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Der Sonntag mit: Daniel Bröckerhoff, TV-Journalist

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Kein Tag in der Woche ist so frei wie der Sonntag. Für jetzt.de dokumentieren interessante Menschen diesen Tag in Bildern. Diese Woche: Daniel Bröckerhoff, TV-Reporter und Blogger

Name: Daniel Bröckerhoff
Alter: 35
Geburts- und Wohnort: Ruhrpott und seit 14 Jahren Hamburg
So erkläre ich meinen Job meiner Oma: Hola abuelita, yo trabajo como journalista y en el internet. Si! Computador!
Mein liebster Wochentag: Freitag, weil da der Stress der Woche langsam vorbei ist und das Wochende winkt.  
Aktuelle Projekte: In-die-Kamera-Quatscher bei der Talk-Reportage-Sendung „Klub Konkret“ (Einsplus, Mittwoch, 20:15), Über-Medien-Berichter beim Medienmagazin Zapp (NDR, Mittwoch, 23:20), Ins-Internet-rein-Schreiber auf Twitter, Facebook und auf danielbroeckerhoff.de.

7:00 Uhr - Aufwachen. Die übliche kurze “Wo bin ich?”-Verwirrung, die man hat, wenn man an fremde Decken starrt. Achja. Berlin. Die neue Übergangswohnung meines Bruders, die so eingerichtet ist, als habe sich ein farbenblinder Grauer-Star-Patient beim Sperrmüll eingerichtet. 13 verschiedene Holztöne haben wir am Vortag gezählt. Muss man auch erstmal schaffen.

8:45 Uhr - S-Bahn. Erstmal Facebook checken: Sabine und Katrin waren gestern betrunken. Robert geht heute boarden, hat aber schlechte Laune. Verena will nicht aufstehen. Manchmal frage ich mich, wer das alles wissen will. Aber es gibt ein so schönes Gefühl der artifiziellen Verbundenheit. Auch wenn ich Verena und Robert zum Beispiel noch nie in Persona getroffen habe. Facebook zu. Noch zu früh für Nachrichten und Twitter. Also 9gag auf, lustige Bilder gucken. Ein Mann in Schweden hat angeblich auf einer Bachelor-Party vier Frauen geschwängert, die nun alle fast zeitgleich ein Kind von ihm bekommen haben:





9:45 Uhr - ICE. Ein pünktlicher und nicht überfüllter Zug. Endlich Frühstück. Das Leben kann so einfach sein.





Ich komme nicht dazu, Naomi Wolfs „The End of America“ weiter zu lesen. Eine gestern begonnene Twitter-Diskussion mit einem Juristen aus Berlin hält mich ab. Er will partout nicht einsehen, warum ich es scheisse finde, dass Moritz Bleibtreu (und Alexandra Maria Lara und Jürgen Vogel UND CHRISTIAN ULMEN!!) Werbung für eine Fast-Food-Kette machen. Ich will die Diskussion eigentlich schon seit gestern beenden. Aber der Herr kommt mit immer neuen haarsträubenden Argumenten angerannt. „Intolerant“ ist dabei mein Lieblingsvorwurf.






11:00 Uhr -  Hamburg. Gestern in Berlin noch den Sommer gefeiert. Heute gibt’s wieder Hamburger Wetter: Regen. Besser schnell dran gewöhnen. Und Gummistiefel sind ja auch sehr kleidsam. Und meine Regenjacke hab ich auch lang nicht mehr angehabt.

11:30 Uhr - Das beste an Sonntagen ist ja, dass man einfach im Bett bleiben kann. Ab dafür:





13:30 Uhr
-  Das schlechte am Tagsüber-nochmal-zwei-Stunden-schlafen ist ja, dass man hinterher aussieht wie Pfirsichmus mit Griesbrei.





13:45 Uhr - Oh cool, mein Bruder hat mir die kitschigste Postkarte aus dem Urlaub zum Geburtstag geschrieben.





Oh cool, mein Bruder hat mir einen Kühlschrank bei seinem Umzug überlassen, der tropft.





Oh cool, die Radieschen in dem Kühlschrank, den mir mein Bruder bei seinem Umzug überlassen hat und der tropft, haben die nächste Daseinsstufe erreicht und sich zunehmend verflüssigt. Das Leben auf der Erde – ein faszinierendes Mysterium!





Das Mysterium mach ich... ähm... später weg. Solange kommt ein Museumsschild dran. 

14:00 Uhr - Haushaltswechsel, auf zu meiner Freundin. Wir erwarten Gäste aus unserem Verein zur Förderung der deutsch-brasilianischen Musik- und Tanzkultur. Kurz kann man auch „Sambaschule“ dazu sagen. Oder therapeutisches Trommeln. Oder „gute Entschuldigung, um Freunde zu treffen, Lärm zu machen und viel Bier zu trinken“. Neben den wöchentlichen Proben treffen wir uns einmal im Monat bei jemandem zuhause, um in geselliger Runde die Kultur des mit „Tisch-Samba“ wohl am besten zu umschreibenden Musik-Stils zu pflegen. (Die Wikipedia hat unter „Pagode“ eine hübsche Beschreibung dazu.) Heute ist meine Freundin dran. Vorher: Mittagessen.





15:30 Uhr - Die ersten Gäste sind eingetrudelt. Plausch am Küchentisch über die neuesten Krankheiten, wer mit wem ein Kind bekommt und wie es auf der Arbeit läuft. Vereinsleben, wie ich es mag.

16:00 Uhr - Wir switchen von „Deutscher Verein“ auf „brasilianische Chaosrunde“. Die Teile mit Gesang erspare ich der Öffentlichkeit. Das ist noch nicht vorzeigbar und wäre vermutlich rufschädigend für alle Beteiligten.  

20:00 Uhr - Die Gäste sind weg, heiser und müde getrommelt. Nachbarn sind keine aufgetaucht und auch die Polizei wollte nicht mitspielen. Zurück zu mir und schnell noch staubsaugen.





Jetzt: Gemütlichkeit. Mit Heizungsluft. Hurra! Der Herbst ist da! Und mein innerer Pofalla erklärt den Sommer für beendet.

21:00 Uhr - Zum Ausklang: Einmal Berieselung durch Bewegtbild bitte. Doch was die lineare Fernsehlandschaft zu bieten hat ist mal wieder... äh... Außerdem hat schon alles angefangen. Zum Glück gibt es ja seit einiger Zeit Video-on-Demand-Dienste und mit watchever.de bin ich mehr als zufrieden. Ausdrückliche (und unbezahlte) Empfehlung. Nach dem üblichen Hin-und-Her (sie will was fürs Herz, ich will was zum nicht-Nachdenken) entscheiden wir uns für „Brügge sehen – und sterben...?“




Schöner Film, schöne Bilder, schönes Sterben. Gute Nacht.

Die Wahl-Kolumne (Folge 13 und Schluss): der Showdown

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Nach sechs Monaten auf der Suche nach einer Entscheidung ist Michèle klüger - zumindest ein bisschen. Zeit für die finale Prüfung im Internet.

Am lustigsten war der handgeschriebene Brief eines älteren Herrn aus Norddeutschland. Er erklärte mir nach der Folge, in der es um Netzpolitik ging, dass das Internet total unwichtig sei und sich in wenigen Jahren von selbst erledigt haben werde. Und auch sonst habe ich viel Post und Kommentare zu dieser Kolumne bekommen. Immer mal wieder nicht so schöne, aber hauptsächlich freundliche und engagierte. Schmeiße ich das jetzt in einen Topf und mische es mit dem, was ich während dieser Kolumne erlebt habe, ergibt das für den heiß erwarteten kommenden Sonntag Folgendes: I have no fucking idea. Da habe ich mich aus meiner politisch-unwissenden Komfort-Zone heraus getraut und sechs Monate mit Politik beschäftigt – und trotzdem ist die Verwirrung knapp eine Woche vor der Wahl groß.    

Die CDU, so viel weiß ich jedenfalls, kommt für mich nicht infrage. Ich mag Nachplapperer nicht und das mit der Mietpreisbremse war bizarr dreist geklaut. Wobei ich sowieso nicht glaube, dass irgendeine Partei das durchziehen kann, so krass kann man nicht in den Markt eingreifen. Die Unions-Anhänger bei meinem Bierzeltbesuch in Trudering lassen mich noch heute schaudern. Außerdem: Das Geeiere um die Homo-Ehe war eine Sauerei! Und die SPD? Naja, ich mag die spröde Art von Herrn Steinbrück irgendwie, und seine Entourage, zum Beispiel Gesche Joost, ist mir sympathisch. Aber reicht das? Inhaltlich sehe ich das Steuerkonzept kritisch, ich finde 60 000 Steine eine zu tiefe Grenze. Mit so einem Jahreseinkommen ist man sicher nicht arm, aber auch kein Dagobert Duck.    



13 Folgen lang war Michèle auf der Suche nach der richtigen Entscheidung. Am Sonntag ist es soweit.

Lieber ist mir dann die Grenze der Grünen von 80 000 Euro. Überhaupt haben mir die Grünen ziemlich gut gefallen. Einfach weil sie das Spotlight auf diskussionswürdige Themen lenken, die wir aus nachvollziehbarer Bequemlichkeit gerne ausblenden. Wir erinnern uns: Als Fukushima in die Luft ging, erreichten die Grünen bei Umfragen an die 30 Prozent. Lange war das Kernkraftwerk nur noch eine Randnotiz wert, erst jetzt im Wahlkampf ist es wieder unangenehm aufgepoppt, weil es immer noch verstrahltes Wasser ins Meer pumpt. Ich bin für Krawall, schon immer, ich war ein schwieriger Schüler. Und das ist keine Entschuldigung an meinen Mathelehrer Herrn Hutzler.    

Den Radau, den die AfD betreibt, weise ich allerdings weit von mir. Ich halte den Euro und die gemeinschaftliche Idee für ein wichtiges pazifistisches Statement, insbesondere für Länder wie Kroatien. Wenn sich hier jeder abspalten könnte, wie er lustig ist, hätten wir bald wieder Zustände wie im Mittelalter. Und damit geht auch, nebenbei, eine klare Absage an die Bayernpartei: Ihr könnt euer engstirniges Weißbier in eurem Werbebus alleine trinken. Wen hab ich jetzt noch vergessen? Ah ja, die FDP. Mir gänzlich unsympathisch, angefangen bei Herrn Brüderle bis hin zur Parteibasis, die sich für mich aus wohlgenährten Jungunternehmern in mintgrünen V-Kragen-Pullis zusammensetzt. Und die Linke? Nee, dazu bin ich zu egoistisch und geldverliebt. Die Piraten? Ich wähle keine Partei, in der jemand wie Christopher Lauer etwas zu sagen hat. Selten jemanden erlebt, der so selbstverliebt wirkt und Macht offensichtlich als persönliches Lieblings-Accessoire sieht.    

Aber eine letzte Instanz gibt es ja noch: Den Wahl-O-Maten im Internet. Vielleicht schafft der ja mit seinem simplen Find-ich-gut-find-ich-blöd-Prinzip endgültige Klarheit. Und los: Flächendeckender Mindestlohn? Nein. Betreuungsgeld? Auf gar keinen Fall. Tempolimit? No way. Ich fahre gerne schnell Auto. Euro behalten? Jawohl. Strompreisregulierung vom Staat? Ja. Ausbauung der Videoüberwachung? Ja, ich bin einmal überfallen und fast vergewaltigt worden, der Täter wurde nie geschnappt. Wenn du das hier liest: Fick dich!    

Bedingungsloses Grundeinkommen? Nein. Förderung nur für ökologische Landwirtschaft? Ja. Gemeinsamer Unterricht für Kinder aller Kulturen? Logo! Erhöhung des Spitzensteuersatzes? Hmtja, ja. Deutschland soll aus der Nato austreten? Nö, warum denn? Kein Neubau von Kohlekraftwerken? Aber hallo, Schluss mit der Pest. Pille danach soll rezeptpflichtig bleiben? Bullshit! Banken sollen verstaatlicht werden? Neutral. Mehr Flüchtlinge? Nein, wir nehmen schon sehr viele auf, aber Bayern muss die Residenzpflicht abschaffen. Und überhaupt: Die müssen besser integriert werden, das sind ja keine Trottel! Lohnersatz für Angehörigenpflege? Oh ja! Verbot verfassungswidriger Parteien? Klar. Bafög unabhängig vom Einkommen der Eltern? Ja, endlich bitte! Einreisekontrollen? Quatsch. Frauenquote? Ja, Vollgas. Finanzstarke Bundesländer sollen schwache Bundesländer weniger unterstützen müssen? Neutral, obwohl es mich als Bayerin natürlich nervt, den BER-Pfusch mit zu zahlen. Senkung des Rentenalters? Nö, denn wir werden alle immer älter und bleiben fitter. Mehr Migranten im öffentlichen Dienst? Ja, das würde Ausländern den Behördendschungel nämlich auch erleichtern. Verbot von Rüstungsexporten? Ja, obwohl das traurigerweise ein wichtiger Wirtschaftszweig Deutschlands ist. Beibehaltung des Ehegattensplittings? Mir egal. Deutschland soll sich für den EU-Beitritt der Türkei einsetzen? Ja, aber nur wenn Erdogan verschwindet. Abgeordnete sollen Nebeneinkünfte offenlegen? Klar, ich muss dem Finanzamt ja auch jeden Furz rechtfertigen und erklären.    

Kurze Atempause vor dem Rechner. Ich merke, wie oft ich gerne präziser antworten würde, aber das ist ja nicht Sinn der Sache. Ich wollte es einfach, hier habe ich es. Nur von meinen roten Wangen bin ich überrascht. Sich durch solch grundsätzliche Themen zu klicken, berührt mich mehr als ich dachte.    

Kirchensteuer? Nein, sowas von fucking Nein!


Aber gut, weiter: Energieintensive Industrien sollen sich stärker als bisher an der Finanzierung der Energiewende beteiligen müssen? Jau. Hartz-IV-Empfängern sollen weiterhin Leistungen gekürzt werden, wenn sie Jobangebote ablehnen? Nein, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, welche schwachsinnigen Jobs einem das Arbeitsamt vorsetzt. Kirchensteuer? Nein, sowas von fucking Nein! Gesetzliche Krankenversicherungspflicht für alle? Nein, wer privat will und kann, soll das dürfen. In der Euro-Zone soll jeder Staat alleine für seine Schulden haften? Puh, jetzt müsste man halt wissen, wie das genau mit der Umverschuldung funktioniert. Aber das Bauchgefühl sagt: Quark. Europa basiert doch auf einem Solidaritätsprinzip. Würde das sonst nicht heißen, wir sind nur dann solidarisch, wenn es uns in den Kram passt?    

Adoptionsrecht für Homos? Auf jeden! Vorratsdatenspeicherung ohne konkreten Anlass? Neutral. Mietpreisbremse? Ach, schön wär’s, stimm ich doch mal zu. Doppelte Staatsbürgerschaft? Von mir aus. Autobahnmaut? Find ich gut. Volksentscheide auf Bundesebene? Bloß nicht, das gibt nur dauernd Stuttgart 21. Jetzt noch anmarkern, welche Thesen mir besonders wichtig sind: Bafög, Frauenquote, Kohlekraftwerke, Kirchensteuer, Adoptionsrecht, Pille danach und Lohnersatz bei Pflegezeit.    

Ergebnis: 73,9 Prozent für die Grünen, gleich auf mit den Linken, dicht gefolgt von den Piraten mit 72,7. Oha. Mit Herrn Lauer hätte ich nicht gerechnet, mit den Linken auch nicht. Die Grünen finde ich okay. Und wisst ihr, was ich auch okay fände? Wenn ihr am Sonntag alle wählen geht. Danke für sechs Monate Aufmerksamkeit und rege Diskussionen unter dieser Kolumne! Ich wünsch mir nur noch eines: Seid ein bisschen netter zueinander und zeigt diesem Opi aus Norddeutschland, dass er Unrecht hat. Das Internet wird sich keineswegs in Kürze erledigen. Weil es nämlich eine gute Sache ist.

Pflichten erfüllen - beim Wiesnauftakt und im Wahllokal

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Wo sollte man diese Woche unbedingt hingehen? Welchen Film sehen und welchen sich schenken? Jetzt-Mitarbeiter planen ihre Woche.

Wichtigster Tag der Woche
Ganz zweifelsohne: Der Samstag. Da heißts früh aufstehen und ab auf die Wiesn. Sehr passend, dass eine meiner besten Freundinnen ganz pünktlich zum diesjährigen Wiesnauftakt auch noch Geburtstag feiert. In diesem Sinne: Ja zum Mainstream-Event der Superlative, Dirndl aus dem Schrank geholt und ab zum Zug um kurz vor sechs, damit man dieses Jahr auch ohne Probleme ins Zelt reinkommt und anstoßen kann, sobald es wieder heißt: „O zapft is“. 






Politisch interessiert mich...
natürlich, wie die Bundestagswahl ausgeht. Wird Merkel wirklich die Nase vorne behalten und werden die Ergebnisse der Grünen eventuell doch besser aussehen, als die üblen Vorhersagen vermuten lassen? Ich bin gespannt und werde mich, egal wie der Wiesnvortag endet, auf jeden Fall ganz pflichtbewusst auf den Weg zum Wählen machen. 

Kinogang?
Wenn ich mich diese Woche entscheiden müsste, würde meine Wahl wohl auf die französische Tragikomödie „Die schönen Tage“ oder auf die coolere Alternative namens „Lose your head“ fallen. Ein Streifen, in dem Menschen aus der ganzen Welt im Berliner Nachtleben aufeinander treffen und ein junger Mann auf mysteriöse Weise in der Hauptstadt verschwindet. Der dritte Film „Zwei Leben“, den ich für sehenswert halte, überzeugt in erster Linie durch seine starke Geschichte und wird sogar als Anwärter auf die Oscars gehandelt. Wer auf der Suche nach schwerem Stoff ist, scheint mir hier richtig beraten.

Welche Wochenlektüre?
Seit einigen Tagen begleitet mich der Kriminalroman "Manuskript mit Todesfolge" von Jean-Jacques Fiechter auf meinem Weg in die Redaktion. Und sofern mir der Sinn beim S-Bahn fahren nach Lesen steht, bietet diese Lektüre echt gute (wenn auch bitterböse) Unterhaltung. Der Stil des Autors und die Hauptfigur sind mir nicht immer sympathisch, wie ich zugeben muss, aber die Geschichte einer perfide geplanten Racheaktion, ihrer Ursachen und Konsequenzen, das alles macht neugierig auf mehr. Außerdem ist das Buch schön leicht und passt problemlos in fast (jede) Handtasche. 

Werde ich auf jeden Fall tun

An einem verregneten Tag nach Feierabend das Müller´sche Volksbad erkunden. Das habe ich mir jetzt schon so oft vorgenommen aber in drei Jahren München immer noch nicht geschafft.

Keine Chance diese Woche...
haben Winterjacken zum Dirndl. Dann lieber frieren...

Soundtrack der Woche?
Ich persönlich bin im Moment in einer eher rockigen Phase hängen geblieben und höre die meiste Zeit über amerikanische Bands wie Dishwalla oder Poets and Pornstars. Außerdem, ganz zeitlos und immer zu empfehlen: Der Soundtrack von "Into the Wild". Aber genug mit dem alten Zeugs. In dieser Woche werden schließlich auch neue Alben die Verkaufsregale füllen. Auf jeden Fall reinhören will ich bei "Mechanical Bull", dem neuen Album der Kings of Leon. Und auch dem schwedischen Pop-Duo Icona Pop geb ich mal ne Chance, da ich bisher ohnehin nur einen Song von ihnen kenne. Mal sehn ob es sich lohnt, das ändern zu wollen..

Wenn ich irgendwo anders sein könnte...
dann am liebsten irgendwo im Süden. Ein letztes Mal Sonne tanken und morgens keine Handschuhe mehr beim Fahhrad fahren tragen zu müssen - das wär echt ein Traum, bevor der Winter so richtig Einzug hält.

Satz und Sieg

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Homo-Ehe, Klimawandel, Gleichberechtigung: Es geht um viele junge Themen im Wahlkampf, aber was sagen die Jugendorganisationen der Parteien dazu? Wir haben sie gebeten, auf zehn wichtige Stichworte zu antworten. In je einem Satz, denn wir haben ja nicht ewig Zeit.




Sascha Vogt, 33, Vorsitzender der Jusos

Merkel
Langweilig, energielos, visionslos – Gott sei dank ab dem 22. September in Rente.
  
Steinbrück
Zeigt klare Kante und hat eine Vision für Deutschland und Europa, die er als Bundeskanzler ab dem 23. September umsetzen wird.
 
Klimawandel 
Die Energiewende ist eine riesige Herausforderung, nur hat die aktuelle Bundesregierung dabei komplett versagt.
  
Homo-Ehe
Anders als Merkel sind wir nicht homophob und wollen gleiche Rechte für alle Lebensgemeinschaften, auch in der Frage von Adoptionsrechten.
 
Bildung 

Für mehr Chancengleichheit brauchen wir dringend mehr Geld, deswegen müssen die Steuern für Reiche hoch.
 
Marihuana 
Hab ich auch schon ein paar Mal geraucht.
   
Edward Snowden
Für mich ein Held, weil er einen großen Skandal transparent gemacht hat.
 
Reichtum
Muss man stärker besteuern.
   
Jugendarbeitslosigkeit 
Das derzeit größte Problem in den südeuropäischen Ländern, daran ist vor allem die Krisenpolitik der aktuellen Bundesregierung Schuld.

Gleichberechtigung
Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit – es ist verdammt ungerecht, dass Frauen immer noch ein Viertel weniger als Männer verdienen.




Philipp Mißfelder, 34, Bundesvorsitzender der Jungen Union

Merkel
Angela Merkel ist und bleibt eine starke Kanzlerin.
 
Steinbrück
. . . und Steinbrück ein schwacher Kandidat.
 
Klimawandel 
Ein umstrittenes Thema, das teuer werden kann.
 
Homo-Ehe 
Bei dem Thema rate ich zur Vernunft, deswegen folgen wir den Verfassungsgerichtsurteilen.
 
Bildung 
Bildung ist der Rohstoff für unsere Zukunft, deshalb müssen wir so viel Geld wie möglich darin investieren.
  
Marihuana
Halte ich nach wie vor für eine Droge.
 
Edward Snowden 
Er hat definitiv unsere Zeit verändert und die Glaubwürdigkeit der Amerikaner erschüttert.
 
Reichtum
Reichtum ist, wenn jemand von seinen Zinsen leben kann, ohne zu arbeiten; wer so reich ist, muss Verantwortung übernehmen.
 
Jugendarbeitslosigkeit
Ist in Deutschland kaum noch ein Thema, aber überall sonst in Europa die größte Sorge, deswegen müssen wir solidarisch sein.
 
Gleichberechtigung
Sie werden in der Union leider wenige Männer pro Quote finden, aber wenn das die Wirtschaft nicht freiwillig hinkriegt, muss die Politik einschreiten.





Lasse Becker, 30, Bundesvorstand der Jungen Liberalen


Merkel
Sie macht in der Krise einen guten Job, nur hätte ich mir manchmal mehr politischen Gestaltungswillen gewünscht.
 
Steinbrück
Steinbrück produziert Fettnäpfchen am laufenden Band, doch teilweise ist es schon bemitleidenswert, für was er alles kritisiert wird.
 
Klimawandel 
Der Klimawandel ist ein Problem, dem wir nur durch eine marktwirtschaftlich orientierte Umweltpolitik Herr werden, zum Beispiel durch den Zertifikathandel.
 
Homo-Ehe 
Die Homo-Ehe sollte eigentlich selbstverständlich sein, denn wenn Menschen füreinander Verantwortung tragen, sollte der Staat sie dabei unterstützen und nicht bremsen.
 
Bildung 
Gute Bildung ist aus meiner Sicht die zentrale Frage zur Chancengerechtigkeit, damit jeder alles erreichen kann.
 
Marihuana 
Marihuana ist vielleicht nicht das wichtigste politische Thema, aber eine Legalisierung wäre ein wichtiger Schritt in Deutschland.
 
Edward Snowden
Für mich ist er weder Held noch Verräter, sondern jemand, der das Richtige getan hat, und davor habe ich großen Respekt.

Reichtum 
Für viele Menschen das Kernziel, aus meiner Sicht ein sinnvoller Anreiz, um erfolgreich zu sein.
 
Jugendarbeitslosigkeit 
In Deutschland Gott sei Dank niedrig wie nie, wir müssen hart arbeiten, damit das so bleibt – und nicht durch einen Mindestlohn torpedieren.

Gleichberechtigung
 
Ich glaube, dass eine Quote nichts bringt und stattdessen mehr Unterstützung durch den Ausbau von Kita-Plätzen geleistet werden muss.




Sina Doughan, 25, Sprecherin der Grünen Jugend


Merkel
Müssen wir wegkriegen!
  
Steinbrück
Ich bin gegen die Personifizierung von Politik, aber das Team aus SPD und Grüne und deren Konzepte und Ideen wären wichtig für eine gerechte, moderne und offene Gesellschaft, ein solidarisches Europa und einen ökologischen nachhaltigen Weg zur echten Energiewende.
 
Klimawandel
Es ist der größte Wissenschaftskonsens aller Zeiten, dass der gegenwärtige Klimawandel menschengemacht ist, und deshalb müssen wir Menschen ihn auch aufhalten: für uns und die nächsten Generationen.

Homo-Ehe 
Alle Menschen müssen dieselben Rechte bekommen, langfristig bin ich aber für einen Familien- statt für einen Ehevertrag, der alle Lebensformen mit einschließt, auch die nicht-heterosexuelle.

Bildung 
Inklusive Bildung bekommen wir nur, indem wir Bildung nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern, der Herkunft oder der sogenannten „Leistung“ der Kinder abhängig machen.
 
Marihuana 
Marihuana ist Teil unserer Lebensrealität, die Kriminalisierung und Verfolgung beschwört nur den weltweiten Drogenkrieg.
 
Edward Snowden
Schlecht, wenn man Internet zu lang als „Neuland“ unterschätzt, die Bundesregierung muss den Skandal aufklären und endlich ehrlich sein.
 
Reichtum
Private Millionen-Beträge auf Banken müssen stärker besteuert werden, damit wir die zunehmende Armut in Deutschland angehen können.

Jugendarbeitslosigkeit 
Im Vergleich ist es hier nicht so schlimm, doch Griechenland und Spanien sind Zeichen verfehlter Europapolitik.

Gleichberechtigung 
Gleichberechtigung ist die Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft. Deshalb zum Beispiel: Die Hälfte der Macht den Frauen!


Florian Zumkeller-Quast, Chef der Jungen Piraten

Merkel
Eine Verwaltung, die nicht weiß, was sie tut, sondern nur verwaltet, erfüllt nicht den Gestaltungsanspruch, den wir an eine Regierung stellen.
 
Steinbrück
Steinbrück hat im Wahlkampf ambitionierte Forderungen, die ich größtenteils unterschreibe, aber ich habe begründete Zweifel, ob er sie in einer Regierung auch umsetzen würde.
 
Klimawandel 
Wir sollten uns nicht auf dem Fortschritt ausruhen, sondern da muss noch wesentlich mehr gemacht werden, um zu verhindern, dass letztlich die Erde vernichtet wird.
 
Homo-Ehe
Wir brauchen endlich eine komplette Gleichstellung aller Lebensformen, denn alle Menschen sind gleich in ihrer Vielfalt.
 
Bildung 
Wir brauchen ein Bildungssystem, das nicht schon früh separiert, da alle das Recht auf Bildung haben sollten, unabhängig der sozialen Herkunft oder sonstigen Umständen.
 
Marihuana 
Weiche Drogen sollten legalisiert werden, damit die Justiz entlastet wird, die Kriminalisierung beendet wird und keine Straftaten entstehen.
 
Edward Snowden
Hat gezeigt, dass flächendeckende Überwachung existiert; wir müssen die Geheimdienste stark einschränken und zum Großteil abschaffen.

Reichtum 
Reichtum ist eine schöne Sache, doch wir müssen eine Umverteilung schaffen, damit auch die Ärmsten die Chance auf ein Auskommen haben.

Jugendarbeitslosigkeit
Wir brauchen einen Arbeitsmarkt, der auch längerfristige Chancen bietet, gerade für junge Menschen.
 
Gleichberechtigung
In Deutschland ist Gleichberechtigung faktisch nicht vorhanden, der Staat muss eingreifen, durch eine Frauenquote, das verlangt das Grundgesetz.




Miriam Strunge, Bundessprecherin der Linksjugend solid


Merkel
Sie zerstört mit ihrer Schuldenpolitik die Existenzen der jungen Generation in Griechenland, in Deutschland betreibt sie eine Politik der sozialen Ungleichheit.

Steinbrück 
Macht jetzt einen auf soziale Gerechtigkeit, aber wenn man sich seine Arbeit als Finanzminister anschaut, wird deutlich, dass er keine Alternative zur Merkel ist, sondern genau wie sie die Interessen der Wirtschaft vertritt und nicht für die Bedürfnisse der sozial Schwächeren eintritt.

Klimawandel 
Wir müssen umdenken und dem unendlichen Wachstumsdenken eine Absage erteilen und nachhaltig wirtschaften, das bedeutet, unseren Verbrauch zu reduzieren und Ressourcen zu sparen.

Homo-Ehe 
Homosexuelle Paare müssen die gleichen Rechte bekommen wie heterosexuelle Paare, grundsätzlich halte ich aber nicht viel von Eheprivilegien, wir sollten lieber die Rechte von Kindern stärken als die von Ehepartnern.
 
Bildung
Wir müssen das selektive, dreigliedrige Schulsystem begraben, die Bildungsausgaben deutlich erhöhen und uns für eine Schule für alle einsetzen. 
 
Marihuana
Marihuana ist wie Alkohol, Legalisierung und Aufklärung führen viel eher zu verantwortungsvollem Umgang als eine Dämonisierung.

Edward Snowden 
Er hat seinen Job, seine Karriere und seine Freiheit mutig aufs Spiel gesetzt, um uns über die NSA-Spionage aufzuklären; ihm gebühren Respekt und politisches Asyl in Deutschland.
 
Reichtum
Wir wollen eine Begrenzung von Managergehältern und durch eine gerechte Steuerpolitik Reichtum rückverteilen.
 
Jugendarbeitslosigkeit
Nur zwei Drittel aller Jugendlichen bekommen einen Ausbildungsplatz, wir brauchen ein Recht auf Ausbildung für alle Jugendlichen.

Gleichberechtigung
Typische Frauenberufe dürfen nicht mehr unterbezahlt werden, außerdem setzen wir uns für einen Wandel der Geschlechterstereotypen ein, verurteilen sexistische Werbung und die Darstellung der Frau als Objekt und Ware. 
  
 

Die Tatort-Reinigerin

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Das frühere Model Antje Schendel entdeckte vor zwölf Jahren eine Marktlücke und machte sich selbständig: Sie säubert Zimmer, in denen Gewaltverbrechen begangen wurden. Die Branchenpionierin hat inzwischen viele Mitbewerber bekommen.

Am schlimmsten sind die Fälle, bei denen kleine Kinder zu Tode gekommen sind. Oft durch die Hand eines Verwandten im heimischen Kinderzimmer. Wenn die Matratze des Gitterbettchens und der Teppich blutdurchtränkt sind. Dann ist Antje Schendel, 41, nicht mehr die nüchterne Tatortreinigerin, die gerufen wurde, um die Spuren zu beseitigen. Akribisch, emotionslos, diskret. Dann ist die kleine blonde Frau einfach nur Mutter. Sie leidet mit den toten Kindern, grübelt, wie es so weit kommen konnte. 'Solche Fälle berühren mich. Immer noch. Trotz der vielen Jahre, die ich diese Arbeit mache.'

Diese Arbeit. Schendel nennt sie 'Dienstleistung'. Sie säubert Zimmer, in denen Gewaltverbrechen begangen wurden. Richtet Wohnungen wieder her, in denen Leichen über einen längeren Zeitraum unentdeckt blieben. Damit alles wieder so aussieht, als wäre nie etwas passiert.

Die Idee dazu kam ihr vor zwölf Jahren. Per Zufall fand sie heraus, dass es für diese Tätigkeit in Deutschland keine Spezialisten gab. Meist erledigten Bestatter oder Schädlingsbekämpfer solche Aufgaben nebenbei. Oder es waren die Angehörigen, die Blut wegwischten, Teppiche und Tapeten abrissen oder versuchten, Gerüche zu beseitigen, die in die Luft aufsteigen, wenn Menschen mehrere Tage tot in einer Wohnung liegen. 'Tatorte professionell zu säubern - das war eine Marktlücke', sagt Schendel, die über ihre Arbeit inzwischen auch das Buch 'Die Tatortreinigerin' geschrieben hat.

In Ost-Berlin aufgewachsen, hatte sie viele Jahre in London gelebt und als Model gearbeitet. Irgendwann waren die Aufträge weniger geworden, und es zog sie an den Niederrhein, nach Krefeld. Dort jobbte die damals alleinerziehende Mutter zunächst als Arzthelferin und Praxis-Managerin, stets auf der Suche nach einer Möglichkeit, unabhängig zu arbeiten. 2001 war es dann so weit: Schendel machte sich als Tatortreinigerin selbständig. 'Als erste in Deutschland', wie Schendel betont. Das war die Zeit, als die Internet-Suchmaschine Google bei der Eingabe des Stichworts 'Tatortreinigung' keinen Treffer anzeigte. Heute sind es mehr als 67 000.





Die Branchenpionierin hat viele Mitbewerber bekommen. Meist regional tätige Einzelkämpfer, die die Aussicht auf schnelles Geld lockt. Sie haben gehört, dass für die professionelle Reinigung eines Tatorts meist Rechnungen in vierstelliger Höhe geschrieben werden. 'Das klingt toll, relativiert sich aber, wenn man weiß, welch teure Gerätschaften nötig sind, um gute Arbeit zu leisten. Hinzu kommt der hohe zeitliche Aufwand und möglicherweise lange Anfahrtswege', sagt Schendel. Und das Risiko einer Infektion, mit Hepatitis C beispielsweise.

'Tatortreiniger' kann sich jeder nennen; niemand verlangt besondere Qualifikationen. Das ärgert Schendel. Sie wünscht sich, dass der Zugang zu ihrem Beruf reglementiert wird. Etwa durch eine spezielle Ausbildung, wie in den USA. Oder zumindest durch ein Fachsiegel, das Handwerkskammern oder Berufsgenossenschaften vergeben.

Sie ist von Lüdinghausen im Münsterland aus, wo sie inzwischen lebt, bundesweit im Einsatz. Sieben feste Mitarbeiter gehören zu ihrem Team; dazu kommen 15 Subunternehmer. 'Alle persönlich geschult', betont die Firmenchefin. Denn Tatortreinigung sei mehr als ein bisschen wischen unter erschwerten Bedingungen. Das beginne mit der Ausrüstung: Ganzkörperschutzanzug, Handschuhe und Atemmaske gehören zum Standardequipment. Dazu allerlei Chemikalien, Desinfektionsmittel und Spezialgeräte, um beispielsweise Gewebereste aus Parkettfugen zu entfernen.

Was Schendel über die Reinigung von Tatorten weiß, hat sie sich selbst beigebracht. Anfangs mit makaber anmutenden Versuchen im heimischen Keller. Dort schüttete sie literweise Schweineblut auf Teppichreste, Laminat oder Parkett und probierte, wie sich die Lachen am besten entfernen lassen. Später holte sie sich Rat von professionellen Dritten. Von Rettungssanitätern, Rechtsmedizinern und Hygienespezialisten. Die starken Nerven, ohne die in diesem Job nichts geht, besitzt sie ohnehin. Vielleicht, weil sie früh in ihrem Leben mit Krankheit und Tod zu tun hatte. Mit 17 Jahren pflegte sie ihren kranken Vater bis zu seinem Tod. Später begleitete sie die krebskranke Mutter. 'Entweder man hat die Emotionen im Griff oder nicht - das lässt sich nicht lernen', betont sie. Dennoch hatte sie Zweifel, als ihr erster Auftrag kam. Gleich ein Härtefall. Eine junge Frau hatte sie angerufen, deren Mann sich im Wohnzimmer mit einem Kopfschuss getötet hatte. Schendel beseitigte die Spuren der Tat innerhalb von 48Stunden. Danach wusste sie: Ich kann das.

Die höchste Hürde aber stand ihr erst bevor: Sie musste ihre Dienstleistung bekannt machen. Unzählige Male stellte sie sich bei Sozialämtern, Bestattern und Polizeistellen vor. Die Reaktion war meist dieselbe: Zweifel. Viele waren sich sicher, das schmale, blonde Ex-Modell werde eine solch emotional und körperlich harte Arbeit nicht durchstehen. Aber Schendel ließ sich nicht entmutigen. Die ersten sechs Jahre nach Gründung ihrer Firma habe sie kaum Geld verdient, erzählt sie. 'Da musste ich zwei Nebenjobs machen, um über die Runden zu kommen.' Dann aber ging es stetig bergauf. Das Klinkenputzen begann sich auszuzahlen.

Heute weiß sie bisweilen nicht, wo ihr der Kopf steht vor lauter Arbeit. Täglich erhält ihre Firma zwei bis drei Aufträge aus allen Teilen der Republik. Suizide, Morde, schwere Arbeitsunfälle und - besonders häufig - lange Zeit unentdeckte natürliche Todesfälle. Die Erstbesichtigung des Tatorts erledigt die Chefin immer noch selbst, fährt dafür mehr als 100 000 Kilometer im Jahr quer durch die Republik. Erst wenn sie die Räumlichkeiten in Augenschein genommen hat, delegiert sie die erforderlichen Arbeiten an Mitarbeiter oder Subunternehmer. Von denen sind inzwischen mehr als ein Dutzend für sie tätig. Gerne würde sie weitere Kräfte einstellen, wenn auch zunächst nur auf 400-Euro-Basis. Aber es finden sich nicht viele, die für diesen Job infrage kommen. Also bleibt Schendel weiter an vorderster Front, auch mit drei Kindern. Zu viel wird ihr das nicht. 'Diese Arbeit ist meine Erfüllung. Ich könnte mir nichts anderes mehr vorstellen.'

Erst Revolution und dann Ruhe

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Bayerns SPD hat nie recht begriffen, wie man die Volksseele richtig streichelt. Die CSU ist ihr da meist um Längen voraus

Ein Hang zur Anarchie liegt den Bayern durchaus im Blut, was allein schon der populäre Kult um die Wilderer belegt, die quasi das archetypische Rebellentum gegen die Obrigkeit verkörpern. Aufrührer, die von der Weltrevolution träumen, sind die Bayern freilich nie gewesen. Auch wenn das in jenem Volksstaat, den der Sozialist Kurt Eisner 1918 nach dem Sturz der Monarchie ausgerufen hat, sowie in der spinnerten Räterepublik von 1919 kurzzeitig so ausgesehen haben mag. 'Wenn sie eine Revolution machen, dann nur, damit sie hinterher wieder ihre Ruhe haben.' Mit diesen Worten erklärte der bayerische SPD-Spitzenkandidat Christian Ude vor einigen Tagen bei einer Wahlkampfrede in Pfaffenhofen den Stammescharakter seiner Landsleute, aber die Konsequenz aus dieser klugen Beobachtung hat wie immer einer aus der CSU gezogen.





Ministerpräsident Horst Seehofer zettelte im Wahlkampf stimmig zu Udes Theorie eine Maut-Debatte an, die mitten ins Herz der bayerischen Volksseele traf. Seehofer sagte das, was viele Menschen im Freistaat denken, denn gefühlte Ungerechtigkeit geht den Bayern gewaltig gegen den Strich, der Länderfinanzausgleich ebenso wie das Mautproblem. 'Wir müssen auf den Autobahnen im Ausland doch auch zahlen', lautet ein Standardargument am Stammtisch, 'also sollen das die Ausländer bei uns auch tun.' Die CSU reagiert auf so etwas mit variablen populistischen Botschaften, die SPD theoretisiert herum.

Die Maut-Geschichte belegt einmal mehr, warum die Sozialdemokratie in Bayern nicht auf die Füße kommt. Obwohl diese Abgabe für Ausländer schon wegen der europäischen Gesetzgebung illusorisch ist, hat Seehofer zumindest den Grant angestachelt, eine landestypische Stimmungslage, die im Gelehrtenjargon auch furor bavaricus genannt wird. Die CSU weiß dieses Gefühl geschickt und gut dosiert zu bedienen. 'A Hund is er scho!', ein solches Lob hört ein Christsozialer oft, ein Sozi nur selten. Den Mechanismus, wie man die Volksseele streichelt, hat die Bayern-SPD in gut 60 Oppositionsjahren nie begriffen, was sie dem Verdacht aussetzt, sie fremdle mit diesem Land bis in alle Ewigkeit. Bayern ist für die SPD eine Art politische Eigernordwand mit höchster Absturzgefahr, wie jetzt auch ihr populärster Bergführer Christian Ude einsehen musste. Auch ihm blieb im vergangenen Wahlkampf bloß die Erkenntnis der Fatalisten: Du hast keine Chance, also nütze sie.

Seit Jahren läuft die SPD in Bayern Gefahr, den Status einer Volkspartei zu verlieren. Nur noch jämmerliche 18,6 Prozent erreichte sie bei der Landtagswahl 2008, erschreckende 12,9 Prozent folgten bei der Europawahl 2009. Es ging nicht einmal dann aufwärts, als sich die CSU in monströsen Skandalen verhedderte, sei es das Landesbank-Desaster, die Verwandtenaffäre oder die Causa Mollath. Die SPD profitiert so gut wie nie von den Missetaten der CSU, auch weil sie gelegentlich selber schwarze Schafe in ihren Reihen hat. 'Wie der Herr, so "s Gscherr', sagt man in Bayern, was jede sozialdemokratische Hoffnung auf moralische Besserstellung beim Wähler unmöglich macht. Überhaupt kopiert die SPD die CSU im Guten wie im Bösen wohl allzu oft, beispielsweise in ihrem Straßenbaueifer, der sich bei SPD-Kommunalpolitikern bisweilen zum Fanatismus auswächst. Auf potenzielle Wähler, die ein bedächtiges Gegengewicht zur Wachstums-Politik der CSU suchen, wirkt eine solche Verbohrtheit meistens abschreckend.

Dass Sozialdemokraten das Herz der Bayern durchaus erwärmen können, zeigen die großen Städte, die von SPD-Leuten regiert werden. München, Nürnberg, Fürth und Würzburg sind fest in roter Hand, aufs Land färbt die Popularität der SPD-Oberbürgermeister jedoch nicht im Geringsten ab. Der als Münchner OB erfolgsverwöhnte Christian Ude machte die gleiche Erfahrung, die einen seiner Vorgänger, Hans-Jochen Vogel, schon 1974 deprimiert hatte. Das Volk liebt die SPD-Granden aus der Stadt, vertraut aber in der Landespolitik und im Abwehrkampf gegen Berlin und Brüssel doch lieber auf das Wilderer-Gen der CSU. Dies ahnend, blieb der SPD-Landesvorsitzende Florian Pronold im Wahlkampf so unsichtbar wie ein Gespenst, und auch diverse Funktionäre und Abgeordnete ließen Ude eiskalt im Stich.

Dabei hatte Ex-Kanzler Gerhard Schröder der Bayern-SPD einst vorgemacht, wie man Wähler mobilisiert. 1998 zog der Niedersachse als SPD-Kanzlerkandidat durch den Freistaat und füllte die Bierzelte. Es war, als weckte er die SPD aus dem Dornröschenschlaf. Schröders rhetorischer Feldzug durchs CSU-Land bescherte der SPD bei der Bundestagswahl vor 15Jahren in Bayern 34,4 Prozent der Stimmen.

Der Schröder-Hype entfachte allerdings keine Nachhaltigkeit, was auch an der desaströsen Organisationsstruktur der SPD auf dem Lande lag. So mancher Ortsverband siecht dahin wie die Reste eines sauren Lüngerls, die Stammwähler sterben aus, die sozialdemokratischen Milieus in den Städten erodieren und die Mitgliederzahl schrumpft und schrumpft. Längst hat die CSU der SPD den Rang als Partei der Arbeitnehmer abgelaufen. Der größte Mangel der Sozialdemokraten aber ist ihre fehlende bayerische Identität. Zwar wollte der rechte Parteiflügel schon in der Weimarer Republik eine folkloristische weiß-blaue Bayern-SPD etablieren und der konservativen Bayerischen Volkspartei Wähler streitig machen. Nur: Es gelang ebenso wenig wie später gegen die CSU.

Innerlich zerrieben, hatten es die Sozialdemokraten nach der Revolution von 1918/19 total verschlafen, die Einführung von Demokratie und Freiheitsrechten als Erfolg ihres jahrzehntelangen Kampfes gegen Ständegesellschaft und Monarchie politisch zu vermarkten. Stattdessen hatte sich im Volksgedächtnis das Treiben der ultralinken Spinner der Revolution eingebrannt. Fortan wurden auch die Sozialdemokraten schief angeschaut, ungeachtet ihrer mutigen Haltung im NS-Staat, etwa bei ihrer Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes der Nazis im Jahre 1933. 'Das ist ja ein Sozi, was willst denn von dem?', solche Sätze gehören zum Teil heute noch zu den Standardargumenten der Konservativen auf dem Land.

Nach dem Krieg hätte die SPD in Bayern trotzdem reüssieren können. Als der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner 1954 Ministerpräsident der Viererkoalition aus SPD, FDP, Bayernpartei und BHE wurde, leitete sein Kabinett den Umbau Bayerns vom Agrarstaat in eine Industrieregion ein. Ausgerechnet eine SPD-geführte Staatsregierung legte damit die Grundlagen für die spätere erfolgreiche CSU-Politik. Unter der Viererkoalition leistete sich Bayern als erstes Bundesland einen Forschungsreaktor, jenes Atom-Ei in Garching, das damals als Symbol für den Fortschritt schlechthin galt. Nur drei Jahre regierte die SPD, dann walzte die CSU die Viererkoalition mit allen lauteren und unlauteren Mitteln nieder. Bei 16 Landtagswahlen seit 1946 schaffte es somit nur Hoegner, die CSU auf die Oppositionsbank zu zwingen. Immerhin erzielte die SPD in den 60er Jahren Ergebnisse von mehr als 30 Prozent, was danach nur noch bei der Landtagswahl 1994 gelang. Seit 2003 dümpelt sie beständig unter der 20-Prozent-Marke herum.

Die Frage, warum die bayerische Sozialdemokratie ein Abonnement auf Wahlverluste und dauerhafte Erfolglosigkeit hat, beantwortete Christian Ude vor Jahren in der SZ mit einem originellen Ansatz. Er stellte die Frage, ob man die SPD letztendlich nicht doch als siegreiche Kraft sehen müsse, die den sozialen Forderungskatalog ihrer Gründerzeit längst durchgesetzt hat. Sie habe den Kampf um Bayerns Staatsform gegen die Monarchie gewonnen und auch den sozialdemokratischen Richtungsstreit um Klassenkampf oder Reformpolitik in ihrem Sinne entschieden, sodass sie 'die Mühsal der aktuellen Regierungsgeschäfte getrost anderen überlassen kann.' Wenigstens ihren Galgenhumor hat die Bayern-SPD nicht verloren.

Fünf Ohrringe und ein Mandat

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In wenigen Tagen zieht Carsten Schatz für die Linkspartei ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Er ist der erste offen HIV-Infizierte in einem deutschen Parlament

Als sein Freund starb, hätten Menschen Beifall geklatscht, sagt Carsten Schatz. Heute ist er 43, damals war er 26. 'In deren Augen war der Tod die gerechte Strafe für Menschen wie ihn.' Der Ring an seinem Mittelfinger schlägt auf die Tischplatte. Es geht um den Spiegel, der den Deutschen die Immunkrankheit Aids in den 1980ern als homosexuelle 'Lustseuche' erklärte. Vor zwei Monaten verlieh das Schwule Netzwerk NRW dem Magazin aus Hamburg einen Preis: für vorbildliche Berichterstattung. Aus heutiger Sicht sei das vielleicht in Ordnung, sagt Schatz. Aber damals? Für ihn ist der Preis eine Tragödie: 'Das kann ich denen nicht verzeihen.' Er quält seinen Mund zu einem Lächeln, das einen stocken lässt. Ein Schutzwall aus Zähnen.

Carsten Schatz ist HIV-positiv. Seit 1991. Das sollen alle wissen. Am 26. September zieht er für die Linke ins Berliner Abgeordnetenhaus. Er übernimmt den Platz von Martina Michels, die für den verstorbenen Lothar Bisky nach Brüssel ins Europaparlament geht. Damit ist Schatz der erste offen HIV-Infizierte in einem deutschen Parlament.





Noch kann man sich nicht mit ihm im Abgeordnetenhaus treffen. Aber gleich gegenüber. Schatz sitzt im Bistro des Martin-Gropius-Bau, in der hintersten Ecke. Alle 20 Minuten hört man den Knall einer Kanone; im Erdgeschoss stellt der indische Künstler Anish Kapoor aus und lässt rotes Wachs in eine Ecke feuern. Echtes Kriegsgerät, für viele Besucher ein Kick. Nicht so für Schatz. Er hat für Kunst keine Zeit. Politik, Job, Ehrenämter: Bezirksvorsitzender der Linken in Treptow-Köpenick, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich, Vorstand bei Positiv e.V. und der Deutschen Aidshilfe. Und seit 15 Jahren in einer Beziehung.

Schatz ist ein Plattenkind aus Berlin Lichtenberg. Pionier, FDJ"ler mit Funktion, SED-Mitglied. Als die Mauer fiel, saß er im sächsischen Löbau. Er wollte Offizier werden, in Zeiten der Blockkonfrontation helfen, die Bedrohung aufrechtzuerhalten. Als die Kollegen nach dem Mauerfall am 9. November 1989 nach Berlin fuhren, blieb Schatz auf seinem Posten. Dafür gab es einen Tag mehr Urlaub am Wochenende darauf. 'Juter Deal', berlinert er.

Mit den Überzeugungen von damals hat Schatz nicht gebrochen. Es habe eine Zeit der Orientierung gegeben, aber die Ost-SPD sei von Pfarrern beherrscht gewesen, und die Ost-Grünen waren ihm zu 'teesockig'. Mit dem 'Glauben an eine Gesellschaft, in der Geld nicht alles ist' ging er zur PDS. Seit 2001 war er zehn Jahre lang Geschäftsführer der Berliner PDS, seit 2007 der Linken Berlin.

Und dazwischen? War ein politisches Amt undenkbar. HIV-positiv mit 21 Jahren. Das Testergebnis als Schock zu bezeichnen, ist zu wenig. Schatz sucht nach Worten, die das Gefühl von damals richtig beschreiben, die Konfrontation mit dem Tod. Er lehnt sich nach vorne, die Ellenbogen auf dem Tisch, dazwischen sein Pott Kaffee. Er findet die Worte nicht. Er kann nur sagen, dass er es hingenommen habe, 'bleibt einem ja nichts anderes übrig'.

Nach dem Testergebnis sei er erst mal in eine Buchhandlung gegangen, sagt Schatz. Sich belesen. Da fand er einen Sinnspruch des Aids-Aktivisten Siegfried Dunde: 'Ich will mein Leben nicht leben, ohne Spuren zu hinterlassen.' Er klebte den Spruch an seinen Spiegel im Badezimmer. Damit er nicht vergisst, weiterzuleben. 1995 erkrankte er an Aids. Nur ein Jahr später starb sein damaliger Freund, ein Amerikaner 'mit der vollen Packung, schwul und "ne Drogenkarriere'. 1997 kamen dann die ersten wirksamen Therapien auf den Markt. Schatz gehört zur ersten Generation HIV-Infizierter, für die es eine gesundheitliche Perspektive und Hoffnung auf Leben gab. Bis heute nimmt er jeden Tag Medikamente. 'Die Grundregel lautet: Never change a winning team.'

Drei Ohrringe rechts, zwei Ohrringe links, schmale Jeans mit Turnschuhen, braun gebrannt, trainierter Oberkörper. Man könnte sagen, Schatz sieht nicht aus wie ein normaler Politiker. Er mag das Wort ohnehin nicht. Wenn Schatz 'normal' sagt, klingt es fast wie ein Schimpfwort. Für ihn ist Normalität das Hilfsmittel einer Gesellschaft, die sich lieber auf einen Durchschnittswert reduziert, als der Realität ins Auge zu sehen.

Die Realität, das sind laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 78000 HIV-positive Menschen in Deutschland. 14000 von ihnen wissen nicht mal, dass sie infiziert sind. Jeden Tag stirbt in diesem Land ein Mensch an Aids, statistisch gesehen sogar eineinhalb Menschen.

HIV und Aids: Für viele ist das lange her. Oder es sind die anderen, in Afrika. Aber bestimmt ist es nicht die Lebensrealität eines deutschen Politikers. Und das, obwohl Aids in der Popkultur längst zu Hause ist. Zuletzt spielte Michael Douglas einen HIV-infizierten Las-Vegas-Star im Film 'Liberace'. Momentan sind Jared Leto und Matthew McConaughey in den Klatschspalten, zwei heterosexuelle Schauspieler, die sich für ihre Rollen als aidskranke Transvestiten aus den 1980ern im Film 'The Dallas Buyers Club' auf jeweils 60 Kilo runtergehungert haben.

'Im Rückblick ist Aids besser darstellbar', sagt Schatz. Da sei es in gewisser Weise sogar sexy geworden, der Rausch, der Glamour, die befreite Sexualität. 'Aber sobald es irdisch wird, wollen die Leute nichts mehr davon wissen.' Wegen der Medikamente sei das alltägliche Leiden unsichtbar geworden. Der Anpassungsdruck ist dementsprechend hoch.

Ein HIV-Coming-out ist immer noch ein Risiko, erst recht für eine öffentliche Person. Wieso macht einer das: seinen Immunstatus mit zur Wahl stellen? Für den künftigen Abgeordneten Schatz ist es eine Frage von Sichtbarkeit. Die Diagnose habe ihn verändert, sagt er. 'Wie ich mich verhalte, ist für Menschen, die nicht wissen, warum ich mich so verhalte, schwer zu vermitteln.' Er spricht von seiner Ungeduld. Vom Gefühl, nicht genug Zeit zu haben für Dinge, die ihn nicht interessieren.

Eine HIV-Infektion könne man den Wählern nicht verheimlichen, findet Schatz. Doch wie haben die Menschen reagiert? Die Parteifreunde? Die Bürger? 'Eigentlich gar nicht.' Und wieder geht es darum, was normal ist und was nicht. 'Die Leute bemühen sich um Normalität', sagt er. 'Aber das ist eine falsch verstandene Normalität. Weil die HIV-Infektion darauf verweist, dass ich mich nicht der Norm entsprechend verhalte, dass ich entweder intravenös Drogen gebraucht habe oder eine promiske Sexualität auslebe'. Solche Verhaltensweisen seien für viele Leute immer noch ein Problem. Auch in der schwulen Community. 'Die heiraten alle und sind auf einmal auch ganz nett.' Da komme es nicht gut an, wenn einer das positive Image mit der Erinnerung an Aids und den dazugehörigen Sex wieder zerstöre.

Trotzdem will Carsten Schatz im politischen Betrieb nicht der HIV-Funktionär sein. Hinter die Mitteilung über seine Infektion komme nun ein Punkt, und dann beginne die Arbeit - im Untersuchungsausschuss des BER-Flughafens und im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. Dort will er sich als 'der Schatz' einen Namen machen, 'ein Positiver von der Straße'.

Der Traumauto-Ticker

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Bei der IAA in Frankfurt zeigen Autohersteller, womit sie ihre Kunden begeistern wollen. Mal angenommen, du könntest dir dein Traumauto vor die Tür bestellen: Was stünde da? Freie Fahrt für den Traumautoticker.

In Frankfurt funkelt es. Polierte Karossen, glänzende Felgen – es ist Internationale Autoausstellung (IAA) und die Hersteller zeigen das, was ihrer Meinung nach die Zukunft der Mobilität sein wird und was Autofans schwach werden lässt.  



Brumm, rauch, funkel - ein neuer Audi, Nanuk Quattro heißt er.

Darunter sind viele schnittige Flitzer. Sie sehen aus, als würde gleich James Bond mit einer schönen Spionin einsteigen und in ein Abenteuer brausen. Andere tarnen sich als Kleinwagen und deuten nur an, dass sie 420 PS haben. Da sind klobige SUVs und Geländewagen, die aussehen, als hätte jemand versucht, die Anmutung seines iPods mit dem Design der Antirutschmatte in seiner Dusche zu kreuzen.   

Bei manchen dieser Designstudien möchte ich schreiend wegrennen, bei anderen gerne einsteigen und eine Küstenstraße entlangbrausen. Aber mal angenommen, der reiche Generaldirektor Haffenloher aus Kir Royal käme zu mir, würde mir einen Scheck über 100.000 Euro in die Hand drücken und in seinem rheinischen Akzent sagen: „Min Jung, hier haste bissschen Cash, dat schenk isch dir, davon musste dir aber ne Karre kaufen“. Würde ich mir irgendeines dieser Autos zulegen? Wohl nicht.

Ich habe kein wirkliches Traumauto, ich bin auch kein Autokenner. Aber tendenziell gefallen mir ältere Autos besser. Ein alter Käfer. Ein BMW Touring aus den Siebzigern. Sowas.  

Wie ist es um deine Autoliebe bestellt? Gibt es ein Auto, das du unbedingt mal fahren willst? Gefallen dir die alten Designs auch besser als die futuristischen Linien der IAA-Studien? Verursacht das Blubbern eines Zwölfzylinders bei dir Gänsehaut? Oder träumst du eher davon, mit einem Elektroauto leise dahinzugleiten? Was ist dein Traumauto?

Pizzabacken und Kartenspielen

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Gegessen wird immer, aber jeder macht es anders. In der Kolumne Kosmoskoch dokumentieren jetzt-User und jetzt-Redakteure jeweils eine Woche lang, was am Abend bei ihnen auf den Tisch kommt, und schreiben auf, warum. Heute: jetzt-Userin guglhupf_

Diese Woche hat sich jetzt-Userin guglhupf_ die Mütze des Kosmoskochs aufgesetzt.


Mittwoch:



Die Sippschaft hat zum Lieblingsgriechen eingeladen, da sagt man natürlich nicht nein. Für mich wie immer: Pitabrot mit Tsatsiki, dann Souvlaki mit Tomatenreis. Alles natürlich mit haufenweise Knoblauch.



Ich muss wie immer aufpassen, dass ich nicht direkt am Tisch einschlafe und mit dem Gesicht im Teller lande. Aber: Mmmh.

Donnerstag:




Die Ex-WG hat zum Pizzaabend eingeladen und sogar den Teig für den Boden selber gemacht. Das macht die ehemalige WG-Mami guglhupf_ stolz. Es gab fünf Bleche voll mit verschiedenen Belägen, ich habs vor lauter Futtern und Kartenspielen erst beim letzten Blech geschafft zu knipsen. Sieht ein bisschen matschig aus, war aber knusprig und sehr lecker. Ein gelungener Abend.

Freitag:




Schwammerlrisotto, heute mal mit Pfifferlingen und Speck. Risotto hab ich ja erst vor etwa einem Jahr entdeckt und bin seitdem ziemlicher Fan davon. Man kann alles reinwerfen, was noch so rumliegt und weg muss, es kocht sich bis auf ein paar Mal aufgießen fast von alleine und ist in einer halben Stunde fertig. Das mit dem andauernden Umrühren ist übrigens eine Lüge. So wenig wie möglich ist klüger, damit die Reiskörner ganz bleiben. Wenn sie aufreißen, wird das ganze ziemlich matschig. Und Risotto sollte ja cremig sein, aber schon mit ein wenig Biss in den Körnern. Entschuldigt die Belehrung.



Als Nachspeise gibt es heut Mangocreme, Resteverwertung aus dem Kühlschrank – eine halbe Mango, Joghurt und Quark wollen dringend verarbeitet werden.

Samstag:



Mittags treffe ich mich mit meinen Eltern und wir kehren in ein nahegelegenes Wirtshaus ein. Während wir essen, werden wir von vier hungrigen Wespen belagert. Ich bestelle irgendeinen Fisch Müllerin Art mit Salzkartoffeln und Beilagensalat. Vor lauter Schock vergesse ich zu fotografieren. Macht aber nix, weils eh nicht gut war. Kartoffeln erträglich-essbar, Fisch staubtrocken und ungewürzt, aber die Krönung war der Salat. Ich verstehe unter Salat putzen: waschen und schadhafte Stellen entfernen sowie in mundgerechte Stücke zupfen. Die im Wirtshaus scheinbar: Kurz unter den Hahn hängen (hoffentlich wenigstens), gammelige Teile unbedingt mit dranlassen, dann entfällt auch das Kleinrupfen, und weil das Herz ja das Beste ist, direkt komplett am Strunk mit reinschmeißen. Den Salat lasse ich also weg und zeige das auch der Bedienung beim Abservieren. Die ist verständnisvoll, geht kurz in die Küche und kommt mit einer Entschuldigung und dem Angebot einer Bayrisch Creme aufs Haus zurück. Ich freue mich und lasse mir stattdessen sicherheitshalber lieber einen Obstler bringen. Abends: Resteverwertung, diesmal das Risotto von gestern. Für den Herren mit Minutensteaks aus der Pfanne, für die Dame mit Burgundersalat und Minitomaten aus eigenem Anbau.

Sonntag:



Wir kochen schon mittags zusammen Freestyle-Kartoffelsuppe mit Wienern und Croûtons und sind beide begeistert vom Ergebnis. Weil ich so motiviert bin, mach ich gleich noch vier Bleche Käsegebäck. Dann gehts kurz beim Umzug des Ex-Mitbewohners helfen, der auch aus der WG auszieht, und ein bisschen Billard spielen.



Als wir heimkommen, haben wir gerade noch genug Zeit, uns noch einen Teller Suppe reinzuschieben, um uns dann mit Apfelscheiberl und haufenweise Käsegebäck bewaffnet vor den Fernseher zu hauen und den Tatort zu erwarten. Es war dann zwar ein Polizeiruf, aber der war auch ganz gut. Sind die überhaupt irgendwie immer wieder, in letzter Zeit.

Montag:




Streichen helfen in der Ex-WG. Auf dem Heimweg laufen wir am „Schnitzeltag“-Schild vom Wirthaus zwischen meinem neuen und alten Wohnort vorbei und können nicht widerstehen. Immerhin sind wir clever genug, nur eine Portion zu bestellen, weil wir natürlich, wie es so Mode ist, sowieso zwei Riesenschnitzel kriegen und einen Berg Pommes (Im Bild unter den Schnitzeln und daher unsichtbar). Schmeckt alles ganz gut und die Schnitzel sind schön dünn. Daheim esse ich nochmal Unmengen vom Käsegebäck.

Dienstag:



Heute ist ein extrem fauler Tag, an dem wir quasi nur rumliegen. Als uns einfällt, dass es sinnvoll wäre, irgendwann auch mal zu essen, raffe ich mich zu dem auf, was es immer gibt, wenns schnell gehen soll und ohne Einkaufen: Spaghetti mit Tomatensoße, vielen Gartenkräutern drin und frisch gehobeltem Parmesan. Schaut auf dem Bild jetzt gar nicht so gut aus wies war, aber zum Anrichten und Garnieren bin ich auch zu faul. Als ich später noch was mümmeln will, ist Gott sei Dank noch ein bisschen Käsegebäck da.

Auf der nächsten Seite liest duguglhupf_s Antworten auf den Fragebogen zur Kochwoche.

Welchen Stellenwert hat Essen in deinem Leben?

Beruflich sehr hoch, persönlich je nach Stresslevel und wie ich mich generell fühle. Manchmal esse ich nur, um was im Magen zu haben und muss mich fast dazu zwingen, an anderen Tagen betreibe ich einen Mordsaufwand und/oder genieße total und gerne.

Was ist dir beim Essen und Einkaufen besonders wichtig?
Beim Einkaufen: Dank meiner Ausbildung als Hauswirtschafterin (mittlerweile bin ich Fachlehrerin) kenne ich viele Zusammenhänge und habe eigentlich ziemlich hohe Ansprüche. Man könnte fast sagen, ich weiß zuviel. Das steht allerdings im krassen Gegensatz zum noch sehr kleinen Geldbeutel, daher bin ich öfters mal länger im Supermarkt und ziemlich im Zwiespalt. Bei einigen Dingen achte ich aber trotzdem konsequent auf Qualität und gebe lieber ein bisschen mehr aus: Milch und Milchprodukte müssen regional und fair sein. Fleisch und Wurstwaren nur vom Metzger. Obst und Gemüse natürlich bevorzugt, wenn Saison ist, wobei mir das nicht immer gelingt. Beim Essen: Ich gestehe. Ich versuche, relativ abwechslungsreich zu essen, kriege es aber nicht besonders gut auf die Reihe. Zum Glück esse ich immerhin sehr gern Obst, eigentlich jeden Tag mehrfach so zwischendrin. Und ich esse definitiv zu viel Fleisch und Wurst. Man kann sich da ja aber auch selber verrückt machen, und das ist mir dann doch zu blöd, da hör ich lieber auf meinen Appetit und beuge mich dem. Da sich das dankbarerweise auch in der Figur nicht bemerkbar macht bei mir, ist der Anreiz, da was zu ändern, oberflächlicherweise auch recht gering. Wichtig ist mir aber, mir meiner Entscheidungen sowohl beim Einkauf als auch beim Essen immer bewusst zu sein und den Blick dafür zu bewahren.

Erinnerst du dich, wann du zum ersten Mal für dich selbst gekocht hast und wer dir das Kochen beigebracht hat? 
Als ich etwa zwölf war, hat meine Mama wieder angefangen zu arbeiten und ich hab öfters Mittagessen für meine kleine Schwester und mich gemacht. Das waren zum Beispiel Pfannkuchen oder Fertigpackungen Nudeln mit irgendeiner Soße. Einmal habe ich mich an Fischstäbchen gewagt. Die waren so schön braun außen und knusprig, dass ich ganz stolz auf mich war, bis wir reingebissen und gemerkt haben, dass die innen noch ganz roh waren. Das erste Gericht, von dem ich wirklich toll fand, dass ich es jetzt kochen kann, waren Spaghetti Bolognese nach Papa-Art, so mit 14. Von der Mama hab ich viel gelernt, ein Kinderkochbuch hatte ich auch, aber das wirkliche Kochen beigebracht haben mir meine Lehrerinnen auf der BFS für Hauswirtschaft und später die Dozenten am Staatsinstitut für Fachlehrer. Seitdem ist es so, dass daheim eher ich um Rat gefragt werde als andersrum.
 
Was war dein Lieblingsessen als Kind?
Dampfnudeln mit Vanillesoße. Der Bruder und ich haben uns erfolgreich darin abgewechselt, den Deckel zu früh hochzuheben, damit die „zamhocken“. Fand die Mama gar nicht gut, aber wir fanden die dann so schön bappig. Und Spaghetti Bolognese nach Papa-Art. Und Semmelschmarrn und Bröselschmarrn, beides Oberpfälzer Spezialrezepte von der Sippschaft.

Was ist dein aktuelles Lieblingsessen?
Öh. Viel. Dank der Ausbildung bin ich dazu übergegangen, alles zu probieren, auch Sachen, die ich früher nicht mochte, daher gibt es mittlerweile wirklich viel, das ich gern esse. Aber ich sag mal so: Es geht nix über den Schweinsbron von der Mama. Logisch, oder? Und ich steh immer noch total auf Hefeteig, in jeglicher Form.

Was magst du gar nicht?
Siehe oben, ich esse fast alles. Und vor allem probiere ich wirklich alles. Was ich aber trotzdem nicht mag: Sehr scharf, Meerrettich, Innereien und Fertiggerichte (außer Ofenkäse).

Mittags warm und abends kalt oder andersrum? 
Je nach Zeit, Lust und Laune.

Wo isst du am liebsten, am Tisch oder auf dem Sofa?
Je nach Zeit, Lust und Laune. In der WG haben wir immer zusammen auf dem Boden gegessen in Ermangelung eines essgeeigneten Tisches, da ist mir ein Esstisch wenigstens als Option dann schon abgegangen, muss ich sagen. Vor allem bei Besuch.

Was trinkst du zum Essen? 
Meistens gar nix, das wurde mir in der Kindheit dank der Schwester so antrainiert, damit der Bauch nicht schon vorher voll ist. Ich trinke eher hinterher. Das kann dann eigentlich alles Mögliche sein.

Wie oft gehst du auswärts essen und hast du ein Lieblingsrestaurant? 
Diese Woche drei Mal, aber ich wurde ja auch zwei Mal eingeladen. Sonst so etwa alle zwei Wochen. Mein liebstes bayerisches Restaurant: die Kleingartenwirtschaft Gärtnerquelle. Die wissen noch, wie man wirklich kocht. Grieche: Athen in der Westendstraße. Schon immer. Italiener: Al Paladino am Heimeranplatz, vor allem wegen der Bedienung. Die haut mich jedes Mal wieder vom Hocker.

Was isst du, wenn es schnell gehen muss? 
Wie gesehen: Spaghetti mit Tomatensoße. Wenn es noch schneller gehen muss: Toastie oder Brot mit Schinken und Salat drauf. Oder ein Marmeladenbrot.

Was war das aufwändigste Gericht deines Lebens? 
Das war dann wohl meine Abschlussprüfung fürs Staatsinstitut: 1. Gang: Frühlingshafter  Zupfsalat mit Veilchen, Gänseblümchen und Joghurtdressing, dazu Minikörnersemmeln. 2. Gang: (wer hätte das gedacht) Pilzrisotto 3. Gang: Schweinefilet im Speckmantel mit Ziegenfrischkäsetopping, dazu Schupfnudeln, glasierte Karotten in Herzform und grüner Spargel an Sauce Hollandaise. 4. Gang: Bisquitomelette mit Erdbeeren, Minze und Mascarpone-Vanille-Zitronencreme. Alles von A bis Z alleine selbst vor- und zubereitet. Mit Anrichten, Garnieren und minutengenauem Servieren innerhalb von fünf Stunden. Danach war ich platt.

Hast du ein Standard-Gericht, wenn Eltern oder Freunde zu Besuch kommen? 
Nö. Obwohl. Vielleicht Spaghetti Bolognese (jetzt nach guglhupf_-Art) und Semmelnknödeln mit Rahmschwammerl im Wechsel.

Welchen jetzt-User oder -Redakteur möchtest du als Kosmoskoch sehen? 
dashundertprozentigemaedchen, sofern sie irgendwie Zeit dazu findet. Die hat immer von so lecker klingendem Essen erzählt, das würd ich schon gern mal sehn.

Die 140-Zeichen-Märchenstunde

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Berlins erstes Storytelling-Festival hat via Twitter zum Märchen erzählen aufgerufen - in 140 Zeichen. Veranstalterin Dorothea Martin hat für uns die besten Tweets ausgesucht.

Nächstes Wochenende startet Berlins erstes Storytelling-Wochenende, das "Wunderland-Festival". Im ersten Anlauf steht das Festival im Zeichen des Grimm-Jahres, unter anderem wird am Samstag auf dem Twitter-Kanal @daswildedutzend ein 24-Stunden-Märchen erzählt. Vorab baten darum, unter dem Hashtag #tf140 (Tiny Fables) schonmal mit der Märchenstunde anzufangen - reduziert auf 140 Zeichen. Der beste Tweet wird am Samstag auf dem Festival gekürt.Veranstalterin Dorothea Martin präsentiert auf jetzt.de bereits heute ihre Favoriten.






Das tapfere Schneiderlein



Dorothea Martin: Anfangs gab es noch viele klassische Tweets, die sich direkt an die Aufgabenstellung - ein Märchen in 140 Zeichen abzüglich Hashtag - gehalten haben. Der Netzhumor hat dann aber schnell überhand gewonnen".

Schneewittchen



Dorothea Martin:
Dieser Tweet ist einer meiner persönlichen Favoriten. Da wird ein Märchen mit Netzhumor kombiniert - das hatten wir recht oft bei den mehr als 450 Tweets bisher, aber dieses Beispiel ist besonders geglückt.

Rotkäppchen



Dorothea Martin: Am besten funktionieren Tweets, die allseits bekannte Märchenzitate verwenden. Da ist dann trotz der wenigen Zeichen direkt klar, um was es geht. Rumpelstilzchen mit seinem "Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind" bietet sich dafür zum Beispiel auch an. Wibke Ladwig hat das beispielsweise aufgegriffen und hat daraus "Heute tweet' ich, morgen blogg' ich und übermorgen trolle ich der Königin ihr Kind" gemacht. Andere haben daraufhin Rumpelstilzchen als den ersten Troll der Geschichte betitelt.

Der Fischer und seine Frau



Dorothea Martin: Natürlich findet unser Festival im Kontext des Grimm-Jahres statt, aber auch andere Märchen sind erlaubt. Diese queere Version von "der Fischer und seine Frau" hat mich dabei besonders überzeugt. Insgesamt denke ich aber, die Grimm'schen Märchen sind einfach bekannter und deshalb auch leichter auf 140 Zeichen zu reduzieren, als andere.

Hänsel und Gretel / Der Froschkönig







Dorothea Martin: Patrick Möller und Katrin Hilger haben in ihren Tweets einen Kontext zwischen Märchen und Jetzt-Zeit hergestellt. Dafür benutzen sie das Prinzip, für das auch die Tiny Tales von Florian Meimberg 2010 den Grimme Online Award gewonnen haben: Der letzte Satz bricht das vorher Geschriebene komplett auf. Florian Meimberg wird dann am Samstag gemeinsam mit Jan Uwe-Fitz und mir in der Jury sitzen und über den besten Tweet entscheiden. Retweets und Favorisierungen zählen dabei natürlich auch.

Das Monster zuckt wieder

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Ausgerechnet die Bundesregierung hat die Euro-Krise wieder zum Wahlkampfthema gemacht. Obwohl die Deutschen rettungsmüde sind, schadet ihr das wahrscheinlich nicht: Ohne Merkel fürchten die Bürger Schlimmeres

Eigentlich ist die Partei, die sich ganz unbescheiden die Alternative für Deutschland nennt, gar keine Partei. Keine so richtige jedenfalls, denn in ihrem Kern besteht die AfD aus einem Trupp zorniger Professoren, die der Ärger darüber eint, dass die Berliner Nomenklatura von Merkel bis Trittin ihren ökonomischen Sachverstand seit Jahren ignoriert. Aber noch etwas unterscheidet diese Alternative von Protestparteien aus anderen Ländern: die gute Kinderstube. Denn so groß der Frust über die angeblich verkorkste "Euro-Rettungspolitik" von Union, FDP, SPD und Grünen auch sein mag - mit persönlichen Angriffen etwa auf die Kanzlerin hält sich der Parteigründer und Spitzenmann Bernd Lucke auffallend zurück.



AFD-Chef Lucke bei einer Demo am Brandenburger Tor

Gut möglich, dass in der Schublade des höflichen Herrn Lucke bereits ein Dankesschreiben liegt, das ein Gehilfe der EuroSkeptiker am Sonntag um 18Uhr in einen Briefkasten am Spreeufer werfen wird. Adresse: Bundesfinanzministerium, Ministerbüro, 11016 Berlin. Sollte die AfD am 22. September tatsächlich den Sprung in den Bundestag schaffen, dann hat sie das ganz wesentlich Wolfgang Schäuble zu verdanken. An sich nämlich lag die erst vor fünf Monaten gegründete Partei bereits am Boden, bastelte an Dolchstoßlegenden, war einsortiert in die Gruppe der "Sonstigen", die in den Meinungsumfragen namentlich nicht mehr genannt werden. Ihr einziges Wahlkampfthema, es wollte einfach nicht zünden - bis Schäuble Mitte August in einem tristen Saal der schleswig-holsteinischen Gemeinde Ahrensburg plötzlich ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland ankündigte. Seither ist die Euro-Rettung wieder ein Thema - und die AfD beständig im Aufwind: Wenige Tage vor der Wahl liegt sie in den Umfragen zwischen drei und fünf Prozent.

Auf den ersten Blick erscheint es verwunderlich, dass es so lange dauerte, bis der Euro den Wahlkampf erreichte, denn schließlich hat nichts die ablaufende Wahlperiode so sehr dominiert wie die Dramen um Griechenland, Portugal, Zypern & Co. Zuletzt haben sich die Dinge zwar spürbar beruhigt, doch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hütet sich davor, diesen "Erfolg" im Wahlkampf für sich zu reklamieren: Jede Erwähnung des Themas nämlich wäre zugleich eine Erinnerung daran, dass die Deutschen heute mit einem dreistelligen Milliardenbetrag für die Südländer haften.

Hinzukommt: Die Kanzlerin weiß genau, dass das Krisenmonster zwar derzeit still daliegt, aber schon bald wieder zucken wird. Dann nämlich, wenn vielleicht Slowenien das erste, Portugal das zweite und Griechenland das dritte Rettungspaket beantragt. Wenn Irland direkte Hilfe für seine Banken fordert, in Italien die Regierung kollabiert und Frankreich statt in Reformbereitschaft erneut in Agonie verfällt. Durchaus möglich, dass das Monster dann nicht nur zuckt, sondern erneut sein grässliches Haupt erhebt und - wie die AfD - von den Halbtoten aufersteht.

Dass es andererseits auch den Professoren von der Alternative lange nicht gelang, die Krise zum Wahlkampfschlager zu machen, hat ebenfalls mit der Kanzlerin zu tun. Denn obwohl viele Deutsche mit den Forderungen der AfD nach einem Ende der Rettungspolitik und der Rückkehr zur D-Mark liebäugeln: In Wahrheit kennen sie die Krise nur aus dem Fernsehen. Merkel, so die weitverbreitete Stimmung, ist zwar vielleicht den Griechen gegenüber zu großzügig - ohne Merkel aber wäre sicher alles noch schlimmer.

Diese Stimmung macht nicht nur Newcomer Lucke zu schaffen, sondern auch dem alten Hasen Peer Steinbrück - der noch ein weiteres Problem hat: Er selbst wie auch weite Teile seiner SPD haben seit 2009 beinahe allen Vorhaben Merkels zur Euro-Rettung im Bundestag zugestimmt. Entsprechend zaghaft ist jetzt das Wahlprogramm: Zwar wollen die Sozialdemokraten etwas mehr Geld für die Ankurbelung des Wachstums in den Krisenländern zur Verfügung stellen. Von einer grundlegenden Abkehr vom Merkel-Motto "Hilfe gegen Reformen" kann aber keine Rede sein.

Da machen es sich die Grünen leichter: Obwohl sie genauso mit der Kanzlerin gestimmt haben wie die SPD, setzen sie auf das schlechte Gedächtnis der Wähler und vollziehen eine rasante Wende: "Wir kritisieren den europapolitischen Kurs von Merkel scharf", heißt es im Programm und: "Es ist fahrlässig, wie die Währungsunion von der Bundesregierung aufs Spiel gesetzt wird." Was dann folgt, ist eine Liste von Ideen, die jedem Konservativen den Schweiß auf die Stirn treiben und alle Gedankenspiele über eine schwarz-grüne Koalition als Hirngespinste entlarvt: Gemeinschaftsanleihen der Euro-Länder, ein Tilgungsfonds zum Altschuldenabbau, Vermögensabgaben in allen EU-Ländern.

Angesichts solcher Konkurrenz bleibt Gregor Gysi und seinen Mitstreitern wenig übrig, als noch ein Stück weiter nach links zu rücken. Die PDS-Nachfolger wollen die Sozialkürzungen in Griechenland, Portugal, Irland und Zypern rückgängig machen und die Europäische Zentralbank zwingen, den Regierungen der Euro-Länder direkt Geld zu leihen. Dass das nach geltendem Recht schlicht verboten ist, schert Gysi & Co. wenig. Immerhin: Dank der klaren Positionierung der AfD und der Linken stehen dem Wahlbürger zwei klare Alternativen zum "Ja" von Union und FDP und zum "Ja, aber" von SPD und Grünen zur Fortführung des bisherigen europapolitischen Kurses zur Verfügung: eine am eher rechten, eine am eher linken Rand.

Weit weniger klar ist hingegen, wie es in der Sache weitergeht. Nicht nur, dass die Wirtschaftsdaten aus den Krisenländern kein einheitliches Bild ergeben, sie werden auch noch höchst unterschiedlich interpretiert. Die Kritiker des bisherigen Kurses reden die Reformerfolge etwa in Griechenland systematisch klein, die Befürworter werten jeden noch so kleinen Lichtstrahl als Beleg für das nahende Ende des Tunnels. Die Wahrheit ist: Noch weiß niemand, ob diese Strahlen tatsächlich von der Sonne stammen - oder von einem entgegenkommenden Zug. Wann Europa die Krise überwindet, hängt zudem weniger von Wahlprogrammen ab als von so unberechenbaren Faktoren wie den jüngsten Währungsturbulenzen in einigen großen Schwellenländern. Bleiben sie regional begrenzt, oder lösen sie die nächste Weltwirtschaftskrise aus, die auch die Reformerfolge in Europa wieder zunichtemacht?

Klar scheint lediglich: Trotz aller neuen Verträge und Institutionen, die sich die Europäer im Zuge der Krise gegeben haben - vom Hilfsfonds ESM über den Fiskalpakt bis hin zur sogenannten Jugendgarantie - ist die Euro-Zone immer noch alles andere als krisenfest. Nötig ist nach Meinung der meisten Experten vielmehr eine Richtungsentscheidung, um die sich Koalitions- wie Oppositionsparteien bisher herumdrücken: Entweder müssen die Aufgaben, die die EU-Kommission mangels echter Zuständigkeit nicht bewältigt bekommt, wieder auf die nationale Ebene zurückgeholt werden, oder aber die Kommission, das Europaparlament und der Europäische Rat müssen zu einer Art europäischer Regierung mit einem starken Zwei-Kammer-Parlament ausgebaut werden. Am konkretesten werden hier noch die Grünen, die beispielsweise fordern, dass die Parteifamilien bei Europawahlen künftig Spitzenkandidaten nominieren - der Wahlsieger würde dann Kommissionspräsident.

Ein wirklich stringentes europapolitisches Gesamtkonzept aber bietet keine der Parteien an, die zur Bundestagswahl antreten. Wem das nutzt und wem es schadet, wird man vielleicht bereits am Sonntagnachmittag beobachten können: vor einem Briefkasten am Berliner Spreeufer.

Endstation

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In der Lausitz will der Energiekonzern Vattenfall seinen Tagebau erweitern. Ganze Orte müssen weichen. Nun wächst der Protest

Die Aktivisten kamen im Morgengrauen, und sie brachten gleich eine Feldküche mit. Unbemerkt von Vattenfall setzten sie Betonquader auf die Braunkohlebahn, stülpten Stahlbehälter darüber und ketteten sich darin fest. Eine Schlagader des ostdeutschen Vattenfall-Konzerns - einfach stillgelegt, von 40 Greenpeace-Aktivisten. Eine Handvoll davon sogar aus Schweden, dem Heimatland des Konzerns.



Greenpeace-Aktivisten ketten sich an ein Gleis von Vattenfall in der Lausitz

Es ist die bisher aufsehenerregendste Aktion gegen die Braunkohle in der Lausitz. Der Protest richtet sich gegen die geplante Erweiterung des Braunkohle-Tageabbaus von Vattenfall in Brandenburg. In dem 'Welzow Süd' genannten Areal sollen sich bald riesige Bagger noch weiter durch das Land fressen. Orte wie Proschim oder Lindenfeld könnten in ein paar Jahren von der Landkarte verschwunden sein. 800 Menschen müssen hier umgesiedelt werden. Insgesamt will Vattenfall in Ostdeutschland fünf Tagebaue erweitern und bis zu 3000 Menschen umsiedeln. 'Die fortschreitende Klimazerstörung erlaubt keine neuen Braunkohle-Tagebaue mehr', sagte Greenpeace-Kampagnenleiter Tobias Münchmeyer am Rand der Gleise. 'Die nächste Bundesregierung muss einen Ausstieg aus der Kohle bis 2030 einleiten.'

Parallel übergaben Gegner des neuen Tagebaus in Cottbus insgesamt 112157 Einwendungen gegen den Tagebau - Arbeit satt für die Planungsbehörde. Verschiedene Umweltverbände und Bürgerinitiativen hatten dazu aufgerufen. Jetzt sprechen sie von einer 'historisch hohen Zahl' an Einwendungen - so viele habe es noch nie gegen einen Tagebau gegeben. Derweil sammelte die Initiative 'Pro Lausitz ' noch am Montagabend Unterschriften für den Tagebau- beim Zweitligaduell zwischen Energie Cottbus und dem 1. FC Köln. Schließlich handele es sich dabei um ein 'sportliches Duell der beiden Braunkohlereviere'. Die Frist für Einwendungen läuft an diesem Dienstag aus.

Doch mit der Greenpeace-Blockade erreicht der Protest gegen die Kohleindustrie in Deutschland eine neue Dimension - und bringt den Energiekonzern Vattenfall ernsthaft in Bedrängnis. Nach dem Ausstieg aus der Atomkraft ist die Braunkohle der Hauptpfeiler der Stromerzeugung für Vattenfall - wenn die Züge denn rollen. Normalerweise werden so täglich Tausende Tonnen Braunkohle zu den nahen Kraftwerksblöcken des Konzerns transportiert. Betroffen seien mit Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg gleich drei Kraftwerke, sagte eine Sprecherin des Konzerns. Sie würden nun provisorisch aus anderen Tagebauen versorgt. Wie lange die Kraftwerke, die auf die nahe Förderung des Rohstoffs angewiesen sind, unter diesen Umständen am Netz bleiben könnten, sei unklar. 'Die Situation ist für uns angespannt', räumte die Sprecherin ein. 'Greenpeace hat die Grenzen des sachlichen Protests überschritten.' Vattenfall will die Umweltorganisation nun anzeigen.

Bei dem Streit geht es nicht zuletzt um viel Geld. Vattenfall will den Tagebau erweitern, um sein wichtiges Kraftwerk Schwarze Pumpe bis 2040 zu beliefern. Denn Kohlestrom ist ausgerechnet im Energiewendeland Deutschland wieder zum guten Geschäft geworden, spätestens seit die Preise für Verschmutzungsrechte eingebrochen sind. Die Schattenseite der Wende: Stein- und Braunkohle erleben eine wahre Renaissance. Sie deckten auch 2012 ein Viertel (24,2 Prozent) des gesamten Energiebedarfs der Bundesrepublik - bei steigender Tendenz. Ihr Anteil an der Stromproduktion lag sogar bei knapp der Hälfte (44,8 Prozent). Die Folge: Der Treibhausgasausstoß in Deutschland steigt nach Jahren des Rückgangs leicht an.

Beispiel Schwarze Pumpe: Das Kraftwerk produziert täglich mehr als 32000Tonnen Kohlendioxid. Das entspreche dem durchschnittlichen CO2-Tagesausstoß von mehr als sieben Millionen Mittelklassewagen oder von sämtlichen zugelassenen Pkws in Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, rechnet Greenpeace vor. Mehr noch: Erstmals beteiligen sich nun auch schwedische Umweltaktivisten an den Protesten in der Lausitz. Bei Vattenfall trifft das einen wunden Punkt. Daheim in Schweden steht der Staatskonzern seit Jahren in der Kritik. Die Braunkohle passt nicht in ein klimafreundliches Portfolio. Fünf aktive Tagebaue betreibt Vattenfall noch, bis 2027 läuft die Konzession. Doch Vattenfall will auch danach weiter Kohle fördern, das Genehmigungsverfahren läuft. Kommt Vattenfall durch, heißt das: Förderung bis 2045 - und das Ende sechs weiterer Dörfer. Ob Vattenfall so lange an der Braunkohle festhält, ist hingegen fraglich. Derzeit trifft der Konzern Vorkehrungen für die Abspaltung des Geschäfts, Verkauf nicht ausgeschlossen.

Noch am Montagnachmittag wurde die Feldküche fortgeschafft, angeblich stand sie auf Vattenfall-Grund. Für die Aktivisten auf den Schienen rückte ein Gleisbauzug an, er sollte die Schienen austauschen - und die Blockade so abräumen. Der Protest gegen 'Welzow Süd' aber wird wohl bleiben.

Ausfahrt frei halten

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Horst Seehofer beharrt auf einer Autobahnmaut für Ausländer. Einer nüchternen Betrachtung hält die Idee kaum stand.

Horst Seehofer hat aber auch wirklich alles richtig gemacht. Ein Wahltermin gleich nach Ende der bayrischen Sommerferien - und dann eine Autobahnmaut für Ausländer als Aufregerthema im Endspurt. Logisch, halb Bayern ist gerade erst im Süden gewesen, hat brav in Österreich ein Pickerl gelöst, sich trotzdem an der Mautstation der Brenner-Autobahn einreihen müssen, um dann auf dem Weg ans Meer noch einmal ordentlich in Italien oder sonstwo zu löhnen. Und klar: Halb Bayern hat auf dem Heimweg am Irschenberg oder andernorts im Stau gestanden, zusammen mit gebührenfrei reisenden Autos aus ganz Europa. Fruchtbarer hätte der Boden für Seehofers Vignette nicht sein können.



Eine Kontrollstation der LKW-Maut auf der A57

Nur macht auch eine absolute Mehrheit die Idee des Bayern Seehofer nicht richtiger. Ausländer will er zum Kauf einer Autobahn-Vignette zwingen. Inländer dagegen sollen den Aufkleber für die Windschutzscheibe kostenlos erhalten - schließlich haben die ja hierzulande Kraftfahrzeugsteuer entrichtet. Doch schon aus formalen Gründen wird Seehofer damit nicht weit kommen. Wie man es dreht und wendet, europarechtlich lässt sich das kaum rechtfertigen.

Denn die Kfz-Steuer ist nicht zweckgebunden. Sie fließt in den allgemeinen Haushalt, nicht in den Erhalt von Straßen. Mithin kann der Steuerbürger nicht als Gegenleistung vom Staat eine Vignette geschenkt bekommen, die genau diesem Zweck dienen soll. Ohnehin lässt sich eine Steuer nicht mal eben so gegen eine (Straßen-)Gebühr aufrechnen. Faktisch liefe so alles auf eine Benachteiligung ausländischer Autofahrer hinaus. Und das mögen Europas Richter gar nicht gern.

Als Ausweg bliebe eine Vignette für alle. Die müsste dann jeder erwerben, der deutsche Autobahnen benutzen will - so handhaben es auch die Österreicher. Weil aber damit die hiesigen Autofahrer zusätzlich belastet würden, bräuchte es Linderung für sie an anderer Stelle: am ehesten wohl bei der Kraftfahrzeugsteuer.

Das nun wäre in jeder Hinsicht ein Irrsinn. Zum einen sozial: Während die Steuer noch einen Unterschied macht nach der Größe des Hubraums, also einen VW Lupo wesentlich besser stellt als einen VW Phaeton, kostet die Vignette für alle gleich viel. Mithin würden diejenigen künftig stärker belastet, die es sich am wenigsten leisten können. Sie finden sich künftig auf den Landstraßen wieder, um Autobahnen und Vignette irgendwie zu vermeiden. Ökologisch hat die Vignette ohnedies null Nutzen: Während die Kfz-Steuer auch besonders emissionsarme Fahrzeuge belohnt, dürften Stinker mit Pickerl künftig zum Pauschaltarif fahren.

Es gibt klügere Wege, Nutzer an den Kosten der Straße zu beteiligen, etwa nach Vorbild der deutschen Lkw-Maut. Sie erfasst genau, wer welche Strecke zurückgelegt hat. So ließe sich sogar Verkehr steuern: mit gestaffelten Gebühren je nach Tageszeit und Strecke, je nach Emissionen. All das ist technisch möglich. Nur würde das heißen, hierzulande 43 Millionen Autos mit entsprechender Technik auszustatten, ihren Besitzern monatlich Rechnungen zuzustellen und das Geld einzutreiben. Von Problemen des Datenschutzes ganz zu schweigen: Jeder Kilometer ließe sich so nachverfolgen. Die klügere Variante bleibt damit chancenlos.

Mag schon sein: Ein Beitrag ausländischer Autos zum Erhalt der Fernstraßen wäre wünschenswert. Allerdings wird dieser Beitrag auch gern überschätzt: Nur gut jedes 20. Auto auf deutschen Autobahnen stammt aus dem Ausland. Gleichzeitig braucht es einen enormen Aufwand an Verwaltung, Vertrieb und Kontrolle, um sie zur Kasse zu bitten. In Österreich geht rund jeder zwölfte Euro allein für solche Systemkosten drauf. Die Vignette mag sich im Alpentransitland Österreich trotzdem lohnen, weit weniger aber in der Flächenrepublik Deutschland. Im schlimmsten Fall decken die Einnahmen einer wie immer gearteten Maut gerade mal die Kosten. Und das nur, um eine funktionierende Kfz-Steuer durch eine Fernstraßen-Flatrate zu ersetzen.

Mag auch die Autobahngebühr einer nüchternen Betrachtung kaum standhalten, in der Welt ist sie trotzdem. Sollte die Union an der nächsten Regierung beteiligt sein, worauf so gut wie alles hindeutet, wird es vor allem um gesichtswahrende Lösungen gehen. Die Kanzlerin hat vor Millionenpublikum der Maut eine klare Absage erteilt, der CSU-Chef will sie um jeden Preis durchsetzen, ab sofort mit noch mehr Macht. Das verheißt nichts Gutes.

Seehofer und seine Wähler

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Hat fast jeder zweite Bayer tatsächlich für die CSU gestimmt? So behauptet es ihr Vorsitzender. Ganz so war es zwar nicht. Aber die CSU hat gewonnen - anders als beim Pseudo-Triumph von 2003


Welcher Versuchung konnte Horst Seehofer nicht widerstehen, als er seine Siegesrede hielt? Er stoiberte. "Jede zweite Bayerin und jeder zweite Bayer hat uns gewählt", sagte er. Der Satz war falsch, aber die ihm zugrunde liegende Denkweise wurde bereits vom Vorvorgänger in Anspruch genommen.



Horst Seehofer - der strahlende Sieger der Landtagswahlen in Bayern

9,4 Millionen Wahlberechtigte gibt es im Freistaat, und in jeder Schule, die unter Aufsicht der Staatsregierung steht, wird gelehrt: Die Hälfte davon, das sind 4,7 Millionen. So viele Bayerinnen und Bayern haben aber nicht CSU gewählt. Seehofer ignorierte in seiner Formulierung den Unterschied zwischen Wahlberechtigten und Wählern. Gut sechs Millionen Wahlberechtigte haben tatsächlich gewählt. Bei ihnen kam die CSU auf 47,7 Prozent.

Es ist alles andere als Zahlenhuberei, auf derlei hinzuweisen. Der CSU-Einbruch vor fünf Jahren kam ja auch dadurch zustande, dass der einstmalige Ministerpräsident Stoiber sich 2003 etwas auf seine "Zweidrittelmehrheit" eingebildet hatte. In halb Europa erzählte er herum, für wie sagenhaft er das hielt - und leitete daraus das Mandat für jene Turbo-Politik ab, die zuerst ihn das Amt und schließlich seiner Partei die Alleinregierung kostete. In Wahrheit hatte die CSU 2003 Stimmen verloren: fast 230000. Ihre Zweidrittelmehrheit kam exklusiv so zustande, dass die SPD wegen der Agenda 2010 noch viel stärker verlor: 1,5 Millionen Stimmen. Die Wahlbeteiligung war eingebrochen, von fast 70 auf 57Prozent. Der Ministerpräsident predigte einen Triumph, der keiner war.

Horst Seehofer hatte am Sonntag immerhin tatsächlich Grund, sich zu freuen. Wenn die Wahlbeteiligung zunimmt, drückt ein gestiegener Prozentwert auch gestiegene Zustimmung aus. Zwar analysieren nicht alle Demoskopen die Wanderungen von Wählern - sie trauen deren Angaben nicht, wen man beim vergangenen Mal angekreuzt habe. Aber die Zahlen von Infratest dimap spiegeln eine plausible Tendenz wider: 320000 Bürger, die vor fünf Jahren nicht wählten, haben demnach diesmal für die CSU gestimmt. 120000 Bürger wanderten von der FDP zur CSU; und immerhin jeweils 20000 frühere Wähler von Grünen und Linken haben den Sprung gemacht. Zwischen CSU und SPD hingegen gab es keinen Austausch.

Zwei Drittel der Wähler wollen sich bei ihrer Entscheidung an der Landespolitik orientiert haben; das hat die Forschungsgruppe Wahlen ermittelt. Für ein Drittel war die Bundespolitik entscheidend. Die Wähler hielten die CSU durchgehend für kompetenter als die SPD: nicht nur in der Bildungs- und Familienpolitik, sondern sogar bei Arbeit und Sozialem. Und mag die Partei auch derart viele Affären geliefert haben, dass die kaum noch zu überblicken sind - ihrem Ansehen haben die nicht geschadet. Im Gegenteil. Imagewert der CSU laut Forschungsgruppe: 2,3. Vor fünf Jahren betrug er 1,6. Imagewert der SPD: 0,6. Heißt das was für nächsten Sonntag? Nein, sagt die Forschungsgruppe. Dominante Regierungspartei, Freie Wähler als relevante Größe plus "eigene Mentalitäten" - das seien Besonderheiten, die zu einem besonderen Ergebnis führten.

Die Wahlbeteiligung war um exakt sechs Prozentpunkte auf 63,9 Prozent gestiegen. Keiner Partei ist es annähernd so gut gelungen wie der CSU, jene Menschen wieder an die Urne zu bekommen, die sich vor fünf Jahren enthalten hatten. Am zweitbesten gelang dies noch der SPD, die aus dem Lager 110000 Stimmen gewann. Die FDP aber gab an fast alle ab: auch an SPD, Grüne sowie Kleinparteien. 10000 Wahlberechtigte blieben sogar lieber daheim, als nochmals diese Partei zu wählen. Lediglich an die Linke verlor die FDP nichts. Ihre Ex-Wähler wollten es wenigstens nicht zum Äußersten treiben.

Bei der Wahlbeteiligung liegt Bayern nun wieder im oberen Mittelfeld der Bundesländer. 63,9 Prozent, das bedeutet: Nur in Baden-Württemberg, Brandenburg, im Saarland und in Schleswig-Holstein war sie zuletzt höher. Für Bayern bleibt der Wert jedoch niedrig: Nur bei den zwei zurückliegenden Wahlen war er niedriger.

Immerhin, er scheint sich zu erholen. Ob das aber an den Briefwählern liegt? Könnte sein, aber die Wahlforscher haben darauf noch keine Antwort. Richtig ist, dass der Anteil der Briefwähler bei allen Wahlen seit Jahren steigt. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der Staat es seinen Bürgern inzwischen einfacher macht: Früher musste man begründen, warum man per Brief abstimmen wollte (Krankheit, Alter, Umzug oder Abwesenheit "aus wichtigem Grund", und ob der wirklich wichtig war, dazu traute sich manch eifriger Beamte im Wahlamt ein Urteil zu). Heutzutage beantragt man Briefwahl, und gut ist. Auch am kommenden Sonntag dürfte es mehr Briefwähler geben als früher, darauf deutet die Zahl der Anträge in Großstädten hin.

Eine Hoffnung respektive Sorge kann man jedoch allen Kandidaten nehmen: Für die landläufige These, Briefwähler seien eher konservativ, gibt es in der Wahlforschung keine Belege. Allerdings: Sie wählen überdurchschnittlich häufig entweder Union und SPD. Bei den Volksparteien ist der Anteil älterer Wähler höher als bei den anderen. Und mehr ältere als jüngere Wähler bevorzugen Briefwahl.

Sprung in der Schüssel

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Warum sich zwei fotografierende Russen - unterstützt von einer Schuhfirma - in schwindelerregende Höhen begeben. Und warum davon nicht nur der Kölner Dompropst alles andere als begeistert ist

Es ist schwer geworden, einen echten Kick zu landen. Hunderte spazieren jährlich auf den Mount Everest - und damit ist das nichts Besonderes mehr. Als Jugendlicher allein im Segelboot um die Welt, als Erwachsener hoch hinaus in die Stratosphäre - alles ist schon da gewesen. Welches Abenteuer bleibt da noch? Gut, man könnte sich am Bahnhof eine Zigarette anzünden, im teuren Restaurant ein Brathühnchen aus Käfighaltung bestellen oder für die bayerische SPD kandidieren. Vielleicht hilft einem auch dieser Satz weiter, den der junge Russe Vitaliy Raskalov erst vor zwei Tagen in seinen Blog diktierte: "Schmeiß Deine Karriere über den Haufen - und beginn" zu leben."



Vadim Makhorov und Vitaliy Raskalov stiegen nachts aufs Dach des Kölner Doms

Doch Vorsicht: Vitaliy ist einer dieser Typen, die noch nicht mitbekommen haben, dass sie gerade womöglich dabei sind, vor lauter Kick-Lust nicht nur ihre Karriere, sondern gleich ihre gesamte Existenz über den Haufen zu schmeißen. Die in einem Anfall ikarischer Selbstüberschätzung immer höher hinaus wollen - und dabei ständig vom Absturz bedroht sind.

Gemeinsam mit seinem Freund Vadim Makhorov ist Vitaliy Raskalov gerne ungesichert auf sehr, sehr hohen Dächern unterwegs. Weil die beiden Fotografen Gefallen an der Idee fanden, der Welt selbst noch im Google-Street-View-Zeitalter ein paar neue, spektakuläre Motive abzutrotzen, erkletterten sie zuletzt zum Beispiel das Stalin-Hochhaus der staatlichen Moskauer Universität, die Schrägseilbrücke in Kiew oder die Spitze der Cheops-Pyramide in Ägypten.

Sogar kleine Bußgelder, die sie da und dort berappen mussten, konnten die kaum mehr als 20 Jahre zählenden Russen nicht davon abbringen, auch in diesem Sommer wieder ungesichert auf "Rooftopper"-Tour zu gehen, übrigens sehr zum Missfallen des Kölner Dompropstes Norbert Feldhoff. Seit Jahren achtet Feldhoff sehr verdienstvoll darauf, dass kein U-Bahn- und kein Karnevals-Zug des von ihm verwalteten, sogar der Asche des Zweiten Weltkriegs entstiegenen Gotteshauses zu nahe kommt. Wie sehr erschrak der Dompropst jetzt, als man ihm die Internet-Fotos vom "Europa-Trip" der beiden Russen zeigte: Da steigen Makhorov und Raskalov seinem Dom seelenruhig mitten in der Nacht aufs Dach und erklimmen sogar einen der beiden Doppeltürme. Feldhoff kündigt nun rechtliche Schritte an und will prüfen lassen, ob Schäden an der Fassade entstanden sind.

Da mag es kaum beruhigen, dass die Russen auf weiteren Fotos im Netz auch von Sacré Coeur in Paris grüßen, oder der Sagrada-Familia in Barcelona. Den Prager Veitsdom, erzählen Makhorov und Raskalov stolz in ihrem Blog, hätten sie sich sogar am Tag vorgenommen, worauf sie allerdings von Polizisten als mutmaßliche Terroristen abgeführt und mithilfe eines Spezialkoffers auf TNT-Reste hin untersucht worden seien. Aber damit müsse man eben leben, als Rooftopper. "Vor vier Jahren habe ich meinen ersten Kran in Nowosibirsk bestiegen", so Makhorov in einem Video. "Als ich dort runterschaute, da wusste ich: Das ist das, was ich in Zukunft machen möchte."

Da Energy-Drinks, Klamottenhersteller und Werbefilmer immer auf der Suche nach jungen Lebensmüden sind, mit deren Hilfe sie Produkten ein cooles Abenteuer-Image verleihen können, müssen sich auch Makhorov und Raskalov keine Sorgen um Sponsoren machen. Gerade erst hat sie ein Schuhproduzent für einen schwindelerregenden Sohlen-Spot in Berlin aufs verschneite Dach geschickt, freilich nicht ohne im Abspann darauf hinzuweisen, dass "die Aktionen und Situationen, die in diesem Video gezeigt wurden, unter strikter professioneller Beobachtung aufgenommen" worden seien und man darauf "besteht", dass dies "von niemandem nachgemacht" werden dürfe.

Zugleich fällt auf, dass es Makhorov und Raskalov offenbar nicht reicht, mit teurer Fotoausrüstung auf rutschigen Sohlen über Absperrgitter zu steigen. Nein, sie lieben es auch, in luftigen Höhen - zum Beispiel auf einem Wolkenkratzer in Benidorm - ihr Smartphone zu zücken, um quasi von der Dachrinne aus (mit ihren Müttern?) zu telefonieren. Das wiederum legt die Vermutung nahe, dass nicht nur ein Schuhhändler, sondern auch eine international agierende Telekommunikationsfirma zu ihren Förderern gehören könnte.

Man sollte allen Beteiligten wünschen, dass sie noch möglichst lange vom Absturz verschont bleiben. Dies dürfte auch ganz im Sinne des Kölner Dompropsts sein.

UN: In Syrien wurde Sarin eingesetzt

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Inspektoren finden Beweise für Verwendung des Nerven-Kampfstoffs 'in relativ großem Maßstab'


In Syrien ist nach Einschätzung der UN-Inspektoren Sarin eingesetzt worden. Dafür gebe es "klare" Beweise, hieß es in einem Bericht des UN-Chef-Waffeninspektors Åke Sellström, der noch im Laufe des Montags dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt werden sollte. Der Bericht bestätigt den Einsatz des Nervenkampfstoffes bei einem Angriff am 21. August in Damaskus.



Eines der Opfer des Giftgasanschlags am 21. August 2013

Die Vereinten Nationen veröffentlichten am Montag ein Foto von der Übergabe des Berichts durch Sellström an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Auf dem Bild ist die erste Seite zu erkennen, auf der es heißt, dass Geschosse mit "dem Nervenkampfstoff Sarin eingesetzt wurden", und zwar "in relativ großem Maßstab".

Nur zwei Tage nach der russisch-amerikanischen Vereinbarung zur Kontrolle und Beseitigung aller syrischen Chemiewaffen brachen neue Risse zwischen Moskau und dem Westen auf. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte am Montag, der "Friedensprozess" sowie geplante Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkriegs könnten scheitern, falls "bestimmte europäische Hauptstädte" weiter mit militärischer Gewalt drohten. Damit zielt Moskau vor allem auf Paris: Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hatte kurz zuvor gefordert, die zur Umsetzung des Chemiewaffen-Kompromisses nötige

UN-Resolution müsse "ernsthafte Konsequenzen" vorsehen, falls Damaskus die Vereinbarung unterlaufe: "Alle Optionen müssen auf dem Tisch bleiben."

Nach einem Treffen mit seinen Außenministerkollegen aus den USA und Großbritannien, John Kerry und William Hague, hatte Fabius in Paris verlangt, Syrien müsse nun "sehr schnell mit konkreten und verifizierbaren Taten" die Vereinbarung zum Verzicht auf Chemiewaffen umsetzen. Frankreich will, dass der UN-Sicherheitsrat noch diese Woche eine "harte Resolution" verabschiedet. Aus der Umgebung von Präsident François Hollande hieß es, die Resolution müsse "die Zerstörung der syrischen Arsenale in Stein meißeln" und "Sanktionen, auch militärische, im Falle von Verstößen vorsehen".

In Anspielung auf eine mögliche Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof fügte Fabius hinzu, "die Verantwortlichen für das Verbrechen" des Chemiewaffen-Einsatzes sollten "zur Rechenschaft gezogen werden". Die amerikanisch-russische Vereinbarung sieht das nicht vor. Zudem hatte Moskau sich von Washington zusichern lassen, dass vor eventuellen Militärschlägen gegen das syrische Regime der Sicherheitsrat auf jeden Fall erneut beraten müsse.

Wählen wie Mama und Papa

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41 Prozent der bayerischen Erstwähler haben die CSU gewählt. Doch was macht die konservative Partei für junge Menschen eigentlich so attraktiv? Bewaffnet mit einer Horst-Seehofer-Maske haben wir uns auf die Suche gemacht - und wenig überzeugende Antworten bekommen.

Sonntag, 15. September, 18.10 Uhr:
Die ersten Hochrechnungen zur Landtagswahl liegen vor. Sieht fast so aus, als hätte König Horst die Bayern überzeugt und könne nun als Alleinherrscher ganz ohne Koalitionspartner regieren. Neuer Rekord für die CSU, nicht überraschend eigentlich im schwarzen Bundesland Bayern. Aber mal abwarten, wie das Endergebnis genau aussieht, und vor allem, wie die Erstwähler sich dieses Mal so entschieden haben.  



Schon einmal die Horst-Seehofer-Pose üben, bevor Lisa zur Straßenumfrage loszieht.

Montag, 16. September, 11.03 Uhr:
Bei der Redaktionskonferenz sind die Wahlergebnisse Gesprächsthema Nummer eins. Vor allem die Tatsache, dass so viele Erstwähler sich für die CSU entschieden haben, bereitet uns etwas Kopfzerbrechen. Denn irgendwie kennt niemand in der jetzt.de-Redaktion junge Leute, die sich offen zur CSU bekennen.Wer also sind die 41 Prozent der Jungen, die bei ihrer ersten Landtagswahl schwarz gewählt haben? Wo kommen die her? Wo finden wir sie? Das wollen wir herausfinden. Dürfte doch eigentlich nicht so schwer sein, bei der Menge. Für den Fall, dass einige der jungen Wähler ihr Gesicht nicht online wiederfinden wollen, basteln wir sogar noch eine Seehofer-Maske. Hinter der können sie sich dann notfalls verstecken.

12.15 Uhr:



Unser erstes Ziel ist die FOS in der Lindwurmstraße 90. Der Schüler Max Schneider, 18, ist der erste, der auf unsere Frage hin zu nicken beginnt. Ja, er habe CSU gewählt und und das aus gutem Grund: „Ich war von den anderen Parteien nicht so überzeugt und meine Eltern sind auch schon immer eher für die CSU gewesen. Außerdem erwarte ich mir von Seehofer mehr als zum Beispiel von einer Claudia Roth. Die CSU steht für wirtschaftliche Stärke – unter ihrer Leitung ging es im Gegensatz zur SPD-Zeit aufwärts. Und auch wenn es um Schulbildung und Rentengeht, vertraue ich auf die CSU.“ Bei der Bundestagswahl am 22. September würde er die Union vermutlich aber eher nicht wählen. Fürs Foto posiert er trotzdem gern in Seehofer-Manier.  

13.05 Uhr:



Draußen wird es bereits während der Unterhaltung mit Max immer ungemütlicher, es fängt an zu regnen. Zeit, die Suche nach drinnen zu verlegen. Zwischen vielen Nichtwählern und 16-Jährigen findet sich doch noch einer, der mit uns über die Motive für seine Wahl reden möchte. Maximilian Wald, 19, begründet „seine“ Entscheidung so: „Ich habe die CSU gewählt, weil mich meine Eltern sozusagen gezwungen haben.“ Auf die Frage, ob er sich auch mit den Inhalten der ihm aufgezwungenen Partei beschäftigt hätte, grinst er nur und sagt: „Ne, damit hab ich mich noch nicht befasst.“ 

13.30 Uhr:
Wir sind inzwischen vor der Berufsoberschule in der Prankhstraße 2, nahe der Hackerbrücke. Wer gestern als Erstwähler bei der CSU sein Kreuzchen gemacht hat, will ich wissen. Freundlich bleiben sie alle, aber auch etwas reserviert. Vor allem die Mädels verweisen aufs Wahlgeheimnis und die Jungs, na ja, die haben entweder gar nicht oder eine andere Partei gewählt oder wollen sich nicht vor laufendem Aufnahmegerät äußern, geschweige denn ein Foto machen lassen. Nicht einmal mit Seehofer-Maske. Umsonst war der Ausflug trotzdem nicht. Auf die Frage, warum er die CSU gewählt habe, wollte ein blonder BOS-Schüler zwar nicht antworten, auf dem Weg Richtung Klassenzimmer konnte er sich ein kurzes Statement dennoch nicht verkneifen und verkündete grinsend: „Ich sag nur so viel. Bayern bleibt schwarz und das ist auch gut so.“

14.15 Uhr:  
Vielleicht warten die Antworten beim Passantenfang in der Kaufingerstraße. Neben Touristen („Sorry, I don´t speak German“) und unmotivierten Jungwählern, die nichts von der Wahl mitbekommen haben, laufen mir noch ein paar CSU-Sympathisanten über den Weg. Größtenteils weiblich, gerade fleißig am Shoppen, meistens sehr schick gekleidet und doch gleichzeitig ein bisschen das süße Mädchen von nebenan. Über ihre Beweggründe, wenn es sie denn gab, sagen sie nichts. Sich öffentlich dazu bekennen, will auch keine.

15.00 Uhr:
Beim Warten auf die S-Bahn begegnen wir noch einem Mädchen, das sich nach kurzem Nachbohren als CSU-Wählerin outet. Im Anschluss an ihr Bekenntnis betont sie lächelnd, es habe sich nur um eine Art Verlegenheitswahl gehandelt: „Seehofer war einfach das kleinere Übel“ 

15.35 Uhr:
Etwa drei Stunden und 100 Passanten später haben wir noch immer keine Antwort auf die Ausgangsfrage gefunden, eher noch mehr Fragen: Wie kann es sein, dass die CSU Rekordwerte einfährt, aber keiner will sie gewählt haben? Warum stehen die meisten nicht zu ihrer Wahl? Vielleicht, weil die Beweggründe, "Meine Eltern wählen auch die CSU" und "das kleinere Übel" eigentlich keine Gründe sind, die man im Hinterkopf haben sollte, wenn man in der Wahlkabine sein Kreuzchen macht.

"Plötzlich gehört man zu den großen Namen"

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Am Mittwoch starten in Kiel die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften für die unter-20-Jährigen - zum ersten Mal als eigenes Festival getrennt von den Ü20-Meisterschaften. Jule Weber, 20, hat 2012 den U20-Titel geholt. Im Interview erzählt sie, was einem so ein Sieg alles bringt und wieso es vielleicht ganz gut ist, wenn kleine Slammer noch ein bisschen vom großen Trubel ferngehalten werden.

jetzt.de: Jule, wirst du in Kiel antreten, um deinen Titel als U20-Champion zu verteidigen?
Jule Weber: Ich bin dieses Jahr bei den großen Meisterschaften im November in Bielefeld dabei. Aber ich fahre trotzdem zu den U20-Meisterschaften, weil ich bei der Eröffnungsshow auftrete, ein paar Feature-Auftritte außerhalb des Wettbewerbs habe und natürlich beim Finale da bin, um den Gürtel abzugeben...  
 
...die Wander-Trophäe für den U20-Sieger. Ganz ehrlich: Hast du dir vergangenes Jahr Chancen ausgerechnet, den Gürtel zu gewinnen?
2012 habe ich bei den hessischen Meisterschaften den U20-Titel geholt und mich damit für die deutschsprachigen Meisterschaften qualifiziert. Als Ziel hatte ich mir gesetzt, durch die Vorrunden zu kommen, was beim U20 bedeutet, direkt ins Finale zu kommen. Das habe ich geschafft und war dann im Finale erst sehr entspannt, aber als ich dann im Stechen war, kam der Ehrgeiz dazu und ich dachte: „Ich bin so kurz davor, jetzt hätte ich es auch gerne!“ Das Ergebnis war dann superknapp!  



Jule Weber

Bisher fanden die U20-Slam-Meisterschaften immer im Rahmen der gesamten deutschsprachigen Slam-Meisterschaften statt, in diesem Jahr zum ersten Mal getrennt davon. Gibt es auch sonst eine Trennung zwischen der U20- und Ü20-Szene?
Ich finde es schwierig, in eine U20- und eine generelle Szene zu unterteilen. Ich selbst bin zum Beispiel, abgesehen von den Meisterschaften, nur auf ganz wenigen reinen U20-Slams aufgetreten. Vielleicht entsteht durch die getrennten Meisterschaften dieses Jahr so etwas wie eine eigene U20-Szene.  

Bis jetzt halten aber alle Altersklassen zusammen?

Ja. Die Kontakte und Freundschaften, die man knüpft, sind nicht an das Alter gebunden. Ingesamt ist es eine tolle Szene, die sich gut organisiert und schöne Zeiten miteinander haben kann. Als ich angefangen habe, habe ich gemerkt, dass man sehr offen empfangen wird. Die Leute sind neugierig auf das, was man macht, und sehr bereit, jemanden aufzunehmen.  

Gibt es denn thematisch oder in der Performance Unterschiede zwischen U20 und Ü20?

In erster Linie unterscheidet sich das durch die Erfahrung, darum finde ich die Trennung von U20- und Ü20-Wettbewerb richtig und logisch. Der Nachwuchs hat so seinen Rahmen, um sich etablieren zu können und nicht komplett unterzugehen. 

Also findest du es gut, dass die Meisterschaften getrennt wurden?
Ich finde es gar nicht schlecht. Es gibt immer wieder Fälle, in denen jemand mit Slam anfängt und dann so begeistert von der ganzen Künstlerszene ist, dass er anfängt, für Veranstaltungen Schule zu schwänzen und so weiter. Man fühlt sich einfach mächtig wichtig, und das ist ein superschönes Gefühl, aber ich glaube, darum ist es auch ganz gut, wenn sehr junge Slammer noch ein bisschen von dem ganz großen Trubel ferngehalten werden.  

Hat dir dein U20-Sieg irgendwas gebracht?
Ein U20-Sieg bringt durchaus was! Wenn man mit Slam anfängt, tritt man erstmal nur regional auf, und wenn man Veranstalter anderswo anfragt, kriegt man mitunter noch nicht mal Antwort, weil sie einen nicht kennen und ihre Fahrtkosten lieber für Leute ausgeben, von denen sie wissen, dass sie Qualität bringen. Durch den U20-Sieg hat man was vorzuweisen, man hat einen Titel und gehört plötzlich zu den großen Namen, die aufs Lineup gesetzt werden.  

Steht dein Titel jetzt immer hinter deinem Namen, wenn du irgendwo angekündigt wirst?

Nicht immer. Mir ist es auch lieber, nicht damit angekündigt zu werden, weil das so viel größer klingt als es ist und die anderen Teilnehmer irgendwie abwertet. Und ich probiere zum Beispiel nie neue Texte auf einer Veranstaltung aus, auf der ich als U20-Siegerin angekündigt werde...  

Warum nicht?

Das baut einen Erwartungsdruck auf. Durch den Titel denken die Leute, dass man mächtig was draufhaben muss. Da will ich dann natürlich Texte bringen, von denen ich denke, dass sie den Erwartungen am ehesten gerecht werden  

http://www.youtube.com/watch?v=LV9CCiBzZ2A Jule Weber im Finale der U20-Meisterschaften 2012 in Heidelberg

Haben sich durch die größere Bekanntheit auch Projekte über das Slammen hinaus ergeben?
Ja, auf jeden Fall. Ich werde für Auftragsarbeiten gebucht und gebe mehr Workshops an Schulen, denen gefällt die Sache mit dem Titel ziemlich gut.  

Über Workshops werden die Teilnehmer an Slam herangeführt. Wie hat das bei dir angefangen?

2008 war ich das erste Mal mit meiner Mutter beim Poetry Slam in der Centralstation in Darmstadt und war total begeistert! Zu meinem 16. Geburtstag habe ich von meinen Eltern einen Gutschein für einen Poetry-Slam-Workshop geschenkt bekommen. Den Abschluss-Slam des Workshops hab ich gewonnen und mich damit für die hessischen U20-Meisterschaften qualifiziert. Da bin ich Zweite geworden und hab dann einfach nie wieder aufgehört.  

Hast du einen Favoriten für den diesjährigen U20-Titel?
Ich hab mir angeschaut, wer antritt, und es sind wahnsinnig viele Namen dabei, die ich nicht kenne. Aber der amtierende hessische U20-Meister, Samuel Kramer, ist zum Beispiel wirklich stark und reißt gerade sehr viel!  

Wie geht es für dich weiter? Willst du mit Slam und Auftritten deinen Lebensunterhalt verdienen?

Ich jobbe nebenbei noch, aber es ist schon fast mein Hauptverdienst. Ich möchte sehr gerne ein Buch veröffentlichen und arbeite gerade daran. Ich genieße es auch sehr, aufzutreten, weiß aber auch, dass ich das nicht bis ins Alter in dem Umfang machen möchte. Und Workshops geben macht mir ziemlich viel Spaß. Ich hoffe einfach, dass ich noch lange in der künstlerischen Schiene bleiben kann – auch, weil ich nicht wüsste, was ich alternativ machen soll.

Schritt zurück in die Selbständigkeit

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Es ist zu früh, von einer Trendwende zu sprechen. Aber für die Psyche der angeschlagenen Euro-Zone und der über die Jahre misstrauisch gewordenen Bundesbürger dürften die Nachrichten vom Donnerstag enorm beruhigend wirken. Nachdem die Euro-Länder in den vergangenen drei Jahren ein milliardenschweres Hilfspaket nach dem anderen schnüren mussten, hat es jetzt erstmals ein Ende damit. Irland, die erste Nation, die im Jahr 2010 nur mit Hilfskrediten der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds vor der Pleite bewahrt werden konnte, geht zurück in die wirtschaftliche Freiheit.



Enda Kenny findet es richtig auf weitere finanzielle Unterstützung zu verzichten.

Die irische Regierung teilte den Partnern am Donnerstag unmittelbar vor den Beratungen der Finanzminister aus den 17Euro-Ländern mit, man wolle im Dezember die Hilfsprogramme beenden - und zugleich auf weitere finanzielle Unterstützung verzichten. "Das ist die richtige Entscheidung für unser Land", sagte Irlands bürgerlich-liberaler Premierminister Enda Kenny in Dublin. Die Regierung hatte am Donnerstag nach monatelangen Überlegungen beschlossen, anders als lange geplant, doch keine Kredite für einen möglichen finanziellen Notfall zu beantragen. Das sei "aus verschiedenen Gründen der beste Weg für unser Land", hieß es in einer Erklärung der irischen Regierung. Dublin hatte internationale Unterstützung in Höhe von 67,5 Milliarden Euro erhalten.

Die Regierung prüfte in den vergangenen Wochen die Option, ein finanzielles Auffangnetz für den Notfall aufspannen zu lassen und dazu eine Kreditlinie aus dem Euro-Rettungsfonds zu beantragen. Berlin bestand allerdings darauf, dieses Auffangnetz wiederum an Spar- und Reformauflagen zu knüpfen - was Dublin vehement ablehnte. "Ein Ausstieg ist nur dann ein Ausstieg, wenn Irland unabhängig wirtschaften kann", sagte ein hoher irischer EU-Diplomat. Am 15. Dezember will Irland den Schritt in die wirtschaftliche Selbständigkeit wagen. Zumindest psychologische Unterstützung lieferte unmittelbar nach dem Beschluss Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Er sei "überzeugt, dass die irische Regierung alles getan hat, was nötig ist, damit der Ausstieg gelingt", sagte Draghi - und erinnerte mit seiner Wortwahl an den Satz, mit dem er im Sommer 2012 die Spekulationen um den Zusammenbruch der Währungsgemeinschaft beendet hatte. Die EZB werde "alles tun, was nötig ist", um den Euro zu schützen, sagte Draghi damals. Die Ruhe, die diese Ankündigung brachte, hält bis heute an.

Eine zweite gute Nachricht kam aus Spanien. Auch die Regierung in Madrid will künftig ohne Hilfen für seine Banken auskommen. "Es sieht sehr gut aus, ich bin sehr zuversichtlich", sagte Jeroen Dijsselbloem, Präsident der Euro-Gruppe, am Donnerstag unmittelbar vor den Beratungen der Finanzminister in Brüssel. Madrid hatte von den Euro-Ländern für seine Krisenbanken gut 40 Milliarden Euro an Hilfskrediten erhalten. Das hat offensichtlich ausgereicht, diesen wieder auf die Beine zu helfen. Neue Hilfen sind nicht geplant. Das Programm läuft automatisch aus. Würde das Treffen der Euro-Gruppe nicht in Brüssel, sondern in Madrid stattfinden, hätten begeisterte Spanier ihren Finanzminister Luis de Guindos womöglich wie einen siegreichen Torero durch die Tore der Stadt getragen, sagte ein spanischer EU-Diplomat. Im grauen Brüssel blieb dem Minister nur der regennasse rote Teppich, um den "sauberen Ausstieg" Spaniens zu verkünden.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sieht die Euro-Länder nun auf einem guten Weg aus der Schuldenkrise. Die Entscheidung der Regierung in Dublin zeige, dass "unsere Politik der Stabilisierung der europäischen Währung erfolgreich und richtig ist". Da auch Spanien sein Hilfsprogramm zum Jahresende beenden werde, sei dies "ein guter Tag, um sich mal wieder daran zu erinnern, dass wir große Aufgaben vor uns haben aber auf dem richtigen Weg sind", sagte der Bundesfinanzminister. In Sachen Griechenland legte der amtierende Minister allerdings eine gehörige Portion Zweckoptimismus an den Tag. "Ich bin zuversichtlich", sagte er auf die Frage, wie es mit Griechenland weitergehe. Die Experten der internationalen Geldgeber, der sogenannten Troika, die seit einigen Wochen wieder die Fortschritte des Landes prüfen, sind da ganz anderer Meinung. Sie bescheinigen der Regierung in Athen nachlassenden Reformeifer. Es ist bisher nicht gelungen, sich auf die Eckdaten des griechischen Haushaltes für 2014 zu einigen. Die für Oktober geplante nächste Tranche aus dem Hilfsprogramm werde nicht vor Dezember freigegeben, heißt es in Brüssel. Ein Ausstieg Griechenlands aus dem derzeit bis 2015 terminierten Programm sei "überhaupt nicht in Sicht". Unsicher ist zudem, ob Portugal im April 2014 wieder allein wirtschaften kann. Es wären dann auch zu viele gute Nachrichten auf einmal gewesen an diesem Donnerstag in Brüssel.

Neue Wege für Europa?

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Laura Völkl ist 18 Jahre und studiert in Passau Kulturwirtschaft. Momentan bespricht sie mit 45 anderen Jugendlichen aus ganz Europa noch einmal das Manifest der europäischen Jugend, das sie gemeinsam mit ihnen erarbeitet hat. Ziel war es, sich mit EU-Politik und ihren Stärken und Schwächen auseinander zu setzen. Das Manifest soll Politikern, Wirtschaft und Gesellschaft Wege in die Zukunft aufzeigen. Im Manifest geht es um Menschenrechte, Arbeit und Gewalt - und für die Jugendlichen auch darum, sich besser kennen zu lernen und einen neuen, frischeren Blick auf Europa zu werfen. Initiiert wurde der ganze Prozess vom Frankfurter Zukunftsrat, einem wertkonservativen und wirtschaftsnahen Think Tank.

jetzt.de: Laura, wenn man sich die Zusammenfassung des Manifestes ansieht, findet man große Kapitel über Kultur oder Menschenrechte. Du hast dich "nur" mit dem Thema Energie beschäftigt. Hast du dich darüber geärgert?
Laura Völkl: Am Anfang habe ich mich echt furchtbar geärgert. Ich hatte es mir ja nicht selber ausgesucht, sondern wurde dieser Gruppe zugeteilt. Ich finde, das ist ein sehr kompliziertes Thema, aber man muss nicht von A bis Z erörtern, wann welches Atomkraftwerk abgeschaltet werden sollte. Uns wurde gesagt: ‚Sucht euch eine Sparte raus und macht das dann im Detail. Sucht einfach nach kreativen Lösungen.’ Und so bin ich dann auch auf mein Thema gekommen.  

Den Ausbau von sauberer und nachhaltiger Energie?

Nein, damit haben sich die beiden anderen Gruppenmitglieder beschäftigt, ein Bulgare und ein Franzose. Ich speziell habe darüber geschrieben, wie man Strom sparen kann, indem man versucht den Verbrauch an künstlichem Licht zu reduzieren.  

Und was ist dein Lösungsansatz?

Zum Beispiel der Ausbau von LED-Technologie, weil sich dadurch viele Kosten minimieren lassen und die LEDs länger laufen. Das Problem ist momentan nur, dass sie noch sehr viel kosten. Mein zweiter Punkt war, dass man nachts zum Beispiel die Werbetafeln abschaltet. Man erreicht ja ohnehin eine sehr kleine Zielgruppe in der Nacht, also könnte man es sich auch sparen. Ein anderer Punkt ist, dass man in weniger frequentierten Gebieten nur jede zweite Straßenlaterne laufen lässt. Es gibt auch schon ein paar Gemeinden in Bayern, die dadurch ziemlich viele Kosten sparen. Zum Beispiel Dorfen in Oberbayern. 

Habt ihr in der Gruppe darüber geredet, wie sehr man in so einem Manifest provozieren darf?
Nein, bei uns war es mehr eine Diskussion zwischen Deutschland und Frankreich. Deutschland soll ja komplett aussteigen. Und dann kommt der Franzose mit Gegenargumenten: ‚Naja, so gut ist das doch gar nicht und Deutschland steht damit eigentlich in Europa alleine da.“ Aber im Großen und Ganzen waren wir uns schon einig, dass etwas geschehen muss, obwohl das natürlich auch noch einige Zeit braucht. Es waren also keine kompletten Gegenpole.  

Der Zukunftsrat ist eher konservativ. Habt ihr das irgendwie zu spüren bekommen?

Es wurden uns hinsichtlich der Meinung, die vielleicht publiziert werden sollte, keine Vorgaben gegeben. Es wurde uns eigentlich kompletter Freiraum gelassen und man hat auch nicht den Einfluss der Organisatoren gemerkt, außer wenn man Fragen hatte. Da haben sie einem natürlich geholfen, aber man hat nicht gemerkt, in welche Richtung das gehen sollte. 

Die Zusammenfassung des Manifests, die ich bisher gesehen habe, ist sehr kurz und plakativ. Darin kann man nur Wünsche lesen, aber keine Vorschläge für deren Umsetzung. Gibt es in der langen Version auch Handfestes oder nur vage Visionen?
Sowohl als auch. Aber ich habe mich während des Schreibens die ganze Zeit gefragt: Wie soll das eigentlich finanziert werden? Die Ansätze sind schon gut und die Veränderungen sind auch notwendig. Aber wer soll das bezahlen? Und wie viel kostet das eigentlich? Das ist jetzt noch in vielen Kapiteln außen vor. Aber es ist natürlich auch die Frage, ob man in diesem Rahmen so richtig tief darauf eingehen muss.  

Am Samstag übergebt ihr das Manifest ja Politikern. Glaubst du, dass die Politik eure Ideen auch wirklich umsetzen möchte?

(lacht) Oh Gott! Das weiß ich nicht... Mit Sicherheit wird irgendein anwesender Politiker sagen, dass er sich das anschauen und es prüfen lassen wird. Aber der Großteil der Ideen wird bestimmt nicht umgesetzt. Aber gut, man weiß ja nie...  

Glaubst du, dass ihr so wirklich etwas mit eurem Manifest bewirken könnt?

Ich denke, es ist mit Sicherheit ein Impuls oder offenbart die Meinung, die Ansichten und Wünsche der Jugendlichen in Europa. Es wird aber nicht zu 100 Prozent Aufnahme finden, weil es dann doch an der Realpolitik scheitert.  

In einer Ankündigung heißt es, ihr wärt die neue Elite, die Zukunft Europas. Fühlt sich das für dich so an?

(lacht ungläubig) Sind wir das? Ich finde das Wort Elite generell etwas komisch. Nein, ich fühle mich überhaupt nicht so. Man sollte doch auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Ich finde es schön, dass ich dort mitarbeiten darf, aber man sollte sich bitte nicht zu viel darauf einbilden.  

Das Projekt wirbt auch stark damit, den Kulturaustausch unter den Jugendlichen voranzuteiben und euch so neue Perspektiven zu geben. Hast du davon schon etwas gemerkt?
(lacht) Ich hoffe darauf, dass das jetzt am Wochenende passiert. In den Unterhaltungen im Internet war es bisher eher nicht so. Es sind alle ziemlich weltoffen, die dieses Wochenende da sind. Und mir ist aufgefallen, dass nicht nur Länder der EU dabei sind, sondern zum Beispiel auch eine Türkin. Es ist nicht hermetisch abgeriegelt und beinhaltet nur Staaten der EU. Ich sehe es besonders als kulturellen Austausch, herauszufinden, wie andere Jugendliche denken, die nicht in den Gründer-Staaten beheimatet sind. Ich glaube, da gibt es schon noch Unterschiede im Denken.  

Weißt du denn schon, wie dein Lebensweg aussehen soll?

Ich studiere ja Kulturwirtschaft mit Spezialisierung auf den französischen Raum, deswegen will ich auf alle Fälle auch mal nach Frankreich. Ich würde aber langfristig doch gerne in Deutschland bleiben, weil dort meine Familie ist und ich gute Chancen habe, mir ein Leben aufzubauen und gut und sicher zu leben. Auch wirtschaftlich sicher. Das ist in anderen europäischen Ländern wesentlich schwieriger. Aber ich will nicht in die Politik!
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