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Bildervergleich: Merkel vs. World of Warcraft

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Ahnengalerie:




Das steht über allem:



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Bewaffnet mit Spieß:




Mit dem Bären ringen:



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Schwieriges Thema:




Besen im Gesicht:



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Und bei wem hat sich das Spionieren jetzt mehr gelohnt?




Von guten Prinzen und bösen Kriegen

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... und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen rankt sich um den Kanon märchenhafter Erzählungen der Gebrüder Grimm. Täglich gab es eine Gute-Nacht-Geschichte, in denen heldenhafte Prinzen gegen böse Hexen kämpften, Goldmarie für ihren Fleiß belohnt oder eine ganze Stadt unter Brei begraben wurde. Die Märchen aus den Büchern habe ich als Kind geliebt, Anekdoten aus dem DDR-Leben meiner Mutter dagegen weniger.  



Nicht nur vorlesen hat seine Vorteile. Wer von seiner eigenen Vergangenheit erzählt, fördert Empathie und Selbstbewusstsein seiner Kinder.

Heute weiß ich: Die Blicke in die Vergangenheit haben sich für mich gelohnt. Dass Bücher das Lese- und Sprachverständnis, die Fantasie und Empathie von Kindern fördern, ist bekannt. Was wir aber so noch nicht gehört haben: Es sind auch Familiengeschichten, persönliche Erlebnisse aus den Kindheitstagen von Eltern und Großeltern, die Kindern ein höheres Selbstbewusstsein bescheren und ihnen eine stärkere Identität verleihen. Das besagt eine Studie der Emory University in Atlanta, Georgia.  

Das Erzählen kann dabei über die klassische Zubettgeh-Geschichte weit hinauslaufen. Alltägliche Anekdoten aus früheren Tagen können beim Abendbrot ebenso geteilt werden wie bei Omas 80. Geburtstag. Den Heranwachsenden wird so ein Gefühl der Zusammen- und Zugehörigkeit vermittelt. Und: Sie sind in der Lage, strukturierter und komplexer Geschichten zu erzählen als ihre Altersgenossen, denen die Litanei ihrer Eltern erspart geblieben ist.  

Wenn also Mama das nächste Mal in Erinnerung an ihre erste Liebe schwelgt und Opa die Tage im Krieg verflucht, rolle ich nicht genervt mit den Augen, sondern sage: Danke. Welche Geschichte hörst du von deinen Eltern immer wieder? Was hast du daraus gelernt? Und was willst du später mal deinen Kindern erzählen?

Hotline statt Hass

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Noch bevor der Hass in Lichtenhagen aufflammte, in Mölln oder in Solingen, da rotteten sich im sächsischen Hoyerswerda Menschen zum Mob zusammen. Im September 1991 gab es Anschläge auf zwei Wohnheime für Flüchtlinge und Vertragsarbeiter, 32 Menschen wurden verletzt. Die Opfer hissten ein Banner, dessen Aufschrift einen noch heute schauern lässt: "Warum hassen Sie uns? SOS!" Der Hass siegte, die Flüchtlinge wurden von Sondereinsatzkommandos der Polizei ins Umland eskortiert, Rechtsextreme feierten die "erste ausländerfreie Stadt" – tatsächlich war es die erste Kapitulation des Staates im gerade wiedervereinigten Deutschland.

Ausgerechnet in dieser Stadt soll nun wieder eine Unterkunft für Flüchtlinge öffnen, wegen des Anstiegs der Asylbewerberzahlen in Deutschland und der sich daraus ergebenden Verpflichtung Sachsens, einen Teil dieser aufzunehmen. Der Landkreis Bautzen hat beschlossen, eine frühere Förderschule in Hoyerswerda zur Unterkunft umzubauen, Mitte Januar wird sie öffnen.



Aufnahme von 1991: Asylbewerber in Hoyerswerda können den Hass nicht verstehen, der ihnen entgegengebracht wird.
 
Oberbürgermeister Stefan Skora erkennt da eine Chance, wo man zunächst einmal nur das Risiko sehen könnte. Seine Stadt leidet ja noch immer unter dem Stigma, das aus der Reduktion ihrer öffentlichen Wahrnehmung auf die Vorfälle nach der Wende folgte. "1991 soll sich nicht wiederholen", sagt Skora (CDU) nun. Das klingt wie eine bloße Selbstverständlichkeit, aber was in Hoyerswerda jetzt passiert, war lange alles andere als selbstverständlich.

Erst im November hat der Stadtrat den genauen Standort eines Denkmals beschlossen, das an die Ausschreitungen von 1991 erinnern soll. Vor der Eröffnung der neuen Unterkunft gab es nun ein Bürgerforum, die Stadt hat zudem eine Hotline geschaltet, bei der Anwohner Fragen stellen können. Geplant sind überdies ein Tag der offenen Tür vor der Eröffnung des Heims sowie Begegnungstreffen seiner Bewohner mit den unmittelbaren Nachbarn. Die Menschen sollen sehen, dass in der Unterkunft keine goldenen Wasserhähne verschraubt werden und sie sollen sehen, wer darin überhaupt leben wird.

Schließlich gibt es noch eine Bürgerinitiative, der sich auch Pfarrer Jörg Michel angeschlossen hat. Es gab bereits ein Treffen mit Initiativen anderer Orte, die mit scharfem Protest gegen Unterkünfte von Asylbewerbern zu kämpfen haben. Es ging darum, Erfahrungswerte zu sammeln, denn nicht nur im sächsischen Schneeberg war es zuletzt so, dass die NPD den Widerstand gegen Heime besser und schneller sichtbar machte als bürgerliche Lager es vermochten, den Widerstand gegen den Widerstand auf die Straße zu bringen.

Derzeit sind etwas mehr als 7000 Asylbewerber in Sachsen untergebracht, sie verteilen sich unter anderem auf 50 Heime. Der Ausländerbeauftragte des Landes, Martin Gillo (CDU), hält es für möglich, dass sich diese Zahl in zwei Jahren auf 90 erhöht. Die NPD wird gerade im Landtagswahljahr 2014 weitere Proteste organisieren, sie wird "versuchen, auch unsere Stadt zu vergewaltigen", sagt Pfarrer Michel. Die Initiative und Bürgermeister Skora wollen sich auf die Aufklärung der Masse konzentrieren statt auf Bekehrung weniger. Skora sagt: "Die, die nicht erreicht werden wollen, die werde ich nicht erreichen, so ehrlich muss man sein.

„Jammern ändert nichts“

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Zu dem Plakat, das zur Studentendemonstration gegen die Kürzungen der Bildungsausgaben aufruft, fällt Manuel Costa spontan nur ein Wort ein: „Unsinn!" Die Regierung habe zum Sparen „keine Alternative". Der 21-jährige Wirtschaftsstudent steht mit seiner Ansicht nicht allein: Zu der Kundgebung finden sich nur ein paar Hundert Leute ein. In der auf Wirtschaft spezialisierten Lissabonner Nova-Universität, an der Costa studiert, sind die Seminarräume voll, in den Bibliotheken ist kein Platz frei. Dasselbe Bild bietet sich in der Universidade Clássica, mit 20 000 Studenten die größte des Landes: Es wird emsig gelernt. Vor zwei Jahren gab es hier noch große Kundgebungen gegen das Sparprogramm der neuen Mitte-rechts-Regierung. Auch diesmal verteilen wieder junge Leute Zettel mit Protestaufrufen, doch nur vor der geisteswissenschaftlichen Fakultät werden sie sie in größerer Anzahl los. Hier wird am meisten gekürzt, hier haben die Studenten die schlechtesten Berufsaussichten, weil die Regierung einen Einstellungsstopp in Bildungs- und Kultureinrichtungen verfügt hat.



Portugals Jugend hätte zwar gute Gründe auf die Barrikaden zu gehen, aber sie haben einfach keine Zeit dafür.

Costa hätte gar keine Zeit zum Demonstrieren. Zum einen muss auch er für seine nächste Prüfung pauken. Zudem betreibt er mit Kommilitonen eine Internet-Wohnungsvermittlung für Studenten und verdient damit auch etwas Geld. „In drei Stunden waren alle Formalitäten erledigt", berichtet er über die Gründung. Zudem sind junge Firmengründer neuerdings mindestens zwölf Monate von der Umsatzsteuer befreit, wodurch ihre Anzahl zuletztsprungartig gestiegen ist.

Gleichzeitig hat der Anteil der Krisenverlierer jedoch gerade in der jungen Generation zugenommen. Die Polizei verzeichnete in den vergangenen drei Jahren einen starken Anstieg der Jugendkriminalität und des Konsums harter Drogen. Die Caritas beklagt, dass die Mittel für ihre Jugendprogramme kräftig zusammengestrichen worden sind. Ihre Vertreter sprechen von einer „verlorenen Generation". Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 36 Prozent. Allerdings erfasst diese Zahl nur die offiziell Arbeitssuchenden und nicht die Gesamtheit der jungen Leute zwischen 16 und 24 Jahren. Die überwältigende Mehrheit von ihnen geht nämlich zur Schule oder studiert, sodass faktisch weniger als zehn Prozent eines Jahrganges arbeitslos sind. Die Quote nimmt zudem seit zwei Quartalen ab.

Die offizielle Arbeitslosenstatistik sieht überdies etwas weniger dramatisch aus, wenn die Schwarzarbeit einbezogen wird. Experten schätzen, dass bis zu einem Drittel der offiziellarbeitslos gemeldeten jungen Portugiesen schwarz regelmäßig Geld verdient. Darunter die 22-jährige Elisa, sie kellnert in einer Bar im Studentenviertel. Kleine und mittlere Betriebe bilden nach wie vordas Rückgrat der portugiesischen Wirtschaft, oft sind sie seit Generationen in Familieneiner Familiebesitz. Sie fangen einen Teil der Hochschulabsolventen auf, die keine Anstellung finden, die ihrer Qualifikation und Fachrichtung entsprechende Anstellung finden entspricht. Die Bezahlung ist jedoch schlecht. In den Schnellrestaurants, Callcentern und Supermärkten, in denen ebenfalls viele der gut ausgebildeten jungen Portugiesen jobben, ist dies kaum besser. Ein Großteil wohnt wegen der Finanzprobleme bei den Eltern, die Generation „Nesthocker". Andere suchen ihr Heil im Ausland. Begehrtes Ziel: die ehemalige Kolonie Angola, die dank ihrer Ölvorkommen einen Aufschwung erlebt. Sie wirbt besonders um junge Ingenieure, Wirtschafts- und IT-Experten. Die Nova-Universität hat eine Filiale in der Hauptstadt Luanda gegründet.

„Wir haben einen Generationenkonflikt", sagt Sofia Oliveira. Sie ist 22 Jahre alt, studiert ebenfalls an der Nova-Universität und engagiert sich im Nova Economics Club (NEC). Den haben Studenten gegründet, weil das Lehrprogramm ihnen keinerlei Erklärungen für die Krise liefert, in die sich die junge Generation „hineingeworfen" fühlt. Der Club stellt sich einer ehrgeizigen Aufgabe: Er analysiert die Ursachen der Krise und die Maßnahmen der Regierung dagegen, die Ergebnisse dokumentiert er auf Englisch auf seiner Webseite (www.novaeconomicsclub.com). Den Konflikt zwischen den Generationen beschreibt Sofia Oliveira mit einem Satz: „Sie haben sich maßlos verschuldet, wir starten mit einem Riesenschuldenberg ins Erwachsenenleben." Mit „sie" meint sie den Staat ebenso wie die Privathaushalte.

Die Studenten, die im NEC zusammenkommen, sind sich einig: „Jammern und protestieren ändern nichts!" Außerdem verbindet sie ihr Misstrauen gegenüber den heutigen Politikern und Wirtschaftsführern. Vor einem Jahrzehnt, als die meisten der NEC-Mitglieder noch Kinder waren, haben sie den „kollektiven Rausch" in der Gesellschaft mitbekommen, als Portugal die Fußballeuropameisterschaft 2004 ausrichtete. Damals wurden Riesenstadien gebaut, Rieseneinkaufszentren, Riesenautobahnen, Riesenbrücken, alles auf Kredit. Zudem wurde das Heer der Staatsdiener kräftig ausgebaut. Heute bleibt ein Teil dieser Rieseninvestitionen ungenutzt. Und die Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank und EU, die Portugal vor zwei Jahren mit einem Kredit mehr als 78 Milliarden Euro vor dem Staatsbankrott gerettet hat, verlangt die drastische Verkleinerung des öffentlichen Dienstes.

„Richtig so!", sagt die Kellnerin Elisa. Ihre Chefin, die Besitzerin der Bar, die über eine 70-Stunden-Woche klagt, nickt dazu. Manuel Costa, der junge Firmengründer, sagt, es seien vor allem Staatsbedienstete, die gegen die Kürzungen demonstrieren. Bei der Debatte im NEC fallen Sätze wie: „Austerität ist unvermeidlich! Steuererhöhung schafft keine Arbeitsplätze!" Oder: „Wir fordern die Liberalisierung des Arbeitsmarktes!" Mit anderen Worten: die Aufweichung des Kündigungsschutzes. Da der jungen Generation die Aufstiegsmöglichkeiten versperrt seien, wie Sofia Oliveira sachlich feststellt. Sie wohnt bei ihren Eltern, die in einem Steuerbüro arbeiten, ein typisches Mittelstandskind.

Andere in dem Club sehen sich bereits als Aufsteiger, sie sind die Ersten in ihren Familien, die eine Universität besuchen: „Wir wollen nicht die verlorene Generation sein. Wir wollen weiterkommen. Aber wir müssen es selbst tun!" Dozenten der Lissabonner Hochschulen bestätigen: Die durch die Krise sozialisierten Studenten seien nicht nur viel fleißiger, sondern auch viel selbständiger und kritischer als frühere Jahrgänge. 

Abschied von der Studiengebühr

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Am Abend sollte der Landtag über den Gesetzentwurf abstimmen. Mit ihrer Mehrheit von einer Stimme brachte die rot-grüne Regierung das Gesetz im Landtag durch. Damit werden die 500 Euro für jeden – Härtefälle ausgenommen – nur noch im Sommersemester 2014 fällig. Erst wer die Regelstudienzeit um mehr als sechs Semester überschreitet, soll zahlen.

Bisher gab es schon nach vier Semestern eine Langzeit-Gebühr. Die den Hochschulen fehlenden Einnahmen von etwa 120 Millionen Euro im Jahr sollen aus dem Landeshaushalt ersetzt werden; dafür müssen alle Ressorts Kürzungen in Kauf nehmen. Auch künftig müssen Studenten je nach Hochschule etwa 300 Euro im Semester für Verwaltung, Studentenvertretungen und Semesterticket bezahlen.



Studenten hatten lange gegen die Gebühren demonstriert - jetzt hat Niedersachsen als letztes Bundesland sie wieder abgeschafft.

Angefangen hatte alles im Jahr 1998, als Baden-Württemberg Gebühren für Langzeitstudenten einführte. Dagegen klagten Studenten vor dem Bundesverwaltungsgericht, und verloren. Dann verbot die rot-grüne Bundesregierung mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes 2002 Gebühren für das Erststudium.

Dagegen zogen mehrere Länder vor das Bundesverfassungsgericht – ihrer Ansicht nach hatte der Bund zu dem Thema wenig zu sagen, denn Hochschulen sind Ländersache. Karlsruhe gab ihnen recht, und nach und nach beschlossen sieben unionsgeführte Länder Studiengebühren vom ersten Semester an. Doch auch die waren nicht von langer Dauer. In fünf der Länder, nämlich in Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland, wurden die Gebühren nach Machtwechseln abgeschafft; auf Betreiben von SPD oder Grünen, die dem Bezahlprinzip noch nie viel abgewinnen konnten. In Bayern kam die CSU im Frühjahr einem Volksentscheid zuvor und stimmte im Landtag mit der Opposition gegen die Gebühren.

In Niedersachsen hatte das Kabinett von Christian Wulff die Gebühren zum Wintersemester 2006 eingeführt. Ihre Abschaffung war eines der zentralen Wahlkampfversprechen von SPD und Grünen gewesen. Wie sie sich im Bildungssystem genau auswirken, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Das räumt auch Ottmar von Holtz ein, Hochschulsprecher der Grünen im niedersächsischen Landtag. "Aber mit der Abschaffung bauen wir wenigstens eine Hürde ab, die von Bildung abhält", sagt er.

Ultimatum für die "Rote Flora"

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Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist das Gebäude im Schanzenviertel in der Hand der "Rotfloristen". Eigentümer Kretschmer will das endgültig ändern.

Es ist das am längsten besetzte Haus Deutschlands. Das ehemalige Floratheater im Hamburger Schanzenviertel ist ein Symbol der Autonomen. Er wird vom Staatsschutz beobachtet und zugleich von Reiseführern als schriller Farbtupfer in der reichen Stadt vorgeführt. Nun will der Eigentümer, Klausmartin Kretschmer, die Behörden bitten, das Gebäude räumen zu lassen – sofern die Besetzer nicht freiwillig bis zum 20. Dezember abziehen.

Er werde "die zuständigen Hamburger Behörden und Gerichte bitten und auffordern, mein Eigentum zu gegebener Zeit räumen zu lassen", heißt es in einemIn einem Schreiben an die Besetzer kündigt Kretschmer außerdem an, künftig ein Nutzungsentgelt in Höhe von monatlich 25 000 Euro plus Mehrwertsteuer zu verlangen, wenn sie das Gebäude weiter nutzen. "Für den Monat Dezember verlange ich kulanterweise nur die Hälfte", schreibt er und erläutert: "Da Sie mit Ihren vielen Partys, Konzerten und sonstigen kommerziellen Veranstaltungen erheblich höhere monatliche Einnahmen haben werden, ist das von mir verlangte monatliche Nutzungsentgelt angemessen."

Eine weitere Duldung sei damit jedoch nicht verbunden, betont Kretschmer. Vielmehr "begehen Sie ab sofort mit jedem Betreten meines Eigentums eine strafbare Handlung" und nannte dabei etwa Haus- und Landfriedensbruch. Das gelte im übrigen auch für alle Besucher, welche die "Rotfloristen" ins Haus ließen.

Zuletzt hatte es erheblichen Wirbel um ein Konzert des Hip-Hop-Trios Fettes Brot in der "Roten Flora" gegeben. Kretschmer hatte der Band Hausverbot erteilt und Strafanzeige "wegen der drohenden Straftat eines Hausfriedensbruchs" gestellt. Erfolgreich war er damit jedoch nicht. Das Konzert fand wie geplant statt. Die Polizei schritt nicht ein, da es sich ihrer Meinung nach um eine zivilrechtliche Auseinandersetzung handele.

Linke, Künstler und Studenten hatten das frühere Floratheater 1989 besetzt, als ein Investor es zum Spielort für das Musical "Phantom der Oper" umbauen wollte. Stattdessen entstand das linksalternative Kulturzentrum "Rote Flora", das Kunstaktionen, Flohmärkte und Feste veranstaltet und im Stadtteil auch politisch arbeitet, etwa bei den Themen Migration oder Konsum.

Klausmartin Kretschmer hatte das Gebäude 2001, nach eigenen Angaben auf Drängen der damaligen rot-grünen Regierung, für umgerechnet knapp 190 000 Euro gekauft. Seit 2011 versuchte er, das etwa 1770 Quadratmeter große, inzwischen wohl millionenteure Grundstück samt "Roter Flora" wieder zu verkaufen – bislang vergeblich. Zuletzt kündigte Kretschmers Immobilienberater Gert Baer an, dass aus der Flora im Einvernehmen mit den Besetzern ein sechsstöckiges Kulturzentrum mit Konzerthalle werden soll. Nun kündigte Kretschmer an, aus der "Roten Flora" nach Erhalt der Baugenehmigung ein "Flora Stadtteilkultur- und Veranstaltungszentrum" errichten zu wollen.

Laut Kretschmers Immobilienberater Gert Baer beinhaltet der Plan einen Konzertraum für bis zu 2500 Besucher, ein Bürgerhaus, eine Kita, einen Jugendtreff und eine Tiefgarage. In diesem Ensemble könnten sich die bisherigen Nutzer dann jederzeit einmieten.

Die Besetzer bezeichneten diese Äußerungen als "totalen Realitätsverlust". Es sei absurd "zu glauben, das Projekt Rote Flora würde sich an Plänen beteiligen, die sich gegen all das richten, wofür wir seit Jahrzehnten politisch und praktisch kämpfen". Auch beim Bezirk Altona stoßen Kretschmers Pläne, aus der "Roten Flora" ein "Flora Stadtteilkultur- und Veranstaltungszentrum" zu machen, offenbar auf wenig Gegenliebe. Ein Sprecher sagte der Nachrichtenagentur dpa, er gehe nicht davon aus, dass der Eigentümer mit seinem Bauantrag Erfolg haben werde. Denn voraussichtlich werde noch im Januar der Bebauungsplan "Sternschanze 7" rechtskräftig, nach dem das Haus nicht mehr abgerissen oder umgebaut werden darf und dauerhaft Stadtteilkulturzentrum bleiben soll.

Im aktuellen Streit um eine Räumung sei der Bezirk nicht zuständig. Dies sei eine zivilrechtliche Auseinandersetzung, sagte der Sprecher. Kretschmer kündigte an, den Besetzern künftig monatlich 25 000 Euro plus Mehrwertsteuer in Rechnung stellen

Für den Mietrechtsexperten Marc Meyer vom Verein "Mieter helfen Mieter" ist keineswegs sicher, dass Kretschmer mit seinenist noch nicht ausgemacht, dass die Räumung tatsächlich kommt. Zum einen ist im Kaufvertrag von 2001 festgeschrieben, dass die Floristen das Gebäude nutzen dürfen und geduldet werden, sagt Meyer der Nachrichtenagentur dpa. Zum anderen müsste Kretschmer erst einen langwierigen Zivilprozess führen, dessen Erfolgsaussichten ebenfalls alles andere als sicher seien. "Geräumt kriegt er das Objekt nur, wenn er einen rechtskräftigen Räumungstitel in der Hand hat", sagt Meyer.

Geben und Nehmen

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Als Luisa Eckhard ihren ersten Blogeintrag veröffentlicht hat, war sie 19 Jahre alt und wollte die Online-Plattform nutzen, um Arbeitsproben für spätere Bewerbungen zu sammeln. „Ich wollte potenziellen Arbeitgebern zeigen, dass ich gut schreiben kann“, sagt die gebürtige Hamburgerin, die an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München Nordamerikanistik und Kommunikationswissenschaften studiert. Heute, vier Jahre später, nennt sie sich Luisa Lion und ihr Online-Tagebuch „Style-Roulette“ hat rund 15000 Leser täglich aus ganz Deutschland. Die versorgt sie mit Tipps und Erfahrungen rund um die Themen Mode, Kosmetik und Reisen. Einen Arbeitgeber muss sie damit nun vorerstnicht mehr beeindrucken: Seit gut einem Jahr kann sie vom Bloggen und den sich daraus ergebenden Geschäftsmöglichkeiten leben. „Im Januar habe ich meine beiden Nebenjobs gekündigt“, berichtet die 23-Jährige.



Mit bloggen lässt sich jetzt ganz gut Geld verdienen, denn werberelevante Zielgruppen lassen sich darüber gut erreichen.

Wenn man auf Google allgemein nach „Fashion Blog“ sucht, erhält man 1,2 Millionen Treffer. Style-Roulette landet auf der vierten Position. „Das liegt auch an meinem relativ hohen Textanteil“, erklärt die Studentin ihre hohe Platzierung. Und genau die macht sie auch für Unternehmen so interessant. „Immer mehr Firmen nutzen Blogger, um die Reichweite ihrer Produkte zu erhöhen“, erklärt Christian Nuernbergk, Kommunikationswissenschaftler an der LMU. „Gerade die werberelevante Zielgruppe der 20- bis 30-Jährigen ist auf Blogs optimal zu erreichen.“

Und diese Chance lassen sich manche Firmen auch was kosten. „Manche Blogger arbeiten mit Werbebannern, das finde ich aber nicht so schön“, sagt Lion, die einen hohen optischen Anspruch an ihre Seite hat. Sie verdient über sogenannte Affiliate-Programme am Umsatz eines Produkts, das sie auf ihrer Seite beschreibt, mit: „Ich platziere den Link zum entsprechenden Online-Shop. Wenn ein Leser über meinen Link das Produkt kauft, bekomme ich eine Art Provision.“ Dadurch sei ihre Arbeit auch viel besser messbar als etwa die Wirkung einer klassischen Werbeanzeige. Dennoch würden traditionelle Werbemittel nicht durch Blogs ersetzt, ist sich Petra-Anna Herhoffer, Leiterin für das Programm Luxusmanagement an der Munich Business School, sicher. „Über Blogs wird eine ,hippe‘ Klientel angesprochen“, Anzeigen in Hochglanzmagazinen ergänzten den Marketingmix der Werbekunden.

Einige Unternehmen schickten ihr auch Gutscheine, sagt Lion, sodass sie sich ein Produkt aussuchen könne, um dann darüber zu bloggen. Manche kritisieren die enge Verknüpfung redaktioneller Bloginhalte mit den Produkten. „Ich kennzeichne Kooperationen entsprechend. Und über Dinge, die mir nicht gefallen, schreibe ich auch nicht, egal wie viel Geld ich dabei verdienen würde“, kontert Lion. Gerade Lifestyleblogs seien etwas sehr Persönliches, da erwarteten die User oft gar keine unabhängige Meinung, weiß Nuernbergk.

Vielen Bloggern gehe es ohnehin nicht primär ums Geldverdienen. „Die meisten beginnen aus Überzeugung und Leidenschaft, in den Erfolg schlittern sie dann irgendwie rein“, sagt der Kommunikationswissenschaftler. Genau wie bei Lion: „Am Anfang hatte ich nicht mal eine ordentliche Kamera, um Fotos von Outfits oder Orten zu machen, die mir auffielen. Ich war deshalb meist mit anderen Bloggern unterwegs, die besser ausgerüstet waren.“ Mit der Zeit hätten sie dann immer mehr Unternehmen und PR-Agenturen angefragt, sie wurde auf Events und in Fernsehshows eingeladen.

Seit knapp einem Jahr laufe es finanziell gut für sie, sagt Lion. Zusammen mit zwei Freundinnen hat sie kürzlich eine neue Webseite entwickelt. „Am ersten Abend ist die Homepage direkt zusammengebrochen, so hoch war der Andrang.“ Auf ourcleanjourney.de unterstützt sie ihre Leser bei „einem gesünderen Lebensstil“. Für 1,90 Euro kann man beispielsweise einen 30-Tage-Bauchmuskel-Plan erwerben. Ein Kochbuch ist bereits in Planung. Geschäftssinn hin oder her, eine Bezahlschranke für ihren Blog kann sich Lion, die von Sternzeichen Löwe ist, nicht vorstellen. „Der Blog muss frei zugänglich sein, das erwarten die Leser.“ Lieber sollte man sich Ideen um den Blog herum stricken. Manche Blogger entwickelten beispielsweise eigene Parfums oder Schmuckkollektionen unter einer eigenen Marke. Exklusivverträge mit einem Unternehmen seien eher selten, berichtet Lion. „Ich will mir meine Offenheit auch lieber bewahren.“

Hinter dem, was sich für viele wie ein nettes Hobby anhört, steckt eine Menge Disziplin, Fleiß und Durchhaltevermögen. Das weiß auch Petra-Anna Herhoffer. „Ein Blogger muss immer up to date sein und ein gutes Gespür für Trends mitbringen.“ Der Blog sollte interessant, kreativ, gleichzeitig aber auch übersichtlich gestaltet sein. Entscheidend sei, dass die Inhalte stilistisch ansprechend und journalistisch aufbereitet seien. „Auch im Blog will man keine dilettantischen Texte, sondern gerade Sätze lesen.“ Acht Stunden täglich arbeitet Lion an ihrem Blog – mindestens. Gerade am Anfang sei es hart, „an manchen Tagen läuft einfach nichts, da muss man dranbleiben und darf nicht aufgeben“. Genau das rät sie dem Nachwuchs. „Und man muss sich bewusst sein, dass es eine Entscheidung fürs Leben ist. Wenn etwas von mir im Netz ist, dann ist es da – für immer. Da muss man auch damit rechnen, dass es nicht jedem gefällt und mal Kritik kommt.“ Früher hätte sie das noch getroffen, aber mittlerweile könne sie damit professionell umgehen. „Man muss sich immer sagen: Deine härtesten Kritiker sind eigentlich deine größten Fans.“

Offene Türen

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Das mit den Schubladen beginnt schon beim Erklären dieser Veranstaltung: Zum einen sitzt da am Montagabend Münchens Theaterprominenz im Gewölbekeller des Milla, zum anderen eine Reihe Künstler mit Migrationshintergrund. Aber immerhin: Man debattiert über diese Schubladen. Es geht um die Frage: Gibt es am Theater Ausgrenzungen von Menschen mit Migrationshintergrund?



Auch am Theater debattiert man nun, ob dort eine Ausgrenzung von Menschen mit Migraionshintergrund stattfindet.

Der Auffassung sind Tuncay Acar und sein Gefolge, die als „Göthe Protokoll“ ins Milla geladen hatten. Anlass für die Aufregung war ein Aufruf der Kammerspiele, in dem für ein Projekt des niederländischen Regisseurs Dries Verhoeven „Menschen mit Migrationshintergrund“ gesucht wurden, die Zuschauer bei einem Spaziergang durch ein „migrantisch geprägtes Viertel“ führen sollten. Acar, der im Vorstand der Glockenbachwerkstatt ist und unter anderem das Import/Export verantwortete, empörte sich in seinem Blog, forderte zum Boykott des Projekts auf und die Kammerspiele zu einer öffentlichen Auseinandersetzung heraus.

Bemerkenswert ist, dass Acars emotionalem Appell tatsächlich die drei großen Häuser der Stadt artig gefolgt sind: Johan Simons, Christian Stückl und Sebastian Huber, stellvertretender Intendant des Residenztheaters, sitzen da am leicht schrägen Tisch im Gewölbekeller mit einer Entourage von Dramaturgen. Schon das sendet die Botschaft: Seht her, das Thema ist uns so wichtig, dass sogar der Chef persönlich kommt. Das Milla ist so voll wie beim Auftritt einer angesagten Band, doch während der Diskussion herrscht konzentrierte Stille, das Thema ist spürbar heikel.

Die Vorwürfe von Göthe Protokoll: Menschen mit Migrationshintergrund dürften an den Theatern stets nur als solche auftreten. Die Zuschauer blickten interessiert auf die Exoten, ließen sich ein bisschen was aus deren andersartigem Leben erzählen und glaubten, damit sei ein gegenseitiges Verstehen bereits geglückt. Künstler mit „Hintergrund-Vordergrunds-Tralala“, wie Acar es nennt, würden dadurch ausgegrenzt, hätten auch an Schauspielschulen und Schaltstellen der Kunst keine Chance. „Ich vermisse meine Perspektive“, sagt Acar. „Künstlerische Projekte von Menschen mit Migrationshintergrund finden nur auf Nebenbühnen statt – wenn überhaupt.“Der Künstler Bülent Kullukcu pflichtet ihm bei: „Ich soll immer nur was über meine Eltern machen. Was gehen euch meine Eltern an?“ Applaus. An deutschen Theatern seien nur „Bio-Deutsche“ angestellt, es gebe sogar einen „institutionalisierten Rassismus“, wie jener Aufruf der Kammerspiele zeige. Johann Simons legt den Kopf schief und die Stirn in Falten. Ihm Rassismus vorzuwerfen, entbehrt natürlich nicht einer gewissen Komik. „Sie sprechen besser Deutsch als ich“, sagt der Intendant aus dem niederländischen Nirgendwo, der alles andere als „bio-deutsch“ ist. „Ich lade bewusst Menschen mit anderem Hintergrund nach München ein“, sagt Simons, „ich komme aus Holland, dort wird Multikulti bald Realität sein – oder darf man das nicht sagen? Multikulti?“ Bei Simons sei das was anderes, gibt „Migrantenstadl“-Bloggerin Tunay Önder zu bedenken, es gebe hierzulande eine Differenzierung der Menschen mit Migrationshintergrund, bessere und schlechtere sozusagen, er als Niederländer gehöre zu den besseren. Fragende Gesichter.

Tuncay Acar ist ein cleverer Mann, er weiß, wie er sich Aufmerksamkeit verschafft, und gibt das auch unverhohlen zu. Die „Nummer vom wütenden Migranten“ erzeugt Resonanz, deswegen spielt er sie, wenn es sein muss. Die Tatsache, dass dieser Wut drei Intendanten gefolgt sind, gibt ihm und seiner Masche recht. Zu groß ist die Angst der Institutionen, das Thema nicht ernst genug zu nehmen. Das allerdings als Geständnis zu lesen, die Vorwürfe seien berechtigt, ist natürlich zu einfach.

Die Theatervertreter lassen sich nicht zu Rechtfertigungen hinreißen, weisen geduldig auf ungarische Eröffnungspremieren und internationale Produktionen hin. Im Ensemble der Kammerspiele arbeiten Niederländer, Esten, Schweizer, eine türkischstämmige Schauspielerin, eine aus Uganda. Der Prozess sei voll im Gange, ein Schauspieler werde eingestellt, weil er gut sei, nicht weil oder weil er kein Türke sei. Sicher sei in den vergangenen Jahrzehnten viel versäumt worden, sagt Christian Stückl, „aber die Neuen sind schon da, diedrängen schon rein, die Türen sind offen“. Die Kritiker überzeugt das nicht. Zu oft mussten sie Diskriminierung erleben, nicht nur am Theater. Die Wut aber, die sie empfinden, konkretisieren sie nur schwer.

Dennoch ist es zu einfach, den Theatern diese Gesprächsbereitschaft als schamhaften Reflex auszulegen, als Beleg dafür, dass was dran sein müsse an den Vorwürfen. Das tatsächliche Problem, so Kammerspiel-Chefdramaturgin Julia Lochte, sei keines des irgendwie gearteten Hintergrunds, sondern eine Frage der sozialen Schichten und der Bildung. Wenn Eltern selbst nicht ins Theater gingen, wie sollten es die Kinder dann tun? Seit jeher sitzen vor allem Bildungsbürger im Zuschauerraum, Migrationshintergrund hin oder her. Da müsste man ansetzen, sagt Lochte, das Theater von „oben nach unten“ öffnen.

Nach zwei Stunden herrscht dicke Luft. Auch im Milla. Doch man ist zumindest einig, weitermachen zu müssen, bis es endgültig egal ist, ob Werther von einem Marokkaner gespielt wird. Oder Othello weiß ist. Oder blau. Oder eben nicht.

Wenn das Gute liegt so nah

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Marco Smolla, 25, ist Profi-Snowboarder und schon viel gereist – aber so gut wie nie in die Berge vor seiner Münchner Haustür. Vergangenen Winter hat er sie endlich mehrere Wochen mit Freunden und dem Splitboard erkundet – einem Snowboard, das sich in der Mitte teilen und dann als Tourenski nutzen lässt. Gerade ist ein kurzer Dokumentarfilmüber das Projekt erschienen: „Bavarian Split“. Marco ist längst wieder unterwegs, ein Jahr auf Weltreise. Für das Interview hat er in einer indischen Kleinstadt eine Stunde nach einem Internetcafé gesucht. Im Hintergrund hört man ständig lautes Hupen.
 
jetzt.de: Marco, du sitzt gerade in Indien, und wir wollen ein Interview über Snowboarden in den Voralpen führen. Komisches Gefühl?
Marco Smolla: Ein ziemlicher Weltenwechsel, ja. Aber das geht. Wir haben hier am Strand auch schon mal Snowboard-Filme angeschaut.
 
[plugin bildergalerielight Bild1="Im Morgengrauen auf dem Weg zum Gipfel" Bild2="Belohnung auf der Abfahrt: Method Air" Bild3="Die Hütten des Alpenvereins waren für Marco was ganz Neues." Bild4="Holzhacken zum Heizen, dann Schnee schmelzen. Wer will schon Wasser den Berg rauf schleppen?" Bild5="" Bild6="Sieht komisch aus, ist aber praktisch: ein Splitboard" Bild7="Im Tiefschnee merkt man aber kaum einen Unterschied zu einem normalen Snowboard." Bild8="Hüttengaudi" Bild9="Noch ein Method im Wettersteingebirge"]

Was bedeutet Heimat für dich?
Sie ist der Anker, den ich das ganze Leben habe und für extrem wichtig halte. Ich bin immer schon viel gereist, deshalb brauche ich die Heimat umso mehr. Nur weil es den Ort gibt, an den ich immer zurückkehren kann, kann ich mich treiben lassen.
 
Wolltest du deshalb ein Filmprojekt in den Voralpen machen?
Ich habe schon die meisten guten Snowboard-Gegenden der Welt kennengelernt: Kanada, Alaska, Neuseeland. Was ich so gut wie gar nicht kannte, waren die Berge vor meiner Haustür. Die waren ein komplett unbeschriebenes Blatt – für mich, aber auch für den Großteil der anderen Snowboarder hier. Wir haben die heimischen Berge total vernachlässigt.
 
Nicht auch zurecht? Kanada ist halt ein anderes Kaliber als das Chiemgau.
Die Berge sind natürlich nicht vergleichbar mit denen in Kanada. Die Mengen an Schnee, die es da hat, die Vielfalt der Spots – das ist was anderes. Aber wir haben auch hier tolle Sachen gefunden. Und das Gefühl ist ein ganz anderes.

Nämlich
?
Ich habe eine neue Facette meiner Heimat kennengelernt. Die Alpenvereinshütten kosten wenig und sind super vorbereitet. Man muss bloß selbst einheizen, Essen mitbringen und Schnee schmelzen, um Wasser zu haben. Irgendwie bekommt man da einen besseren Fokus aufs Hier und Jetzt. Das klingt jetzt kitschig, aber: Man findet mehr zu sich selbst.
 
Warum wurden die Berge hier von der heimischen Szene bislang vernachlässigt?
Aus Trägheit. Man fährt dahin, wo man auf Nummer sicher gehen kann. Wo die Leute seit langem ihre Snowboardfilme machen. Arlberg, Tirol.
 
Wird sich das jetzt ändern?
Könnte ich mir schon vorstellen. Ich habe jetzt öfter gehört, dass die Leute das auch mal ausprobieren wollen. Man muss halt Lust aufs Tourengehen haben.
 
Weil das was ganz anderes ist als das Fahren in Skigebieten.
Ja. Das mag ich auch nach wie vor. Aber es ist toll, mal einen Tag den Berg raufzugehen. Man macht zwar weniger Abfahrten, aber dafür echt lange, mit ganz frischen Hängen. Auf unserem Trip im Allgäu hatte es schon einige Zeit nicht geschneit, aber wir haben immer noch viel unverspurtes Gelände gefunden.
 
Gibt es allgemein einen Trend zum Tourengehen?
Es findet jedenfalls deutlich mehr Platz in Snowboard-Magazinen und ist in der Szene präsenter als vorher. Und dieser Entschleunigungsgedanke ist ja allgegenwärtig, dazu passt das Tourengehen natürlich auch gut.

Für das Projekt hast du mehrere „Generationen“ von deutschen Snowboardern zusammengebracht – wie war das?
Drei Generationen waren es im Prinzip – Generationen von Snowboardern wohlgemerkt. Luis Eckert ist 16, die Strauß-Zwillinge und ich Mitte 20, David Benedek und Christophe Schmidt Anfang 30 und Xaver Hofmann ist mit 39 der älteste gewesen. Für mich war David als Teenager eine wichtige Inspiration, Luis Eckert hat Davids Karriere aber gar nicht so mitbekommen. Das Schöne war, dass sich das super zusammengefügt hat, da war keine schräge Distanz zwischen alt und jung.    

Wie wichtig ist Erfahrung, gerade was das Verhalten im Gelände angeht?

Was Lawinen angeht, haben wir vor allem auf den Alpenvereins-Bergführer vertraut, den wir immer dabei hatten. Aber es war zum Beispiel spannend, mit David Benedek im Gelände gute Stellen für Kicker zu suchen und die zu bauen. Er ist zwar jetzt nicht mehr so aktiv, hat sich aber in seiner Karriere sehr viel damit beschäftigt – und davon kann man profitieren. Luis hat auch extrem schnell dazugelernt.  

Braucht man eigentlich unbedingt einen Bergführer?
Wenn man sich selbst auskennt, nicht unbedingt. Aber man hat mehr Optionen. Manchmal ist man sich nicht ganz sicher, wie gefährlich ein Hang ist. Ohne Bergführer würde man den aus Sicherheitsgründen nicht fahren. Mit Bergführer hat man aber eine zweite, verlässliche Meinung.

Sprachpfleger vs. Feministen

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Die Situation:


Es muss ja nicht einmal der unendlich redundante Bastian Sick sein, der Dorfmetzgern im Hauptberuf inzwischen säftelnd erklärt, dass „Bestellen Sie schnell Ihren Braten für’s Festessen“ falsch ist. Es reichen schon der halb redundante Wolf Schneider oder der gar nicht redundante Max Goldt (unbedingt lesen: „Was man nicht sagt“) – und schon wird’s verzwickt. Bei den „Studierenden“ etwa, um nur ein Beispiel zu nennen. „Genderneutralität!“, fordern Feministen und Feministinnen da – vielleicht etwas verkrampfter, als man unbedingt müsste. „Der Student“ respektive „die Studenten“ seien schließlich maskuliner Unterdrückungssprech. „Die Studierenden“ dafür aber in aller Regel sprachlicher Unsinn, wehren die anderen ab – sich vielleicht etwas gewitzter fühlend, als man unbedingt müsste. Gehe ein Studierender nämlich beispielsweise auf eine Demo, werde er schließlich stante pede zum Demonstrierenden. Selbst wenn er dort für die Gleichberechtigung kämpft. Und unvorsichtige Autofahrende könnten Autofahrer, die gerade zu Fuß eine Kreuzung überqueren, überfahren, ohne dass sich daraus ein grammatikalisches Problem ergebe.  

Dort treffen sie aufeinander:


Nie. Das heißt: nie direkt. Sprachpfleger sitzen schließlich in aller Regel in Studierzimmern, Kognakzirkeln und journalistischen Führungsetagen. An Orten also, an denen Feministen verpönt sind. Dafür treffen ihre Ideen aber in sich aufeinander beziehenden Forumsdiskussionen und Blogeinträgen aufeinander. Und dort dann auch ständig und mit lautem Kawumms.  

Darum hassen sie einander: 


Weil alle auf einer Mission sind – und zwar einer selbstauferlegten. Sprachpapst und Weiblichkeitsretter, das ist wie Philosophen-Herrscher im Fährmannsgleichnis: Niemand kommt her und bittet einen drum. Man sucht sich das selbst aus – was ja stets die größten Fanatiker gebiert. 

Das ist die besondere Schönheit dieses Konflikts:


Dass alle für sich genommen Recht haben – und ihre Forderungen sich trotzdem ausschließen. Doch, das gibt’s. Die Sprache ist natürlich männlich dominiert. Königin, Bäuerin und Löwin stehen im Duden unter König, Bauer und Löwe. Und wenn der Boss eine Firma leitet, dann ist das eines von unzähligen Mosaiken zu einem Bild, auf dem Frauen nicht auftauchen. Ob Sätze wie „Der Intendant beziehungsweise die Intendantin ernennt seinen Stellvertreter beziehungsweise seine Stellvertreterin beziehungsweise ihren Stellvertreter beziehungsweise ihre Stellvertreterin“ jedoch die Lösung sind – es ist ein Kreuz.

Das können wir von ihnen lernen:


Nix. Von Extremisten lernen ist nicht gut. Deshalb lieber zwei Sätze, direkt aus dem Leben – einer von der Fußgängerunterführung an der S-Bahnstation Berg-am-Laim, der andere aus einer linken Bar in Marburg: „Alle ChefInnen sind Arschlöcher – überall!“ Und: „Weibliche Nazis nicht verprügeln ist Sexismus!“

Dekorieren und dekodieren

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Zu welchem Geschäft gehört wohl dieses Schaufenster?
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Und dieses?
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Erkennst du's hier?
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Jetzt aber!
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Letzte Chance!
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[seitenumbruch]Dein Ergebnis:

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Die Stadt als Song

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Huchting zum Beispiel. Ein Indie-Ort in Reinform! Wer hätte ohne Sven Regener je davon gehört, abgesehen von den Bewohnern Bremens, die wissen, dass es sich bei Huchting um einen Stadtteil im Bezirk Süd handelt? Dank Regeners Song "Delmenhorst" gehört es aber nun zum kanonisierten Indie-Wissen, dass "hinter Huchting ein Graben ist, der in die Ochtum sich ergießt." Und, hier wird der Sänger konkreter als jedes Navigationsgerät: "Dann kommt gleich Getränke Hoffmann".  

Das Schicksal in Form der Regener'schen Dichtkunst hat Huchting, die Ochtum und Delmenhorst auf ewig in den Globus der Popgeschichte gemeißelt. Dort findet man ein ganzes Ballungsgebiet mehr oder weniger unbekannter Ortschaften, die Musiker - warum auch immer - zu Songnamen inspiriert haben. Kaili (Caribou), Sausalito (Conor Oberst), Karl-Marx-Stadt (Kraftklub), Calgary (Bon Iver), Hollis (Run DMC), Elstree (The Buggles) - ein ganzes Erdkundebuch könnte man damit füllen! Aktueller Neuzugang in der Liste ist das schleswig-holsteinische Neumünster. Den dortigen Tierpark hat ClickClickDecker zum Namensgeber seiner neuen Single gemacht. Dank ihm wissen wir nun, dass dort "der Himmel träge und wütend" ist, dass man im Zoo offenbar frühstücken kann und irgendwo ein "japanischer Hirsch" zu besichtigen sei. Kein Rough Guide hätte uns den Neumünsteraner Zoo charmanter beschreiben können!  

http://www.youtube.com/watch?v=fdI-ftO_Fno "Tierpark Neumünster", der neue Song von ClickClickDecker.

Denn das ist ja das Interessante an der Songwerdung von Ortschaften: Durch den künstlerischen Filter werden Quadratkilometer menschlicher Zivilisation auf ein paar Silben und Details verdichtet. Über den Hamburger Stadtteil Bahrenfeld etwa wissen wir dank Tocotronic nur, dass es sich dorthin gut "im Bus" fährt, und zwar: am liebsten alleine. Welch fabelhafte Reduktion! Und es geht noch kryptischer. Wenn Conor Oberst den Ort Moab im Bundesstaat Utah besingt, ist das einzige, was wir als Hörer von dort konkret mitnehmen, dass er ebenda seine "Wasserflasche füllen wird". Noch nebulöser sind die Andeutungen von Caribou über das ukrainische Seebad Odessa ("She can say, she can say, who knows what she's gonna say") und was uns Bon Iver wirklich über das kanadische Calgary mitteilen will ("There's a fire going out, but there’s really nothing to the south"), sollte ihn dringend mal jemand fragen.  

Wir aber fragen heute: Welche Orte kennst du nur von Songs? Wie stellst du sie dir vor, rein vom Songtext ausgehend? Wie haben Kettcar dein Bild von den "Landungsbrücken" oder von "Wanne-Eickel" geprägt? Summst du unwillkürlich R.E.M., wenn jemand von Reno, Nevada, erzählt? Ging es dir gar wie unserem Kollegen Helten, der bis kurz vor der Abiturprüfung dachte, "Westerland" sei ein Staat irgendwo hinter den Niederlanden?  

Wir haben auf Spotify eine große Playlist angelegt mit Indie-Songs, in denen eher unbekannte Ortschaften vorkommen. Wir ergänzen sie den ganzen Tag über durch die Lieder in den Kommentaren. Hier kannst du sie anhören:

Orte in Indiesongs 

Eins zu null für die Bahn

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Wer übers Wochenende von Stuttgart nach Paris reisen will oder von Frankfurt nach Amsterdam, wählt im Zweifel das Flugzeug. Weil es am schnellsten geht –und Fliegen so schön billig ist. Meinen viele. Doch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat das genauer untersucht und kommt zu dem Ergebnis: Alles falsch. Selbst bei grenzüberschreitenden Flügen sei die Bahn meist billiger als das Flugzeug – und das häufig bei annähernd gleicher Reisezeit. „Uns hat das Ergebnis selbst überrascht“, sagte VCD-Bundeschef Michael Ziesak bei der Präsentation der Studie.



Die Bahn hat laut den Ergebnissen des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) im Vergleich zu Flügen die Nase vorn.

374 internationale Verbindungen hatte sich der Zürcher Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes im Auftrag des VCD angesehen. Dabei berücksichtigte er nur solche Strecken, bei denen die Gesamtreisezeit per Bahn nicht allzu viel länger als die per Flugzeug dauert – jedenfalls dann nicht, wenn man zu den reinen Flugzeiten noch zwei Stunden hinzuaddierte. Sauter-Servaes hält das für gerechtfertigt, da Flughäfen normalerweise außerhalb von Städten liegen – anders als viele Bahnhöfe. Man benötige also längere Anfahrtzeiten, außerdem gebe es Wartezeiten beim Check-In, bei der Sicherheitskontrolle sowie beim Einsteigen ins Flugzeug.

Mit diesem Zeitpuffer versehen, ermittelte der Mobilitätsforscher insgesamt elf grenzüberschreitende Verbindungen, auf denen Bahn und Flugzeug konkurrieren. Darunter etwa die Verbindung Frankfurt – Basel, für die die Bahn knapp drei Stunden benötigt. Das Flugzeug braucht zwar nur 45 Minuten, rechnet man aber die von Sauter-Servaes kalkulierten zwei Stunden für das Drumherum hinzu, kommt man auf eine vergleichbare Reisezeit. Weitere getestete Verbindungen sind etwa Frankfurt – Amsterdam, Stuttgart – Paris oder auch Hamburg – Kopenhagen.

Drei Reisearten wurden untersucht: die eintägige Geschäftsreise (morgens hin, abends zurück), der Wochenendtrip für zwei Personen sowie die zweiwöchige Urlaubsreise für eine Familie mit zwei Kindern. Zudem wählte der Forscher vier Buchungszeiten aus: einen Tag vor der Reise, eine Woche, vier Wochen und zwölf Wochen vorher. Die Preise für die Flugtickets entnahm er dem Internetportal billigflieger.de, die Bahnticket-Preise überwiegend der Seite bahn.de. Das Ergebnis: In 93 Prozent der Fälle war Bahnfahren günstiger als Fliegen. Im Schnitt war der Flugpreis sogar doppelt so teuer wie das Bahnticket. Und das, obwohl Bahncard-Rabatte außen vor blieben. Wären die auch noch berücksichtigt worden, wäre der Vorteil der Bahn noch größer gewesen, stellte VCD-Verkehrsreferentin Heidi Tischmann fest.

Ein weiteres Ergebnis: Je kurzfristiger gebucht wird, desto mehr sparen Bahnfahrer im Vergleich zu Flugreisenden. Eine vierköpfige Familie etwa, die spontan Urlaub in Wien machen will und einen Tag vorher bucht, zahlt bei der Bahn im Schnitt 644 Euro weniger als beim Flieger. Selbst wenn sie drei Monate vorher gebucht hätte, hätte sie noch 321 Euro gespart. Bei der eintägigen Geschäftsreise war Bahnfahren sogar durchweg billiger als Fliegen. Nur bei Wochenendtrips hielten Flüge mit Bahnfahren auf einzelnen Verbindungen preislich mit, etwa auf der Strecke Frankfurt – Paris. Für Tischmann steht fest: Nicht nur aus Klimaschutzgründen ist die Reise mit der Bahn dem Flugzeug vorzuziehen. Zumal man bei der Bahn auch noch Bewegungsfreiheit genieße und telefonieren oder im Internet surfen könne.

Einen Haken hatte der Test allerdings: Zumindest bei den eintägigen Geschäftsreisen ist es doch fraglich, ob man zu den Flugzeiten wirklich zwei Stunden dazu rechnen darf. Geschäftsreisende haben meist kein Gepäck aufzugeben und bereits vom Büro aus online eingecheckt. Sobald aber Fliegen eine deutliche Zeitersparnis bedeutet, ist der Preis für Geschäftsreisende zweitrangig. Hätte man das berücksichtigt, wäre das Testergebnis wohl immer noch zugunsten der Bahn ausgefallen – allerdings vielleicht nicht ganz so klar, wie der ökologisch orientierte VCD sich das offenbar gewünscht hat.

Schön ist es dort, wo keine Menschen sind

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Vaters Silis hat einen Tag lang geglaubt, dass er Amerikaner wird. Da war er gerade neun Jahre alt und Bill Clinton kam zum ersten Mal nach Lettland, samt Hillary und Chelsea. Als er im Fernsehen sah, wie die Präsidentenmaschine auf dem Flughafen landete, da hoffte er, dass Bill gekommen war, um sie alle zu Amerikanern zu machen.



Das Festival Nordwind schafft einen Einblick in die lettische Geschichte und öffnet sich auch sonst verstärkt dem Baltikum.

Silis und seine drei Mitspieler gehen in ihrer Performance „Change of Hope“ Kindheitserinnerungen nach. Und weil sie in den Achtzigerjahren geboren sind und in einem Land aufwuchsen, das es noch nicht lange gab, sind die privaten Geschichten oft eng mit dem Zustand Lettlands verbunden. Etwa wenn die lettischen Behörden versuchen, mit einer riesigen Torte für Schulkinder ins Guinnessbuch der Rekorde zu kommen – ein Plan, der daran scheitert, dass niemand ihre Höhe misst. Oder wenn der kleine Silis seinen Verwandten, die kein Geld mehr haben, rät: „Dann müsst ihr eben euer Haus verkaufen. Das ist der Kapitalismus.“

Die Performer – drei Letten und ein Finne – spielen all das sehr charmant. Sie tanzen zu grässlichen 80er-Jahre-Aerobic-Videos, stellen die prägnanten Szenen ihrer Jugend nach und bemalen die Folien eines Overhead-Projektors (das ist zur Zeit europaweit Performer-Mode, wahrscheinlich werden die Geräte inzwischen ausschließlich an Theater verkauft). So bekannt einem diese Ästhetik vorkommt, so neu ist der Inhalt: ein amüsanter Einblick in die lettische Geschichte – und den Blick eines Außenseiters auf Europa.

Das Festival Nordwind hat es sich zum Ziel gesetzt, solche Einblicke zu geben. 2006 wurde es in Berlin als Plattform für Theater, Tanz und Performance aus den skandinavischen Ländern gegründet. In diesem Jahr öffnet es sich verstärkt dem Baltikum. Das macht Sinn: Der lettische Regisseur Alvis Hermanis ist auch hierzulande ein Star. In Städten wie Riga gibt es zunehmend kleine, experimentelle Alternativen zum pompösen Nationaltheater. Und vielleicht sind es auch einfach gute Geschichten, die aus den kleinen baltischen Ländern kommen, die erst den Zusammenbruch der Sowjetunion und dann den Anschluss an Europa erlebt haben. Ein kultureller Mix, der in „Change of Hope“ einmal so definiert wird: „Wir haben die Eloquenz der Schweden, die Melancholie der Finnen und die Leidenschaft der Russen.“

Aus Lettland und Litauen stammen jedenfalls die interessantesten Produktionen, die in Berlin im Hebbel-Theater am Ufer (HAU) und – zum ersten Mal fand das Festival in drei Städten statt – in Dresden in Hellerau und in Hamburg auf Kampnagel zu sehen waren. Eine typisch baltische oder typisch nordische Ästhetik lässt sich dabei nicht erkennen. Kuratorin Ricarda Ciontos ist vielmehr davon fasziniert, dass in den nordischen Ländern jeder Künstler seinen eigenen Weg suche: „Die orientieren sich nicht am mitteleuropäischen Geschmack.“ Während man sich in Deutschland oder in den Niederlanden ständig selbst zitiere und kopiere, gebe es dort mehr Mut zur Eigenständigkeit.

Auf „Nachtasyl“ vom Vilnius City Theatre, einen der Höhepunkte des Festivals, trifft das auf jeden Fall zu. Der litauische Regisseur Oskaras Koršunovas hat Gorkis Stück über einen Haufen gescheiterter Menschen auf wenige Figuren verdichtet. Die sitzen an einer weißen Tafel, die leer ist bis auf ein paar Cracker und Schnapsgläser. Erste Überraschung: Litauische Schauspieler trinken, wie man riechen kann, echten Schnaps, und das nicht zu knapp.

Das macht Sinn, denn alles an ihrem Spiel ist intensiv: Man trinkt, man philosophiert, man erniedrigt und beleidigt sich. Einer verzieht sich zum Beten. Und wie man dann, immer wenn es still ist, ein Murmeln hört, das erinnert in seiner Zartheit und leisen Poesie an die Arbeiten von Jürgen Gosch. Dass zwischendurch das Publikum angespielt wird, scheint diesem Konzept zuwiderzulaufen. Aber es passt dann doch. Einer der Schauspieler klettert über die Sitze, um mit einem Zuschauer Bruderschaft zu trinken. Er erklärt ihm: „Du bist erst ein Mensch, wenn du besoffen bist.“ Ein Credo, das die Figuren beherzigen.

Während in der Mitte der Bühne die Menschen zugrunde gehen, sich bewusstlos saufen, prügeln und schließlich erhängen, sind rechts Dias zu sehen: Meer, Wald, Dünen, entrückt und idyllisch, immer scheint die Sonne. Schönheit, sagen diese Bilder, ist da, wo die Menschen nicht sind. Eine Idee, auf die man in der Weite Litauens vielleicht eher kommt als anderswo.

Angriff auf die "Bonzenjäger"

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Der Volksmund irrt, wenn er behauptet, böse Menschen würden keine Lieder kennen. Als strammer Rechtsaußen zum Beispiel hat man in Deutschland ein potenziell bestürzend großes Repertoire, das zeigt die Kiste voller CDs, die am Mittwoch in einem Konferenzraum des Landeskriminalamts in Sachsen aufgeklappt herumsteht.



IT-Spezialist beim LKA, Marcel Karras, arbeitete sechs Monate lang an der Programmierung eines des neuen Analysetools „Nazi-Shazam“.

Die Gruppe „Bonzenjäger“ ist im Programm, daneben wallt „Arisches Blut“ und meutern die „Freibeuter“. Bislang mussten sich Beamte des LKA einzeln durch jede dieser CDs hören, um indiziertes Liedgut zu ermitteln, sie hatten Textzeilen zu identifizieren und diese dann mit DAREX abzugleichen, einer Datenbank innerhalb der Antiterrordatei. Eine mühselige Arbeit ist das und eine fast aussichtslose wird es, will man neben den CDs auch noch die stetig wachsende Zahl von Online-Radios mit rechtsextremistischer Musik überwachen.

Schon deswegen dürften die sechs Monate Arbeit gut investiert sein, die Marcel Karras mit der Programmierung dessen verbracht hat, was nun unter dem Rufnamen „Nazi-Shazam“ firmiert.
Karras arbeitet als IT-Spezialist beim LKA Sachsen und spricht in Maschinendeutsch lieber von einer „Audiofingerabdruckreferenzdatei“, meint aber im Grunde dasselbe: eine Software, die Musik scannt und sie mit der schwarzen Liste einer Datenbank abgleicht. Bisher brauchte es eine Mannarbeitswoche, um acht Stunden völkischer Musik zu überprüfen. Mit der Audiofingerab... also, mit Nazi-Shazam dauert die Überprüfung eines Titels nur noch wenige Sekunden. Die Software nimmt alle 200 Millisekunden eine Art Fingerabdruck der Klangfrequenz. Pro Lied kommen etwa 1200 solcher Fingerabdrücke zusammen, sie werden zusammengefasst in einer gerade mal 15 Kilobyte großen Datei.

Die Beamten des LKA können nun Fingerabdrücke von neuen CDs oder aus Livestreams nehmen und diese durch die Datenbank schicken. Ähneln oder gleichen sich Abschnitte eines Frequenzgebirges mit denen eines bereits indizierten Songs, schlägt die Software an. Schlägt sie nicht an, muss das Lied wie bislang üblich individuell abgehört werden. Deswegen soll die Datenbank zwei Listen enthalten. Eine schwarze Liste für verbotenes Liedgut, und eine weiße für den Persilschein auf dem kurzen Dienstweg. Karras bringt dafür bei der Präsentation am Mittwoch ein schönes Beispiel: Das Lied „Landungsbrücken raus“ von Kettcar gehört natürlich auf die weiße Liste, auch wenn der Titel anderes vermuten lassen könnte.

Bei der jüngsten Konferenz seiner Kollegen hat Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) bereits für die Software geworben, „der nächste Schritt muss sein, dass der Bund übernimmt“. Die Datenbank soll auf einem zentralen Server eingerichtet werden, auf den dann alle LKAs Zugriff hätten und auf welchem sie neue Musik für alle speichern könnten. „Momentan“, sagt ein Abteilungsleiter des sächsischen LKA, sei es noch so, „dass eine CD, die sich ein sächsischer Beamter angehört hat, einer aus Thüringen dann vielleicht noch mal anhören muss“. Die Software, sagt Marcel Karras, laufe inzwischen zwar recht stabil, aber es stünden erst Fingerabdrücke von 7000 Titeln zum Abgleich bereit. Damit das Programm wirksam funktioniere, müssten nun Behörden aller Länder ihre CD-Sammlungen speichern. Das aber, sagt Karras, sei „leider wirklich noch Zukunftsmusik“.

Rückfall in dunkle Zeiten

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"Stolz, homosexuell zu sein", steht auf den Plakaten der Versammelten in Neu Dehli. Das Oberste Gericht hat Homosexualität wieder unter Strafe gestellt.

Das Oberste Gericht in Indien gilt gemeinhin als progressiv, zumindest war das die Einschätzung bis Mittwoch. Da kassierten die Richter den Urteilsspruch einer vorherigen Instanz, die 2009 einen für Indien bahnbrechenden Beschluss gefasst hatte: Die Richter hebelten damals den umstrittenen Abschnitt 377 des Strafgesetzbuches aus. Er stammt aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft. Darin heißt es: Gleichgeschlechtlicher Sex sei mit einer Geldbuße oder bis zu zehn Jahren Gefängnis zu bestrafen.

Nun kommt also die Rolle rückwärts, der Passus bleibe in Kraft, stellten die Obersten Richter klar. Vertreter von Menschenrechtsgruppen reagierten empört auf die Entscheidung. Für Indiens Schwule und Lesben sei das Urteil ein schwerer Rückschlag, das Land erlebe einen „schwarzen Tag“, sagte der Chef der indischen Sektion von Amnesty International. Der Beschluss der Justiz werde dazu führen, dass konservative Teile der Gesellschaft „diejenigen dämonisieren, die andere sexuelle Präferenzen haben als sie selbst“, sagte Pranay Sharma, leitender Redakteur beim Nachrichtenmagazin Outlook. Das Gericht werde einen Teil seiner Reputation einbüßen.

Die linksgerichtete Juristin Indira Jaisingh, die für die Generalstaatsanwaltschaft arbeitet, geißelte das Urteil als Ausdruck einer „mittelalterlichen Denkweise“. Die Justiz habe eine historische Gelegenheit verpasst, sich als Hüter der Grundrechte zu positionieren. Die Richter begründeten ihr Urteil damit, dass die Justiz nicht befugt sei, einen Passus des Strafgesetzbuches abzuschaffen. Dies sei die Aufgabe des Parlaments, das eine Reform auf den Weg bringen könne. Nur der Gesetzgeber könne klären, „ob es wünschenswert ist, Abschnitt 377 des Strafgesetzbuches zu tilgen“.

Politiker der hindunationalistischen Oppositionspartei BJP, die gute Chancen hat, bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr zur stärksten Kraft zu werden, hatten gemeinsam mit religiösen Gruppen das Oberste Gericht angerufen und gefordert, den vorherigen, liberalen Richterspruch zu kassieren. Ihr Argument: Gleichgeschlechtlicher Sex verstoße gegen die religiösen und kulturellen Werte des Landes.

Tatsächlich ist der Alltag in Indien von konservativem Gedankengut geprägt, intime Beziehungen sind nach weit verbreiteter Meinung allein Mann und Frau vorbehalten. Homosexualität wird nicht selten als Krankheit betrachtet. Allerdings haben sich in den vergangenen Jahren – auch gestärkt durch den Richterspruch von 2009 – mehr Schwule und Lesben öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung bekannt. Ein Gericht in Delhi hatte damals entschieden, der Abschnitt im Strafrecht, der „widernatürlichen Geschlechtsverkehr“ untersagt, verstoße gegen die Grundrechte.

Im Gesetz ist sowohl von gleichgeschlechtlichem als auch von Sex mit Tieren die Rede. Beides fällt unter diese Definition. Zwar wird der Paragraf formal selten angewandt, korrupte Polizisten nutzen ihn aber aus, um Homosexuelle zu schikanieren.

Das Urteil sei ein Rückschritt für das Land, weil es die de facto vorhandene Tolerierung von Homosexualität schwieriger mache, sagte Axel Harneit-Sievers, der das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Delhi leitet: „Die Polizei könnte versucht sein, Betroffene wieder verstärkt zu erpressen“, fügte er an. Juristisch sei das Urteil aber wohl nicht zu beanstanden. Schließlich sei die Praxis des vorgelagerten Gerichts, ein bestehendes Gesetz außer Kraft zu setzen, zumindest fragwürdig. „Die Politik ist nun gefragt zu handeln“, sagte Harneit-Sievers. Er bezweifelt allerdings, dass „aufgrund des gesellschaftlichen Konservatismus eine liberalisierende Gesetzesänderung durchs Parlament kommt“.

Justizminister Kapil Sibal ließ unmittelbar nach dem Richterspruch erkennen, dass von der Regierung in dieser Angelegenheit keine Initiative zu erwarten sei: Das Urteil müsse „respektiert werden“, sagte er. Die Rechte von Homosexuellen zu stärken, hat für die Kongresspartei unmittelbar vor den Wahlen keine Priorität. Die Partei ist durch Korruptionsskandale schwer angeschlagen.

Die Luft ist raus

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Bei der Vorstellung der Mietfahrräder im Jahr 2010 drehte Londons Bürgermeister Boris Johnson grinsend ein paar Runden für die Kameras. Sein teurer Anzug war wie üblich verknittert, seine blonden Haare flatterten im Wind, und manchmal hob Johnson vorsichtig eine Hand vom Lenker, um freundlich zu winken. Anschließend hielt er eine seiner ziellos mäandernden Reden und gab seiner Hoffnung Ausdruck, die neuen blauen „Barclays Bikes“ würden bald ebenso für London stehen wie schwarze Taxis und rote Busse. Mehr als 20 Millionen Mal sind die Räder seitdem innerhalb Londons genutzt worden. Jetzt hat die Bank Barclays bekanntgegeben, sie werde ihren 2015 auslaufenden Vertrag als Sponsor nicht verlängern. Die Zukunft der Räder ist damit ungewiss.



Die Sponsoren der "Boris Bikes" werden den Vertrag nicht verlängern. Die Versuche einen neuen Sponsoren zu finden, misslangen.

Die Gründe für den Rückzug der Bank sind etwas rätselhaft. Barclays und Bürgermeister Johnson sind oft dafür kritisiert worden, dass sie einen Hinterzimmer-Deal ausgetüftelt hätten, bei dem die Bank viel zu gut wegkomme. 25 Millionen Pfund hat das Unternehmen für fünf Jahre bezahlt, dafür steht der Name an jedem der 8000 Räder, die sich beständig durch London bewegen, zudem an jeder der 570 Mietstationen. Ein Schnäppchen, finden Kritiker. Eine Verlängerung des Vertrags bis 2018 hätte Barclays weitere 25 Millionen Pfund gekostet. Nach Informationen des Guardian hat Bürgermeister Johnson im Hintergrund eifrig versucht, einen neuen Sponsor zu finden, bevor Barclays den Ausstieg verkündet. Das misslang.

Im üblichen Konzernsprech teilte die Bank mit, man habe eine „strategische Überarbeitung der Sponsoren-Programme“ vorgenommen und sich „aus kommerziellen Gründen“ gegen die Weiterführung des Engagements entschieden. Wahrscheinlicher ist, dass es zwei andere Gründe waren, die die Bank zum Rückzug bewegten, ein lustiger, ein ernster.

Der lustige Grund: Niemand in London nennt die Räder „Barclays Bikes“, sie heißen nach dem Bürgermeister „Boris Bikes“. In privaten Gesprächen erzählen Finanzmenschen seit Längerem, wie sehr das den Marketing-Leuten von Barclays auf die Nerven falle. Es herrsche dort das Gefühl, man bezahle in Wahrheit eine Imagekampagne für den Bürgermeister.

Der ernste Grund: In den vergangenen Wochen ist eine Diskussion über die Sicherheit auf Londons Straßen entbrannt. In diesem Jahr sind 14 Radler im Verkehr zu Tode gekommen, das liegt im Durchschnitt. Sechs von ihnen starben jedoch Anfang November innerhalb von 13 Tagen. Der Evening Standard fragte daraufhin, was eigentlich gefährlicher sei: in London Rad zu fahren oder in Afghanistan in der britischen Armee zu dienen? Zumindest, schrieb der Standard, seien weniger Soldaten als Radfahrer umgekommen.

Nicht überall wurde die Diskussion derart zugespitzt geführt, aber doch durchweg erregt. War London zur Todesfalle für Radfahrer geworden? Gut möglich, dass auch diese Debatten der Marketing-Abteilung der Bank das Gefühl gaben, um Fahrräder künftig besser einen Bogen zu machen.

Dabei ist Radfahren in London längst nicht mehr so gefährlich wie vor zehn oder fünfzehn Jahren. Boris Johnson ist selbst Radfahrer, er hat seit seiner Wahl im Jahr 2008 viel für die Radler getan. Dafür lässt er sich gerne feiern und verschweigt stets, dass er auf den Vorarbeiten seines Vorgängers Ken Livingstone aufbauen konnte. Livingstone hat 2003 eine Gebühr für Autos eingeführt, die in die Innenstadt fahren wollen, und damit das Verkehrsaufkommen im Zentrum verringert. Vor allen Dingen hat er die Einführung der Mietfahrräder initiiert. Doch bis sein Herzensprojekt an den Start ging, hatte er eine Wahl verloren, und so musste er erleben, dass die Räder nicht als „Ken Bikes“ in die Geschichte der Stadt eingingen, sondern nun den Namen seines Rivalen tragen.

Mittlerweile hat Boris Johnson in der Londoner Innenstadt ein paar sogenannte Fahrrad-Autobahnen einrichten lassen, schon seit Livingstones Zeit, der von 2000 bis 2008 Bürgermeister war, wird das Radwegenetz beständig ausgebaut. Es ist noch nicht so dicht wie in vielen europäischen Großstädten, aber viel, viel besser als vor 15 Jahren; damals fuhren nur Irre und Lebensmüde in London mit dem Rad.

Viele Aktivisten, unter ihnen auch der ehemalige Bahnrad-Olympiasieger Chris Boardman, haben nach den vielen Todesfällen gefordert, dass Lastwagen zu Stoßzeiten aus der Innenstadt verbannt werden. Neun der 14 Toten dieses Jahres sind umgekommen, weil sie in den toten Winkel eines Lasters geraten waren, der gerade links abbog.

Boris Johnson steht der Forderung skeptisch gegenüber, doch bereits Anfang des Jahres hat er eine neue Stelle im Rathaus geschaffen, die den Radlern zugutekommen wird: Seit Januar ist Andrew Gilligan der erste Fahrrad-Beauftragte der Hauptstadt. Gilligan ist ein so beliebter wie begehrter Mann, denn er hat die Aufgabe, bis 2020 rund eine Milliarde Pfund für Fahrrad-Infrastruktur in London auszugeben. Eher nebenbei obliegt es ihm auch, einen neuen Sponsor für die „Boris Bikes“ zu finden – und vielleicht einen etwas besseren Vertrag abzuschließen als sein Chef.

Stoß um Stoß

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Nicht jeder kann sein Berufsleben mit Prügeleien zubringen und hinterher noch Oppositionsführer in der Ukraine werden. Etliche Boxer leiden schon in jungen Jahren unter neurologischen Einschränkungen und erkranken früh an Demenz oder Parkinson. Aber auch in anderen Sportarten wird das Gehirn offenbar stärker beeinträchtigt, als Ärzte bisher annahmen.



Häufige Stöße gegen den Kopf können die Leistungen des Gehirns nachhaltig beeinträchtigen. Ob das die beiden Boxerinnen Somona Galassi (li.) und Susi Kentikian wissen?

Die Schäden, die sich Athleten beim Eishockey, American Football und auch beim Fußball zuziehen, sind nicht zu unterschätzen. Auch wenn es nicht zur Gehirnerschütterung kommt, sind die Folgen von Stößen und anderen Einwirkungen auf die Nervenverbindungen nachweisbar, wie Forscher im Fachblatt Neurology (online) von Donnerstag zeigen.

Das Team um den Psychiater Thomas McAllister vom Dartmouth College verglich 80 junge Erwachsene, die Eishockey oder American Football spielten, mit ebenso vielen Athleten, die keine Kontaktsportart betrieben, sondern Leichtathletik oder Skilanglauf. Die Eishockey- und Fußballspieler trugen speziell präparierte Helme, mit denen die Häufigkeit, Intensität und Richtung der Stöße aufgezeichnet wurde. Nach einer Saison zeigte sich, dass die College-Sportler, die immer wieder Schläge auf den Kopf bekamen oder mit ihren Gegnern zusammengeprallt waren, Veränderungen in der Hirnstruktur aufwiesen. Die als Balken bezeichnete Verbindung zwischen beiden Hirnhälften war aufgelockert; die Nervenverknüpfung in Mandelkern und Hippocampus ebenfalls. Auch in einschlägigen Tests zur Merkfähigkeit und Verbalisierung schnitten die Kontaktsportler nicht so gut ab.

„Wer schlechtere Ergebnisse in den Kognitionstests erzielte, wies auch größere Veränderungen in der weißen Substanz auf“, sagt Thomas McAllister. „Es gibt offenbar einen Zusammenhang zwischen der Intensität und Häufigkeit der Stöße und dem Ausmaß der strukturellen Veränderungen im Gehirn.“ Bei den Kontaktsportlern wurden pro Saison durchschnittlich 500 Einwirkungen auf den Kopf gemessen. Besonders die durch Stöße ausgelösten Beschleunigungen, nach denen das Gehirn in der Schädelkalotte gleich wieder abrupt abgebremst wird, strapazieren im Wortsinne die Nerven.

„Die Addition von vielen kleinen Traumata ist in der Summe viel schädlicher, als wir bisher angenommen haben“, sagt Florian Heinen, Leiter der Neuropädiatrie am Haunerschen Kinderspital der Universität München. „Es ist vergleichbar mit der Summierung von vielen geringdosierten Röntgenaufnahmen: Man wird den Schaden nicht mehr los.“ Heinen betont allerdings, dass es schwierig ist, aus den Befunden im Kernspin und den Ergebnissen der Gedächtnis- und Lerntests Rückschlüsse auf mögliche Beeinträchtigungen im Alltag zu ziehen: „Wir sehen Veränderungen, die zu Schädigungen passen, und können insgesamt sagen: Das Gehirn ist empfindlicher geworden.“ Andererseits gibt es etliche ehemalige Profis aus Kontaktsportarten wie Fußball, die führende Positionen in Bundesligavereinen bekleiden und nach landläufiger Einschätzung als kognitiv alltagstauglich gelten.

Ende vergangenen Jahres hatte eine Arbeitsgruppe der Universitäten Harvard und München angehende Profifußballer mit Schwimmern verglichen und deutliche Strukturunterschiede in der weißen Substanz festgestellt (JAMA, Bd.308, S.1859, 2012). Obwohl sie zuvor keine Gehirnerschütterungen aufwiesen und auch keinerlei neurologische Ausfälle zeigten, war bei den Fußballern die Nervenverknüpfung ungeordneter. „Schon häufiges Fußballtraining mit zahlreichen Kopfbällen hinterlässt Spuren im Sinne von Mikrotraumen im Gehirn“, sagt Heinen. Einige Spieler der nordamerikanischen Profiligen im Eishockey und Football hatten in den vergangenen Jahren ihre Karriere frühzeitig beenden oder unterbrechen müssen, weil nach Zusammenstößen ihre Koordinationsfähigkeit und ihr Gleichgewicht stark beeinträchtigt waren.

Wie das Internet... Warteschleifen umgeht

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Das Problem:

Du wartest jetzt schon seit Ewigkeiten auf ein Paket, doch es scheint irgendwie vom Erdboden verschluckt zu sein. Kein Paket, nicht mal eine Benachrichtigung im Briefkasten, und Weihnachten rückt immer näher. Der "Sendungsverfolgung" im Internet kannst du entnehmen, dass es angeblich schon längst ausgeliefert wurde. Bleibt nur noch die Möglichkeit, die du eigentlich umgehen wolltest: die Service-Hotline anrufen. Nicht nur, dass diese Hotlines oft kostenpflichtig sind und du Gefahr läufst, für den Anruf genauso viel Geld loszuwerden wie für den Inhalt des Pakets. Noch schlimmer ist, dass du bei den meisten Hotlines auch noch gefühlte Stunden in der Warteschleife hängst, mit glühendem Trommelfell angesichts der 38. Wiederholung von "Für Elise". Bloß, auflegen geht auch nicht. Denn dann wäre ja alles umsonst gewesen.

Die Lösung:
Eine Website, die verspricht, Warteschleifen einfach zu umgehen. Für Anbieter aus verschiedensten Bereichen findest du kostenlose Hotline-Nummern, die sogar schon mit einem Themengebiet gekennzeichnet sind. Im Idealfall landest du also direkt beim Experten für dein Anliegen. Ist eine Unterhaltung mit einem der furchtbaren Telefon-Computer unausweichlich, verrät dir diese ebenfalls sehr nützliche Seite, wie du mit bestimmten Tastenkombinationeneinen Mitarbeiter an die Strippe bekommst. Dein Ohr wird es dir danken.

Wenn zwei sich streiten

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SEBASTIAN

Mein einprägsamstes Erlebnis zum Thema Streit war ein Gespräch, das ich im Alter von vielleicht zehn Jahren belauschte. Ein mit meinen Eltern befreundetes Ehepaar gab damit an, dass es sich noch nie gestritten habe, denn es sei ständig einer Meinung. Zwei Monate später lebte das Paar in Scheidung und der kleine Sebi hatte sich eine unauslöschliche Weisheit auf die Innenseite seines Gehirns tätowiert: Regelmäßiges Streiten schützt vor Trennung.  

Wenn man sich Nadines und mein Streitverhalten so ansieht, merkt man schnell, dass diese früh gelernte Regel von uns treu sorgend befolgt und sauber kultiviert wird. Schon seit unseren ersten Annäherungsversuchen ist unser Verhältnis von Auseinandersetzungen geprägt, die es in sich haben. Nadine hat als Hauptgrund dafür stets meine "kalte, herzlose Art, die nichts kennt als Prinzipien und Dogmen" genannt, während ich Nadine dann immer schlicht als "Hysterikerin" bezeichnen habe, was nicht selten zu Tränen, gepackten Koffern und diversen geknallten Türen geführt hat.  

Sperrt man solche Charaktere zusammen in eine Wohnung, dann geht es bisweilen zu wie im Affenhaus. Und plötzlich sieht man sich in dieser neuen Situation damit konfrontiert, dass Verhaltensweisen, die man sich über Jahre der Fernbeziehung angeeignet und (nach Wirkungsgrad sortiert) stets griffbereit hatte, jetzt wirkungslos sind.  





Zum Beispiel meine liebste Waffe, das Auflegen: Da Nadine als heißer Konflikttyp im Streitfall stets Reibung und Gegenwehr braucht (und im Grunde tiefe Verlassensängste kompensiert) kann ich als kalter Konflikttyp (dem Streit im Allgemeinen zu anstrengend ist) die Kontrolle durch einen ganz einfachen Mechanismus zurückgewinnen: indem ich das Telefon auflege, durch das gerade ein Wirbelwind tobt. Und je nach gewünschtem Wirkungsgrad kann man einfach die nächsten fünf, zehn oder 15 Minuten nicht mehr rangehen, während es ohne Unterlass klingelt. Weißglut beim Kontrahenten garantiert! "Sorry, war gerade in einem Funkloch!"  

Oder mein zweiter lieb gewonnener Trick: das Einschlafen. Während Nadine mir am Telefon mal wieder so richtig die Kopfhaut wäscht, einfach langsam die Äuglein schließen und mich von den wogenden Worten ins Traumland tragen lassen. Sorgt garantiert für gute Stimmung auf der anderen Seite - aber erst am nächsten Morgen. "Sorry, der Streit hat mich sehr erschöpft, mein geschundener Körper hat nach einer Pause verlangt!"  

So etwas fällt in einer gemeinsamen Wohnung natürlich schwerer. Einfacher Rückzug ist kaum möglich, schon steht Nadine mir wieder auf den Füßen. Es bleibt nur die Flucht aufs Klo (stinkt) oder vor die Tür (kalt), beides keine einladenden Alternativen und beide nicht von Dauer (es sei denn man hat vorher wissend ein gutes Buch auf dem Lokus/in der Pinie versteckt). Will ich mal geflissentlich einen Streit durch vorzeitiges Einschlafen beenden, schon rüttelt Nadine mich an der Schulter und erwartet sofortige Wiederaufnahme der Kampfhandlungen.  

Irgendwann wurde mir bewusst, dass Nadine es eigentlich nur sehr gut mit mir meinen konnte, mit den ständigen Streits und Konflikten versuchte sie mich auf die Härte des Lebens einzustimmen. Um nicht länger wie ein zierliches Fähnchen im Windstoß der öffentlichen Meinung umher getrieben zu werden, sondern für die eigene Meinung einstehen zu können wie ein Baum! Und da mein Lernpotential im Fernstudium per Telefon natürlich irgendwann ausgeschöpft war, wurde eine zweite Phase, quasi ein Fortgeschrittenenkurs für Überlebenswillige der Informations- und Diskursgesellschaft nötig. Und ich lerne eifrig. 

Auf der nächsten Seite: die streitlustige Replik von Nadine.
[seitenumbruch]NADINE

Sebi und seine Theorien.  

Angefangen hat alles damit, dass er ein Ehrenamt beim Zuhörtelefon "Nightline" übernahm und ich eines bei der Telefonseelsorge. Während die anderen Ehrenamtler und ich uns in Berlin turbulente Nächte um die Ohren schlugen, in denen das Telefon nie still stand, blieb Sebi beim Zuhörtelefon etwas mehr Zeit für die psychologische Theorie.  

Anstatt einen richtig guten Streit mit mir auszufechten, fängt Sebi deshalb ständig damit an, uns nach Streittypen zu kategorisieren, und versucht, bei mir die Gesprächstheorie nach Carl Rogers anzuwenden – die darin besteht, dass er alles, was ich gerade gesagt habe, einfach noch mal wiederholt, "um es mir zu spiegeln". Danke!  

Solche Streitpartner kann ich nicht gebrauchen! Ich will Streitpartner mit Emotionen und einem messerscharfen Verstand! Meine Streits sind wie meine Erörterungs-Aufsätze in der Mittelstufe, für die ich immer eine Eins bekam: Die Argumente sind gut beobachtet und differenziert, sie steigern sich rhetorisch und emotional, und am Höhepunkt, wenn der Gegner schon wankt, brauche ich nur noch einige wenige Worte fürs Schach Matt. Sebis fragwürdige Streit-Strategie verhindert leider in den meisten Fällen, dass der Streit überhaupt bis zu diesem Punkt kommt. Weil er vor der Auseinandersetzung flüchtet, kann sich nichts verändern, entwickeln, verbessern; die ganze Energie verpufft. Wenn ich mit Sebi streite, fühle ich mich manchmal wie ein Schulkind, das von seiner Psychologinnen-Mutter analysiert wird. Aber für mich ist ein Streit eine Herausforderung, ein Spiel. Einer der Momente, in dem man die Meta-Ebene mal Meta-Ebene sein lassen kann und einfach da ist – genau deshalb endet Streit doch auch so oft im Sex.  

Ob man ein heißer oder kalter Streittyp ist, entscheidet sich laut Sebis Psychologiebuch in der Beantwortung einer einzigen Frage: "Hast du in einem Telefonat schon mal einfach aufgelegt?"

"Ja." = kalt/Sebi
"Nein – und ich würde das auch niemals tun." = heiß/Nadine

In unserer Fernbeziehung hatte sich diesen Kategorien entsprechend schon eine Streit-Dramaturgie eingependelt: Wir streiten – Sebi legt auf. Ich rufe zurück – er geht nicht ran. Ich rufe noch mal zurück – er geht wieder nicht ran. Allein in meinem Zimmer bin ich traurig und denke nach. Als Sebi nach 15 Minuten zurückruft, freue ich mich so, dass ich mich aus Versehen entschuldige. Später ärgere ich mich, denn eigentlich hatte ich Recht.

Deshalb hat sich für mich die Situation durch das Zusammenziehen eindeutig verbessert! Seitdem bin ich mit den Streits nicht mehr alleine. Vielleicht streiten wir erst im Wohnzimmer, dann im Flur und später in der Küche. Aber niemand legt einfach auf.

Gleichzeitig sind die Streits auch kurz und pointiert, wie ich es mag. Denn zumindest am Abend geht man ja wieder im gleichen Zimmer schlafen. Wenn wirklich mal einer im Wohnzimmer übernachtet, käme das schon einer regelrechten Feindschaft gleich. Die kann keiner wollen!  

Und dann ist da noch etwas, ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Das soll jetzt nicht so klingen wie die Ehefrau, die sich für ihren Mann mit Bierwampe auch nicht mehr die Haare wäscht. Aber inzwischen haben wir einfach eine gute Streitfrequenz (circa alle drei Wochen), gute Themen (Kriegsfilme, Gender) und gute Versöhnungsrituale (Spazierengehen, Adventskalender öffnen) gefunden. So schnell wird wegen eines Streits also keiner von uns die Koffer packen – zumindest nicht, um wirklich auszuziehen! 

nadine-gottmann
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