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Der Ticker mit den neuen Posten

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Boris Becker ist jetzt Tennis-Trainer und man nennt das gemeinhin eine Rückkehr. Und mit Blick aufs große Ganze mag diese Einschätzung ja auch stimmen. Für die Jüngeren unter uns, diejenigen also, die nix vom historischen Triumph des damals 16-Jährigen mitbekommen haben (Wimbledon und alles, was da sonst so kam), ist es aber ungewohnt. Die kennen Becker ja hauptsächlich als leidlich erfolgreichen Pokerspieler und weithin erfolgreichen Ex-Freundinnen-zu-C-Promis-Macher. Und bei aller Freude über die neue alte Aufgabe: Ein bisschen was haftet davon ja schon noch an ihm.  




Ähnliches Phänomen aber in ernst: Vitali Klitschko. In den Medien taucht der ehemalige Boxweltmeister derzeit hauptsächlich unter seiner neuen Funktionsbezeichnung "Oppositionspolitiker/-Führer" auf. Er tut unter der viel Gutes, aber auch "Dr. Eisenfaust" entkommt dem alten Kosmos nicht ganz: Seine "Ukrainische demokratische Allianz für Reformen" kürzt sich schließlich nicht zufällig UDAR ab, was auf Russisch Schlag oder Fausthieb heißt.  

Die Älteren unter uns waren wenigstens über Wochen, wenn nicht gar Monate verwirrt, als der Bundeskanzler nicht mehr Kohl sondern plötzlich Schröder hieß. Irgendwo dazwischen rangiert Arnold Schwarzenegger, der als Schauspieler jahrelang immer noch hauptsächlich "Mr. Universe" blieb und als Gouverneur immer der "Governator" war. Und wenigstens in der Redaktion sind wir anhaltend verwirrt, dass Jauch jetzt politischer Journalist, Seibert Regierungssprecher, Lanz "Wetten, dass..?"-Moderator und Gottschalk irgendwas bei RTL ist.  

Wie ist das bei dir? Gibt es einen Funktionswechsel, der dich immer wieder aufs Neue überrascht? Und welchen nimmst du dem Gewechselten am wenigsten ab? Und – das aber eher am Rande: Hast du eine Idee, warum wir uns vom Fleck weg zum Beispiel damit arrangieren konnten, als Hillary Clinton plötzlich politisch bedeutend und ihr Mann Bill weg war?

Echtes Bollywood

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Sunanda Pushkar zeigte sich kurz vor ihrem Tod einträchtig mit ihrem Ehemann Shashi Tharoor. Die beiden wollten Gerüchte über eine Ehekrise zerstreuen.

„Lasst ihre Seele nun in Frieden ruhen“, bittet der Sohn. Aber noch ist keine Stille eingekehrt, noch immer diskutiert Indien über den mysteriösen Tod von Sunanda Pushkar, der Gattin des prominenten Politikers Shashi Tharoor. Und vieles passt noch immer nicht zusammen in dieser Vip-Affäre um Liebe, Eifersucht und gefährliche Medikamenten-Cocktails. Weil sich das Drama auch noch durch Vorwürfe gegen eine pakistanische Journalistin auflädt, ist es schwer, die Neugierde der Inder zu stoppen.

Sashi Tharoor ist führendes Mitglied der Kongresspartei, er war sogar Stellvertreter des UN-Generalsekretärs Kofi Annan. Der Staatsminister im Bildungsministerium hat viele Interessen, er schreibt Kolumnen, Geschichtsbücher und auch schon mal Romane. Der 57-Jährige ist beliebt und bekannt im Land, die Ehe mit der Geschäftsfrau Sunanda Pushkar galt lange Zeit als vorbildlich. Doch nun deute alles darauf hin, dass seine Ehefrau an einer gefährlichen Mischung von Antidepressiva, Migräne-Mitteln und weiteren, nicht näher benannten Stoffen gestorben sei, hieß es aus Kreisen der Polizei.

Ihr Mann hatte sie vor einer Woche in ihrer Suite im Leela Palace Hotel in Delhi tot aufgefunden. Das Paar war dorthin gezogen, weil offenbar zu Hause die Maler arbeiteten. Pushkars Sohn aus zweiter Ehe will den Verdacht, seine Mutter habe Selbstmord begangen, keinesfalls gelten lassen: „Jeder, der meine Mutter kannte, weiß, dass sie einfach zu stark für einen Suizid war,“ erklärte er. „Es war eine unglückliche Mischung aus Medienstress, Spannungen und der falschen Kombination von Medikamenten“, so sieht das ihr Sohn. „Ihr Tod war friedlich, sie starb im Schlaf.“

Doch diese Version passt kaum zu Berichten, dass am Körper der Toten angeblich auch einige Verletzungen gefunden wurden. Die Polizei ermittelt in jede Richtung: Mord, Selbstmord, Unfall – alles sei möglich. Es könnten jetzt allerdings bis zu neun Monate vergehen, bis die Ergebnisse einer eingehenden forensischen Untersuchung bekannt gemacht werden.

Dass Tharoor selbst seiner Frau etwas angetan haben könnte, hält der Stiefsohn für ausgeschlossen. Sind also doch vielleicht finstere Kräfte im Hintergrund im Spiel, die wollten, dass die Ministergattin für immer schweigt? Und welche Rolle spielt eigentlich die pakistanische Journalistin in dieser Affäre? Zwei Tage vor ihrem Tod machte Pushkar mit obskuren Tweets von sich reden. Diese Botschaften attackierten eine Frau namens Mehr Tarar. Die Pakistanerin sei eine Stalkerin und stelle ihrem Mann nach, hieß es. Als pakistanische Agentin wurde sie in den Kurzbotschaften beschimpft, und deshalb sei sie nun auch ein Fall für den indischen Geheimdienst, lautete eine der wüsten Drohungen gegen die Journalistin der Daily Times in Lahore im benachbarten Pakistan. Nun sah es so aus, als fürchte Pushkar, eine Rivalin aus Pakistan wolle ihr den Ehemann stehlen.

Eine heimliche Liebesaffäre im Minenfeld pakistanisch-indischer Erzfeindschaft? Dieser Stoff musste rasend schnell auf dem Subkontinent die Runde machen, zumal auch noch rätselhafte Liebesnachrichten an eben jene Journalistin aus Lahore auftauchten – angeblich versandt vom Twitter-Account Tharoors.

Um die Wogen zu glätten, präsentierte sich das Ehepaar kurze Zeit später wieder in großer Eintracht, die beiden erklärten gemeinsam, dass sie glücklich verheiratet seien und dass sie diese Tweets niemals verfasst hätten. Hacker müssten die Schuldigen sein, sagten sie. Nun also sah plötzlich alles nach einem bösen Komplott aus, mit unbekannten Hintermännern.

Wenige Stunden später war Frau Pushkar tot.

Ihr Mann Tharoor schweigt seither in der Öffentlichkeit. Dem Innenminister hat er allerdings geschrieben, dass er bei den Ermittlungen kooperieren wolle, wie indische Medien berichteten. Mehr Tarar, die pakistanische Journalisten, hat inzwischen alle Nachrichten über eine angebliche Liebesaffäre ins Reich der Märchen verwiesen. Sie versicherte, dass sie zu dem indischen Politiker lediglich – via Twitter – eine „virtuelle Freundschaft“ pflegte, die sich im Austausch von digital übermittelten Botschaften erschöpft habe. Zwar habe sie Shashi Tharoor in der Vergangenheit tatsächlich getroffen, aber nur, um ein Interview mit ihm zu führen.

Gewisper über angebliche Probleme in der Ehe Tharoors gab es schon länger, das Paar hatte im Jahr 2010 geheiratet, für beide war es bereits der dritte Eheschluss. Am Silvesterabend hatte man sie allerdings wieder einträchtig in Goa das Neue Jahr feiern sehen, berichteten indische Zeitungen. Während die Polizei ermittelt, spüren auch die Medien dem Fall weiter mit großem Eifer nach. Denn noch immer gibt es zahllose Fragen und nur wenig Antworten im Drama um den Tod von Sunanda Pushkar.

Der verlorene Vater

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Das NSU-Trio Beate Zschäpe (l-r), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.Die Eltern Böhnhardts haben vergeblich versucht, die Drei zum Aufgeben zu überreden.

Jürgen Böhnhardt ist jetzt 69 Jahre alt, das ist nicht wirklich betagt, aber er ist gealtert vor der Zeit. Bis vor ein paar Jahren war er Ingenieur. Er muss tüchtig gewesen sein in seinem Beruf. Er hat, als die Industrie in der DDR zusammenbrach, seinen Job in Jena behalten. Und er hat, das sagt er selbst, „viele Stunden“ in seinem Betrieb verbracht. Zu Hause dagegen scheint Vater Böhnhardt eher eine Nebenrolle gespielt zu haben, fast wie ein Gast. Selbst als die Polizei zu Hausdurchsuchungen wegen seines Sohnes anrückte, hat er das weggeschoben. „Das war meist morgens, da war ich schon im Betrieb“, sagt er. Ein einziges Mal sei er selbst dabei gewesen.

Jürgen Böhnhardt ist der Vater von Uwe Böhnhardt, der die rechtsradikale Terrorgruppe NSU mit gegründet und zehn Menschen erschossen haben soll. Der Vater will von der Entwicklung seines Sohnes nicht viel mitbekommen haben. Er scheint zu diesen Männern zu gehören, die klar trennen: Für Familie und Haushalt ist die Frau zuständig, für den Job der Mann. Obwohl auch seine Frau voll berufstätig war, als Lehrerin. Sie hat im NSU-Prozess bereits im Dezember Rede und Antwort gestanden und deutlich gemacht, wer im Hause Böhnhardt das Sagen hat: sie.

Nun steht ihr Mann als Zeuge vor Gericht und man gewinnt den Eindruck, dass er sich am liebsten rausgehalten hat aus dem, was in seiner Familie ablief. Und er sei ein friedfertiger Mensch, absolut gegen Gewalt. Seinen Sohn habe er nie geschlagen. „Ich bin vielleicht ein bisschen zu feige, als dass man ihm eine ordentliche Ohrfeige gegeben hätte“, sagt er. „Aber dann wäre ich vielleicht selbst wegen Körperverletzung angeklagt worden.“



Vater von Uwe Böhnhardt, Jürgen, sagte im Prozess gegen Beate Zschäpe aus.

Vater Böhnhardt hat nicht gesehen, was geschah: dass sein Sohn sich immer eindeutiger als Rechtsradikaler kleidete. Dass er Waffen hatte. Dass er mit braunen Kameraden loszog. Für alles hat er eine besänftigende Erklärung. „Springerstiefel und Bomberjacken – das ist zu der Zeit normal gewesen“, sagt der Vater. Und die Waffen? „Ein Taschenmesser würde ich nicht als Waffe bezeichnen.“

Als ihm die Polizei Bilder des Sohnes auf Demonstrationen zeigte, brüllend, mit aufgerissenem Mund, da will er auch das nicht recht wahrhaben: „Das waren krasse Bilder, aber vielleicht war das auf dem Sportplatz. Man kann ja Schnappschüsse machen und die Bilder auch ganz anders interpretieren.“ Der Sohn beschwichtigte die Eltern. Er äußere doch nur seine Meinung. Als die Eltern mit ihm diskutieren wollten, ging er in sein Zimmer und ließ sie stehen. „Wir wissen nicht, woher er das hat“, sagt der Vater über die Ideologie des Sohnes.

Den Opfern des NSU und ihren Familien drückt er sein Beileid aus. Sein Sohn habe „böse Sachen gemacht, gemeingefährliche Sachen, wenn das alles so gewesen ist“. Nun sei der Sohn tot, und der Verlust eines Angehörigen werde „ewig an einem hängen bleiben“. Er sei dankbar, dass die Familien der Opfer ihn und seine Frau nie beschimpft oder bedroht hätten, „auch wenn wir uns vielleicht falsch verhalten haben“. Die Eltern hielten zu Uwe Böhnhardt, auch als er 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in den Untergrund ging. Die Eltern trafen sich bis 2002 ein paar Mal heimlich mit dem Trio, gaben Geld und Kleidung.

Einmal, vor dem Abtauchen, fragte ein Richter, warum die Eltern ihren erwachsenen Sohn nicht auf die Straße setzten. „Das müssen Sie einer Mutter mal sagen“, sagt Vater Böhnhardt. Und dann hätten sie ja noch weniger Einfluss auf ihren Uwe gehabt. Offenbar war den Eltern das Bild ihres Sohnes im Kopf, als er zum ersten Mal ins Gefängnis musste. Sie hatten ihn dort besucht, er war „wieder ein ganz kleines Kind, das geheult hat und am Fenster stand, als wir gingen“. Als der Sohn wieder draußen war, sei er härter gewesen, zu sich selbst und zu anderen.

Als der Sohn dann verschwand und die Eltern ihn nur noch wenige Male sahen, wollten sie ihn zurückholen. Als sie ihren Uwe und seine zwei Freunde trafen, hätten sie auf die „Kinder“ eingeredet: „Stellt euch!“ Doch die drei hätten das nicht gewollt – „ums Verrecken nicht“, sagt Jürgen Böhnhardt.

Über Beate Zschäpe sagt Jürgen Böhnhardt, sie sei eine „freundliche, nette junge Frau“ gewesen. Sie habe mitgeholfen im Haushalt, sei bereit gewesen, etwas zu lernen: Backen und Kochen – „was eben eine Frau machen muss“. Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt seien ein „nettes Pärchen“ gewesen. Erst später, sagt der Vater, habe er mitbekommen, dass auch Zschäpe auf rechten Demos mitmarschierte.

Prinzregentenstraße, München

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An einer Straßenlaterne hing Franks Botschaft: "Carolin, ich kann dich nicht vergessen. Ruf mich bitte an!"

Franks Bitte an Carolin, sie solle ihn doch bitte anrufen, er könne sie nicht vergessen, hing schon ein paar Tage an den Ampeln in der Münchner Prinzregentenstraße. Frank nannte seinen Nachnamen nicht, sondern rief sich bei Carolin in Erinnerung mit dem Zusatz „. . . der mit dem Kindersitz“.

Am Dienstag meldete sich Carolin schließlich, sie hatte ihre Antwort wohlüberlegt. Aber sie wählte nicht die Handynummer, die Frank unter seine Bitte geschrieben hatte, sondern hing ihren eigenen Zettel an den seinen. Auch sie hatte ihre Botschaft sorgsam in eine schützende Klarsichtfolie verpackt. Das Papier ist im Regen dann doch feucht geworden und mit ihm die Tinte, aber die Fußgänger und Radfahrer konnten den verschwommenen Text trotzdem entziffern: „Hallo Frank! Ich bin sehr beeindruckt und fühle mich geschmeichelt – vielen Dank hierfür! Trotzdem: Das mit dem Mann in meinem Leben war keine Ausrede, sondern die Wahrheit. Ich hoffe, du bewahrst Dir Deine Einsatzfreude und bleibst so mutig, das wird ganz sicher mal belohnt. Alles Gute für Dich und Deinen Sohn! Carolin (die mit dem Fahrradschloss).“

Auch Frank hat die Nachricht gelesen. Am Tag nach Carolins Antwort waren alle Zettel aus der Prinzregentenstraße verschwunden.

Ich war da

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Kannst Du das besser“, fragt die Website der britischen BBC und zeigt eine Aufnahme der Mona Lisa. Ein Drittel des Fotos wird allerdings von einem milde lächelnden Blonden mit kariertem Sweatshirt eingenommen, der breit im Vordergrund steht. Es ist #MuseumSelfie day auf Twitter, dem Kurznachrichtendienst. Das Phänomen ist nicht neu, dass es einen Tag dafür gibt schon: Immer mehr Menschen stellen sich in Museen vor die Kunst, strecken den Arm ganz weit aus und machen mit dem Smartphone eine Aufnahme von sich selbst. Die Kunst ist im Hintergrund meist nicht nur gut zu sehen, sondern häufig auch irgendwie lustig einbezogen. Wer genau den vergangenen Mittwoch zum #MuseumSelfie day erklärt hat, ließ sich im Nachhinein nicht rekonstruieren, doch bald veröffentlichte Twitter Schnappschüsse, auf denen Kuscheltiere vor säulenbestandenen Portalen zu sehen sind. Man spiegelte sich Glas der Vitrinen oder liess, wie ein Mädchen im Art Institute in Chicago, ein Stück Goldschmiedekunst wie eine Krone über der Frisur schweben. Eine andere setzt sich einen goldschimmernden Brancusi-Kopf auf die Schultern.

Besonders viele Selfies zeigen im Hintergrund Gemälde. Die wenigsten stellen sich vor eine Landschaft, die meisten konkurrieren direkt mit einem anderen Porträt, was die alten Gesichter in Spitzenkragen noch einmal blasser wirken lässt. Kunstgeschichte und Kunstkritik haben schon lange ihre Betrachtung auch auf zeitgenössische Bildmedien ausgedehnt – aber selten sahen Welten so unvereinbar aus, wie auf den vielen Schnappschüssen. Andererseits: Wer heute einer Schulklasse in einem Museumssaal begegnet, versteht, dass sich, wo I-Phone und Samsung draußen bleiben müssen, die Kinder lieber vor dem Eingang an ihre Stromkabel ketten würden. Wer davon ausgeht, dass Kunsttempel niedrigschwellig gebaut sein müssen, der sollte sich fragen, was genau dagegen spricht, im Museum die Kommunikation zu dimmen – wo in ein paar Jahren wahrscheinlich ohnehin die Datenbrille alles dokumentieren wird. Und es käme wohl jetzt schon einer ganzen Generation absurd vor, sich ausgerechnet in der Freizeit vom Datenstrom abzukoppeln, den sie den ganzen Tag bedienen. Warum ausgerechnet im Museum, wo es dort doch angeblich so viel zu sehen und zu diskutieren gibt, das sich ins große Netz einspeisen lässt.

Ohnehin ist es lange her, dass das erste Bild, dem man am Museum begegnete, das Piktogramm mit der durchgestrichenen Kamera war: Die meisten deutschen Häuser gestatten es, dass man in ihren Sammlungen fotografiert, allein in Sonderausstellungen, die ja vor allem Leihgaben zeigen, bleibt es untersagt – oder da, wo Künstler sich sperrig zeigen. Während David Hockney noch vor einigen Jahren im Kölner Museum Ludwig sogar Journalisten komplizierte Verträge unterschreiben ließ, ist die jüngere Generation einladend: Der Brite Phil Collins, der dort jüngst mit Bildschirmen bestückte Wohnwagen aufbaute, wünscht sich sogar, dass möglichst viele Besucher die auch fotografieren und filmen. Grenzen zieht man nur noch, wo die Kunst gefährdet ist – im Münchner Museum Brandhorst herrscht Fotografierverbot, seit jemand beim Fotografieren Katharina Fritschs Warenregal voller Madonnen umschubste.



Normalerweise sind Ausstellungsstücke zum Betrachten gedacht. Das "MuseumSelfie" rückt den Betrachter in den Mittelpunkt.

Das Frankfurter Städel gibt sich dagegen als Avantgarde. Nur wenige Stunden vor Beginn des #MuseumSelfie day erläuterte Direktor Max Hollein Zukunftsperspektiven auf einem Panel der Münchner Digital-Life-Design Conference mit dem Titel „From Museum to Playstations“. In Holleins Haus steht ab Mitte des Jahres allen Besuchern ein kostenfreier Wireless-LAN Zugang zur Verfügung. „Es wird künftig den Besuchern ermöglicht, ihre Eindrücke, Erlebnisse oder Lieblingswerke über soziale Netzwerke schon im Museum zu teilen“, heißt es in der Ankündigung. Zudem werde das Museum einen Instagram-Account eröffnen, „so dass das Medium Bild noch stärker in die Kommunikation mit den Besuchern eingebunden wird“. Die gleichfalls von Hollein geleitete Kunsthalle Schirn hat es schon im vergangenen Herbst als Erfolg verbucht, dass Besucher der Ausstellung „Street-Art Brazil“ über einen Hashtag Bilder posten und Teil einer Echtzeit-Pinnwand im Foyer werden konnten. Man unterhält einen eigenen Kanal auf Youtube, Smartphone und Tablet sind im Städel willkommen, allein Blitz und Stativ müssen vor der Tür bleiben. Die alte Fototechnik mit künstlichem Licht und staksigem Equipment ist gefährlich für Leinwand und Skulptur.

Vorbild der neuen Offenheit fürs Technische in Deutschland könnte eine Aktion des New Yorker Metropolitan Museums gewesen sein, das schon vor einigen Jahren Anzeigen mit dem Slogan überschrieb „Es ist Zeit, dass wir uns getroffen haben“ und dazu Besucher abbildete, die sich im Met fotografiert hatten. Was man als direkte Einladung verstehen kann, zwischen Raffael und Picasso genauso ungezwungen die Parallelwelt des Internets mit dem eigenen Lifestream zu bedienen, als bummele man gerade durch eine Fußgängerzone, in der eine Werbeaktion läuft. Amerikanische Museen haben nicht nur weniger Vorbehalte – sie setzen schon etwas länger darauf, dass das Museum zur Destination wird, wo es weniger um Bildung und mehr um Bilderschätze geht. Das Metropolitan Museum zählt übers Jahr inzwischen 6,5 Millionen Besucher und gilt damit als wichtigstes Touristenziel in New York, das werden die Marketing-Strategen europäischer Museen nicht übersehen haben. Profitiert neben der PR auch die Museumspädagogik? Die Psychologin Linda Henkel aus Connecticut hat kürzlich nachgewiesen, dass sich Studenten im Museum besser an die Bilder erinnern, die sich nicht fotografieren durften. Für Eric Gibson, Autor des The New Criterion ist nicht nur die Erinnerung einzelner in Gefahr, sondern das Museum insgesamt beschädigt, wo es sich den Selfies öffnet. Wer aus dem Ausstellungssaal Selbstporträts verschicke, dem gehe es doch überhaupt nicht mehr um die Kunst, schreibt er unter dem Titel „The Overexposed Museum“. „In vordigitalen Zeiten war das Kunstwerk das Subjekt. Jetzt ist es der Besucher; das Kunstwerk ist sekundär“. Die Aussage so eines Erinnerungsfotos sei nicht mehr länger „ich habe gesehen“, sondern das schlicht touristische „ich war da“. Und tatsächlich drängeln sich vor allem vor prominenten Gemälden wie der Mona Lisa im Pariser Louvre einige, die lange anstehen, nur um sich in dem Moment, in dem sie der Gioconda am nächsten sind, rasch wegzudrehen und die Kamera auf sich zu richten. Jan van Eyck, Raffael, Michelangelo oder Dürer seien diesem Publikum genauso unterschiedslos Attraktionen, wie draußen der Eiffelturm oder das Weiße Haus, schreibt Gibson, und schon deswegen genügte es diesen Weltenbummlern, von der Kunst genau so lange inne zu halten wie vor jedem anderen Etappenziel.

Und das missfällt Gibson grundsätzlich: Zur Kunstbetrachtung gehöre es nun einmal, dass man eben tatsächlich auch die Kunst anschaut, konzentriert. Und darauf, so schreibt Gibson, müsse das Museum selbst bestehen, es gehe nicht nur um das Werk, sondern auch um eine kulturelle Praxis, die man seinem Publikum vermitteln müsse. Im Konzertsaal oder vor der Theaterbühne werde man auch nicht nur mit der Aufführung konfrontiert, sondern, nebenbei, auch mit der Etikette; damit, wie man sich zwischen Loge und Parkett verhält. Wer hustet geht besser, Bonbonpapier darf nicht rascheln, Mobiltelefone müssen ausgeschaltet bleiben. Museen „sind auch die Hüter von etwas anderem: der Kunsterfahrung. Sie ist nicht gegeben und kann nicht vorausgesetzt werden. Sie ist das Ergebnis bestimmter Bedingungen, die von einer Institution vorgegeben werden“.

Ist so viel antiquierte Vernunft dem Museumsgeschäft überhaupt noch bewusst, das selbst seit Jahren am liebsten auf ansteigende Besucherkurven starrt, wo es den Fokus auf sich selbst richtet? Die Dauer des Besuchs – sie liegt im Schnitt zwischen zehn und neunzig Minuten – wird in diese Zahlen nicht eingerechnet. Museumsneubauten wie das MAXXI in Rom, von der Flughafen-erprobten Zaha Hadid entworfen, entrollen sich wie ein schnell organisierter Transitbereich . Max Hollein will künftig wieder strenger zwischen der konzentrierten Stille im Museumstempel und dem Ausbau der digitalen Benutzeroberfläche differenzieren. „Ich bin ganz konservativ. Neben den Bildern soll nicht mit Smartphones gespielt werden. Aber wir haben online die Möglichkeit, weit über die physischen Begrenzungen des Hauses hinaus zu gehen.“

Immerhin, das Museum, das hier auf Sendung geht, kann sich endlich ein Bild von seinem Publikum machen. Auf Twitter.

Störung der öffentlichen Unordnung

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Gute Fragen: „Wenn neun von zehn Beamten korrupt sind, wer soll dann wen zur Rechenschaft ziehen?“ Oder die: „Mehr als 137 Länder und Gebiete auf der Welt haben sich Regeln gegeben, wonach Amtsträger ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen. Warum geht das in China nicht?“

Xu Zhiyong heißt der Mann, der diese Fragen gestellt hat. Xu ist Rechtsanwalt, einer der bekanntesten in China, klug, eloquent, beseelt. Einst, in besseren Zeiten, zierte er die Cover chinesischer Hochglanzmagazine und wurde im staatlichen Rundfunk für seinen Einsatz gegen Unrecht und Willkür gepriesen. Am Mittwoch stand der 40-Jährige in Peking vor Gericht. Der Anklage zufolge wegen „unerlaubter Versammlung“ und „Störung der öffentlichen Ordnung“. In Wirklichkeit, weil er gemeinsam mit seinen Mitstreitern von der Neuen Bürgerbewegung diese Fragen stellte.

„Unsere Mission ist es nicht, die Macht zu erlangen, sondern die Macht zu beschränken.“ Worte aus dem Schlussplädoyer von Xu Zhiyong vom Mittwoch. Das war das gemeinsame Ziel von Xu und seinen Mitstreitern, deren Prozesse für Donnerstag und Freitag angesetzt waren. Es war das Ziel der mehr als 5000 Mitglieder, auf die ihre Bewegung in nur etwas mehr als einem Jahr, auch mithilfe von Internet und sozialen Medien, angestiegen war – für ein politisch so restriktives Land wie China eine erstaunliche Menge, auch das erschreckte die Staatsmacht. Es ist der bedeutendste Prozess gegen Bürgerrechtler seit dem Jahr 2009, damals wurde Liu Xiaobo der Prozess gemacht, jenem Schriftsteller, der ein Jahr später als Häftling den Friedensnobelpreis erhielt.



Unterstützer des Bürgerrechtlers Xu Zhiyong bei einer Demonstration in Beijing.

Das Engagement für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit haben die jetzigen Angeklagten mit dem intellektuellen Essayisten Liu Xiaobo gemein. Eines allerdings unterscheidet ihre Neue Bürgerbewegung: Sie haben sich seit der Gründung im Jahr 2012 stark auf ein ganz konkretes Ziel konzentriert, auf den Kampf gegen die Korruption. Sie glaubten sich darin einig mit dem neuen starken Mann Xi Jinping, der im November 2012 die Macht als Parteichef und wenig später als Staatspräsident übernahm. Die Aktivisten setzten einige Hoffnung auf Xi, Hoffnung, die sich schnell zerschlug. Die Polizei nahm im vergangenen Jahr mehr als hundert aus ihren Reihen fest. Die meisten hatten in kleinen Protesten mit kaum mehr als ein Dutzend Demonstranten mit Plakaten und Bannern die Funktionäre der Kommunistischen Partei aufgefordert, ihr Vermögen offenzulegen. Zhao Changqing, der Historiker und Bürgerrechtler, der am Donnerstag vor Gericht sollte, dessen Prozess nun aber verschoben wurde, rief in Peking eine Serie von Abendessen ins Leben. Gleichgesinnte trafen sich am Essenstisch und debattierten dabei über Korruption und Transparenz. Die Anklage gegen ihn lautet nun auf „Versammlung einer Menge, um die öffentliche Ordnung zu stören“.

Transparenz. Die Partei fürchtet den Ruf danach. Heute vielleicht noch mehr als früher. In diesem Jahr, am 4. Juni, jährt sich das Massaker an der Demokratiebewegung vom Platz des Himmlischen Friedens zum 25. Mal. Die KP-Führung hat nicht vergessen, dass es schon 1989 der Zorn auf die Korruption und der Ruf nach Transparenz war, der die Demonstranten auf die Straße trieb. Wirtschaft und Wohlstand in den Städten vor allem sind seither gewachsen, gleichzeitig aber ist die Korruption aus dem Ruder gelaufen, und mit ihr die soziale Ungleichheit.

Die Kluft zwischen Arm und Reich in dem sich selbst noch immer „kommunistisch“ nennenden China ist längst größer als in den USA. China zählte im vergangenen Jahr mehr als 300 Dollar-Milliardäre, gleichzeitig leben schätzungsweise noch immer mehr als 300 Millionen Chinesen von weniger als umgerechnet zwei Dollar pro Tag. In China herrscht keine freie Marktwirtschaft, sondern ein autoritärer Staatskapitalismus, bei dem kein Unternehmer groß und reich werden kann ohne Unterstützung oder Duldung durch die Partei. Macht und Geld gehen hier Hand in Hand, deshalb stehen die Reichen und Mächtigen beim Volk unter Generalverdacht: Die Reichen, so die weitverbreitete Meinung, haben ihr Geld im Zweifelsfall nicht redlich erworben, und die Parteifunktionäre halten bei ihnen die Hand auf, wenn sie sich nicht gerade am Volksvermögen bedienen. Auch deshalb sind Enthüllungen wie jene aus den Offshore-Leaks so explosiv für die KP.

Die Zensur mag verhindern, dass das breite Volk von den Offshore-Leaks erfährt oder von dem New-York-Times-Bericht, der dem Klan von Ex-Premier Wen Jiabao Vermögenswerte in Höhe von 2,7 Milliarden Dollar nachwies – aber auch die parteieigenen Schauprozesse wie jener gegen den Eisenbahnminister Liu Zhijun im vergangenen Jahr, der aus dem heimlichen Portfolio des Ministers 16 zu Unrecht angeeignete Autos, 18 Mätressen und mehr als 350 Wohnungen zutage förderte, sind kaum geeignet, das Vertrauen des längst zynischen Volkes zu stärken.

Fast jeder kennt aus der eigenen Umgebung Geschichten von diesem Bürgermeister oder jenem Parteisekretär, der Millionen zur Seite geschafft hat. „Ein korrupter Beamter wird selbst andere korrupte Beamte befördern. Die Annahme ist: Wenn alle korrupt sind, dann sind alle sicher“, erklärte der Pekinger Verwaltungsprofessor Ren Jianming dem Magazin News China das System: „Einen sauberen Beamten zu befördern hieße ja, sich eine Zeitbombe ins Büro zu holen.“ Das Phänomen der Kader, die ihre Frau, ihr Kind und das angesparte Schmiergeld ins Ausland vorschicken – vorzugsweise in Länder wie die USA, Kanada, Australien oder Singapur – ist so verbreitet, dass die Chinesen dem Typus schon vor Jahren einen eigenen Namen gaben: „Nackte Beamte“ nennen sie solche Funktionäre, die nur mehr alleine zu Hause sind und dort auf einen günstigen Zeitpunkt zur Flucht warten.

Im Februar 2013 schätzte Zhu Lijia, Professor an der Staatlichen Verwaltungsakademie, die Zahl der nackten Beamten auf knapp 1,2 Millionen. In den Taschen und auf den Konten derer, die beim Versuch der Flucht ins Ausland festgenommen wurden, fand man nach Angaben der chinesischen Staatsanwaltschaft 2012 umgerechnet knapp 12 Milliarden Euro – schon vier Mal so viel wie noch 2008.

Die wachsende Kapitalflucht, auch in Offshorezentren, ist ein Zeichen wachsender Nervosität im Land. „Die großen Fälle sind Absetz- und Fluchtbewegungen, die Versuche gerade der Großen, derer, die Geld haben, ihre Zukunft zu sichern“, sagt Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator-Instituts für Chinastudien in Berlin. Heilmann gehört zu jenen, die Parteichef Xi Jinping den Eifer gegen die Korruption abnehmen: „Xi und seine Leute möchten einen modernen Staat aufbauen. Und die Korruption verhindert, dass China modern und stark wird.“ Auch weil das Problem mittlerweile so gewaltig und die Selbstbereicherung so schamlos ist, hat Xi Jinping den Kampf gegen korrupte „Fliegen und Tiger“ zum Fokus des ersten Jahres seiner Amtszeit gemacht. Xi hat den Kadern die Haifischflossen verboten und den Maotai-Schnaps dazu. Private Clubs sind tabu, die bislang üblichen Gelage und Übernachtungen in Fünf-Sterne-Hotels auch. Der Donner hat erste Konsequenzen: Der Konsum von Luxusgütern ist eingebrochen im Land. Aber wie immer hat die lokale Beamtenschaft schon ihre Gegenstrategien entwickelt. „Wir dürfen nicht mehr in Luxushotels zum Essen gehen, deshalb gehen wir jetzt immer in die Behördenkantine“, erzählt ein Kulturbeamter in Shenzhen. Dann lächelt er: „Also lassen wir uns jetzt das Essen aus den Hotels in unsere Kantine liefern – wir können sogar von unserem alten Lieblingskoch bestellen.“ Dutzende von Fünf-Sterne-Hotels beantragten unlängst gar die Streichung eines Sterns, damit sich wieder die früher so freigiebige Kaderkundschaft zu ihnen traut.

Xis Anti-Korruptionskampagne kommt wuchtig daher, hat aber fatale Schwächen: Sie bedient sich der altbekannten Methoden, vertraut auf Appelle, Kampagnen und das gelegentliche Huhn, das man schlachtet, „um die Affen zu erschrecken“, wie es in China heißt. An die eigenen Leute, an die Oligarchie, die China im Griff hat und als Selbstbedienungsladen versteht, an die meisten jener, die nun in der Offshore-Leaks-Datenbank auftauchen – sein eigener Schwager ist auch dabei –, traut sich Xi nicht heran. „Die Partei steht trotz gegenteiliger Versprechen Xi Jinpings über dem Gesetz“, sagt Heilmann. „So können die Gesetze auch kein Gewicht haben.“

„Jahr für Jahr hören wir vom Kampf gegen die Korruption, aber über sechs Jahrzehnte hinweg ist die Korruption schlimmer und schlimmer geworden.“ Noch ein Auszug aus dem Schlussplädoyer des Anwalts und Angeklagten Xu Zhiyong. „Ohne Pressefreiheit, ohne eine unabhängige Justiz kann absolute Macht nie in saubere Regierung verwandelt werden.“ Xu wartet jetzt auf sein Urteil. Es drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Konsolen in Ketten

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Eigentlich sind Spielkonsolen nichts als Computer, die sich auf einen hauptsächlichen Zweck, nämlich das Spielen, konzentrieren. Das schließt aber nicht aus, dass man mit ihnen noch mehr machen kann. Oder vielmehr könnte. Denn die Hersteller riegeln die Geräte oft mit Schutzmechanismen ab. Meistens geht es darum zu verhindern, dass auf den Konsolen auch Kopien von Spielen zum Laufen gebracht werden können. Diesen Schutz zu umgehen, ist aber nicht in jedem Fall illegal, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun festgestellt hat.

Zwar hält der EuGH Computerspiele für geistige Schöpfungen, die im Sinne der EU-Richtlinien zum Urheberrecht schützenswert sind. Werden sie durch technische Maßnahmen gesichert, ist es – wie zum Beispiel auch bei Film-DVDs – nicht erlaubt, diesen Schutz zu umgehen. Allerdings, so urteilte der EuGH nun, sollten die technischen Schutzmaßnahmen nicht die legale Nutzung von Spielkonsolen einschränken. Dies gilt auch, wenn der Hersteller diese andere Nutzung gar nicht vorgesehen hat.



Schüler bei einer Konsolenspiel-Testnacht in einer Bibliothek - neben dem Verleih ist in manchen Fällen jedoch auch erlaubt, den Kopierschutz zu umgehen

Im konkreten Fall ging es um eine Klage des Konsolen-Herstellers Nintendo vor einem italienischen Gericht gegen die örtliche Firma PC Box. PC Box verkaufte in Italien Konsolen der Typen DS und Wii von Nintendo mit zusätzlicher Software von Drittherstellern. Damit diese aber auf den Konsolen lief, mussten die Nutzer ein kleines Zusatzgerät von PC Box anschließen. Dieses umging die technischen Schutzmaßnahmen der Konsole.

Nintendo argumentierte, das Zusatzgerät diene vor allem dazu, dass die Nutzer auch illegal kopierte Spiele zum Laufen bringen könnten. Nach Ansicht von PC Box ging es Nintendo aber nur darum zu verhindern, dass Software unabhängiger Hersteller auf den Konsolen verwendet werden konnte. Bei dieser Software habe es sich nicht um illegale Kopien von Spielen gehandelt, sondern um Programme, die es beispielsweise ermöglichten, mit der Spielkonsole auch Video- und Musikdateien abzuspielen.

Wie der EuGH nun klarstellte, gilt der Schutz des Gesetzes nur für technische Maßnahmen, die verhindern, dass Werke kopiert, öffentlich wiedergegeben oder verbreitet werden. Will ein Nutzer auf seiner Nintendo-Konsole Musik abspielen, so sollte ihm der eingebaute Schutzmechanismus das nicht verbieten. Vielmehr, so der EuGH, müssten die Gerichte prüfen, wie die Nutzer ihre Konsolen tatsächlich verwenden, und auch untersuchen, ob es nicht Schutzmaßnahmen gebe, die den Nutzern weniger Beschränkungen auferlegten.

Ob sich die Funktionen – Schutz vor Raubkopien und legale Nutzung – voneinander trennen lassen, müsse nun das italienische Gericht untersuchen, so die Luxemburger Richter. Die Mailänder Kollegen sollten auch prüfen, ob die PC-Box-Geräte häufig zum Abspielen von Raubkopien genutzt werden.

Jungs, seid ihr neidisch auf unseren Orgasmus?

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Liebe Jungs,

ich hätte nicht gedacht, dass das Thema Orgasmus zwischen uns noch einmal besprochen werden muss, schließlich haben wir gefühlt schon jeden Aspekt des Kommens miteinander besprochen - Fake-Orgasmen sind scheiße, Pornos lügen und überhaupt: Jeder, wie er's braucht.

Und dann sehe ich diesen „Blau ist eine warme Farbe"-Film, ihr wisst schon, der französische Sex..., äh Liebesfilm mit Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos. Da gibt es diese an sich sehr triviale Szene auf einer Gartenparty, in der ein Typ erzählt, dass er immer, wenn er eine Frau kommen sieht, schrecklich darunter leidet, nicht selbst eine Frau zu sein. Frauen hätten einfach den besseren Orgasmus, findet er, und ganz egal, wie laut oder leise sie kommen, der komatös-ekstatische Schimmer in ihren Augen sei immer der gleiche. Dieser Anblick mache ihn furchtbar traurig, neidisch und auch ein kleines bisschen wütend auf sein banales Männergeschlecht.

Ich weiß nicht mehr genau, wie seine Vergleiche im Film wirklich lauten. Aber so, wie er es beschreibt, kommt es einem tatsächlich vor, als geschehe beim weiblichen Orgasmus etwas Magisches. Versteht uns nicht falsch, es ist magisch! Ein bisschen, wie ein Raketenstart ins All, ffffzscchhhhhhh, und weg sind wir. Also, wir sind natürlich noch da, physisch, aber mag schon sein, dass unser Blick in diesem Moment euch so etwas verrät wie: Diese Lady ist jetzt sehr, sehr weit draußen.

Nur dachte ich bisher, dass unser Orgasmusgefühl dem euren da in nichts nachsteht. Na gut, wenn's mal sein muss, können wir natürlich auch innerhalb kürzester Zeit sehr viel öfter als ihr – aber das ist ehrlich gesagt auch nicht mehr als ein ganz nettes Double-Feature, von dem wir jetzt auch nicht unbedingt täglich Gebrauch machen. Kein Grund, gleich wütend auf euer Geschlecht zu sein und zu glauben, ihr verpasst da etwas Grundlegendes.

Der Typ in diesem Film aber sagt nun wirklich sehr, sehr bestimmt: Nö! Er habe den Eindruck, eine Frau erlebe im Moment ihres Orgasmus etwas weitaus wundervolleres als der Mann. Während sie also in einer Art Ekstaserakete in die abgefahrensten Befriedigungssphären geschossen wird, ist seine kleine Sekunde des Kommens wohl so joah, ganz geil, aber bei Weitem nicht so allesfüllend wie die der Frau. Eher so die Hausnummer eine Kugel Lieblingseis, Anfang- und Mittelteil eines All-time-Lieblingsessen, mal wieder richtig ausschlafen, kratzen, wenn es juckt. Ganz geil, immer mal sehr nötig, aber nicht besonders magisch.

Es würde uns ja diebisch freuen, euch da etwas voraus zu haben. Aber es schleicht sich bei uns ja schon auch der Verdacht ein, dass ihr da ein bisschen etwas idealisiert. Womöglich ist es nur wieder das alte Spiel: Die meisten Frauen übertreiben es einfach ein bisschen in ihrer Orgasmus-Performance, weil sie ein ganz bestimmtes Idealbild vom Verhalten beim Orgasmus vor Augen haben, Stichwort Faken und Pornos und 90-60-90 und so. Und ihr denkt: Krass, geht die Alte ab, das ist ja nicht mehr von dieser Welt, hat die jetzt heimlich gekokst oder was?

Tatsache ist: Auch unser Orgasmus ist unmittelbar danach immer zu kurz, immer ungenügend, und selbst wenn wir dabei ins All fliegen, dann erlischt halt leider der Antrieb sofort nach Eintritt in die Atmosphäre und wir segeln mit einer kleinen Post-Sexdepression im Bauch wieder auf die Erde zurück und sind ein bisschen traurig, dass dieses Gefühl nicht wenigstens ein einziges Mal länger als, naja, sagen wir mal großzügig eine dreiviertel Minute anhalten kann.

Also Jungs, wie ist das, seid ihr wirklich neidisch oder ist das nur ein komischer Typ da in diesem Film? Was hat es mir dieser - uns völlig neuen - Orgasmus-Neid-Legende auf sich?

Die Jungsantwort von elias-steffensen liest du auf der nächsten Seite.
[seitenumbruch]



Liebe Mädchen,

gerade noch mal bei Frédéric Beigbeder geblättert, diesem französischen Koks-Koitus-Connaisseur. „Der romantische Egoist" jedenfalls. Im Mittel schon ein eher verunglücktes (Tage)Buch mit vielen grenzdebilen Sätzen wie: „Nach Boris Vians ‚Ich werde auf eure Gräber spucken' neige ich eher zu: ‚Ich werde all eure Töchter poppen.'" Aber auch nicht ganz so blöd, wie alle bei Erscheinen damals behauptet haben. Unter anderem steht nämlich auch dies drinnen: „Es gibt eine Gerechtigkeit: Frauen kommen stärker als wir, aber seltener."

Und das bringt es ja ziemlich gut auf den Punkt. Ich glaube nämlich schon auch, dass da bei euch wenigstens potentiell – ihr kommt ja auch nicht immer gleich heftig; Stichwort Vaginal/Klitoral/G-Punktual – noch mal etwas Extra-Wumms dahintersteckt. Dieser milchglasige „Beam me up, Scotty"-Blick mit anschließendem ffffzscchhhhhhh jedenfalls, doch, doch, der weckt schon Neugier.

Aber Neid? Glaube ich nicht. Nicht sehr zumindest. Weil, um in deinem Bild zu bleiben: Bei uns mag das nicht mit Raketenschub bis in ferne Galaxien gehen, aber ein Düsenjet, der mit gehörig fauchendem Wrrruummm startet (und zwar verlässlich und ohne umständlichen Countdown) und nach einer wenigstens kleinen Schleife wieder auf dem Flugzeugträger aufsetzt, ist's schon auch. Ich bin nun kein sehr leidenschaftlicher Eisesser, aber es erscheint mir in jedem Fall unwahrscheinlich, dass ein Bananensplit oder ein Becher Spaghetti-Eis etwas Ähnliches auslösen können.

Klar: Du steckst nicht drinnen im anderen Geschlecht. Auch, wenn wir noch so viel über „Fake-Orgasmen sind scheiße, Pornos lügen und überhaupt: Jeder, wie er's braucht" diskutiert haben, erleben werden wir's nie. Und genau wissen, wie viel in der gegenseitigen Wahrnehmung nun Fake war und wie viel die bösen Pornos in unseren Hirnen verdreht haben, auch nicht. Aber unterm Strich, scheint mir jedenfalls, hat die Natur uns da mit einer recht angenehmen Patt-Situation ins Leben entsandt. Und wir müssen halt – am besten wohl gemeinsam – das Beste draus machen. Deshalb, und weil mir grad ums Verrecken kein besserer Schluss einfallen will, noch ein Beigbeder-Zitat (aus dem eigentlich doch ziemlich tollen „39,90" diesmal):

„Die ganze kleine Welt bumst, vögelt, bläst, leckt Sperma, reibt sich die Klitoris, pumpt an Schwänzen, spritzt auf Gesichter, malträtiert Mösen, peitscht sich die Brüste, bepisst sich, schwuchtelt und wichst in Freude und Entspannung."

Und damit ist dann wahrscheinlich wirklich alles zum Thema ausgereizt. Hoffentlich. 

elias-steffensen

Selbstgewählte Überwachung

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Der Server von "Menthal" ist überlastet. Beim Besuch der Webseite ploppt direkt ein Fenster auf, das einem mitteilt: "Die Berichterstattung, der Enthusiasmus sowie der Ansturm haben uns berührt, geehrt ..., und schlicht überfordert. Die Server kommen mit den Registrierungen einfach nicht nach. Wir haben daher die Registrierung neuer Nutzer zeitweise suspendieren müssen." Das ist insofern bemerkenswert, als dass "Menthal" eine App ist, mit der man anonymisiert seine Handy-Nutzungsdaten weitergibt. 30.000 Menschen haben sich seit dem 15. Januar 2013, dem Erscheinungstag der von der Uni Bonn entwickelten App, bereits für ihre Nutzung registriert, manche Portale bewerben sie als "Hilfe gegen Handy-Sucht". Dabei gibt die Anwendung ihrem Nutzer nur Auskunft darüber, wie oft pro Tag man das Handy angeschaltet hat, welche Apps wie lange genutzt wurden, wieviele Minuten man telefoniert und wieviele SMS geschrieben hat. Gespräche, das Surfverhalten oder Mailverläufe werden nicht aufgezeichnet, auch wird einen niemand anfeuern, das blöde Smartphone jetzt endlich wegzulegen. Aber warum reizt es uns so, vorgeführt zu bekommen, wieviel Lebenszeit wir schon wieder ins Smartphone gesteckt haben?


30.000 Menschen interessieren sich für eine App die ihnen Feedback über ihr Handynutzungsverhalten gibt

Dr. Christian Montag, Privatdozent in der Abteilung differentielle und biologische Psychologie der Uni Bonn, hat die App gemeinsam mit sieben Kollegen entwickelt. Die große Nachfrage überrascht auch ihn: "Wir werten das als Bestätigung, dass es am Thema Handy-Sucht ein großes Interesse gibt. Dabei ist das bisher keine anerkannte Krankheit." Die Forscher vermuten, dass die Sucht ähnlich wie Glücksspiel oder Alkohol funktioniert - Vernachlässigung des sozialen Umfelds und Entzugserscheinungen inklusive. Anders als beispielsweise der Gang zum Zock-Automaten, ist der Griff zum Handy hingegen weitestgehend automatisiert. "Viele nutzen das Handy beispielsweise auch als Uhr. Der Blick auf die Zeit wird dann schnell noch mit der Nutzung von sozialen Netzwerken oder Chats verbunden", sagt Montag. Von der App erhoffen sich die Teilnehmer somit vermutlich, selbstständig einzusehen, wenn's zu viel wird. Denn wo die genaue Grenze zwischen normaler Handynutzung und -sucht ist, müssen die Wissenschaftler noch herausfinden: "Wir wollen gar nicht technikpessimistisch sein und sagen 'Das Internet ist immer schlecht'. Im Gegenteil, oft wird man dadurch auch produktiver. Man muss halt den Punkt finden, ab dem die Kurve wieder fällt und man nur noch abgelenkt ist", erklärt Christian Montag.
http://www.youtube.com/watch?v=06IfIgfhzrs Das Werbevideo von "Menthal"

Als Lösung für dieses Problem eine App aufzusetzen, mag auf den ersten Blick ironisch wirken. Christian Montag erklärt es allerdings so: "Die App läuft nur im Hintergrund und soll dann zukünftig auch Feedback geben, wie viel Zeit man am Handy verbracht hat. Es ist quasi so, als würden wir Menschen, die abnehmen wollen, eine Waage zur Hand geben." Der Vorteil an diesem Verfahren im Vergleich zu vorherigen Studien zur Internet-Sucht: Bisher mussten die Probanden immer selbst einschätzen, wie viel Zeit sie am Gerät verbringen. "Dabei unterschätzt man das oft, weil der Griff zum Handy so unbewusst erfolgt", sagt Montag. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jun. Prof. Alexander Markowetz, einem Informatiker, wollte er deshalb ein Produkt entwickeln, das den Selbstbetrug verhindert und einen mit der Realität konfrontiert: Beim Pilotversuch mit 50 Studierenden guckten die Teilnehmer im Durchschnitt 80 Mal am Tag aufs Handy - alle zwölf Minuten bei einem 16-Stunden-Tag. In der Hälfte der Fälle wurde nicht nur auf den Startbildschirm geschaut, sondern noch weitergehend gechattet, Mails gelesen oder gesurft. Die Ursprungsfunktion eines jeden Handys, das Telefonieren, wurde allerdings nur sechs Minuten am Tag genutzt.

Diese Ergebnisse muss man natürlich abhängig vom Job betrachten, das sagt auch Christian Montag. "Ich habe jetzt auch direkt auf Ihre Presseanfrage reagiert, weil ich meine Mails ständig im Blick habe", sagt er. Medienmenschen, Manager und Politiker werden vermutlich auch von Berufswegen öfter aufs Handy starren als ein Fluglotse, der ständig superaufmerksam sein muss. Und generell ist Handy-Nutzung natürlich nicht immer sinnbefreit und eine Form der Prokrastination. Allerdings gibt es ein Ergebnis der Pilotstudie unter den Studierenden, das uns alle beunruhigen sollte: Das am häufigsten auf dem Handy verwendete Spiel war "Candy Crush Saga". Zumindest das könnten die 30.000 Teilnehmer in der nächsten Phase ändern.

Eines Tages... mit Brad Pitt, Edward Snowden und Markus Lanz

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Eines Tages Diese Woche in der Kategorie „viral“: Slammerin Julia Engelmann. Wir fanden ihren Text nicht besonders neu oder aufregend. Dennoch konnten wir uns mit einem Seitenhieb auf Frau Engelmann nicht verkneifen, die Poetry-Slam-Szene mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn die bietet mehr als nur das blonde Mädchen, das mit einem banalen Generationentext die Herzen und Hater des Internets spaltet.  

Rosa Reisen
Die Winterspiele in Sotchi rücken näher, aber Russlands Präsident Wladimir Putin bleibt seiner harten Linie gegenüber Homosexualität treu. Auch in anderen Ländern steht die gleichgeschlechtliche Liebe noch unter Strafe. Wir haben uns Gedanken gemacht, was das für Urlauber bedeutet. Deswegen haben wir einen Reiseveranstalter gebeten, uns Tipps fürs homosexuelle Fernweh zu geben.  

Heimweh
Seit 229 Tagen sitzt Whistleblower Edward Snowden im ausländischen Zwangsexil, vermisst seine Familie und Tortilla-Chips. Was macht man eigentlich gegen Heimweh? Und wer bügelt eigentlich seine Hemden? Diese und andere Dinge würden wir gern von dem Ex-NSA-Mitarbeiter wissen. Denn der hat sich in einem Livechat Fragen von Twitterusern gestelllt - die wirklich interessanten blieben dabei aber ungeklärt.  

Hätte, hätte, Fahrradkette Wir geben es zu. Wir haben unsere dunklen Seiten, haben gemobbt, unsere Freunde im Stich gelassen und unseren Ex schlecht behandelt. Heute wünschen sich unsere Redakteure, sie hätten in diesen Situationen anders gehandelt: hätte, hätte, Fahrradkette. Wer noch einmal einen Blick auf die Geständnisse werfen möchte, dem sei die Sammlung „Das verzeihen wir uns nie ans Herz“ gelegt.  

Video der Woche
Fight Club ohne Brad Pitts Tyler Durden? Unvorstellbar. Oder auch nicht, findet Richard Trammell. Der amerikanischer Videokünstler lieferte uns einen frischen Blick auf Edward Nortons Geisteskrankheit. Die Figur Durden wurde in der ersten Kampfszene einfach weggephotoshopt. 
 
http://vimeo.com/84546365 

Tumblr der Woche
Wie Markus Lanz es genau schafft, in beängstigender Häufigkeit Shitstorm an Shitstorm zu entfesseln, wissen wir nicht. Was wir wissen, ist die Antwort auf die Frage, ob er in seinen Shows etwas aufdeckt. Der Tumblr „Hat Markus Lanz etwas aufgedeckt“ ist schon eine Weile online, aber immer noch aktuell. Und immer noch „sensationell“, um es in Lanz’ Worten zu formulieren. Wem das zu viel Hass ist, kann hier einer viel wichtigeren Frage nachgehen, nämlich: „Soll ich ein Bier trinken gehen“?  

Peng Peng Peng!
Alle schwärmen von Marteria. Wir auch. Deswegen haben wir den Musiker zum Gespräch gebeten. Der wirbelt im Moment ziemlich laut die Promo-Trommel, jettet von Stadt zu Stadt. Zwischendrin erzählt er uns von seiner Liebe zum Reisen, der Freundschaft zu Campino und dem großen Thema in seinem Leben: Glück.

Fünf Songs fürs Wochenende

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The Hidden Camera – Gay Goth Scene
http://www.youtube.com/watch?v=o3Vca2JLG_o
Es lässt sich nur spekulieren, ob Mehmet Scholl diesen wunderbaren Bruch geplant hatte, als er The Hidden Camera bei seinem Abschiedsspiel in der Münchner Allianz Arena auftreten ließ. Jedenfalls saßen und standen und schunkelten die Fußballfans da also vor sich hin (mit leicht irritierten Blicken auf die männlichen Gogo-Tänzer freilich), während Frontmann Joel Gibb seine sehr expliziten, homosexuellen Texte in zuckersüße Pop-Melodien packte. Großes Fest jedenfalls! Mit den Schunkel-Melodien ist es auf dem an diesem Freitag erschienenen Album „Age“ weitestgehend vorbei. Stattdessen hänge die Streicher, Synthies und Effekte schwer und dunkelviolett in den Fenstern und hinterlassen ein düsteres Zwielicht. Das Falt-Booklet zeigt auf der Rückseite das gezeichnete Portrait eines Soldaten der U.S. Army. „Manning“ steht auf seinem Namensschild. Einer der Songs heißt „Afterparty“. Groß – ohne Fest.  

Moderat – Last Time
http://www.youtube.com/watch?v=lxf05bSC17E
Der Komponist und Produzent Apparat hat die wunderbare Gabe, Melodien zu schreiben, in deren Umlaufbahn ganze Welten kreisen. Immer, wenn er sich mit dem DJ-Duo Modeselektor zur Supergroup Moderat zusammenfindet, wird die Gravitation der Songs so stark, dass sie sogar die Zeit anzuhalten scheint. Die Porösen, wattierten Synthies in weltallweiten Hallgebilden, die kräuterlikörartige Stimme: Etwas durchaus Episches ergibt das schon. Und damit dann aber auch genug der großen Bilder. Zefix!  

Casper – Alles endet (aber nie die Musik)
http://vimeo.com/84851088
Und auch genug vom gegenseitigen Gezicke jetzt! Ist doch rum ums Eck! Wir mit dem Rätsel, Casper mit seinem Management, wir dann wieder mit Roland Kaiser – Himmel, ja. Aber es bleibt dabei: Der Indie-Rapper ist wichtig für die deutsche Musik-Szene. Und deshalb gibt’s hier natürlich auch sein gerade erst wenige Stunden altes neues Video. Man hört dem Song noch mehr als anderen auf dem Album „Hinterland“ an, dass Konstantin Gropper (besser bekannt als Get Well Soon) Produzent war. Und man hört, dass auch der wichtig ist. Sehr!  

Flo Mega – Hinter dem Burnout
http://www.youtube.com/watch?v=MDL9MQZmJBk
Gut, vergleicht man Flo Megas heute erscheinendes Album „Mann über Bord“ mit, zum Beispiel jetzt, „Give the People What They Want“, dem vergangene Woche erschienenen Werk von Sharon Jones & The Dap Kings, dann fällt schon noch auf, dass Deutschland den Soul noch immer nicht mit dem ganz großen Löffel isst. Aber ein bisschen wärmen tut’s doch trotzdem: „Hinter dem Burnout liegt das Paradies!“ Immerhin.  

Austra – Hurt Me Now

http://vimeo.com/84463351
Und damit ist dann doch auch noch mal etwas Kraft da, um ein paar Tonnen Weltschmerz zu stemmen. „Olympia“, das aktuelle Album von Austra, ist zwar nicht mehr taufrisch, aber das Video zu „Hurt Me Now“, dieser kathedralenartigen Orgelkantate, ist es schon. Die Kanadier kommen im Februar übrigens auf Deutschlandtournee.

Popcorn für alle

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Jeder, der gerne Filme in der Originalversion sieht und sein Popcorn gerne mit Freunden teilt, kennt diese Frage: „Schauen wir jetzt mit oder ohne Untertiteln?“ Jene, die Englisch nur aus der Schule kennen und das letzte Wort in einer anderen Sprache mit einem nach dem Weg fragenden Touristen gewechselt haben, können sich oft nur schwer mit fremdsprachigen Filmen ohne Begleittext anfreunden. Aus einem einfachen Grund: Die Handlung bleibt für sie weitgehend unverständlich, das „Kino-Gefühl“ leidet darunter. Das Lager der O-Ton-Woller beklagt im Streit ähnliche Effekte, begründet das jedoch genau andersherum. Doch es gibt auch eine Gruppe von Menschen, für die solche Diskussionen Luxusprobleme sind. Sie können Popcorn zwar riechen und Eiskonfekt schmecken, kommen aber gar nicht erst damit in Berührung, zumindest nicht im Kino, da sie den Rest nicht können: Hören. Oder sehen.

Blinde und Taube waren lange Zeit auf Sondervorstellungen in Kinos mit Hang zum Karitativen angewiesen. Spezielle Vorführungen für Blinde, bei denen die Handlung live von einer Person eingesprochen oder, zuvor aufgenommen, zusammen mit dem Film abgespielt wird, ermöglichen schon heute einen Kinogang für Betroffene. Taube haben, falls keine untertitelte Version ihres favorisierten Streifens läuft, immerhin die Chance auf die DVD-Veröffentlichung zu warten, um sich einen Hauch Hollywood abzuholen. Doch als barrierefrei kann man die Situation nicht betiteln: Nur wenige Kinos bieten Spezialvorstellungen an, nur vereinzelt finden Vorführungen statt und die Filmauswahl ist eingeschränkt – selten werden aktuelle Filme gezeigt. Sich gemeinsam mit einem Freund ohne visuelle oder auditive Beeinträchtigung an einem Film zu erfreuen, ist für viele nahezu unmöglich.

Zwei neue Apps wollen das nun ändern. Ihr Ziel: Blinde und Taube in die Jury der großen Filmfestivals wie Cannes oder Venedig zu bringen. Ihre Art der Filmrezeption soll Ergänzung und Kontrast zu gewöhnlichen Filmkonsum bieten. Die Anwendungen heißen „Greta“ und „Starks“ –  das sind Ableitungen von „groß“ und „stark“. Durch Audiodeskription über Kopfhörer, die die wichtigsten dramaturgischen Schritte für Blinde nachvollziehbar macht, und Untertitel für Gehörlose, verschaffen die beiden Smartphone-Anwendungen auch Menschen mit beeinträchtigter Sinneswahrnehmung auf dem rot gepolsterten Sesseln Platz. Ohne aufwendige Konferenztechnik oder die Beeinträchtigung der anderen Besucher werden die entsprechenden Daten synchron über das eigene Gerät abgespielt. Die Apps sind kostenlos und auf allen gängigen Betriebssystemen verfügbar.

http://www.youtube.com/watch?v=Gjn5PHFKwYQ

Autonom und unauffällig können Filmliebhaber mit Sinnesbehinderung also jetzt Filme genießen, ohne bereits durch den schweren Zugang zu ihrem Kinoerlebnis Ausgrenzung zu erfahren. Die Hemmschwelle bei vertrauten Geräten ist gering, die Untertitel oder Audiospuren sind nur einen kostenlosen Download entfernt.

Noch ist die Kinowelt von einem selbstverständlichen und selbstbestimmten Kinogang für jedermann weit entfernt. Greta und Starks sind nur zwei Angebote an die Filmbranche. Ob die neuen Möglichkeiten auch genutzt werden, liegt letztlich in Hand der Filmvertriebe. Bis jetzt nutzen lediglich drei Filme die jungen Apps: „Der Medicus“, „Buddy“ und „Imagine“ – alle unterstützt von derselben Filmförderung. Der Verleih, der die Entwicklung von Greta/Starks in Auftrag gegeben hat, will mit exklusiven Vorpremieren und anderen Events sein junges Projekt bekannt machen. Ob die Major-Distributionsfirmen und Filmförderungen das Vorhaben unterstützen, ist noch ungewiss. Die Entwickler arbeiten ebenfalls an einer Datenbrille, die Starks Untertitel auf deren Oberfläche projiziert, um das Lesen noch komfortabler zu machen. Das Unternehmen bleibt aber auf weiteres auf Fördergelder angewiesen. Bis für Blinde und Taube ein Kinobesuch alltäglich wird, kann es also noch etwas dauern.

So wird die KW 4: Neues auf jetzt.de und der neue Schlitten

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Wichtigster Tag der Woche:
Der Montag. Auf jetzt.de wird nämlich alles etwas anders werden und deshalb sind wir auch ein bisschen aufgeregt. Für mich persönlich bedeutet das aber vor allem: früher aufstehen. Ich versuche mir dann immer zu sagen, dass man es in der Schulzeit ja auch geschafft hat, um 6.15 Uhr hochzukommen und 8 Uhr dagegen echt keine Katastrophe ist. Ganz überzeugt bin ich aber immer noch nicht. Zumindest die Baristas unten an der Kaffeebar wird's freuen, kaufen wir direkt einen Kaffee mehr pro Tag.



Charlotte möchte diese Woche ihren Schlitten einweihen. Ob sie auch so wild den Berg runtersaust wie dieses wagemutige Mädchen?

Kulturelles Highlight:
Nochmal wir. Am Donnerstag machen wir nämlich das zweite Mal eine Lesung im Münchner Heppel & Ettlich, diesmal aber auch mit Musik und Schnaps. Dann ist es nur noch so halb eine Lesung und eher ein Kneipenabend - kommt so oder so zahlreich.

Politisch interessiert mich...
Die Ukraine. Unsere Kollegin Katharina Elsner hatte ja bereits im Dezember mit Demonstrantinnen in Kiew gesprochen, seit dem ist in dem Land aber weiterhin nichts vorangegangen. Nun gibt es nach Demonstrationen die ersten Toten. Ich hoffe, die Lage eskaliert nicht weiter und dass es Neuwahlen gibt.

Kinogang?
Nachdem die letzten Wochen "Blau ist eine warme Farbe" ja in allen erdenklichen Varianten diskutiert wurde, freue ich mich auf einen Nicht-Liebesfilm wie "Bethlehem". Der handelt von einem jungen Palästinenser, der vom israelischen Geheimdienst angeworben wird, um seinen älteren Bruder aufzuspüren. Natürlich kann diese Kombination nicht funktionieren und am Ende müssen alle Beteiligten sich entscheiden, auf wessen Seite sie stehen.
http://www.youtube.com/watch?v=VkXeBqL0Zcw

Wochenlektüre?
Meine Oma hat mir zu Weihnachten das Buch "Suite francaise" von Irène Némirovsky geschenkt. Dabei geht es um Frankreich während der deutschen Okkupation - leider hat meine Oma die schlechte Angwohnheit, jedes Buch bevor sie es verschenkt selber einmal zu lesen und dann das Ende zu vorwegzunehmen. So auch hier geschehen, aber ich in dem Fall hätte mir auch ein Blick auf Wikipedia schon alles verraten.

Soundtrack?
Da wir die nächste Woche, wie ich dem Internet entnehme, primär mit Musik abgehalfterter Dschungelcamp-Bewohner beschallt werden (das Finale ist nämlich nächsten Samstag), greife ich lieber auf Altbewährtes zurück: Nach dem 20. Hören mag ich mittlerweile "If you wait" von London Grammar sehr gerne, anfangs erschien mir das alles zu ähnlich. Außerdem höre ich oft Lisztomania, weil der Berliner Kneipenchor das so wunderschön singt.
http://www.youtube.com/watch?v=d-_xqYp13Po

Was ich die Woche auf jeden Fall tun werde:
Meinen Schlitten einweihen, den ich zu Weihnachten bekommen habe. Und wenn's nur eine Trockenübung wird.

Keine Chance hat diese Woche:
Der Bundesligastart. Ist mir komplett wurscht aber schön, dass die Jungs darüber ihre Winterjauligkeit vergessen.

Wenn ich woanders sein könnte:
wäre das in einem Paralleluniversium, in dem niemand diese dämliche "Wir sind APO"-Kampagne der JuLis geteilt hätte. Seinen blanken Hintern zu fotografieren, scheint ja heute schon auszureichen um Publicity zu bekommen. Und ja, das regt mich so auf, dass ich darauf auch nicht verlinken werde!

Oh! Na? Nie!

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"Fapping" ist ein Slangausdruck für Selbstbefriedigung. Seit ein paar Monaten wächst im Netz eine Community, die sich "NoFap" nennt. Knapp 100.000 junge Männer tauschen sich darin über ihre Sucht nach Online-Pornos aus – und stellen sich der "ultimativen Herausforderung": einem Leben ohne Pornokonsum und Masturbation. Gegründet wurde die Bewegung von Alexander Rhodes, 24, einem Programmierer aus Pittsburgh. Er sagt, sein Leben habe sich mit der Abstinenz enorm verbessert.

jetzt.de: Alexander, wann hast du das letzte Mal einen Porno angeschaut?
Alexander Rhodes: Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich zähle die Tage nicht mehr – wie es ja viele Fapstronauten online tun. Es sind auf jeden Fall einige Monate. Ich lebe ein porno- und masturbationsloses Leben.

Würdest du sagen, du warst vorher süchtig?
Das ist ein starkes Wort. Man müsste wahrscheinlich tief in die Verhaltenspsychologie eintauchen, um zu klären, inwiefern man wirklich von Sucht sprechen kann. Aber ich würde sagen: Ich hatte ein sehr ernstes Pornoproblem. Wie groß es wirklich war, habe ich aber erst gemerkt, als ich aufgehört hatte, Pornos zu schauen.

Inwiefern?
Pornos brachten mich dazu, meine Lust über alles andere zu stellen – über Liebe, Zuneigung, Einfühlungsvermögen. Keine Pornos mehr zu schauen war der Versuch, diese Fähigkeiten zurückzubekommen.



Ein Leben ohne Online-Pornos und Masturbation - das ist die "ultimative Herausforderung", finden die "NoFapper"

Wie schwer ist dir das Aufhören gefallen?
Ich war ein wirklich hypersexualisierter Junge. Ich habe mindestens sechs mal am Tag masturbiert. Eine Woche oder ein Monat Pause sind da eine harte Nummer. Oh Mann, das war 'ne krasse Zeit! Der Slogan auf der Website heißt: "Mach mit bei der ultimativen Herausforderung". Den habe ich nicht einfach so gewählt.

Auf der Seite heißt es außerdem: "Erlange die Kontrolle über deine Sexualität und verwandle sie in Superkräfte!"
Das ist keinesfalls nur lustig gemeint. Es hängt damit zusammen, dass die Nutzer auf unserer Seite so unterschiedliche Erfahrungen machen. Viele haben berichtet, dass ihr Leben sich dramatisch zum Besseren gewendet hat. Für manche sind die Veränderungen minimal, aber für jemanden, der süchtig nach Pornos war und sehr viel masturbiert hat, fühlen sie sich an wie Superkräfte. Außerdem spielt es auf das Konzept der sexuellen Transformation an: Das Umlenken der Energie des menschlichen Sexualtriebs in andere Bahnen, um dein Leben insgesamt zu verbessern.

Hat das auch was mit Potenz zu tun?
Wenn du Geschichten von Fapstronauten liest, wirst du da viele Probleme und Symptome finden. Manche schreiben von Erektionsproblemen oder dass sie sich nicht trauten, auf Mädchen zuzugehen. Ich selbst litt unter etwas, das man "verzögerte Ejakulation" nennt. Ich konnte beim Sex in meinen Beziehungen nur schwer einen Orgasmus bekommen. Seit ich keine Pornos mehr schaue, hat sich das geändert. Darüber hinaus – und das ist mir auch wichtig – hat es meine Sichtweise auf Frauen verändert. In Pornos sind sie nur Objekte. Ich habe Frauen nicht respektiert. Ich hatte falsche Erwartungen, auch beim Sex.

Kann man also sagen: Ihr seid Jungs, die einen männlichen Trieb unterdrücken, um bessere Männer zu werden?
Gewissermaßen schon. Das ist ein bisschen paradox. Aber wenn du nicht exzessiv masturbierst, macht dich das zu einem besseren Partner. Ohne Pornos in meinem Leben ist es mir möglich, eine höhere emotionale Ebene mit meiner Freundin zu erreichen.

Geht es also eher ums Nicht-Masturbieren als ums Keine-Pornos-Schauen?
Das ist natürlich beides miteinander verflochten. Das kann von mir aus aber jeder selbst für sich definieren. Anfangs ging es nur darum, möglichst lange nicht zu masturbieren, mittlerweile ist es eine Community von mehr als 100.000 Leuten, und die haben nicht alle dieselbe Ausrichtung. Das mache ich auch auf der Website deutlich: Die Leute sollen sich ihre eigene Herausforderung suchen, selbst entscheiden, was sie tun oder nicht tun.

Am Anfang war "NoFap" nur ein Experiment auf einer kleinen Unterseite von Reddit.com. Du und ein paar andere wolltet eine Woche lang nicht masturbieren. Wie konnte daraus so eine große Bewegung werden?
Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Ich habe anfangs erwartet, dass sich nicht mehr als 20 Leute für meinen Eintrag interessieren würden. Deshalb bin ich immer noch jedes Mal geschockt, wenn wir wieder eine Zehntausendermarke knacken. Aber offenbar haben sich ziemlich viele Menschen lange nicht getraut, darüber zu sprechen, dass sie Probleme mit Pornos haben. Es wurde totgeschwiegen. "NoFap" hat eine coole Plattform dafür geboten, die nicht verbissen religiös ist, sondern sich auf persönliche Erfahrungsberichte stützt.

Diese Geschichten der Fapstronauten lesen sich zum Teil, als hätte alles Schlechte in ihrem Leben seinen Ursprung in Pornos und Masturbation gehabt, und alle positiven Entwicklungen hätten mit der Enthaltsamkeit zu tun. Ist das nicht etwas übertrieben?
Klar, viele übertreiben, was die Auswirkungen angeht. Pornokonsum ist oft auch nicht die Ursache, sondern ein Symptom. Die wahren Probleme werden erst sichtbar, wenn die Leute versuchen, ihren Konsum in den Griff zu bekommen. Es ist vielleicht sogar eine Art Placebo-Effekt. Viele Leute sagen, sie seien selbstbewusster, seit sie nicht mehr masturbieren – ein Zusammenhang, der stimmen kann oder auch nicht. Aber selbst wenn "NoFap" nur ein gigantischer Placeboeffekt wäre – mir wär’s vollkommen recht.

Die meisten Fapstronauten sind in deinem Alter oder jünger. Warum ist das Thema vor allem für Teenager und Jungs bis 25 so attraktiv?
Wir sind die Generation, für die Pornos immer schon verfügbar gewesen sind. Internet-Pornografie ist in dem Maße, wie sie jetzt zugänglich ist, ja noch relativ jung. Wir sind die ersten, die schon als Kinder und Pubertierende jederzeit massenhaft Pornos sehen konnten, also zu einer Zeit, in der sich die Sexualität entwickelt. Wer jetzt 40 ist, hatte in der Pubertät vielleicht ein paar Magazine. Er konnte selbst sexuelle Erfahrungen machen, Gewohnheiten und einen Bezug zu Sex entwickeln. Wir sind mit Youporn erwachsen geworden. Und jetzt haben wir mit den Auswirkungen davon zu kämpfen. Ich glaube, dass "NoFap" noch ganz schön wachsen wird. Wir sind schon groß – aber wir sind nichts im Vergleich zur Größe und Zahl der Pornoseiten und ihrer Nutzer.

Von Alkoholikern weiß man, dass sie ihr ganzes Leben gegen die Versuchung kämpfen müssen. Wie ist das bei dir?
Pornos ziehen mich nicht mehr an. Nur noch, wenn es mir schlecht geht. Pornos waren für mich immer eine Art Selbstmedikation, wenn ich gestresst war. In solchen Situationen fühle ich immer noch den Drang, Pornos zu konsumieren.



Alexander Rhodes, Programmierer und "NoFapper"

Es hat ziemlich lange gedauert, bis einigermaßen anerkannt war, dass Masturbieren keine Sünde oder Krankheit ist. Ist "NoFap" da nicht ein Rückschritt?
Es geht ja nicht um das Masturbieren an sich, das ist ja nicht ungesund. Wir verurteilen das auch nicht generell. Es geht um das exzessive Masturbieren. Wenn du es so oft machst, dass es den Rest deines Lebens beeinflusst. Und es geht um die Mentalität dahinter, die sich auch in unserer Gesellschaft wiederfindet: Der Gedanke, dass ein Orgasmus zum täglichen Leben so sehr dazugehört wie Essen und Atmen, ist einfach Quatsch.

Würdest du Internetpornos verbieten, wenn du könntest?
Auf keinen Fall! Ich bin strikt gegen jegliche Form der Regulierung des Internets. Man sollte in den Bereichen Erziehung und Schule ansetzen.

Wie denn?

Ich glaube, dass man im Rahmen des Sexualkundeunterrichts das Thema Pornos nicht ausklammern, sondern auf das Gefahrenpotenzial hinweisen sollte. Ich sage nicht, dass man Kindern und Jugendlichen predigen sollte, niemals einen Porno anzuschauen und niemals zu masturbieren. Aber die Kids sollten eine Ahnung haben, worauf sie sich da einlassen.

Wie hoch ist eigentlich der Frauenanteil bei euch?
Fünf Prozent sind Frauen und Mädchen.
Haben die eine andere Motivation als die Jungs?
Das ist eine Frage, die wir so nicht explizit untersucht haben. Aber nach allem, was ich aus Gesprächen weiß, haben sie dieselben Probleme. Es ist also ein menschliches Problem – nicht nur ein männliches.

Wisch und weg

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Ich wusste über Anna nichts. Außer dass sie 26 war, honigblonde Haare und eine lange, schmale Nase hatte, die ihr eine feenhafte Schönheit verlieh. Sie trug ein hellblaues Jeanshemd mit Bubikragen. Ich sah den Schatten, den ihre Wangenknochen symmetrisch auf ihr Gesicht legten. Ich schob Annas Foto nach rechts. Mein Herz klopfte drei besonders feste Schläge. Dann vibrierte mein Handy: "It’s a match!"

Ich hatte seit zwei Tagen eine App auf meinem Smartphone, über die seit Herbst alle meine Bekannten reden. Vor allem die Singles. Aber auch Freunde mit festen Partnern gucken fasziniert, wenn sie davon hören. Tinder gilt als die oberflächlichste Dating-App der Welt. Es gibt dort nur Fotos, Vornamen, Alter und Entfernung. Man entscheidet anhand von Äußerlichkeiten, ob man jemanden interessant findet, der gerade in der Nähe ist. Ja? Dann wischt man das Foto rechts. Nach links wischen heißt: Nein danke, der Nächste, bitte.

Was es bei Tinder nicht gibt: Steckbriefe, Hobbies, Sternzeichen. Auch keine Algorithmen wie bei den großen Datingportalen, die mögliche Übereinstimmungen und Erfolgschancen errechnen. Wer sich bei Tinder anmeldet, muss nicht in Fragebögen erklären, ob er Langschläfer ist, Katzen oder Opernbesuche mag. Eine schöne Nase und ein guter Hemdkragen reichen. Wenn zwei User sich gegenseitig nach rechts wischen, gibt es einen "Match". Sie dürfen dann miteinander chatten.



Ja, nein, nein, ja: Tinder funktioniert wie ein Rundgang im Club.


Die feenhafte Anna war nicht mein erster Treffer. Der erste war Susanne. Wegen ihres Schmollmunds hatte ich ihr Foto nach rechts geschoben. "Hi" schrieb ich, der beste Anmachspruch, der mir einfiel. Susanne hat nie geantwortet. Der zweite Treffer war Carolin, sie zeigte auf ihrem Foto Lachgrübchen und wunderschöne große Zähne. Diesmal hielt ich mich zurück, wartete, dass sie den ersten Satz schrieb, aber der kam nie, was mich auch nicht weiter störte, weil mich Tinder kurz darauf mit Laura verband.

An Laura interessierten mich vor allem die zwei sehr vollen Brüste, die sie angenehm unprätentiös unter einem Shirt mit abgeschnittenen Ärmeln präsentierte. Wir chatteten einen Abend, dann merkte ich, dass sie die beste Freundin der Exfreundin eines meiner besten Freunde war. Ich schrieb ihr nicht mehr, die Trennwand zur echten Welt war mir zu dünn. Und schließlich wartete einen Klick entfernt ein endloser Stapel weiterer Fotos mit weiteren Brüsten. Außerdem war in der Zwischenzeit Anna aufgetaucht. Sie schrieb mir, ihr erster Satz war: "Match!" Wir verabredeten uns in einem Café.

Tinder funktioniert wie ein Rundgang durch einen Club: Man guckt, wer da ist, und entscheidet im selben Augenblick, wer einem gefällt. Wenn jemand zurücklächelt, startet man ein Gespräch. Wenn man sich langweilt, geht man weiter. Es ist das Prinzip von Speed-Dating, zu Ende gedacht: Kennenlernen wird destilliert auf das allererste Gefühl im Bauch, bevor auch nur ein Wort gesagt wird.

Nach drei Tagen war ich süchtig. Ich spielte mit der App, wenn ich auf die U-Bahn wartete, im Aufzug stand oder auf dem Klo saß. Ich benutzte Tinder an Heiligabend bei meinen Eltern und wenn ich an der Bar wartete, dass eine Freundin von der Toilette zurückkam. Wenn mein Handy vibrierte, weil ich einen neuen Treffer hatte, griff ich danach, selbst wenn ich gerade in einer Konferenz saß oder Fahrrad fuhr.

Oberflächlich? Von wegen: Ein Bikini-Foto vor dem Badspiegel verrät mehr als jeder Fragebogen.



Tinder, auf Deutsch "Zunder", wurde vom US-Datingportal Match.com entwickelt, es ist sozusagen deren Einstiegsdroge, um an Nachwuchs zu kommen. Als Bild-Chefredakteur Kai Diekmann vergangenes Jahr ein paar Monate im Silicon Valley verbrachte, erzählte er zwischendurch dem Spiegel von der App, die er dort entdeckt hatte – "die verrücktesten Dinger kommen aus L.A.", sagte er. Im Herbst feierte dieses Ding seinen ersten Jahrestag. Zu diesem Zeitpunkt verknüpfte Tinder täglich zwei Millionen Matches, insgesamt waren 13 Milliarden Fotos hin- und hergewischt worden. Es ist die am schnellsten wachsende Dating-App der Welt.

Kein Wunder. Tinder fühlt sich echter an als andere Flirtseiten, weil Vornamen und Fotos automatisch vom Facebook-Account eingelesen werden, dem Goldstandard der Authentizität im Netz. Und während Datingportale wie Parship oder Friendscout mit psychometrischer Genauigkeit werben, folgt Tinder dem natürlichen Instinkt von Singles: sich einfach mal umsehen. Ja, nein, ja, nein. Ein namhafter Psychologie-Professor schrieb vor ein paar Tagen im britischen Guardianüber Tinder: "Es stellt sich gerade heraus, dass die Menschen sehr viel oberflächlicher sind, als Psychologen dachten."

Wir klicken lieber in einer Minute durch die Fotos von 30 Menschen, als 30 Minuten lang das Profil eines potenziellen Partners zu lesen. Natürlich ist das oberflächlich, aber es ist naiv, das schlimm zu finden: Wer sich auf Facebook "Katharinchen" nennt, ein Foto mit Maßkrug hochlädt oder sich im Bikini vor dem Badspiegel in Szene setzt, transportiert wichtige Teile seiner Persönlichkeit ungefilterter als in jedem Fragebogen. Warum sollte man sich mit Lieblingsbands oder Lebensmottos befassen, wenn man weiß, dass man Mädchen mit Dreadlocks oder Männer mit Schablonenbart ohnehin nicht mag?

In drei Monaten hat mir die App 38 Matches vorgeschlagen. Ich startete 38 unverbindliche Unterhaltungen mit fremden Frauen aus meiner Nachbarschaft. Drei Viertel davon dauerten nur zwei Nachrichten lang. Meist weil ich Menschen, die Zwinker-Emoticons verwenden, kaum noch ernstnehmen kann, selbst wenn sie schwindelerregend tolle Augen haben. Oder weil sich herausstellte, dass Antje zwar offenbar im Besitz des schönsten Lächelns von Schwabing ist, aber noch nie was von Ironie gehört hat, und Lena zwar hinreißende Tätowierungen auf den Handgelenken trägt, aber grundsätzlich "ned" schreibt, wenn sie "nicht" meint. Hätte ich Antje oder Lena in einer Bar getroffen und angesprochen, wäre ich irgendwann aufs Klo geflüchtet.

Getroffen habe ich übrigens nur Anna. Nach zwei Gläsern Weißwein mochten wir uns. Seither sehen wir uns lose alle paar Wochen. Vielleicht frage ich sie bald mal nach ihrem Nachnamen.

Der Sonntag mit... Adrian Ruf, MMA-Kämpfer

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Name: Adrian Ruf
Alter: 25
Geburtsort: Berlin
Wohnort: Berlin
So erkläre ich meinen Job meiner Oma: "Ich betreibe die sehr progressive Kampfsportart Mixed Martial Arts, die sowohl Kickboxen, als auch Ringen und Bodenkampf mit einschließt, was die Kämpfe sehr spannend und strategisch macht."
Mein liebster Wochentag: Dienstag, da stehen zwei harte Sparringseinheiten auf dem Programm, auf die ich mich die ganze Woche freue.
Aktuelle Projekte: Mein dritter Pro-MMA-Kampf bei "We Love MMA" am kommenden Samstag in der Köpi-Arena in Oberhausen. Ansonsten: an so vielen BJJ-Wettkämpfen wie möglich teilnehmen und damit ein Ticket zu den Weltmeisterschaften gewinnen.








8:00 Uhr: Mein Tag beginnt mit einem leckeren Green Smoothie. Das ist das eigentliche "breakfast of champions".




8:30 Uhr: So viele Zutaten benötige ich für mein morgendliches Oatmeal. Gut befrühstückt starte ich meinen Tag.




9:15 Uhr: Im MMA werden Techniken aus vielen Sportarten benutzt, vielleicht finde ich ja im "Zombie Survival Guide" Anregungen.




10:15 Uhr: Vor dem Training muss ich noch ein paar letzte Zutaten für das Mittagessen einkaufen, da ich Samstag wieder zu faul war. Das wird in meinem Lieblingssupermarkt "Veganz" erledigt.




11:00 Uhr: Endlich Training - am Sonntag steht für mich zur Abwechslung nur eine Einheit auf dem Plan: Brazilian Jiu-Jitsu. Dort konzentriere ich mich auf den Bodenkampfaspekt des MMA, denn da fühle ich mich sowieso am wohlsten.




13:25 Uhr: Auf dem Nachhauseweg reflektiere ich mein heutiges Training im Trainingstagebuch, damit auch alles für den kommenden Wettkampf sitzt.




14:00 Uhr: Nach dem Training gibt es erstmal ein Eisbad zur Regeneration, ein Aspekt, auf den ich ruhig verzichten könnte: Ich hasse kalte Bäder!




14:12 Uhr: Beim Wieder-warm-werden hilft eine große Kanne Tee.




15:10 Uhr: Während ich das Mittagessen vorbereite, gibt es diesen Super Crunchy Peanut Butter Clif Bar.




15:50 Uhr: Endlich Mittagessen. Ein paar Freunde sind vorbeigekommen zur Pasta-Party. Ich koche immer sehr gerne, besonders wenn Gäste kommen. Was gibt es? Spaghetti Bolognese - natürlich vegan.




17:20 Uhr: Als Dank wird noch ein Ständchen gespielt.




21:00 Uhr: Beim anschließenden Spieleabend gibt es mehr Tee und "Die Siedler von Catan".




23:58 Uhr: Nachdem sich alle verabschiedet haben und ein toller Abend zu Ende gegangen ist, arbeite ich noch ein bisschen an meiner Facebook-Seite.




2:25 Uhr: Zu guter Letzt werden noch die Hausaufgaben für die kommende Uniwoche erledigt und dann geht es ab in die Falle.

Studenten zu Handwerkern

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Wer Abitur hat, der soll studieren. Heißt ja immerhin „Hochschulreife“, dann also bitte auch an die Hochschule. Das ist eine ziemlich verbreitete Haltung. Klar, es ist ja auch ein Privileg, studieren zu können. Es ist bloß nicht für jeden das Richtige. Und darum gibt es eine Menge Menschen, die sich durch Seminare und Vorlesungen quälen, in der Bibliothek und bei Klausuren leiden und mit einem Ausbildungsberuf vielleicht tausend Mal glücklicher geworden wären. Manche ziehen das Studium trotzdem durch, viele brechen es aber auch ab, derzeit etwa 30 Prozent aller Bachelorstudenten. Sie müssen sich dann auf die Suche nach einer Ausbildung machen.  



Statt Akademiker vielleicht lieber Goldschmied werden?

Bildungsministerin Johanna Wanka möchte ihnen diese Suche nun erleichtern. Sie hat sich einen Auffang-Plan ausgedacht für die Studenten, die besser nie welche geworden wären: Wenn sie einen handwerklichen Beruf lernen, sollen ihre Studienleistungen anerkannt und die Ausbildung verkürzt werden. Der Kontakt zwischen den Handwerkskammern und Unternehmen und den Hochschulen soll enger werden, sodass Studienabbrecher quasi vor den Toren der Uni abgeholt werden. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, findet die Idee gut, denn das Handwerk brauche diese „ausbildungsstarken Jugendlichen“. Wanka will Pilotprojekte starten und mit ihnen den Plan in der Praxis testen. Wann das passieren soll, steht noch nicht fest.  

Eigentlich klingt das ja ganz gut. Vielleicht fällt es manchen Studenten ja leichter sich einzugestehen, dass die Uni nichts für sie ist, wenn sie wissen, dass sie nach einem Abbruch bald eine Ausbildung finden und sich die bisher investierte Zeit dort sogar rechnet. Andererseits könnten die anderen Auszubildenden es auch unfair finden, wenn Studienabbrecher einen Vorteil haben.  

Was hältst du vom Plan der Bildungsministerin, aus Studienabbrechern Handwerker zu machen? Findest du das sinnvoll und glaubst du, dass der Plan aufgeht – ganz ohne Missgunst unter Auszubildenden? Und was denkst du, müsste sich ändern, damit nicht alle Abiturienten denken, der logische Weg nach dem Gymnasium sei der an die Uni?

Kungeln? Nicht bei uns

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Hans-Olaf Henkel, der frühere BDI-Präsident, wird für das Europaparlament kandidieren - viele Delegierte der AfD sind stolz darauf.

Um 9.40 Uhr gibt es die erste Kampfabstimmung; es geht um den Posten des stellvertretenden Versammlungsleiters. Und kurz nach elf entscheiden 334 Delegierte per Kartenzeichen über den Sitzplatz des Parteivorsitzenden – ob er vorne auf der Bühne bleiben darf. Die Alternative für Deutschland (AfD) will anders sein als die „Altparteien“, so hatte es Bernd Lucke zur Begrüßung gesagt; bitte schön, das kann er haben.

Offenbar ist so etwas unvermeidlich, wenn eine neue Partei anfängt. Sie speist sich ja nicht nur daraus, dass ihre Mitglieder der bisherigen Politik grundsätzlich widersprechen, sondern auch aus der Ablehnung, die sie deren Abläufen entgegenbringen. Die AfD hat in eine Sporthalle nach Aschaffenburg geladen, um ihre Kandidaten für die Europawahl am 25. Mai aufzustellen. Diese Wahl wird entscheiden, ob die Partei mittelfristig von Belang sein oder bald wieder vergessen wird: Wegen des neuen Wahlrechts dort muss sie bloß drei Prozent schaffen, um ins Parlament zu kommen; und Unbehagen an der EU ist schließlich ihr Kernthema. Das soll gelingen, jedoch keinesfalls, indem man sich die Usancen der anderen zu eigen macht: „Bitte entscheiden Sie nach Kompetenz, nicht nach Landsmannschaft“, ruft Lucke, der Vorsitzende, gleich am Morgen in die Halle, nachdem ihm von Absprachen berichtet worden war: „Wählst du meinen, wähl’ ich deinen.“ Buh-Rufe und Pfiffe; eine neue Partei will immer unbedingt basisdemokratisch sein. So war es bei den Grünen, so ist es bei den Piraten und der AfD.

Das Spannende ist, wie lange sie das jeweils aushalten. In Aschaffenburg darf Bernd Lucke seinen Bühnenplatz behalten, er wird ohne Konkurrenten zum Spitzenmann gekürt, mit 85,6 Prozent. Auch Platz zwei wird relativ zügig besetzt. Hans-Olaf Henkel, 73, war in einem früheren Leben der Deutschland-Chef von IBM sowie Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Wenn er von Lucke vorgestellt wird, wenn er selber etwas sagt: Immer stehen viele Delegierte zum Klatschen auf, sie strahlen ihn an. „Dass solch ein Mann uns für würdig erachtet ...“, so sagt es zwar keiner, aber in den Augen steht es geschrieben. Zwei Männer wagen eine Gegenkandidatur. Henkel siegt mit 78Prozent.

Aber dann. Für Platz drei gibt es sieben Bewerber, für Platz vier: 15. Insgesamt haben 100 Mitglieder ihre Kandidatur hinterlegt; hinzu kommen solche, die sich erst in der Halle dazu entschließen. Jeder Bewerber bekommt fünf Minuten Redezeit, plus die Chance, auf zwei Fragen zu antworten. Macht 500 Minuten Vorstellungszeit, ohne die Fragen. Also acht Stunden und 20 Minuten. Hans-Olaf Henkel, der in den vergangenen Jahren in Talkshows und Büchern von Beruf Hans-Olaf Henkel sein durfte, schaut sich dies aus Reihe eins des Gästeblocks an; äußerlich ohne Zeichen von Ungeduld, nur sein Grinsen bekommt er nicht unterdrückt. Um 16:04Uhr, nach sechseinhalb Stunden, erklärt ein abgeschlagener Bewerber für Platz drei seinen Verzicht auf die Stichwahl – „um es zu beschleunigen“. Dafür erhält er mehr Beifall als nach seiner Vorstellungsrede.

Um Inhalte geht es an dem Tag weniger, dafür ist ein Parteitag im März vorgesehen. Aber natürlich wird die Partei beäugt, was sie will, wer in sie drängt und ob sie dies geschehen lässt. Der Vorsitzende Lucke argumentiert diesmal nicht ausdrücklich gegen den Euro. Er verlangt auch nicht den Austritt Griechenlands aus der Währungsunion. Stattdessen lobt er, was er die „Errungenschaften“ der EU nennt: Binnenmarkt, keine Grenzkontrollen mehr, Freundschaft der Nationen. Über den Euro redet er allenfalls indirekt, er spricht von „Entwicklungen zum Nachteil unseres Landes und seiner Bürger“, es mündet in den Satz: „Deshalb prüfet alles, und das Gute behaltet!“ In der neuen Emnid-Umfrage kommt die AfD auf sieben Prozent.

Bei den anderen Rednern gibt es die übliche Verteilung: Bedenkenswerte, Schwätzer, Ungeschliffene. Eine sagt, dass es in Europa nun mal kein EU-Volk gebe, und wer darauf hinweise, sei deshalb noch lange kein Nationalist. Der nächste empfiehlt sich mit dem Hinweis, er sei heterosexuell („weil es in diesen Tagen etwas Besonderes zu sein scheint“); vielleicht ein paar zu viele fragen die Kandidaten, wie sie es mit „den Asylanten“ hielten. Ihre Diktion verrät in der Regel den Engherzigen, weniger den verkappten Nazi. Bis 21Uhr sind die ersten sechs Plätze auf der Liste besetzt, vier Männer, zwei Frauen. „20 bis 30“ Kandidaten sollen es aber sein; zu deren Kür wird nun für Samstag eine Halle in Berlin gesucht. Aus der in Aschaffenburg müssen sie raus. Sie ist anderntags für einen Ringkampf gebucht.

Plädoyer eines Unbeugsamen

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Protest unerwünscht: Polizisten führten während der Verhandlung Unterstützer Xu Zhiyong ab, die in der Nähe des Gerichtsgebäudes ausharrten.

Der Rechtsanwalt Xu Zhiyong, einer der prominentesten Bürgerrechtler Chinas, ist am Sonntag in Peking zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Der als moderat geltende Xu hatte zuletzt für die Offenlegung der Vermögensverhältnisse von Beamten und Funktionären der Kommunistischen Partei gekämpft. Das Gericht befand den 40-Jährigen für schuldig, mit der Organisation von „Menschenansammlungen die öffentliche Ordnung gestört“ zu haben. Menschenrechtsgruppen verurteilten das Verfahren als Schauprozess. Amnesty International nannte den Prozess eine „Schande“, der Asiendirektor von Human Rights Watch (HRW) sprach von einer „Farce, die der Anti-Korruptions-Kampagne des Staatspräsidenten Hohn spricht“. Am Sonntagabend wurde zudem bekannt, dass Chinas Staatssicherheit Hu Jia abgeführt hatte, einen weiteren prominenten Aktivisten.

Der am Sonntag verurteilte Xu Zhiyong ist Mitbegründer der 2012 ins Leben gerufenen „Neuen Bürgerbewegung“. Neben Xu waren in der vergangenen Woche sechs weitere Mitglieder der Bewegung vor Gericht gestellt worden. Einer der Angeklagten, der Milliardär und Philanthrop Wang Gongquan, wurde gegen Kaution freigelassen. Es sind die bedeutendsten Prozesse gegen Bürgerrechtler seit dem Verfahren gegen den Schriftsteller Liu Xiaobo 2009, der ein Jahr später den Friedensnobelpreis zugesprochen bekam und bis heute im Gefängnis sitzt.

„Xu ist unschuldig“, sagte sein Anwalt Zhang Qingfang der Süddeutschen Zeitung. „Er hat immer auf friedliche und rationale Weise in der Bürgerbewegung gearbeitet, selbst ein Tag in Haft wäre inakzeptabel.“ Das Urteil sei ein „Schlag ins Gesicht für alle Aktivisten, die für eine gemäßigte Botschaft standen“, sagte Maya Wang von HRW. Sein Anwalt zitiert Xu Zhiyong mit den Worten, das Urteil zerstöre „den letzten Rest an Würde, den Chinas Justiz noch hatte“. Xu habe seinen Richtern gesagt: „In den vergangenen zehn Jahren hat die Gesellschaft Fortschritte gemacht, aber nicht das autoritäre System.“

Die Inhaftierung und der Prozess kommen ziemlich genau ein Jahrzehnt nachdem Xu Zhiyong einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde: Im Jahr 2003 hatte er gemeinsam mit Mitstreitern einen Appell an die Staatsführung veröffentlicht, einem System das Ende zu bereiten, das es der Polizei erlaubte, Bürger willkürlich zu inhaftieren und deportieren, bloß weil sie nicht in einer Stadt registriert waren. Tatsächlich schaffte die Regierung kurze Zeit später das System ab. Später setzte sich Xu für die Opfer des Milchpulverskandals 2008 ebenso ein wie für Kinder von Wanderarbeitern, denen in den großen Städten Chinas bis heute der Zugang zu Bildung verwehrt wird. In seinem Prozess hatte Xu darauf verzichtet, sich selbst zu verteidigen. Er blieb stumm aus Protest gegen die Richter, die es seinem Anwalt unter anderem verwehrt hatten, Zeugen aufzurufen. Allerdings hatte er ein Schlussplädoyer vorbereitet, dessen weitere Verlesung ihm der Richter allerdings nach nur zehn Minuten untersagte.

Xus Plädoyer fand jedoch schnell den Weg ins Internet, wo es weiter verbreitet wurde. Es ist ein Manifest für einen friedlichen Wandel in China, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für eine Gesellschaft, die in „Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe“ leben soll. Xu warnt vor der wachsenden sozialen Ungerechtigkeit in China, vor der klaffenden Schere zwischen Arm und Reich und der grassierenden Korruption. Vor allem den Kampf gegen diese hatte sich die von ihm 2012 mitbegründete „Neue Bürgerbewegung“ auf die Fahnen geschrieben. Der Zorn auf korrupte Funktionäre ist groß in China, die Bewegung war schnell gewachsen, zählte zuletzt mehr als 5000 Mitglieder. In mehreren Städten machte sie mit kleinen Protesten von jeweils kaum mehr als ein paar Dutzend Teilnehmern auf sich aufmerksam, welche immer wieder die Parteifunktionäre zu Transparenz aufforderten. In der Urteilsbegründung hieß es, die Umstände seien „schwerwiegend“, unter anderem, weil Demonstranten „Banner entfaltet“ und „Chaos“ geschaffen hätten. Das Urteil gilt Menschenrechtlern als Warnsignal an alle, die versuchen, sich als Zivilgesellschaft außerhalb der Partei zu organisieren.

In seinem Plädoyer erwähnt Xu Zhiyong seinen christlichen Glauben, zudem spricht er über die Geburt seiner Tochter, die am 13.Januar zur Welt kam. „Meine Entscheidung kommt zu einer Zeit, da mein Kind gerade erst geboren wurde, da meine Familie mich am meisten braucht und ich mich an ihre Seite sehne. Nach Jahren, in denen ich Zeuge des bitteren Kampfes der Unschuldigen und Unterdrückten wurde, bin ich nicht in der Lage, Herr meines eigenen Kummers zu sein – ebenso wenig kann ich, so sehr ich auch möchte, schweigen.“

Nachrichten aus dem Netz

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Statt zentrale Server zu nutzen, bilden sich in immer mehr Städten lokale Netzwerke.

Der Abgesang kommt von bemerkenswert unterschiedlichen Stellen. Menschen, deren Zukunftsoptimismus unerschütterlich schien, schütteln verbittert die Fäuste. In Berlin tagte am Wochenende ein Teil der Netz-Elite und diagnostizierte einen „Einbruch der Dunkelheit“. Auf der Suche nach Möglichkeiten der Emanzipation der Nutzer kam man wieder einmal auf das Tor-Netzwerk zu sprechen. Das wird aber oft zum Drogen-Verticken benutzt und ist ebenfalls kein Instrument herrschaftsfreier Kommunikation. Amerikanische und russische Geheimdienste sitzen auch hier auf den Knotenpunkten und protokollieren die Verbindungen.

Derweil gründete sich während des Weltwirtschaftsforums eine von höchsten Stellen abgesegnete Arbeitsgruppe zur Rettung des Internets. Und nachdem ein amerikanisches Gericht in einem Grundsatzurteil Mitte Januar die Netzneutralität faktisch gekippt hat, reden auch vermehrt Unternehmen mit, die traditionsgemäß nicht zu den größten Verteidigern eines unkontrollierten Internet gehören. Etwa die Video-Dienste Youtube und Netflix, die um ihr Geschäft fürchten, wenn Internet-Service-Provider den Transport großer Datenmengen sanktionieren können. Schon bald werden die Datenströme wohl nicht nur überwacht, sondern auch kontrolliert und eingeschränkt.

Hoffnung macht da eine Nachricht aus dem amerikanischen Städtchen Burlington. Hier schafft man sich mal eben ein eigenes Internet. Die sogenannte Civic Cloud wird im Ort selbst betrieben, die komplette Infrastruktur von den Servern bis zu den Kabeln gehört den knapp 40 000 Einwohnern. Als kleiner Bonus ist das Burlington-Netz dank seiner Glasfasern etwa hundert mal schneller als das Internet im nationalen Durchschnitt. Beispiele für solche lokale, verteilte, sogenannte Mesh-Netzwerke gibt es viele. Das RedHook-Wifi in Brooklyn etwa, und auch die deutsche Freifunk-Initiative, die in jeder größeren Stadt ein freies Netz betreibt. Selbst im afghanischen Dschalalabad existiert ein Mesh-Netzwerk, ihre Sender-Stationen basteln die Betreiber aus Schrottteilen. Die Vorteile sind immens. Anders, als im Web, dessen Daten über große Verteilerstationen wie den Frankfurter DE-CIX geleitet und dort abgehört werden, müsste man, um Kontrolle über ein Mesh-Netzwerk zu erlangen, jeden einzelnen Knoten kontrollieren. Das Netz kann sich leicht an unterschiedliche Datenaufkommen anpassen. Und umsonst ist es auch.

Ein anderes Internet ist also möglich. Die zu überwindende Hürde ist das Verlassen der eigenen Komfortzone – es ist eben etwas anstrengend, die Couch zu verlassen und einen eigenen Knoten auf dem Balkon oder dem Dachfirst zu installieren. Dafür winkt aber eine immense Belohnung. Der Nutzer wird vom bloßen Empfänger zum Sender.
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