaniac“-Reich antreten, eine spannende Perspektive.

Die Frau in der Gasse, erfährt man also, heißt Joe. Ein Mann (Stellan Skarsgård) findet sie, sein Name ist Seligman. Er wird sie auflesen und mit zu sich nach Hause nehmen. Er macht ihr Tee, steckt sie ins Bett. Auf die Frage, was ihr zugestoßen sei, antwortet sie, das sei eine längere Geschichte, und als sie zu erzählen beginnt, geht sie weit in die Kindheit zurück: „I discovered my cunt at the age of two.“ Charlotte Gainsbourg verkörpert diese Frau – in den Rückblenden, die dann ihr Leben und ihre Gier nach Sex aufrollen, wird sie von der jüngeren Stacy Martin gespielt.

Der Film, das ist nach diesen ersten Minuten klar, wird sich seinem Gegenstand nicht direkt nähern, sondern über lustvolle Abschweifungen. Für jedes Kapitel ihrer Erzählung lässt sich Joe von einem anderen Gegenstand in Seligmans Zimmer inspirieren – zunächst zum Beispiel von einem kleinen Angelköder an der Wand. Das führt sie zu einer Wette, die sie als Teenager mit einer Freundin abgeschlossen hat: Wer auf einer Zugfahrt mit mehr Männern schläft, bekommt eine Tüte mit Schokobonbons.

Ihre Erzählung wird Seligman nun mit Details aus der Welt des Angels kommentieren, was auf bildlicher Ebene durch einmontiertes Archivmaterial und Found Footage fortgesetzt wird. Schlingpflanzen in einem Teich überlagern eine Kamerafahrt im Zug (eine wunderbare Reminiszenz an Tarkowskijs „Solaris“) – und als Joe mit einem raffiniert ergatterten Blowjob die Wette für sich entscheidet, zieht ein Hobbyangler einen dicken Fisch aus dem Wasser.

Sicher: Das Angeln der Nymphe nach Männern im Tümpel des Zugabteils mag als simple Metapher verstanden werden. In dem Fall aber hätte ein kurzer, pointierter Vergleich genügt. Seligman aber insistiert auf diesen Vergleich, wie er auch im Folgenden auf alle möglichen Parallelen von Joes Geschichte zu Natur, Musik oder Religion insistieren wird, als würde er, eine wandelnde Enzyklopädie, jede von Joes Geschichten noch einmal anders erzählen. Was sehr komisch ist. Und dazu sucht Trier ständig neue Bilder, die Joes Geschichte illustrieren und kommentieren: eine Katze, um einen Liebhaber zu charakterisieren, die Weltenesche aus der Edda-Mythologie, und so fort. Wer auch nur eine Sache verstehen will, muss alles mit ihr in Verbindung setzen, vor allem wenn es sich um Polygamie par excellence handelt.

Und so besteht der Film aus lauter Exkursen, die zu Miniaturkritiken im Film werden und die die Erzählungen und Szenen, in denen es um Penetration geht, selbst penetrieren: Wenn in Joes Geschichte eine frühe Liebschaft plötzlich wie eine romantische Epiphanie im Wald auftaucht, unterbricht Seligman – das sei doch jetzt völlig unglaubwürdig.

Die diversen Auslöser, die Joes mehr oder weniger zuverlässige Erinnerung wiederbringen, lassen dabei an Proust denken: ein Hörnchen etwa, das mit Gabel gegessen wird, ein Gemälde, eine Erzählung von Edgar Allan Poe, ein Bachchoral. An diesen Variationen kann man sich nicht genug erfreuen, ebenso wie an der eklektischen Gestaltung der einzelnen Kapitel, in die der Film unterteilt ist, und die zwischen verschiedenen Bildformaten, Farbe und Schwarz-Weiß, Handkamera und genauer Komposition changieren.

Außerdem kommentieren immer wieder Grafiken die Bilder: eine Kurvenfunktion, um den optimalen Winkel zum Einparken anzuzeigen, die Anzahl der Stöße, mit denen Joe entjungfert wird, die Zwischenstände beim Männerwettangeln im Zug. Die vielen Männer, mit denen Joe schläft, werden oft nur anonym mit Buchstaben benannt, und einmal masturbiert sie in einer leicht überhöhten Schulmädchenszene mit Geodreieck und Zirkel: Die abstrakten Notationssysteme der Mathematik und Musik skelettieren Joes Libido, um sie auf anderer Ebene zu reaktivieren. Da werden die Liebhaber angeschlagen wie Töne im Akkord eines Bachstücks: als Unterstimme, Oberstimme und Cantus firmus, was im Bild zum Triptychon angeordnet wird und der Dreiheit aus Mund, Vagina und Anus entspricht.

In der Mitte ist Jérôme (Shia LaBeouf), in den Joe sich verliebt hat – um dann später doch wieder nichts für ihn zu empfinden. Dass sie „nichts“ empfunden hätte, behauptet Joe sogar von dem Moment, in dem ihr Vater ziemlich grauenvoll stirbt: Sie sei einfach nur feucht geworden. Aber was heißt das? Trier filmt das Totenbett durch ihre Schenkel, an denen ein Tropfen ihrer Feuchtigkeit herunterrinnt – um auf die konkreteste Art zu zeigen, wie die so gerahmte Szene sie doch überwältigt: durch die Abwesenheit einer „anderen“, nicht-sexuellen Empfindung. Eine sublime Einstellung.

Dass sie stets gefühllos und egoistisch gehandelt habe und folglich „schlecht“ sei, davon will Joe nun Seligman überzeugen, der aber dagegenhält. In Triers vorangegangenen beiden Filmen, „Antichrist“ und „Melancholia“, gab es keine Erlösung für die Frauenfiguren, verdammt durch Hexen-Mythen oder Depressionen. In „Nymphomaniac“ gibt es dagegen keine Mythologisierungen oder Pathologisierungen mehr. Denn „Schuld“ ist nur ein uneinholbares Phantasma in Joes eigener Erzählung, ausgespart schon zwischen den leeren Klammern auf dem Filmplakat, die das „o“ in „Nymphomaniac“ ersetzen. Dass Lars von Trier den Zuschauern jede „Schuld“ – also jeden „Grund“ für Joes Nymphomanie – schuldig bleibt, ist der eigentliche Motor dieses Films: Aus „mea maxima culpa“ wird „mea maxima vulva“, wie in dem satanischen Gesang, den Joe schon als junge Frau anstimmt. So gleicht der Film selbst einer Maxima Vulva, besteht er doch selbst aus lauter Eingängen ohne Ende, durch die man zu immer neuen Geschichten und Bildern gelangt.

„Nymphomaniac: Volume 1“, der ebenso viele Facetten kennt wie Joe Männer, ist weniger ein Film über eine Nymphomanin als nymphomanisches Kino. Es ist Kino für jene, die sich in Raupe-Nimmersatt-Manier in die tiefsten Schlünde sich gegenseitig penetrierender Erzählungen fressen wollen, um die labyrinthische Enzyklopädie unserer zunehmend bilderreichen und also entkleideten Welt zu erforschen. Und die ahnen, dass dabei die Pornografie im Kino keine skandalöse Ausnahme, sondern ein Kompass sein wird. Vielleicht ja sogar für den zweiten Teil.

Die weite Sicht

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Die Zukunft, da ist sich der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) sicher, wird interdisziplinärer. Und emotionaler. Das menschliche Wohlergehen werde mehr ins Zentrum der Forschungsarbeiten rücken. Davon ist Dennis Snower überzeugt. Im Institut laufen die Vorbereitungen zum Jubiläum, an diesem Donnerstag ist der 100. Geburtstag. Der Amerikaner im Präsidentenamt an der Förde sitzt tiefenentspannt auf dem schwarzen Ledersofa seines Büros und absolviert nur wenige Tage vor den Feierlichkeiten einen wahren Interviewmarathon.



Was forschen die denn? Am Institut für Weltwirtschaft beschäftigen sich 170 Mitarbeiter, davon 100 Wissenschaftler, unter anderem mit den Themen Globalisierung und Ressourcen.

„Die Ökonomie sollte sich damit befassen, was Wohlergehen erzeugt“, sagt Snower. Mit ruhiger Stimme philosophiert er über die Zukunft seiner Zunft. Snowers Credo: „Der Mensch muss im Zentrum des Geschehens der Wirtschaftswissenschaften stehen.“ Er nennt das „Menschenbetroffenheit“. Diese Erkenntnis habe der Ökonom Snower vom Poeten Snower gewonnen, gibt der Wissenschaftler zu. In seiner Freizeit schreibt er Gedichte über das Wasser und das Meer.

Er sei immer der Ansicht gewesen, dass das menschliche Schicksal – Wohlergehen, Leid und so weiter – das zentrale Anliegen der Ökonomie sein sollte. „Ist es im Mainstream aber nicht.“ Mit Kritik spart der Wissenschaftler nicht. Viel zu lange seien Emotionen in der Ökonomie nicht berücksichtigt worden. Das will Snower, der in Oxford und Princeton, New Jersey, studiert hat, ändern.

Sein Weg zum Ziel: die Verknüpfung der einzelnen Wissenschaften. Er selbst sieht sich und sein Forschungsinstitut als „Brückenbauer“ zwischen den Wirtschaftswissenschaften, der Geografie, der Klimaforschung, der Psychologie, der Soziologie und der Neurowissenschaft. Das sei nicht weniger als eine Riesenherausforderung. Snower: „Jede Disziplin hat eine eigene Konzeptstruktur und ein eigenes Vokabular, darum versteht man sich interdisziplinär nicht, doch wir müssen es, um weiterzukommen. Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung.“

Tiefstapeln ist seine Sache nicht, er denkt im XXL-Format. „Wenn wir ein Institut für Weltwirtschaft sind und die Weltwirtschaft aus einer globalen Sicht betrachten und nicht aus einer nationalen Sicht, dann müssen wir auf einen ganz anderen Stand kommen. Wir müssen quer durch die Kulturen denken, die nationalen Grenzen dürfen nichts bedeuten, uns ist das globale Bürgertum wichtig. Daher haben wir eine ganz besondere Aufgabe: Die weite Sicht.“

Darum greift das Kieler Modell noch weiter. Der Brückenlogik folgt das Drehscheibenmodell. Sein Institut verstehe sich als Drehscheibe der Forschung über weltwirtschaftliche Probleme aus der globalen Perspektive, formuliert Snower. Die Kieler sind mit vielen Forschern in anderen Ländern im Austausch. Immer wieder kehrt der 63 Jahre alte Wissenschaftler im Laufe des Gesprächs zu diesem einen Punkt zurück: dem ressortübergreifenden, vernetzten Denken zwischen den verschiedenen Disziplinen. Es ist ihm ein so wichtiges Anliegen, dass er es nicht oft genug betonen kann.

Seit nunmehr zehn Jahren führt der Amerikaner das Institut im Norden der Republik, das nicht nur bundesweit, sondern international zu den angesehensten Forschungseinrichtungen zählt. Im Think-Tank-Ranking der University of Pennsylvania landete das IfW zuletzt auf einem beachtlichen sechsten Platz – als bestplatzierte deutsche Einrichtung. Gleichwohl musste das Institut auch eine Schlappe einstecken. An der Erstellung der Gemeinschaftsdiagnose für die Bundesregierung dürfen sich die Kieler Forscher zumindest übergangsweise nicht mehr beteiligen – nach mehr als sechs Jahrzehnten Mitwirkung.

Snower weiß um die Bedeutung seines Instituts, und auch um seine. Darum kann er es sich erlauben, mit der Wissenschaft anteilig hart ins Gericht zu gehen – obwohl er doch ein Teil von ihr ist. Er kritisiert das Publizieren als „ asymmetrische Aktivität: Jeder Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift weiß, wenn man Mist publiziert, leidet der Ruf. Darum ist man eher konservativ ausgerichtet. Und es ist auch viel einfacher zu publizieren, wenn man eine herkömmliche Weisheit etwas dreht und schaut, was dann noch herauskommt. Die Herausgeber gehen wenig Risiko ein. Das bremst Impulse für die Wirtschaftswissenschaften“ – spricht's, und lächelt selbst dabei noch durch seine randlose Brille.

An einen festen Institutssitz hier in Kiel hält der Ökonom fest – allen technischen Möglichkeiten zum Trotz. „Menschen brauchen persönliche Beziehungen, darum ist eine geografische Verbundenheit wichtig. Wir sehen uns zum Teil als Drehscheibe und zum Teil als Standort.“ Es gehe um eine optimale Kombination. In der wissenschaftlichen Praxis sieht das dann so aus: „Diejenigen, die mit uns forschen, werden zum Teil hier sein müssen, aber nicht Vollzeit. Wir haben genügend Wissenschaftler, die für zwei Wochen oder einen Monat im Jahr kommen, und zwar immer wieder“, berichtet der IfW-Präsident. Das sei ein nützliches Konzept.

Snower, der die Politik des Wohlfahrtsstaats und die Beschäftigungspolitik zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt, ist ein Mann der vielen und mitunter langen Sätze. Nur wenn es um die eigene Zukunft geht, wird er wortkarg.

In gut anderthalb Jahren erreicht er die Rentengrenze, und dann? „Ruhestand in der Forschung steht nicht am Horizont. Ich habe Unterstützung vom Land Schleswig-Holstein, noch länger bleiben zu können, das muss ich mir überlegen“, sagt er. In seiner Stimme liegt ein Mix aus Diplomatie, Kampfgeist und Sentimentalität. Er hege keine Absicht, sich in den Rollstuhl zu setzen: „Mir ist das Institut ans Herz gewachsen, ich fühle mich hier unverschämt gut.“ Aber es gilt auch: „In Großbritannien und in den USA – zu beiden Ländern habe ich einen Bezug – gibt es kein Ruhestandsalter. Deshalb kann ich relativ gelassen bleiben.“

Auch ganz schön emotional. Irgendwie.

Es war einmal TEST

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