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Jungs, warum könnt ihr euch so viel Blödsinn merken?

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Es geht um Mehmet Scholl, um seinen Schwanz und den kleinen Ich-bin-nie-zufrieden-Mann im Kopf. In "Lammbock" erklärt Moritz Bleibtreu, wie Jungs ticken. Und das zeigt auf mehreren Ebenen, wie seltsam eure Hirne sind: 

http://www.youtube.com/watch?v=r1l69fKeNsE 

Denn ich kenne nur sehr wenige Jungs, die diese dreiminütigen philosophischen Ergüsse nicht im Schlaf herunterbeten oder zehn Homer Simpson Weisheiten auf Knopfdruck abrufen können. Ganz zu schweigen von Fight Club. Mühelos rezitiert ihr 139 Minuten lang sowohl Edward Norton als auch Brad Pitt. Dazu kennt ihr hunderte Witze. Zu jeder Gelegenheit. Über jede Randgruppe, unter jeder Gürtellinie. Immer schon. Früher wart ihr die Klassenclowns, heute seid ihr die Alleinunterhalter bei jedem Kneipenabend. Ich dagegen kann genau einen Witz erzählen. Der handelt von zwei Vampiren in einer Bar, Tee und einem Tampon. Bei meinen Zuhörern ruft der allerdings eher eine angewiderte Grimasse als Lachen hervor.  

Wie macht ihr das? Erstellt ihr Listen mit potentiellen Sprüchen in euren Hinterköpfen? Brennen sich die Zitate einfach ins Gehirn ein, nachdem ihr euch Filmszenen 20 Mal bei YouTube angesehen habt? Speichert ihr sie bewusst, um zu einem späteren Zeitpunkt damit prahlen zu können, um unterhaltsam zu sein?  

Versteht uns nicht falsch. Wir mögen es, wenn ihr uns zum Lachen bringt, wenn ihr genau in dem Moment eine Pointe setzt, dass uns die Apfelschorle aus der Nase schießt. Weil es unsere Welt einen kurzen Augenblick glücklicher macht. Manchmal können wir aber auch nur die Augen rollen, wenn ihr euch, zum Beispiel, wieder über die Dummheit von Blondinen amüsiert. Weil eure Witze immer andere treffen, nie euch selbst. Und manchmal werden wir wütend, weil ihr euch zwar sämtliche Pulp-Fiction-Sprüche merkt, unsere Geburtstage aber vergesst.

Ach so: Und weil ihr ständig nach Mädchen sucht, die euch witzig finden. Die euch anhimmeln und euch in eurem Selbstbild bestätigen. Das steckt doch auch dahinter, wenn ihr euch sov iel Blödsinn merkt, oder? Wer Humor hat, hat die Macht?  

Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von elias-steffensen.

[seitenumbruch]

Ich habe dazu nur eine These anzubieten. Sie ist sehr theoretisch – aber dafür lang. Und sie verdankt sich auch noch einer Hospitanz beim Feuilleton der FAZ. Ein Redakteur, der absolut exakt so aussieht, wie man sich einen Redakteur dort vorstellt, hatte einen auf sehr spezielle Art klugen Text über einen auf sehr allgemeine Art dummen Film geschrieben (es ging um das wiederkehrende Motiv des Saturn – also des Gottes - und ich habe ihn nicht verstanden). Und aus irgendeinem Grund wollte er wissen, wie ich diesen Text fand.  




Ich geriet also ins Stammeln und näselte etwas, das sinngemäß meinte: "Ich bin unsicher, ob der Regisseur den Gedanken tatsächlich in der geisteswissenschaftlichen Stringenz verfolgt hat, die Sie entdeckt haben wollen. Weil: Der Film ist ja ziemlich blöd." Was folgte, war ein verstörend geistreicher Vortrag darüber, wie exakt Filmproduzenten – zumal in Amerika – ihre Klientel kennen und jedes noch so kleine Detail darauf ausrichten.Dass es deshalb feuilletonistische Aufgabe sei, diese Details zu ergründen und zwar bis in die hintersten Winkel der Ausstattung, und all das kulminierte in dem denkwürdigen Satz: "Wenn in einem Film ein Huhn auftaucht, dann können Sie sicher sein, dass es das huhnigste Huhn der Welt ist." Weil Zufälle, die gäbe es bei einem solchen Film nicht.  

Und hier ist dann also auch schon mein Punkt: Wir können uns das merken, weil Filme- und Serienmacher im Bestreben, Geist, Humor oder Wertekanon einer Zeit einzufangen, sehr genau wissen was sie tun. Wenn sie also einen Jugendfilm drehen, der sich an ein eher männliches Publikum mit einsetzendem Bartwuchs richtet, dann ist ihnen in aller Regel sehr klar, wie ein Dialog, das Auto, in dem er stattfindet, die Straße, in der das Auto steht, und die Stadt, in der die Straße liegt, aussehen müssen, damit das alles einen Nerv beim Zielpublikum trifft. Denn nein, wir machen uns natürlich keine Listen, wir lernen nichts auswendig, wir merken uns Blödsinn genau so, wie jeder sich Blödsinn merkt: aus Versehen.  

Weil, es stimmt ja, was Hirnforscher und diese seltsamen Wissenschafts-Comedians sagen: Ein vergnügtes Hirn lernt besser. Deshalb bleiben die Sätze von Homer (der Comicfigur) eher hängen als die von Homer (dem Griechen), deshalb kann der Kollege S. den "Lambock"-Monolog komplett rezitieren und ich mir nicht merken, wie die Hauptstadt von Nigeria heißt.  

Warum das bei uns nun ausgerechnet bei Komischem funktioniert, darüber kann ich nur spekulieren. Ein Faktor ist sicher die männliche Dominanz in der Filmbranche, die nun mal eher männliche Blickwinkel in ihre Werke bringt. Deshalb hat man es ja tatsächlich als kleine Sensation empfunden, dass in "Brautalarm" oder "Taffe Mädels" Frauen die Protagonisten in Haudrauf-Buddy-Komödien sind. Aber dazu ist es wohl auch so, dass das mit dem Humor für uns sehr gut funktioniert. Da hast du einen unbestreitbaren Punkt gemacht: Ihr könnt nämlich noch so viel mit den Augen rollen: Wenn ihr erst mal wirklich herzhaft über unseren Blödsinn gelacht habt, ist der Weg in eure Herzen oder Betten schon ein ganzes Stück kürzer geworden.

elias-steffensen

Nach Hause telefonieren

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Angestrichen:
„...and yet, as US history professor Susan J. Matt recently pointed out in the
New York Times, certain kinds of modern personality find it better to suppress or eliminate the backward glance. Explicit discussions of homesickness are now rare, Matt writes, because the emotion was typically seen „as an embarrassing impediment to individual progress and prosperity. This silence makes mobility appear deceptively easy."

Wo steht das?
In einem Essay des Autors Ian Jack auf der Website der englischen Zeitung the guardian. Der Artikel heißt: "Skype and cheap calls give the illusion of closeness, but homesickness is still real".

Worum geht es?
Um Heimweh. Für viele, vor allem für junge Menschen, ist es mittlerweile fast schon zu einer Art Pflicht geworden, sehr viel in der Welt unterwegs sein zu wollen, sei es durch Reisen, Auslandssemester oder Jobs im Ausland. Die Äußerung, die eigene Stadt oder das eigene Dorf würden einem als Lebenskosmos eigentlich genügen, ist nicht mehr besonders prestigeträchtig. Man könnte sagen, das Unterwegssein, die Neugier und die grenzenlose Weltoffenheit ist zum Imperativ der Moderne geworden. Nicht einmal Fernbeziehungen sind noch etwas Besonderes, es gibt Facebook, Skype, Snapchat, iMessage, WhatsApp, es gibt sogar Knutschkissen und andere seltsame Fernfummelhilfsgeräte. In Anbetracht dieser Lebensweise kommt einem der Begriff des Heimwehs fast schon aus der Zeit gefallen vor.

Jack stellt in seinem Text nun zuerst einmal die Frage, ob und was eigentlich die technischen Möglichkeiten des Kontakthaltens mit dem immer mobiler werdenden Menschen machen. Er habe gerade in einem der roten Londoner Doppeldecker-Busse gesessen, „a good place to listen to nostalgia", so schreibt er, als er sich diese Frage stellte. Denn oft höre er dort hinter und vor sich auf den Sitzen Somalier, Bengalen, Russen, Bulgaren, Moldavier oder Letten in ihrer Muttersprache telefonieren. Sorgen die Möglichkeiten des unbegrenzten Kontakthaltens für ein so starkes Gefühl der Nähe, dass Heimweh tatsächlich überflüssig wird? Oder ist es genau andersherum und die Migranten erleben ihre Abwesenheit durch den intensiven Kontakt mit den Zurückgelassenen umso deutlicher? Ganz so, wie man oft Eltern von Internatskindern warnt, sich bitte nicht zu häufig zu melden, da das Kind sonst zu oft daran erinnert wird, dass zu Hause eigentlich woanders und jetzt gerade sehr weit weg ist?




Warum redet in Zeiten der Globalisierung kaum mehr jemand über Heimweh?

Obwohl man sich an vielen Universitäten mit dem Heimweh des globalen Menschen zu beschäftigen versuche, schreibt Jack, gebe es doch nur erschreckend vage Erkenntnisse darüber. Er zitiert die Geschichtsprofessorin Susan J. Matt, die bereits vor einigen Jahren in der New York Times zum Thema Heimweh schrieb, dass man es heutzutage deshalb kaum mehr sehr explizit diskutiere, da es als emotionaler Faktor einen sehr unberechenbaren und kaum zu beseitigenden Gegner der Globalisierung  darstelle. Das Einzige, was einem also übrig bleibe, sei darüber zu schweigen. Nur entstehe so leider auch der nach außen hin höchstparadoxe Eindruck, Heimweh habe sich als Menschensschmerz aufgelöst und unsere Mobilität sei für überhaupt niemanden ein Problem - während es in Wahrheit vermutlich mehr Menschen als je zuvor in innere Pein versetze, ohne dass es jemand mitkriege.

Das Problem mit dem Heimweh habe die Menschen schon immer beschäftigt, beschreibt Matt auch in ihrem Buch „Homesickness: An American History", und am deutlichsten habe es sich im von den Massenimmigrationen des 19. Jahrhunderts geprägten Amerika gezeigt. Schon um 1900 herum schrieben amerikanische Zeitungen und Kommentatoren, dass Heimweh „in these days of quick communication, of rapid transmission of news and of a widespread knowledge of geography" ja nun wirklich immer unpopulärer werde, führt Matt in ihrem Buch an. Tatsache aber sei, dass auch in den modernen Zeiten von damals die Menschen mitunter noch vor Heimwehkummer starben, wie der Fall eines Iren aus Brooklyn 1887 beweist, den die Autorin ebenfalls in ihrem Buch beschreibt. Auch zieht sie Zahlen zur Auswanderung vieler Migranten aus den USA heran, von denen knapp die Hälfte früher oder später doch wieder in ihre Heimat wollten.

Sie mutmaßt also, dass die neuen Technologien am Gefühl des Heimwehs nicht viel geändert haben und das auch nie tun werden, ganz egal, wie technologisch hochentwickelt wir uns in unserem immer etwas trügerisch-modernen Jetzt auch finden mögen. Die Leute werden also immer Heimweh haben, einige sicherlich mehr, andere weniger, aber wer es hat, der leidet und für den bleibt die so beliebte kosmopolitische Wunschvorstellung des ewig einzelgängerischen, aber perfekt vernetzten mobilen Menschen, der so problemlos abgetrennt von Familie, Zuhause und seiner Vergangenheit existieren kann, immer nur eine Utopie.

Dennoch, schlussfolgert schließlich Jack, bestehe auf der Erde ein immer größer werdender Migrationsdruck, den man weder aufhalten noch ignorieren könne. London, schreibt er, werde in den kommenden Jahren nur noch internationaler und noch multilingualer werden. Gesellschaftliche Legitimität des Heimwehs also hin oder her, vielleicht können wir uns den Luxus dieser Befindlichkeit zum Wohl aller ja auch einfach nicht mehr leisten.

Im Grunde lässt einen Jacks Text nur mit sehr vagen Erkenntnissen und vielen losen Denkansätzen zurück. Aber genau das macht ihn auch so spannend. Er liefert keine Antwort, stattdessen stiftet er dazu an, einfach selbst mal wieder ein wenig herumzuphilosophieren über all die Gefühle, die unsere dauermigrierende Welt hin- und herschiebt. Was ist also Heimweh heute für uns, dieses irgendwie in Vergessenheit geratene Gefühl, das einem zuletzt in der Kindheit richtig erlaubt war? Und ist es tatsächlich so, dass sich Heimweh heutzutage keiner mehr leisten kann, der Prestige und Erfolg haben will? Stimmt es, dass Heimweh der ewige Feind der Globalisierung ist?

Oder machen unsere technischen Möglichkeiten eben doch, dass die gefühlten Abstände zwischen den Kontinenten und Städten kleiner werden, weil es einem unbestritten einen großen Teil der Einsamkeit und Verlorenheit nimmt, wenn man ganz allein in der chinesischen Provinz über Facetime in Sekundenschnelle zu zweit sein kann, wenn man sich in Echtzeit und mit Video darüber austauschen kann, dass die Bettdecke kratzt, da ein mysteriöser Fleck auf dem Boden ist und an der Decke eine haarige Spinne hängt? Natürlich bleiben auch dabei unsere technischen Geräte nur Krücken, Instant-Schmerzmittel, die niemals echte körperliche Nähe simulieren können. Und die ja durchaus auch ihre Nebenwirkungen haben. Nämlich, dass sie einen immer auch zur Hälfte rausbeamen aus dem Hier und Jetzt. Hat man Augen, Ohren und Stimme des Verliebten immer in Echtzeit in der Tasche, geht dem ursprünglich so schrecklich-schönen und sehr aufregenden Wissen des Alleine-am-anderen-Ende-der-Welt-seins schließlich auch ein Großteil seiner Spektakularität verloren. 

Der Sonntag mit... Sabi Cakmakli, Freeski-Fahrerin

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Name: Sabrina Cakmakli
Spitzname: Sabi
Alter: 19
Geburtstort: Immenstadt im Allgäu
Wohnort: Garmisch Partenkirchen
So erkläre ich meinen Job meiner Oma:
"Ich folge einem typisch amerikanischen Trend und fahre mit hinten und vorn aufgebogenen Ski. Entweder springe ich über große Schanzen und mache da Drehungen sowie Saltos und fahre über verschiedene Geländer und Boxen. Oder ich fahre eine Wanne (Halfpipe) hinunter, in der ich meine besten Tricks zeige."
Aktuelle Projekte: Ab 7. Februar: Die Olympischen Winterspiele in Sotschi, für die ich mich gerade qualifiziert habe!




6:50 Uhr: Mein iPhone-Wecker klingelt standardmäßig zehn Minuten früher als der Alarm meiner Zimmerkollegin Lisa. Ich brauche immer länger im Bad als sie. Zähneputzen, Haare machen, Skiunterwäsche anziehen und ab in die Küche, wo meist schon einer der Jungs herumschwirrt. Nach dem gemeinsamen Frühstück mit dem Team wird dann der Tag geplant. Gar nicht so einfach, sich da so zu entscheiden, weil es hier in Colorado so viele Möglichkeiten gibt.





8:00 Uhr: Planmäßige Abfahrt zum Skifahren. Jedoch ist dies manchmal schwer einzuhalten, da entweder die Jungs noch auf ihrer Dating-App mit irgendwelchen Girls schreiben oder wir Mädels so lange brauchen, bis wir uns entschieden haben, welches Skioutfit heute getragen wird.




8:10 Uhr: Endlich sitzt die ganze Truppe in unserem riesigen amerikanischen Van. Die Ski sind eingeladen, und da ich im Shotgun-Spiel (wer zuerst das Auto sieht und "Shotgun" sagt, darf vorne sitzen) der absolute Loser bin, muss ich so gut wie immer hinten sitzen.







8:40 Uhr: Endlich angekommen in Breckenridge, ab in die Gondel. Nach einigen Runden Warm-Up im Funpark geht’s los. Einer sagt einen Trick an, und die restliche Mannschaft versucht ihn zu machen. Nach meinem 3-stündigen Slopestyle-Training mit den Jungs geht’s für mich schon wieder runter und nach Copper zum Halfpipefahren.







12:30 Uhr: Mit meinem Teamkollegen Sven auf dem Weg Richtung Halfpipe, in dieser Disziplin bin ich für die Olympischen Spiele qualifiziert. Da die Fahrten mit dem Lift sehr lange dauern, haben wir uns entschieden keinen Skipass für das Gebiet zu kaufen. Stattdessen müssen wir immer wieder die Pipe hochlaufen. Nach drei Stunden Training auf 3000 Metern bin ich fix und fertig und schaffe es gerade noch ins Auto. Doch der Tag ist noch lang nicht vorbei.




16:00 Uhr: Raus aus den Skischuhen und Skiklamotten - und rein in die Sportsachen. Wir bleiben in Copper und gehen ins Woodward: Eine riesige Halle mit Trampolinen, Schnitzelgruben und Rampen. Perfekt um neue Tricks zu lernen, da man sich dort fast nicht verletzen kann. Macht super viel Spaß!

19:30 Uhr: Daheim in unserem riesigen Haus in Frisco angekommen, wird besprochen, wer das Essen macht und was überhaupt gekocht wird. Während das Essen vorbereitet wird, schauen wir uns Videos im Internet an oder es kommt mal wieder zu einer Rauferei. Leider endet das in der Regel schlecht für mich, weil wir Mädels in der Unterzahl sind. Entweder lieg ich dann wieder samt Klamotten in einer Badewanne mit eiskalt gefüllten Wasser oder lande draußen im Schnee.





23:00 Uhr: Ab ins Bett, völlig erschöpft von dem anstrengenden Tag. Meine Teamkollegin Lisa und ich haben das größte Zimmer mit einem King-Size-Bett, riesigem Badezimmer und begehbarem Kleiderschrank. Macht die Jungs neidisch!

Nieder mit dem Deko-Zipper!

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Es gibt natürlich Dinge, die brauchen einen Reissverschluss. Gewisse Jacken, viele Rucksäcke, einige Taschen, manchmal auch Geldbeutel, Federmäppchen, Schlafsäcke. Und es gibt ganz bestimmt auch Schuhe, die einen Reissverschluss brauchen. Zur Zeit aber haben sehr viele Kleidungsstücke, insbesondere Damenschuhe, die nicht gerade Slipper oder Chelsea-Boots sind ist, zwanghaft Reißverschlüsse, die sie in 90 Prozent der Fälle eben überhaupt und um alles in der Welt nicht brauchen. Am eindrücklichsten zeigt sich die aktuelle Reißverschlussisierung der Mode an Schuhwerk, das von Natur aus nicht für den Einsatz eines Reißverschlusses gedacht ist: Schnürstiefel, derbe Boots, weite Stiefel. Insbesondere Schnürschuhe (S-c-h-n-ü-r, wohlgemerkt, nicht R-E-I-ß-Schuh!), findet man derzeit kaum mehr ohne einen solchen schmalen Plastikreißverschluss auf der einen Seite, wie eher vor einigen Jahren noch ausschließlich hautengen Lack- und Lederstiefeln im Fetisch-Shop vorbehalten war.

Schon klar, so ein „total praktischer" und „quasi unsichtbarer" Reißverschluss (so müssen die Gedanken des Designers sich ungefähr abgespielt haben) soll das Einsteigen erleichtern und somit vielleicht die Verkaufsquote steigern, denn wer hat heutzutage schon noch Zeit, einen echten Schuh wie einen echten Schuh zu behandeln und sich zum Schnüren zu bücken? Eben! Sehr praktisch also, so ein Reissverschluss. Leider sieht er aber auch genau so aus: Nix Halbes, nix Ganzes, der Inbegriff des faulen Kompromiss.




Die Pest: Überflüssige Reißverschlüsse.

Es ist zu einer seltsam-unreflektierten modischen Pflicht im Segment Mode- und Massenschuhwerk der Preisklasse 19,99 Euro bis 150 Euro geworden zu sein, überall völlig wahllos Reißverschlüsse dran zu heften. Ob man sie nun wirklich betätigen kann oder nicht, wird dabei offenbar auch zunehmend wurscht – hauptsache man kann irgendwo „mit Reißverschlussdetail" hinschreiben. Denn die Sache beläuft sich ja nicht nur auf Schuhe: Oberteile aus Jersey kriegen seit einigen Jahren immer häufiger hinter einen völlig nutzlosen vier Zentimeter langen Reissverschluss in den Nacken genäht, der dem Oberteil wohl etwas Abendgarderobenhaftes andenken soll. Hosen, oder noch viel bescheuerter: Leggings, bekommen unten an den Knöcheln links und rechts zwei goldene Reissverschlüsschen eingesetzt und kein Mensch weiß, wozu. Mäntel bekommen gleich zwei, oder drei Reihen Reissverschlüsse als Dekorelement aufgesetzt, Handtaschen auch, und wenn es sich dabei überhaupt um einen echten Reissverschluss handelt und nicht nur um einen halben, findet sich dann dahinter nicht mal eine echte Tasche, und sei sie noch so schmal. Oder diese Hosen mit Reissverschlusstaschen. In der Achterbahn, auf Safari oder beim Bungeejump wären sie sicherlich unwahrscheinlich sinnvoll – beim Joggen vielleicht auch noch. Aber ansonsten reichen doch bitte sehr ganz normale offene Taschen! Immer öfter sieht man in Einkaufspassagen auch Stiefelchen, bei denen der Reissverschluss offen steht und auch gar nicht dazu gedacht, ihn jemals wieder zuzuziehen. Denn dahinter wartet ein niedliches oder apartes farbiges Muster, oder, und das ist dann der Nonsense-Overkill: ein Gummizug, der den Reissverschluss gänzlich überflüssig macht.

Keine Ahnung, womit diese Massenreissverschlussisierung begonnen hat. Vielleicht ist es ein simpler Nebeneffekt der derzeitigen Versportlichung der Mode, in der alles gemütlich, bequem, praktisch sein soll und darf und auch die sonst stilvollsten Leute plötzlich in Nike-Light-Air-Fight-Trainern vor die Tür gehen. Vielleicht aber, zumindest beim Thema Schuh, war auch der Siegeszug des Acne Pistol-Boot Modells vor fünf, sechs Jahren der Auslöser für den Reißverschlusswahn: Ein schwarzer Frauenschuh aus weichem, aber festem, sattem Leder, gut vernäht, ein wenig Absatz, sehr reduziert, Grundform Cowboystiefel nur ohne den ganzen Westernschnickschnack - aber halt mit einem leicht verdeckten Reißverschluss mit langem Lederband an den Außenseiten, was damals noch ungewöhnlich und schön war. Irgendwas muss bei der Massenrezeption dieses Designs dann schief gelaufen sein, denn seither sind tausendfach schlechte Kopien des Stiefels auf dem Markt und sie eint vor allem: Der Reißverschluss. Es ist, als hätten sich die Schuhdesignabkupferer der Welt gedacht: Na sieh mal einer an, die Leute wollen alle diesen Schuh mit dem Reissverschluss an der Seite! Kein Problem, haben wir im Angebot, haben wir eh noch viertausendmillionenfuffzig auf Lager, die dringend wegmüssen, zack, da machen wir jetzt einfach mal an jeden Schuh einen dran, Schnür-, Winter-, Cowboy-, Sandalenschuh, EGAL!, wir habens ja! Raus damit!

Vielleicht das größte Missverständnis in der Geschichte des Schuhdesigns.

Es ist ja generell eine Pest, wenn irgendwo nur um der Deko willen wahllos rumdekoriert wird. Nur ist es leider bei Reißverschlüssen eben immer so besonders offensichtlich und dämlich. Reissverschlüsse ohne Funktion sind wie Fahrräder mit Stützrädern oder Motorantrieb, wie künstlich verblichene oder zerschnittene Jeans von Ed Hardy oder wie Rockershirts mit Nieten bei Zara. Wie Band-T-Shirts bei H&M, wie Fastfood ohne Fett und Fleisch, wie Abenteuer ohne Risiko. Ein immer nur Aussehen-wollen-wie, aber kein echtes Sein, ein ewig faules Verkleiden, kein echter Style, keine Konsequenz. 

Nach dem Rummel

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Sabrina Witte hat ein Riesenrad im Garten. Außerdem hat sie eine durchdringende Jahrmarktstimme und ein Würstchenimperium. Heute wird sie durch den Spreepark in Berlin-Treptow führen. Sie zieht ihren pinkfarbenen Lippenstift nach und trägt noch mal Rouge auf, bevor sie sich vor die 50 Besucher stellt und die Show beginnt. "Ich bin die Tochter der Noch-Eigentümerin Pia Witte. Wenn Sie uns und unsere Familiengeschichte noch nicht kennen, keine Sorge: Auch Sie werden wir schockieren."

Sabrina, 29, dünn gezupfte Augenbrauen und strenger Pferdeschwanz, spricht mit dieser Stimme, die man aus Rummelplatz-Lautsprechern kennt, die es gewohnt ist, melodisch ins Mikrofon zu raunen: Bitte anschnallen, jetzt geht’s los! Doch hier geht nichts mehr los, für 15 Euro Eintritt sehen sich die Gäste unkrautumwucherte Fahrgeschäfte an. Und sie hören Sabrinas Geschichte.

Der Spreepark war einst der größte Rummel der DDR. Dann kamen die Wittes, eine traditionsreiche Schaustellerfamilie aus Hamburg, bauten alles um – und gingen Konkurs. Auf die Insolvenz und 15 Millionen Euro Schulden folgte ein gescheitertes Abenteuer in Südamerika, seitdem sitzt Sabrinas Bruder im Gefängnis. Dazu später. Seit die Wittes 2001 weggingen, liegt das knapp 30 Hektar große Gelände brach. Die Scheiben der Fahrerhäuschen sind eingeschlagen, die Stahltreppen verrostet, die Holzbalken morsch. Aber seit vier Jahren ist Sabrina zurück: Sie betreibt am Wochenende ein Café am Parkeingang. Nur bei Veranstaltungen und ihren wöchentlichen Führungen kann man rein, die übrige Zeit sind die Tore verschlossen. Ein Zaun und eine Sicherheitsfirma halten Einbrecher vom Gelände fern.



Sabrina Witte, 29, führt wöchentlich Touristen durch den verfallenen Park ihrer Kindheit.


Sie ist hier aufgewachsen. Zwischen Dinosauriern, Autoscooter und Achterbahn hat sie Radfahren gelernt, hat sich mit 13 ohnmächtig betrunken, hat vor dem Parkeingang das erste Mal geküsst. Alle Erfahrungen, die sie zwischen vier und 16 Jahren gemacht hat, sind mit dem Park verwoben.

Fünf Minuten nach Beginn der Führung. Sabrina Witte deutet auf einen Rasen links. Hundert Augen folgen. Dort, wo ein roter Imbisswagen mit der Aufschrift "Schlemmerhütte" steht, hob früher der "Fliegende Teppich" ab. Eine Gondel an einem stählernen Arm, der die Gäste mit Wucht auf und ab schleuderte. "Mein Vater hatte ihn in Peru dabei", ruft sie. "Dort wurden 167 Kilo Kokain reingeschweißt."

Spätestens jetzt hören alle gebannt zu. Mit ausladenden Armbewegungen erzählt sie die Geschichte ihrer Familie. Die in Deutschland insolventen Wittes wollten nach der Pleite in Berlin in Lima einen Freizeitpark eröffnen, Sabrina war damals 17. Doch etliche Fahrgeschäfte blieben im Zoll hängen, das feuchte Klima ruinierte sie. Die Einnahmen vom abgespeckten, neuen Park gingen für die Reparaturen drauf. Die Eltern trennten sich, Sabrinas Mutter ging mit den vier Töchtern zurück nach Deutschland. Der Sohn blieb beim Vater in Südamerika. Um an Geld zu kommen, lieh sich Sabrinas Vater in zwielichtigen Kreisen große Summen. Schließlich schloss er den Drogendeal.

Der "Fliegende Teppich" sollte, gefüllt mit Kokain, nach Deutschland verschifft werden. Vater Witte war vorgereist, um die Lieferung entgegenzunehmen. Fahnder hatten ihn im Visier, der Deal flog auf, der Vater wurde verhaftet. Seit er wieder frei ist, wohnt er in einem Wohnmobil im Park. Auch Sabrinas Mutter wohnt dort. Oft sitzen sie gemeinsam mit ihren neuen Partnern in Sabrinas Café, rauchen und reden. Sabrinas Bruder, damals 22 Jahre alt, sitzt noch immer im Gefängnis. Er wurde in Peru zu 20 Jahren Haft verurteilt. Zwölf davon sind bisher rum.



Von ihrer Familiengeschichte erzählt Sabrina genau wie von alten Fahrgeschäften, etwa dem rostigen Riesenrad oder dem "Fliegenden Teppich", in dem ihr Vater 167 Kilo Kokain schmuggelte.

Junge Touristen in bunten Leggings und Hotpants lachen und schießen ein Foto von der leeren Wiese. Die Illusion überdeckt die Realität. Sie stecken drin in Sabrinas Geschichte. "This is really cool", sagen zwei Amerikaner mit Baseballkappen. Sie sind gekommen, weil der alternative Reiseführer den Spreepark als "lost place" mit halblegalem Flair anpreist. Abenteuer verkauft sich.

Die "Schlemmerhütte", der mobile Imbiss, der statt dem Fahrgeschäft nun auf dem Rasen steht, ist Sabrinas eigentliches Geschäft. Fünf Tage die Woche verkauft sie damit in Berlin Chili-Krakauer, Buletten und Bratwurst. Sie sagt, sie besitze noch mehr Imbiss-Stände in Hannover, Hamburg und Holland. "Du baust auf, stehst den ganzen Tag in deinem Geschäft, stinkst abends wie ein Stück Wurst, machst Feierabend, putzt drei Stunden." Am nächsten Morgen das gleiche. "Das geht mir tierisch auf den Sack." Das erzählt sie nicht während der Führung, sondern danach, während sie in einer Pilzpfanne rührt, der vegetarischen Spezialität der "Schlemmerhütte". Im Park muss der Alltag draußen bleiben. "Das eine ist das, was du tun musst, das andere ist, wofür dein Herz schlägt. Deswegen arbeite ich an meinen freien Tagen hier." Sie wohnt alleine mit ihren Hunden in einem Haus im Wald am Rande Berlins. Sie liest viel, sagt sie, ihr Lieblingsbuch: Don Quichotte. "Steh ich total drauf. Kampf gegen die Windmühlen und so." Ihre Lieblingsfigur kämpft gegen Architektur, die sie für Riesen hält, Sabrina Witte kämpft gegen den Rost ihrer Kindheit.

Verkaufen hat sie früh gelernt. Wenn sie nach Taschengeld fragte, habe die Mutter geantwortet: "Du willst Geld? Dann sieh zu, dass du ins Geschäft kommst." Schon in der Grundschule drehte sie Zuckerwatte. An den Wochenenden, in den Sommerferien, jeden Tag nach der Schule. Dann schnitt sie Salat, Tomaten und Gurken in der Küche eines Dönerstands. Später saß sie an der Kasse am Eingang. Wenn die Karussells aufhörten sich zu drehen, kam um 19 Uhr eine Privatlehrerin.
Nun flieht sie jedes Wochenende im Spreepark in die Vergangenheit. "Gegen die Würstchenbude sind die Parkführungen wie Urlaub", sagt Sabrina. Sie spaziert mit der Gruppe zur Wildwasserrutsche. Die Fahrbahn ist nach der Insolvenz eine moosige Wanne geworden, auf dem einst klaren Wasser schneiden Enten Schneisen in den Algenbelag. Zwei Berliner grinsen sich an. "Geht die noch?" – "Funktioniert einwandfrei", sagt Sabrina. Als sie vor vier Jahren zurückkam, hat sie das ausprobiert. Sie legte den Schalter um, setzte sich in einen der verdreckten Waggons und fuhr los. Als der Wagen am Ende der Rutsche unten aufschlug, schwappte eine stinkende Welle modriger Algenpampe ins Innere. Den Gestank bekam sie nicht mehr raus, die Kleider warf sie weg.

Aber Sabrina hatte eine gutes Gefühl. Statt Fäule, Rost und Gestank stellte sie sich blinkende Lichter vor, hörte das Freudengekreisch der Besucher und beschloss: Der Park soll wieder leben. Im Herbst 2009 sperrte sie das Tor zum ersten Mal wieder auf. Sie stellte eine Kaffeemaschine in den verschlissenen Holzpavillon am Eingang und nannte ihn "Café Mythos". Dann kam der Winter und erst mal keine Besucher. "Alle dachten, ich bin bekloppt." Unter der Woche stand sie wie immer im Imbisswagen irgendwo in der Stadt. Doch nach und nach sprach sich bei Spaziergängern herum, dass der verlassene Park am Wochenende wieder offen war. Mit dem Frühling kamen die Leute und die Führungen.



Heute ist der Spreepark eine beliebte Kulisse für Musikvideos, Actionfilme oder Hochzeitsfotos. The XX spielten dort im Mai ihr einziges Berlin-Konzert.

Als der Kokain-Deal des Vaters damals platzte, war Sabrina mit ihrer Mutter in Deutschland. Das Bild ihres Vaters ging durch die Medien, Sabrina schlief erst im Auto, dann in einem Container hinter Plastikplanen. Sie habe zwischendurch eine Cocktailbar im Prenzlauer Berg gehabt, die wegen der Sache mit ihrem Vater pleite gegangen sei. "Haarsträubende Geschichten" nennen das die einen, "das arme Mädchen" sagen die anderen. Aber Vorurteile gegen die Familie blieben. Einige sagen über die Wittes, sie wollten "mit denen" nicht zu tun haben, mit der "Assofamilie". Sie bezweifeln, dass die Familie den Park wieder aufbauen will, sagen, dass sie nur Geld aus dem rostigen Ding pressen wolle. Das Stigma blieb haften, bis heute. Es ist wie mit der Algenpampe in der Wildwasserbahn. "Das kriegst du nicht abgewaschen", sagt Sabrina. "Du musst lernen, es zu akzeptieren."

Aber dann gibt es da auch viele, die fasziniert sind: von der Leidenschaft einer Familie, die alles auf eine Karte setzt und scheitert. Auch diese Tragik lässt sich verkaufen. Auf dem Weg zur Achterbahn sagt Sabrina Witte: "Mittlerweile denken alle, wir waren einfach dumm. Wir einigen uns jetzt und hier: Wir bleiben die Verbrecher, das hat mehr Charme." Und der Park ist inzwischen nicht nur bei Touristen begehrt. Der verfallene Charme zieht Musiker an: Sido drehte ein Musikvideo, im vergangenen Mai spielten The XX ihr einziges Berlin-Konzert im Spreepark. Pärchen heiraten in den Achterbahnwaggons, Playmates räkeln sich auf den umgestürzten Dinosauriern. Im Sommer wird vorm Riesenrad Theater gespielt. Und in dem Actionthriller "Wer ist Hanna?" jagte 2011 sogar Hollywoodstar Cate Blanchett bewaffnet über das Gelände. Überlebenstraining, Teambuilding, Fotoseminare: Fast alles ist im Spreepark für Geld möglich – "außer Pornos", sagt Sabrina, auch dafür kamen schon Anfragen. Die Veranstaltungen bringen Geld in die Kasse. "Aber um alles wieder aufzubauen, brauche ich mehr", sagt Sabrina. Deswegen spiele sie Lotto und Eurojackpot. "Wie eine Geisteskranke, aber das bringt sowieso nichts. Ich ziehe die Scheiße einfach magisch an."

Im Hintergrund quietscht das stillstehende Riesenrad im Wind, und Sabrina erklärt, warum es damals schief ging mit dem Spreepark. Nachdem ihre Familie den Pachtvertrag unterschrieben hatte, seien Teile des Gebiets zum Landschaftsschutzgebiet erklärt worden. Deswegen, und wegen der schlechten Infrastruktur, durften sie keine Parkplätze bauen. Und weil es die nicht gab, durfte die Zufahrt zum Park nicht beschildert werden. Die Besucherzahl wurde auf 260.000 pro Jahr begrenzt. Als Wittes übernahmen, hatten sie mit eineinhalb Millionen Besuchern gerechnet, so viele waren es angeblich zu DDR-Zeiten – auch ohne Parkplätze, denn damals seien die Besucher noch zu Fuß durch den Plänterwald gekommen. "Aber wie viel Eintritt willst du nehmen, damit das profitabel ist?", sagt Sabrina. "Das geht nicht." Mittlerweile ist aus der Wasserbahn ein Biotop geworden und aus einem Rollrasen eine seltene Trockenwiese, die die Gäste nicht betreten dürfen.

Auch wenn sich seit Jahren immer wieder Investoren für das Gebiet interessieren, gelang es dem Land Berlin bisher nicht, den schuldenbeladenen Pachtvertrag für das Gelände anderweitig zu verkaufen: Der neue Pächter müsste erst die Schulden begleichen, bevor er in das Areal investieren kann. Deswegen besitzt immer noch Sabrinas Familie den Erbpachtvertrag, eine Art Mietvertrag. Er gilt bis 2061. Das Land Berlin, der Verpächter, sucht nach einer Lösung. "Sie werden nie jemanden finden, der das Grundstück mit so viel Herzblut betreibt", sagt Sabrina, "es ist verdammt noch mal mein Zuhause." Sie befürchtet, dass das Riesenrad Luxuswohnungen weichen muss. Eine Oma mit Goldkettchen und Trekkingsandalen schimpft: "Also, wie das Land Berlin das in eurer Abwesenheit hat verrotten lassen... Sagen Sie nur Bescheid, wenn hier die Bagger kommen. Ich werde da sein und mit euch kämpfen!"

Die Gruppe läuft den Betonweg hinter dem Riesenrad entlang Richtung Ausgang. Auf einmal bleibt Sabrina stehen, stellt sich auf die Zehenspitzen und breitet die Arme aus. "Das!", ruft sie. "Das ist mein persönlicher Walk of Fame!" Sie deutet mit den Händen auf kleine Fußabdrücke im Beton. Als er frisch gegossen wurde, ist sie hier durchmarschiert, obwohl die Eltern es verboten hatten. Sabrina Witte stellt sich in ihre Kinderfußabdrücke. Sie reißt die Augen auf, tänzelt dann die Spuren entlang und imitiert, wie sie als Kind den Weg ramponierte. Sollten neue Pächter den Park ihrer Kindheit eines Tages platt machen, ruft sie, wisse sie schon, was sie machen werde. Kurz bevor die Bagger anrücken, wird sie eine Betonsäge ausleihen. Wenn sie den Spreepark verlässt, nimmt sie ihre Fußspuren mit.



So wird die KW 3: Am Strand mit einer Prinzessin und einem Börsenhai

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Wichtigster Tag der Woche:
Da lass ich mich überraschen. Das Etikett meines Yogi-Tees hat mir heute Morgen dazu geraten, nur das Beste zu erwarten. Daran halte ich mich mal. Wenigstens bis zur nächsten Tasse.

Politisch interessiert mich...
ob die Hitzlsperger-Euphorie vielleicht auch noch ins Parlament überschwappt. Umweltministerin Barbara Hendricks hat bereits im Dezember ihr Coming-Out bekannt gegeben und das ganz schnörkellos und nebenbei. Man kann sich also auch ohne anschließendes Feuerwerk zu seinem Schwul- oder Lesbischsein bekennen. Trotzdem würde ein weiteres Outing für mehr Akzeptanz sorgen. Die wäre mit Blick auf die Debatte um die Lehrplanänderung bezüglich der "Akzeptanz sexueller Vielfalt" in Baden-Württemberg auch bitter nötig. Solange Horst Seehofer seine Heterosexualität nicht mit Nachdruck betont, bleib' ich aber zufrieden.

Wochenlektüre:
Ist E.T.A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla. Das Reclam-Heft wurde mir von einer Freundin zu Silvester geschenkt (für Weihnachten kam sie etwas zu spät) und liegt seitdem auf dem Fensterbrett. Laut Vorwort des Herausgebers ein Buch für alle, die willig und bereit sind, auf "einige Stunden dem Ernst zu entsagen und sich dem kecken, launischen Spiel eines vielleicht manchmal zu frechen Spukgeistes zu überlassen." Vielleicht tauscht Kollegin Elsner ja mit mir, wenn sie mit dem "Sandmann" fertig ist.



Kinogang? Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio. Das kann ja nur wieder funktionieren. Nach dem großen Gatsby mimt DiCaprio in "The Wolf of the Wallstreet" den nächsten jungen Überflieger. Diesmal den ehrgeizigen Jordan Belford, der sich als New Yorker Börsenmakler die Nächte mit Sex, Drugs und Anlagenbetrug um die Ohren schlägt. Drei Stunden zwischen Provision und Prostitution? Klingt interessant. Für alle, die sich die Tage bis zum Filmstart vertreiben wollen, empfehle ich das "What Is Leonardo DiCaprio Upset About?"-Quiz.

http://www.youtube.com/watch?v=iszwuX1AK6A

Soundtrack? Die spannenden Neuerscheinungen lassen dieses Jahr noch auf sich warten. Anscheinend ist sogar für die Leute aus der Musikbranche ein kleiner Weihnachtsurlaub in der Karibik erschwinglich. Stattdessen versuche ich schrittweise die Al-Green-Ohrwürmer, die mir wie jedes Jahr seit Weihnachten in den Ohren liegen, zu vertreiben, um die Vorfreude auf den nächsten Winter zu steigern. Bei der sanften Abgewöhnung hilft mir Gregory Porter. Irgendwo zwischen Jazz, Blues und Gospel liegt sein drittes Album "Liquid Spirit". Hier die gleichnamige Titelnummer:

http://www.youtube.com/watch?v=NS6JV-veVAE

Und sonst so? Während in Hamburgs Gefahrenzone jeder Durchschnittsmensch von der Polizei durchsucht wird, versucht sich die Berliner Modeelite von jedem abzuschotten, der zu gewöhnlich aussieht: Morgen öffnet die Fashion Week für alle zutrittsberechtigten Modefreaks. Nach Berlin fahren um, eingepfercht zwischen C-Promis und verkleideten Snobs, drei Euro für eine Breze zu zahlen? Da warte ich lieber, bis das Oktoberfest beginnt und spare mir das Zugfahren. Auch von München aus kann ich mich am Touristenzirkus erfreuen, denn...

Was ich die Woche auf jeden Fall tun werde:
Die Austellung "Life's a Beach" mit Martin Parrs Fotografien im Schirmer/Mosel Showroom besuchen. Seit 1970 dokumentiert der Brite skurrile Strandszenen. Was auf den ersten Blick nach plumpen Schnappschüssen aus dem letzten Urlaub aussieht, besticht bei genauerer Betrachtung durch ausgeklügelte Komposition und subtilen Witz. Ein Anlass auch im Winter mal das Hawaii-Hemd auszupacken. Außerdem veranstaltet am Dienstag das Institut Volkskunde/Europäische Ethnologie der Ludwig-Maximilians-Universität das Forschungskolloqium "Pop-Musik-Welten" in der Favorit-Bar. Diese Woche ein Vortrag mit dem Titel "Geographies of Music: Exploring People, Place and Environment in Cool Istanbul".

Keine Chance haben diese Woche:
Schneemänner. Laut Wetterexperten gibt es nur leichten Schneefall. Wenn die Temperaturen schon um den Gefrierpunkt krebsen, will ich auch auf meine Kosten kommen.

Britisches Erbefernsehen

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Lord Robert Crawley, der 6th Earl of Grantham, hat alles, was man sich als Lord so wünschen kann. Eine gotische Trutzburg von einem Schloss, einen gepflegten Landschaftspark und eine ansehnliche Sammlung historischer Zigarettendosen. Dazu noch eine reiche Gattin und drei hübsche Töchter. Nur eines fehlt dem Familienoberhaupt in der britischen Adelsfernsehserie „Downton Abbey“: ein männlicher Erbe.

Titel und Anwesen des Grafen erbt in der Serie deshalb ein weit entfernter Cousin, der nach zwei Staffeln voller romantischer Wirrnisse schließlich des Earls älteste Tochter heiratet. Alles gut? Nicht ganz. Britischen Adelsfamilien hat „Downton Abbey“ eine handfeste Debatte über Gleichberechtigung beschert. Und seit Ende 2013 durchläuft ein Gesetzesvorschlag das Parlament, das mit dem Prinzip der Primogenitur aufräumen soll, indem es Töchtern erlaubt, Adelstitel zu erben. In einer Parlamentsdebatte zum Thema kritisierte eine Abgeordnete, die männliche Erbfolge stehe im Widerspruch zu den Menschenrechtskonventionen von UN und EU.



Bis heute erbt, wenn Earl, Duke oder Viscount es nicht anders bestimmen, der älteste eheliche Sohn den Titel des Vaters – auch, wenn er eine ältere Schwester hat. Und dabei geht es nicht nur um einen stattlichen Briefkopf und Einladungen nach Ascot. Traditionsgemäß geht mit dem Erbe des Titels auch das von Anwesen und Ländereien einher. In vielen Fällen sind dies millionenschwere Besitztümer: Ein Drittel der Landfläche von Großbritannien gehört noch immer der Aristokratie.

Die Royals haben den Schritt zur gleichberechtigten Erbfolge bereits 2013 gemacht. Während William und Kate ihr erstes Kind erwarteten, wurde die Thronfolge des Königreichs neu geregelt. Hätte Kate eine Tochter bekommen, wäre diese auf jeden Fall nach William Königin geworden. Der konservative Abgeordneter Lord Trefgarne prophezeite schon damals, dass diese Änderung des Thronfolgerechts „die Hasen aufscheuchen“ werde. Tatsächlich haben 364 Adelige, 115 von ihnen Männer, eine Initiative gegründet, um das „Downton Law“ genannte Gesetz zu unterstützen. Sie nennen sich „The Hares“, Hasen – was ausgesprochen klingt wie „heir“, Erbe.

Unten ohne

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Der Flashmob hat eine erstaunliche Karriere vorzuweisen (auch wenn manche an dieser Stelle lieber lesen würden: gehabt). Vor wenigen Jahren wunderten sich die Menschen in der Fußgängerzone noch, wenn andere vermeintliche Flaneure offenbar und tatsächlich ohne Grund anfingen, gemeinsam Zumba zu tanzen (das ist der Fitnesstanz, der eine erstaunliche Karriere gehabt hat). Vor allem ältere Menschen, die den Begriff mit Haushaltshelfern aus dem Shoppingkanal und seine Umsetzung mit Kurt und Paola Felix aus dem Ersten assoziierten, waren befremdet. Sie hielten das Phänomen, dass sich Leute übers Internet zu spontan wirkenden Massenaktionen verabreden, für eine Modeerscheinung. Diese Nerds, dachten die Kritiker, die haben halt zu viel Zeit sowie Flausen und Bubble Tea im Kopf. Das vergeht.



Schaut man sich das vergangene Wochenende an, muss man widersprechen: Der Flashmob lebt. In U-Bahnen in mehr als 70 Städten auf der ganzen Welt wurde etwa die „No Pants Subway Ride“ gefeiert. Die Liste der Veranstaltungsorte ist beeindruckend – wer hätte etwa gedacht, dass Lille eine U-Bahn hat. Jedenfalls standen die Teilnehmer am Sonntag ohne Hosen in der Metro, was im abgebildeten Peking (minus acht Grad) mehr Überwindung gekostet haben dürfte als in Sydney (plus 23 Grad). Weil das Ganze 2002 nicht in einem liederlichen Arrondissement, sondern im prüden New York begann, bleiben die Unterhosen natürlich an. Der Zweck der Aktion, heißt es auf der Homepage, „ist ein internationales Feiern der Albernheit“.

Hamburg hat da auch mitgemacht am Sonntag, und vielleicht haben sich manche der Unten-ohne-Teilnehmer gegenseitig wiedererkannt von der Kissenschlacht, die am Freitag auf dem Spielbudenplatz aus Unmut über die örtliche Gefahrenzoneritis der Polizei angezettelt wurde.

Dass Flashmobs wegen dieser Beispiele in der allgemeinen Wahrnehmung als bloße Gaudi gelten, nicht aber als möglicher ernster Protest, das schadet natürlich den seriöseren Anliegen. So gab es am Samstag auch bundesweite Flashmobs sowohl gegen Christenverfolgung als auch gegen den Pflegenotstand. Zum Beispiel legten sich mehr als 100 Menschen aneinandergereiht in die Osnabrücker Innenstadt, um gegen die schlechten Arbeitsbedingungen von Alten- und Krankenpflegern zu demonstrieren. So etwas wirkt ja nicht weniger, wenn es nicht Flashmob heißt. Vielmehr würde man bei der Ankündigung solcher Aktionen nicht sofort an Youtube oder behaarte Männerbeine in Gänsehaut denken müssen. Und wann ist eigentlich wieder Blade Night?

Kissenschlacht und Klobürsten

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Die Klobürste ist zum Symbol des Widerstands geworden. Um die 450 Hamburger liefen am Wochenende mit erhobenen und teils blinkenden Klobürsten durch St. Pauli und das Schanzenviertel, wo die Polizei am 4. Januar ein sogenanntes Gefahrengebiet ausgerufen hat. Dort können die Beamten ohne Anlass verdächtige Personen kontrollieren, nicht selten Jugendliche in schwarzer Kleidung oder mit Rastalocken. Gleich zu Beginn zogen sie einem Hamburger vor laufender ARD-Kamera eine Klobürste aus dem Gürtel. Seither tragen viele Klobürsten mit sich, als Protest gegen die Polizeipräsenz. Andere versammelten sich zu einer Kissenschlacht.



Es gab am Wochenende aber auch wieder Scharmützel. Protestler entzündeten Weihnachtsbäume und warfen Flaschen auf Polizisten, drei Beamte wurden leicht verletzt.

Anlass für das Gefahrengebiet waren schwere Krawalle bei einer Demonstration für den Erhalt des linken Kulturzentrums Rote Flora am 21. Dezember. Davor und danach kam es laut Polizei zu Angriffen von Autonomen auf Polizeiwachen. Inzwischen hat die Polizei das heftig kritisierte Gefahrengebiet zu drei kleineren eingeschmolzen.

Auch Olaf Scholz, seit März 2011 Erster Bürgermeister, wohnte bis dahin in der Gefahrenzone. Der SPD-Politiker hat nach eigener Aussage aber wenig davon gemerkt. Bei ihm, sagt der 55-Jährige, stünden schließlich immer Polizisten vor der Tür.

Der selbstverständliche Ticker

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Briefkästen sind so eine Sache. In Deutschland läuft man täglich an den gelben Boxen vorbei. Man ärgert sich oft, dass sie keine Nachtleerung haben (oder wenn nur am Hauptbahnhof) und die ständen Preiserhöhungen beim Porto sind auch zum Kotzen. Schon klar. Die Post hat ungerechtfertigterweise in Deutschland einen ähnlich schlechten Ruf wie die Bahn, vielleicht aber auch nur, weil zu beiden Unternehmen wirklich jeder eine Anekdote zu ihnen beisteuern kann. Die Post ist also in Deutschland total selbstverständlich und man käme nie auf die Idee, einen Briefkasten zu umarmen.

Außer, man verbringt mehrere Wochen in Indonesien oder einem ähnlich chaotischen Land.



Zurück aus dem Urlaub gibt es einfach einiges in Deutschland, das man laut loben sollte.

Danach wird einem nämlich klar, dass die deutsche Post quasi eine göttliche Eingebung war. Überall hat sie Briefkästen aufgestellt. Die Marken dazu bekommt man sogar an Automaten (auch wenn die das Rückgeld immer ebenfalls in nerviger Markenform auszahlen) und wenn man sie in einem Kiosk kauft kann man trotzdem sicher sein, auch nur den darauf aufgedruckten Preis bezahlt zu haben. Keine kleinen privaten Aufschläge, keine Hostelmitarbeiter die "sure" die Karten für einen einwerfen und dann kommen sie nie an. Die Post funktioniert einfach und dafür sollte man mal laut "danke" sagen!

Weitere deutsche Selbstverständlichkeiten, die man auf einmal sehr lieb gewinnt: Zuganzeigen an Bahnsteigen (insbesondere nach Italien-Urlauben), kein Feilschen um den Preis für mittelmäßig schönen Schmuck und wenn man vegetarisches Essen bestellt versucht niemand einem zu erklären, dass Hühnchen ja gar kein Tier sei.

Auch wenn es natürlich spießig ist, wollen wir deshalb heute mal die Frage umdrehen: Kein "Was im Ausland alles besser ist" sondern ein "Was in Deutschland öfter mal gelobt werden sollte". Auf geht's!

Fünf Filme: Loriots Hund ist zurück

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Vom Zündler zum Zausel  
http://www.youtube.com/watch?v=CDXNfe2W8c8#t=23 
Borderline ist ja immer auch eine Frage des Kontextes. Wenn Kanye West sich auf einer Konzertbühne mit – nur zum Beispiel jetzt – Gott vergleicht, hat das eine andere Dimension, als wenn er es in einer Talkshow (oder einem Schlafzimmer) tut. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Künstler seine Musik tanzend und grimassierend darbietet. Alles gut – bis der Ton fehlt. Oder ersetzt wird. Der Soundtüftler Mario Wienerroither macht sich diesen Umstand zunutze, um mit Neuvertonungen von Videos, ja was eigentlich? Pop-Mechanismen zu entlarven? Bestehendem eine neue Dimension zu geben? Ach egal: Sieht witzig aus – so banal es auch sein mag.  

An der Lewis Street links abbiegen 
http://vimeo.com/82956390 
Noch mal Musik im besonderen Kontext – oder Stadtführungen. Das liegt ganz im Auge des Betrachters. Chuck Ds Bonmot vom HipHop als „CNN des Ghettos“ jedenfalls erscheint angesichts heutiger Raptexte ja etwas gestrig. Jay Shells Kunstprojekt „Rapquotes“ ist deshalb wohl beides: Ortskunde und Geschichtsunterricht. Der New Yorker recherchiert, welche Straßenecken, Parks oder Sportplätze von den MCs besungen werden, und hängt quer durch die Stadt Schilder mit den entsprechenden Text-Zitaten auf. Schön. Gerade ist die West-Coast-Version davon erschienen. Und jetzt alle: „So I hooks a left on 2-1 & Lewis/Some brothers shooting Dice so I said let’s do this.“    

Loriots Hund 
http://www.youtube.com/watch?v=229ZhY9DRKo 
Der falsche Hase unter den Tiervideos: Dieser Hund ist eine miese Mogelpackung. Natternhaft geradezu! Loriot hätte ihn nicht besser erfinden können. Angeblich soll er Alarmsirenen imitieren, was ihm binnen kürzester Zeit knapp 1,3 Millionen Views brachte. Alle für die Katz. Weil: Selbst mit Blaulicht auf dem Kopf nähme man ihm das nicht ab! Also noch mal alle: „Otto Kohl fühlt sich wohl bei der Oberpostdirektion.“  

Effekt mit Effet
 
http://www.youtube.com/watch?v=YWZLw6Mo8X8 
Bestimmt ist hier auch irgendwas gefälscht. Aber wenn es so ist, behaltet es in Gottes Namen für euch. Magie heißt immer auch ein bisschen glauben wollen. Und deshalb wollen wir glauben, dass Florian Kohler diese Billard-Shots wirklich in echt kann. Weil: Er geht damit ja auch auf Tournee. Also live.  

Ein Kolibri fährt U-Bahn
 
http://vimeo.com/83664407 
Und zum Abschluss noch Menschen als unbewegte Skulpturen. Völlig krude Theorie natürlich, aber: Wenn die Zeit unendlich lang würde, ist es, als bliebe sie stehen. Weil keine Aktion dann mehr ein Ende hätte. So weit geht es hier nicht. Aber im Superzeitlupen-Video, das Adam Magyar von Wartenden an der U-Bahnstation Alexanderplatz gemacht hat, scheint die Zeit trotzdem angehalten zu haben.

Weites Feld

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Es gibt einen Park, in dem es einen Tower gibt statt Bäumen und Landebahnen statt Bächen. Einen Park, um den sich viele Berliner gerade Sorgen machen: das Tempelhofer Feld beziehungsweise der Tempelhofer Park auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Der Berliner Senat plant, an seinen Rändern 4700 Wohnungen zu bauen. Das Volksbegehren „100 % Tempelhofer Feld“ möchte das verhindern. Noch den ganzen Montagabend bis Mitternacht können die Bürger ihre Unterschrift dafür abgeben. Das Ziel von 173.000 Unterschriften ist schon überschritten, jetzt streben die Initiatoren 210.000 an, um sicherzugehen, dass am Ende genug gültige Unterschriften dabei sind. Wenn das gelingt, wird das Volksbegehren dem Abgeordnetenhaus vorgelegt; wird dort nicht darauf eingegangen, kommt es zum Volksentscheid. 

In der Diskussion um den Park und warum es wichtig ist, ihn in seiner jetziges Form zu erhalten (Denkmalschutz, Erholungsgebiet, biologische Vielfalt), wurde ein Aspekt einfach ausgespart: das Kunstobjekt „Tempelhofer-Feld-Foto“. Auf Instagram findet man unter dem Hashtag #tempelhoferfeld fast 2000 Bilder. Viele davon sind sich sehr ähnlich und haben eine besondere Ästhetik, die Bildern aus dem Englischen Garten in München oder dem Hamburger Volkspark fehlt, auf denen man eben sieht, was auf Parkfotos standardmäßig so drauf ist (Bäume, Wiesen, Bäche, Licht und Schatten). Wir haben darum die Fotos vom Tempelhofer Feld kuratiert, weil wir glauben, dass sie ebenfalls ein Grund sind, diesen Park zu schützen. Sie fangen das Gefühl dieses Ortes ein, sie zeigen, wie dort der Blick tausender Menschen zu einem einzigen Blick vereint wird und wie diese Menschen ticken. Ein Interpretationsversuch der sechs häufigsten Tempelhofer-Feld-Motive.  

Drachen
[plugin bildergalerielight Bild1="Drachen"]
Motiv: blauer Himmel, bunte(r) Drachen
Eine riesige Freifläche ohne Häuser, Bäume, Straßenlaternen und Stromleitungen. Wann hat man noch mal nach diesen Voraussetzungen gesucht? Genau: Damals, mit neun, wenn der Wind blies und man einen neuen Drachen geschenkt bekommen hatte. Auf dem Tempelhofer Feld werden Mittzwanziger, Partygänger, Agenturmitarbeiter, Studenten der Geisteswissenschaften auf einmal wieder zu Neunjährigen, die etwas Buntes in den Himmel werfen und dort fliegen sehen wollen; das ist ungefähr der gleiche Effekt, wie wenn sie Seifenblasen in ihre Finger bekommen – nur in größer! Der Drachen galt schon im China des 17. Jahrhunderts als Glückssymbol, wurde möglichst hoch geflogen und dann in die Freiheit entlassen – auf dass alle Sorgen und Gefahren mit dem Wind davonfliegen. Das kann und sollte man ab und zu einfach mal versuchen, wenn die Voraussetzungen dafür stimmen. Und das tun sie hier ja.  

Rollen auf dem Rollfeld

[plugin bildergalerielight Bild2="Rollen auf dem Rollfeld"]
Motiv: Skateboard-, Rad- und Longboard- Fahrer

Ein Rollfeld ist eigentlich ein verbotener Ort. Auf kleinen Flughäfen muss man lange warten, um dann im Pulk über das Feld zum Flieger gescheucht zu werden. Auf großen Flughäfen beschränkt sich der Weg übers Rollfeld auf die wenigen Meter zwischen Bus und Flugzeugtreppe. Wie liebt man Filmbilder, in denen ein kleiner Mensch auf einem riesenhaften Rollfeld ein riesenhaftes Flugzeug anhält! Und wie liebt man den Gedanken, ein Mal dort mit dem Skateboard oder Fahrrad entlangrasen zu dürfen und sich so zu fühlen, als müsse man am Ende der Startbahn zwangsweise abheben! Auf dem Tempelhofer Feld darf man das, ganz legal, jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Klar, ist ja auch ein Park, aber das Bild des Rollens auf dem Rollfeld suggeriert schon ein kleines bisschen Rebellentum, mit ihnen weht dem Betrachter ein Hauch des Verbotenen und der Anarchie entgegen. Flugzeuge? Pah! Longboards? Ja!  

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Fluchtpunkt
[plugin bildergalerielight Bild3="Fluchtpunkt"]
Motiv: Lande- und Startbahn
Man kann weit gucken, auf dem Tempelhofer Feld, und die Bahnen schneiden Schneisen in die Grünflächen. Dar Raum scheint sich auszudehnen. Dahinten, wo man nicht mehr hinblicken kann, geht es noch weiter und dann noch ein bisschen, bis die Stadt wieder über einen hereinbricht. Aber jetzt gerade ist sie ganz weit weg, jetzt gerade kann man diesen Ort als eine Weite, als eine Symmetrie, als vollendet schön abbilden. Das Links und das Rechts: ausgeblendet. Das quängelnde Kind der Familie beim Sonntagsausflug, der Skater, der seine Tricks nicht packt, die zehn anderen, die an der gleichen Stelle stehen und auch ein Foto machen: alle nicht im Bild. Unendliche Ruhe, unendliche Weite.  

Akrobatik

[plugin bildergalerielight Bild4="Akrobatik"]
Motiv: Menschen, die springen oder einen Handstand machen
Dort, wo es flach ist, zeigt das Foto eines springenden Menschen ihn im Himmel statt vor Bäumen oder Bergen. Und das Foto eines Menschen im Handstand zeigt seine Füße im Himmel. Die Menschen, die auf dem Tempelhofer Feld springen und toben, sie suggerieren: Die Welt ist unser Spielplatz, wir sind jung, wir sind frei, wir brauchen Platz, damit wir rennen können, bis uns die Puste ausgeht, und wir erobern uns diesen Platz, schaut her, so geht’s! Sie suggerieren auch, dass das hier nicht der Ort für schlechte Laune ist, dass es einem hier automatisch gut geht, dass man den ganzen Tag gespielt hat wie die Welpen und den Augenblick umarmt hat, jede einzelne Sekunde.  

[seitenumbruch]

Tower
[plugin bildergalerielight Bild5="Tower"]
Motiv: Radarturm auf dem Flughafengelände
Gib den Menschen einen Ort, an dem sie Zeit verbringen und an den sie mitbringen können, was sie gerne um sich haben (Freunde, Biere, Handys, Skateboards), um dann ganz im Hier und Jetzt sein zu können. Am allerbesten ist dieser Ort für das Hier und Jetzt ein Ort mit Tradition, an dem an manchen Stellen das Damals hereinbricht, zum Beispiel in Form eines alten Turms. Die Menschen werden ihn lieben und tausendfach reproduzieren, bis daraus ein Symbol des Ortes geworden ist. „Ich war an diesem Ort“ sagen die Reproduktionen. Mehr als 70 Meter hoch, erbaut in den achtziger Jahren, irgendwie außerirdisch: Der alte Radarturm ist das perfekte Motiv, um den Besuch auf dem Tempelhofer Feld zu illustrieren, um zu sagen „Ich war dort – und dort ist es ein bisschen anders als in euren Parks“.  

Sonnenuntergänge

[plugin bildergalerielight Bild6="Sonnenuntergänge"]
Motiv: eben jene

Sonnenuntergänge am Meer sind die schönsten, denn der Horizont ist flach und schnurgerade, Mensch und Sonne sitzen sich auf Augenhöhe gegenüber, und während sie versinkt, schwelgt er in Wehmut, weil der Tag zu Ende geht, der helle, schöne, warme Tag. Sonnenuntergänge auf dem Tempelhofer Feld sind fast genauso schön, denn der Horizont ist flach und fast schnurgerade, Mensch und Sonne sitzen sich beinahe auf Augenhöhe gegenüber, und während sie versinkt, schwelgt er in Wehmut, weil der Ausflug zu Ende geht, der helle, schöne, erholsame Ausflug. Schnell macht der Mensch ein Foto, weil der alte Hesse schrieb, jedem Anfang wohne ein Zauber inne, aber auch, dass dafür erst mal was zu Ende gehen muss, dass das Herz bereit sein muss zum Abschied. Und das gilt auch für den Abschied vom Tempelhofer Feld, auch wenn Hesse den damals wahrscheinlich nicht gemeint hat.  

Ich bin kein Rassist, aber ...

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Wird oft strategisch verwendet, um sich nicht angreifbar zu machen. "Ich bin ja kein..., aber". Eine sprachliche Lüge.

Meine Schwester ist schwanger. In Berlin. Das sind zwei Gegebenheiten, die normalerweise weder besonders spannend sind noch viel miteinander zu tun haben. Aber dennoch der Grund, aus dem ich ihr eins mit dem Hausschuh überziehen möchte. Warum ich sie an den Haaren ziehen und ihr in den Arm beißen möchte. So wie früher, als wir uns jeden zweiten Tag durch das Haus unserer Eltern prügelten.  

Es geht um den Geburtsort. Der kleine Knirps soll nämlich nicht in Berlin, sondern in Potsdam zur Welt kommen. Den Grund liefert sie gleich hinterher. "Ich bin ja kein Nazi, aber...". Noch bevor sie den Rest aussprechen kann, möchte ich über diesen offensichtlichen Widerspruch aufschreien, sie schütteln und ihr einen dreistündigen Monolog über Vorurteile und Rassismus halten. Trotzdem vollendet sie ihn: "aber ich will nicht im Krankenhaus mit einer Türkin im Zimmer liegen, die jeden Tag ihre siebenköpfige Großfamilie zu Besuch hat. Ich will meine Ruhe."  

Da ich meine Schwester nun nicht schlagen darf – nicht, weil wir erwachsen sind, sondern weil sie schwanger ist – muss ich mir für diese Stammtischmentalität ein anderes Ventil suchen. Der Tumblr "IchbinkeinRassist" sammelt diese Art Kommentare aus sozialen Netzwerken. Gerade nach Ereignissen wie der Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren erlebt die Seite regen Zuwachs solcher Äußerungen. Ich kann mir diesen Blog keine drei Minuten durchlesen, ohne einen Brechreiz zu verspüren, aber mir fällt auf: Warum schieben Menschen diesen Satz "Ich bin ja kein Nazi, aber..." vor ihre eigentliche Aussage? Warum benutzen sie diese Floskel, obwohl ihre Äußerung in einem Widerspruch mündet?  

Nicola Frank, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gesellschaft für deutsche Sprache, hat eine Erklärung dafür: "Das liegt doch auf der Hand. Man will sich für eine bestimmte Aussage, die man trifft, nicht so richtig verbürgen. Man kann dazu eigentlich nichts sagen. Und es wäre viel härter, solch eine Aussage direkt zu treffen. Dann wäre sofort klar: Das ist rassistisch oder nationalistisch." Selbstschutz also. Sich nicht angreifbar machen. Gerade in der Hochsaison von Shitstorms und Aufschreien kann man sich ganz gut dahinter verstecken. Natürlich ist das "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" ein heikles Beispiel. Deswegen lässt mich die Erklärung der Frau Frank etwas unbefriedigt zurück.  

Denn: Tweets wie "Ich will ja kein Spielverderber sein. Aber Kim Schmitz geht nicht ins Dschungelcamp" fallen ebenso in dieses Sprachphänomen wie "Ich bin ja kein Schwulenhasser, aber die müssen ja nicht vor mir rummachen." Das musste Ex-Fußballprofi Thomas Hitzlsperger nach seinem Coming-Out erfahren. Überwiegend hat er positive Reaktionen erfahren, aber einige Kommentatoren ordnen sich eben in diese Schublade ein: "Mir ist es egal, ob er schwul ist, solange er mich nicht dumm anmacht."

Kann man sich so sein eigenes Weltbild hübsch verpacken und reinen Gewissens weiterleben? Geht es darum, sein Selbstbild von einem toleranten, weltoffenen Bürger nicht zu zerstören? Ist es eine Form von Selbstzensur, um wenigstens den Anschein von Political Correctness zu erhalten?

Niemand will ein Neo-Nazi sein. Neo-Nazis sind doch die Glatzköpfe mit Springerstiefeln, die vor Dummheit und Bierfahne nur so strotzen. Und eigentlich weiß man doch, dass man eben genau der Spielverderber ist, wenn man Informationen fallen lässt, die keiner hören will. Und auf eine perfide Art und Weise findet man das gut. Doch so versuchen wir uns selbst zu belügen und unser Selbstbild aufrecht zu erhalten. In manchen Zusammenhängen ist das harmlos, in anderen bedenklich. 

Willkommen in der Zukunft!

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Wenn es um die Grenzgebiete von Videoclips geht, muss man natürlich Yoko Ono erwähnen. 2001 haben Die Ärzte der ehemaligen Lennon-Geliebten und vielgehassten Beatles-Spalterin einen sehr kurzen Song gewidmet, und ihn, ein Statement wie es damals von keiner anderen Band kommen konnte, allen Ernstes als Single aus einem Album ausgekoppelt. Der furiose Videoclip, in dem die drei Musiker in einem Aufzug abstürzen, ging mit 45 Sekunden Gesamtdauer ins Guinnessbuch der Rekorde ein: als kürzester Clip aller Zeiten.  

2001, die Älteren werden sich erinnern: Das war in etwa die Zeit, in der MTV begann, allmählich Musikvideos aus dem Programm zu streichen und sie durch quotenstärkere Datingshows zu ersetzen. Ein On-Demand-Videobüffet wie YouTube war noch Lichtjahre, genauer gesagt: vier Jahre Entwicklungszeit entfernt. Wer damals also den Ärzte-Clip sehen wollte, musste vor dem Bildschirm mitunter sehr lange warten, um ein sehr kurzes Feuerwerk des Punkrock zu erleben, eine filmgewordene Rebellion gegen jede Marketingvernunft.  

http://www.youtube.com/watch?v=5lJaP4Gj6rA Guinness-Rekordsong Nummer eins:"Yoko Ono"

Und jetzt sind da Phrasenmäher, eine sehr höfliche Hamburger Deutschpop-Band mit sehr unverfänglichen Texten, und ja, man muss sie mit den Ärzten vergleichen. Denn sie haben am Freitag quasi das Gegenstück von "Yoko Ono" veröffentlicht: einen 90-minütigen Song, dem noch am selben Tag qua Guinness-Notar die Aufnahme ins Rekordbuch bescheinigt wurde. Es handelt sich dabei um eine extreme Langfassung eines Songs namens "Zwei Jahre in", der demnächst in Normallänge auf einem Album erscheint.

Man könnte diese Nachricht in den Ordner mit den Dutzenden hyperventilierenden Pressemitteilungen schieben, die Major-Labels täglich verschicken; "Zwei Jahre in" von Phrasenmäher ist eher kein Song, der es in die Jahresbestlisten schaffen wird. Er steht aber für eine größere Verschiebung in der Musikindustrie, für deren erste Symptome man nun ein paar Monate zurückgehen muss – in den Herbst 2013.

Damals ließen zwei amerikanische Großmusiker mit ihren Clips kurz mal die globale Musikpresse begeistert aufjapsen: Bob Dylan veröffentlichte ein Video zu seinem unsterblichen Song "Like A Rolling Stone". Darin konnte sich der Zuschauer in einem flash-programmierten Fernseher durch 16 Programme zappen, in denen sich die Lippen von Nachrichtensprechern oder Soap-Darstellern synchron zu dem 48 Jahre alten Lied bewegten, ohne dass die Musik dabei stockte. Nur Tage danach zündete Pharrell Williams einen neuen Begeisterungsböller: einen 24-stündigen Videoclip zu seinem Song "Happy", bei dem man sich wie ein Zeitreisender durch einen Tag und eine Nacht in L.A. klickt. Auf der eigens dafür programmierten Website wurde er in vier Tagen knapp zwei Millionen mal aufgerufen.



Wer braucht künftig noch Alben? Der Videoclip wird endgültig zur eigenständigen Kunstform.

Was war passiert? Zwei Musiker hatten, nicht als erste, aber doch als bislang prominenteste, das Prinzip Videoclip konsequent aus der Linearität des Musikfernsehens gerissen. Statt einen Song auf drei Minuten dreißig Sendelänge zu trimmen, hatten sie ihn in Länge und Interaktivität den Vorlieben und Möglichkeiten des Netzes angepasst. Wer will, kann ganze Nächte mit den so aufbereiteten Songs verbringen, ohne sich zu langweilen.

Und keine drei Wochen später polterte die nächste Überraschung ins Haus: Beyoncé stellte ihr fünftes Album auf iTunes, völlig unangekündigt. Jahrelang war die Veröffentlichung aufgeschoben worden. Nun standen 14 Songs zum ausschließlich digitalen Erwerb da. Und zwar inklusive, hier die nächste Sensation, eines beigelegten Videoclips zu jedem einzelnen Song des Albums.

Was Pharrell, Bob Dylan und Beyoncé da innerhalb eines Monats boten, war nicht viel weniger als ein Blick in die Zukunft der Musik-PR: Dylan bewarb eine CD-Box mit seinem Gesamtwerk letztlich mit einem Videospiel, Pharrell machte seinen Song in Dauerschleife zum Soundtrack für tageszeitenunabhängige Glückseligkeit – wobei der Song nicht mal auf einem Album erschien, sondern lediglich als Titeltrack eines Animationsfilms. Bei beiden war der Videoclip zur Film-Installation geworden. Nicht mehr ein Vorgeschmack auf das bitteschön noch zu kaufende ganze Album, sondern ein in sich geschlossenes Kunstwerk.

Ein Song ohne Clip? So leblos wie ein selbstgebrannter Rohling.



Beyoncé wiederum ging einen Schritt in eine andere, aber ebenfalls bislang nur spärlich beleuchtete Ecke: Denn wenn Alben, wie seit längerem behauptet, im Netz wirklich ein Auslaufmodell sind, weil jeder ohnehin nur Songs kauft, ist es letztlich konsequent, zu jedem einzelnen Track eines Albums ein Video mitzuliefern.

Schließlich hat das Internet Musik und Video zur quasi untrennbaren Einheit gemacht: ein Song ohne Clip wirkt auf YouTube so nackt und leblos wie eine selbstgebrannte CD mit Edding-Beschriftung. Nicht umsonst sind neun der zehn meistgeklickten Filme aller Zeiten auf YouTube: Musikvideos. (Das zehnte Video, das nur am Rande, zeigt den Jungen, der von seinem Bruder Charlie in den Finger gebissen wird.)

Was nun die Band Phrasenmäher betrifft, die mit ihren 482 verschiedenen Refrains innerhalb ihres 90-Minüters im Guinnessbuch der Rekorde steht: Ihr Konzept folgt der gleichen Entwicklung, weg vom physikalischen Tonträger, hin zum Videoclip als eigenständigem Happening. Das ist allein deswegen bemerkenswert, weil dieser Rekord zu Zeiten von "Yoko Ono" gar nicht denkbar gewesen wäre: Damals wäre der längste veröffentlichbare Song genau 74 Minuten lang gewesen - so lang wie die Abspielzeit einer Audio-CD.

Die Angst vor dem Knopf

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Auf den ersten Blick ist die Wikipedia-Liste der Phobien ein Quell unermesslicher Heiterkeit. Da wird die Angst vor Clowns (Coulrophobie), vor dem Zustand, beruflich nicht auf dem Handy erreichbar zu sein (Nomophobie, haben angeblich 66 Prozent der Briten), und vor der Zahl Vier (Tetraphobie, davor fürchten sich wiederum eher die Asiaten) beschrieben. Klingt erstmal eher amüsant als verstörend.

Wenn man Menschen allerdings kennt, für die solche Phobien ganz real sind, wird's schon weniger lustig. Eine Bekannte von mir leidet beispielsweise an Koumpounophobie, das bezeichnet die Angst vor Knöpfen. Jahrelang konnte sie ihre Phobie geheimhalten, indem sie einfach Hosen mit Gummizug, Ösen oder Druckknöpfen trug, im Gegensatz zu den Standard-Knubbeln hielt sie diese nämlich aus. Als wir allerdings unsere Abi-Shirts auspackten, bekam sie Panik, denn: Wir hatten Polohemden bestellt. Erst hielt ich es noch für einen Scherz, aber als ich den Ekel in ihrem Gesicht sah, kapierte ich, dass sie wirklich Qualen ausstand. Sie konnte das Hemd nicht anfassen, denn dann hätte sie vielleicht auch die Knöpfe berührt. Am Ende lösten wir das Problem, indem eine gute Freundin die Knöpfe für sie abschnitt - das Risiko, ihr Abishirt unter 150 anderen nicht wiederzufinden, war somit zumindest auch gebannt. Scheinbar kommt diese Angst oft von einer schlechten Erfahrung mit Knöpfen - beispielsweise, weil man als Kind einen verschluckt hat. Meine Bekannte konnte sich an so ein Vorkommnis allerdings nicht erinnern. Die Angst war auch aus ihrer eigenen Sicht irrational und trotzdem real.



Für manche Menschen sind Knöpfe ein Grauen.

Andere Phobien, die Freunde von mir haben: Trypophobie, also die Angst vor kleinen Löchern. Für diese Person ist Luftschokolade ein richtiges Problem, denn die Musterung der Füllung widert sie an. Meine ehemalige Mitbewohnerin kann wiederum keinen Apfel am Stück essen - nur in kleingeschnittener Form, ohne Stiel und Kerne nimmt sie ihn in den Mund. Zwar habe ich zur "Angst vor Äpfeln" keinen ernstzunehmenden Fachbegriff finden können, verwunderlich wäre es allerdings nicht, wenn es auch das gäbe.

Welche kuriosen Phobien kennst du von dir selbst oder aus deinem Freundeskreis? Hast du vielleicht Angst vor dem Friseur? Pilzen? Nassem Papier? Erzähl es im Ticker!


Trinken, trinken, trinken

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Öffentliche Trinkwasserbrunnen sollen das Stadtbild verändern. Vorbild sind die Niederlande.

Wasser ist der neue Spinat. Wer heutzutage groß und stark werden will, muss nicht mehr zwingend Grünes essen, sondern trinken, trinken, trinken. Bis zu drei Liter am Tag, rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Blöd nur, dass durch die vielen Wasserflaschen so viel Plastikmüll entsteht. Damit mehr getrunken und weniger verschmutzt wird, braucht Deutschland öffentliche Trinkwasserbrunnen. Bundestag, Kommunen und öffentliche Wasserwerke sind sich einig: 2014 könnte das Jahr der Brunnen werden. Bereits im September 2013 gab der Bundestag eine Petition als Anregung an die Kommunen weiter, in der gefordert wird, flächendeckend Trinkwasserbrunnen aufzustellen.

„Seit ein paar Jahren trägt jeder ständig eine Wasserflasche durch die Gegend. Dieses neue Trinkverhalten muss sich im Stadtbild widerspiegeln“, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds. So ein öffentlicher Brunnen könne „ein echter Hingucker“ sein und nebenbei auch noch für „Deutschlands bestkontrolliertes Lebensmittel“ werben: das Trinkwasser. „Wir wollen, dass die Wasserversorgung in der Hand kommunaler Anbieter bleibt, da sind die Brunnen ein wichtiges Statement.“ Ob die einzelnen Städte und Gemeinden nun beim Brunnenbau mitmachen, bleibt ihnen allerdings selbst überlassen. Eine große finanzielle Herausforderung sieht Landsberg jedoch nicht: „Von zwei, drei Trinkbrunnen geht keiner pleite.“

Dass das Gratis-Trinken eher eine Willens- denn eine Geldfrage ist, zeigen die Berliner Wasserbetriebe, die 20 öffentliche Brunnen im gesamten Stadtgebiet unterhalten. Die meisten sind blaue Gusseisen-Säulen aus den Achtzigern, in den vergangenen vier Jahren sind ästhetisch neutralere Aluminium-Brunnen hinzugekommen, aus denen von April bis Oktober ununterbrochen Wasser sprudelt: zwei Kubikmeter am Tag.

Die Kosten für Brunnen und Wasser tragen die Wasserbetriebe: „Wir müssen ohnehin regelmäßig die Leitungen spülen, da nehmen uns die Brunnen Arbeit ab, weil so das Wasser permanent läuft.“ Die Kosten für Wartung und Installation des Brunnens hingegen werden teils vom Bezirk, teils von privaten Initiativen übernommen. So hat sich in Neukölln der Verein „A Tip: Tap“ mit Einzelhändlern aus der Hobrechtstraße zusammengetan, um dort gemeinsam die jährlichen Wartungskosten von 3000Euro für einen Brunnen zu stemmen.

Als Vorbild für die Trinkbrunnen hat sich der Bundestag die Niederlande erkoren. Dort wurden seit 2012 auf Kosten der Gemeinden Hunderte Trinkbrunnen aufgestellt, die aussehen wie riesige Wasserhähne. Das Ziel ist: das Übergewicht in der Bevölkerung zu reduzieren und somit die Krankenkassen zu entlasten. Denn Limonade macht dicker als Wasser.

Theoretisch könnte das große öffentliche Trinken schon jetzt beginnen. Allein in München gibt es 77 historische Springbrunnen, aus denen seit Jahren Trinkwasser fließt. Robuste Menschen könnten behaupten, das mache die neuen Alu-Trinksäulen überflüssig. Viele jedoch haben vermutlich wenig Lust, das Wasser erst dann zu trinken, wenn es bereits über einige barocke Statuen und mehrere Generationen Moos geperlt ist.

Ein krankes Spiel

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In den USA sind vermehrt Opfer niedergeschlagen worden. Ob es sich um eine Art Spiel handelt oder rassistisch motivierte Hintergründe hat, ist noch unklar.

Es ist der Traum eines jeden Boxers: aus der Ecke kommen und den ersten Schlag des Kampfes derart wuchtig am Kopf des Gegners platzieren, dass der umfällt und nicht mehr aufsteht. One-anddone-Knockout nennt man das, Mike Tyson ist im Jahr 1982 gegen Dan Cozad so ein Treffer acht Sekunden nach dem ersten Gong gelungen; diese rechte Gerade gilt immer noch als der schnellste Niederschlag des Amateurboxens. Außerhalb des Rings scheint sich in den Vereinigten Staaten ein recht makabrer Trend zu verbreiten, bei dem ein ähnliches Ziel verfolgt wird. Es ist bekannt unter den Namen „Knockout Game“, „Knockout King“ oder „point ’em out, knock ’em out“ und fordert die Teilnehmer dazu auf, eine willkürlich ausgesuchte Person mit nur einem Schlag niederzustrecken. Mehrere Menschen sind im vergangenen Jahr bei diesen Angriffen ums Leben gekommen.

In den USA wird derzeit heftig darüber debattiert, ob es so etwas wie ein Niederschlag-Spiel tatsächlich gibt. Es geht bei der Diskussion um die Rolle der Medien bei der Berichterstattung über die Angriffe, den Umgang mit den mutmaßlichen Tätern – und nicht zuletzt um Rassismus. Fakt ist jedenfalls, dass sich die Berichte über scheinbar zufällige Angriffe in den vergangenen Wochen häufen und dass dabei immer wieder auf das grausame Spiel verwiesen wird. Vor einem Tanzstudio in San Francisco wurde vergangene Woche eine Frau niedergeschlagen, in Venice war das Opfer ein 65 Jahre alter Mann, der seinen Hund ausführte. In Brooklyn wurden vor zwei Wochen drei Jogger angegriffen, in Houston ein Mann während seiner Mittagspause. In allen Fällen blieb das Motiv der Angreifer unklar: Sie hatten zuvor nichts mit den Opfern zu tun gehabt und sich bei der Attacke weder für Geld noch für Wertsachen interessiert, sondern offensichtlich nur dafür, jemanden umzuhauen.

In Denver gab es am Silvesterabend gar drei Angriffe innerhalb weniger Stunden. „Sie haben nichts gesagt, es gab keine Warnung, wir hatten keine Chance, uns zu verteidigen“, sagte Nick Lloyd, eines der Opfer. Er hatte mit einem Freund an einer Straßenecke gewartet, beide wurden mit jeweils einem Schlag niedergestreckt. „Wir haben uns gegenseitig auf die Beine geholfen, dann habe ich gemerkt, dass meine Nase blutete und mein Kiefer eingedellt war. An mehr erinnere ich mich nicht.“ Lloyds Unterkiefer ist auf beiden Seiten gebrochen, ihm werden nun Metallplatten eingesetzt. Es dürfte Monate dauern, bis er sich von dem Angriff erholt haben wird.

Das „Knockout Game“ erinnert ein wenig an „Happy Slapping“, bei dem die Teilnehmer anderen Menschen Ohrfeigen verpassten, sich dabei möglichst selbst filmten und die Ergebnisse per Handy an ihre Freunde verschickten. Es war zunächst eine kindische Aktion einiger Lümmel im Süden Londons, verbreitete sich dann allerdings in ganz Europa mit teils fatalen Folgen. Es gab Videos von gezielten Mobbing-Aktionen, Vergewaltigungen und wilden Prügeleien, bei denen Menschen starben.

Nur: Gibt es das „Knockout Game“ überhaupt – oder sind die scheinbar willkürlichen und zufälligen Attacken vielmehr rassistisch motiviert? In Brooklyn etwa wurde kürzlich ein 35 Jahre alter Mann verhaftet, der im November und Dezember sieben Menschen niedergeschlagen haben soll. Zunächst hieß es, die Angriffe seien Teil des makabren Spiels. Nun wird der Angreifer nicht nur wegen Körperverletzung angeklagt, sondern auch wegen sogenannter „hate crimes“, weil seine Angriffe offenbar rassistisch motiviert gewesen sind. Alle seine Opfer waren jüdische Frauen.

In Houston wurde im Dezember ein 27Jahre alter Mann verhaftet, nachdem er einem verdeckten Ermittler nach einem Hinweis auf das „Knockout Game“ ein Video gezeigt hatte, auf dem er einen 79-jährigen Afroamerikaner mit einem Schlag niederstreckt und sagt: „Knockout, Baby!“ Bei der Überprüfung des Mobiltelefons entdeckte die Polizei Videos, in denen der mutmaßliche Angreifer rassistische Aussagen macht und sagt: „Der Plan ist es herauszufinden, ob ich es ins landesweite Fernsehen schaffe, wenn ich einen Schwarzen schlage.“ Auch er wird nun wegen eines rassistisch motivierten Verbrechens angeklagt; die Strafe dafür (bis zu zehn Jahre Gefängnis und 250000 Dollar Geldstrafe) ist deutlich höher als bei einer willkürlichen Attacke.

Diese Anklage wird nun von Leuten aus dem konservativen Lager kritisiert, weil afroamerikanische Teenager, die weiße Menschen niedergeschlagen hatten, lediglich wegen Körperverletzung angeklagt wurden. Bill O’Reilly vom Fernsehsender Fox News beschrieb den Trend gar als „weiteres Beispiel junger schwarzer Amerikaner, die sinnlose Verbrechen begehen“. Der statistisch nicht belegte Verdacht O’Reillys: Das „Knockout Game“ sei eine Erfindung schwarzer Jugendlicher, die von den liberalen Medien bewusst ignoriert werde.

Ob es das „Knockout Game“ gibt oder nicht: Im Bundesstaat New Jersey existiert mittlerweile ein Gesetzentwurf mit dem Ziel, die Strafen für willkürliche Angriffe deutlich anzuheben. „Jemanden einfach so ohnmächtig zu schlagen, ist alles andere als ein Spiel“, sagt der Abgeordnete Ron Dancer, der den Entwurf eingereicht hat: „Es ist eine neue, kranke Form von Gewalt, die zum Tod unschuldiger Menschen geführt hat und um die wir uns kümmern müssen. Wer so etwas macht, aus welchem Grund auch immer, gehört ins Gefängnis.“

Auch Mike Tyson, der Boxer mit dem schnellen Knockout, hat sich in einer Talkshow zu dem Thema geäußert: „Für manche mag das ein Spiel sein, aber ich finde das nicht cool.“ Er könne sich nicht erklären, warum jemand ohne Grund zuschlage: „Das sind einfach böse Menschen.“

Ein Anruf bei ...

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"Die Wege, ein Bier zu öffnen, sind unerschöpflich", findet David Klotz.

David Klotz aus Werdau in Sachsen hat bislang 46 Folgen der Youtube-Reihe „Bier öffnen mit Dave“ produziert. Darin zieht, hebelt und schlägt er Flaschen auf, mit allem Möglichen, von Büchern bis zur Ukulele. Zu Beginn des abendlichen Telefonats gibt es eine Praxis-Einheit. Das gehe in Ordnung, sagt Klotz, es gelte schließlich die alte Regel: kein Bier vor vier.

SZ: Herr Klotz, vor mir auf dem Tisch steht eine Flasche Bier. Wie lassen wir da jetzt am besten die Luft raus?

David Klotz: Gehen Sie mal in die Küche!

Da ist ein Tortenheber, ein Brotmesser...

Mit Geschirr geht es ganz gut! Beim Kaffeepott zum Beispiel funktioniert der Henkel super, da war ich total überrascht.

Zischplopp. Tatsächlich! Womit machen Sie Ihres auf?

Ich habe schon eine leere Bierflasche vor mir, keine Ahnung, wer die da hingestellt hat. Die Innenseite des Flaschenhalses bietet sich da an. Gerade Kante, nicht so abgerundet wie die Außenseite. Zisch, wunderbar. Sehr zum Wohl!

Wie viele Versuche benötigen Sie bei Ihren Filmen so im Durchschnitt?

Das meiste waren 30 Versuche in der Episode Facebook. Da habe ich ein Buch unter den Korken geklemmt und 30 Mal mein Gesicht draufgeschlagen. Das ist weder sinnvoll noch nachahmenswert.

Dann gleich mal die Service-Frage: Womit sollten Laien stattdessen üben?

Am besten sind straffe, metallische Gegenstände. Die verbiegen sich nicht, der Hebel ist lang und die Verletzungsgefahr gering. Viele nehmen ja ein Feuerzeug, das halte ich nicht für geeignet. Es hat einen kurzen Hebel und Potenzial zur Entflammung.

Was diente Ihnen bereits als Öffner?

Personenwaagen, Stehlampen, ausrangierte Brillen, Blumentöpfe, ein Handtuch...

Ein Handtuch?

Ja, da legt man die Kante über den Kronkorken, zieht eine Schleife, und dann reicht ein ordentlicher Zug, um den Deckel runterzuholen. Sogar mit Plopp!

Finden Sie als MacGyver des Bieröffnens noch neue Herausforderungen?

Es ist immer möglich, sich technisch zu verbessern. Mein Ziel ist es, ein Bier mit dessen Eigenlast zu öffnen.

Wie soll das gehen?

Der Plan ist, Angelschnur oder einen anderen Faden unter den Korken zu binden und das Bier irgendwo runterzuwerfen, sodass der Korken kurz vor dem Boden durch einen Ruck abspringt – ohne dass die Flasche kaputtgeht.

Viel Erfolg, Herr Klotz.

Von Silvester habe ich mir übrigens ein paar Raketen aufgehoben.

Na los, sagen Sie schon.

Das sind doch spannende Fragen: Welche Kraft und welche Steighöhe hat so eine Rakete? Das Problem ist der Strick: Schnürsenkel, Paketschnur, das reißt alles ein. Bisher habe ich immer den Faden verloren.

Apropos, warum machen Sie, was Sie machen, und wie kamen Sie darauf?

Ich würde jetzt natürlich gerne sagen, dass das in einer Bierlaune entstanden ist, aber ich war nüchtern und ich finde das einfach spannend. Anders als Bier an sich sind die Wege, es zu öffnen, unerschöpflich.

Und seitdem gilt: Wer einen Hammer hat, sieht überall Nägel?

Unterbewusst schon. Erst neulich habe ich mir von einem Freund ein Requisit erfragt.

Nämlich?

Ein Babyfon.

Herr Klotz!

Das stand halt rum. Und es tut noch immer seinen Dienst.

Sind Sie schon einmal gescheitert?

Ein Mal, als ich es mit Kuscheltieren versuchte. Ich habe alle möglichen versucht, aber es ist kein Bier geöffnet worden.

Und womit würden Sie es nie versuchen?

Mit Dingen, die zu meinem Körper gehören. Zähne etwa, die hat man zwar immer dabei, aber das wäre nun wirklich Quatsch.

Das Interview führte Cornelius Pollmer.

Wir fordern Blauhelme

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Auf der Reeperbahn nachts um halb eins sah es am Freitag aus wie nach einem Chemieunfall. Vor der Davidwache, wo sonst die Grand-Prix-Übertragung oder der Schlager-Move gefeiert werden und auch schon mal Formel-1-Wagen kleine Showrunden drehten, wölbte sich ein weißer Belag auf dem Asphalt. Doch was so unappetitlich wie Giftschaum aussah, war nur das Relikt einer Verhöhnung, mit der sich eine große Gruppe von St.-Pauli-Bewohnern gegen die massive Polizeipräsenz in ihrem Stadtteil wehrte. Die Fläche durchnässter Daunen legte Zeugnis ab von einer wilden Kissenschlacht, inszeniert als „Gewalt“-Spott vor dem Polizeirevier und Teil der Klobürsten-Revolte, die mittlerweile von Al Jazeera bis zur BBC die Weltmedien beschäftigt.

Der Ort für dieses kindische Vergnügen wurde mit Bedacht gewählt, denn Hamburgs Kreativviertel St. Pauli, Sternschanze und Altona sind gerade Schauplätze eines ideologischen Bullenkampfs, in dem sich politische Sturheit so lange in Gewaltsymbolik ausdrückt, bis es kracht. Seit einem angeblichen Angriff auf die Davidwache am 28.Dezember durch Autonome war der Hamburger Hafenrand „Gefahrengebiet“. Hundertschaften weißbehelmter Bereitschaftspolizisten patrouillierten durch die Straßen, um schwarz gewandete Gruppen aufzuspüren, die hier angeblich die Freiheit der Bewohner und die Gesundheit der Polizei gefährdeten.



Teilnehmerinnen eines Flashmobs bewerfen sich auf dem Spielbudenplatz mit Kissen und Federn und protestierten damit gegen die Polizeikontrollen in den eingerichteten Gefahrengebieten.


Tatsächlich verwandelte genau diese Strategie St. Pauli in ein akutes Provokationsgebiet zweier humorloser Okkupationsarmeen, die sich wie adrenalingesteuerte Moschusbüffel die Köpfe einrammen wollten. Die deutsche militante Szene, die sich seit einer Demonstration gegen die drohende Räumung des linken Stadtteilzentrums „Rote Flora“ vor Weihnachten – bei der es zu massiven Straßenschlachten gekommen war – in der Stadt hält, wollte auf diesem Pflaster exemplarisch beweisen, dass Deutschland ein Polizeistaat ist. Und die Exekutive tat ihnen jeden Gefallen, sie in dieser Paranoia zu bestärken. Der Klobürsten-Aufstand war die spontane und mittlerweile Wirkung zeigende Strategie, mit Spott auf die archaische Keilerei zwischen Polizist und Anarchist einzuwirken.

Dass das Sanitärutensil zu diesem Symbol geadelt werden konnte, hatte seinen Ursprung in genau jener Lächerlichkeit, die überzogene Aufregung immer produziert. In den ersten Tagen des „Gefahrengebiets“, das sich dadurch auszeichnet, dass die Polizei jeden Passanten „verdachtsunabhängig“ kontrollieren, durchsuchen und des neun Quadratkilometer großen Stadtbereichs verweisen durfte, wurde eine Klobürste als Schlagwaffe beschlagnahmt. Also trugen seither so viele Teilnehmer der täglichen Spontandemonstrationen gegen das Gefahrengebiet ein solches „Gewaltutensil“ sichtbar bei sich, dass der Toilettenreiniger in den umliegenden Drogerien nahezu ausverkauft ist.

Begleitend hat es dazu in den vergangenen Tagen eine kreative Explosion der Klobürsten-Motive gegeben, die nicht nur die Proteste begleiten, sondern mittlerweile auch das Internet füllen: Filmplakate mit Harry Potter oder Meister Yoda im Bürstenkampf, der Totenkopf des FC St. Pauli mit gekreuzten Kloschrubbern, das berühmte Sex-Pistols-Cover mit dem Text „Never mind the Gefahrengebiet, Here’s the Klobürste“ und „Hamburg, das Klo zur Welt“ zielen mit ihrem Spott vor allem auf den SPD-Senat von Olaf Scholz, der sich mit seinen unverhältnismäßigen Maßnahmen gerade weit über die Stadt hinaus blamiert.

Die US-Regierung hat schon eine Reisewarnung für Hamburg-St. Pauli herausgegeben, die dazu führt, dass sich täglich mehr ausländische Journalisten durch den überaus friedlichen und fröhlichen Kriegsschauplatz führen ließen, wo sie dann leider nur Transparente mit der Forderung nach „Blauhelmen“ oder große Lügen-Pinocchios in Polizeiuniform fotografieren konnten. Die „Tagesschau“ zeigte die Klobürsten-Freunde in gelben Friesennerzen, wie sie mitten im Gefahrengebiet Party-Demos veranstalten. Und Al Jazeera verlinkte seinen Bericht über die „Danger Zone“ mit dem Twitter-Hashtag von „WirSindAlleHamburg“, über den sich die neue Protestkultur austauscht. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator Michael Neumann konterten diesen ansteckenden Protest schmallippig mit stereotypen Formeln über Recht und Ordnung, die nun mal herrschen müssen. Medial schlechter aussehen konnte man gar nicht.

Aber auch die zugereisten Krawall-Adabeis, die vor Weihnachten systematisch Scheiben von Banken und Kettenläden in St. Pauli eingeworfen haben, egal, ob es sich um amerikanische Markenshops wie American Apparel, Carhartt oder Apple, oder um Nahversorger wie Supermärkte und Drogerien handelte, nahmen die Bevölkerung am Ort in Geiselhaft. Ihr Politikverständnis mag im Kern paranoid sein, aber sie finden ihre Paranoia ganz offensichtlich geil. Als seien sie der Vietcong im Mekongdelta schlichen sie nachts durch den Stadtteil und flüsterten sich verschwörerisch zu, wo die „Bullen“ gerade waren, sprühten die Häuserwände mit „A.C.A.B.“ (All Cops are Bastards) voll und veröffentlichten Strategiepapiere, in denen über Nahkampf mit den „Pigs“ und die beste Art, Molotow-Cocktails herzustellen, schwadroniert wird. Alles in allem also waren es Beweise dafür, dass das Gewaltmonopol doch besser beim Staate bleibt.

Allerdings hätte ein diskreteres Gewaltmonopol dem Stadtteil vermutlich einige der militanten Phantasien von „umkämpften Häuserschluchten“ und autonomen Eliteeinheiten erspart, die nach dem Vorbild des Sparta-Films „300“ antraten, einer hochgerüsteten Übermacht zu trotzen (nachzulesen in einem anonymen Kampfpapier bei dem Radikalportal linksunten.indymedia.org). Langjährige gewalttätige Auseinandersetzungen um die Hafenstraße und die „Rote Flora“ kamen in Hamburg immer dann einer Lösung näher, wenn auf die herrische Symbolik von Polizeipräsenz und Drohvokabeln wie „Gefahrengebiet“ verzichtet wurde. Der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der 1987 den Hafenstraßenstreit beendete, hatte sich seinem störrischen Nachfolger deswegen als Vermittler angeboten.

Denn während die Demonstrationen auf St. Pauli zurollten, in denen sich der Schwarze Block zum Nahkampf rüstete, sind in den angeblichen Gefahrengebieten zahlreiche echte Konflikte zu lösen. Das linke Symbol „Rote Flora“, das die meisten Jugendlichen nur als Konzerthausruine kennen, möchte sein Besitzer durch ein kommerzielles Kulturzentrum ersetzen – womit er die alte linksradikale Wehrhaftigkeit der Flora-Veteranen wieder aktiviert. Die kürzlich blitzgeräumten Esso-Häuser am Spielbudenplatz (SZ vom 17. Dezember) weichen demnächst einem Neubau mit Eigentumswohnungen und kommerzieller Ladenfront. Und neben diesen beiden symbolträchtigen Problemvorhaben zeigt sich auch überall sonst in den ehemaligen Arbeiter- und Vergnügungsvierteln am Hafenrand die harte Hand der Gentrifizierung. Austauschbare Kettenläden, rasant steigende Mietpreise, Kommerzangebote für Bustouristen und die Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum sind tatsächlich die eigentlichen Bedrohungen der Klobürstenvielfalt, gegen die sich diese neue Spaßguerilla in ihrem Netzwerk „Recht auf Stadt“ wehrt.

Darauf, dass eine Rückkehr zu zivilen Umgangsformen bald wieder möglich werden kann, deutet die Tatsache, dass die Polizei der Hansestadt die „Gefahrengebiete“ am Montagnachmittag aufgehoben hat. Alle damit verfolgten Ziele seien erfüllt, heißt es. Es habe auch keine Übergriffe auf Beamte mehr gegeben. Offenbar waren die Studenten-Demonstrationen unter dem Motto „Don’t let the system get you down!“ so friedfertig verlaufen, dass man Entwarnung geben konnte. Möglicherweise haben die symbolisch auftretenden Organisatoren dieser Veranstaltung, die sprechenden Haushaltswaren „Pinsel“ und „Bürstli“, den Demonstranten mit ihrer Videobotschaft dann doch den Kopf gewaschen.

Ich Strebersau

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Ich freue mich, wenn mir auf dem Weg durch die Stadt zu einem Gegenstand (Baum, Auto, Orange) oder einer Tätigkeit (gehen, kaufen, essen) spontan die entsprechende Spanische Vokabel einfällt. „Oh“, denke ich dann, „kannst ja doch schon ein bisschen was!“ Ich lerne Spanisch an der Volkshochschule. Ich habe mir das für die Zeit nach meinem Studium vorgenommen, weil ich Spanisch schön finde, man es in vielen Ländern gebrauchen kann und ich außerdem Lust hatte, noch eine Fremdsprache zu lernen. Und auch, wenn die Volkshochschule für mich bisher immer eine etwas spießige Aura hatte, gefiel mir der Gedanke, eine Sprache zu lernen, ohne Prüfungen darüber schreiben zu müssen (Englisch, Französisch, Latein in der Schule) oder akut darauf angewiesen zu sein (Arabisch während des Auslandaufenthalts). Ich hätte aber nicht gedacht, dass die Volkshochschule dem Teil „Schule“ in ihrem Namen so viel Ehre macht. Zumindest was die Mechanismen unter den Schülern angeht.  



Einmal Streber - immer Streber?

Dazu ein Beispiel: Erste Spanischstunde nach den Weihnachtsferien. „Am Wochenende habe ich das Buch mal in die Hand genommen“, sagt eine Kurskollegin, während wir vor der Tür auf unsere Lehrerin warten, „hab es dann aber ganz schnell wieder weggelegt.“ „Ja, ich hab auch nix gelernt“, sagt eine andere Kurskollegin. Beide machen ein Gesicht, das wohl ein schlechtes Gewissen ausdrücken soll. Ich habe in den Ferien das Buch in die Hand genommen und nicht sofort wieder weggelegt. Ich habe sogar Vokabeln gelernt, weil es mir ja nichts bringt, wenn ich weiß, wie man ein Verb auf -ar konjugiert, wenn ich gar keine Verben kenne. Aber ich sage nichts. Natürlich nicht.  

Denn das passiert vor jeder Stunde, immer sagt irgendwer, dass er immer noch keine Vokabeln gelernt oder die Hausaufgaben nicht gemacht hat. Oder beides. Und meistens sagt es auch nicht einer, sondern mehrere. Noch nie habe ich jemanden ohne Aufforderung „Ich hab die Hausaufgaben gemacht“, sagen hören. Für das Nichtstun scheint es einen sehr starken Mitteilungsdrang zu geben, es ist sozial akzeptiert, nichts gemacht zu haben. Immer noch, wie damals, in der Schule, als die Leute, die schnell noch Hausaufgaben abschreiben mussten oder im Vokabeltest eine Fünf schrieben, die lautesten waren. Ich dachte allerdings, mit dieser Rollenverteilung sei es nach dem Schulabschluss vorbei, vor allem dann, wenn sich erwachsene Menschen freiwillig treffen, um etwas zu lernen. Aber es scheint dabei zu bleiben: Es gibt die Streber und es gibt die Coolen. Und es gibt einen ungeschriebenen Verhaltenskodex: Sich öffentlich Mühe zu geben ist verboten, öffentlich kundtut, dass man nichts gemacht hat, unbedingt erlaubt.  

Dazu ein weiteres Beispiel: Die Lehrerin fragt zu Beginn der Stunde reihum, wer in den Ferien Spanisch gelernt habe. Viele sagen „Nein“, alle anderen sagen „ein Bisschen“ und sie sagen es erstens leise und verschämt, und zweitens, indem sie den Daumen und den Zeigefinger ein winziges Stück auseinanderhalten, um zu demonstrieren, wie unfassbar klein dieses Bisschen ist. Als die Reihe an mich kommt, sage ich: „ein Bisschen“. „Ja“, wäre ehrlich gewesen. Es war nicht viel, es war nicht wenig, es war so, dass es mir etwas gebracht hat. Und wie ich so „ein Bisschen“ sage, habe ich einige der anderen ein-Bisschen-Sager im Verdacht, dass auch sie eigentlich hätten „Ja“ sagen müssen. Aber das geht nicht, so wie damals, in der Schule.  

Ich war eine gute Schülerin, ich hatte gute Noten und wenn mich etwas interessierte, dann lernte ich das auch, meistens fiel mir das nicht besonders schwer. Und ja, ich weiß, dass das ein Luxusproblem ist – aber so wie die einen hart an ihrem Image als Freigeister und Rebellen arbeiteten, indem sie nie lernten und schlechte Noten schrieben, musste ich hart daran arbeiten, nicht als Streber zu gelten, indem ich nie sagte, wenn ich gelernt hatte, nicht über meine Noten sprach und mich nicht immer meldete, wenn ich eine Antwort wusste. In den Charakterisierungen in der Abizeitung, die aus anonym gesammelten Kommentaren zu jedem einzelnen bestanden, stand zu meinem Namen unter anderem „Kein Streber“. Und das bedeutet natürlich eigentlich: „Hätte das Potenzial dazu gehabt.“  

Ich lerne an der Volkshochschule nicht nur Spanisch. Ich lerne auch, dass dieses seltsame sich-Winden, wenn man gerne etwas lernt, dieses komische „Ich hab nix gemacht“, wenn man sich in einem Kurssystem befindet, anscheinend nie aufhört, auch, wenn es keine Noten, Statuskämpfe und richtigen Lehrerautoritäten mehr gibt.

Zum Glück fliege ich bald in ein Land, in dem man Spanisch spricht. Das wird sicher sehr heilsam. Weil sie sich da dann einfach freuen, dass ich in den Ferien Vokabeln gelernt habe, und darum sagen kann, dass ich gerne drei Orangen kaufen möchte.
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