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Mädchen, ist euer Pulli euer Schneckenhaus?

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Die Jungsfrage:

Es war Sonntag, draußen hatte sich der Winter mal wieder an seine Kernkompetenzen erinnert: Minus vier Grad, Schneeflocken wie Wurfsterne. Drinnen war es warm, genauer gesagt war das Wohnzimmer von Freundin S. nach Klimaschutzgesichtspunkten völlig inakzeptabel überheizt. Ich saß also barfuß und im T-Shirt auf dem Sofa, sie daneben, vor sich auf dem Tischchen eine Tasse Tee, der in der Raumhitze schon langsam verdunstete. S. nahm ihre Sonntagsposition ein: Sie packte ein Sofakissen, legte es sich auf den Schoß und zog die Knie zum Bauch. In dieser Hockstellung, ohnehin schon sehr würfelhaft kompakt zusammengefaltet, wendete sie dann aber einen Move an, der mich rätseln ließ.

Sie zupfte sich mit der linken Hand den rechten Ärmel ihres Strickpullis über das rechte Handgelenk, bis die Hand gänzlich im Ärmel abgetaucht war. Einen spitzen Zeigefinger schob sie noch teleskopartig heraus, mit dem stülpte sie den linken Ärmel über die linke Hand. Dann verschwand auch der Finger im Kokon ihres gestrickten Zopfpullovers. Beide Hände waren weg. Die gute S. hatte sich soeben vor meinen Augen in ihr Gehäuse zurückgezogen, aus dem oben nur noch das Köpfchen und unten zwei wollbesockte Zehen herausstanden.

Und ich, auf meiner Seite des Sofas barfuß hockend, fragte mich: Warum? Den alten Installationsfehler, der Mädchenfüße und -hände vor allem abends grundlos von der Energieversorgung des Restmädchenkörpers abkoppelt, kennen wir Jungs ja. Aber an Wärme konnte es S. angesichts der aus allen Rohren feuernden Raumheizung kaum mangeln! Deshalb die Frage: Hat das Einziehen eurer Hände in Pullis etwa noch einen anderen Zweck, von dem wir wissen sollten? Ist es, mal ganz groß gesagt, Weltflucht? Oder, mal grob biologisierend gesagt, eine weinbergschneckenähnliche Existenzangst, die euch solchermaßen die Extremitäten in euren gestrickten Panzer zurückziehen lässt? Sagt doch mal, ihr Gemütlichkeitsmonster!

Auf der nächsten Seite liest du die Antwort von merle-kolber
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Die Mädchenantwort:

Mit vierzehn gab ich das erste Mal sehr viel Geld für ein Oberteil aus. Bestimmt 35 Euro kostete es, was bei acht Euro Taschengeld die Woche eine Rieseninvestition war. Es war war türkis-hellblau-gelb gestreift. Und das beste an der Sache: Es hatte Trompetenärmel, die im normalen Zustand bis an die Fingerkuppen reichten. Ein Jahr lang rannte ich ständig in diesem Oberteil rum. Rieb auf Ewigkeit unentfernbare Gras- und Tomatensaucen-Flecken in die Ärmel und kombinierte es mit bunten Hosen, von denen mein Vater immer sagte, sie seien "so breit wie die Autobahn". Am Ende des Jahres waren es allerdings weder die unappetitlichen Flächen, noch mein verirrter Modegeschmack, der das Oberteil zur Strecke brachte. Es waren die komplett ausgeleierten Ärmel. Denn in jeder Situation der Unsicherheit (mit 14 sehr viele!), Kälte oder wenn ich einfach nur von den Jungs als "süß" empfunden werden wollte, zog ich die Ärmel über die Fäuste und überdehnte dabei das Material aufs Äußerste. Am Ende war der Pullover sogar zu oll für die Altkleidersammlung, meine Mutter schmiss ihn in einer Ausmistungsaktion weg.

Heute sind unsere Schneckenhaus-Pullover glücklicherweise nicht mehr türkis-gelb-gestreift. Stattdessen sind sie weiten Wollpullovern, Hoodies oder einfach euren Pullovern gewichen. Denn, und das ist die wichtige Beobachtung Nummer eins: Nicht jedes Kleidungsstück taugt es Schneckenhaus. Wir würden nie versuchen, die Ärmel eines Kleides oder eine Bluse über den Handballen zu ziehen. Dafür taugen nur besonders gemütliche Teile.

Die trägt man wiederum aber auch nur in Situationen, in denen man sich eigentlich wohlfühlt. In der von dir beschriebenen Situation - mit dem Freund im überheizten Wohnzimmer - beispielsweise. Oder in den Momenten, in denen die Welt untergeht und es somit auch völlig scheißegal ist, wie man dabei aussieht. Deine Beobachtung, dass es sich beim Zurückziehen in den Panzer um eine kleine Weltflucht handelt, kann ich somit nur bestätigen. Aber die muss halt nicht immer nur negativ sein. Stattdessen kann man auch vor der Welt fliehen wollen, weil man mit dem liebsten Menschen ganz allein sein will. Weil man in einer Liebesblase steckt und mal so überhaupt keinen Bock auf die kalte, schnelllebige und unromantische Außenwelt hat, die doch sonst immer an einem zerrt. Und die wörtlich genommene Flucht in den Pulloverpanzer unterstreicht das nochmal. In solchen Momenten ist das dann allerdings auch sehr okay, wenn ihr mit in den Panzer kriecht. Oder zumindest eure Hand. Denn eigentlich ist das Vergraben der Hände im Pullover auch ein Zeichen für: Ich bin sehr kuschelbedürftig. Und wenn du mich nicht in den Arm nimmst, dann mache ich das halt selbst. Meistens kapiert ihr das ja auch recht flott.

Eine Ausnahme gibt es allerdings bei all dem: Manchmal, wenn wir uns bei 30 Grad Zimmertemperatur in den Pullover vergraben, literweise Wasser trinken und schwer nuscheln, wollen wir zwar auch vor der Welt fliehen, aber nicht aus Liebe und Schmerz. Manchmal, da haben wir einfach nur einen Kater. Das sollte euch aber auch nicht abhalten, uns in den Arm zu nehmen.

„Wenn sie brüllen, sollten wir zuhören"

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jetzt.de: Death Metal und Hardcore gibt es schon seit 2002 in Angola. Du hast die Szene dabei begleitet, wie sie eins der ersten nationalen Konzerte organisierte. Wie sind sie denn so, die afrikanischen Mosh Pits?
Jeremy Xido: Nicht so anders als die Pits bei Konzerten in zum Beispiel New York oder so. Die Szene fühlt sich aber natürlich jünger an, wie in den frühen Tagen des Rock'n'Roll. Bei uns springt einer in die Mitte und kickt ein wenig um sich. Er macht sich Platz und dann werfen sich die anderen auch hinein. In Angola ist es dagegen wie mit Popcorn. Sie lassen es knallen, wenn es heiß wird. Man spürt die Energie und merkt, da entsteht gerade etwas Neues.

Und das in einem Land, in dem man noch immer aufpassen muss, was man sagen darf und was nicht...
Klar, die Gesellschaft in Angola empfindet die Konzerte und die extrem harte Musik manchmal als bedrohlich. Die Menschen können das Potenzial der Musik nur schwer einschätzen. Die Songtexte behandeln dazu noch Tabuthemen, wie den langen blutigen Krieg. Sie bringen auf den Punkt, was die extrem armen Menschen von den Verhältnissen im Land halten. Das mag nicht jeder.

Zum Glück versteht die Schreierei ja sowieso keiner.
Umso mehr Angst macht sie manchen Menschen. Sagen wir so: Es war schon ein schlauer Gedanke der Szene, die Machthaber vom ersten Konzert an miteinzubeziehen.

Haben Sie dem Präsidenten Angolas etwa ein Instrument in die Hand gedrückt?
Sie haben Politiker getroffen und ihnen erklärt, dass Death Metal tatsächlich auch afrikanische Wurzeln hat. Viele Rhythmen aus Metal und Rock'n'Roll wurden zuerst von Afroamerikanern erfunden. Erst danach haben sie sich in den USA und Europa weiterentwickelt. Sie kommen jetzt nur zurück nach Hause. Das hat die Regierung beruhigt.



Wilker Flores, eine der wichtisten Künstler der Death-Metal-Szene in Angola

Wir kennen Death Metal als böse Schrei-Musik mit Garagen-Sound und seltsam geformten Gitarren.
Das stimmt. In den Texten geht es meistens um den Tod und um das Böse im Generellen.

Passt das wirklich nach Angola?
Offensichtlich, es gibt heute zahlreiche dieser Bands im Land: Before Crush, Nothing 2 Lose oder Dor Fantasma, um nur einige zu nennen. Und jeden Tag kommen neue dazu. Sie lassen sich aus der angolanischen Musikkultur beeinflussen, genauso wie aus der europäischen und amerikanischen Death Metal- und Hardcore-Musik. Der harte Sound wirkt einfach nur positiv auf die Menschen.

...positiv?
In den letzten vierzig Jahren herrschte eigentlich ausnahmslos Krieg in Angola. Er hat die gesamte Infrastruktur zerstört. Schulen, Straßen, Strom. Über diese Zeit hinweg haben die Leute die Möglichkeit verloren, miteinander zu sprechen und von einander zu lernen. Meine Theorie lautet, dass dann auf einmal junge Angolaner, die während des Kriegs nach Portugal flüchteten, Rock und Metal mit zurück brachten. Wie sich dann eine ganze Death-Metal-Szene entwickeln konnte, bleibt auch mir ein Geheimnis.

http://www.youtube.com/watch?v=rHzWSaKmmpE&hd=1
"Before Crush", die erste Band von Cube Records, das erste Metallabel Angolas

Und die Leute lernten sich anzuschreien, anstatt miteinander zu reden?
Sie haben gelernt, miteinander zu schreien. Als Band musst du üben, mit deinen Bandmitgliedern um Songs streiten, du musst dein Instrument von anderen spielen lernen. Schlagzeuge, Bässe und Gitarren untereinander verleihen. Manchmal sogar selbst bauen. Es entsteht eine soziale Bewegung.

Aber das alles würde doch mit freundlicherer Musik auch gehen?
Durch die Bösartigkeit und die Power von Metal und Hardcore bekommen die jungen Leute die Möglichkeit, ihre dunklen Erinnerungen und Gefühle direkt zu konfrontieren. Sie lernen Dinge über sich, von denen sie bis dahin nichts wussten. Zusammen.

Du meinst, sie reagieren sich zusammen ab?
Ich meine, sie können das anfassen, was sie als bedrohlich empfinden. Was ihnen Angst macht. Klar, die Texte sind düster, und die Gitarren tief. Aber genau das ist es, was einen befreien kann. Das ist kein Widerspruch. Nicht in Angola, auch nicht in den USA oder Deutschland.

http://www.youtube.com/watch?v=2kUsGB1nMpE&hd=1
Der Trailer zu Jeremy Xidos Film über die DMA-Szene

Schauen sich deshalb so viele Leute auch außerhalb Afrikas deinen Film an, weil sie sich identifizieren?
Natürlich betrachten viele Leute den Film als exotisch. Junge Afrikaner spielen diese düstere, satanische Musik, die normalerweise mit weißen langhaarigen Männern verbunden wird...

...klingt nach einem Haufen Klischees.
Ja, und „Death Metal Angola" bricht diese Klischees. Die Szene beweist, dass Afrika wesentlich komplexer ist, als es die Leute im Westen mitbekommen. Eben nicht nur Krieg und Giraffen. Was oft im TV gezeigt wird, hat wenig mit dem echten Leben zu tun. Man denkt immer, man müsse dem Kontinent helfen. Dass er irgendwie schlechter sei. Dabei kann in diesem speziellen Fall eher der Westen von Angola lernen.

Und zwar was genau?
Was die Szene in Angola zusammen auf die Beine stellt, trotz der großen Armut in der einfachen Bevölkerung, trotz großer Korruption und Krieg, ist Wahnsinn. Es wird zu einem Modell.

Hast du ein Beispiel?
Ich komme aus Detroit. Das ist eine Stadt, die von der Krise wirklich schlimm gebeutelt wurde. Wenn Leute von hier den Film sehen, dann erkennen sie sich selbst wieder. Sie sehen eine junge Gruppe von Musikern, die die Überreste ihrer Gesellschaft einfach aufheben und etwas Positives daraus machen.

Lehrmeister African Death Metal?
Ja! Die haben hier einfach etwas, das sie uns beibringen können: Durchhaltevermögen, Willen und eine Antwort darauf, wie man seine Ängste konfrontiert. Wenn junge Leute in Afrika in ein Mikro brüllen, dann sollten wir wirklich zuhören.

"Death Metal Angola" wurde bisher nur auf Festivals gezeigt. Jeremy Xido verhandelt momentan mit internationalen Verleihern für weitere Kinovorführungen, auch in Deutschland.

Die Schönheit der Mitte

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Es war bei einem Weihnachtsessen mit meiner Familie, als mir meine Mittelmäßigkeit zum ersten Mal so richtig bewusst wurde. Die Weihnachtszeit erscheint mir immer wie eine Parallelwelt, verglichen mit dem Leben in der Stadt, in der ich studiere: Ich muss weder arbeiten, noch zur Uni gehen, ich schlafe wieder im Kinderzimmer und treffe lauter alte Freunde. Vor allem aber sitze ich endlich mal wieder mit meiner ganzen Familie an einem Tisch. Früher oder später sprechen wir dabei über unsere allgemeinen und aktuellen Lebenspläne. In genau so einer Situation sind sie aus mir herausgerutscht, die Worte „Ich kann ja irgendwie alles....“.

Noch bevor ich den Satz beenden konnte, sah ich erst ein großes Fragezeichen in den Gesichtern meiner Eltern und dann ein großes Grinsen. „Neeein! So habe ich das doch gar nicht gemeint, also ich meinte doch nur...“, versuchte ich die Situation noch zu retten. Zwecklos, wie immer, wenn meine Familie erst mal angefangen hat zu lachen, lachen irgendwann alle, mich eingeschlossen. Sämtliche Erklärungsversuche machten es nur schlimmer. Was ich mit meinem so selbstzufriedenen Ausspruch gemeint hatte, war nur, dass ich eben denke, vieles gut zu können, nur eben leider auch, und an diesem Punkt wurde ich unterbrochen: Nichts richtig.
  


Sollte ich zufriedener mit mir selber sein? Ich strenge mich wirklich an und gehöre dennoch nur zum Mittelmaß

Ich denke mir: So kann das nicht ewig weitergehen. Ich bin gefangen zwischen der Identität eines Allrounders und der eines Nichtskönners. Immer öfter überfällt mich das Gefühl, dass etwas fehlt, dass mir etwas fehlt. Dass es nicht reicht, zum Durchschnitt zu gehören. Dass es mir nicht reicht und dass es der Welt nicht reicht.

Die Menschen brechen Weltrekorde, schreiben Bestseller, werden befördert oder um Rat gebeten, in Gebieten, in denen sie sich besonders gut auskennen. Auf ihr Urteil kann man sich offenbar verlassen. Werde ich jemals so eine Person sein? Oder habe ich schon jetzt den Moment verpasst, in dem man nach dem ewigen Ausprobieren bei einer Sache bleibt und merkt, dass es genau das ist, was man kann oder können möchte? Und dann denke ich wieder: So ein Quatsch. Eigentlich mache ich meine Sachen doch gut und ernte auch mal ein Lob. Ich hatte ein gutes Abi, das Studium verlief ohne weitere Zwischenfälle und Nebenjobs zu bekommen war auch nie ein großes Problem. Also wo liegt mein Problem?  

Würde ich heute in den Poesie-Alben meiner Schulfreunde aus der Grundschule blättern, würde sich schnell abzeichnen, wie schnell ich zwischen dem Wunsch Prinzessin zu werden auf den Wunsch Malerin zu werden, umschalten konnte. Als Kind ist das okay. Als Teenager ist es einem dann meistens egal. Und dann kommt so eine Phase, in der man sich nicht mehr zu den Teenagern zählen möchte, aber auch auf gar keinen Fall erwachsen ist. Und in dieser Phase sollte man sich wohl langsam mal Gedanken machen, wer man eigentlich sein möchte und was dieser Jemand aus seinem Leben macht.  

Meine Rettung war die Entscheidung zu einem Studienfach, das mir möglichst viele Optionen offen hält. Bloß noch nicht festlegen und erst einmal etwas machen, was mich interessiert. Aber die Tatsachen holen mich ein. Schneller, weiter, besser, neuer: Wo man auch hinschaut – überall ist die Rede von Begabten, von einer Elite oder Menschen mit herausragenden Fähigkeiten. Wir messen uns jeden Tag international. Entweder wird darüber berichtet, dass jemand besser ist als jemand anderes, oder aber es wird darüber diskutiert, warum man unbedingt danach streben sollte, besser zu sein als der Durchschnitt. Sich abzuheben von der Masse. Was bleibt, ist das ungute Gefühl nicht zu genügen. Zu langsam, zu klein und überhaupt unsichtbar zu sein.

Definitiv hat es auch mit dem Wort selbst zu tun. Durchschnitt, Mittelmäßigkeit, da denke ich an: „so lala“, ein Schulterzucken und mit dem Kopf von links nach rechts wackeln. Eine fünf auf der Skala eins bis zehn. Irgendjemand unter Tausenden. Hat der Begriff nicht eigentlich ein wenig mehr Wertschätzung verdient? Dass wir eine Elite brauchen ist unbestreitbar, sei es zum Ansporn, für Entwicklungen oder neue Denkweisen, die nicht jeder entwickeln könnte. Es steht aber doch auch fest, dass sie alles eines brauchen, das sie stützt und zu etwas besonderem macht: das Mittelmaß.  

Auf der nächsten Seite erfährst du, was Jule von Markus Reiter erfährt, dem Schreibtrainer und Autoren des Buches "Lob des Mittelmaß".
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Davon ist auch Markus Reiter überzeugt. Anlässlich zu meinem Hilfe-ich-bin-nur-Mittelmaß-Disaster, habe ich mit dem Schreibtrainer und Autor des Buches „Lob des Mittelmaßes“ gesprochen. Als ich ihm schildere, wie ich mich immer wieder im Kreis drehe, wenn ich mich mit der Frage beschäftige, ob meine Leistungen mir oder jemand anderem genügen, antwortet er: „Es wird immer Menschen geben, die zum Mittelmaß gehören, schon allein aus statistischen Gründen. Wenn diese Menschen gesellschaftlich anerkannt werden, könnte es uns gelingen, sie zu motivieren, sich so weit wie möglich anzustrengen. Dazu müssen wir aber auch erkennen, dass jeder von uns seine Grenzen hat“. 

Natürlich ist es unangenehm, sich zum Durchschnitt zu zählen. Jeder will ja irgendwie besonders sein und anerkannt werden. Das Mittelmaß, und alles was man unter solchem versteht, ist ein sich immer weiter formender Prozess. „Es ist in der Tat so, dass die Ansprüche, die wir an den Einzelnen stellen insgesamt gewachsen sind. Das kann man übrigens auch an dem Intelligenzquotienten erkennen. Menschen, die um 1920 zu den intelligentesten ihres Jahrgangs gehörten, würden mit dem gleichen Ergebnis heute unteres Mittelmaß sein“, erklärt Reiter. Ganz schön hart, was mittlerweile so dazu gehört, um sich zum Mittelmaß zählen zu können. Ist ja nicht so, als würde ich nur auf der faulen Haut liegen und glauben alles käme von alleine.  

Viele verbinden Mittelmaß aber tatsächlich mit Faulheit, was nach Reiter ein Trugschluss ist. Er trifft eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Mittelmaß und Mittelmäßigkeit: „Mittelmaß ist das, was du erreichen kannst, wenn du dich sehr anstrengst und bemühst, aber irgendwann an deine natürlichen Grenzen stößt.“ Gesamtgesellschaftlich ist das nicht unbedingt eine Spitzenleistung aber für den einzelnen Menschen eine persönliche Bestleistung. „Mittelmäßigkeit hingegen ist, wenn es dir ziemlich egal ist, welche Leistung du erbringst und du nicht motiviert bist, deine Sache so gut wie möglich zu machen.“

Reiter sieht Mittelmäßigkeit als ein Resultat von Trägheit und mangelndem Leistungswillen. Einerseits ist es natürlich tröstlich zu hören, dass ich nicht einfach nur faul bin und deswegen zum Durchschnitt gehöre. Andererseits ändert die Tatsache, dass ich persönlich zwar das Maximum des mir Möglichen erreicht habe, mich aber dennoch gesellschaftlich im guten Mittelfeld bewege, nichts an dem Gefühl der Ungenügsamkeit. Was mir fehlt, ist eine gewisse Anerkennung. „Das Mittelmaß wird von der Gesellschaft zu wenig anerkannt, insbesondere, wenn es um die persönlichen Leistungen geht“, sagt Reiter.  

Alleine bin ich mit diesen Gedanken sicherlich nicht. Da es sich aber nicht gerade um ein angenehmes Gesprächsthema handelt, kommt es unter Freunden und der Familie nicht oft zur Sprache. Vielen macht es wahrscheinlich Angst sich zum Mittelmaß zu zählen und gleichzeitig schämt man sich, wenn man sich über so ein Luxusproblem den Kopf zerbricht.  

Als ich dennoch mit meiner guten Freundin L. darüber sprach, fühlte es sich erstaunlich gut an, ihre Meinung zu der ganzen Sache zu hören. Schon im Teenageralter hat sie für sich erkannt, dass es immer Menschen geben wird, die es besser machen und sie erzählt, dass es doch irgendwie auch immer darauf ankomme, mit wem man sich messe. Im Vergleich zu Freundin A, kocht sie zum Beispiel fantastisch. Vergleicht man ihre Kochkünste jedoch mit denen von Freundin B, sieht das Ganze schon wieder anders aus. Im Gegensatz zu Freundin B. kennt sich L. dafür vergleichsweise gut mit Musik aus. Auch Markus Reiter hat mir gesagt, dass es wichtig ist, darauf zu achten mit wem man sich misst und dass man seine Motivation am besten daraus schöpfen sollte, sich vor Augen zu führen, welche Steigerung man dank seiner persönlichen Anstrengung geschafft hat.  

Mit anderen Worten: Ich muss ich endlich aufhören, mich mit dem Rest der Welt zu vergleichen. Ich habe nicht den Anspruch mein Leben umzukrempeln und nur noch eine Sache starr zu verfolgen, damit ich endlich in irgendetwas ein Experte bin. Ich finde gut, was und wie ich es mache. Sicherlich geht da noch mehr, aber in meinem Fall sollte dieses „mehr“ wahrscheinlich erst mal die Gewissheit darüber sein, dass meine Leistungen genügen. Nicht die absoluten Ergebnisse zählen, sondern das, was ich mit meinen Möglichkeiten erreicht habe. Das klingt nach einem guten Vorsatz für das neue Jahr von einem Glückscoach. Einen Orden wird mir dafür wohl niemand verleihen. Das muss ich schon selbst erledigen. Vielleicht ein guter Anfang.

Mein Tod gehört mir

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Beging Selbstmord: Schriftsteller Wolfgang Herrndorf.

Im August erschoss sich der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf („Tschick“) in Berlin am Ufer des Hohenzollerkanals. Herrndorf litt an einem unheilbaren Hirntumor; er hatte nach mehreren Operationen und Chemotherapien beschlossen, sein Leben selbst zu beenden. Das konkrete Umsetzen dieses Entschlusses empfand er als überaus schwierig und qualvoll. Es war, schrieb er, „eines zivilisierten mitteleuropäischen Staates nicht würdig“ – eine Erfahrung, die offenbar viele der 10000 Menschen machen, die sich in Deutschland jährlich für den Freitod entscheiden. Sie werden weitgehend alleingelassen. Rat und konkrete Hilfe gibt es nur in einer juristischen Grauzone, die den gutwilligen ärztlichen Helfer leicht in Schwierigkeiten bringt. Normale Sterbewillige, die keine Kontakte zu liberalen, risikobereiten Medizinern haben, beenden selten ihr Leben in Würde und ohne unnötiges Leid. Sie müssen aus Fenstern springen, an Brückenpfeiler fahren oder – das macht die Hälfte dieser jährlichen Zehntausend – sich an Bäumen oder Fensterkreuzen aufhängen. Drei werfen sich pro Tag vor einen Zug.

Neuen Umfragen zufolge meinen mehr als 70 Prozent der deutschen Bevölkerung, dass es ein Recht auf eine menschenwürdige Beendigung des Lebens geben müsste und dass dem allseits akzeptierten Recht auf ein selbstbestimmtes Leben ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod zu entsprechen habe. Angesichts dieser Stimmungslage ist es bemerkenswert, dass sich keine politische Partei um das Thema kümmert. Die Mehrheitsmeinung wird seit Jahren von einer Allianz aus Kirchenvertretern, Ärztefunktionären und Politikern in Schach gehalten. Erst in jüngster Zeit hat dieses Kartell einige Risse bekommen. Dass jetzt sogar der katholische Theologe Hans Küng das Recht auf Sterben einfordert („Ich will nicht als Schatten meiner selbst weiterexistieren“), könnte nun endlich Bewegung in die Debatte bringen.

Schluss mit der Dunkelheit

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Sonne und Sonnenlicht wirken sich positiv auf das menschliche Gemüt aus.

Sonne tut gut. Lichtmangel kann müde, matt und antriebslos machen. Manche Menschen werden sogar krank und leiden unter einer veritablen Winterdepression. Insofern ist die gute Nachricht: Das Schlimmste ist nun überstanden. Um 18:11 Uhr an diesem Samstag kommt die Sonne zurück. Zu diesem Zeitpunkt erreicht sie ihren Wendepunkt auf der Südhalbkugel der Erde und bewegt sich fortan wieder stetig in Richtung der nördlichen Hemisphäre. Der Tag dauert an diesem Samstag in München nur acht Stunden und 21 Minuten. Die Sonne taucht erstmals um 8:01 Uhr am Horizont auf und verabschiedet sich Punkt 16:22 Uhr. Mit jedem Breitengrad in Richtung Norden nimmt ihre Präsenz weiter ab: In Husum zeigt sich die Sonne an diesem Samstag ganze sieben Stunden und 16Minuten über dem Horizont. Ihre Strahlen dringen zudem um diese Jahreszeit nur selten durch den Dunst hindurch. Die Sonne muss sich den Himmel mit Nebel, Hochnebel und anderen grauen Phänomenen der Meteorologie teilen.

Licht sickert zwar immer durch die Wolkendecke, die meisten Menschen nehmen die Sonne aber nur wahr, wenn ihre Strahlen direkt auf die Erde treffen. Die gefühlte Bilanz einer Jahreszeit hängt mithin hauptsächlich davon ab, wie häufig sich die Sonne am Himmel hat blicken lassen. Auch deshalb messen Meteorologen seit Jahrzehnten die Sonnenscheinstunden an vielen verschiedenen Orten. Ein sogenannter photoelektrischer Sensor erkennt anhand der Bestrahlungsstärke, wenn Licht direkt einfällt – und nicht zuvor geschluckt, gespiegelt, gestreut oder gebrochen wurde. Solch indirekt eintreffendes Licht bezeichnen Forscher als Diffusstrahlung. Die Summe aus direkter und indirekter Strahlung heißt Globalstrahlung. Am stärksten ist diese im Süden der Republik.

Von der puren, unverschleierten Sonne verwöhnt ist hingegen vor allem der Nordosten Deutschlands – und nicht etwa der Südwesten. Dem langjährigen Klimamittel der Jahre 1961 bis 1990 zufolge ist die Station Zinnowitz auf der Insel Usedom mit 1917 Sonnenstunden im Jahr der am meisten beleuchtete Ort der Republik. Durchschnittlich bekommt jeder Fleck in Deutschland pro Jahr 1535 Stunden lang direkte Sonnenstrahlung ab.

Trüber geht es vor allem im Westen zu. Hier macht sich das wechselhafte Wetter zwischen Nordsee und Alpenrand bemerkbar. Große Unterschiede ergeben sich auch mit der Höhe: So ragen exponierte Berggipfel häufig aus dem grauen Dunst heraus, während manche Täler besonders nebelanfällig sind. Das sonnigste Jahr, das je in Deutschland registriert wurde, erlebten die Menschen auf dem 980 Meter hohen Klippeneck auf der Schwäbischen Alb. Im Jahre 1959 kam der solitäre Berggipfel in den Genuss von 2329 Sonnenstunden. Aus technischen Gründen kann der Sonnenschein in Deutschland erst seit 1951 verglichen werden. Aus den Messwerten von 2000 Stationen setzt sich das Deutschland-Bild zusammen. Schlusslicht ist nach der offiziellen Rekordliste des Deutschen Wetterdienstes (DWD) weiterhin die Station im bayerischen Ruhpolding mit einem Wert von 929 Stunden im Jahre 1995, worüber der Bürgermeister nach wie vor nicht glücklich ist.

Kein Weihnachten für Boris Becker

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Wird ab Weihnachten dem Weltranglistenzweiten Djokovic zur Seite stehen: Boris Becker.

Für Boris Becker beginnt die Mission Djokovic bereits an Weihnachten. Am 26. Dezember fliegt er nach Abu Dhabi und sitzt einen Tag später in der Box des Weltranglistenzweiten. Außergewöhnlihe Situationen erfordern eben außergewöhnliche Maßnahmen. Was zur Folge hat, dass der dreimalige Wimbledonsieger und Vierfach-Papa Becker das Fest der Liebe diesmal über den Wolken ausklingen lassen muss.

Derweil gab der Wahl-Londoner weitere Details der Annäherung mit Djokovic bekannt. Ende September hatten der Serbe sowie sein Manager am Rande des ATP-Turniers in Peking Kontakt zu Becker aufgenommen. „Ich war überrascht, ich hatte diesen Anruf nicht erwartet. Ich fühlte mich geehrt“, sagte Becker der BBC.

Und im Emirat Abu Dhabi wird der 46-Jährige bei seinem Debüt als Ass im Ärmel des „Djokers“ gleich gefordert sein. Neben seinem Schützling Djokovic werden beim Einladungsturnier Branchenführer Rafael Nadal (Spanien), Wimbledonsieger Andy Murray (Großbritannien), David Ferrer (Spanien), Jo-Wilfried Tsonga (Frankreich) und Stanislas Wawrinka (Schweiz) am Start sein.

Das erste Highlight wartet auf das Duo Becker/Djokovic dann ab dem 13. Januar in Melbourne, wo die Australian Open (bis 26. Januar) beginnen. Der Serbe hat das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres bereits viermal gewonnen - zuletzt dreimal in Serie. Den Tennis-Thron musste er im Herbst trotzdem wieder an Nadal abgeben.

Djokovic und Becker hatten bereits während der letzten Monate mehrfach über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit gesprochen. Beim ATP-Finale in London Anfang November soll der Einjahres-Vertrag per Handschlag perfekt gemacht worden sein.

Der sechsmalige Major-Champion Djokovic hatte den Saisonabschluss an der Themse durch einen Final-Triumph über Nadal gewonnen. Seinen Job als Experte beim englischen TV-Sender BBC soll Becker nach Bild-Informationen übrigens behalten dürfen.

Im Internet wurde auch zwei Tage nach der überraschenden Entscheidung heftig über die Beweggründe von Djokovic spekuliert.

Einige Experten glauben, dass der Weltranglistenzweite durch das Becker-Engagement die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erzwingen will, die er im Angesicht der medienpräsenten Nadal und Roger Federer anscheinend vermisst.

Nach Bekanntgabe des Becker/Djokovic-Engagements wurde bei Twitter ein Hashtag (#Retrocoach) angelegt, mit dessen Hilfe man seine Traumkombination in Sachen Profi/Coach mitteilen kann. Eine beliebte Variante unter vielen: Nadal und Ex-Profi Mats Wilander.

Wilanders schwedischer Landsmann Stefan Edberg indes könnte sich nach Ivan Lendl, dem Trainer von Murray, Michael Chang (Kei Nishikori) und eben Becker in die Phalanx der Ex-Profis einreihen, die nun als Coach wieder auf der Tour präsent sind. Edberg steht offenbar kurz vor einem Engagement als Betreuer von Federer.

Zuletzt hatten der Grand-Slam-Rekordsieger und der Skandinavier eine gemeinsame Trainingswoche in Dubai abgehalten. „Es gibt ein beidseitiges Interesse an einer Zusammenarbeit“, hatte der zweimalige Wimbledonsieger Edberg danach erklärt.

Ob mit oder ohne den stillen Schweden: Nach einer Saison zum Vergessen glaubt das Umfeld von Federer an die Wiederauferstehung des 32-Jährigen im kommenden Jahr. „Er zeigt wieder Dinge auf dem Tennisplatz und im Fitnessraum, bei denen wir sagen: Wow, da sprühen wieder die Funken“, sagte Federers Konditionstrainer Pierre Paganini dem Tagesanzeiger: „Es ist schön, ihn nun wieder mit einem Lächeln und seiner Spontanität zu erleben.“

Virtuelle Linien

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Im TV wird bei jedem Springer eine bunte Linie auf dem weißen Schneehügel eingeblendet, die anzeigt, wo der Athlet landen muss, um die Führung zu übernehmen. Das soll jetzt auch für Live-Zuschauer möglich werden.

Bisher war es bei Sportveranstaltungen in der Regel ja so: Einige hundert, tausend Zuschauer zahlen Eintritt, damit sie in Stadien und Hallen Stimmung machen dürfen; dafür sehen sie im Zweifelsfall weniger als die tausend, millionen Zuschauer, die daheim vor dem Fernseher die entscheidenden Szenen gratis geliefert bekommen. Mehrmals. Aus allen Blickwinkeln, in Super-Super-Zeitlupe und aufbereitet mit 3-D-Grafiken. Dass das zahlende Publikum so viel weniger sieht, ist natürlich ungerecht, in gewisser Weise.

Daher ist es zu begrüßen, was die Veranstalter der demnächst wieder beginnenden Vierschanzentournee im Skispringen angekündigt haben: Sie wollen ihren Stadiongästen auch ein wenig von dem Service zukommen lassen, den die Fernsehzuschauer seit längerem genießen. Im TV wird bei jedem Springer eine bunte Linie auf dem weißen Schneehügel eingeblendet, die anzeigt, wo der Athlet landen muss, um die Führung zu übernehmen. Nun wird so eine Einrichtung auch in den Stadien installiert: Per Farblaser wird die Linie künftig in den Schnee projiziert. Das dient zweifellos dem besseren Verständnis im Stadion.

Eine deutlich sichtbare Linie auf dem Sportplatz, die nach wenigen Augen- blicken wieder verschwindet – das führt direkt zum Fußball. Bei der Klub-WM experimentiert der Weltverband Fifa gerade mit etwas Ähnlichem. Er hat den Schiedsrichtern Spraydosen mitgegeben, damit sie bei Freistößen eine Linie auf dem Rasen markieren, hinter der die Verteidiger zurückbleiben müssen.

Gut, das ist vielleicht nicht ganz so spielentscheidend und technisch ausgereift wie das Modell der Wintersportler. Es ist eher ein weiterer Beleg für den Aktionismus, mit dem die älteren Herren von den Fußball-Verbänden vortäuschen, sich dem technischen Fortschritt nicht völlig zu verschließen. Zwar lassen sie immer mal wieder neue Ideen testen, die dann aber doch nicht umgesetzt werden oder nicht ganz so wie gedacht oder vielleicht später. Meistens werden sie verworfen mit dem Hinweis, der Sport brauche menschliche Elemente, und die Fehler, die dabei herauskämen, würden für lebhafte Debatten unter den Fans führen, was ja irgendwie auch gut sei.

Nun könnten sich die Fußballer aber durchaus mal ein Beispiel an den Skispringern nehmen und ihren Hang zur Bewahrung der Tradition geschickt mit den Forderungen der Moderne verbinden. Bei der Torlinientechnik beispielsweise, einem seit Stefan Kießlings Phantomtreffer in Hoffenheim wieder rege diskutierten Thema der Branche. Die Fifa könnte also die bisher mit weißem Kreidestaub markierte Torlinie durch eine bunte Linie ersetzen; eine virtuelle, die man notfalls ein- und ausblenden kann und hin- und herschieben, gerade so, wie es in den Spielverlauf passt. Das ist natürlich grober Unfug. Aber es würde die Debattendichte an den Stammtischen sicher erhöhen. Und darauf kommt’s im Fußball ja an. Nicht auf mehr Transparenz für die Zuschauer.

Zerfall einer jungen Nation

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Zunächst hatte er noch geleugnet, dass es sich bei den ersten Kämpfen um einen Putschversuch gehandelt habe, geschweige denn, dass er irgend etwas damit zu tun habe. Inzwischen aber ruft Riek Machar offen zum Sturz von Präsident Salva Kiir auf: Wenn dieser „über die Bedingungen für seinen Rückzug verhandeln will“, so dessen Rivale und einstiger Vize in einem Interview mit dem französischen Auslandssender RFI, „dann sind wir dazu bereit – aber er muss zurücktreten.“



Hunderte Menschen sterben bei den Machtkämpfen im Südsudan

Bis zu 500 Menschen sind seit Sonntag bei den Kämpfen im Südsudan gestorben, die Lage eskalierte zusätzlich, als Milizen am Donnerstag einen Stützpunkt der Vereinten Nationen stürmten und zwei indische Blauhelm-Soldaten töteten. US-Präsident Obama warnt, das Land stehe am Abgrund zu einem Bürgerkrieg, und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet, dass Soldaten und Polizisten gezielt auf Zivilisten schössen, die der ethnischen Gruppe der Aufständischen angehören.

Was sich nun immer mehr in einen ethnischen Konflikt zu steigern droht, ist in erster Linie ein Machtkampf zwischen zwei Führungsfiguren der südsudanesischen Regierungspartei SPLA, der einstigen Befreiungsbewegung, die das Land nach jahrzehntelangem Kampf mit mehr als zwei Millionen Toten schließlich in die Unabhängigkeit geführt hat. Im Juli 2011 feierte die neue Nation ihre Gründung, und ihr Präsident, der ehemalige Guerillaführer Salva Kiir, jubelte den feiernden Massen zu: „Ein Traum ist wahr geworden.“ Doch jetzt bricht ein Konflikt hervor, der seit langem schwelt und die Kraft entfaltet, diesen Traum von Frieden und Wohlstand zu zerstören.

Der Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Vize Riek Machar war bereits im Juli eskaliert. Machar hatte zuvor immer unverblümter verkündet, er werde bei den Wahlen 2015 gegen Kiir antreten, zugleich machte er bei den ausländischen Unterstützern der jungen Nation reichlich Werbung in eigener Sache. Kiir reagierte schließlich auf die wachsende Konkurrenz, indem er das gesamte Kabinett samt Machar entmachtete und damit neues Wasser auf die Mühlen seiner Gegner goss, die ihm seit Längerem einen zunehmend autoritären Führungsstil vorwerfen. Nachdem am vergangenen Sonntagabend Gefechte in der Hauptstadt ausgebrochen waren, erklärte Kiir, man habe einen Putschversuch durch Machar vereitelt, diesen „Propheten des Unheils“. Der bestritt dies zunächst, macht aber nun aus einem Versteck heraus Stimmung gegen den Präsidenten.

Riek Machar ist Mitgründer der damaligen separatistischen Bewegung „Sudan People’s Liberation Movement“ (SPLM), die 1983 den Kampf gegen das arabisch dominierte Regime in Khartum aufnahm. Später aber überwarf sich Machar mit dem damaligen Anführer der SPLM, John Garang, und schlug sich zwischenzeitlich auf die Seite Khartums. Es ist eine alte Rivalität zwischen den Ethnien Dinka und Nuer, die damals wie heute immer wieder hervorbricht: Machar gehört dem Volk der Nuer an, Kiir dagegen ist ein Dinka wie etwa 45 Prozent der Südsudanesen und auch John Garang.

Die Nuer werfen den Dinka seit Langem vor, sie und andere Minderheitsvölker zu benachteiligen; der Konflikt flammte auch während des Befreiungskrieges immer wieder auf und gipfelte im Massaker von Bor im Jahr 1991. Damals richteten Nuer-Kämpfer etwa 2000 Zivilisten vom Volk der Dinka hin, und Riek Machar gilt als der Hintermann des Blutbades. 2005 schloss die SPLA einen Friedensvertrag mit dem Regime in Khartoum, und Machar trat der Organisation wieder bei, die dann mit der Unabhängigkeit 2011 zur Regierungspartei werden sollte. Die einstigen Rivalen demonstrierten ethnische Einigkeit ihrer jungen Nation, doch nun wird offensichtlich, dass die alten Konflikte nicht beigelegt, sondern nur zugedeckt waren.

Einer der Brennpunkte der jüngsten Kämpfe ist die Stadt Bor, der Schauplatz des Massakers an den Dinka 1991. Abtrünnige Soldaten, die sich loyal zu Riek Machar erklären, haben Berichten zufolge die Kontrolle über die Stadt übernommen. In den Gefechten mit Regierungstruppen geriet das Krankenhaus unter Beschuss, etwa 14000 Zivilisten flüchteten sich auf ein Gelände der Vereinten Nationen.

Unterdessen begannen mehrere Nationen, darunter auch Deutschland, ihre Staatsbürger aus dem Südsudan zu evakuieren. Und US-Präsident Obama sieht das Land in die „dunklen Tage seiner Vergangenheit“ zurückfallen.

Wir haben verstanden: Ein Magazin zum Jahresende

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Jahresrückblicke haben in aller Regel das Anliegen, eine Antwort auf folgende Frage zu liefern: Was war dieses Jahr wichtig? Das ist gut. Aber wir finden, dass eine andere Frage mindestens genauso wichtig ist: Was haben wir verstanden? Denn eigentlich ist ein Rückblick doch vor allem dann sinnvoll, wenn man irgendwas daraus mitnimmt. Wenn man etwas lernt oder begreift, das man vorher noch nicht oder anders gesehen hat. Deshalb haben wir in diesem digitalen Magazin eine Liste gemacht: Wir haben aufgeschrieben, was wir dieses Jahr verstanden haben in unseren Texten, mit Blicken ins Internet oder in die Welt da draußen.



Hinter unseren 100 Verstandenpunkten verbergen sich große Geschichten, kleine Notizen, kurze Listen oder einzelne Gedanken. Und weil 100 Dinge natürlich längst nicht genug sind, möchten wir weitersammeln. Schreib uns deinen Verstandenpunkt oder deine Verstandenliste auf jetzt.de in den jetzt-Momenten oder in einem Text unter dem Label whv2013, oder poste ihn auf Twitter oder Facebook mit dem Hashtag #whv2013.  

Wir sind gespannt, was du verstanden hast. Und wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Und wo gibt's das Heft?


jetzt #whv2013
ist ab Montag digital auf dem Smartphone oder dem Tablet erhältlich - mit der kostenlosen App der Süddeutschen Zeitung. Du findest die App im App Store von Apple, im Google-Play-Store, im Amazon App-Shop oder im Windows Store. Einfach installieren und das digitale Magazin runterladen: Du kannst es für nur 89 Cent kaufen - für Abonennten der Digitalausgabe der SZ ist das Magazin kostenlos.

So wird die letzte Woche des Jahres: Machete und Ursula

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Wichtigster Tag der Woche: Von wegen Weihnachten! Der Montag ist’s. Weil: Da erscheint unser jetzt-Magazin „#whv2013“ in der SZ-Digital-App. Ein Jahresrückblick als Verstandenliste. Ich bin ziemlich stolz drauf – und hoffe sehr, dass es euch auch gefällt.

Politisch interessiert mich... wann Ursula von der Leyen den ersten General feuert.



Machete schreibt bekanntlich keine SMS. Aber manchmal improvisiert er ...

Kinogang?
Unbedingt. Muss „Machete Kills“ noch nachholen (ohne eine Kritik dazu gelesen zu haben). Und empfehle die Verfilmung von „Der Medicus“. Ich habe mit Fahri Yardim, der eine Nebenrolle spielt, ein„Mensch ärgere dich nicht“-Interview für unser „Leben und Job“-Heft geführt und dafür schon eine Rohfassung gesehen. Ich mochte den Film – und der Typ ist eh geil.

Soundtrack? Aktuelles ist schwierig. Um Weihnachten herum veröffentlichen ja leider ausschließlich die Sarah Connors dieser Welt Alben, auf denen sie zu Orchesterbegleitung von Schnee singen. Deshalb etwas Zeitloses aus der Jahresmitte: der wunderbare Foy Vance (lustig: den Namen mal mit österreichischem Dialekt aussprechen!). Habe ihn vergangene Woche hier in München gesehen. Seither dauerrotiert er bei mir zu Hause wieder.  

http://vimeo.com/67818263

Wochenlektüre: „Sand“ von Wolfgang Herrndorf muss ich unbedingt noch fertig lesen. Und danach hoffe ich auf Weihnachten beziehungsweise Geschenke von der besten ehemaligen Buchhändlerin der Welt - meiner Mutter!

Werde ich auf jeden Fall tun:
Arbeiten. Die meisten hier kommen ja von woanders. Deshalb halten Kollege Stremmel und ich die Stellung – und freuen uns über Aufheiterung.

Keine Chance diese Woche...
haben Weihnachtsalben. Und schlechte Laune - probiere das mit der Autosuggestion jetzt mal. Schöne Feiertage!

Was hilft wirklich?

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Die Experten:

Kathrin Hartmann ist Journalistin und Autorin des Buchs "Wir müssen leider draußen bleiben". Dafür hat sie unter anderem sozial schwache Menschen begleitet. Sie findet viele Hilfsangebote für Obdachlose demütigend.

Prof. Markus Vogt ist katholischer Theologe und Sozialethiker an der LMU München. Er sagt: "Geld ist ein Menschenrecht", Notleidenden zu helfen unsere Pflicht.

Dr. Helmut P. Gaisbauer ist Armutsforscher. Er arbeitet an der Universität Salzburg und warnt davor, an Spenden eine Erwartung zu knüpfen.





Essen spenden?


Statt einem Obdachlosen Geld zu geben, spenden viele lieber an die Tafeln oder verschenken vor dem Supermarkt eine Banane. In Deutschland setzt sich außerdem langsam das Prinzip "Suspended Coffee" durch. Wer so einen im Café bestellt, bekommt selbst Kaffee und spendiert gleichzeitig einem Bedürftigen ein warmes Getränk. (Eine Übersicht gibt es hier.)

Kathrin Hartmann: "Ich finde es wahnsinnig bevormundend und erzieherisch, wenn man jemandem Essen schenkt, wenn der nicht danach fragt. Suspended Coffee finde ich sogar fast zynisch. In manchen Cafés steht auch noch ein Schild "Sei ein Held!". Man ist aber kein Held, wenn man einen zweiten oder dritten Kaffee zahlt und demjenigen, dem man angeblich helfen will, nicht mal in die Augen sehen will. Für das Café ist es natürlich eine Spitzen-Imagepflege, gerade vor Weihnachten, und es macht Umsatz. Man fragt nicht mal, ob Obdachlose wirklich Kaffee oder Tee brauchen. Die Cafés sollten lieber so ihre Türen für Obdachlose öffnen."

Markus Vogt: "Sozialethisch sind Tafeln umstritten. Man müsste früher ansetzen, also bei der Ursache des Problems. Warum haben manche nicht genug zu essen, während es auf der anderen Seite einen Überschuss an Lebensmitteln gibt? Wenn es dann allerdings einen Ort gibt, an dem bedürftige Menschen diese Lebensmittel bekommen, ist das eine wichtige Initiative. Dabei kommt es auch darauf an, wie diese Essensübergabe umgesetzt wird. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, über die Lebensmittelspenden würden die Reste entsorgt."

Helmut P. Gaisbauer: "Wenn kein wirkliches Engagement dahintersteht, die Betroffenen in den Kreis der Mitmenschen aufzunehmen, dann ist das schlecht. Die Linie zwischen Spender und Betroffenen wird vielleicht noch verstärkt, weil der Spender als Reaktion auf sein Geschenk Wohlerzogenheit und Dankbarkeit erwartet. Das zwingt die Leute in eine "Herr-Knecht"-Dialektik. Das mit dem Kaffee klingt für mich deshalb auch stark nach einer Wohlfühl-Initiative – eine Spende wird an den eigenen Konsum geknüpft. Man muss sich nicht schmutzig machen."
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Kleider spenden?


Die Kampagne "One Warm Winter" der Stiftung Friends with Benefits sammelt seit 12. Dezember Geld, von dem Jacken und warme Kleidung für Obdachlose in Berlin und München gekauft werden. Für die Aktion wirbt dieses Mal unter anderem Elyas M’Barek. Das soll vor allem junge Menschen ansprechen, ebenso die beiden Spenden-Partys, am 10. Januar im Crux in München und am 8. Februar im Bi Nuu in Berlin. Unter dem Namen "Kältefest" werden in Berlin warme Kleidung, Handschuhe, Socken, Mützen gesammelt und an Obdachlose verteilt. (Mehr Info hier)

Kathrin Hartmann: "Natürlich brauchen Wohnsitzlose warme Kleidung, aber gerade wenn neue Sachen gekauft werden sollen, muss man immer fragen, wer eigentlich davon profitiert. Letztlich geht es hier auch um Konsum. Dabei sind neue Sachen nicht zwingend würdevoller als gebrauchte."

Markus Vogt: "Dort wird direkt die Ursache eines Problems erkannt. In Deutschland erfrieren jedes Jahr, wenn ich richtig informiert bin, zehn bis 20 Leute. Hinzu kommen die Menschen, die zwar nicht zu Tode kommen, aber Schäden davontragen. Schon aus Gründen der Menschlichkeit sind wir verpflichtet, ihnen zu helfen. Viele haben eine große Hemmschwelle, in Notunterkünfte zu gehen. Nach dem Armutsbericht der Bundesregierung schlafen momentan 330.000 Menschen draußen. Das ist eine ganze Menge und die nimmt man auch wahr. Diesen Menschen dann warme Kleidung zu geben, ist vernünftig. Es darf natürlich nicht abgetragene Kleidung sein, die so einfach nur entsorgt wird."

Helmut P. Gaisbauer: "Besonders gut gefällt es mir, wenn neue Kleider für die Obdachlosen gekauft werden – dann hat das Ganze nicht so den Geruch des ,Abfalls der Konsumgesellschaft’. Noch besser ist es, wenn die Kleider nach Bedarf weitergegeben werden und die Betroffenen ein Mitspracherecht bei der Auswahl haben. Man muss dem Gegenüber dann aber auch zugestehen, zu sagen 'Jeans mag ich nicht'."
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Stricken und schenken?



Viele wollen selbst etwas schaffen, mit dem sie Obdachlosen helfen können. Die Berlinerin Katja Schwabe sammelt unter der Initiative "Helfen wollen" selbstgestrickte Schals, Mützen, Handschuhe, Socken und Decken, die sie an Wohnungslose verteilt. "Rosinenbömbchen", ebenfalls eine Idee aus Berlin, sind kleine Tüten, die man vorgepackt kaufen und Obdachlosen geben kann. Oder man packt sie selbst mit haltbaren Lebensmitteln, Hygieneartikeln und vielleicht auch einer persönlichen Nachricht.  

Kathrin Hartmann
: "Selbstgestrickte Schals, das klingt so lieb. Aber das Ganze hat auch etwas Infantiles. Man kann Kindern in der Schule beibringen, dass sie was Gutes tun, wenn sie einen Schal für einen Obdachlosen stricken, aber Erwachsene sollten in der Lage sein, die Komplexität und die Ursachen des Problems zu verstehen. So etwas überdeckt die Thematik der Obdachlosigkeit mit einem Zuckerguss der Menschenliebe. Ich finde es schwierig, wenn Menschen entscheiden, was andere brauchen. Das gilt auch für die "Rosinenbömbchen". Man könnte sich besser dafür einsetzen, dass Obdachlose nicht mehr aus den Innenstädten vertrieben werden. Oder dass Mieten bezahlbar bleiben, indem man sich in einem Mieterverein engagiert."

Markus Vogt: "Einem Obdachlosen etwas Selbstgemachtes zu schenken, vielleicht sogar mit einem Kontakt in Form einer Nachricht, eine besonders unmittelbare und wertvolle Hilfe. Wer etwas selber macht, gibt sich noch mehr Mühe als jemand, der Geld gibt. Dieser Mehrwert des Geschenks kommt besonders zur Geltung, wenn ein persönlicher Gruß dabei ist. Hier an der Uni stand oft ein Obdachloser, man kannte sich irgendwann. Sich mit dem mal richtig zu unterhalten, ihn richtig anzuschauen und ihn ernst zu nehmen, das half ihm und hat auch mir Freude gemacht."

Helmut P. Gaisbauer: "Generell ist es schwierig, wenn Bedürfnisse fremddefiniert werden. Man sollte Betroffene einbinden und fragen, was sie brauchen. Der Nettigkeitsfaktor bei gestrickten Sachen ist natürlich höher, als bei gekauften. Aber nicht jeder mag selbstgestrickte Socken. Da steckt zwar schon Liebe drin, aber ob man etwas damit anfangen kann, hängt von der beschenkten Person ab."
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Arbeiten lassen?  


Die Website Pfandgeben.de vermittelt schon länger Handyummern von Pfandsammlern an Menschen, die gerade Leergut loswerden wollen. Die Münchner Straßenzeitung Biss veranstaltet Stadtführungen, bei denen ehemalige Obdachlose vom Leben auf der Straße berichten. Ähnlich wie bei einem Berliner Projekt. In Amsterdam bekommen obdachlose Alkoholiker, die sechs Stunden lang Straßen kehren, fünf Bierdosen, ein halbes Päckchen Tabak und zehn Euro.  

Kathrin Hartmann: "Das in Amsterdam finde ich pervers. Warum werden diese Leute nicht bezahlt wie jemand anderes, der Straßen fegt? Die Pfandgeschichte ist als Win-Win-Situation getarnt, obwohl es eine klare Win-Lose-Situation ist. Jemand, der Kohle hat und zu faul ist, seine Flaschen zurückzubringen, kriegt sie von Armen kostenlos abgeholt. Und derjenige, der sie holt, kriegt vielleicht ein paar Euro raus. Wenn es bei den Stadtführungen darum geht, auf Probleme aufmerksam zu machen und aus dem Alltag auf der Straße zu erzählen, finde ich das gut."

Markus Vogt: "Arbeitslosigkeit verstärkt das Gefühl, nicht gebraucht zu werden. Deshalb sind solche Projekte wichtig, dürfen aber auf keinen Fall demütigend sein. Wenn jemand freiwillig kommt und meine Flaschen abholt, ist das gut. Wenn jemand Alkoholikern als Bezahlung Alkohol gibt, ist das problematisch. Andererseits sollte die Öffentlichkeit sich auch nicht anmaßen, ihnen Abstinenz zu verordnen. Biss finde ich ein tolles Projekt. Da arbeiten die Obdachlosen mit und Prominente schreiben für das Heft, was es aufwertet."

Helmut P. Gaisbauer: "Würde ist eine zentrale Kategorie im Umgang mit Obdachlosen. In dem Modell mit den Straßenzeitungen muss man seine Armut öffentlich machen. Das geschieht allerdings in einem geschützten Rahmen. Zum Pfandsammeln: Wenn Sammler die Flaschen selbst holen können, ist das besser, als sie im Müll kramen zu lassen. Das Projekt in Amsterdam ist ein Grenzfall. Prinzipiell würde ich sagen, Betroffene dürfen selbst bestimmen, welche Bedürfnisse sie haben."
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Bildung organisieren?  



Seit 2012 können Obdachlose und Interessierte an einer "Obdachlosen-Uni" in Berlin kostenlos Vorlesungen und Kurse besuchen. Es gibt zum Beispiel Philosophie-, Mal-, Koch- oder Computerkurse, auch einen Bibelgesprächskreis. Oft geben ehemalige Obdachlose die Kurse. (Mehr Info hier)

Kathrin Hartmann: "Sofern es hier zu Begegnungen, zum Austausch und zu einem Verständnis für die Probleme der Obdachlosigkeit kommt, und sie da mehr als einen Nachmittag im Warmen bekommen, ist das eine gute Idee. Besonders, dass sie tatsächlich eine Umfrage unter Wohnsitzlosen durchgeführt haben, finde ich gut – es steht an erster Stelle, dass man mit den Leuten spricht. Schwierig fände ich es nur, wenn jemand mit der Armut anderer Geld verdienen beziehungsweise das als Image-Kampagne für seine Firma nutzen würde."

Markus Vogt: "Das finde ich spannend. Prinzipiell haben die Obdachlosen ja viel Zeit zum Nachdenken – man erinnere sich da ganz klassisch mal an Diogenes in der Tonne. Der hatte nichts und brauchte nichts, war deshalb aber unabhängig und hatte für manches einen schärferen Blick. Bildung gilt ja bei uns, aber auch weltweit in Entwicklungsländern, als wichtigstes Medium für den Wiedereinstieg in die Gesellschaft. Wäre natürlich toll, wenn das dann auch dort funktionieren würde."

Helmut P. Gaisbauer: "Alles, was Betroffene zu Akteuren macht, ist prinzipiell gut. Und wenn Obdachlose sich Bildung wünschen, ist das sicher schon einmal ein guter Ansatz. Aber vermutlich wird hier nicht die Bildung nachgeholt, die man zum Wiedereintritt in die Gesellschaft benötigen würde. Man bräuchte schon eine Art Bildungszertifikat, um damit etwas anfangen zu können. Andererseits könnte hier ,unverzweckte’ Bildung blühen und der so genannten Wissensgesellschaft ein kritischer Spiegel vorgehalten werden – ein schöner Gedanke."  


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Hilfe holen?



In vielen Städten in Deutschland fahren Busse durch die Stadt und nehmen Obdachlose mit, die sonst der Kälte ausgeliefert wären. Sie können sich im Bus aufwärmen, bekommen heiße Getränke und Kälteschutzkleidung, außerdem bringen die Busse besonders bedrohte Menschen zu städtischen Unterkünften. Über bestimmte Telefonnummern kann man den Kältebus vor Ort rufen, wenn man einen Obdachlosen in der Kälte sieht.

Kathrin Hartmann: "Das ist Nothilfe, da geht es teilweise um Leben und Tod. Das ist wie ein Krankenwagen, nur dass er von einem Verein finanziert wird. Ich glaube, viele haben Berührungsängste, jemanden anzusprechen, der am Boden liegt. Da ist es gut, wenn man eine Telefonnummer parat hat. Man braucht auch keine Scheu haben, sie zu wählen. Die Menschen von den Kältebussen haben viel Erfahrung, und die Obdachlosen werden sicher nicht gegen ihren Willen in städtische Unterkünfte gefahren."

Markus Vogt: "Das finde ich eine tolle Initiative. Der Obdachlose muss natürlich selbst entscheiden dürfen, ob er da mitfahren will, und man sollte Verständnis haben, wenn er ablehnt. Man muss hinschauen und helfen, wenn jemand in Not ist, und nicht denken, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist. Wenn alle wegschauen und auf Eigenverantwortung verweisen, entsteht eine kalte Gesellschaft."

Helmut P. Gaisbauer: "In Salzburg gibt es so etwas leider nicht. Diese Busse können Leben retten, und ich finde, das ist eine Aufgabe, die auch die Städte übernehmen müssen. Wenn sie es nicht tun und private Fördervereine sich darum kümmern, ist das natürlich richtig und wichtig, aber die Stadt darf da nicht der Verantwortung enthoben werden. Das Gute an den Bussen ist auch, dass die Betroffenen diese Hilfe ja theoretisch ablehnen können. Deshalb ist es auch nicht bevormundend." 

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Geld geben?  


Was ist mit der einfachsten Form der Hilfe – der Geldspende direkt auf der Straße?

Kathrin Hartmann: "Wenn jemand nach Geld fragt, kann man entscheiden ihm welches zu geben oder nicht. Aber wenn man ihm etwas gibt, ist es seine Sache, was er damit macht. Am besten wäre es natürlich, wenn man ihn fragt, ob man ihm sonst noch helfen kann."

Markus Vogt: "Ich glaube, dass Geld zur Teilnahme an unserer Gesellschaft dazugehört. Muhammad Yunus, der die Mikrokredite erfunden hat, spricht sogar von einem ,Menschenrecht auf Geld’. Insofern denke ich, Obdachlose sollten auch Geld zur Verfügung haben. Und selbst wenn sie es in Alkohol investieren, muss man das akzeptieren. Kategorisch kein Geld zu geben, finde ich falsch. So viel Freiheit sollte man den Obdachlosen schon zutrauen."

Helmut P. Gaisbauer: "Zwischen dem Salzburger Bahnhof und meinem Arbeitsplatz habe ich eine Strecke zu Fuß zu gehen, auf der ich oft dieselben Obdachlosen und Hilfesuchenden treffe. Jeden Morgen ist es eine große Herausforderung, sich zwischen Grüßen und Geben und Vorbeigehen zu entscheiden. Da gibt es kein Patentrezept. Geld geben ist prinzipiell sehr wichtig für arme Menschen. Das Leben auf der Straße ist kostspielig. Man ist auf teure, frische Lebensmittel angewiesen, es gibt keinen Kühlschrank für die Aufbewahrung. Der Hilfesuchende kann dann selbst entscheiden, wofür er das Geld ausgibt."

Wir haben verstanden: Von Junkies und Butterkeksdieben

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Jahresrückblicke haben in aller Regel das Anliegen, eine Antwort auf folgende Frage zu liefern: „Was war dieses Jahr wichtig?“ Das ist gut. Aber wir finden, dass eine andere Frage mindestens genauso wichtig ist: „Was haben wir verstanden?“ Deshalb haben wir ein digitales Magazin mit einer Liste gemacht: 100 Dinge, die wir 2013 begriffen haben. Einen Auszug daraus findest du hier - darum sind die Punkte auch nicht immer fortlaufend nummeriert. Das komplette digitale Magazin für Tablets und Smartphones mit allen 100 Punkten kannst du mit der kostenlosen App der Süddeutschen Zeitung herunterladen. Du kannst es für nur 89 Cent kaufen; für Abonennten der Digitalausgabe der SZ ist das Magazin kostenlos.

Wir haben verstanden:


1. Voll die gute Witzquelle: niemals eröffnende Flughäfen.

2. Lance Armstrong hat bewiesen: Karrieren können mehr als vorbei sein. Sie können auch nie stattgefunden haben.

3. Junkie zu sein ist der härteste Job der Welt.
Eine gute Geschichte braucht keinen Schnickschnack. „Shore, Stein, Papier" ist der Beweis. In dieser YouTube-Serie sitzt ein tätowierter Typ am Tisch. Alleine. Nur er und ein Feuerzeug, ein Aschenbecher, eine Kippe, eine Tasse Kaffee. Man erfährt in mehr als 100 Folgen nicht mal seinen Namen. Aber er erzählt eine gute Geschichte. „Junkie", das hieß für mich bisher nur: ein Heroinsüchtiger. Seit ich jeden Mittwoch ein paar neue Folgen Shore, Stein, Papier anschaue, weiß ich, was für ein harter Job das ist. Der Begriff hat sich mit Leben gefüllt, mit dem – ziemlich beschissenen – Leben dieses namenlosen Ex-Junkies in der Küche. Ein verhasster Stiefvater, das erste Heroin (er nennt es Shore) mit 13. Sucht, Obdachlosigkeit seit dem 18. Geburtstag, Verhaftung, Ausbruch aus dem Knast, Einbrüche mit enormer Beute, deren Erlös sofort wieder in Form von Drogen in die eigene Blutbahn wandert. Was der Namenlose so schonungslos ehrlich und detailreich erzählt, ist manchmal deprimierend und widerlich, dann erträgt man es nur, weil man weiß, dass alles gut ausgehen wird (sonst säße er ja jetzt nicht am Küchentisch). Kurz darauf aber grinst man, weil der Namenlose selbst über die Skurrilität und absurde Komik seines eigenen Lebens lacht. Shore, Stein, Papier ist überraschend, mitreißend, emotional und lehrreich. Eine gute Geschichte eben.
christian-helten
http://www.youtube.com/watch?v=8jGNTaDxYj4

5. Die Robin Hoods des 21. Jahrhunderts klauen einen goldenen Bahlsen-Butterkeks.



6. Der Harlem Shake ist mehr als ein Hiphop-Move (Wir haben ihn im Büro trotzdem nicht getanzt).

7. Nicht nur bei Doktorarbeiten wird plagiiert. Parlamentarier schreiben auch bei Gesetzestexten ab – von Lobbyisten.
Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr sagte im Februar zu jetzt.de: „Über Fußnoten in einer 30 Jahre alten Doktorarbeit wird wochenlang diskutiert. Aber wenn Abgeordnete ein Gesetz schreiben, das die Privatsphäre von 500 Millionen Menschen für die nächsten 15 Jahre regelt, dann verlangen wir keine Fußnoten und Nachweise, wer da eigentlich von wem abschreibt? Das ist doch ein bisschen schräg." Gutjahr wollte diese Schräglage korrigieren. Deshalb rief er im Februar mit einigen Mitstreitern die Plattform „Lobbyplag" ins Leben. Dort dokumentierten sie, in welchem Ausmaß die EU-Parlamentarier Textstellen aus Lobbypapieren kopierten. In den Änderungsanträgen für die Datenschutzrichtlinie, die für die nächsten 15 Jahre über die Privatsphäre jedes einzelnen EU-Bürgers bestimmt, fanden sie in einer Hauruck-Recherche eins zu eins übernommene Textstellen von den Lobbyisten von IT-Riesen wie Amazon, Facebook und Ebay. Lobbyplag machte weiter und ordnete die enorme Datenflut aus Lobby-Texten und Änderungsanträgen der Abgeordneten. Das Ergebnis ist eine Art Wasserstandsanzeige zum Datenschutz in Europa, die zeigt, dass Parlamentarier sich nicht alles selbst ausdenken. In diesem Fall muss man zum Teil sagen: leider.
christian-helten

8. Früher war natürlich nicht alles besser – aber die Brezn schon.

9. Menschen, die sich lustig und ironisch finden, verwenden auch 2013 immer noch gerne das Pronomen „diese/r/s" – zum Beispiel so: „dieses Internet". Oder so: „diese Bologna-Reform".

10. Der Gewinner von „Irak sucht den Superstar“ lebt in Bad Mergentheim.
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11. Das Profilbild ist eine Protestform.



Zwei rosa Striche auf rotem Grund: Das quadratische Gleichheitszeichen ist in diesem Jahr zu einem Protest-Symbol geworden. Menschen laden es als Profilbild in ihre Facebook- und Twitter-Accounts und zeigen damit ihre Unterstützung für eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften: Sich für die Homo-Ehe zu engagieren, wurde so auch zu einem Mausklick-Protest, der in seiner vitalen Verbreitung beeindruckend war. Der Guardian fand für diesen Protest den schönen Oberbegriff "Avatar Activism".
dirk-vongehlen

12. Zombie-Serie, Zombie-Film, das Internet voller Zombies: Ein neues Zombie-Zeitalter ist angebrochen!

13. A ist das neue B.
Journalisten benutzen diese „a ist das neue b“-Konstruktion sehr oft. Vielleicht zu oft, wie der Tumblr „Käse ist der neue Kuchen“ zeigt. Zu unserer Verteidigung: Solche Formulierungen sind kurz und vermitteln schnell, was gemeint ist – da ist es schon mal okay, am Ende des Jahres so zusammenzufassen, welche alten Sachen von welchen neuen Sachen abgelöst worden sind. Zum Beispiel die:  
  • Schavan ist der neue Guttenberg.

  • Das Barbiehaus ist das neue rosa Ü-Ei.

  • Disco ist das neue Indie.

  • Lorde ist die neue Lana del Rey.

  • Elyas M'Barek ist der neue Matthias Schweighöfer.

  • Matthias Schweighöfer ist der neue Til Schweiger.

  • Joko und Klaas sind die neuen Joko und Klaas.

  • Montevideo ist das neue Amsterdam.

  • Snapchat ist das neue Tumblr.

  • Dinos sind die neuen Katzen.

  • VSCO Cam ist das neue Hipstamatic.

  • Eis am Stiel ist der neue Frozen Yoghurt.

  • Quinoa ist das neue Couscous.

  • Filterkaffee ist der neue Espresso.

  • (Hyper)lokal ist das neue Bio.

  • Heiße Smoothies sind die neuen Smoothies.

  • Pferdelasagne ist das neue Gammelfleisch.

  • Der Rucksack ist der neue Jutebeutel.

  • Island ist das neue Neuseeland.

  • Pep ist der neue Jupp.

  • Longboards sind die neuen Rollerblades.

  • Sitzen ist das neue Rauchen.

  • Der Veggieday ist das neue Rauchverbot.

kathrin-hollmer

14. Das Schlimme daran, dass uns die Causa Wulff-Glaeseker-Schmidt auch dieses Jahr noch begleitet hat: Wir werden immer wieder daran erinnert, dass sich erwachsene Männer „Schnulli“, „Oberschnulli“ und „Generalfeldschnulli“ nennen – dabei wollen wir nichts lieber als das endlich vergessen!

Was wirst du nicht mehr schaffen?

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Traurige Einsicht, mit nur 28 Jahren: Ich und das Chinesisch, das wird nichts mehr in diesem Leben. In der zwölften Klasse, nach dem Besuch des mitreißenden Berufsberaters, war ich mir sicher: Ich würde das lernen. Schriftzeichen für Schriftzeichen. Ich würde Sinologie studieren, dann einen Job in China annehmen, dann, relativ kurz darauf, in Geldscheinen baden. Guter Plan, dachte ich. Zehn Jahre später weiß ich: Das war's. Chinesisch ist was für Blitzgescheite und Überfleißige, zu denen ich, auch das eine bittere, aber nötige Einsicht: leider nicht gehöre.

Sie wird mit dem Alter länger, die Liste der Dinge, die wir, realistisch gesehen, nicht mehr hinkriegen werden. Helmut Schmidt, dem heute zum 95. Geburtstag allseits salbungsvolle Glückwunsche entgegenschallen, hat nun verkündet: Ins Ausland werde er in diesem Leben nicht mehr reisen. Sein Besuch in Moskau vor zwei Wochen wird der letzte Ausflug hinter deutsche Grenzen sein. Punkt.



Kopf hoch: Dinge von der To-Do-Liste zu streichen, kann auch gut tun!

Eigentlich schlimm, diese Einsicht, die Akzeptanz der eigenen Endlichkeit, oder? Wobei die Sache beim steinalten Schmidt natürlich etwas anders liegt als bei mir, dem ja statistisch noch 60 Jahre bleiben, alles zu machen was ich will. Auch der faulste Hund kann Chinesisch in 40 Jahren lernen! Trotzdem ist mir bei manchen Dingen schon jetzt klar, dass es dorthin keinen Weg mehr für mich gibt, zumindest keinen würdevollen. Zum Beispiel in die Karriere als Snowboardprofi. Auch den Gedanken, irgendwann mal Millionär zu sein, habe ich gestrichen. Natürlich ist da theoretisch noch einiges drin an potenziellen Firmengründungen oder Lottogewinnen - aber mal ganz nüchtern und montagmorgendlich nachgedacht, wird aus mir kein wirklich reicher Mann mehr werden.

Irre schlimm ist das gar nicht. Denn das Verkleinern der eigenen To-Do-Liste kann ja auch ein erleichterndes Gefühl sein: Endlich weg mit dem kruden Traum vom Chinesisch! Stattdessen einsehen, dass es mehr als okay ist, mit Italienisch auf VHS-Niveau in den Abruzzen Calzone zu bestellen, solange die Sonne scheint und eine gute Frau dabei ist!

Aber nun zu dir: Womit hast du abgeschlossen? Von welchen Dingen ahnst du schon jetzt, dass dort kein Weg mehr hinführt? Wovon sagst du: "Das war's" - und was macht diese Einsicht mit dir?

Manager im Klassenzimmer

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Egal ob in der Grundschule schon Unikurse besuchen oder eigene Firmen gründen: die Wirtschaft fördert die Mini-Manager.

Auf der großen Wirtschaftsbühne läuft einiges schief: Riskante Spekulationen, faule Kredite, Niedriglöhne. Wenig scheinen die Wirtschaftsbosse aus den jüngsten Krisen gelernt zu haben. Ganz anders versuchen es viele Mini-Manager: minderjährige Unternehmensgründer setzen auf Nachhaltigkeit und Mitmenschlichkeit, sie wollen keine Ausbeutung der Natur und der Menschen, kein eisiges Büroklima. Selbst der kleinste Arbeiter hat in Schülerfirmen ein Mitspracherecht, es gibt flache Hierarchien, und Spekulationen sind ohnehin unerwünscht. Es ist unbestritten ein Trend an deutschen Schulen: Jugendliche rufen eigene kleinen Firmen ins Leben, sie wollen so praxisnah etwas von Wirtschaft verstehen lernen – und tun oft auch noch Gutes damit. Nach Expertenschätzungen gibt es wohl bundesweit inzwischen an etwa jeder fünften Schule solche Unternehmen.

Seit neun Jahren betreibt zum Beispiel die Schülerfirma „Nyendo“ an der Rudolf-Steiner-Schule in Ismaning bei München einen regen Handel mit Kenia. Einmal im Jahr reisen die Elftklässler in die Nähe von Nairobi, um Taschen, Flip-Flops, Schnitzereien, Kämme, Schüsseln oder Tücher einzukaufen. Zu fairen Konditionen, auch eine Partnerschule gibt es dort. Fabian Richt war im vergangenen Schuljahr dabei: „Es war ein umwerfendes Erlebnis, weil wir drei Wochen lang in den kenianischen Familien lebten, ihre Sorgen und Nöte kennenlernten“, sagt der 18-Jährige. Zurück in Deutschland kümmerte er sich um die Produktverwaltung, Mitschülerin Fenja um Buchhaltung und Kalkulation, Stefan übernahm das Marketing, für jeden Mitarbeiter fanden sich Aufgaben. Mehr als ein Dutzend Schüler der neunten bis elften Klasse verkaufen und vertreiben hierzulande die Güter. Sie und ihre Eltern engagieren sich zudem direkt finanziell, zum Beispiel bei den anfallenden Reisekosten. Der Erlös fließt dann fast vollständig nach Kenia.

In den Neunzigerjahren kamen erste Schülerfirmen auf. Sie verhökern Muffins in der Pause, vermitteln Computerfachleute an Senioren oder reparieren Fahrräder. Oft mit dem Drang, die Welt ein bisschen besser zu machen. Rücksichtslose Geldmacherei ist uncool. Genaue Zahlen, wie viele Nachwuchsfirmen es gibt, existieren nicht. Es müssen Tausende sein, da die Teilnehmerzahlen bei Förderpreisen, Wettbewerben und Stipendien jedes Jahr steigen. So meldeten sich im Startjahr 2010 des „Bundes-Schülerfirmen-Contests“, der von Industrie- und Medienunternehmen getragen wird, 89 Schulen an, mittlerweile sind es schon 256. Ein Netzwerk der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung begleitet zudem gut 500 Unternehmen. Als Förderer treten auch einige Länder auf. „Wer früh seine Talente erkennt und seine Fähigkeiten gezielt einzusetzen weiß, hat später die besten beruflichen Chancen“, sagt Sachsen-Anhalts Schulminister Stephan Dorgerloh mit Blick auf seine Initiative. Er ruft Schüler auf: „Nutzt die Chancen, probiert euch aus und verwirklicht eure Ideen!“

Was sich durchaus auch nach Spiel anhört, ist den Schülern ganz schön ernst: Unter Realbedingungen proben sie, wie man eine Firma gründet, führt und weiterentwickelt. Manche Firmen haben eigene Rechtsformen, die Schüler-AG, Schüler-GmbH oder Schüler-GbR. Dort gibt es Arbeitsverträge, die muss nicht nur der Arbeitnehmer unterschreiben, sondern auch seine Eltern – denn nur wenige Geschäftsführer und Angestellte sind schon volljährig.

Jeden Freitag tagt Nyendo; nicht in einem Konferenzsaal, sondern an schnöden Schulbänken. Da wird über Investitionen entschieden oder der neue Geschäftsführer basisdemokratisch gewählt. Fabian hat bis vor Kurzem mitgemacht, nun ist er ausgeschieden, um sich aufs Abitur zu konzentrieren. Nicht automatisch der Älteste und Machthungrigste wird Chef, sondern ein besonders engagierter Schüler.

„Er muss sich als ganz normalen Arbeiter begreifen, der dem sozialen Ziel der Schülerfirma dient“, sagt Irene Holler. Die Schule hat sie als Betreuerin und Coach für die Jungunternehmer engagiert. Denn die Schüler sollen zwar Spaß haben, aber auch viel lernen. Das klingt alles nach einer optimalen Konstellation: Viele Lehrer finden Gefallen an der praxisnahen Lernform, die Schüler drängen allerorten in die Firmen, weil sie damit etwas bewegen können. Und nicht zuletzt liebt sie auch die Wirtschaft, denn sie kann früh Führungskräfte ausfindig machen. Gesucht sei „der Unternehmernachwuchs von morgen“ steht über dem Aufruf zum Bundes-Contest der Schülerfirmen. Doch eben die Nähe zu Unternehmen stößt Manfred Liebel, dem Leiter des Instituts für Globales Lernen und Internationale Studien an der Freien Universität Berlin, sauer auf: „Massiv tragen manche Unternehmensverbände durch Schulpartnerschaften und die Gestaltung von Unterrichtsmaterialien eigene Interessen und Ideologien in die Schulen hinein.“ Von Lehrern würden diese oft blind übernommen, um über Mängel ihres Fachunterrichts hinwegzutäuschen. Richtig sinnvoll könnten die Firmen nur sein, wenn Wirtschaftslehrer sie reflektierend begleiten.

Für Fabians Leben hat Nyendo erste Weichen gestellt. Sein Job in der Projektleitung hat ihm gezeigt, dass ein Beruf in der Wirtschaft das Richtige sein könnte. Er will nach dem Abitur zunächst Verfahrenstechnik studieren. Wie aus dem Nachwuchs stolze Unternehmer werden können, zeigt die Biografie von Alexander Keck. Der Rostocker gründete einst eine „Idee Schüler GmbH“, mit zwei anderen Schülern. „Wir haben wirklich alles gemacht: Marktforschung für den Jugendherbergsverband, Broschüren, Webseiten“, so der heute 33-Jährige. „Wir durften uns ausprobieren, dafür bin ich den Lehrern unendlich dankbar. Im Studium hatten wir so einen enormen Vorsprung.“ Die drei Gründer arbeiteten später unter anderem als Unternehmungsberater. Nun ist Keck Chef einer eigenen Firma, die Techniker individuell an Privathaushalte vermittelt. Eine Idee, die zu Schulzeiten in seinem Kopf heranreifte.

Schulschwänzer bleiben in Freiheit

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Einer von vielen Schulschwänzern. Bundesweit streiten sich Experten darüber, wie gegen das freiwillige Fehlen im Unterricht vorgegangen werden kann.

Knast als letztes Mittel? Sachsen-Anhalt will sich dieser Maßnahme gegen Schulschwänzer entledigen. Laut Berichten der Mitteldeutschen Zeitung haben sich Schul- und Justizministerium in Magdeburg auf ein zweijähriges Moratorium verständigt, so lange soll es keinen Jugendarrest mehr für Schwänzer geben.

Der maximal vierwöchige Arrest kann bislang greifen, wenn Schwänzer oder deren Eltern Bußgelder nicht zahlen. Laut Statistik wurde er in Sachsen-Anhalt 2012 in 163 Fällen vollstreckt. Nahezu in ganz Deutschland setzen die Behörden auf Bußgelder und auch zunehmend auf Arrest für Dauer-Schwänzer. Regional gehen Schulen, Justiz und Jugendämter aber uneinheitlich vor. Pädagogen mahnen indes, dass in den meisten Fällen Schwänzerkarrieren da längst begonnen hätten und die Chance, die Ursachen zu beheben, vertan sei.

Prävention beginne mit der peniblen Erfassung von Fehltagen, oft würden Klassenbücher schlampig geführt. Zudem fehlten Sozialarbeiter an Schulen. Schätzungen, wie viele Schüler bundesweit regelmäßig schwänzen, variieren zwischen zwei und zehn Prozent. Aufschlüsse gab jüngst die Pisa-Studie. Die bisher wenig publizierten Zusatzbefragungen zu den Tests zeigen: Zehn Prozent der deutschen 15-Jährigen gaben an, in den Wochen vor Pisa mindestens eine Stunde blaugemacht zu haben, fünf Prozent einen Tag oder länger. Im Durchschnitt der OECD-Länder waren es fast doppelt so viele. Häufiges Schwänzen, so die Forscher, drücke die Mathe-Leistungen – im Schnitt um das Niveau eines ganzen Schuljahres.

Der Geist bleibt in der Flasche

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In den Star-Wars-Filmen tauchen die Droiden schon lange auf, allerdings waren die braunen Roboter eher dämlich und unselbstständig. Von ähnlichen Robotern träumen Rüstungsfirmen, irdischen Entwicklern schweben aber klügere Machinen vor.

Die Mission: Überzeugen Sie die globale Rüstungsindustrie, auf eine Klasse von Waffen zu verzichten, die die Kriegsführung im 21. Jahrhundert umwälzen könnte. Das ist eine Aufgabe für Don Quijote? Dem würde Noel Sharkey widersprechen. Er hat allerdings sechs Jahre bis zum ersten Erfolg gebraucht. In einem provokativen Gastkommentar in der britischen Zeitung The Guardian hatte der Informatiker von der University of Sheffield 2007 gewarnt, Kriegsroboter könnten bald die Entscheidungsgewalt bekommen, ob und welche Menschen sie töten sollen. Doch vor Kurzem haben sich die Vertragsparteien der „Konvention über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen“ (CCW) einstimmig bereit erklärt, die Bestimmungen über autonome, nicht mehr vom Menschen gesteuerte Waffen zu überprüfen.

Für viele Laien haben Sharkeys Warnungen Bilder von Killermaschinen aus Science-Fiction-Filmen heraufbeschworen. Aber auch Experten auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz empfinden Angst, dass Roboter sich allein auf Algorithmen verlassen könnten, um zwischen feindlichen Soldaten und Zivilisten zu unterscheiden. Die Kampagne von Sharkey und anderen Wissenschaftlern könnte die tötenden Roboter noch verhindern. Über die CCW einen Bann zu erwirken, wie er auch für Landminen, Brand- und Blendwaffen gilt, sei „keine Fantasterei mehr“, sagt der Informatiker. Er steht inzwischen einer unabhängigen Organisation namens International Committee for Robot Arms Control (ICRAC) vor. „Wir haben einen großen Schritt vorwärts gemacht, um diese abscheulichen Waffen zu verhindern.“

Die Organisation wurde 2009 von Sharkey und mehreren anderen gegründet. Der Informatiker ist in der Öffentlichkeit das vielleicht bekannteste Mitglied, weil er von 1998 bis 2004 eine Fernsehserie moderiert hat, die ausgerechnet „Robot Wars“ hieß: Hier traten ferngesteuerte Maschinen gegeneinander an, um sich Gliedmaßen abzuschlagen oder umzuwerfen. Er weiß also, worüber er spricht.

Es dürfe nie passieren, sagt Sharkey, dass das Militär die Roboter als Kraftverstärker benutzt. Er verweist auf ein grundsätzliches Problem ihrer Software: „Computerprogramme brauchen eine klare Definition von Nicht-Kämpfern, aber die gibt es nicht.“ Zwar behaupten manche Informatiker, eines Tages dürften technische Systeme mit künstlicher Intelligenz die kognitiven Fähigkeiten von Menschen erreichen oder übertreffen. Das bedeute aber nur, dass Menschen die Kontrolle verlieren könnten, warnt der Physiker Mark Gubrud, der ebenfalls im ICRAC arbeitet. „Dumme Roboter sind gefährlich, aber kluge Roboter sind noch gefährlicher.“ Und die in der Mitte könnten die gefährlichsten überhaupt sein.

Genau wie der Panzer, das U-Boot und die Atombombe die Regeln der Kriegsführung im 20. Jahrhundert umgeschrieben haben, könnten autonome Waffen die Gewaltkonflikte im 21. Jahrhundert prägen. „Das Militär arbeitet schon an Systemen, die immer selbständiger werden, und zwar nicht weil sie cool sind, sondern weil sich die Planer Vorteile auf dem Schlachtfeld versprechen“, sagt Peter Singer vom Thinktank Brookings Institution in Washington. Das Pentagon hat bereits 2007 eine 25-Jahre-Vision für unbemannte Waffen vorgestellt, wonach Roboter Ziele autonom lokalisieren und zerstören sollen. Und vor einem Jahr deutete die Militärführung an, dass nicht nur Sachen, sondern auch Menschen zum Ziel werden könnten, wenn die oberste Ebene der Entwicklung zustimme.

„Es gab keine Fanfare, aber die Welt hatte ihre erste offen erklärte nationale Politikvorgabe für Killerroboter“, kommentierte das Mark Gubrud im Bulletin of the Atomic Scientists – dem Blatt mit der berühmten Weltuntergangsuhr, die zurzeit auf fünf vor zwölf steht. Gubrud hatte schon 2002 zusammen mit dem Physiker Jürgen Altmann von der Universität Dortmund einen Bann für Kriegsroboter gefordert. Die 2012 vom amerikanischen Verteidigungsministerium erlassene Direktive, so Gubrud, „setzt sich über den Widerstand im Militär selbst hinweg und signalisiert den Entwicklern und Rüstungsverkäufern, dass es das Pentagon mit den autonomen Waffen ernst meint“.

Die USA und andere Staaten setzen schon lange unbemannte Waffensysteme ein – vor allem Kampfdrohnen, die Hunderte Missionen geflogen sind, um Vertreter der Taliban oder von Al-Qaida zu töten. Bisher wurden sie von Menschen per Fernbedienung gesteuert. Amerikanische Verteidigungsexperten sind nicht wild darauf, Robotern die Entscheidung zum Töten zu überlassen. Ein wichtiger Einwand ist, dass tödliche autonome Waffen nicht mit dem Kriegsvölkerrecht vereinbar wären. Es verlangt nach den verheerenden Angriffen auf Zivilisten im Zweiten Weltkrieg, dass Armeen ihre Aktionen auf militärische Ziele begrenzen und zwischen Kämpfern und Nicht-Kämpfern unterscheiden.

Wenn Roboter Frauen und Kinder töten würden, stellten sich die USA außerhalb dieses allgemein anerkannten internationalen Rechts, fürchten Militäranwälte. Sie sehen aber nicht das gleiche Problem, wenn die autonomen Maschinen nur Sachen statt Personen angreifen. Eine ähnliche Unterscheidung haben die Staaten bei Minen getroffen, die als Waffe gegen Panzer erlaubt, aber als Waffe gegen Menschen weitgehend geächtet sind.

Das Pentagon habe aber schon die Entwicklung halb-autonomer Waffen genehmigt, warnt Gubrud, die in der Zielerfassung komplett selbständig sind. Solche Raketen können sich gleich nach dem Start auf ein Schiff ausrichten, das Hunderte Kilometern entfernt ist, und es verfolgen. Es muss dann nur noch jemand die Genehmigung zum eigentlichen Angriff erteilen. Allerdings hat ein Pentagon-Sprecher Gubrud erst vor Kurzem erklärt, es seien „keine vollständig autonomen Systeme in der Pipeline oder in der Prüfung“.

Inzwischen hat sich die ICRAC mit anderen Gruppen wie Human Rights Watch verbündet – 47 Organisationen aus 22 Ländern bilden die Kampagne, um Killerroboter zu stoppen. Im Frühling bekam die Bewegung politische Unterstützung, als Christof Heyns, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über extralegale, summarische und willkürliche Exekutionen, den Menschenrechtsrat anrief. Er solle alle Staaten dazu drängen, „Moratoria für Tests, Produktion, Kauf und Einsatz tödlicher autonomer Roboter zu verkünden, bis ein regulierender Rahmen verabschiedet ist“.

Sharkey und seine Mitkämpfer bearbeiteten währenddessen die Signatarstaaten der CCW. Die USA waren der Schlüssel, sagt Sharkey. Seine Organisation besitze den Respekt der Militärführung, weil sie eine genau definierte, begrenzte Forderung vertritt. „Wir sind nur gegen die Tötungsfunktion.“ Im Oktober erhielt er die Nachricht, dass die amerikanische Vertretung bei den Vereinten Nationen einen Auftrag der CCW unterstützen werde, die autonomen Waffen zu untersuchen.

Als sich die Delegationen der CCW im November in Genf trafen, beschwor Sharkey die Gefahren autonomer Waffen in einer leidenschaftlichen Rede. In der anschließenden Abstimmung hätte jeder der Staaten seinen Vorschlag einer offiziellen Prüfung per Veto ablehnen können. „Das war eine Situation zum Nägelbeißen“, sagt er. Doch alle Vertreter stimmten schließlich zu. Allerdings müssen die Aktivisten im kommenden Jahr die Staaten noch überzeugen, mit einem formalen Protokoll Entwicklung, Produktion und den Einsatz der autonomen Waffen zu verbieten – und den Geist so für immer in der Flasche einzusperren.

Dieser Text ist in Science erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas.org, www.sciencemag.org.

Gute und bessere Großmütter

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Kinder lernen logisches Denken. Dass das manchmal im Kontext nicht hilft, zeigt eine Studie der University of Wisconsin.

Die exakte Definition von Dreiecken, ungeraden Zahlen oder Großmüttern sollte für einen rational denkenden Menschen kein Problem sein. Und doch lassen sich Teilnehmer bei psychologischen Tests leicht verwirren, selbst wenn sie dabei nicht unter Zeitdruck stehen, schreibt der Kognitionsforscher Gary Lupyan von der University of Wisconsin in Madison im Fachblatt Cognition (online). Er hat Versuchspersonen zum Beispiel mit geometrischen Formen konfrontiert, von denen sie sagen sollten, ob es Dreiecke waren. Das klappte fehlerfrei nur bei gleichseitigen Dreiecken. Aber schon bei gleichschenkligen und rechtwinkligen Dreiecken stieg die Zahl der Fehler, vor allem wenn keine Seite parallel zu einer Kante des Blatts lag. Unregelmäßige Dreiecke mit drei unterschiedlichen Seiten und Winkeln klassifizierten dann bis zu 20Prozent der Befragten falsch.

Ähnliche Ergebnisse zeigten sich bei Tests, wo die Teilnehmer sagen sollten, ob eine Zahl gerade oder ungerade sei. Hier erklärten zum Beispiel 17,5 Prozent der Probanden, 798 sei eine ungerade Zahl. Die Fehlerquote stieg dabei systematisch mit der Zahl der Stellen und der Zahl der Ziffern an, die für sich genommen eine andere Parität als die Gesamtzahl hatten. Auf eine direkte Frage hin erklärten 28 Prozent der Teilnehmer, 400 sei „gerader“ als 798.

Interessant waren auch die Antworten auf die Großmutter-Frage. Es ging in der Aufgabe um eine Verlosung von Geschenkgutscheinen unter Großmüttern. Jede vierte von ihnen sollte ein 100-Dollar-Zertifikat bekommen, lautete die Regel. Die Probanden sollten dann angeben, wie wahrscheinlich es sei, dass Personen aus einer Liste gewinnen. Sie schätzen die Chancen für eine 68-Jährige mit sechs Enkeln im Mittel auf 27 Prozent, aber für eine 39-Jährige, deren Tochter gerade ein Kind geboren hatte, nur auf knapp 23 Prozent. Die ältere Frau empfanden die Befragten also als bessere Großmutter. Sogar ein 68-Jähriger Mann mit sechs Enkeln sollte übrigens eine siebenprozentige Chance haben.

Für den Psychologen offenbaren die Antworten typische Fehler, die sich nicht aus mangelndem Wissen oder fehlender Aufmerksamkeit erklären lassen. „Die Antworten werden von Details aus dem Kontext beeinflusst“, sagt er. Das sei zwar bei Mathetests ein Nachteil. Regeln einmal ein wenig zu biegen, oder einen Kern herauszulesen, sei aber Teil der „menschlichen Gabe, Probleme kreativ zu lösen“.

Scheinheilig Abend

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Die Frischgetrennte 


So wirst du begrüßt:
"Awwww, komm her!" Beim ersten Blick auf deine Mama in der Haustür brichst du in Tränen aus. Dabei hast du die ganze Zugfahrt über an deiner Contenance geübt! Aber bei der Vorstellung, dass ihr letztes Jahr hier noch zusammen unterm Tannenbaum gesessen habt, verlierst du jede Selbstbeherrschung. Du bist allein. Für den Rest deines sinnlosen Lebens. Dass immerhin deine Eltern dich noch lieben, ist da kein Trost: Was bleibt denen auch anderes übrig?  

So verläuft der Abend:
"Kind, jetzt iss doch was. Du bist schon ganz abgemagert", lächelt deine Mutter und packt dir noch ein Stück Keule auf den Teller. Bei der traditionellen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Runde verzählen sich deine Eltern andauernd absichtlich und lassen dich dreimal hintereinander gewinnen. Der Abend endet in deinem ehemaligen Kinderzimmer, in dem du dein altes Dino-Kopfkissen nassweinst.  

Das bekommst du geschenkt:
Geld, Geld, Geld, denn deine Eltern wissen: Konsum macht (zeitweise) glücklich.  

Dieser Satz fällt auf jeden Fall:
Von Mama: "Kopf hoch, das Leben geht weiter." Von Papa: "Ich wusste es schon immer, der Kerl ist nichts für dich."  

Das bedeutet er:

"Kind, such dir lieber einen Mann mit Geld. Oder einen Handwerker."  

So überstehst du den Abend:
 
Die größte Gefahr stellt dein Smartphone darf. In keinem Fall solltest du auf "Ich will dich zurück"-Nachrichten hoffen oder, noch schlimmer, solche schreiben. Unterstützender Alkoholkonsum ist trotzdem zu empfehlen. Dann hast du eine Ausrede, um die Mitleidsrunde Nummer zwei beim Frühstück am nächsten Morgen zu verpassen.





Der Frischverliebte
 



So wirst du begrüßt:
Mutti und Vati lauern schon hibbelig an der Haustür, als ihr ankommt. Schließlich freuen sie sich schon seit sechs Wochen darauf, das Mädchen kennenzulernen, von dem du ihnen bislang nur äußerst andeutungshaft am Telefon erzählt hast. Dich drücken sie hart und herzlich, deine neue Freundin erntet von deiner Mutter breites Strahlen und einen Händedruck mit beiden Händen. Als dein Vater sie etwas linkisch begrüßt, siehst du, wie deine Mutter verstohlen einen skeptischen Scannerblick auf deine Liebste wirft.  

So verläuft der Abend:

Stolz platziert deine Mutti die Weihnachtsgans auf dem Tisch, während das Lächeln deiner Flamme kaum merklich versteinert. Hattest du etwa vergessen zu erwähnen, dass sie Frutarierin ist? Als dein Vater nach der vierten Feuerzangenbowle anfängt, sie mit dem Namen deiner Ex anzusprechen, weist du darauf hin, dass ihr "jetzt wirklich total müde von der langen Fahrt" seid und dringend ins Bett müsst.

Das bekommst du geschenkt:
Deine Eltern haben einen Gutschein für ein Wellness-Wochenende für zwei besorgt. Oder einen Tandem-Bungeesprung. Jedenfalls etwas, das man zu zweit machen kann. Dass deine neue Freundin in der Sauna Hitzepickel bekommt und unter Höhenangst leidet, können sie ja nicht wissen.

Dieser Satz fällt auf jeden Fall:
"Und, was machst du so?"  

Das bedeutet er:
"Also, die Jana (deine Ex und der Traum deiner Eltern) hat Medizin studiert und nebenbei drei Mal die Woche bei den Klinikclowns mitgemacht. Und du kommst also gerade von einer Weltreise zurück und studierst jetzt Ägyptologie... Was, äh, macht man denn damit?"  

So überstehst du den Abend
:
Du positionierst deine neue Freundin taktisch geschickt gegen deine Ex, indem du sie drängst, die Geschichte zu erzählen, "wie du in Australien das Kind mit dem Schlangenbiss gerettet hast! Und wie war das eigentlich, als du da auf der 'Arctic Sunrise' im Polarmeer unterwegs warst?" Deine Ökostrom-beziehenden Eltern sind am Ende des Abends wenigstens davon leicht beeindruckt.    
[seitenumbruch]


Der Dauersingle


So wirst du begrüßt:
Gar nicht.Kein "Hallo", als du die Haustür aufschließt, niemand empfängt dich. Stattdessen wartet im Flur ein Berg von Koffern und Kinderspielzeug. Aus dem Wohnzimmer hörst du in hochtönender Babysprache die Stimme deiner Mutter. Dort sitzt die Familie duzi-deizend um das Neugeborene deiner Schwester.  

So verläuft der Abend:

Das Baby wird am Tisch von einem Verwandten zum nächsten gereicht, wo es mit großer Ausdauer auf Blusen sabbert und an Haaren zieht. Finden alle ganz reizend. Du hast dir schon drei Mal wegen der Kinderkeime die Hände gewaschen, jetzt bekommst du keinen Bissen herunter. Den Wein dagegen umso besser!

Das bekommst du geschenkt:
Von deinen Eltern: eine Besteigung des Kilimandscharo für Alleinreisende. Von deinem vorwitzigen kleinen Bruder: eine Kuchenmischung mit dazugehöriger Backform "Back dir deinen Traummann. Mit Antihaftbeschichtung".  

Dieser Satz fällt auf jeden Fall:
In betont beiläufigem Ton: "Und...was macht die Liebe?"  

Das bedeutet er:
"Was haben wir nur falsch mit dir gemacht?"

So überstehst du den Abend:
Das pausbäckige Sabbel-Balg deiner Schwester bündelt dieses Jahr die meiste Aufmerksamkeit der Verwandten – zum Glück! So kannst du dich nach der Bescherung verdrücken, um, wie jedes Jahr, in der alten Stammkneipe ehemalige Schulfreunde wiederzusehen und mit drei bis sechs Bieren den Weihnachtsfrust hinunterzuspülen. Am Ende landest du, wie jedes Jahr, in den Armen deines Mittelstufenfreunds Malte-Carsten. Wenn du am zweiten Weihnachtsfeiertag wieder auf dem Heimweg in deine Stadt bist, weißt du: Schlimmer wird das Single-Leben die nächsten 362 Tage auf keinen Fall.  





Der Langzeitpartner
 


So wirst du begrüßt:
"Na ihr zwei?" In verschworener Eintracht stehen deine und die Eltern deiner Freundin vor eurer Haustür. Denn: Ihr teilt euch an Weihnachten nicht mehr auf, sondern führt als Paar die Familien in eurer gemeinsamen Wohnung zusammen.  

So verläuft der Abend
:  
Dein künftiger Schwiegervater Volker schneidet, wie immer, die Gans an, während eure Mütter Anekdoten der letzten drei Silvesteressen zum besten geben. Später planen die Mütter in der Küche den nächsten gemeinsamen Jahresurlaub zu sechst – beziehungsweise zu siebt, denn dann wird ja wohl hoffentlich Nachwuchs da sein, wie sie mit vielsagendem Blick in Richtung deiner Freundin anfügen.  

Das bekommst du geschenkt:
Ein Teeservice für die Glasvitrine undden Ratgeber "Wir sind schwanger! So klappt es auf jeden Fall."  

Dieser Satz fällt auf jeden Fall:

"Wir würden uns ja schon über ein Enkelkind freuen, ihr doch auch, Eckhard und Inge, oder?"  

Das bedeutet er:
"Nächsten Herbst geht Papa doch in Pension - da wird uns ja nun doch etwas langweilig. Den kleinen Wutzler könnten wir uns dann ja super teilen, wenn ihr mal in Urlaub wollt..."  

So überstehst du den Abend:

Tief durchatmen und nicken. Und nett lächeln, selbst wenn Inge später mal wieder die beste Stellung zur Empfängnis erklärt. Denn spätestens um Mitternacht endet das Kreuzverhör - alle Gäste schlafen im Hotel. Denn zum Glück wissen Inge, Eckhard und Volker: Um dem Wunsch nach einem Enkelkind nachzukommen, müsst ihr üben, üben, üben.

Des Mossads Meister

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Auch ihn zapfte die NSA an: der ehemalige Premier Israels Ehud Olmert.

Es gilt die Regel, dass Vertrauen gut, aber Kontrolle nötig ist. Doch selbst der Mossad scheint seinen Meister gefunden zu haben in der amerikanischen Sicherheitsbehörde NSA. Jüngsten Enthüllungen von Edward Snowden zufolge hat der Washingtoner Krake auch hochrangige israelische Politiker bespitzelt. Und offenbar sind die Amerikaner bei ihrem Premium-Partner besonders gründlich zu Werke gegangen.

Angezapft wurden demnach zumindest im Frühjahr 2009 die E-Mails der beiden mächtigen Männer im Land, also von Premier Ehud Olmert und Verteidigungsminister Ehud Barak. Obendrein gibt es Hinweise darauf, dass Baraks Privatwohnung in Tel Aviv von einem gegenüberliegenden Appartement aus, das von der US-Botschaft angemietet worden war, ausgespäht wurde. Doch während in Deutschland die Wellen hochschlugen, als die Abhörattacke der NSA auf das Handy von Angela Merkel ruchbar wurde, spielen die Beteiligten in Israel den Fall herunter. Olmert lässt wissen, dass über das betreffende Mail-Konto ohnehin nichts Wichtiges verbreitet worden sei, Barak ist das Ganze nicht einmal einen Kommentar wert, und auch der aktuelle Premier Benjamin Netanjahu schweigt eisern.

Für die Jerusalemer Zurückhaltung gibt es gleich eine Vielzahl guter Gründe. Der erste ist, dass die Israelis wohl souverän auf die Scheinheiligkeit verzichten, anderen etwas vorzuhalten, was sie selbst praktizieren. Zweitens gehört der jüdische Staat offenbar nicht nur zu den Opfern, sondern auch zu den Profiteuren der NSA-Umtriebe. Im Herbst erst hatte Snowden enthüllt, dass die Amerikaner den Israelis in großem Stil sogenannte Rohdaten aus ihren Abhöraktivitäten zur Verfügung stellten. Und zum dritten bietet dieser Fall einen Hebel, um vielleicht eine alte Rechnung zu begleichen.

Es geht dabei um den amerikanischen Juden Jonathan Pollard, der wegen Spionage für Israel seit fast 30 Jahren in einem US-Gefängnis sitzt. Als Angestellter beim Geheimdienst der Marine hatte er dem Mossad zugearbeitet und war dafür zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In Israel genießt Pollard Heldenstatus, und kaum eine Woche vergeht ohne eine Petition für seine Freilassung. Nun erscheint vielen die Gelegenheit günstig: Netanjahu erinnerte zu Wochenbeginn an Pollards Schicksal, ohne dabei allerdings auf die aktuellen Dinge einzugehen. Sein Transportminister Israel Katz aber wetterte: "Die USA spionieren systematisch unsere Regierungsspitze aus, und Pollard wird für weit weniger festgehalten."

Es ist aber kaum zu erwarten, dass Washington nun nachgibt. Pollard soll die Israelis daran erinnern, welchen Preis die Spionage hat. Denn bis heute stehen die engsten Verbündeten in den USA unter Generalverdacht. In einem von Snowdens Dokumenten, aus dem unlängst der Guardian zitierte, heißt es: "Eine der größten Bedrohungen der NSA kommt tatsächlich von befreundeten Geheimdiensten wie dem Israels."

Suppenglück

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Diese Woche hat sich jetzt-Userin addictedToSleepdie Mütze des Kosmoskochs aufgesetzt.

Donnerstag:




Ich bin erst spät in der Nacht aus Hamburg zurückgekommen, habe lange geschlafen und den Tag vergammelt. Am Abend bin ich, wie jeden Donnerstag, alleine zu Hause und mache mir eine riesen Portion Nudelglück. Zwiebeln, Tomaten, rote Paprika und Knoblauch in der Pfanne kurz, aber scharf anbraten und unter die vorgekochten, aber schon abgekühlten Nudeln heben. Rucola und veganes Pesto dazu, etwas Balsamico und ordentlich Salz... fertig, lecker. Dazu Ciabatta und selbstgemachte Kräuter“butter“. Eine Portion esse ich am Tisch, später hole ich mir Nachschlag an den Laptop.




Noch später gibt es Nachtisch: Lupinesse Vanille-Kirsch und Schoko mit aufgekochten Him- und Blaubeeren.  

Freitag:
 



Ein fast abgelaufener Blätterteig im Kühlschrank will dringend verarbeitet werden. Wieder gibt’s Tomaten, Zwiebeln und Knoblauch, gemeinsam mit Mozzarella als Füllung für eine Blätterteigrolle. Dazu Spinat, Champignons und noch mehr Zwiebeln -  weil es praktisch war, wurde alles mit im Ofen gegart. Mir hängt Hamburg noch in den Knochen, das Wetter ist grau und nass – wir leihen uns „Sons of Anarchy“ aus und starten somit die Winter-DVD-Saison. Gegessen wird vorm TV.  

Samstag:
 



Wir schlafen so mittellang und gehen dann entweder auf einen Trödel oder erledigen irgendwelche Einkäufe. Fest dazu gehört aber immer der Einkauf an einem Gemüsestand - entweder Bio auf dem Markt oder bei einem Türken auf dem Trödel. Im Anschluss will der Hund ins Feld und wenn wir dann am frühen Nachmittag ausgehungert in die Wohnung kommen, gibt es Frühstück. Diesmal mit Rucola, frischem Avocado-Aufstrich, Reste der selbstgemachten Kräuter“butter“, diversem Laugen- und Körnergebäck und vor allem Käse.  Das hält den ganzen Tag vor, sodass es abends nur noch die Reste der Brötchen gibt. Da wir „SoA“ weitergucken müssen, wird auch heute auf dem Sofa gegessen.  

Sonntag:
 



Der Rest von „SoA“ muss geschaut werden. Kein Frühstück, dafür Kuchen!




Später dann Pizza und Tatort. Ein Ritual! Wenn kein Tatort läuft, gehen wir meistens mit Freunden aus oder laden welche zum gemeinsamen Kochen ein. Meine Pizza heute: Auberginen, Champignons, Spinat und Knoblauch. Der D. hat vor allem einen Haufen Käse, darunter versteckt sich Brokkoli.  

Montag:
 



Jeden Montag bin ich alleine und esse dann auch nur für mich. Am liebsten dann Dinge, die der D. eh nicht mag. Heute gibt es Spitzkohl und Fenchel, mit ein paar Möhrenstiften und Tomaten noch dazu. Alles zusammen im Topf geschmort mit Curry. Ein Fest! Dazu frisches Bauernbrot.  

Dienstag:




Nach der Arbeit war ich noch schnell einkaufen, beim türkischen Imbiss gab es Pürees und Weinblätter im Angebot. Dazu dann noch Fladenbrot, weiße Bohnen und gegrillte Paprika. Weil wir noch was Warmes wollten, kam ein Schafskäse mit Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, etwas Öl und Gewürzen in den Ofen. Wir sind beide kaputt, und es ist schon spät, also essen wir (wie so oft) auf dem Sofa und hören dazu eine Platte. Ich darf aussuchen, es wird The Cure.  

Mittwoch:
 



Suppe! Ich hab Zeit und Lust zu schnibbeln! Süßkartoffeln, Möhren, Zwiebeln und Knoblauch für die Suppe, ebenso eine Scheibe Sellerie. Püriert mit etwas Sojasahne und Curry wirklich gut. Dazu gibt es gebratene Tomaten, Zucchini und Paprikawürfel und wieder mal Brot!  Wir essen, wie es sich für Suppe gehört, am Tisch. Premiere für diese Woche!         


Auf der nächsten Seite liest du addictedToSleeps Antworten auf den Fragebogen zur Kochwoche. 

[seitenumbruch]

Welchen Stellenwert hat Essen in Deinem Leben?
Man sieht es mir auch an – einen hohen! Ich esse einfach gerne, auch fast alles und am liebsten in Gesellschaft. Nichts besseres, als mit lieben Menschen an einem schön gedeckten Tisch zu sitzen und ausgiebig drölfmillionen Köstlichkeiten zu verdrücken. Ich kann mich nie entscheiden, bin deswegen großer Fan von Buffet, Vorspeisenvariationen und Brotzeiten (zu jeder Tageszeit). Ich möchte mir keine Gedanken um Kalorien und Co. machen, achte aber im Alltag schon darauf, möglichst frisch und saisonal zu kochen (sagen ja alle). In den kalten Monaten gibt es bei uns viel Wurzelgemüse und deftigere Sachen, oft Suppen und Eintöpfe oder Currys. Im Sommer grillen wir mehrfach in der Woche oder essen Salat mit Schnick-Schnack. Essen hat für mich auch viel mit Wohlbefinden, Genuss und Gemütlichkeit zu tun. Allerdings halte ich nichts von Essen als Belohnung.  

Was ist Dir beim Essen oder Essen-Einkaufen besonders wichtig?

Qualität. Wobei das nicht heißt, dass Gemüse zum Beispiel perfekt aussehen muss. Ich nehme auch gerne liegengelassene B-Ware. Wir kaufen recht viel im Biomarkt, beim Bauern oder auf dem Wochenmarkt. Einmal im Monat machen wir einen Großeinkauf, da wird dann der Vorrat an Grundnahrungsmitteln aufgestockt. Ich esse nicht gerne an zwei Tagen hintereinander das gleiche, „Reste von gestern“ gibt es also höchst selten. Seitdem wir unseren Fleischkonsum von minimal auf gar nichts mehr runtergeschraubt hatten und ich auch meinen Molkereiproduktekonsum auf ein Minimum eingeschränkt habe, kochen wir definitiv noch kreativer und abwechslungsreicher als zuvor.  

Erinnerst Du Dich, wann Du zum ersten Mal für Dich selbst gekocht hast und wer Dir das Kochen beigebracht hat? 

Hm. Wohl irgendwann bei Mama, Spiegel- o. Rührei wahrscheinlich. Später dann, so ab 13/14 Nudeln in allen möglichen Varianten. Als ich mit 19 auszog , wurde der Wok mein liebstes Küchenutensil. Gelernt habe ich die Grundzüge von meiner Mama, allerdings muss ich rückblickend sagen, dass rein kulinarisch Welten zwischen uns liegen! Sie ist eine sehr genügsame Esserin, gemeinsam haben wir unser Faible für Sachen zum Löffeln – Suppen, Müsli, Joghurt/Obst/Cerealien-Mix und Ähnliches. Da mein Vater ein sehr mäkeliger Esser ist, gab es zum Großteil Hausmannskost, das war mir schon immer eher ein Graus. Beigebracht habe ich mir somit das meiste später selbst, unter Zuhilfenahme von diversen Kochbüchern und Blogs.  

Was war Dein Lieblingsessen als Kind?

Wenn mein Vater nicht zum Essen zu Hause war, gab es die Dinge, die er nicht mochte. Selbstgemachte Gemüsepizza, Spaghetti Carbonara, Ratatouille oder Ähnliches. Die Verbundenheit mit Mama war da aber wichtiger als das Essen an sich. Die Bratensoße meiner Oma mochte ich auch SEHR, im Gegensatz zum Braten selbst. Das Beste war aber wohl, wenn es Nudeln aus der Pfanne, mit Ei und gekochtem Schinken gab. Dazu entweder Ketschup oder Maggi. Gab es aber leider nur zwei bis drei Mal pro Jahr.  

Was ist Dein aktuelles Lieblingsessen?
Vorspeisenvarianten, am liebsten griechisch oder türkisch. Brotzeiten. Ganz aktuell, der Jahreszeit wegen: Suppen.  

Was magst Du gar nicht?

Rohe Tomaten, zum Beispiel auf Brot. Wobei, so langsam gewöhne ich mich daran. Aus einem Salat fische ich sie nicht mehr raus. Lakritz und Zitronenkuchen verursachen bei mir körperlichen Ekel, es schüttelt mich.  

Mittags warm und abends kalt oder andersrum?

Andersrum. Schon in meinem Elternhaus gab es abends die warme Mahlzeit. Im Alltag ist es so, dass es mittags eher nur einen Snack gibt und abends dann eine richtige Mahlzeit. Warm muss die aber auch nicht immer sein, eine gute Brotzeit zählt ebenfalls.  

Wo isst Du am liebsten, am Tisch oder auf dem Sofa?

Wir essen sehr spät, gegen 19 Uhr und dann am liebsten auf dem Sofa, ich im Schneidersitz. Dazu Musik! Esse ich alleine, sitze ich am Tisch, oft mit Buch, Zeitschrift oder Laptop. (Eine bettelnde Katze neben mir und ein mich anstarrender Hund im Körbchen.) Mit Gästen natürlich immer am Tisch!  

Was trinkst Du zum Essen?

Dasselbe wie den ganzen Tag über – Mineralwasser mit wenig Kohlensäure. Ab und zu eine Limo, im Sommer auch gerne ein Bier! Wein nie, mag ich nämlich nicht. Warme Getränke finde ich zum Essen auch unpassend, trinke ich lieber im Anschluss.  

Wie oft gehst Du auswärts essen und hast Du ein Lieblingsrestaurant?

Intervallmäßig gibt es Zeiten, da esse ich mehrfach pro Woche auswärts, dann gibt es wieder Zeiten, in denen ich monatelang gar nicht im Restaurant esse. Ich habe ein liebstes türkisches Restaurant (Vorspeisenteller!!!!), dieses ist winzig, mehr Kneipe, urgemütlich und wahnsinnig lecker – und auch meistens sehr voll. Ohne Reservierung läuft dort nichts. Ein liebstes italienisches Restaurant (Pasta mit Auberginen und Knoblauch) habe ich ebenfalls. Das ist in der Nähe der FH, recht günstig und ebenfalls sehr urig. Ich habe eh gerne Lokalitäten, bei denen ich nicht überlegen muss, was ich dorthin anziehe. Auf Grund des Jobs bin ich ja sehr leger gekleidet und will nicht extra nach Hause müssen, bevor ich zum Essen fahre. In diesem Jahr war auch ein indisches Restaurant, welches am Wochenende Buffet anbietet, hoch im Kurs. In dem dort servierten „Palak Paneer“ könnte ich baden!  

Was isst Du, wenn es schnell gehen muss?

Körnerbrot oder Laugengebäck mit Aufstrichen, Frühlingszwiebeln und Radieschen oder auch Porridge oder Joghurt mit Obst und Cerealien.  

Was war das aufwändigste Gericht Deines Lebens?

Hm. Ich koche nicht gerne aufwändig. Manch eine_r empfindet ja Gemüseschnibbeln schon als Aufwand, das finde ich zum Beispiel eher entspannend. Generell habe ich gerne Sachen, die im Backofen zubereitet werden, oder wo möglichst viel in einem Topf / einer Pfanne passiert. Ich mag es nicht so gerne, wenn die Zubereitung VIEL länger dauert, als der Verzehr. Wenn ich backe, darf der Aufwand aber auch größer sein, das liegt mir mehr und vom Ergebnis hat man ja oft auch länger etwas.  

Hast Du ein Standard-Gericht, wenn Eltern oder Freunde zu Besuch kommen?
Auch hier gilt: möglichst wenig Aufwand, möglichst lecker! Ofenkartoffeln/Gemüse mit Dip-Varianten und Salat, dazu für meine Eltern zum Beispiel etwas Kurzgebratenes. Für Freunde auch gerne vegetarische / vegane Gerichte, die meistens erst mal skeptisch begutachtet werden, später aber überzeugen, zum Beispiel Linsencurry, Burger oder Eintöpfe.  

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Puh, ich weiß gar nicht mehr, wer schon alles dran war! Spannend sind ja immer die Wochen, die so komplett aus dem Rahmen fallen. Digital_Data wäre vielleicht interessant.
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