Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live

Wie das Internet... Fenster putzt

0
0




Das Problem
 

Die Party gestern Abend ist ausgeartet. Splitter zerbrochener Bierflaschen bedecken den Boden, die Zigarettenstummel stecken noch in den ausgebrannten Löchern deiner Futonmatratze. Und erst die Fensterscheiben! Pizzafettfinger, Speichel- und Getränkereste haben das Glas mit einem mattgrauen Ekelfilm überzogen.   Und jetzt haben sich Mutti und Vati spontan zum Sonntagskaffee angekündigt. Die Scherben fegst du zusammen, die Matratze deckst du ab, nur die Fenster – wie kriegst du die sauber? Der Supermarkt hat zu und Putzmittel in deiner WG? Fehlanzeige!  

Die Lösung 

Die letzte Dose Cola! Die Zuckerbrause enthält genau die Säuren, die sich auch in herkömmlichen Putzmitteln finden. Also einfach die Überreste aus der Dose auf ein Tuch geben, die Fettflecken auf dem Fenster wegätzen et voilà – die Scheiben sind befreit vom Schmutz und Mutti ist stolz. Nur nicht vergessen, anschließend mit einem feuchten Tuch nachzuwischen. Denn die Zuckerreste bleiben sonst kleben. 


Mädchen, warum klaut ihr immer unseren Nachtisch?

0
0


  

Die Rechtslage ist eindeutig. Und das – liebe Mädchen – sollte euch eine dringende Warnung sein! Um es also vorweg gleich klarzustellen: Was man küchenjuristisch gerne als "Mundraub" bezeichnet, wurde abgeschafft, da wart ihr alle noch in Abrahams Wurschtkessel. 1975 war das, und §370 a.F. StGB, der das bis dato regelte, lässt keine Zweifel daran, dass es sich auch damals schon keineswegs um ein Kavaliersdelikt handelte. Ich hab das recherchiert: Eine Geldstrafe von 150 Mark drohte nämlich demjenigen, der "Nahrungs- oder Genußmittel oder andere Gegenstände des hauswirtschaftlichen Verbrauchs in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte zum alsbaldigen Verbrauch entwendet oder unterschlägt".

Will sagen: Ihr macht euch alle strafbar! Ständig! Es geht heute nämlich um Essenraub. Von unseren Tellern, in eure Münder. Corpus Delicti Nummer 1: Nachtisch! Tathergang:  

Kellner: "Noch ein Dessert?"  

Ihr (Luft schwer durch die Vorderzähne pfeifend): "Pfff, also für mich nicht mehr."  

Wir: "Tiramisu."  

Ihr: "Krass, dass du echt noch was essen kannst!"  

Das Tiramisu kommt. Im schlimmsten Fall ist es ein besseres Lokal, die Portionen entsprechend winzig. Wir essen also. So glücklich, wie es die Nachtisch-Menge eben zulässt. Ihr guckt. Etwas zerknirscht. Dann etwas traurig. Dann so angesäuert, wie es der Rahmen eben zulässt. Und dann pickt ihr hinein ins Essen – ein bisschen herrisch manchmal fast.  

Versteht mich nicht falsch. Wir lieben euch. Und wir gönnen euch jeden Bissen der Himmelsbrot-köstlichsten Speisen. Aber dass es immer unsere sein müssen, das verstehen wir nicht. Deshalb müsst ihr’s uns erklären.  

Was passiert da bei euch? Und damit vermutlich eng verbunden und wichtig: Wann passiert es? In dem Moment, in dem wir etwas bestellen? Wenn es auf den Tisch kommt? Oder erst an dem Punkt, an dem es zur Hälfte weg ist? Und auch über das Vorher müsst ihr uns aufklären: Warum kein eigener Nachtisch? Ist das was mit "Auf die Linie achten"? Ist es Koketterie? Müssten wir sagen, dass ihr es euch doch leisten könnt (was ihr ja könnt)? Oder seid ihr einfach wirklich nur satt und werdet dann plötzlich, nun ja: futterneidig? Allgemein neidisch? Geiz wird’s ja nicht sein. Also: Was dann? Tischt's auf!        

Auf der nächsten Seite: die Mädchenantwort von martina-holzapfl.
[seitenumbruch]




Ich hab auch mal recherchiert, du komischer Nerd. Und jetzt pass auf: "Wenn du in den Weinberg eines andern kommst, darfst du so viel Trauben essen, wie du magst, bis du satt bist, nur darfst du nichts in ein Gefäß tun." 5. Buch Mose ist das, du Korinthenkacker. Und jetzt frag ich dich: Was hat – historisch gesehen – mehr Gewicht? Eben. Komm mir also nicht so!

Ansonsten hast du allerdings schon einen Nerv getroffen. Weil: Tatsächlich passiert da etwas in uns, das sich mit reiner Ratio nicht gänzlich erfassen lässt. Also auch chronologisch: Wir haben gegessen. Wir sind exakt richtig satt – ein Gefühl, das ihr ja nicht kennt. Wir fühlen uns rundum wohl. Dann: Kellner, Wir, Ihr – und bäm – Kopfkino: Ihr über ein Tiramisu gebeugt, Kakao-Pulver im Bart und auf dem Weg in die Fress-Apnoe – aber dabei bestimmt sauglücklich.  

Also grübeln wir. Wären wir nicht auch NOCH glücklicher mit ordentlich Mascarpone im Bauch? Und während wir so grübeln, kommt das Ding ja auch schon, und ihr futtert los, und bekommt diesen versonnenen Blick, bei dem nie ganz klar ist, ob sich euer Gehirn gerade aufgehängt hat. Und ja, Herrgott, irgendwie wollen wir da dann schon auch hin.  

Aber das ist nur die eine Seite. Die andere – ich glaube übrigens die wichtigere – heißt: verbotene Frucht. Denk mal zurück an die Mittagessen bei den Großeltern. An die großen Schüsseln mit Essen, die in der Mitte des Tischs standen. Und an die strenge Regel: Nur vom Teller, nie direkt aus der Schüssel. Und wie es plötzlich nichts Besseres gab, als die Kartoffeln direkt aus dem Porzellan-Trog zu löffeln. Und wie uninteressant dieselben Kartoffeln schlagartig wurden, als unsere Omas sie resigniert auf den Teller gehäuft hatten.  

Genau das ist es. Wir wollen kein Tiramisu. Aber wir wollen euer Tiramisu ganz unbedingt. Aktionen wie deine komische Strafgesetzbuch-Tirade verstärken das eher noch. Und weil das natürlich nur bedingt rational ist, gibt’s auch nix, was ihr dagegen tun könnt. Absolut gar nichts. Schluckt’s also.

Neues Jahr, neues Glück!

0
0
Gen Himmel
Wir sprechen regelmäßig mit Autoren über zwei Bücher: das eine neu, das andere das persönliche Lieblingsbuch. Diese Woche erzählte uns der Autor Julius Fischer, was er am neuen Roman von Tomas Glavinic auszusetzen hat: lediglich das "schmalzige" Ende. Für sein Lieblingsbuch „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch spricht Fischer nur eine Leseempfehlung für die ersten 300 Seiten aus. Warum? Selbst nachlesen!

Die Frage aller Fragen

Nur gut jeder dritte Deutsche denkt über den Sinn des Lebens nach. Jugendliche widmen sich diesem Thema noch viel weniger – besagt jedenfalls eine aktuelle Umfrage.Wieder ein Mahnmal des Werteverfalls unserer Gesellschaft? Das wollten wir wissen, und haben Jugendliche nach den Dingen gefragt, die ihnen jetzt gerade wichtig sind. Zwischen Zahnspangen und Zeugnisangst haben wir in den Antworten tatsächlich einiges an hübscher Lebensgrübelei entdeckt.

Singen am Sonntag
Einen ihrer letzten Sonntage des Jahres dokumentierte die Songwriterin Elif für uns.
Die Berlinerin gleicht ihre Naschsucht mit Liegestützen aus, findet verloren geglaubte Schätze beim Aufräumen und kümmert sich nebenbei noch um ihren musikalischen Kanarienvogel Charlie. Wenn das keine innere Ruhe bringt...





Verfallsdatum: 31.12.2013

Pünktlich zum Jahreswechsel schilderte Valerie im Ticker ihr inniges Verhältnis zu ihrem Taschenkalender. Der dient nämlich nicht nur als Organisationsoberfläche, sondern auch als Instrument zur sozialen Inventur und als Taschenbuch.Ein schönes Mittel, sein Leben zu protokollieren, wenn man nicht will, dass es die NSA für einen tut. Und der Kosmos diskutierte mit.

Von Päschen und Piraten

Die ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei, Katharina Nocun, redete bei einer Partie „Mensch, ärgere dich nicht“ mit uns über das Scheitern bei der Wahl, über neue politische Projekte und ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit. Ein Lesetipp für alle, die Googlemail doof finden und glauben, dass Kaffeemaschinen bald IP-Adressen haben.

(H)armlos?

Er liegt irgendwo zwischen einem umgedrehten Nazigruß und Napoleons Hand an der Brusttasche und hört auf den Namen eines Fleischknödels: Der Quenelle-Gruß wurde diese Woche kontrovers diskutiert, nachdem ein französischer Fußballprofi ihn vor laufender Kamera gezeigt hatte. Wir haben den Hintergrund der Geste recherchiert.

Auf Münchner Straßen

In unserer Rubrik„Meine Straße“ haben wir diesmal Carola getroffen, Inhaberin eines „Creative Stores" in Untergiesing, die uns ihre liebsten Plätze im Viertel verraten hat. Ein paar Straßen weiter widmete sich unser Haus- und Hoffotograf Juri einer seiner Schaufensterkritiken. Auch die Redaktion hat Lob und Kritik verteilt: Zum Jahresstart präsentierten wir, was uns an München stört und was wir uns für die Zukunft wünschen.

Der attraktive Ströbele

Charlottes internetaffiner Opa Gottfried hat nun schon ein Jahr Erfahrungen im Cyberspace gesammelt. Dass „Cyberspace“ eine Vokabel aus den Neunzigern ist, ist ihm egal: Er blickt unvoreingenommen und unverklemmt auf das Jahr 2013 zurück. Was ihn (und seine Frau) beschäftigt hat, erfährst du hier.

Das Tumblr Foto der Woche...
... zeigt ein Baby! Es jagt seit Silvester als Photobomb-Motiv durchs Netz und wird allseits für den kritischen Blick gefeiert, den es am Time Square in New York der Moderatorin Jenny McCarthy verpasste.



Gefährlicher Konsens

0
0
Angestrichen
"Denn der sicherste Weg, um sich im öffentlichen Onlinediskurs nicht die Finger zu verbrennen, ist die Übernahme aller internetspezifischen Populärmeinungen und der Verzicht auf jede Äußerung, bei der mit einer massiven Opposition zu rechnen ist."

Wo steht das?
In einem Artikel des Blogs netzwertig.com, das über Trends, Phänomene und Entwicklungen im Internet und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft berichtet.

Worum geht es?  
Um die Auswirkungen von Shitstorms auf das reale Leben. Darum, dass unbedachte oder dumme Tweets immer häufiger von einem aufgebrachten Internet-Mob aufgeblasen und öffentlich zerfetzt werden. Und darum, dass dieses Phänomen langfristig unsere Demokratie gefährdet.

Bislang gilt das Internet in erster Linie als Chance, als Herausforderung für neue Formen der Demokratie, der Mitbestimmung und Meinungsvielfalt. Die Piratenpartei erlebte durch ihre Netzpolitik (zumindest kurzzeitig) einen Höhenflug, Themen wie Alltagssexismus oder die Arbeitsbedingungen bei Amazon wurden erst durch die Debatte im Netz öffentlichkeitswirksam.  

Der Autor des Blogeintrags, Martin Weigert, stellt dem nun in seinem Essay eine andere Entwicklung gegenüber: Er beschreibt, wie Meinungsäußerung in sozialen Netzwerken einem Konformitätsdruck unterworfen sei, der die Freiheit und Ungezwungenheit des öffentlichen Denkens bedrohe. Denn: Jeder will gemocht werden. Hungrig begeben wir uns auf Twitter und Facebook auf die virtuelle Suche nach Likes und Sympathiebekundungen. Wir schwimmen mit dem Strom, liken, retweeten und reposten das, was unsere Freunde am ehesten gut finden werden. Wenn sich aber, wie im vergangenen Jahr, in immer kürzeren Abständen Shitstorm an Shitstorm reiht, wächst die Furcht, selbst durch Meinungsäußerungen am "virtuellen Pranger" zu landen, schreibt Weigert.  



 Unbedachte Äußerungen im Netz können im realen Leben weitreichende Folgen haben.


Und das nicht zu unrecht, wie zuletzt das Beispiel der PR-Beraterin Justine Sacco zeigte. Ihre unüberlegte Kurznachricht auf Twitter verbreitete sich vor Weihnachten per Retweet rasend schnell. Innerhalb weniger Stunden entluden sich Hasstiraden auf ihrer Seite, ihre Familie und ihr halber Freundeskreis distanzierten sich von ihr. Sacco selbst war indes ahnungslos auf einem Langstreckenflug unterwegs. Noch bevor sie auf ihren Fehler reagieren konnte, war sie zur öffentlichen Zielscheibe geworden - und ihren Job los.

Ähnlich erging es kürzlich einem Professor der New York University, der in einem Tweet an seine "übergewichtigen Promovierenden“ die Mahnung in die Welt schickte: "Wenn ihr es nicht schafft, keine Kohlenhydrate mehr zu essen, werdet ihr es auch nicht schaffen, eure Dissertation zu schreiben." Er wurde zwar nicht gefeuert, muss aber als Strafe einen Trainingsplan gegen Fettsucht entwickeln.

Die Folge von Fällen wie diesen, schreibt Weigert, sei eine wachsende Selbstzensur im Netz. Die fasste der berühmte Wissenschaftler und Kolumnist der New York Times, Paul Krugman, im Herbst treffend zusammen: Krugman hat mehr als eine Million Follower auf Twitter; trotzdem verfasse er seine Tweets nie von Hand. Ein Programm erzeugt sie automatisch anhand seiner Blogeinträge. Der Grund: Er habe vermehrt beobachtet, wie Menschen sich selbst, ihre Karriere und Existenz durch beleidigende, aber letztlich vor allem unbedachte Kurznachrichten zerstört hätten. Davor habe er Angst.

Und jetzt?
 

Laut Weigert gibt es nur einen Ausweg aus diesem Dilemma. So einfach er klingen mag, so schwierig ist er in der Umsetzung, weil er die kritische Auseinandersetzung nicht nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst erfordert. Die Lösung heißt ihmzufolge: Empathie. Und bedeutet konkret, nicht sofort die eigene Entrüstung über einen missglückten, dämlichen oder beleidigenden Tweet in einem eigenen Tweet zu verarbeiten und dadurch zu multiplizieren. Nicht sofort die eigene Meinung als alleingültige zu sehen. Lieber mal abzuwarten. Zu reflektieren. Ein Auge zuzudrücken. Und dadurch die Rache des Mobs zu zügeln. Schließlich hat jeder mal einen schlechten Tag.

Fünf Songs fürs Wochenende

0
0
Metronomy - I'm Aquarius 

http://www.youtube.com/watch?v=iQS4oa-dgLY 

Seltsam, wenn die Pressemitteilung behauptet, es seien schon drei Jahre vergangen seit dem letzten Pieps von Metronomy. Lief das "English Riviera"-Album nicht noch bis vorgestern einmal zu jeder vollen Stunde? Jedenfalls gut, dass es ab März ein neues gibt - und als Aperitif dieses Video mit schön viel "Schub-dub-dub-ah".  

Sky Ferreira & Ariel Pink – My Molly 

http://www.youtube.com/watch?v=odg5lHuwPf4#t=33 

Sky Ferreira wurde mal vorübergehend von einer Plattenfirma gegen die gleichaltrige Miley Cyrus in Stellung gebracht. Lief nicht so, macht aber auch nix. Denn Ferreira ist viel besser, wenn sie mit Indie-Gitarristen in Latzhosen solide Schrammelsongs aufnimmt. Sympathischer als jede Abrissbirne!

JJ – My Boyz 

http://vimeo.com/82468103 

Schwedische Schwerdenker sind diese Typen – und haben für das Video zu ihrem neuesten Liebeskummersong ganz tief in die Kiste mit den crazy Assoziativ-Schnitten gelangt. Ein Video wie ein Hauptseminar in angewandter Bildsprache!    

Yuck - Somewhere 

http://www.youtube.com/watch?v=7A2V3NCN6V0#t=191 

Der Post-Rock der Herrschaften Yuck ist wie geschaffen für nachdenkliche U-Bahn-Fahrten bei Nacht. Der Sänger klingt, als habe er bei der Arbeit haareraufend drei Meter hinter dem Mikro gestanden, die Gitarren flattern schön angezerrt - ein angemessen weltverdrossenes Stück für Anfang Januar in einem neuen verdammten Jahr!

Kendrick Lamar ft. Eddie Peake – Sing About Me 

http://www.youtube.com/watch?v=wjmd1nAH3hg 

Vier Minuten Märchenonkel-Rap zum versöhnlichen Schluss. Der Song ist schon etwas älter, aber das Video wurde soeben frisch drübergeschneidert. Und sitzt wie ’ne Eins. Schönes Wochenende!

Salat, Stullen und kein Späti

0
0
Diese Woche hat sich jetzt-Mitarbeiterin Katharina Elsner die Mütze der Kosmosköchin aufgesetzt.

Montag



Der Favorit: Feldsalat mit Tomaten, Paprika, grünen Oliven, Kidneybohnen, Mozzarella, Spirelli und Honig-Senf-Dressing.

Ein wenig Nostalgie schwingt bei der Salatzubereitung immer mit. Das hat einen einfachen Grund. Ich behaupte, es gibt nur wenige Menschen, mit denen man perfekt zusammen wohnen kann. Meine ehemalige Mitbewohnerin in Hamburg ist so ein Mensch. Wir sind beide Fans des grünen Gemüses und so standen wir an mindestens drei Abenden in der Woche zusammen da, schnippelten, schnatterten und schlürften dazu Tee. Küchenpsychologische Gespräche gab es gratis dazu - und nebenbei kreierten wir die schönsten Salatvariationen.

Heute muss ich das alleine tun. Ich verdrücke kurz eine Krokodilsträne und verziere den Feldsalat mit allem, was mein Vegetarierherz begehrt: von Tomaten über Avocado, bis hin zu Walnüssen und Spirelli-Nudeln. On top: ein Honig-Senf-Dressing.  

Dienstag


Der Klassiker: Stulle mit Butter und Käse.


Wenn die Deutschen in der Welt für etwas berühmt sind, ist es wohl Bier. Dahinter folgt gleich Vollkornbrot. Und ich meine richtiges Vollkorn, nicht das angedunkelte (ist das ein Wort?) schlabberige Toastbrot, was man in den Staaten und Kanada vorgesetzt bekommt.

Seit ich dort gelebt habe, weiß ich die deutsche Brotbackkunst sehr zu schätzen. Deswegen steht heute auf der Abendkarte: Stulle (ist das das Pendant zur bayrischen Brotzeit?) mit Butter, Ziegenkäse, verziert mit Gurken und Cherrytomaten. Und aus dem Kühlschrankfach meines Mitbewohners: grüne Oliven.

Mittwoch


Gesund: One apple a day keeps the doctor away.

Fällt aus. Weil: Magenvirus. Der Hunger hält sich in Grenzen. Ich finde jedoch: "One apple a day keeps the doctor away". So stopfe ich mir einen Apfel hinein. Und weil die noch übrig und süß dazu ist: eine Orange. Dazu habe ich mir den Klassiker bei Krankheiten schlechthin kredenzt: Kamillentee. Davon werden in den nächsten Tagen noch fünf Liter dazukommen.

Donnerstag 


Flüssig: die Buttermilch.

Magenvirus und Erkältung zusammen verursachen einen deliriumsähnlichen Dämmerzustand. Mich selbst ein wenig bemitleidend schlürfe ich in meiner zweitägigen Dauerschlafphase nur eine Buttermilch. Und eben Kamillentee.

Freitag 


Billig: Pellkartoffeln mit Quark.

Die Nahrungsaufnahme wird fortgesetzt. Die Arbeit bei jetzt.de auch. Zum Einkaufen komme ich nicht mehr. Vor allem wegen dieser unsäglichen Öffnungszeiten in Bayern. Wie macht das die arbeitende Münchner Bevölkerung eigentlich? Kein Späti, kein Kiezshop, kein 24-Stunden-Edeka. Trist ist das Leben, kreativ dafür der Hungrige. Beim Durchstöbern des Kühlschranks erspähen meine Augen eine Packung Quark. Meine Rettung. Denn es gibt: Pellkartoffeln mit Kräuterquark. Eignet sich auch immer ab Mitte des Monats, wenn das Geld ausgeht. Und die Avocado dazu musste weg. Die war schon überreif.

Samstag


Einfach: Wraps gefüllt mit Kidneybohnen, Rucola und Käse.

Meine ausgeprägte Faulheit zum Kochen schlägt sich heute in Resteverwertung wieder. Vom Mitbewohner sind noch Wraps übrig.
Einer wird gefüllt mit der halbleeren (oder halbvollen, je nachdem) Kidneybohnendose, mit Cherrytomaten, Rucolasalat und (ganz wichtig) Käse! Dazu wird die halbe Soßenriege aus dem Kühlschrank aufgefahren: von links nach rechts finden sich Currypaste, Sahnemeerettich, Curryketchup und ein undefinierbarer grüner Brotaufstrich. Schmeckt besser als erwartet.  

Sonntag



Süß: Eierkuchen mit Nutella.

Die WG macht Eierkuchen. Pfannkuchen heißen die, wie mich der Mitbewohner gleich berichtigt. Pfannkuchen? Sind für mich mit Marmelade gefüllte Teigteile, die es vor allem zur Faschingszeit in erschreckender Häufigkeit bei allen Bäckern im Umkreis gibt. Oder sind dit dann Berliner?
Egal, auf jeden Fall mopse ich mit eins mit Nutella und eins mit Peanutbutter und habe mein Zuckerlevel für diesen Tag gedeckt.

Auf der nächsten Seite liest du Katharinas Antworten auf den Fragebogen zur Kochwoche.
[seitenumbruch]

Welchen Stellenwert hat Essen in deinem Leben? 
Einen hohen Wert. Auch wenn man das bei dem Protokoll meiner Essenswoche jetzt ungläubig belächelt. Wenn ichEssen einkaufe, dann – wie ich mir einbilde – gutes. Außer ich habe kein Geld. Generell mag ichweder Fastfood noch Fertiggerichte, obwohl so eine fettige Portion Pommes rot/weiß/Schranke immer geht.

Was ist dir beim Essen und Einkaufen besonders wichtig? 
Regionale Produkte zu kaufen, gern an Markttagen. Diese Billig-Bio-Manie empfinde ich inzwischen als unsinnig. Das Label "Bio" hat sich für mich zu einer cleveren Verkaufsstrategie der Konzerne entwickelt, für das die Verbraucher bereit sind, mehr zu zahlen. Ich brauche aber beim Discounter keinen "Bio"-Apfel aus Argentinien einfliegen lassen, wenn ich einen vom Bauern nebenan bekommen kann.  

Erinnerst du dich, wann du zum ersten Mal für dich selbst gekocht hast und wer dir das Kochen beigebracht hat? 

Ob es mein erstes Kochexperiment in Eigenverantwortung war, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich gab es Nudeln. Oder irgendein anderes Gericht, das sich mit Ketchup kombinieren lässt. Was eigentlich auf alles zutrifft, das ich als Kind essen mochte und musste: Stulle, Gemüse, Reis, Kartoffeln – dem Zuckerflasher Ketchup sei dank schmeckt alles. Eigentlich kein Problem. Will man die Flüssigkeit auf dem Teller vermeiden, die sich ärgerlicherweise immer in der Flasche ansammelt, schüttelt man kräftig. Das gilt auch für die Flaschen, die noch komplett dicht sind. Dachte ich zumindest als Kind.

Und so schüttel und schüttel ich und öffne den Ketschup - öffne ihn - und die ganze rote Pampe verteilt sich über meinem Gesicht, auf dem Tisch, Muttis weißen Gardinen und den frisch tapezierten Küchenwänden. Ich glaube, dieser Zeitpunkt hat sich in mein Unterbewusstsein gefressen und ich wusste seitdem: Ich werde niemals eine gute Köchin.  

Was war dein Lieblingsessen als Kind? 
Nudeln mit Ost-Tomatensoße und gebratener Jagdwurst. Wer sich fragt, was die Ostsoße ist: Eigentlich nur Ketchup oder Tomatenmark mit Mehlschwitze und Wasser. Schmeckt wie Kindheit. Um Platz zwei streiten sich Milchreis mit Zimt und Zucker und die Schokoladensuppe aus der Schulkantine.

Was ist dein aktuelles Lieblingsessen?
Salat in allen Variationen – am allerliebsten mit Ziegenkäse und Weintrauben und gerösteten Kernen. Auch wenn die Simpsons etwas anderes behaupten: Ich finde Freunde mit Salat.

http://www.youtube.com/watch?v=eHKVEZOM-CY

Was magst du gar nicht?
Eier. Auch nicht als Rührei oder Spiegelei. Auch kein Eierstich oder gar gekocht. Allein schon der Geruch löst bei mir seit jeher einen beträchtlichen Würgereiz aus. Außerdem: sämtliche Variationen getrockneter Früchte und – als Vegetarierin – logisch: Fleisch und Fisch.
Irgendwie graut es mir aber auch immer vor Rosen- und Grünkohl. Fazit: Ja, ich bin mäklig.

Mittags warm und abends kalt oder andersrum?
Gern immer kalt. Warm essen ist auch überbewertet. Egal ob Pizza, Pasta oder Suppe. Kaltes Essen geht nicht nur nach alkohollastigen Partynächten, sondern irgendwie immer.

Wo isst du am liebsten, am Tisch oder auf dem Sofa?
Am Tisch mit Freunden.Essen ist schließlich sozial. 

Was trinkst du zum Essen?
 
Saftschorlen. Traube, Mango, Maracuja. Gern auch alles gemischt. Mit Leitungswasser aufgegossen. Sprudel- oder stilles Wasser kaufen? Finde ich seit Jahren unnötig. Das hat den Vorteil, dass ich nicht alle drei Tage ein Sixpack Wasser keuchend in den vierten Stock schleppen muss.

Wie oft gehst du auswärts essen und hast du ein Lieblingsrestaurant? 
Wenn ich könnte wie ich wollte, gern immer auswärts. Das liegt aber auch an der Faulheit zum Kochen. Das beste Müsli gibt’s in Hamburger Karoviertel im Panter, mit Fruchtquark und Früchten und Knusperteilen, die ich nie identifizieren kann. Und Frühstück gibt es den ganzen Tagen. Ein Traum.  

Was isst du, wenn es schnell gehen muss?
Stulle. Mit Butter und Salz. Oder, Stulle mit Meeressalzbutter.

Was war das aufwändigste Gericht deines Lebens? 
Wenn ich je etwas aufwändiges gekocht habe, wäre es mir in Erinnerung geblieben. 

Hast du ein Standard-Gericht, wenn Eltern oder Freunde zu Besuch kommen? 
Hier kommt wieder die Nicht-Koch-Kunst zum Tragen. Die Eltern kann ich immer gut und gern in ein Restaurant schleifen – dann rümpfen sie auch nicht zu lange die Nase über die Unordnung in der WG – Freunde lasse ich das Kochzepter in die Hand nehmen. Ich schnippel dafür immer das Gemüse.

Welchen jetzt-User oder -Redakteur möchtest du als Kosmoskoch sehen?   
So wie Grafikerin Yi neben mirmit ihrem Stift die tollsten Zeichnungen zu Stande bringt, würde ich gern mal sehen, ob sie auch mit einem Kochlöffel kreativ sein kann.

So wird die KW2: Steuerkram und keine Verwandtenbesuche mehr

0
0
Der wichtigste Tag der Woche: 
... ist wohl schon vorbei. Montag war Heilige Drei Könige und damit Feiertag in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt. Für mich bedeutet das leider keinen Ausflug in die Berge, sondern einen Tag mehr, um mich unter der Decke mit Tee und Wärmflasche auszukurieren. Ich war schon vor Weihnachten krank und bin immer noch nicht ganz gesund – ich kann den zusätzlichen freien Tag also gut gebrauchen! 

Politisch interessiert mich: 
Auch wenn die Schlagzeilen gerade Merkels Langlaufunfall dominiert, mich interessiert mehr, was sich in diesem Jahr in der Flüchtlingspolitik tut. In dem Zusammenhang bin ich immer wieder schockiert, wie viele sich doch von diesem abscheulichen, rechten Mist – they call it "Bürgerinitiative" – anstecken lassen. Spinnt ihr alle?



Ein Symbolbild, so sexy wie die Steuererklärung. Hilft nix, muss gemacht werden!


Kinogang:  
Unter den Neustarts diese Woche ist irgendwie nichts für mich dabei. "Die Pute von Panem", höhö, Sylvester Stallone und Robert De Niro im Ring, und, naja, Diana. Stattdessen sehe ich mir lieber den NSU-Prozess als (YouTube-)Film an. Unsere Kollegen vom SZ-Magazin haben die ersten 71 Prozesstage protokolliert und das Ganze im Heft und in einem Film verarbeitet. Ich habe bisher nur in die ersten Minuten reingeschaut und mir den ganzen Film für einen ruhigen Abend aufgehoben – oder den freien Montagnachmittag.

http://www.youtube.com/watch?v=49EpcfdZApU&feature=youtu.be 

Und ich muss berichten, dass ich am Wochenende mit meiner Schwester - die ihn damit zum dritten Mal gesehen hat - doch noch in "Fack ju Göhte" war. Ich musste einfach wissen, was an dem erfolgreichsten Film des vergangenen Jahres in Deutschland dran ist. Und: durchaus was, wenn auch nicht besonders viel Tiefgang, aber den habe ich da auch nicht gesucht. Dafür hab ich mich sehr gut unterhalten gefühlt und herrlich viel und laut gelacht. Kann man schon ansehen!

Soundtrack:  
Es tut sich immer noch nicht viel in Sachen Neuerscheinungen, die Musikbranche ist noch ein bisschen im Zwischendenjahrenwinterschlaf. Auch konzertemäßig läuft nicht viel. Deshalb keine Musiktipps diesmal, sorry. 

Wochenlektüre:  
Ich fürchte: Umsatzsteuerratgeberzeugs. Einer der Nachteile als Freiberufler. Nicht schön. 

Werde ich auf jeden Fall tun:  
Früh aufstehen. Ich habe in den vergangenen zwei Wochen derart viel Zeit im Bett verbracht, dass ich morgens von selbst (!) aufwache. Und zwar vor acht. Ich kann mich nicht erinnern, wann das zum letzten Mal passiert ist. 

Keine Chance hat diese Woche:  
... Verwandtenbesuche absitzen. Und nicht nur diese Woche, sondern den Rest des Jahres. Ha!

Auf der Suche nach der Clubformel

0
0


"Genug Eis und eine frische Zitrone im Glas wären von Vorteil." Der Golden Pudel Club in Hamburg.

jetzt.de: Oft läuft eine Bar sehr gut, obwohl an derselben Stelle zuvor ein anderer Laden dichtmachen musste. Was ist das Geheimnis?

Oskar Melzer: Das Geheimnis heißt Qualität, Erfahrung und ein bisschen Glück.
Ralf Köster: Die einen haben es eben drauf und die anderen nicht. Und dann gibt es noch die, die das Richtige zur falschen Zeit machen. Ist man zu spät, ist man selber schuld. Besser man ist zu früh, auch wenn es einen manchmal zur tragischen Figur macht – das Schicksal vieler Innovatoren. Da hilft nur Stehvermögen und ein Clubmanagement, das einem vertraut, trotz regelmäßiger Verluste. Leider sind die meisten solcher Vorreiter Jahre später, wenn endlich die Ernte eingefahren wird, längst woanders und bekommen nichts mehr davon ab.
Sascha Arnold: Eine hilfreiche Grundregel ist: Du brauchst das richtige Netzwerk. Jeder Laden hat sein eigenes Klientel, und das musst du kennen. Es läuft ja so: Du machst was auf und lädst deine Freunde ein. Die haben normalerweise auch wieder ein Netzwerk und bringen das mit ein. Ansonsten sind es natürlich auch viele architektonische Kleinigkeiten: Es geht immer um Atmosphäre. Man will sich wohlfühlen. Ich bin wirklich kein Feng-Shui-Verfechter, aber gewisse Sachen stimmen einfach: Die Leute sitzen am liebsten in Ecken, verstecken sich ein bisschen, wollen nicht mit dem Rücken zum Eingang sitzen, wollen sehen, was im Raum passiert.

[plugin bildergalerie Bild5="Der Gastronom: Oskar Melzer war Mitinhaber des Berliner Clubs Weekend und hat das Lido in Frankfurt betrieben. Derzeit ist er Inhaber des jüdischen Restaurants Mogg & Melzer in Berlin und der Bar Maxie Eisen in Frankfurt." Bild7="Der Anarcho: Ralf Köster ist seit mehr als 17 Jahren Booker und DJ im berühmten Golden Pudel Club in Hamburg. Davor hat er als Frisör und Werber gerarbeitet." Bild6="Der Architekt: Sascha Arnold, Innenarchitekt beim Büro Arnold & Jäger, hat mit seinen Partnern unter anderem die Clubs Ed Moses, Bob Beaman und zuletzt die Bar James T. Hunt in München entworfen."]


Gibt es, rein formal, so etwas wie die drei goldenen Regeln für Gastro- und Clubarchitektur?
Melzer: Eine gute Soundanlage, den Dancefloor lieber zu klein als zu groß halten, und das Licht lieber zu dunkel als zu hell.
Köster: Nein. Jeder Club sollte seine eigenen Regeln finden und sich dann aber auch möglichst nicht zu stur daran halten, wenn er länger als eine Saison bestehen will. Okay, genug Eis, eine frische Zitrone im sauberen Glas und die Drinks nicht panschen – das wäre schon von Vorteil. Wichtig ist natürlich auch ein Programm, das sich nicht an anderen Clubs orientiert. Sonst könnte man ja gleich in die gehen.
Arnold: Falls es diese Regeln geben sollte, brechen wir in unserer Arbeit sicher die meisten. Wenn man alles nach Neufert, dieser Architektur-Bibel, machen würde, hätte der Tresen eine Höhe von 1,12 Meter bis 1,15 Meter und ein ordentliches Barbrett. Aber dadurch, dass wir in der Gastro eher Quereinsteiger sind, haben wir immer vieles anders gemacht. Im Ed Moses hatten wir eine Bar, die war neun Meter lang, nur 90 Zentimeter hoch und hatte kein Barbrett. Da hätte jeder gesagt: Vergesst es, das funktioniert nie, man muss den Drink doch abstellen können. Wir wollten aber, dass die Leute sich auf die Bar setzen, um die Hemmschwelle aufzulösen, die durch eine hohe Bar manchmal entsteht. Oder jetzt in unserer Bar James T. Hunt: Wir haben 0,25-Liter-Gläser für Helles. Fette Humpen würden in so einem kleinen Laden ziemlich unelegant aussehen, von Halbliterflaschen ganz zu schweigen. Unüblich, aber die Leute mögen es, so steht immer ein frisches Bier da. Es muss nicht immer alles Standard, DIN oder Neufert sein. Das Interessante ist meistens das Unkonforme, das ist ja nicht nur in der Gastro oder in der Architektur so.



"Ich mag es sehr minimalistisch." Das Maxie Eisen in Frankfurt.


Wie geht man an den Entwurf eines Ladens am besten ran?
Melzer: Ich mache das jedes Mal intuitiv. Ich betrete den Raum und erfühle, wie er aussehen soll. Im Schaffensprozess verwerfe ich dann wieder einiges, stelle vieles in Frage und komme am Ende doch meistens zu den ursprünglichen Eingebungen zurück.
Köster: Die Location kann noch so gut und geeignet sein für einen Club, wichtig ist es, erstmal das Umfeld zu checken. Oft sind lärmempfindliche Nachbarn das Ende vom Lied. Der Rest kommt dann von allein, vorausgesetzt man hat eine Vision. Und gute Mitstreiter, die bereit sind, sich für die Sache gesundheitlich und mental auszubeuten. Es ist ja leider so, dass ein richtig guter Club in unserem System wirtschaftlich nicht rentabel ist und den Beteiligten nie eine Rente einspielen wird. Systemgastronomie jedenfalls funktioniert in Clubs nicht, und das ist gut so. Das Berghain zum Beispiel funktioniert nur an diesem einen Ort. Und auch das Nichtkonzept unseres Pudel Clubs lässt sich nicht einfach irgendwohin transformieren.
Arnold: Viele Leute nehmen sich Zeitschriften und sagen: Das ist schön, das ist schön und das ist schön, und das packen wir jetzt alles in diesen Raum. Man merkt dann, dass das eine zusammenkopierte Nummer ist und kein stimmiges Ganzes. Architekten hingegen geht es oft um Selbstverwirklichung, um Fugen, die sich vom Eingang hinten über den Tresen an der Rückverkleidung hochziehen. Das interessiert aber 99 Prozent der Besucher gar nicht. Ich mag es nicht, wenn Sachen zu geradlinig rüberkommen, Brüche sind wichtig. Und man sollte zwar ein Gespür für den Zeitgeist haben, aber trotzdem keinen Moden verfallen. Wir beschäftigen uns in unserer Arbeit zum Beispiel sehr viel mit Stoffen. Bei Herzog und de Meuron wurde ich damals als Detaillist eingestellt. Mit dem Begriff konnte ich seinerzeit noch nicht so viel anfangen, aber im Prinzip meinte es, dass viele Kleinigkeiten, zum Beispiel die Qualität des Leders oder die Zinnoberfläche der Bar, die als Detail vom einzelnen Gast möglicherweise gar nicht wahrgenommen werden, ein stimmiges Gesamtgefühl erzeugen.



"Bauhaus versus Trash ist das neue Ding." Detail aus dem Golden Pudel.


Welche aktuellen Trends, was Oberflächen und Materialien angeht, beobachtet ihr denn in der Club- und Barlandschaft?
Melzer: Trends haben mich noch nie interessiert, ich verfolge sie nicht. Ich mag es sehr minimalistisch. Am Ende bestimmen der DJ und der Sound die Stimmung.
Köster: Bauhaus versus Trash ist das neue Ding. Klare Linien im Abbruchhaus mit Rotlicht. Flavour, „form follows function“ und Steampunk-Barock.
Arnold: In den USA sind gerade klassische Materialien ganz groß: traditionelle Metro-Kacheln und Messing-Armaturen, alte Keramiken oder Carrara-Marmor. Das ist inzwischen auch bei uns angekommen.

Was muss man bei der Beleuchtung bedenken?
Melzer: Licht ist extrem wichtig und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Meistens ist der Laden schon eine Weile geöffnet, bis das Licht sitzt. Am besten testet und justiert man es, wenn der Betrieb läuft und man Stimmung und Licht aneinander anpassen kann.
Köster: Im Club nie Kerzen in Reichweite der Gäste. Ansonsten: was gefällt und nicht in den Augen weh tut. Und immer auch den Notfall bedenken. Wenn man es sich nicht mit dem Feuerwehrhauptmann verderben möchte, sollte man auch hackedicht wieder aus einem Club herausfinden können. Allerdings geht ja der Trend wieder zum bewusstseinsbenebelnden Strobo-Flacker-Inferno. Das ist aber seit den 90ern schon nicht mehr meins. Dann lieber komplett ausgeleuchtete Neonröhren-Hallen mit Platz für Ausdruckstanz und Kajalstift unterm Lid.
Arnold: Da helfen Lux-Vorschriften oder Richtlinien wenig, es kommt auf Erfahrung und Gefühl an. Blau würde kein vernünftiger Mensch in seinen Club einbauen. Es hängt sich ja auch keiner Leuchtstoffröhren in sein Wohnzimmer – das ist nicht gemütlich, das ist Schlachthaus. Gerne mag ich diese Fadenglühlampen, die man stark herunterdimmen kann. In den USA verwenden die nur die. Warmes Licht empfinden die Menschen nachts als sehr angenehm. Im James T. Hunt kombinieren wir sie mit Kerzen in Wandhaltern von unseren Designfreunden Dante. Kerzen sind immer super, auf dem Tisch aber schwierig, weil da immer jemand dagegen knallt.



"Ich glaube, dass meine Projekte im Mainstream keinen Bestand hätten." Das Mogg & Melzer in Berlin.

Was lernt man in der Gastronomie über den Zeitgeist?
Melzer: In der Gastro gibt es nicht „die Leute“, es gibt nur Interessensgemeinschaften. Meine Idee von einem Laden ist sehr speziell und subkulturell, ich glaube nicht, dass man sie verallgemeinern kann. Ohne meinen Stil und Geschmack werten zu wollen – ich glaube, dass meine Projekte im Mainstream keinen Bestand hätten.
Köster: Die Leute wollten immer schon dasselbe: Hits hören, sich berauschen und einen Sexualpartner für den Morgen danach finden. Das ändert sich nie. Die Frage ist, ob man das so bedienen oder ihnen nicht doch eine bessere, andere Welt präsentieren sollte. Es gibt dort draußen noch so viel zu entdecken! Die Aufgabe eines guten Clubs ist doch auch, den Leuten etwas zu liefern, von dem sie vorher noch gar nicht wussten, das sie ohne nicht mehr sein wollen. Das ist wahre Jugendkultur, das ist Weltkulturerbe. Clubs sind die Kreativküche der Trendforscher und Produktmanager. Darum schicken die Hamburger Werbeagenturen ihre Angestellten zum Saufen zu uns. Ein Club ist immer auch eine Lernanstalt und ein Ausbildungsbetrieb für die Eliten der neuen Kreativgesellschaft. Ob es einem nun gefällt oder nicht.
Arnold: In den letzten Jahren geht der Trend auf jeden Fall Richtung warm, gemütlich und klein. Die Zeit der Großraumdiscos ist vorbei. Aber die Veränderungen gehen auch immer schneller. Früher hast du dir als Normalbürger ab und zu eine Zeitschrift angeschaut. Heute werden die Leute durch das Internet bombardiert mit Fotos und Trends aus der ganzen Welt. Als ich nach München gekommen bin, Anfang der 90er, gab’s den Wiener-Kaffeehaus -Stil. Das Puck, das Tresznjewski, das Café Wiener Platz, die News Bar. Alles hat gleich ausgesehen: dunkle Holzverkleidung, Thonet-Stühle, große Milchkaffeeschalen. Die Läden gibt es zwar immer noch, aber in den letzten fünf Jahren ist eine wahnsinnige Vielfalt dazugekommen. Die Leute sind anspruchsvoller geworden und bereit, mehr Geld für Essen und Trinken auszugeben. Ich beobachte das zum Beispiel in Läden wie der Salatkette Dean&David hier in München. Da sitzen mittags die Studenten und geben 8,50 Euro für einen Salat aus. Jeden Tag. Früher hat man sich für drei Euro was in der Mensa geholt.



"Der Trend geht Richtung warm, gemütlich und klein." Das James T. Hunt in München.


Was findet ihr komplett schlimm in Clubs?
Melzer: Schlechten Sound, wenn die Musik scheiße ist, das ist das Schlimmste. Und ich kann Clubs mit Chi Chi nicht ab, solche mit Tischen, wo man dann die dicken Flaschen am Tisch bestellt, das ist nicht meine Welt. Aber es ist ja so schwierig, generelle Aussagen über Clubs zu treffen, es kann ein Club beschissen aussehen – wenn die Stimmung geil ist, funktioniert’s trotzdem.
Arnold: Eine schlechte Anlage. Wenn der Bass so aggressiv ist, dass ich ihn im Körper spüre, muss ich sofort gehen. Die meisten bauen halt irgendwas, eine rechtwinklige Box, dabei ist das das Schlechteste, was man machen kann, weil dann der Schall hin- und herflattert. Was ich auch nicht ertragen kann, sind diese farbwechselnden, lichtarmen Lampen, die man in jedem Baumarkt kaufen kann. Ansonsten: schlechte Drinks.

Welche Läden in Deutschland findet ihr derzeit die besten?
Melzer: Im Moment findet man mich nur in meiner Bar Maxie Eisen in Frankfurt. Die Eröffnungsphase ist die spannendste. Ansonsten bin ich großer Fan vom Robert Johnson in Frankfurt, der Sound ist gut, die Architektur minimalistisch, die Details stimmen. Ich gehe aber kaum mehr in Clubs oder Bars, ich bin aus dem Alter raus.
Köster: Die Rote Flora in Hamburg, Das Molotow in Hamburg, die Hasenschaukel in Hamburg, Conne Island in Leipzig, Rote Sonne in München, Robert Johnson in Frankfurt, Salon des Amateurs in Düsseldorf, Festsaal Kreuzberg und Ritter Butzke in Berlin.
Arnold: Eine Bar, die mir gefällt, ist das King Size in der Friedrichstraße in Berlin. Ein simples, gut umgesetztes Konzept: Winziger Laden, einst das mieseste DDR-Pilspub, und die neuen Betreiber haben schöne Gläser gekauft, ab und zu mal einen guten DJ eingeladen und ihre Freunde dazugeholt. Die hatten ein hervorragendes Netzwerk, sodass von Anfang an die richtigen Leute reinkamen. Von den Drinks her mag ich die Schwarze Traube in Berlin-Kreuzberg. Clubs besuche ich mittlerweile seltener.

Ist Deutschland eigentlich ein gutes Land, was die Möglichkeiten als Gastronom angeht?
Melzer: Von den Clubs her ist zumindest Berlin die beste Stadt der Welt. Das liegt an der exzessiven Feiergewohnheit hier. Ich würde immer wieder behaupten, dass die Panorama Bar der beste Club der Welt ist. So stellt sich doch ein achtjähriges Kind einen Club vor: Die Leute tanzen, schwitzen und die Stimmung ist der Wahnsinn. Gastromäßig allerdings, glaube ich, ist Deutschland das schlechteste Land der Welt. Es gibt einfach keine richtige Esskultur, und auch wenn gerade kulinarisch sehr viel passiert, vor allem in Berlin, ist es noch immer meilenweit von London oder New York entfernt. Und das liegt natürlich auch daran, dass wir viel zu wenige Immigranten haben.
Arnold: Massen von Ravern fliegen ja jedes Wochenende nach Berlin, vor allem aus Spanien und England. Angeblich gäbe es die Hälfte der Berliner Clubs gar nicht, wenn es international nicht dermaßen angesagt wäre. Auch München hat einen sehr guten weltweiten Ruf. Die Mieten und DJ-Gagen sind zwar sehr hoch, aber dafür auch die Kaufkraft der Gäste.

Alltagsduell: Gitarristen vs. Typen in Metal-Shirts

0
0
Die Situation:
Ist speziell, aber tragisch: Der (Lead-)Gitarrist einer Band – so bekannt, dass sie Fans hat, so unbekannt, dass die Mitglieder noch mit ihnen sprechen müssen, um CDs und T-Shirts zu verkaufen – lehnt am Merch-Stand. Sein Plan: Den Feierabend genießen. Ein Bier also, eine Kippe und ein Gespräch mit dem einen Mädchen im Publikum, das ihn und nicht den Sänger angehimmelt hat. Grad will er in die Offensive gehen, da schiebt sich ihm ein Typ in den Weg: Seine Haare sind lang und nicht ganz gut gewaschen, sein T-Shirt ist schwarz und mit dem Logo von Slayer bedruckt (seltener: Slipknot; noch seltener: Drache, feuerspeiend). Sein Plan: Nerd-Talk, und zwar über Gitarreneffektgeräte. Und ein bisschen über Hendrix vielleicht. Weil, dass er, der Gitarrist, ein "Whammy" benutze und außerdem ja AUCH den "Big Muff", das habe er, der Langhaarige, natürlich gleich gesehen. Aber diesen "einen echt krassen Sound bei dem einen Lied", wie er den erzeugt habe, das sei ihm "echt nicht klar". Die Reaktionen des Gitarristen reichen von geduldiger Selbstaufgabe (das Mädel ist eh weg, da kann ich’s auch gleich ausführlich erklären) bis zu einer kommentarlosen Ohrfeige.



Tragisch, diese Alltagsfeindschaft. Denn eigentlich leben Gitarrist und Shirt-Mann in einer Symbiose.

 
Dort treffen sie aufeinander:
In Konzerthallen und auf Festivals mit einer Besucherkapazität von höchsten 800 Personen – meistens am Stand, an dem CDs und T-Shirts verkauft werden. Seltener schafft der T-Shirt-Mann es in den Backstage-Raum. Dann verschärft sich der Konflikt mitunter bedrohlich.
 
Darum hassen sie einander:
Ein klassisches Right-Place/Wrong-Time-Dilemma. In anderen Momenten würde der Gitarrist sich geschmeichelt fühlen, dass endlich jemand seine feinsinnige Zusammenstellung erlesener, analoger Modulatoren bemerkt hat (nicht mal sein dämlicher Sänger tut das schließlich). Er geriete ins Dozieren; und zwar bis ihm irgendwer Einhalt geböte. Der Slayer-Devot weiß das. Er hat derartige Monologe schon oft genossen, scheitert aber unglücklich an der Transferleistung in die jeweils neue Umgebung.
 
Das ist die besondere Schönheit dieses Konflikts:
Eigentlich leben die beiden in einer Art von Symbiose. Der T-Shirt-Mann gibt dem Gitarristen schließlich nicht weniger als eine Berechtigung für sein prätentiöses Gehabe. Dafür liefert der wiederum Anschauungsmaterial für das Hobby des langhaarigen Bodentreter-Kiebitz.
 
Das können wir von ihnen lernen:
Die ohnehin schon dämliche Regel "Bros before Hoes" gilt erst ab einem hohen Grad der Freundschaft. Wichtiger aber: Schmeichelei und Respektlosigkeit liegen in alle Richtungen näher beieinander als man denkt.

Der Ticker vom Sofa aus

0
0
Warschau am Mittwoch? Abgesagt. Empfang des luxemburgischen Regierungschefs am Donnerstag? Verschoben. Neujahrsempfang im Schloss Bellevue? Wird vielleicht auch nichts.

Es sind häusliche drei Wochen, die auf Kanzlerin Merkel zukommen: Nach der Diagnose "unvollständiger Bruch im linken hinteren Beckenring" haben ihre Ärzte Bettruhe oder zumindest Sofalage angeordnet. Sie wird von dort aus viele Geschäfte in Heimarbeit erledigen, heißt es. Langweilig wird es ihr also nicht werden.



Beine hoch - und dann was? Comics lesen? Konsole spielen? Mails abarbeiten?


Kranksein, Bettruhe, ein Lager auf der Couch: Da wirbeln mir die Kindheitserinnerungen nur so durch den Hinterkopf! Wenn ich krank war, lief mein Tag immer nach einem genauen Plan ab: Morgens Umlagern vom Bett auf die Couch im Wohnzimmer (wobei meine Mutter das noch warme Bettzeug hinter mir hertrug und dann schwungvoll über mich breitete - einer der besten Momente des Tages!). Dann Verabschiedung der berufstätigen Mutter und der schulpflichtigen, weil ja gesunden Schwester - gefolgt von einer vierstündigen unbeaufsichtigten Odyssee durchs Privatfernsehen, die nur von Schlafpausen unterbrochen wurden. Nachmittags dann, wenn die Mutter zurück und wieder Herrin über die Fernbedienung war: Asterix lesen bis zum Abend.

Diese Traditionen haben sich erstaunlich lang gehalten - auch wenn ich seit Jahren bei Krankheit keine mütterliche Pflege mehr genieße. Spüre ich körperliches Unwohlsein, das einen Fehltag rechtfertigt, zelebriere ich den Ausnahmezustand durchaus feierlich. Ich lege mich immer noch morgens mit Bettzeug aufs Sofa (obwohl man den Fernseher vom Bett aus besser sieht). Alsdann lese ich mich zum siebenundachtzigsten Mal durch meine Calvin-und-Hobbes-Sammlung, während im Hintergrund aktueller TV-Schund vorbeizüngelt. Arbeiten auf der Couch? Kann ich nicht. Und will ich auch nicht. Wenn ich schon krank bin, will ich die unfreiwillige Pause auch mit demonstrativer Unnützigkeit und frivoler Ineffizienz kontern.

Wie ist das bei dir? Welche Rituale hast du, wenn du entschieden hast, dass du "heute mal lieber daheim" bleibst? Welche davon haben sich aus der Kindheit erhalten, welche sind neu? Und was sind deine Methoden, dir auf dem Sofa die Zeit zu vertreiben? Irgendwelche Tipps für die Bundeskanzlerin?

Unter Kontrolle

0
0


Seit den Ausschreitungen zum Erhalt der "Roten Flora" hat die Polizei die gesamte Innenstadt zum "Gefahrengebiet" erklärt. Kritiker sehen die Grundrechte verletzt.

Gefahrengebiet. Das klingt drastisch, nach Katastrophen, Bedrohung, Naturgewalten. Es klingt jedenfalls nicht nach: der Hamburger Innenstadt. 82000 Menschen leben dort seit vergangenem Samstag offiziell im Gefahrengebiet, vier Stadtviertel sind auf unbestimmte Zeit als derartige Zonen deklariert. Dort können Beamte nun jeden Bürger verdachtsunabhängig kontrollieren – „um neuen Übergriffen gegen die Polizei präventiv entgegenzuwirken“, verteidigte Arno Münster, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, die Maßnahme, deren Ziel es ist, drei der Revierwachen in St. Pauli, Altona und dem Schanzenviertel vor Angriffen zu schützen. Auch die stärkste Oppositionspartei in der Stadt, die CDU, sprach sich für die verdachtsunabhängigen Personenkontrollen aus.

Grüne, Linke und FDP hingegen übten Kritik und zweifelten an der Verhältnismäßigkeit. Am Samstagvormittag waren zunächst zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei in das acht Hektar große Gefahrengebiet eingerückt und hatten dort mit den Kontrollen begonnen. Insgesamt wurden im Verlauf des Wochenendes nach Auskunft der Polizei 400 Personen überprüft, die Beamten stellten „pyrotechnische Gegenstände und Vermummungsmaterial“ sicher. Gegen 90 Kontrollierte wurden Aufenthaltsverbote ausgesprochen. Laut einer Polizeisprecherin gab es zudem eine Festnahme sowie mehr als 40 Ingewahrsamnahmen, nachdem sich etwa 300 Menschen über das Internet zu einem „Spaziergang durch das Gefahrengebiet“ verabredet hatten.

Die Grünen kritisierten, das Gefahrengebiet führe zu einem „Generalverdacht“ und zu einer „massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit für viele Tausend Menschen“. Am Montagabend befasste sich der Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft in einer Sondersitzung mit der umstrittenen Maßnahme.

Mit der Einrichtung von Gefahrengebieten reagieren die Beamten in Hamburg auf eine Reihe von Attacken in den vergangenen Wochen auf Kollegen, Polizeiwachen und -fahrzeuge. Zuletzt hatten am 29. Dezember etwa 50 Angreifer, mutmaßlich aus dem linksextremen Spektrum, die Davidwache auf der Reeperbahn angegriffen. Drei Beamte wurden zum Teil schwer verletzt, einem wurden der Kiefer und das Nasenbein gebrochen, als ihn ein Stein aus der Nähe im Gesicht getroffen haben soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Totschlags. Für Hinweise auf den Täter haben der Generalstaatsanwalt und die Polizei 10000 Euro Belohnung ausgesetzt.

„Wir wollen deutlich machen, dass die Polizei Hamburg alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen wird, um Leib und Leben ihrer Beamten zu schützen“, teilte eine Sprecherin der Polizei nun zur Einrichtung der Gefahrengebiete mit.

Für die Einrichtung solcher Gebiete braucht es in Hamburg keine richterliche Entscheidung – die Polizei kann sie im Rahmen der Gefahrenabwehr selbst einrichten. Rechtsgrundlage dafür ist das Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei. Darin heißt es: „Die Polizei darf im öffentlichen Raum in einem bestimmten Gebiet Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen, soweit aufgrund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und die Maßnahme zur Verhütung von Straftaten erforderlich ist.“

Das Gesetz war im Jahr 2005 unter CDU-Bürgermeister Ole von Beust verschärft worden, ursprünglich mit dem Ziel, die offene Drogenszene zu verdrängen. Seitdem hat die Hamburger Polizei mehr als 40 Gefahrengebiete eingerichtet, die meisten aber nur für wenige Stunden, etwa anlässlich von Demonstrationen oder Fußballspielen – zuletzt am 21. Dezember, dem Tag, als es bei der Großkundgebung für den Erhalt der Roten Flora zu erheblichen Ausschreitungen kam.

Kritiker sehen in den Gefahrengebieten einen gravierenden Eingriff gleich in mehrere Grundrechte: in die Bewegungs- und in die Versammlungsfreiheit sowie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch deshalb erklärte die Linkspartei nun, sie erwäge Klage gegen die Gefahrengebiete. Diese seien problematisch, weil allein die Polizei über ihre Einrichtung und Dauer entscheide. Die Grünen kritisierten, aufgrund der erheblichen Größe der Gefahrengebiete müsse ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Der innenpolitische Sprecher der Hamburger FDP-Fraktion, Carl-Edgar Jarchow, erklärte, das Gesetz regle, dass ein Gefahrengebiet nur so lange ausgewiesen werden dürfe, wie es die Lage erfordere. „Nach Äußerungen der Polizei erfordert es die Lage derzeit nicht, es besteht folglich kein Grund, das Gefahrengebiet aufrechtzuerhalten“, sagte Jarchow.

Der goldene Schnitt

0
0


Alles kommt wieder in Mode, auch Barbiere.

Alles in David Fechners Münchner Barbier-Salon ist alt und aufpoliert – wie das Handwerk, das er dort betreibt. Zwischen Marmorwaschtischen, einem Telefon mit Wählscheibe und einer Registrierkasse mit Chromhebel hängt der Duft von Moschus und Minze. Malthe Luda, ein Mittzwanziger mit langen Koteletten und strengem Seitenscheitel, lässt sich in einen Ledersessel fallen. Er krempelt die weißen Hemdsärmel über eine Hirsch-Tätowierung am Unterarm, kontrolliert Haar, Kinn und Kragen im Spiegel und sagt: „wie immer“. David Fechner, 27 Jahre alt und ebenfalls seitengescheitelt, hat den Rasierschaum schon angerührt. Er wirft dem Kunden einen schwarzen Umhang übers Hemd und lässt den schmalen Bart entlang der Oberlippe und des Kinns mit kreisendem Pinsel unter einer dicken Schaumschicht verschwinden. Die Geschichtsstunde kann beginnen.

Jahrzehntelang waren Bärte in Deutschland nur noch eine Zusatzleistung südländischer Friseure. Die Angst vor HIV-Infektionen durch das Rasiermesser nach dem sogenannten Aids-Schock der 80er-Jahre und die Entwicklung brauchbarer Nass- und Trockenrasierer für Zuhause hatten den klassischen Barbiersalon aus deutschen Städten vertrieben. Nun aber sind die Barbiere zurück, meist mit Old-School-Salons. Als wären sie nie weg gewesen.

In Berlin stellte Nicole Wheadon für ihren gleichnamigen Laden in einem anthrazitfarbenen Gewölbe im Sommer einen Barbier aus New York ein, der Frankfurter Hof eröffnete im vergangenen Jahr einen „Gentleman’s Barber Shop“, zu dessen Kunden auch Schauspieler aus dem Ausland zählen sollen. Und in Hamburg schneidet Thomas Meinecke Bärte in einem Salon mit eigener Whiskey-Bar und antiken Sesseln, auf denen jeden Monat mehr Männer Platz nehmen. Für einen Werbespot hat er Fußballtrainer Jürgen Klopp angeblich die erste professionelle Rasur seines Lebens verpasst. Kurz: Es gibt kaum noch eine deutsche Großstadt ohne einen der neuen, auf alt gemachten Barbiere.

Auch im nordrhein-westfälischen Solingen, der Hauptstadt der deutschen Messerproduktion, hat der Hype das Geschäft angekurbelt. Die Manufaktur Böker beispielsweise, einer der bekanntesten Hersteller von allem, was eine Klinge hat, kommt mit der Rasiermesserproduktion schon nicht mehr hinterher. Jahrzehntelang hatte die Firma das Produkt aus dem Sortiment gestrichen. Heute ist die Nachfrage so groß, dass die Rasiermesser bis zu einem halben Jahr Lieferzeit haben, sagt eine Unternehmenssprecherin. Was ist da los?

Bei der Manufaktur Böker fällt ein Name: James Bond. Die Sprecherin erinnert an eine knisternde Szene aus dem Agententhriller „Skyfall“, der 2012 im Kino lief: Ein von Naomi Harris gespieltes Bond-Girl lässt Daniel Craig im Kerzenschein langsam ein Rasiermesser über die Kehle gleiten. Diese Bilder hätten den Hype ausgelöst. Seither, so glaubt man bei Böker, träumen auch deutsche Männer wieder von der klassischen Rasur.

Die Kunden der neuen Salons sind mitunter nostalgische ältere Herren, die sich unter duftendem Rasierschaum in ihre Jugend zurückträumen, als ein Barbierbesuch noch zur Alltagskultur gehörte. Meist aber sind es junge Männer, wie der Grafiker Malthe Luda in David Fechners Salon in München. „Männer, die sich eine Auszeit gönnen, auf ihr Äußeres achten – und auf Trends“, sagt der Barbier. Er hat sich mittlerweile über seinen Kunden gebeugt und zieht mit dem Rasiermesser Schneisen in den Schaum auf dessen Gesicht.

Die neuen Barbiere profitieren davon, dass Wellness nicht mehr automatisch als Weiberkram und eine zur Schau gestellte Männlichkeit nicht mehr automatisch als chauvinistisch gelten. Soziologen beobachten schon seit Längerem eine Rückkehr der alten Herrenkultur, in der Männer Maßanzüge kaufen, Whisky trinken und: Bart tragen. Dreitagebart, Vollbart, Schnauzbart, egal. Selbst bartlose Männer entledigen sich ihrer Gesichtshaare immer häufiger mithilfe einer professionellen Rasur. Der Barbiersalon, sagt Fechner, soll ein Ort sein, an dem die Männer unter sich sind: Bierchen, Bart stutzen, Herrengespräche.

Malthe Luda sitzt alle zwei Wochen auf Fechners Vintage-Stuhl und lässt sich sein Bart- und Haupthaar formen. Vor ein paar Jahren ist der Grafiker aus Enschede nach München gezogen. Woher er den Barbier kennt? „Wir hatten mal dieselbe Freundin.“ Fechner legt das Messer zur Seite und tupft ihm die Schaumreste aus dem Gesicht. „Die hat übrigens gerade geheiratet“, sagt Luda, Lachfältchen um die Augen. „Jaja“, antwortet der Barbier, „ich hab’ die Fotos auf Facebook gesehen.“ Dann lässt er das Grinsen seines Kunden unter warmen Kompressen verschwinden. Ein paar Minuten Schonzeit für die Haut, dann folgen Desinfektion und Aftershave.

David Fechner hat sich das Handwerk selbst beigebracht: „Youtube-Tutorials angeschaut, mit Freunden geübt.“ In Deutschland lernen Friseure heute nicht mehr, wie man Barthaar rasiert oder trimmt. In den USA, wo Gentleman-Salons schon seit einigen Jahren boomen, gibt es auch Barbierschulen und -seminare. In Ländern wie Italien oder der Türkei, in denen sich Männer traditionell von Profis rasieren lassen, gehört die Rasur zur Friseurausbildung.

In Deutschland stehen die neuen Salons deshalb in Konkurrenz zu den südländischen Friseuren, die ihre Bartschneidekunst in Deutschland neben dem Haarschnitt und der Dauerwelle schon lange und vor allem günstig anbieten. Im Schnitt dauert eine Rasur dort eine Viertelstunde und kostet zehn Euro. Im exklusiven Retro-Salon sind es rund 30 Minuten – für das Zwei- bis Dreifache.

„Das ist aber auch etwas anderes“, sagt Fechner. Er nimmt seinem Kunden die feuchten Handtücher aus dem Gesicht und verreibt herb duftendes Aftershave aus einer Glasflasche zwischen seinen Händen: „Bei türkischen Barbieren geht das quick and dirty. Bei uns herrscht Wellness-Atmosphäre.“ Als seine Handflächen Malthe Ludas frischrasiertes Gesicht berühren, atmet der Kunde zischend die Luft ein. Diesen kleinen Schmerz zum Schluss kann auch die schönste Retro-Umgebung nicht verhindern.

Hat Facebook bald Humor?

0
0


Soll noch intelligenter werden: Facebook.

Mit einem Forschungslabor für künstliche Intelligenz will Facebook die Daten seiner 700 Millionen Nutzer nicht mehr nur auf werberelevante Schlagworte abklopfen, sondern wirklich verstehen lernen. Mark Zuckerberg hat dafür den New Yorker KI-Professor Yann Le Cun eingestellt, einen Pionier des Deep Learning. Diese Methode orientiert sich an der Funktionsweise des Gehirns. Microsoft, Google und der chinesische Suchriese Baidu haben ähnliche Labors eingerichtet. Jürgen Schmidhuber forscht seit mehr als 20 Jahren an Deep- Learning-Methoden und hat schon Mitarbeiter an Apple verloren.

SZ: Müssen wir damit rechnen, dass Facebook demnächst als Wesen mit Selbstbewusstsein aufwacht?

Jürgen Schmidhuber: Das ist unwahrscheinlich. Die Methoden, die meine Kollegen bei Facebook verwenden, gleichen denen, die wir und andere im Lauf der Jahrzehnte entwickelt haben. Alle kochen mit Wasser. Da entsteht nicht urplötzlich eine Superintelligenz wie in den alten Science-Fiction-Romanen der Achtzigerjahre.

Facebook wertet schon lange riesige Datenmengen aus, um Werbung zu personalisieren. Was würde sich mit Deep Learning ändern?

Deep-Learning-Methoden wurden in den letzten 40 Jahren entwickelt. Es handelt sich um besonders „tiefe“ künstliche neuronale Netzwerke. Das sind Programme, die dem Vorbild der Neuronen im menschlichen Gehirn nacheifern und zur Bildklassifikation oder Spracherkennung benutzt werden. In so ein neuronales Netz werden rohe Daten eingespeist – bei Facebook könnten das Daten sein, die beschreiben, wer mit wem verbunden ist, wer wen und welche Webseiten unter welchen Umständen „liked“. Die Aufgabe des Netzes besteht dann darin, Vorhersagen zu machen, welche Werbung bei wem gut ankommt.

Inwiefern ist Deep Learning im menschlichen Sinne intelligent?

So ein neuronales Netz ist zunächst einmal völlig unstrukturiert, aber mit Lernalgorithmen kann man es zwingen, gewünschte Antworten zu produzieren. Um zum Beispiel einen Roboter zu trainieren, zeigt ihm ein Mensch, wie seine Bewegungen aussehen sollen. Um eine Handschrift zu erkennen, zeige ich dem Netz Beispiele geschriebener Zeichen, die ein Lehrer korrekt markiert hat. Das Netzwerk lernt, die richtig zu klassifizieren. Die zentrale Frage ist dann: Funktioniert das Netz auch bei einem Testsatz, der aus zuvor ungesehenen Beispielen zusammengesetzt ist? Wenn man es richtig macht, schon.

Die Programme lernen also selbständig, wie sie die Daten zuordnen sollen?

Genau. Neuronale Netzwerke können auch Muster behandeln, die sie im Training nie kennengelernt haben. Wie Kinder Dinge erkennen, die sie nie gesehen haben. Irgendwann können sie sogar völlig neue Probleme lösen. Auf der untersten Neuronenschicht eines Netzwerks kommt die Eingabe an, etwa die rohen Pixel eines Bildes. In der nächsthöheren Schicht entstehen Filter, die abstraktere Konzepte wie Kanten und Ecken bemerken. Diese Konzepte sind nicht voreingestellt – selbst Babys lernen das erst mit der Zeit. In der nächsten Neuronenschicht wird es schon schwieriger, zu verstehen, was vorgeht. Je tiefer man reinguckt, desto abstrakter sind die Dinge, die unsere künstlichen Neuronen zu repräsentieren lernen. Auch gewisse echte Neuronen tief im Hirn reagieren ja nur, wenn sich eine bestimmte Person im Blickfeld befindet. Egal, welche Kleidung diese Person trägt, oder wie sie beleuchtet wird. Das kommt Normalbürgern vielleicht kaum bemerkenswert vor, aber Informatiker fanden es viele Jahre lang schwierig, Ähnliches mit Rechnern zu erreichen.

In der Forschung hat es immer wieder große Hoffnungen, aber auch Enttäuschungen gegeben. Weshalb jetzt diese neue Renaissance?

Das ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass in jeder Dekade die Rechenzeit pro Euro zunimmt – und zwar um den Faktor 100 bis 1000. Es ist nicht abzusehen, wann das aufhören wird. Wir sind noch weit entfernt von den physikalischen Grenzen. Heute können wir verbesserte Algorithmen aus den Neunzigerjahren auf recht komplexe Probleme anwenden, die damals nicht infrage kamen.

In welchen Bereichen wird Deep Learning sonst noch verwendet?

Unsere Methoden funktionieren bereits gut, wenn es darum geht, ähnliche Bilder aus einer Datenbank herauszufiltern, eine chinesische Speisekarte mittels Handykamera zu übersetzen, oder ein fahrerloses Auto Verkehrszeichen erkennen zu lassen. Der wichtigste Anwendungsbereich ist die medizinische Diagnostik. Mein Team arbeitet erfolgreich an Krebsfrüherkennung. Das könnte in Zukunft helfen, die Gesundheitsvorsorge zahlloser Menschen ohne Zugang zu Ärzten zu verbessern.

Facebook-Nutzer machen sich Sorgen, dass Facebook verstehen lernen könnte, was die Nutzer schreiben und nicht nur, wie bisher, auf bestimmte Schlagworte anspringt.

Viele Forschungslabore und auch Geheimdienste und Finanzdienstleister auf der ganzen Welt arbeiten seit Jahrzehnten an genau diesem Problem: Lies einen Text und schreibe automatisch eine kurze Zusammenfassung. In sozialen Netzwerken ist das interessant, weil man durch die Auswertung einer Gruppendiskussion herausfinden kann, was die Beteiligten gemeinsam haben und welche Produkte man ihnen verkaufen könnte.

Kann Facebook demnächst meine Witze verstehen?

In der nahen Zukunft eher nicht. Zumindest nicht alle.

Warum nicht?

Das Verständnis vieler Witze erfordert Weltwissen und Jahrzehnte an Lebenserfahrung. Jede Sekunde eines Menschenlebens liefert Millionen neuer Sensordaten, die sich erheblich von den Daten Facebooks unterscheiden. Facebook kennt zwar viele Bilder, weil Nutzer sie hochladen. Aber es weiß kaum etwas darüber, was warum auf diesen Bildern passiert. Wir haben zwar schon Roboter, die das im Prinzip lernen können, die mit der Welt interagieren und so mit der Zeit herausfinden, wie sie funktioniert. Aber das ist noch im Forschungsstadium, während Bildklassifikation oder Gesichtserkennung schon so gut beherrscht werden, dass sie kommerziell höchst interessant sind.

An intelligenten Maschinen, wie man sie aus Science-Fiction-Filmen kennt, wird also gearbeitet?

Ja, klar. Mein Labor ist nicht nur für seine Deep-Learning-Methoden bekannt, bei denen es um Wahrnehmung geht. Wir wollen auch weit allgemeinere universelle Problemlöser bauen. Roboter, die aktiv Einfluss nehmen auf die Daten, die sie bekommen. Im Prinzip wissen wir sogar schon, wie wir kreative Maschinen bauen können, die nicht immer nur das tun, was ihnen die Lehrer sagen. Die stattdessen ihre eigenen Probleme wählen, und dabei immer raffinierter werden, weil sie herausfinden, welche Interaktionen mit der Welt welche Ergebnisse versprechen. Auch in meiner Gruppe wurden dafür in den letzten Jahren wesentliche theoretische Grundlagen gelegt. Aber bis zu praktischen Anwendungen ist es noch ein weiter Weg.

Wann, glauben Sie, nehmen uns die Maschinen das Heft aus der Hand?

Ich will nicht ausschließen, dass ich das noch erleben werde. Aber wann genau scheint schwer vorherzusagen. Vielleicht gibt uns die Geschichte einen Hinweis? Mir fiel einst folgendes einfache Muster auf. Vor gut 40 000 Jahren zog der Homo sapiens aus Afrika los und hat die Welt besiedelt. Vor 20 000 Jahren hatten wir Pfeil und Bogen, vor 10 000 Jahren Ackerbau und Viehzucht und Zivilisation, vor 5000 Jahren Hochzivilisation und die Erfindung der Schrift, vor 2500 Jahren die Antike. Wenn man so in stets halbierten Intervallen weiter rechnet, kommt man erstaunlicherweise stets bei den umwälzenden Erfindungen und Ereignissen heraus. Beim Buchdruck, der ersten kommerziellen Dampfmaschine, der Gründerzeit – und die Abstände werden so rasch kürzer, dass sie in endlicher Zeit zu konvergieren scheinen, und zwar innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Mittlerweile erleben wir mehrere Umwälzungen innerhalb eines Menschenlebens. Wir leben in einer ganz besonderen Zeit. Es wäre erstaunlich, wenn wir nicht in ein paar Jahrzehnten intelligente Maschinen hätten, die in vieler Hinsicht dem Menschen überlegen sind.

Macht Ihnen das keine Angst?

Nicht wirklich. Wir sind Teil eines unaufhaltsamen Prozesses, der mir der natürliche Gang der Dinge zu sein scheint. Keiner kann exakt vorhersagen, wohin das alles führen wird. Genauso wenig wie ein einzelnes Neuron in meinem Gehirn prophezeien kann, was das gesamte Gehirn demnächst denken wird. Sehen wir uns als Teil dieses Prozesses. Helfen wir mit, die Entwicklung in vernünftige Bahnen zu lenken. Umarmen wir das Unvermeidliche.

Jürgen Schmidhuber, geboren 1963 in München, leitet das Labor für Künstliche Intelligenz IDSIA bei Lugano und unterrichtet dort an der Universität. Viele Firmen verwenden die in seinem Labor entwickelten Algorithmen.

Unter Zuschauern

0
0


Eine Masse, lauter Typen: das Publikum

Der Nicker


Warum sitzt er im Publikum?
Der Nicker sitzt in der ersten Reihe, denn er möchte besonders gut sehen und hören können, ohne störende Schultern, Nacken und Köpfe anderer dazwischen. Er ist immerhin hier um etwas zu lernen, später bereichert noch einen guten Wein zu trinken und mit seiner Begleitung eifrig über den Abend zu diskutieren. Hier vorne hat er sogar genug Platz, sich mit den Ellebogen auf die Knie zu stützen und dadurch besonders interessiert zu wirken. Ansonsten macht er seinem Namen alle Ehre: Er nickt sehr viel, oft lächelt er dabei, nur sehr selten schüttelt er mal den Kopf, denn er ist ein positiver Mensch, der sich über jede Meinung und eloquente Äußerung freut, auch, wenn er überhaupt nicht einverstanden damit ist.
Das denkt er:
„Ach, wie interessant, hoffentlich sehen auch alle, dass ich es interessant finde!“
Das denkt der Sitznachbar:„Meine Fresse, kann der mal den Kopf stillhalten? So spannend ist das jetzt auch wieder nicht.“
Das hat er dabei: Informationsmaterial zur Veranstaltung (Flyer, Programm, Katalog), das er die ganze Zeit über in der Hand hält, Handhygienegel und ein ziemlich altes Handy
Dort triffst du ihn:
Bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Mobilität der Zukunft“ und bei der Lyriklesung eines hoffnungsvollen Nachwuchsdichters.    

Der Reinrufer


Warum sitzt er im Publikum?
Der Reinrufer möchte in der Menge baden (die aber meistens eher etwas von ihm abrückt) und Teil des Abends sein. Stilles Dasitzen und Sich-berieseln-lassen ist gar nicht sein Ding. Er findet, dass ein Publikum unbedingt partizipieren sollte, das mache das Ganze „doch erst so richtig spannend“. Darum freut er sich immer besonders, wenn der Künstler auf der Bühne sein Publikum mit einbezieht oder der Vortragende eine Frage an die Menge richtet – dann grölt er am lautesten seine Gedanken in den Raum. Das tut er allerdings auch gerne mal ohne Aufforderung. Wenn dann vorne auf der Bühne kurze Verwirrung herrscht, fühlt sich der Reinrufer ziemlich revolutionär. Endlich hat er mal mehr erreicht als einen gesunden Stuhlgang!
Das denkt er:
„Ha, da sag ich jetzt aber mal was dazu!“ oder „Ha, jetzt hab ich’s denen aber gegeben!“
Das denkt der Sitznachbar:
„Peinlich, peinlich, peinlich, peinlich, peinlich, peinlich, peinlich...“
Das hat er dabei:
Nichts, er hat nämlich alles an der Garderobe abgegeben, um es sich auf seinem Platz so richtig bequem machen zu können. Da fühlt er sich fast wie daheim im Sessel.
Dort triffst du ihn:
Bei der Mitgliederversammlung des FDP-Ortsverbands, beim Poetry Slam im örtlichen Kulturzentrum und im politischen Kabarett.



[seitenumbruch]

Der Fremdschämer


Warum sitzt er im Publikum?
Weil er muss oder weil er sich etwas anderes vorgestellt hat. Er hat also entweder eine Karte geschenkt bekommen/jemandem versprochen mitzugehen oder dachte, dass das Programm respektive der Film unterhaltsamer oder anspruchsvoller wäre. Nun versucht er, sich auf seinem Platz möglichst klein zu machen. Alles ist ihm peinlich. Er sich selbst, weil er sich diese Schmonzette beziehungsweise dieses unsinnige Programm ansieht, sämtliche Akteure im Film beziehungsweise der Typ auf der Bühne und alle anderen im Publikum, die gerührt sind, jubeln oder lachen. Der Fremdschämer versucht, beim Colatrinken durch den Strohhalm keine Schlürfgeräusche zu machen und wenn er klatscht, dann tut er das verschämt im Schoß. Eigentlich will er bloß ganz schnell nach Hause unter die Bettdecke!
Das denkt er:
„Mir ist so heiß. Und jetzt wieder kalt. Ich glaub, ich muss weinen!“
Das denkt der Sitznachbar:
„Was’n Langweiler! Weint der etwa???“
Das hat er dabei:
Zumindest nichts, was ihm helfen würde – er wusste ja nicht, was ihn erwartet! In seiner Not klammert er sich mit feuchten Händen an alles, was man eben so dabei hat – den Schal, das Taschentuch, die eigenen Finger.
Dort triffst du ihn:
Er könnte überall sein: im Theater, im Kabarett, im Kino, bei der Stand-up-Comedy-Show, beim wissenschaftlichen Vortrag – egal, Fremdscham ist universell und weit verbreitet.

Der Sture


Warum sitzt er im Publikum?
Der Sture überzeugt sich gerne von der Dummheit der Menschen und damit gleichzeitig von seiner eigenen Intelligenz und seinem unfehlbaren Geschmack. Also kauft er sich eine Karte fürs Theater oder für ein Konzert in dem Wissen, dass es ihm sowieso nicht gefallen wird. Am schönsten ist es für ihn, wenn er die Musik, die vom Orchester interpretiert, oder das Theaterstück, das inszeniert wird, sehr, sehr gut kennt. Dann kann er mit verschränkten Armen und mürrischem Gesicht dasitzen, nie applaudieren und sich in stillen Momenten laut räuspern. Er nutzt seinen ganzen Körper dazu, die reinste Verweigerung auszudrücken. Das genießt er sehr – auch, wenn er das nie zugeben würde. Nicht mal vor sich selbst.
Das denkt er:„Ich hab’s ja gleich gewusst, das konnte ja nichts werden. Wieso nur tu ich mir das immer wieder an?“
Das denkt der Sitznachbar: Entweder „Wenn’s dir nicht gefällt, dann geh halt, anstatt hier miese Stimmung zu verbreiten“ oder schlicht: „Banause!“
Das hat er dabei:
Im Theater eine kommentierte Ausgabe des Stücks, im Konzert und der Oper die Partitur, eine Packung Taschentücher, um sich aus Protest geräuschvoll die Nase zu putzen. Außerdem seine Jacke, immerhin muss er so aussehen, als sei er jederzeit bereit, wieder zu gehen.
Dort triffst du ihn: Vor allem im Rahmen der sogenannten Hochkultur – im Theater, im Konzert oder in der Oper. Manchmal geht er aber auch zu Lesungen, um von der Person seines eigentlich so geliebten Autors XY enttäuscht zu sein, oder ins Kabarett, um demonstrativ nicht zu lachen. Das ist allerdings die Königsdisziplin, weil Lachen so schlimm ansteckend ist!  


[seitenumbruch]

Der Zappler


Warum sitzt er im Publikum?
Weil er es endlich mal wieder geschafft hat, für sich und die Kinder pünktlich Karten zu besorgen – und dann auch noch pünktlich am Einlass zu sein! Sonst verpasst der Unruhige nämlich fast immer alle interessante Kulturtermine, von denen seine noch kinderlosen Freunde erzählen. Nicht aus Desinteresse, sondern weil er jeden Donnerstag die Veranstaltungsbeilage versehentlich mit dem Sportteil in den Papierkorb wirft, und weil er generell alles nur überfliegt. Jetzt also sitzt er da, die Kinder haben ihre Jacken aus und saure Pommes in der Hand, aber verflixt, da vibriert sein Handy, der Chef, Mist, den kann er jetzt nicht wegdrücken, also raus, vorbei an den genervt hochgeklappten Knien seiner Sitznachbarn, „’tschuldigung”, murmelt er, “dürfte ich nochmal kurz“, nach drei Minuten zurück, die Knie nochmal hoch, genervtes Donnergrollen aus der Stuhlreihe dahinter, die Aufführung hat schon angefangen, aber endlich sitzt er. Da stupst ihn die Tochter von links an: „Papa? Ich muss Pipi.“
Das denkt er:
„Kann ja nicht wahr sein, hab ich jetzt eben echt mein Handy im Foyer liegen lassen?“
Das denkt der Sitznachbar: „Grundgütiger! Kann der Honk nicht mal aufhören, SMS zu tippen?“
Das hat er dabei: Sein Handy, einen Hut und seine Aktentasche. Er kommt schließlich direkt aus dem Büro.
Dort triffst du ihn: Im Kindertheater oder in der Peter-Pan-Operette zu Weihnachten.

Der Schläfer


Warum sitzt er im Publikum?
Das weiß er auch nicht so genau. Irgendwie dachte er, er müsste sich mal wieder ein bisschen Kultur oder was für’s Gehirn gönnen, bevor er wieder vorm Fernseher versackt. Also los! Im Publikum ist es dann aber plötzlich so gemütlich (die ruhigen Leute um einen herum, die Dunkelheit im Saal, der weiche Sitz), dass ihm alle Glieder und die Augenlider ganz, ganz schwer werden. Und obwohl er kurz aufbegehrt und kämpft, muss er verlieren – das kennt er schon aus der Schule/der Uni/dem Bus/dem ganzen restlichen Leben. Also schläft er schließlich ein. Der Kopf sackt im auf die Brust und er wird erst wieder wach, wenn das Licht angeht. Außer, er schnarcht. Dann rammen ihm die Sitznachbarn die Ellebogen in die Seite.
Das denkt er:
„Nein, das darf nicht passieren, bleib wach, du musst wach bleiben, du darfst nicht einschl...“
Das denkt der Sitznachbar:
„Hihi. Hihihihihi.“
Das hat er dabei:
Leider kein Nackenhörnchen.
Dort triffst du ihn:
Im Kino, im Konzert, im Theater und der Oper, auf Lesungen. Immer bei den Klassikern, die man gesehen/gehört haben muss: „Tree of Life“, ein Stück von Kleist, Wagners „Ring“, Walsers Lesung. Und niemals dort, wo es irgendwie heiter und lustig ist, denn wo viel gelacht wird, wird wenig geschlafen.

Schlafen im All und Raucherpausen auf Russisch

0
0
Snow-Shark

Liebe Eltern einer digitalverseuchten Generation, die ihr euch weismachen wollt, eure blaulippig und leeräugig vor ihren Smartphones hockenden Candy-Crush-Kids hätten kein Problem! Nun seht euch doch einmal dies hier an: Da bauen drei entzückenden Brüder jeden Winter zusammen eine riesige Schneeskulptur - einzig mit der Kraft ihrer Hände und ihrer geschwisterlichen Liebe. Da zieht es einem glatt den Teppich unter den Füßen weg, so nah sind diese Jungs den naturgewaltigen Elementen vor ihrer Haustür. Zu schön, um wahr zu sein? Vielleicht doch nur ein viraler PR-Film der "Gesellschaft für naturliebenden und gemeinschaftsfähigen Bürgernachwuchs"? Man weiß es ja nicht, denn was weiß man heutzutage schon noch? Aber der Hai, das muss man ihm lassen, hat's schon hart drauf. Den würd' man sich ja auch gern mal in die Geranien stellen.

http://www.youtube.com/watch?v=6egUK4s7emE

Feuerzeug reloaded

So, und bevor es beim übernächsten Film ganz ernst und andächtig wird, wollen wir an dieser Stelle erstmal kurz eine Raucherpause einlegen, und zwar auf russisch. Tja, ihr selbstverknallten Grafikheinis/Medienschüler/Fashiondesigner/Taschennäher und Bürogemeinschaftsteiler aus Kreuzkölln, vielleicht ist das Leben auf dem russischen Bau halt doch ein bisschen geiler?

http://www.youtube.com/watch?v=wT07R0I3jfw

Die Fehler der anderen

Während die eindimensional-billige „Fahr vorsichtig Schatz"-Post-it-herziherzi-Werbung auf deutschen Autobahnen nicht etwa zur gewünschten Achtsamkeit anhält, sondern eher einen Erstrecht-Rase-Trotz provoziert, haben die Neuseeländer scheinbar raus, wie man die Leute so schockiert und rührt, dass sie geradeheraus schwören, nie wieder den Fahrspaß über das Moralempfinden zu stellen.

http://www.youtube.com/watch?v=bvLaTupw-hk

Schlafen ohne Schwerkraft

Dieser Mann sieht zwar aus wie dein Postbote, ist aber in Wahrheit Astronaut. Und in diesem Video erklärt er auf rührende Weise, wie es vonstatten geht, wenn man im All schlafen geht. Zugegeben: Es ist nicht besonders neu, aber wer den Astronauten Chris Hadfield noch nicht kennt, dem fehlt etwas im Leben, so einfach ist das. Und deshalb: Bitte viel öfter in diesen Canadian Space-youtube-Kanal reinschauen, in dem Hadfield regelmäßig allerhand Space-Phänomene so erklärt, dass jedes Kindergartenkind seine Freude daran hat. Unbedingt auch angucken: Dieses Video, in dem er, floating in space, den Bowie Song „Space Oddity" interpretiert und dem Zuschauer zwei dicke und sofortpulsierende Herzen in die Augen projiziert. 

http://www.youtube.com/watch?v=UyFYgeE32f0&list=TLUfwwMr5diYXiIGL4i3TpDaKTly9zoVcA 

PS: Wir verwetten übrigens unseren pinken Redaktionsflamingo darauf, dass bald ein flotter Franzose die Europa-Rechte für den Vetrieb des Hadfieldschen Russen-Schlafanzug erwirbt und Millionen damit macht, ihn für übertriebenes Geld an die oben erwähnte Kreativelite aus Kreuzkölln zu verschärbeln.

Kunstwerk deiner Pupillen

Der Künstler und Komponist Ben Grosser hat eine Software entwickelt, die nachzeichnet, welche Wege dein Blick während des Filmguckens so geht – und daraus ein hauchdünnes Zeichenkunstwerk, sozusagen eine einmalige Chronik deines Blicks, schafft. Pretty beeindruckend! Und irgendwie ein ziemlich abgefahrenes Erlebnis, den Ton des Films zu hören, aber nichts als dieses Graphengewirr zu sehen zu kriegen. Checkt man erst gar nicht. Und ist sicher gut für die Querverbindungen der Gehirnzellen!

http://vimeo.com/79080563 

Stolz auf Oskar?

0
0
Ein wohliges Stolzsein erfüllte mich. Ein Gefühl, das ich bis dato nur von selbst erbrachten Leistungen kannte. Gerade hatte ich die erste Übungsreportage eines langjährigen Freundes gelesen. Ich wollte ihm sagen: "Ich bin stolz auf dich!". Aber ist das nicht irgendwie ein seltsamer Satz? Klar, es ist nachvollziehbar, dass ich mich für ihn freue, doch kann man sagen, dass das Stolz ist? Ist es nicht eher eine trügerische Zufriedenheit, die ich für die andere Person empfinde? Zumal ich wohl wenig Einfluss auf die Arbeit und Entwicklung meines Freundes genommen habe. Im Streitfall müsste ich mir sogar eingestehen, dass der umgekehrte Fall der Realität entspricht! Bin ich überheblich geworden? Was meine ich überhaupt, wenn ich vom Stolzsein rede? Verwechsle ich da nicht zwei völlig unterschiedliche Emotionen?





Stolz – das ist zunächst einmal etwas, das ich mit der Beziehung zu meinen Eltern verbinde. Und das von Anfang an: Schon kurz nach der Entbindung werden Eltern mit dem Attribut stolz versehen. Dies liegt wohl weniger daran, dass man ihnen Respekt dafür zollt, die schwierigen Etappen auf dem Weg zur Geburt gemeistert zu haben (Zeugung, Alkohol- und Rauchverbot, regelmäßige Arztbesuche, Kauf von Stramplern, Windeln und Spielzeug), sondern um kenntlich zu machen, dass sie sich über ihr neues Kind freuen. In diesem Fall konstruiert sich Stolz aus dem innigen Verhältnis zwischen den Generationen, aus der Tatsache, dass der kleine, „unfertige“ Mensch, der da gerade sachte von links nach rechts gewogen wird, die fleischgewordene Essenz der Liebe des Elternpaares darstellt. Eltern – also auch meine - dürfen stolz auf ihre Kinder sein.

Schließlich tragen diese auch aktiv einen beachtlichen Teil zur Persönlichkeitsentwicklung ihres Abkömmlings bei. Je älter der Säugling wird, desto deutlicher wird es, dass er mehr als ein determiniertes Bündel von Genen und Chromosomen ist: Er lacht, weint – lernt. Und nach und nach, vielleicht schon, wenn die ersten eigenen Gehversuche gelingen, stellt man einem Kind frei, selbst stolz zu sein. Von da an beginnt ein lebenslanger Kampf um die Zufriedenheit mit sich, der ausgewogenen Hochachtung vor der eigenen Person. Eltern – hoffentlich auch meine – bleiben weiterhin stolz auf ihre Kinder, der Stolz aber verlagert sich weitgehend dorthin, wo er auch hingehört: Auf das Selbst.

Bedeutet dies nun, dass ich völlig neben mir stehe? Irgendwo dort, abseits meiner Person, wo mein Gefühl und Stolz gelandet ist? Bin ich zu einem verbitterten Vater mutiert, der brüllend am Spielfeldrand steht, um seinen Sohn anzuspornen, auf welchen er seine zerronnen Sehnsüchte projiziert? Oder stehe ich so neben der Realität, dass ich stolz auf andere bin, wie manche stolz darauf sind deutsch zu sein oder einen Geländewagen zu besitzen?

Natürlich bin ich nicht auf diesen Fragen sitzen geblieben und habe nachgeforscht: Die pathologische Form von Stolz wird, nach der Psychoanalytikerin Karen Horney, als neurotischer Stolz bezeichnet. Hier ist ein zwanghafter Stolz gemeint, der sich beliebig auf das richtet, was einem gerade geeignet erscheint. Auf Unverletzbarkeit, auf Selbstlosigkeit oder auf Ehrlichkeit. Immer mit dem Ziel, die eigenen Schwächen und Unvermögen als Stärken zu tarnen.

Gibt es eine Grauzone? In der Fremdstolz moralisch vertretbar ist?



Naja, so streng will ich dann auch nicht mit mir sein. Außerdem scheint diese Schablone nicht ganz auf die Beziehung zwischen zwei Menschen zu passen. Gibt es also eine Grauzone, in der so etwas wie Fremdstolz moralisch und psychologisch vertretbar ist?

Zur Klärung der Frage, zurück zum „klassischen“ Stolz – also den, den man hat, wenn man mit einer Eins in der letzten Ex am Mittagstisch erscheint. Auch diese Form kennt zwei Gesichter: Er kann entweder ein gesundes Selbstbewusstsein beziehungsweise Selbstachtung ausdrücken oder zur Eitelkeit und Hochmut verkommen. In letzterer Variante stellt Stolz sogar die erste der sieben Hauptsünden der römisch-katholischen Kirche dar, bei Thomas von Aquin steht Stolz sogar noch über den Hauptsünden! Hier wird deutlich, dass Stolz sich immer an einem gesellschaftlich tradierten Wertehorizont orientiert und das Gefühl meint alles richtig gemacht zu haben. Aber wie hilft mir das jetzt weiter, richtig in meiner Angelegenheit zu entscheiden?

Irgendwo zwischen Ausrede und Antwort bewegt sich der Ratschlag an mich selbst: Leg deine Schwarz-Weiß-Brille ab! Freu dich über den Erfolg deines guten Freundes, bleib dir dabei bewusst, dass er die Leistung selbst erbracht hat und nicht darauf angewiesen ist, dass du ihm dies bescheinigst – obwohl das selbstverständlich eine freundliche Geste ist. Und einen Geländewagen braucht in der Stadt kein Schwein, also denk gar nicht daran!

Nach diesem Fazit kann die Kategorie „Fremdstolz“ ad acta gelegt werden. Es bleibt: Die Notwendigkeit zur Unterscheidung zwischen gut gemeinten Ausdruck von Anerkennung und zwangsneurotischem Wahnsinn. Wer dieser fähig ist, erlebt hoffentlich einen stolzen Augenblick.

Von Sinnen

0
0
Ich habe eine Freundin, die in einer sehr musikalischen Familie aufgewachsen ist. Sie hat schon seit ihrer Kindheit Gesangsunterricht genommen und dann Gesang studiert, ihre Stimme und ihr Gehör wurden also schon immer besonders trainiert. Neulich fuhren wir gemeinsam mit dem Rad durch die Stadt und ich war sehr erstaunt, wie ungebremst sie stets über die nächste Kreuzung raste. „Hast du keine Angst, dass ein Auto kommt?“, fragte ich und sie sagte: „Aber ich hör doch, ob eins kommt oder nicht oder ob es noch weit genug weg ist.“ In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ihr Gehör wirklich viel besser ist als meines. Sie kann anhand eines Geräuschs einschätzen, wie weit ein Auto entfernt ist. Ich kann das nicht. Oder zumindest vertraue ich meinem Gehör in dieser Hinsicht nicht, ich halte an der Kreuzung an und sehe nach.  


Jetzt alle mal kurz auf die fünf Sinne konzentrieren - welcher funktioniert am besten?

Die Steigerung eines guten Gehörs ist das absolute Gehör: die Fähigkeit eine einzelne Note ohne jeden Zusammenhang zu erkennen oder zu singen. Takao Hensch, Professor für molekulare und Zellbiologie an der Harvard University, glaubt, dass das absolute Gehör nur in einer kurzen, sogenannten „kritischen Phase“ in der Kindheit erlernt werden kann, also in einem bestimmten Zeitraum in der Entwicklung, in dem Verhaltensweisen dauerhaft festgelegt werden und danach nicht mehr geändert werden können. Professor Hensch hat nun aber auch an einer Studie mitgearbeitet, in der im Gehirn mithilfe eines Medikaments diese kritische Phase erneut heraufbeschworen wurde. Für die Untersuchung bekam eine Gruppe von Probanden „Valproate“, ein Epilepsie-Medikament, das ihr Gehirn dazu befähigte, Dinge zu lernen, für die es eigentlich zu alt ist. Eine Kontrollgruppe bekam ein Placebo. Beide Gruppen bestanden aus jungen, gesunden Männern ohne musikalische Erfahrung, die nach Einnahme des Medikaments zwei Wochen lang Aufgaben bearbeiten mussten, um ihr Gehör zu verbessern. Das Ergebnis: Die medikamentierten Männer verbesserten ihr Gehör signifikant, sehr viel stärker als die Kontrollgruppe.  

Vielleicht gibt es also in Zukunft die Möglichkeit, die eigenen Sinnesorgane mithilfe von Medikamenten zu verbessern und ich kann doch noch effektiv etwas für meine untrainierten Ohren tun. Ich bin allerdings auch kurzsichtig – und das kann man wohl nicht wegtrainieren. Aber vielleicht den Geschmackssinn? Oder das Empfinden auf der Haut? Oder die Nase? Von der ich persönlich ja glaube, dass sie bei mir am besten funktioniert. Ich höre nicht gut, ich sehe nicht gut, aber ich empfinde Gerüche schon als streng, wenn andere sie noch gar nicht in der Nase haben.  

Welcher deiner fünf Sinne funktioniert am besten, welcher am schlechtesten? Und hättest du gerne bessere Ohren oder eine bessere Nase und würdest dir wünschen, dass man das nachträglich noch trainieren kann? Und welcher deiner Sinne wurde deiner Meinung nach schon immer am meisten beansprucht? Und ist er deswegen besser ausgebildet als die anderen?

Sterbende Sprache

0
0
Balkanfans, die frischen Fisch in Kroatien ebenso schätzen wie gegrilltes Spanferkel in Serbien, die einen Abstecher ins bosnische Sarajewo machen und den Urlaub mit einem Schwenk nach Montenegro abrunden, könnten glauben, dass in diesen Ländern immer noch die gleiche Sprache gesprochen wird: Serbokroatisch. Der Gedanke ist gar nicht so falsch – auf den ersten Blick. Immer noch unterhalten sich Bosnier problemlos mit Kroaten oder Serben, können die Bücher des Nachbarn lesen und deren Lieder verstehen. Für Serben ist ein Fluss reka, für Kroaten rijeka.



Bosnische Muslime campen in Sarajevo - als Protest gegen ein Gesetz, das Schulen erlaubt, Serbisch zu lehren, nicht Bosnisch.

Auf den zweiten Blick aber ist es mit der Verständigung nicht so weit her: Auf dem Balkan tobt ein erbitterter Kampf um die Sprache. So sind kroatische Kriegsveteranen dagegen, dass im ehemals umkämpften Vukovar Schilder auch auf Kyrillisch geschrieben werden – dem Alphabet der Serben, die hier immerhin ein Drittel der Einwohner stellen. Hunderttausende Kroaten haben sich im Dezember für eine Volksabstimmung gegen die kyrillische Schrift ausgesprochen. Kommt es zu dem Referendum, wird es kaum zu Gunsten der Serben ausfallen.

Ob Serben und Kroaten sprachlich an einem Strang ziehen oder gegeneinander kämpfen,hing im Lauf der Geschichte immer davon ab, ob sie gerade das Einende oder das Trennende betonen wollten. Als etwa im 19. und 20.Jahrhundert Serben die Dominanz erst des Sultans, dann Österreichs-Ungarns beenden wollten, definierten sie mit den Kroaten Serbokroatisch als gemeinsame Sprache. Als sie später serbische Expansion begründen wollten, wurde daraus wieder Serbisch. Auch die Kroaten mühten sich mit neuen Worten um Abgrenzung. Brot hieß nun nicht mehr chleb, sondern kruh, aus voz für einen Zug wurde vlak. Die Monatsnamen Januar oder Dezembar wurden durch siječanj oder prosinac ersetzt; sekretarica (für Sekretärin) wurde zur tajnica. Ein-, vielleicht zweitausend Worte trennen Kroaten und Serben mittlerweile, vor allem in Justiz und Verwaltung.

Wer glaubte, der Weg in die EU würde die Unterschiede entschärfen, irrte – und das nicht nur im Fall der Veteranen von Vukovar. Nebenan, in der zu Bosnien-Herzegowina gehörenden, doch von Serben dominierten Republik Srpska, verlangen muslimische Eltern, ihre Kinder nicht auf Serbisch zu unterrichten, sondern auf Bosnisch. Das ist keine wirklich eigene Sprache, doch es geht um unterschiedliche Versionen von Sprache und Literatur, Geschichte und Erdkunde, Religion und Gesellschaftskunde. Die Eltern nahmen ihre Kinder aus der Schule und protestierten in Sarajewo, bisher vergeblich.

Die Montenegriner sind weiter, aber nur auf dem Papier. Nach der Unabhängigkeit des Zwergstaats schrieb 2007 eine neue Verfassung „Montenegrinisch“ als Staatssprache fest, obwohl zwei Drittel der Einwohner erklärten, sie sprächen Serbisch. Montenegrinisch als Pflichtschulfach ärgerte viele Bürger ebenso wie eine neue, montenegrinische Grammatik. Schließlich sollten Schüler in „montenegrinisch-serbischer, bosnischer und kroatischer Sprache und Literatur“ unterrichtet werden – im Sommer 2013 aber hielt Montenegros Verfassungsgericht dies für nicht rechtmäßig. Wie es weitergeht, ist unklar: Sprachverwirrung allerorten.

Busfahren für Anfänger

0
0


Immer öfter nutzen Fernreisende Bus statt Bahn, vor allem wegen des Preisunterschiedes. Die Schnäppchenpreise sind allerdings limitiert.

Bei Service und Komfort an Bord der Busse gibt es bei den verschiedenen Unternehmen keine großen Unterschiede , ergab eine Untersuchung der Stiftung Warentest. Für die Kunden empfiehlt sich dennoch, vor der Buchung die Bedingungen genau zu studieren.

Wie findet man den richtigen Bus-Anbieter?

Am einfachsten ist die Suche über das Internet. Mit der Zahl der Anbieter ist auch die der Vergleichsportale gestiegen – sie heißen etwa busliniensuche.de, fernbusse.de, checkmybus.de oder fahrtenfuchs.de. Sie listen Strecken und Preise auf und helfen über eine Eingabemaske bei der Suche nach der gewünschten Verbindung. Wer kein Internet hat, kann am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) an der Hackerbrücke alle Fahrpläne an einer Info-Wand finden.

Auf welche Punkte sollte man beim Vergleich der Anbieter achten?

Service und Komfort sind weitgehend gleich; alle Busse haben Toiletten und Klimaanlage an Bord und meistens wird auch kostenloses Internet in den Bussen angeboten – wobei sich Kunden nicht selten darüber beschweren, dass der Internetzugang nicht wirklich funktioniert. Wichtigstes Vergleichskriterium ist meist der Preis: Dabei sollten Kunden auch die Bahn mit ihren Sparangeboten einbeziehen, rät Heidi Tischmann vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD). Kinder und Jugendliche erhalten bei vielen Fernbusbetreibern Nachlässe – allerdings zu unterschiedlichen Bedingungen. Auch Menschen mit Behinderung sollten sich genau informieren: Für sie gibt es bei einigen Anbietern 40 oder gar 50 Prozent Rabatt, zudem kann die Begleitperson bei vielen Firmen gratis mitfahren. Allerdings: Rollstuhlgerecht sind bislang die wenigsten Fernreisebusse.

Wie viel kostet eine Fahrt?

Das ist höchst unterschiedlich: Viele Anbieter locken mit besonders niedrigen Preisen, etwa fünf Euro für die Fahrt von München nach Stuttgart oder 19Euro für die Strecke München-Frankfurt. Diese Schnäppchentickets sind allerdings kontingentiert – andernfalls würde sich das Angebot nicht rechnen. In der Regel sind die Fernbusse aber günstiger als eine Zugfahrt mit der Deutschen Bahn – auch wenn die ebenfalls auf vielen Strecken kontingentierte Fahrscheine zu besonders günstigen Preisen anbietet. Ein Blick auf www.bahn.de kann vor dem Ticketkauf nicht schaden. Zumal die Bahn auf vielen Strecken nach wie vor schneller unterwegs ist als der Bus.

Wie pünktlich sind die Busse?

Das hängt immer von der Verkehrslage ab. Insbesondere an Freitagnachmittagen oder montags in der Früh stehen die Busse mit den anderen Autos im Stau. Bei ersten Testfahrten der Stiftung Warentest jedoch kamen alle Busse tatsächlich pünktlich ans Ziel – „das dürfte aber eher Zufall gewesen sein“, heißt es bei den Testern. Einige Unternehmen bieten sogenannte „Verspätungs-SMS“ an – also eine Kurzmitteilung aufs Handy bei Verspätungen.

Was ist noch zu beachten?

Einberechnen sollten Fernbus-Kunden mögliche Aufpreise etwa für große Gepäckstücke bei einzelnen Anbietern. Entscheidend für die Auswahl kann auch die Frage sein, ob Haltestellen zentral gelegen und gut mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen sind. Der Münchner ZOB gilt im Vergleich zu Haltepunkten in anderen Städten als sehr gut angebunden – S-Bahn und Trambahn halten in unmittelbarer Nähe. In Stuttgart dagegen steuern viele Fernbusse lediglich den außerhalb der Stadt gelegenen Flughafen an; unter anderem weil wegen der Großbaustelle für den neuen Tiefbahnhof die Innenstadt nur schwer zu erreichen ist.

Wo gibt es die Fahrscheine zu kaufen?

Alle Anbieter verkaufen die Tickets über das Internet. Gezahlt wird meist per Kreditkarte, Lastschrifteinzug oder über das Bezahlsystem Paypal. Den Fahrschein können sich Reisende am PC zu Hause ausdrucken. Manche Unternehmen bieten auch einen Ticketversand per Post oder schicken die Fahrkarte aufs Smartphone. Ein Kauf direkt vor Fahrtantritt beim Fahrer ist bei den meisten Unternehmen ebenfalls möglich – aber nur, wenn der Bus nicht ausgebucht ist. Anbieter wie Flixbus, Meinfernbus oder City2City verkaufen ihre Tickets auch über Reisebüros im Omnibusbahnhof an der Hackerbrücke. Fahrscheine für die Busse der Deutschen Bahn gibt es in den Reisezentren am Haupt- und Ostbahnhof, die für den ADAC-Postbus in den Geschäftsstellen des Autofahrerklubs.

Was passiert, wenn ich die Reise nicht antreten kann?

„Die Stornierungs- und Umbuchungsbedingungen der Anbieter sind total unterschiedlich“, warnt Martin Rammensee von busliniensuche.de. Deshalb sollten sich Reisende beim Ticketkauf informieren, wie das Unternehmen mit derartigen Anliegen umgeht. Mal gibt es bei einer Stornierung Geld zurück, mal Reisegutscheine. Manche Unternehmen haben eine Stornierungs- oder Umbuchungspauschale festgesetzt, bei anderen richtet sich die Höhe der Gebühr nach dem Preis des gekauften Tickets. Bei Streitigkeiten können sich Fahrgäste an die Schlichtungsstelle für öffentlichen Personenverkehr (SÖP) in Berlin wenden (www.soep-online.de).

Die Macht der tausend Sensoren

0
0
Was ist bloß los mit diesen Nerds? Irgendwie hat man den Eindruck, die reden seit Jahren dasselbe: Smartphones? Gähn. Fitness-Messgeräte? Gibt es doch schon jede Menge. Internet im Auto? Ja und? Die Reihe ließe sich fortsetzen, weshalb die Frage berechtigt ist: Wann eigentlich kommt das nächste große Ding? Eine Technik, die alles so radikal verändert wie vor gut 20 Jahren das World Wide Web. Ein Gerät, das fast alles besser macht als seine Vorgänger so wie vor sieben Jahren Apples iPhone. Vielleicht kommt es ja auf der Consumer Electronics Show (CES), die am Dienstagabend hiesiger Zeit in Las Vegas eröffnet wurde.

Doch viel wahrscheinlicher ist, dass sich eine Entwicklung vollzieht, die sich nicht so sehr an einzelnen Techniken und Geräten festmachen lässt. Eine Entwicklung, die im Hintergrund geschieht, die längst bestehende Techniken und Gerätekategorien integriert und aus vielen Einzelheiten eine Summe erzeugt, deren Bedeutung die der einzelnen Teile bei weitem übersteigt. Woher man das weiß? Ganz einfach: Diese Entwicklung hat längst begonnen.

Manches ist bereits derart in den Alltag vieler Menschen eingesickert, dass es oft nur noch diejenigen bemerken, die nicht mitmachen: Mittlerweile ist es zum Beispiel ziemlich schwierig, einen jüngeren Menschen in Bus oder Bahn zu finden, der nicht regelmäßig oder sogar ständig auf Smartphone oder Tablet starrt. Doch warum ist das so? Mal abgesehen davon, dass viele froh sind, nicht an ihren großstädtischen Mitbewohnern vorbei gucken zu müssen, liegt es daran, dass Smartphones und Tablets eine integrierende Funktion haben.



Ein Leben ohne Smarthphone? Für viele kaum vorstellbar - Alltag und Technik rücken immer näher zusammen.

Integrierend bedeutet dabei nicht nur, dass man mit den Geräten so viel anstellen kann: Musik hören, Videos gucken, Nachrichten hin- und herschicken, telefonieren, Fotos und Videos machen und eine Menge mehr. Die kleinen Bildschirm-Computer – das ist das Entscheidende – sind auch ein Fenster in eine Welt, die erst durch sie und mit ihnen entstanden oder wenigstens groß geworden ist. Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke laufen schließlich erst dann zu Höchstform auf, wenn man sie nutzen kann, wo immer man auch ist. Ein Taxi-Service ergibt vor allem dann Sinn, wenn man ihn auch und vor allem unterwegs nutzen kann. Längst hat die nahezu hundertprozentige Verbreitung von Smartphones bei jungen Menschen das Sozialverhalten verändert. Sie kommunizieren untereinander über Kanäle, die es bis vor einigen Jahren noch gar nicht gab, sie machen fast nichts mehr fest aus, sondern planen spontan mithilfe ihrer Mobiltelefone. Ob bewusst oder unbewusst: Wer mobile Geräte und Dienstleistungen nutzt, beschäftigt oft eine ganze Armada von Computern im Hintergrund. Ein simpler Eintrag bei Facebook löst in deren Rechenzentrum eine ganze Welle an Datenbank-Operationen aus, ebenso wie eine Google-Abfrage Hunderte Server-Rechner beschäftigen kann.

Ein anderes Beispiel: Karten-Programme stellen mittels GPS-Chip im Handy fest, wo dieses sich befindet, fragen Datenbanken ab, in denen gespeichert ist, wie dicht der Verkehr zu einer bestimmten Tageszeit üblicherweise ist. Während der Fahrt bekommen das Smartphone oder auch das computergestützte Navi im Auto in Echtzeit Daten aus verschiedenen Quellen darüber, ob der Verkehr auf der geplanten Route gerade fließt oder nicht.

Viel Zulauf hat in den vergangenen Jahren eine Bewegung erhalten, die sich dem Quantified Self widmet, der Vermessung des eigenen Körpers also. Sensoren am Armgelenk, in der Hosentasche, im Schuh oder unter der Matratze messen, ob sich der Nutzer genug bewegt, wie gut er schläft. Die Messergebnisse werden an Smartphones übergeben und/oder auf dem PC gespeichert.

Der französische Anbieter Coyote vertreibt ein kleines Kästchen mit Berührungsbildschirm, das der Nutzer aufs Armaturenbrett klebt. Es weiß via GPS, wo es ist, kommuniziert via Mobilfunk mit der Zentrale und kann somit die Informationen anzeigen, die andere Coyote-Besitzer eingegeben haben, zum Beispiel eine Baustelle oder auch einen mobilen Blitzer. Nutzen genügend Leute den Dienst, sind die Anzeigen auch zuverlässig.

Auch Smart Cities wie etwa das spanische Santander machen ihre Bewohner zu freien Mitarbeitern der Gemeindeverwaltung, die im Gegenzug aus all den Daten, die diese mit ihren Smartphones erfassen, sinnvolle Informationsangebote zur Verfügung stellt. Beispielsweise, wie die Verkehrslage in der Stadt gerade ist und wann die Mülltonnen geleert werden müssen.

Ähnliches könnte sich – in kleinerem Rahmen – auch im Haus abspielen. Vom Smart Home wird zwar schon lange geredet, vielleicht sogar schon zu lange. Allmählich aber reifen die Techniken heran, die eine häusliche Vernetzung tatsächlich nutzbringend machen könnten. Solarzellen auf dem Dach, eine Brennstoffzelle im Keller, dazu Batteriespeicher – noch mag das Zukunftsmusik sein. Klar ist, dass man die Techniken nur im Verbund sinnvoll betreiben kann, und dazu ist eine Vernetzung nötig, die reibungslos und plattformübergreifend funktioniert.

Natürlich bleibt es nicht aus, dass die Hersteller von Kommunikations- und Unterhaltungselektronik auf Messen wie der CES Neuheiten mit einem Pathos präsentieren, das die Vorjahresmodelle ganz bewusst alt aussehen lassen soll. Zu beobachten ist aber, dass mittlerweile nicht mehr die reine Technik – also etwa die Prozessor-Geschwindigkeit – im Vordergrund steht, sondern das, was man damit anfangen kann. Und zusehends wächst auch ein Bewusstsein dafür heran, dass all die neuen Geräte und ihre Vernetzung nicht immer nur Vorteile bringen müssen. Wer sich mit Sensoren behängt, Smartphones und soziale Netzwerke und andere Dienste intensiv nutzt, der macht sich auch in bisher nicht gekanntem Maß gläsern.
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live


Latest Images