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Das Ende der Skinny Jeans

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Es gibt Trends, die sich sehr hartnäckig halten. Chucks zum Beispiel. Oder Bärte. Oder Skinny Jeans. Dabei haben all diese Trends ja auch ihre Nachteile. In Chucks kann man nicht weit laufen und keinen Berg besteigen (und wer jetzt wieder ankommt und sagen will: „DAS IST NICHT WAHR, ICH BIN IN KOLUMBIEN MIT MEINEN CHUCKS HUNDERTE KILOMETER WEIT GELAUFEN!“, der kann sich das sparen und sich jemanden suchen, den das interessiert). Bärte pieksen und kratzen beim Knutschen. Und Skinny Jeans sind...skinny. Darum manchmal anstrengend. Wenn man sitzt, wenn man geht, wenn man steht, wenn man sie anzieht oder auszieht oder ausgezogen bekommen soll. Und darum warten wir eigentlich seit Jahren darauf, dass sie verschwinden.

Und jetzt könnte es tatsächlich so weit sein! Laut einer Erhebung von WGSN, einer Agentur, die Modetrends analysiert und vorhersagt, und die jetzt von Quartz aufgegriffen wurde, haben auf den Laufstegen in London, Paris, New York und Mailand die weit geschnittenen Jeans die Skinny Jeans überholt. Zum ersten Mal seit Jahren.



via Quartz


Für gewöhnlich dauert es ja immer ein bisschen, bis die Mode der Modenschauen auf der Straße angekommen ist, aber trotzdem können wir uns ja schon mal vorbereiten auf den Abschied von der Skinny Jeans. Uns auf weite Hosen freuen, in die man leicht rein- und aus denen man genauso leicht rauskommt, und darauf, dass wir nie wieder so seltsame Nachrichten lesen müssen wie die von der Frau, die wegen einer zu engen Jeans zusammenbrach und dann aus ihre herausgeschnitten werden musste. Und in ein paar Jahren werden Videos wie dieses hier bei unseren Kindern und Kindeskindern nur noch Erstaunen auslösen („Mama, das war doch echt ein bescheuerter Trend!“):

http://www.youtube.com/watch?v=aHAp-VxBCoY

Jaja,  ich weiß schon, was jetzt kommt: Blabla, zieh doch einfach immer an, was du willst, bla, musst dich doch nicht nach der Mode richten, bla – möglich, dass dieser Ratschlag denjenigen interessiert, der auch gerne die Geschichte hören möchte, wie man mal in seinen Chucks in Kolumbien...

Valerie Dewitt

"Ich hab euch doch gesagt, dass er nicht schwul ist!"

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Wer schreibt?Christoph, eben Vater geworden, und seine engeren Freunde (für die Familie gibt’s 'ne eigene Gruppe): Paul, Johanna, Matthias, Sabine, Jens, Maxi, Marlene, Patrick und Michi. Außerdem Clara und Jan, ein Pärchen, das Christoph im Surfurlaub in Südfrankreich kennengelernt hat. Letztere hat er eigentlich nur zur Gruppe hinzugefügt, weil er wegen der ganzen Endorphine nicht richtig denken konnte. 

Und wie und warum?Weil Christoph eben Vater geworden ist. Und weil das erstens verkündet, zweitens begossen und drittens kommentiert werden muss. Und zwar zentral und super zeitsparend in einer Gruppe, in der die Saufkumpels zusammen mit den Leuten aus der Uni, den Kollegen und den alten Schulfreunden sind.

Und wie sieht das konkret aus?


Schaufensterkritik: „Was Friseure können, können nur Friseure“

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Salon Brigitte ist wahrscheinlich der Nachbarschaftsfriseur - seit Jahrzehnten bedient er in einer kleinen Straße in Sendling sein Stammpublikum. Bis vor einigen Monaten hing hier auch noch der Spruch „Was Friseure können, können nur Friseure“ im Fenster. Der musste nun den Dekorationsideen weichen. Was geblieben ist – und irgendwie außerirdisch klingt – überzeugt aber weiterhin jeden: Frisuren für Sie, Ihn – und Es!

Ihr Opfer des Zirbenschnapses

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Worauf sich, zumindest in München, jeder einigen kann: Berghüttengeburtstag muss man mal gefeiert haben. Es geht schließlich kaum schöner. Es geht aber auch kaum tückischer. Wenig braucht mehr Planung. Frühzeitig. Ein ABC, das hilft.
 



A wie Aufstieg-Abgeschiedenheits-Balance


Je weiter oben am Berg und je weiter weg von allem eine Hütte ist, desto besser. Weil man so laut sein kann, wie man will. Je weiter oben am Berg und je weiter weg von allem eine Hütte ist, desto weiter muss man allerdings meistens auch hinlaufen. Die richtige Aufstiegs-Abgeschiedenheits-Balance zu finden, ist damit eine der größten Herausforderungen bei der → Planung. Sie wirkt sich direkt auf den → Brennt-alles-an-Faktor und den → Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleich aus. Und ist außerdem entscheidend bei der Frage, wie viele → Gäste aus Frankfurt oder Berlin man einladen sollte.
 

B wie Brennt-alles-an-Faktor


Ist ein Resultat aus der → Aufstiegs-Abgeschiedenheits-Balance. Je abgelegener eine Hütte ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es dort nur einen Holzofen gibt. Das führt nicht nur zum → Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleich, sondern beeinflusst auch maßgeblich die Verpflegung. Weil: Auf einem Holz-befeuerten Ofen brennt alles an. ALLES! Es gibt also im besten Fall am ersten Abend Kasspatzen mit (angebrannten) Zwiebeln, mittags drauf (angebrannten) Kaiserschmarrn, abends einen Schweinsbraten mit (angebrannter) Kruste und spätestens ab da Brotzeit, weil sich niemand mehr an den Ofen traut. Und im schlimmsten Fall → Rivalitäten („Ich ess das nicht! Das macht Krebs!!“) und Versorgungsengpässe, weil nicht genug Brotzeit da ist (→ „Hat irgendwer noch Kippen?!“).
 

C wie Ch-Anomalie


Bei Hüttengeburtstagen zwangsläufig auftretende Form der Sprachverwirrung. Meint den Versuch, wie die Einheimischen zu sprechen – also Tirolerisch. Und zwar egal, ob im Burgenland gefeiert wird, in Kärnten oder im Chiemgau. Folgt oft direkt auf den Besuch des → Wirts und gipfelt im Wort „Bananechhrr“.
 

D wie Distorsio articularis per sneakerem conversem


Unter Medizinern vor allem in Alpennähe beobachtetes Phänomen. Bezeichnet Gelenksverstauchungen nach Bergbesteigung in Schuhen der Marke Converse. Unter den Betroffen sind je nach Studie 98 bis 100 Prozent → Gäste aus Frankfurt oder Berlin.
 

E wie Einzelzimmer? Haha!


Hütten und Schlafkomfort schließen einander aus. Kategorisch. Das einzige gemütliche Doppelzimmer ist dem Geburtstagskind und seinem Partner versprochen. Wahrscheinlich pennt man also im Achtbett-Matratzenlager mit drei Schnarchern, einem, der sich übergeben muss, zwei, die sich unter lauten „Fummp“-„Fummp“-„Klirr“-Geräuschen noch ein paar Halbe aufmachen, dem → Zugspitzbezwinger, der um spätestens 6.30 Uhr wieder aufsteht, und zwei, die sich im Zimmer geirrt haben. Also mindestens zu zehnt.
 

F wie Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleich


Siehe oben: Je rustikaler eine Hütte, desto wahrscheinlicher kommt die Wärme aus einem Bollerofen, der befeuert werden will. Dafür muss womöglich sogar Holz gehackt, mindestens aber geschleppt werden. Selbst, wenn das lückenlos funktioniert, was es nicht tun wird, erfolgt die Wärmeregulierung bei Ungeübten (also auch bei dir) so zeitverzögert und ausschließlich im falschen Augenblick, dass es immer entweder zu kalt oder viel zu warm ist. Der Impuls wird sein, diese Extreme durch Öffnen und Schließen der Fenster abzufedern. Führt zu: übelste Erkältung ever (→ Schnapsaufguss) und → Rivalitäten, weil man sich über die richtige Temperatur streiten muss.
 

G wie Gäste aus Frankfurt oder Berlin


Menschen, die von Daheim nur den „Großen Feldberg“ oder den „Großen Müggelberg“ kennen. Beide sehr klein. Begegnen den Alpen und Artverwandtem deshalb mit der Begeisterung des Überwältigten: sehr überfordert, aber dafür übereuphorisch. Sind damit die wahrscheinlichsten Kandidaten für → Distorsio articularis per sneakerem conversem und leider auch → Ch-Anomalie. Sätze, die man von ihnen garantiert hört: „Wie meinst du, ‚Wanderschuhe‘?“, „Keine Sorge, ich kann in denen total gut laufen!“, „Boah, ich glaub, der ist gebrochen!“

>>>Gefahren: Kühe, Zirbenschnaps – und Landlust-Abos<<<
[seitenumbruch] 

H wie „Hat irgendwer noch Kippen?!“


Satz, den spätestens am ersten Abend um Mitternacht irgendwer – vermutlich aber ein → Gast aus Frankfurt oder Berlin– sagt. Steht exemplarisch für ein größeres Problem: den Versorgungsengpass. Alkoport liefert nämlich nicht auf Berghütten. Wer also bei der → Planung schlampt, dem fehlt es schnell an Essenziellem (Bier, Kippen, Brotzeit, Kondome). Gilt auch für Drogen! Vor allem für die. Auf Hüttenklos hast du nämlich keine Chance, noch was zu kaufen. Egal was! Null! Keine!

I wie „Ich spiel’ auf die Hundsg’fickte!“


Satz, der garantiert fallen – und aufgrund der → Ch-Anomalie irgendwann tirolerisch ausgesprochen werden wird („Hundsg’cchhfickte“). Grund: Egal, wie gut die Feier ist, auf einer Hütte entsteht irgendwann immer eine kleine Schafkopfrunde. Die dann später zu einer Trinkspielrunde wird. Aus der dann das → Opfer des Zirbenschnapses hervorgeht.
 

J wie Je-rustikaler-desto-Frostbeulen-Korrelation


Zusätzlich zur → Aufstiegs-Abgeschiedenheits-Balance dringend zu berücksichtigender Zusammenhang: Je uriger eine Hütte ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du kalt duschen musst. Was heißt: saukalt. Was heißt: abartig saukalt. Was alles zusammen einmal mehr heißt: übelste Erkältung ever (→ Schnapsaufguss) oder → Rivalitäten wegen Gestank.
 

K wie Kuh-Mutprobe


Wer lässt sich von der Kuh die Hand ablecken?
 

L wie Landlust-Abo-Gefahr


Ist groß. Weil erster Impuls aus der „Bergblick-Alpenglüh’n-herrlich“-Seligkeit eines Hüttengeburtstags: der Satz „Sollte man eigentlich viel öfter machen, so raus in die Berge fahren, auch ohne Anlass.“ Realität zu Hause allerdings: innerer Schweinehund. Zweiter Impuls deshalb: sich Natur in einem Magazin anschauen. Beweist: Der erste Impuls ist meistens richtig.
 

M wie „Mal sehen, ob da oben das Netz besser ist!“


Dass sie auf der Hütte kein Wlan haben, erwarten die meisten Gäste. Dass das Netz in und vor der Hütte so schlecht ist, dass man Instagram gar nicht erst zu öffnen braucht, ärgert sie aber dann doch. Denn die idyllischen Bergfotos sind ja quasi umsonst, wenn man sie nicht teilen kann. Und so laufen sie dann los, ihre Telefone vor sich wie ein nach seltenen Erzen suchender Rutengänger seine Wünschelrute, und schauen, ob das Netz auf dem Hügel da hinten nicht ein bisschen besser ist. Bewahrheitet sich die Annahme, wird dort garantiert das ganze Wochenende immer jemand stehen.
 

N wie Nachzügler


Hütten liegen also auch oft an Orten, an denen Smartphone-Navigation nicht mehr funktioniert (siehe oben). In der Einladungsmail steht deshalb eine sehr ausführliche Wegbeschreibung. Die eine Hälfte der Gäste liest sie aufmerksam und kommt pünktlich. Einige lesen sie flüchtig, und wissen vor Ort nicht mehr, ob sie jetzt bei Niederfeld oder bei Unterfeld abbiegen mussten und ob sie den Forstweg am Moarhof oder den an der Moaralm nehmen müssen. Andere Nachzügler kommen auf die Hüttenparty, wie sie auch auf eine Club-Party kommen: lange nach Beginn, dafür ganz schön angetüdelt. Weil sie deshalb gerne versuchen, den Fußweg mit der Leuchtkraft der Handy-Taschenlampe oder sogar eines Feuerzeugs zu finden, bilden sie einen entscheidenden Posten in den Statistiken zur → Distorsio articularis per sneakerem conversem. Neuere Untersuchungen bestätigen den Verdacht, dass es sich bei den Nachzüglern fast ausschließlich um → Gäste aus Frankfurt oder Berlin handelt.
 

O wie Opfer des Zirbenschnapses


Derjenige, der das Schränkchen entdeckt, in dem der → Wirt seinen Selbstgebrannten lagert. Er wird morgens an einem Ort gefunden, der eigentlich nicht zum Schlafen gedacht ist. Als Kopfkissen hat er die → Quetschen benutzt, als Decke die DAV-Karten des → Zugspitzbezwingers. Wäre das eine normale Party, würden ihn jetzt alle bemitleiden. Hier aber beneiden ihn alle (bis auf den → Zugspitzbezwinger, der hasst ihn). Er ist der einzige, der eine wirklich glaubwürdige Ausrede hat, um nicht mit auf die Wanderung gehen zu müssen (→ Umdrehen).
 

P wie Planung


Muss früh beginnen. Sehr früh! Wirklich!

>>>Die gängigsten Streitursachen: die richtige Temperatur, verstecktes Bier und Quetschenmusik.<<<
 
[seitenumbruch]

Q wie Quetschen


Hängt als Deko in der Stube, wird aber irgendwann als Instrument entdeckt und fortan nervt einer alle anderen damit.
 

R wie Rivalitäten


Ein Hüttengeburtstag ist mit das Schönste, was es gibt, bietet aber auch viel Konfliktpotenzial. Die wahrscheinlichsten Streitursachen sind: die richtige Temperatur (→ Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleich), verkohltes Essen ( → Brennt-alles-an-Faktor), verstecktes Bier (→ „Hat irgendwer noch Kippen?!“), → Quetschen-Musik und Gestank (→ Je-rustikaler-desto-Frostbeulen-Korrelation). → Xylophone hingegen nie.
 

S wie Schnapsaufguss


Auf luxuriöseren Hütten gibt es eine Sauna. Spätestens um 3 Uhr nachts – oder aber genau in dem Moment, in dem der → Wirt gerade vorbeischaut – will da jemand rein. Es folgen: Schnapsaufguss, Abkühlen in der Kuhtränke draußen auf der Weide, übelste Erkältung ever.
 

T wie Tee


Steht ständig frisch aufgebrüht auf dem Holztisch. Zubereitet hat ihn einer, als sich die Temperatur aufgrund eines überambitionierten → Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleichs und gleichzeitiger Holz-Nachlegeversäumnis in besondere Tiefen gesenkt hat. Das Wasser für den Tee zu kochen, hat aber genauso lange gedauert, wie das Einheizen der Stube selbst. Deshalb wird er nie angerührt.
 

U wie Umdrehen


Hüttenfeiern dauern ja gerne ein ganzes Wochenende. Und wenn man schon mal in den Bergen ist, will man auch wandern gehen – bis dabei das erste steilere Stück kommt. Nach dem geht man noch 200 qualvolle Höhenmeter weiter, wünscht sich aber eigentlich, irgendeiner möge doch bitte fragen, ob man nicht umdrehen wolle. Derjenige, der das letztlich tut, ist ein stumm gefeierter Held – und war vermutlich der etwas zurückhaltendere Trinkkumpane des → Opfers des Zirbenschnapses.
 

V wie Verdächtige, die üblichen


Gute Hütten mit der richtigen → Aufstieg-Abgeschiedenheits-Balance, der richtigen Größe für eine Party und dem richtigen Preis sind selten, oft nur mit Herrschaftswissen zu finden und quasi immer ausgebucht. Deshalb ist man bei der → Planung auf Tipps aus dem Freundeskreis angewiesen. Das führt dazu, dass man immer wieder auf dieselben Hütten fährt. Was erst gut ist, weil die Hütte gut ist und die verirrten → Nachzügler von Mal zu Mal weniger werden. Irgendwann wird’s aber auch langweilig, weil inzwischen jeder weiß, wo der → Wirt seinen Selbstgebrannten versteckt hat. Und er deshalb schon seit ein paar Besuchen leer ist.
 

W wie Wirt


Kommt nach der Schlüsselübergabe noch mal zum Ausfüllen des Kurtaxe-Formulars vorbei. Meistens genau dann, wenn aus der Sauna der Hütte lautes → „Schnapsaufguss“-Gebrüll dröhnt oder das Essen verbrennt. Spricht in den Ohren aller Anwesenden tirolerisch – auch, wenn er aus Wien kommt – und ist damit hauptverantwortlich für die → Ch-Anomalie.
 

X wie Xylophon


Instrument, das niemand auf eine Hüttenfeier mitbringen würde. Warum auch?!
 

Y wie Yak


Auch bekannt als Grunzochse. Gibt es in Europa wirklich. Reinhold Messner hält in Sulden am Ortler eine kleine Herde von Hausyaks. Kein Witz.
 

Z wie Zugspitzbezwinger


Ist jedes Wochenende in den Bergen, joggt nach Feierabend auf seinen Hausberg und hat schon am Zugspitzlauf teilgenommen. Der kann nicht in den Bergen sein und einfach nur feiern, sondern hat sich eine schöne 3000-Höhenmeter-Tour für den Tag nach der Party vorgenommen. Brütet deshalb direkt nach Ankunft über seinem DAV-Kartenmaterial, geht um halb zwölf ins Bett und bittet um 2 Uhr, ob man die Musik nicht leiser machen könne. Wird nächstes Mal nicht mehr eingeladen.

Bundeswehr geht in die Werbeoffensive

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Läuft ja nicht mehr so gut bei der Bundeswehr, seit die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Innerhalb von fünf Jahren ist die Zahl der Wehrdienstleistenden von gut 60.000 auf etwa 11.000 geschrumpft. 2014 warb man vor lauter Verzweiflung mit Beachvolleyball, Bergwanderungen oder Schlauchboottouren um Anwärter für die militärische Ausbildung. „Adventure Camps“ nannte man das, ganz so, als handele es sich dabei um lustige Ferienlager. Im Juni dieses Jahres gingen die Werbebestrebungen weiter. Die Bundeswehr schaltete unter dem Slogan „Wir.dienen.Deutschland“ U-Bahn-Spots, angefüllt mit Parolen wie „Gemeinsam Ziele erreichen!“.

All das scheint aber nicht viel bewirkt zu haben. Das Verteidigungsministerium schrieb deshalb europaweit eine neue Kampagne aus, und beauftragte schließlich für gut elf Millionen Euro die bereits für McDonalds und Rewe-Kampagnen verantwortliche Düsseldorfer Werbeagentur „Castenow“. Seit dem 2. November ist sie nun in der Welt.„Mach, was wirklich zählt“ heißt ihr neuer Slogan. Neu sind aber auch Website, Facebookseite und Instagram-Anzeigen.„Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst.“ lautet nur einer ihrer vielen neuen Parolen. Die Bundeswehr will sich dem Zeitgeist anpassen, heißt: sich als Querdenker, freiheitsliebend und irgendwie rebellisch geben. Weg vom Image als Auffangbecken für Kriegsverherrlicher, Nationalisten und andere Menschen, die hoffen, die Zeit bei der Bundeswehr könne sie aus ihrem trostlosen Alltag retten. Nein, zur Bundeswehr soll man jetzt gehen, weil man wirklich etwas bewegen will, weil man anders denken will, als die Masse, weil man ruhig auch gegen die Bundeswehr sein soll, weil man sie vielleicht zu einem besseren Ort machen will. Die Kampagne spielt mit den Hoffnungen und Träumen der Generation Y: Arbeit und Ausbildung sollen nicht nur Sicherheit und Geld bringen, sondern der eigenen Existenz eine ganzheitliche Sinnhaftigkeit verleihen: Sie soll Spaß machen und zu etwas gut sein, ihren Beitrag zu einer besseren Welt leisten. In der offiziellen Mitteilung der Bundeswehr klingt das so:

 „Junge Menschen fragen heute immer mehr nach dem Sinn ihrer Arbeit und was ihnen diese neben einem Einkommen eigentlich bringt. Darauf haben wir in der Bundeswehr starke Antworten“, sagt Dirk Feldhaus, Beauftragter für die Kommunikation der Arbeitgebermarke Bundeswehr und hauptverantwortlich für die neue Kampagne. „Die Bundeswehr bietet als Arbeitgeber vielfältige und attraktive Möglichkeiten.“

Der Irrsinn des Krieges wird ausgeblendet


Funktioniert das? Wenn man sich das genauer ansieht, muss man feststellen: Die Werbevideos der Kampagne sind erstaunlich wenig innovativ. Sie funktioniert gar nicht so viel anders, als die der vergangenen Jahre. Immer wieder geht es um das Training von Qualitäten wie Ausdauer, tapferes Ausloten eigener Grenzen, treuer Kameradschaft und der Konzentration aufs Wesentliche. Und immer schwingt Abenteuer- und Innovationsgeist mit: bei der Bundeswehr, da ist man ganz vorn dabei und lernt fürs Leben, Kinder! Explosionen, Schüsse, Tod, Blut, kurz: der ganze Irrsinn des Krieges, wird natürlich so gut es geht ausgeblendet. Camouflage-Optik, Offiziersgehorsam-Szenerien, Gleichschritt, junge Soldaten in Konfrontation mit der rauen Natur, Panzer, Gewehre, all das aber lässt sich nicht ausblenden und bleibt zentrales Motiv - bliebe ja auch nichts mehr übrig, wenn man das wegliesse. Bundeswehr, das ist nun einmal in erster Linie  Soldatentum und militärische Einsatzfähigkeit, und das wird es immer bleiben.

Worüber man sich dann übrigens doch freuen darf, ist, dass die Bundeswehr es in Sachen Werbestrategie immerhin um Welten besser macht als das Österreichische Heer:

http://www.youtube.com/watch?v=y3dDQXgJkEo

„Wir könnten alle jederzeit ein Trauma erleben“

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Ein Mädchen auf der griechischen Insel Lesbos. Sie kam mit anderen Flüchtlingen auf einem Schlauchboot von der Türkei. 

Viele Menschen, die gerade vor Krieg und Gewalt fliehen, haben in der neuen Heimat mit posttraumatischen Folgen dieser Flucht zu kämpfen. Im Interview erklärt die Wiener Traumtherapeutin und Psychotherapeutin Erika Schedler, was solche Erfahrungen mit jungen Menschen machen - und wie sich das Trauma der Flucht auf unsere Gesellschaft auswirken wird.


jetzt.de: Was meinen Sie als Psychotherapeutin, wenn Sie von „Trauma“ sprechen?
 
Erika Schedler: Trauma ist in jeder Hinsicht ein überwältigendes Erlebnis. Es entsteht in Situationen, in denen wir einer Bedrohung, einer Verletzung oder einer Katastrophe ausgesetzt sind, die unser Nervensystem überfordert. Das passiert, wenn dieses Erlebnis zu heftig, zu schmerzhaft, zu beängstigend oder zu beschämend ist. Zum Beispiel bei einem Unfall, Gewalterfahrungen, Naturkatastrophen, Vernachlässigung im Kindesalter und eben auch Krieg und Flucht. Dieses Gefühl völliger Hilflosigkeit führt zu einer tiefen Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses. Die Welt ist nach einem Trauma kein sicherer Ort mehr, an dem wir uns lebendig und geborgen fühlen.




                                                         Erika Schedler


In der Flüchtlingsdebatte fällt die Bezeichnung „Trauma“ momentan sehr oft.
Ja, stimmt. Man muss bedenken, dass diese Menschen, die gerade fliehen, meistens die ganze Palette an traumatisierenden Gefühlen und Umständen erlebt haben: Todesangst, Hungern, Frieren. Sie mussten zusehen, wie andere erdrückt werden oder ertrinken, wie Kinder sterben und vieles mehr, das wir uns kaum vorstellen können. Man kann davon ausgehen, dass da niemand ohne körperlichen und seelischen Schaden davonkommt. Aber nicht jeder seelische Schaden muss ein Trauma sein.

Oft wird suggeriert, dass alle Menschen, die auf der Flucht sind, zwangsläufig auch traumatisiert sind.
Solche verallgemeinernden Aussagen finde ich eher platt. Trauma ist kein Stigma, denn es entstand durch Fremdeinwirkung, mit einer ungeheuren Wucht, das kann leider jedem von uns passieren. Dass ein Krieg und eine lebensgefährliche Flucht traumatisierend sind, liegt zwar auf der Hand, man sollte aber die Menschen mit ihren eigenen Fähigkeiten und Ressourcen wertschätzen und im Einzelfall abschätzen: In welchen Maße ist diese Person als Individuum traumatisiert?

Sie meinen, manche Menschen sind anfälliger für Traumata als andere?
Ja, Menschen, die alleine fliehen und vielleicht auch noch minderjährig sind, werden wahrscheinlich traumatisierter sein als ganze Familien, die einander während der Flucht eng beiseitestehen können. Menschen, die in ihrem Leben vorher schon mehrere traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, werden wahrscheinlich betroffener sein als andere, deren Leben stabil abgelaufen ist. Nicht alle schweren Belastungen führen zu einer Traumatisierung. Zum einen sind Menschen unterschiedlich belastbar, zum anderen sind die Lebensumstände unmittelbar nach der traumatischen Situation entscheidend dafür, ob ein Trauma spontan verheilen kann oder nicht.

Wie helfen Sie als Traumatherapeutin dabei?
Ich begegne Menschen, die Schreckliches durchmachen mussten. Klar fühle ich da erst mal als Mensch mit. Als Fachfrau versuche ich, die Lebensgeschichte meiner Klienten so gut wie möglich zu verstehen, um für den Betroffenen den individuellen Weg zurück in die Normalität zu finden. Dazu gehört es auch, gemeinsam zu lachen. Das hilft, das Unverständnis für die eigenen Gefühle und Verhaltensweisen zu bewältigen und nimmt die Schwere, die jedes Trauma begleitet.

Wie beeinflusst das den Alltag?
Das ist ganz unterschiedlich. Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung können gleich danach oder zeitlich verzögert auftreten. In vielen Fällen vergehen Jahrzehnte bis zum Auftreten der Symptomatik. So drängt sich ein Trauma auf ganz verschiedene Weise in den Alltag. Es kann durch Erinnerung, Flashbacks und Albträume wiedererlebt werden. Oder der Betroffene blendet es komplett aus und vermeidet Orte und Situationen, die schlimme Erinnerungen wachrufen könnten. Traumatisierte Menschen leiden oft auch an Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten, sind besonders wachsam oder übertrieben vorsichtig. Oft ist es schwierig, unter diesen Umständen die erforderlichen Leistungen im Berufsleben zu bringen oder sich auf neue soziale Kontakte einzulassen.

Ist das für junge Menschen leichter?
Ich glaube schon, dass da ein Wandel stattgefunden hat: Junge Menschen gehen mit Problemen und Traumata selbstbewusster um als ältere Generationen. Diejenigen, die schon früh gezielt professionelle Unterstützung einholen, profitieren davon langfristig, denn in der Therapie werden Problemlösungsstrategien erlernt, die sie für ihr ganzes Leben brauchen können.

Wie wird eine Gesellschaft beeinflusst, die Tausende Menschen mit traumatischen Erfahrungen aufnimmt?
Es kommen sicherlich neue Aufgaben auf uns zu, denn die Langzeitfolgen einer Katastrophe diesen Ausmaßes werden in mehreren Ebenen sichtbar werden: in den Arzt- und Therapiepraxen, in den Kindergärten und Schulen und im Beruf. Die Betroffenen werden wahrscheinlich Schwierigkeiten haben im Kontakt mit anderen Menschen, sie werden vielleicht oft abwesend wirken, werden sich nicht immer konzentrieren können und ihre Traurigkeit ist nicht immer kontrollierbar. Depressionen und Aggressionen werden vermehrt Thema sein, aber auch die Freude und Energie, zu leben und einen Neuanfang beginnen zu dürfen. Missverständnisse sind normal, aber es liegt an uns, ein neues und sicheres Umfeld zu schaffen, in dem keine weiteren Traumatisierungen stattfinden.

Wie kann dieser Neuanfang erleichtert werden?
Es ist hilfreich, sich vor Augen zu halten, dass uns all das genauso passieren könnte: Wir könnten von einem Tag auf den anderen durch eine höhere Macht plötzlich alles verlieren und flüchten, um unsere Leben zu retten. Ich finde, dass es wichtig ist, diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu stabilisieren, damit ihr Stresssystem heruntergefahren werden kann. Positive Begegnungen sind dafür sehr wichtig, sie rufen gute Erinnerungen an eine Zeit hervor, als die Welt noch in Ordnung war. Nur so kann das Vertrauen in die Welt und die Menschheit wieder hergestellt werden. Manchmal reicht eine freundliche Begegnung als Mitmensch, eine nette Geste, um bereits eine kleine Heilung zu bewirken.

Kann ein Trauma überwunden werden?
Auf jeden Fall. Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange die Verarbeitung dauert. Manchmal reichen gute Freunde, mit denen man über alles reden kann und Verständnis bekommt, mit schlimmen Erinnerungen fertig zu werden; manchmal ist es aber sinnvoll, sich professionelle Unterstützung zu holen. Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch innerlich bereit ist, sich damit auseinander zu setzen und das neue Umfeld ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, sodass keine weiteren Traumatisierungen stattfinden.

Athletisch ist das neue Skinny

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Ronda Rousey ist Mixed-Martial-Arts Kämpferin und Weltmeisterin ihrer Gewichtsklasse. Und jetzt ist sie auf dem Cover einer Fitness-Zeitschrift für Männer zu sehen. You think you’re tough? scheint sie dem männlichen Betrachter direkt ins Gesicht zu blaffen. Es ist, das muss man schon so sagen, ein ziemlich gutes Cover. Es ist provokant und kraftvoll, und weil Rousey so dermaßen kühl und potentiell auf Krawall gebürstet aus der Wäsche guckt, ist trotz des leicht glänzenden Dekolletés nichts Sexistisches dabei. Man denkt sich einfach nur: Yo, Alte! Zeig's mir!

Interessant ist das Cover aber vor allem in Hinblick auf das derzeitige Körperideal, das sich ja schon seit ein paar Jahren immer mehr vom reinen Magerwahn der Sorte Kate-Moss-Heroin-Chic, Twiggy-Style und ausgemergelter Laufsteg-Normalität Richtung athletisches Kreuz und Muskel-Chic bewegt. Sneaker sind als salonfähiges Schuhwerk zurück, Sportmarken wie Nike, adidas, Reebok erleben Hochkonjunktur. Modeblogger führen immer öfter Sporttagebuch, posten ihre täglichen Jogging-Kilometer, dazu Smoothie-Fotos und die neueste Stella Mc Cartney-adidas Windjacke.

Ergibt aus emanzipatorischer Sicht alles Sinn - es sind im Jahr 2015 vermutlich mehr Frauen als je zuvor in Führungspositionen angelangt, elf Staatsoberhäupter sind weiblich, die Frau ist heute nicht mehr gut damit beraten, sich zum knochigen Kleiderständer runterzuhungern. Sie braucht Kraft, Biss und Kampfgeist. Muckis, gewissermaßen. Und warum sollte das nur im übertragenen Sinn gelten? Der athletische Körper ist unter Frauen so populär wie nie zuvor.

Das lässt sich vor allem auf Instagram hervorragend beobachten. Sportlerinnen wie Rousey oder Serena Williams haben Millionen von Followern und Hashtags wie #ThickFit, ins Leben gerufen von der ehemaligen Bodybuilderin Lita Lewis, zelebrieren kurvige, aber extrem muskulöse Frauenkörper. Auch der von einer australischen Fitness-Trainerin namens Kayla Itsines über soziale Netzwerke angepriesene "Bikini-Body" hat vor allem eins: harte Muskeln. Waschbrettbauch-Selfies, Bizepsposen und überhaupt das Zurschaustellen von sportlicher Aktivität sind zu einer neuen Prestige-Kategorie geworden.

Macht alles in allem irgendwie nicht den Eindruck, als sei das sehr viel besser als der Gewichtsvergleich in Pro-Ana-Foren. Es soll ja auch eine Krankheit geben, die sich Sportsucht nennt.

"Der Hipster ist eine gasförmige Existenz"

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Philipp Ikrath, geboren 1980 in Wien, leitet den Verein „jugendkulturforschung.de“.

jetzt.de: Meinst du das ironisch?
Philipp Ikrath: Mein Buch? Nein, ich meine tatsächlich jedes Wort, das drinsteht, ernst! Auch wenn ich mich mitunter des Stilmittels der Ironie bediene.

Du stellst mit dem Buch die Frage, was der Hipster eigentlich ist. Also: Definiere ihn doch bitte mal für uns!
Der Hipster ist der junge Angehörige einer neuen Oberschicht, die kulturell irrsinnig einflussreich ist. Und was mir am wichtigsten ist: Das Hipstertum ist keine Jugendszene, sondern ein soziales Milieu, dem du dich nicht freiwillig anschließen kannst. Du kannst nicht sagen „Ich bin jetzt ein Hipster“ so wie du sagen kannst „Ich bin jetzt ein Skater“. Es geht nämlich nicht um eine bestimmte Ästhetik oder Mode, sondern um eine bestimmte Mentalität.

Wieso ist der Hipster so einflussreich?

Weil er unseren Zeitgeist in einem idealtypischen Sinne repräsentiert. Er ist kein Bohemien und kein Rebell, sondern verkörpert die Merkmale unserer heutigen Gesellschaft so gut wie kein anderer.

Welche Merkmale sind das?
Erstens ein extrem hoher Individualisierungsgrad und Disktinktionswille. Zweitens die totale Bejahung der Flexibilität, eine Geisteshaltung, die nichts als fest und bestehend anerkennen möchte, sondern alles im Fluss sieht. Eigentlich ist der Hipster eine gasförmige Existenz, er verändert sich ständig und findet nie einen stabilen Identitätskern.

Klingt eigentlich genau wie die Beschreibungen der „Millenials“ und der „Generation Y“.
Zwischen denen und dem Hipster gibt es gewisse Parallelen, aber sie sind nicht deckungsgleich. Der Hipster ist zuerst einmal älter. Und vor allem erhebt er einen Herrschaftsanspruch. Er ist darum bemüht, seine Spielregeln und Maßstäbe immer weiter auszudehnen und für alle verbindlich zu machen.

Herrschaftsanspruch? Heißt das, die mächtigen Posten in Politik und Gesellschaft, die jetzt mit Babyboomern besetzt sind, werden später mal die Hipster besetzen?

Richtig. Und als neue Elite werden sie alte Ideologien außer Kraft setzen und ihre eigene verankern. Zum Beispiel in der Arbeitswelt, da gibt es heute noch die Babyboomer und Yuppies, die sagen, dass es beim Arbeiten um Kohle geht. Für die Hipster ist Arbeit reine Selbstverwirklichung, ein Spiel, und absolute Flexibilität ist wünschenswert.

"Der Hipster sagt: Mit eurem Prollgedudel im Radio, euren H&M-Klamotten und eurem Industriefraß hab ich nichts zu tun."


Eines der wichtigsten Merkmale des Hipsters ist ja Ironie. Und du verstehst sie als eine positive Eigenschaft, oder?
Ja, damit sympathisiere ich. Ich glaube, dass Ironie sich nicht nur darauf beschränkt, dass man ironische Sprüche auf Jutebeutel druckt, sondern es geht darum, dass man nichts als endgültig anerkennen will. Dadurch ist der Hipster weltoffen. Ein Ironiker sagt nie: Diese Weltanschauung ist die richtige und die werde ich mein Leben lang haben, sondern sie ist für die momentane Lage angemessen und wenn sich die Situation ändert, dann passt vielleicht eine andere Sicht besser dazu.

Aber auch wenn du ihn positiv siehst: „Hipster“ ist ja mittlerweile eher ein Schimpfwort...
Ja, das ist heute ein total abwertender Begriff geworden und das ist ungerecht! Vom Feuilleton bis zu den Youtube-Megastars, alle schimpfen auf den Hipster. Das war auch der Ausgangspunkt des Buches: der Hass auf die Hipster und die Frage: Warum ist das so?

Und? Warum ist das so?
Ich glaube, er steht in der Kritik als Galionsfigur einer bestimmten Entwicklung, die vielen Menschen nicht Recht ist: Der Hipster stellt die neue kulturelle Elite, aber anstelle des früheren bürgerlichen Kanons aus Goethe, Beethoven und Rubens, den man sich einverleiben musste, um dazuzugehören und Aufstiegschancen zu haben, hat der Hipster einen eigenen Zeichenkosmos, den man sich viel schwieriger aneignen kann. Weil nie so ganz klar ist, worin er eigentlich besteht, weil er sich dauernd verändert.

Kann man ihn gar nicht bestimmen?
Da ist dieser extrem starke Wille, sich vom Mainstream zu distanzieren. Der Hipster sagt: Mit eurem Prollgedudel im Radio, euren H&M-Klamotten und eurem Industriefraß hab ich nichts zu tun, ich vertrete ein verfeinertes Lebensgefühl. Das hat er mit dem traditionellen Bürgertum gemeinsam, das liegt auch an seiner Herkunft aus dem bürgerlichen Millieu. Gleichzeitig grenzt er sich aber auch gegen diese alten Eliten ab. Auch „das Niedrige“ kann für einen Hipster cool und angesagt sein – aber muss eben nicht.

Du schreibst in deinem Buch, dass der „Hipster-Kanon“ immer vom Markt bestimmt wird. Ist der Hipster ein Phänomen des Kapitalismus?
Ich glaube schon. Es gibt keine Gelehrten mehr, die von oben diktieren, was kulturell wertvoll ist und was nicht, sondern das entscheidet sich über den Markt. Und der ist eben auch dann bestimmend, wenn man sich gegen ihn wendet. Es gibt einfach keine andere Möglichkeit der Positionierung mehr als im Bezug zum Markt.

Heute erkennen wir einen Hipster sofort auf der Straße. Aber du sagst, er verändert sich ständig. Wie wird denn der Hipster der Zukunft aussehen?
In drei bis fünf Jahren jedenfalls nicht mehr so wie jetzt. Denn sobald die Accessoires und Moden wie zum Beispiel die Bärte Mainstream geworden sind, muss im Kampf um Distinktion der nächste Schritt gemacht werden. Dann muss man sich rasieren und etwas Neues finden. Aber was das sein wird, kann man nicht vorhersagen – weil die Hipster so raffiniert und kreativ sind.

Philipp Ikrath: Die Hipster. Trendsetter und Neo-Spießer, Promedia, 208 Seiten, 17,90 €.

Warum " Das ist hipstermäßig" ein Totschlagargument ist

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Dinge, für die ich oder Menschen in meinem Umfeld in den vergangenen Wochen den Satz „Ist ja voll hipstermäßig“ gehört haben (eine Auswahl): ein gemusterter Pullover, ein gestreifter Pullover, ein einfarbiger Pullover, ein altes Holland-Fahrrad, ein gebraucht gekauftes Single-Speed-Fahrrad, eine Gin-Tonic-Bestellung, eine Whisky-Cola-Bestellung, eine Weißweinbestellung, eine Apfelschorlenbestellung, ein Portemonnaie, in das auch ein iPhone passt, ein iPhone, ein iPad, ein iBook, ein Fairphone, ein altes Nokia, eine Bleistiftverlängerung, ein Füllfederhalter, ein Stabilo-Stift, bunte Socken, keine Socken, fürs Vollbarttragen, für das Tragen eines kürzeren Bartes, für das Abrasieren eines Bartes, fürs Father-John-Misty-Hören, fürs Wanda-Hören, fürs Slayer-Hören, fürs Dillinger-Escape-Plan-Hören, fürs Eine-Frisur-haben, fürs Keine-Frisur-haben, fürs Veganer-Sein, für den Besuch eines Steak-Lokals, für den Besuch einer Ausstellung, für das Lesen eines Buches in einem Café, für das Tragen einer Mütze, für den Besitz eines Faltkajaks. Und – mein absoluter Favorit – dafür, nachts an einer roten Ampel stehengeblieben zu sein. Kein Witz.




Dass das auch immer so kompliziert sein muss.

Das bislang letzte Mal habe ich den Satz am vergangenen Wochenende gehört. Beim Wandern. In der Jachenau. Halbe Strecke zum Gipfel des Staffel. Ich trug Wanderstiefel, Wanderstecken, eine Wanderhose der Firma Mammut (mit Zipp-Off-Funktion oberhalb des Knies), einen dunkelblauen Pullover aus Baumwolle, Bart, eine halbherausgewachsene Frisur und eine Sonnenbrille, von der mir mal jemand gesagt hat, ich sähe mit ihr aus wie der junge Friedrich Liechtenstein. Ich vermute, es ging den Mitwanderern um die Brille. Eigentlich geht es aber um etwas anderes.

„Hipstermäßig“ ist inzwischen eine Art Kampfbegriff geworden. Munition für Menschen, die es sich etwas zu leicht machen. Viel zu leicht eigentlich. Wenn sie damit herummäkeln. Wenn sie ihn benutzen, um, ja, um was eigentlich zu schmähen? Dass Menschen Kleidung tragen? Dass sie Alkohol trinken oder auch nicht? Dass sie Computer und Telefone von Firmen haben und Hobbys? Dass sie sich bei der Auswahl all dessen Mühe geben? Dass sie sich dabei zu viel Mühe geben? Dass sie versuchen, Geschmack zu haben? Dass für sie Distinktion vor Funktion kommt? Dass sie zu dumm sind, um auch nur eine Bartlänge weit über Fragen hinauszudenken, die nicht ihren eigenen Stil betreffen? All das? Gar nicht so leicht.

Probieren wir es also vielleicht doch erst mal mit einem Idealtypus.

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(Quelle)

Der ginge ja ungefähr so: Hipster, das sind diese fratzenhaft überkarikierten Selbstinszenierer, die sich eher ein Bartöl zulegen, als irgendeine Form von Überzeugung. Weil ihnen Distinktion über alles geht. Immer. Weil sie, wenn sie nur könnten, am liebsten auf Kamelen in Clubs einreiten würden, in denen Musik läuft, die sie nur deshalb hören, weil niemand sonst sie hört, um dabei – erst sehr ironisch, inzwischen aber wohl tatsächlich auch noch sehr ernst – Klamotten zu tragen, bei deren Anblick selbst Hella von Sinnen erbrechen müsste. Hipster sind also eine Art vollbärtiger Ostfriesenwitz geworden. In dem Begriff schwingt nur noch Ablehnung mit. Und um Gottes Willen: Man kann das sehr, sehr gut verstehen.

Aber: Es gibt Idealtypen im echten Leben ja nicht. Da ist „hipstermäßig“ mittlerweile so diffus, so sehr aus allen Regionen von Mode, Popkultur, Haltung und Abgrenzung zusammenzitiert, dass es quasi alles meinen kann. Deshalb lässt sich ja auch alles damit bekritteln. Und genau das ist der Punkt: Kritik ist toll. Sie ist wichtig. Nur mit Kritik kommt man weiter. Überall. Aber man muss sich, wie bei allem, auch beim Kritisieren Mühe geben. Vor allem da. Je diffuser und pauschaler Kritik ist, desto unnützer wird sie. Desto mehr lugt sie auch ins Tumbe.

"Hipstermäßig" ist inzwischen ein Totschlagargument.


Und „hipstermäßig“ ist eben maximal unkonkret. Und damit vor allem furchtbar gedankenfaul. Es wird inzwischen mit derselben pauschal-dümmlichen Attitüde benutzt, mit der man auch „spießig“ sagt. Oder „Streber“. Und zwar – das ist aber auch eine pauschal-dümmliche Annahme – vermutlich zu großen Teilen von Menschen, die sich genau dafür rächen.

Deshalb schwingt in dem Ausspruch irgendwo weit hinten auch eine grundsätzlichere Haltung mit: Etwas „voll hipstermäßig“ zu finden, meint längst nicht mehr nur, dass das Gegenüber mit seiner Hose/Frisur/Jacke/Getränkebestellung/Ernährungsstrategie blind einem Trend hinterher rennt. Es meint, mindestens implizit, dass es an sich unbestimmt peinlich oder unfertig oder falsch ist, sich mit Trends, Ästhetik oder Stil zu beschäftigen. Es ist zum Totschlagargument geworden. Innovationsfeindlich. Mild faschistoid vielleicht auch. Und ein bisschen dumm.

So dumm, dass man Godwin’s Law vielleicht bald umformulieren sollte: "Mit zunehmender Länge einer Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Hipstern oder Devendra Banhart dem Wert Eins an."

Mal mal Monster!

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Kinder wissen vieles, das Erwachsene vergessen haben. Zum Beispiel, wie man ein echtes Monster malt: als orangene Spinne mit furchterregendem Reiter darauf, oder als rosafarbener Vielfraß mit kantigen Zahnreihen und Kochmütze. Von solchen Bildern, die Kinder für The Monster Project gemalt haben, könnte sich Pixar eine Scheibe abschneiden.

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Das Kickstarter-Projekt will die Kreativität der Kleinen im großen Stil fördern. Künstler, Designer und Illustratoren verarbeiten die Bilder zu eigenen Entwürfen. Das Ergebnis: ziemlich viel Kreativität, die da sonst an der Kühlschranktür hängt. Und das sollen nicht nur Erwachsene, sondern auch die Kinder selbst erkennen.

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IKEA würdigte gerade auf ähnliche Weise Kinderideen in Wachsfarben: Der Konzern gab eine Stofftierkollektion basierend auf Kinderzeichnungen heraus, die Bildungsprojekten zu Gute kommt. Hier enstand aus den Malversuchen keine Kunst, sondern eher eine sehr niedliche, flauschige Realität – ganz für Privatzwecke kam darauf auch diese Firma schon. Wieder zeigt das Ergebnis: Kinder haben die besten Ideen. Zum Beispiel, einem grünen Dinosaurier einen Sheriffhut aufzusetzen. Noch so ein Charakter, den wir bei Pixar gerne über den Bildschirm huschen sehen wollen.

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Die Projekte sollen zeigen, dass die Kinderträume zu großen Visionen werden können. Und das Künstler oft den Ideen der Kleinen folgen. Denn das steckt vielleicht im Kern von Kreativität: ein bisschen Kind zu bleiben. Dafür sind die Projekte ein besonders schöner Beweis.

sina-pousset

Zugestochen

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Ein Londoner Designer hat  eine Maschine entwickelt, mit der man sich ganz easy selbst tättowieren kann. Irgendwie cool, wenn sich Freunde auf dem eigenen Arm verewigen können, ohne dass man sich eine Blutvergiftung unter die Haut jagt. Irgendwie schön, sich vorzustellen, dass man ein paar Linien von der kleinen Nichte unter der Haut trägt, statt das Motiv eines Fremden von „Dark Angel Tattoo“. Irgendwie witzig, sich selbst tättowieren zu können. So ein bisschen ist das aber wie Haareschneiden: Nur weil man es selbst macht, heißt es nicht, dass es einem am Ende gefällt.



Er hat die Maschine.

[plugin imagelink link="http://www.designboom.com/wp-content/uploads/2015/10/personal-tattoo-machine-jakub-pollag-royal-college-of-art-designblok-designboom-02.jpg" imagesrc="http://www.designboom.com/wp-content/uploads/2015/10/personal-tattoo-machine-jakub-pollag-royal-college-of-art-designblok-designboom-02.jpg"] Zzzzzzzz.

Genau das war die Idee des Designers Jakub Pollág bei der Erfindung seiner Tattoo-Maschine: Er will zeigen, dass es bei Tattoos nicht ums Motiv dreht, sondern um die Erinnerung an den Moment: "Their main function is to reflect meaningful memories." Und gerade weil sie für immer bleiben, sei es wichtig dass sie ehrlich und exclusiv seien. Also lieber ein verpatztes Tattoo von der Nichte, als ein weiteres Abzieh-Tribal auf der Haut.

[plugin imagelink link="http://vimeo.com/144131221" imagesrc="https://vimeo.com/144131221"]

Wir freuen uns zumindest schon über die Galerien der Motive, die sich die Welt im Kreis von Freunden und Familie so stechen ließ. Wenn‘s nicht gefällt, gilt auch hier die alte Tattooregel: Klamotten drüber.

[plugin imagelink link="http://likecool.com/Gear/Projects/Revealing%20Portraits%20of%20Heavily%20Tattooed%20People/Revealing-Portraits-of-Heavily-Tattooed-People-2.jpg" imagesrc="http://likecool.com/Gear/Projects/Revealing%20Portraits%20of%20Heavily%20Tattooed%20People/Revealing-Portraits-of-Heavily-Tattooed-People-2.jpg"]

sina-pousset

Mädchen, warum immer diese absolute Loyalität?

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Liebe Mädchen,
 
neulich beim Bier in größerer Runde: Die Dings kommt rein, bisschen verheult, glaube ich. Etwas verquollene Augen jedenfalls und irgendwie fahl. Und deutlich sauer. Kein „Hallo“ also, sondern direkt los: vom T. und was sich der gerade herausgenommen hat. „Unfassbar“ sei das! Und „Unterirdisch“! „Echt jetzt!“ Die ganz große Schimpftirade. Und darin – bitte, das ist jetzt noch keine Verallgemeinerung, aber in dem Fall war’s eben so – auch ganz schöner Unsinn. Weil halt offensichtlich ein Missverständnis vorlag.





Und interessant ist jetzt die erste Reaktion. Weil: Der S. holt Luft, ziemlich tief, wie es sonst Leute tun, die etwas sehr Langes und sehr Bedeutendes sagen wollen, und meint dann: „Hä?“ Und dann noch mal etwas Luft und während er die Frage „Und was ist daran jetzt so schlimm? Kann es nicht sein, dass er eigentlich nur ...“ stellte, fiel ihm die M. ins Wort und der Dings mit so was wie „Eeecht?!“ um den Hals. Und dann sind sie zu zweit rauchen gegangen, die Dings und die M., und haben da – ich habe mal kurz gelauscht, weil ich dann doch besorgt war – zehn Minuten lang zusammen drüber geschimpft, was der T. denn denke, wer er sei! Und dann kamen sie zurück.
 
Und noch etwas interessanter ist jetzt die zweite Reaktion: Als sie zurückkamen, war der Ton nämlich schon wieder ganz anders. Mehr so: „Ich glaube ja nicht, dass er das so gemeint hat. Vielleicht wollte er eigentlich echt nur ...“.
 
Mir geht’s jetzt überhaupt nicht drum, irgendeinen Unterschied aufzumachen, zwischen besonnenen Kerlen und hysterischen Weibern. Ist Blödsinn. Aber das Muster – absolute Nibelungentreue als erste Reaktion (Wenn die Dings sagt, der T. ist ein Schwein, ist der T. halt erst mal ein Schwein. Und was für eins!), dann differenzieren, nachfragen, abwägen, widersprechen und den Kopf der Erzürnten zurechtgerückt im Nachfassen – das kenne ich schon. Und zwar eher von euch.
 
Und die Frage wäre jetzt: Warum macht ihr das so? Warum zuerst die uneingeschränkte Zustimmung und danach erst Tatsachenschau? Weil: Loyalität ist ein hohes Gut, klar. Eines der höchsten bestimmt. Aber bedingungslose Loyalität ist etwas für Fanatiker. Und das seid ihr ja nicht. Deshalb auch die Vermutung: Ihr tut das ganz bewusst, richtig? Prinzip Blitzableiter. Die Energie raus aus der Luft und in den Boden. Und dann weiterschauen. Stimmt’s? Oder ist da noch mehr? Klärt mal auf. Ohne Umschweife, bitte!

>> Die Mädchenantwort von melanie-maier

[seitenumbruch]

Liebe Jungs,  

der Blitzableiter trifft’s eigentlich ganz gut. Zu eurer Beruhigung erst mal: Ja, wir wissen, dass wir uns in höchster Aufregung manchmal selber in die Tasche lügen. Wir wissen aber auch, dass das ganz geil ist. Habt ihr noch nie ausprobiert, ne? Wie sich das anfühlt, wenn man nach einem Streit noch mal so richtig aufbraust, sich so ganz hineinsteigert in die eigene Wut und alles, auch noch das kleinste bisschen Rage, das sich tief drin in einem findet, auf die – zum Glück – nun abwesende Person richtet. Man kann toben, schreien, wüten – und es gibt keiner Widerworte. Alles, was man dazu braucht, ist ein verständnisvoller Mensch, der sich den kindischen, idiotischen, völlig überzogenen Ausraster mal eben anhört. Dauert auch nur zehn Minuten, dann ist wieder gut.  

Natürlich geht’s dabei auch ein bisschen um die konkreten Inhalte: Die Dings findet den T. – aus welchen Gründen auch immer – in dem Moment einfach nur scheiße. So richtig kacke. Ein Riesen-Arschloch. Und die M., die weiß das. Die weiß aber auch genauso gut wie der S. – und wie die Dings unter ihrer dicken, schwarzen Schicht aus Wut –, dass der T. es vielleicht gar nicht so gemeint hat. Ein Missverständnis, klar. Kommt vor. Wenn man sich jetzt nur die konkreten Inhalte anschaut.  

Aber um die geht’s eben eigentlich auch nicht. Neben der offensichtlichen Ventilfunktion ist viel entscheidender: der Trost und die Bekräftigung der eigenen Person in der Gemeinschaft. Indem die M. den Anfall der Dings akzeptiert und zulässt, signalisiert sie: „Ich bin für dich da – egal, was ist. Und: egal, wie logisch oder unlogisch du dich verhältst. Wir gegen die anderen!“ Das ist für uns der ultimative Beweis der Freundschaft. Und ja, wenn ihr so wollt, ein bisschen Nibelungentreue.  

Und weil die M. das weiß, geht sie mit der Dings erst mal nach draußen. Ist zehn Minuten lang ihr Blitzableiter. Und wenn der Sturm vorbei ist, die Blitze alle eingeschlagen sind, dann erst fängt sie an, ganz vorsichtig zu fragen: „Kannst du dir nicht vorstellen, dass der T. das vielleicht gar nicht so gemeint hat?“ Damit hat die M. ihre Aufgabe als Freundin gemeistert. Und liefert der Dings außerdem noch etwas: Die Möglichkeit nämlich, selbst abzuwägen und mit erhobenem Kopf aus dem Wutanfall hinauszuspazieren. Zu sagen, ja, das könne sie sich schon vorstellen. Natürlich sei der T. trotzdem ein Arsch, aber gut, eventuell, vielleicht, habe er es gar nicht so gewollt. Sei eigentlich schon gut möglich. Sobald das passiert ist, beginnt – wie ihr ganz richtig observiert habt – Phase zwei: Analyse und Aufarbeitung. Dann erst folgt die dritte Phase: die Problemlösung.  

Und weil wir das wissen, würde auch nie im Leben eine von uns auf die Idee kommen, die Andere im Akt des Sich-Hineinsteigerns und Im-eigenen-Schmerz-Suhlens zu unterbrechen oder – ganz falsch – ein logisches Argument dagegen vorzubringen (please don’t!!). Das ist, das müsst ihr mal checken, ein sehr bewusster und vor allem rationaler Vorgang. Selbst, wenn wir ihn irgendwann intuitiv abspulen. Das einzig Richtige ist für uns nun mal zuerst die von euch so liebevoll betitelte „bedingungslose Loyalität für Fanatiker“. Sorry. Nur so kann sich das Ventil öffnen. Nur so kann die Wut raus.  

Könnt ihr euch für euch selbst auch mal merken: Rationalität ist total toll. Aber manchmal verlangt sie den Umweg über irrationale Loyalität. Bevor ihr kluge Fragen stellt, nehmt ihr uns das nächste Mal also gefälligst erst in den Arm!

Wir haben verstanden: KW 45

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  • Teufelskreis: Wenn der Wasserspender auf dem Weg zum Klo steht.

  • Gegen Ende eines Konzertes rennen die Menschen viel hektischer und rüpeliger zur Bar und wieder zurück zu ihrem Platz als am Anfang.

  • Möglicherweise gibt es nirgends auf der Welt mehr Bärte pro Quadratmeter als auf einem Konzert von Father John Misty.





  • Ein Tag, der damit anfängt, dass man eine Spam-Mail bekommt, in der einem Grabsteine angeboten werden – der kann nicht gut werden.

  • Nebel nervt, aber wenigstens kann man bei Nebel schöne Fotos machen, die mystisch und besonders aussehen.

  • Und wenn der Nebel erst weg ist, sehen alle Farben mindestens doppelt so schön aus wie normal.

  • Supertraurig: Wenn bei Skype nur der "Echo / Sound Test Service" online ist.

  • Man kann sich leerreden.

  • Österreicher haben den besseren Humor (s. Serien wie "Braunschlag").

  • Es ist sehr spannend, die neuen besten Freunde der alten besten Freunde kennenzulernen. Aber auch ein bisschen traurig.

  • Manchmal kann man ein Problem auch einfach vor der Haustür stehen lassen.

  • Je länger man im Supermarkt telefoniert, desto mehr kauft man ein.

  • An Allerheiligen auf dem Balkon chillen, wenn der Friedhof gegenüber liegt: not possible.

  • Eine gute Bar erkennt man unter anderem daran, dass der Barkeeper an seinem freien Abend selbst dort zum Saufen geht.

  • Es sei denn natürlich, er hat Alkoholprobleme und wenig Geld.

  • Wer emotional geladen ist, sollte nicht versuchen, einen Granatapfel zu entkernen.

  • Auf schwedischen Konzertgeländen scheinbar verboten: frische Milch.

"Nach meinem Coming-out hat mein Onkel mir mit dem Tod gedroht“

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Ein Recht auf Mitbestimmung und Schutz vor staatlicher Willkür – das haben sich viele Menschen vom Arabischen Frühling im Nahen Osten und in Nordafrika erhofft. Auch für die bis dahin stark diskriminierte LGBTI-Community (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle) war die Revolution mit der Hoffnung auf Anerkennung ihrer Rechte und mehr Freiheit verbunden. Knapp fünf Jahre nach Beginn der Revolution hat nun vergangenen Dienstag eine Konferenz in Berlin auf Einladung des Auswärtigen Amts, des Goethe-Instituts und der Hirschfeld-Eddy-Stiftung Aktivisten aus den betroffenen Ländern eingeladen und sie gefragt: Was ist von ihrem Traum übrig geblieben, welche Wünsche haben sich erfüllt, welche nicht? Badr, Dayana und Dalia aus Tunesien, dem Libanon und Ägypten haben uns diese Fragen beantwortet.
  

Badr, 35, arbeitet in Tunesien bei der Organisation „Damaj“, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzt





„Homosexualität wird in Tunesien immer noch mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft. 2008 und 2011 gab es deshalb große Festnahmewellen. Auch Morde gibt es immer wieder, registriert werden allerdings nur die an Ausländern. Natürlich haben wir gehofft, dass sich durch den Arabischen Frühling etwas ändert. Immerhin hat Tunesien seit 2014 eine neue Verfassung, die Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung garantiert. Dazu sollte auch gehören, LGBTI-Rechte durchzusetzen.

Stattdessen hat unser damaliger Minister für Menschenrechte im Jahr 2012 immer noch gesagt, dass Homosexualität „eine Krankheit“ sei, die man bekämpfen müsse. Und erst kürzlich, am 6. September 2015, wurde ein junger homosexueller Student verhaftet. Nur, weil er schwul ist. Ihm wurde kein Anwalt zur Seite gestellt und er musste sich gegen seinen Willen erniedrigenden Untersuchungen unterziehen. Als unser Justizminister danach öffentlich sagte, dass es solche Untersuchungen in Tunesien nicht mehr geben dürfe, wurde er entlassen. Die Justiz ist bei uns sowieso noch ein großes Problem: Selbst wenn die Diskriminierung von LGBTI-Personen eigentlich nicht mit der Verfassung vereinbar ist, setzen die Gerichte die neuen Gesetze noch nicht um.

Als Organisation versuchen wir natürlich, solche Fälle in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir haben eine Aufklärungskampagne gestartet und setzen uns dafür ein, dass der Student ein ordentliches Gerichtsverfahren bekommt. Aber als LGBTI-Organisation ist es nicht einfach in Tunesien. Wir dürfen uns nicht als Verein eintragen lassen und bekommen keine staatliche Unterstützung. Das stellt uns automatisch auf die Seite der Revolutionäre, die dieses System weiter verändern wollen.

Trotzdem sehen wir die Veränderungen durch den Arabischen Frühling als Chance. Auch, dass das tunesische „Quartett für den nationalen Dialog“ den Friedensnobelpreis verliehen bekommen hat, war eine gute Entscheidung. So verschwindet Tunesien nicht aus der internationalen Aufmerksamkeit.“
 

Dayana, 26, arbeitet bei einer arabischen Organisation für die Rechte von LGBTI im Libanon


„Ich komme aus einer muslimischen Familie, mein Onkel ist bei der Hisbollah. Nach meinem Coming-out hat er mir mit dem Tod gedroht. Deshalb habe ich den Rest meiner Familie auch seit Jahren nicht mehr gesehen – es wäre einfach zu gefährlich für sie, wenn mein Onkel uns zusammen auf der Straße sieht.

Eigentlich gibt es im Libanon seit 2014 kein Gesetz mehr, das Homosexualität kriminalisiert. Trotzdem werden insbesondere Transsexuelle weiterhin ausgegrenzt, sowohl vom Staat als auch in der LGBTI-Community. Sie bekommen keine Jobs. Organisationen, die sich für sie einsetzen, werden nicht anerkannt. Ich selbst bin Akademikerin und habe wegen meiner Transsexualität trotzdem lange keine Arbeit gefunden. Ich habe sogar überlegt, deshalb den Libanon zu verlassen und im Ausland Asyl zu beantragen. Irgendwann bekam ich dann allerdings Jobs bei LGBTI-Organisationen.

Gerade bin ich, vorsichtig formuliert, zufrieden. Aber ich hatte auch Glück. Vielen Transsexuellen bleibt nur die Sexarbeit. Das ist das Kuriose an der libanesischen Gesellschaft: Eigentlich lehnen die Menschen Transsexualität ab, sie fragen mich „Warum machst du das, was soll das?“ – aber als Abenteuer ist es dann doch für viele interessant. Wir werden als Sexobjekte betrachtet. Die Prostitution als Transsexuelle ist illegal. Wird man erwischt, kommt man in Sondergefängnisse oder Einzelhaft.

Ich selbst lasse mich von den Diskriminierungen und auch von den Drohungen meines Onkels nicht mehr einschüchtern. Ich bin, wer ich bin, und ich werde nicht bestimmte Straßen meiden, um nicht aufzufallen. Ich würde mir wünschen, dass auch andere Transfrauen und -männer irgendwann so denken. Dass sie sich nicht mehr verstecken müssen und positiv in die Zukunft schauen.“

>>>> "Die ägyptischen Medien outen Leute öffentlich, die dann überwacht und in ihren Wohnungen angegriffen werden."
[seitenumbruch]

Dalia, 25, arbeitet für die internationale Organisation „Solidarity with Egypt LGBT“. Sie kommt aus Ägypten, studiert mittlerweile aber in Schweden





„Viele haben gedacht, die Unterdrückung der LGBTI in Ägypten ginge vor allem von den Muslimbrüdern aus und dass Mursi uns aus religiösen Motiven bekämpfen würde. Aber das war falsch. Das religiöse Argument, dass der Koran angeblich Homosexualität verbietet, ist nur ein Instrument, um die Menschen zu manipulieren. Denn seit dem Sommer 2014, als das Militär mit Präsident Al-Sisi an die Macht gekommen ist, ist alles noch schlimmer geworden.

LGBTI-Personen werden in großer Zahl verhaftet, auch wenn kein Gesetz Homosexualität explizit verbietet. Exekutive, Legislative und Judikative sind äußerst korrupt, die Rechte von Minderheiten werden nicht geachtet. Und auch die Medien spielen bei dem Thema keine gute Rolle. Sie starten regelrechte Kampagnen gegen LGBTI, outen Leute öffentlich, die dann überwacht und in ihren Wohnungen angegriffen werden. Diese Übergriffe werden dann teilweise sogar von Kamerateams gefilmt, es ist wirklich unglaublich.

Das alles interessiert international kaum jemanden. Im Gegenteil – viele Länder haben nach dem Arabischen Frühling ihre Beziehungen zu totalitären Regimen wie Ägypten wieder normalisiert. Deshalb versucht meine Organisation auch international Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Um andere Länder daran zu erinnern, mit wem sie sich da einlassen.“

Wo ist Waldo?

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Das Spiel war für alle,  die nach 1987 geboren sind, der beste Zeitvertreib der Welt: Auf einer bunten, möglichst unübersichtlichen Zeichnung von Jahrmarkt, Strand oder Bahnhof musste man in dem Gewusel den jungen Typ mit rot-weiß-gestreiftem Pulli und Mütze, blauer Hose, Brille und (seltsamerweise) oft einem Gehstock finden.  

[plugin imagelink link="http://headersfortwitter.com/wp-content/uploads/2012/10/wheres-waldo-twitter-header.jpg" imagesrc="http://headersfortwitter.com/wp-content/uploads/2012/10/wheres-waldo-twitter-header.jpg"]

Bis man Waldo endlich gefunden hat, verging schon mal eine halbe Stunde, an schlechten Tagen auch mehr. Darum dürfte alle, die schon mal nach ihm gesucht haben, diese Nachricht freuen: Waldo, der einsame Held der Wimmelbuch-Reihe "Where's Waldo?", ist gefunden. Oder besser: reinkarniert, wenigstens auf Instagram. Ein Londoner hat ihm dort den Account WallyFound angelegt und postet darauf typische Touristen-Bilder, U-Bahn-Schnappschüsse, aber auch künstlerisch-symmetrische Fotos aus Büchereien und Treppenhäusern. Immer im Bild: er selbst im Waldo-Kostüm.

Zum Beispiel vor dem Big Ben bei Sonnenuntergang:
 




Oder beim Frühstück:






Manchmal muss man Waldo auch auf seinen Instagram-Fotos erst suchen, zumindest kurz: 

Bür












••| So many books, so little time. #WallyFound 📍|| 📷 by @avayvod |•• Ein von @wallyfound gepostetes Foto am 26. Sep 2015 um 4:36 Uhr




Manchmal versteckt sich Waldo, allerdings nicht vor dem Leser:




















Und auch wenn wenn er sich nicht versteckt, sieht man Waldos Gesicht nicht. Er bleibt auch auf Instagram inkognito, was die ursprüngliche Idee der Bücher charmant weiterführt.  
















Hinter dem Account steckt ein 23-jähriger Künstler und Blogger aus London, der sich Wally nennt und anonym bleiben will. Wer mag, kann sich die Bilder bald auch an die Wand hängen: Wally sammelt via Crowdfunding 2.500 Pfund für einen Charity-Kalender. 


Kathrin Hollmer

Reisebegleitung

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Wer auf einem Festival oder auf einer Party Drogen nimmt, der verspricht sich davon mehr Spaß. Das funktioniert nicht immer: Bei einem schlechten Trip kann von einem Kreislaufkollaps bis hin zu Angstzuständen einiges schiefgehen. Dann ist es gut, wenn jemand da ist, der auf einen aufpasst und einem hilft, diese miese Phase zu überstehen.

Dieser Jemand kann zum Beispiel Anette Hofmann sein. Sie ist Tripsitterin und betreut Menschen, die halluzinogene Drogen genommen haben. Sie engagiert sich für Eclipse e.V., einen Verein für akzeptierende Drogenarbeit und psychedelische Krisenintervention, der jedes Jahr auf dem Fusion Festival eine Ambulanz mit 150 ehrenamtlichen Helfern einrichtet.





jetzt: Tripsitting, das klingt ein wenig nach Babysitting für Menschen auf einem Drogentrip. Kommt das hin?
Anette Hofmann: Ich nenne es lieber „Begleitung“. Es geht darum, dass man da ist und jemanden, der auf einem schlechten Trip ist, aus der Reizüberflutung holt und im Hier und Jetzt hält.

Wie machst du das?
Manchmal reicht es schon, jemandem eine Tasse Tee und eine Banane zu geben. Viele, die zu uns in die psychedelische Ambulanz kommen, sind völlig ausgetrocknet. Auf Drogen vergisst man oft das Essen und Trinken. Es hilft auch, wenn man jemanden zudeckt: Eingewickelt hat man ein besseres Körpergefühl. Wir reden den Leuten gut zu und sagen: „Du hast irgendwelche Substanzen genommen, deshalb geht es dir schlecht. Das geht wieder weg, wir passen solange auf dich auf.“ Wir versuchen dann herauszufinden, ob jemand bekannte Gesichter, also seine Freunde, um sich braucht, oder ob die zu hysterisch sind und alles noch schlimmer machen. Und Vitamin C hilft auch.

Löst ihr den Leuten dann Brausetabletten auf?
Das auch, aber am besten ist es, wenn man Obst isst. Wir bereiten Teller mit aufgeschnittenen Orangen, Mandarinen, Äpfeln und Birnen vor. Bei Speed und MDMA kommt es oft zu Wadenkrämpfen, da geben wir Magnesium. Manche brauchen auch eine Art Beschäftigungstherapie.

Wie sieht die aus?
Manche laufen über das Gelände und sammeln jeden Fussel vom Boden auf. So jemandem drücken wir auch mal einen Müllsack in die Hand und sagen: „Sammle doch alle Zigarettenstummel!“ Dann ist der total froh, dass er eine Beschäftigung hat, und macht auch noch den Platz sauber. Oder wir lassen ihn Aschenbecher ausleeren oder in der Küche Geschirr abtrocknen. Das kommt immer darauf an, welchen Draht man zueinander aufgebaut hat. Wir machen auch Spaziergänge oder gehen zusammen tanzen. Und wir haben immer eine Schreibmaschine dabei.



Anette Hofmann, 50, ist gelernte Krankenschwester. Sie war selbst süchtig, studierte nach einer Therapie Sozialpädagogik und ließ sich zur Suchttherapeutin ausbilden. Seit 15 Jahren begleitet sie Menschen auf Drogentrips.

Eine Schreibmaschine?
Ja, wir lassen die Leute einfach schreiben. Das ist meistens unzusammenhängendes Zeug, aber sie haben etwas in den Händen, eine Aufgabe, auf die sie sich konzentrieren müssen, und sind abgelenkt.

Wie kommt jemand auf einem Trip überhaupt zu euch?
Manchmal bringen Fremde jemanden vorbei, der auf der Tanzfläche zusammengebrochen ist, oder Freunde, die dann sagen: „Wir sind selbst drauf, kümmert euch um den!“

„Wie sich ein Trip entwickelt, hat viel mit dem Setting zu tun.“


Und dann darf er in eurem Zelt bleiben.
Ja. Wir haben mehrere Zelte für verschiedene Stadien, es gibt ein Chill-Zelt und zwei Ambulanz-Zelte. Wenn jemand Ablenkung braucht, bleibt er im Chill-Zelt. Bis zu 60 Leute haben darin Platz, es ist beheizt und wir kochen Chai-Tee. Alles ist mit Tüchern abgehängt, es gibt Kissen, nettes Licht – nichts, das Angst machen könnte. Wie sich ein Trip entwickelt, hat ganz viel mit dem Setting zu tun. Wenn wir aber merken, dass jemand gerade keine Menschen um sich herum erträgt, bringen wir ihn in eins der Ambulanz-Zelte.

Was passiert da?
Wir haben eins für Frauen und eins für Männer, um Übergriffe zu vermeiden. Gerade auf MDMA ist das, was man verharmlosend „Kuschelbedürfnis“ nennen könnte, sehr hoch. Auch bei GHB, dem sogenannten Liquid Ecstasy, das die Grenzen verschwimmen lässt, kann es zu Übergriffen kommen. In den Ambulanz-Zelten ist für jeden ein Begleiter abgestellt, der Puls und Atmung überwacht, zu essen und zu trinken gibt, beruhigt. Und dann haben wir noch ein Zelt, in dem man sich massieren lassen kann, wenn man körperlich verspannt oder verkrampft ist. Die Zelte sind, zumindest nachts, ziemlich ausgelastet.

Auf welchen Drogen sind die Leute, die ihr begleitet?
Meist auf LSD oder MDMA, oft sind es Überdosierungen oder beim Mischen ist was schiefgelaufen. Am gefährlichsten ist die Verbindung mit Alkohol, besonders Alkohol und GHB. Pilze sind beliebt, manchen wird es damit aber zu bunt oder sie wirken zu lange. Ketamin ist auch beliebt und synthetische Cannabinoide, bei denen Paranoia, Angstzustände und Beklemmungen auftreten können. Die Leute denken teilweise sogar, sie sterben jetzt. Die meisten haben aber Kreislaufprobleme, dann lagern wir ihre Beine hoch.

Was macht ihr, wenn jemand umkippt?
Wenn jemand bewusstlos wird, so ausgetrocknet ist, dass er eine Infusion braucht, oder auch nach Stunden nicht zur Ruhe kommt, bringen wir ihn zu den Sanitätern, die auf der Fusion im Zelt nebenan sind. Die medizinischen Helfer sind froh, dass wir uns um die psychischen Probleme kümmern, dafür ist bei ihnen, wo es oft ums nackte Überleben geht, einfach keine Zeit. Und wir sind froh, dass für physische Komplikationen eine Absicherung da ist. Ein junger Mann hatte mal einen Herzinfarkt. Das hatte nichts mit Drogen zu tun, aber seine Freunde haben ihn zu uns gebracht, weil sie nicht wussten, was sie mit ihm machen sollen. Wir haben ihn zu den Sanitätern gebracht, und er wurde mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen.


>>> "Wenn zwei auf Speed im Laber-Flash sind, setzen wir die  zusammen. Wenn uns schon die Ohren wehtun, unterhalten die sich immer noch blendend."
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Wie lange ist jemand normalerweise bei euch in der Ambulanz?

Meistens sind die Leute innerhalb einer Schicht, also in vier bis fünf Stunden, wieder stabil und können wieder tanzen gehen. Manche schlafen sich sechs, sieben Stunden aus. Die kann man zwischendurch auch alleine lassen, überprüft nur immer wieder ihren Puls, deckt sie zu, bringt ihnen frischen Tee, aber lässt sie sonst in Ruhe. Es gibt auch Trips, die tagelang dauern.

Wie kommt das?
Bei einigen neuen psychoaktiven Substanzen können Trips immer wieder von vorne anfangen. Vor zwei Jahren gab es auf der Fusion komische blaue Pillen, keiner wusste, was drin ist. Wir haben Leute, die welche geschluckt hatten, aus der Ambulanz entlassen, und am nächsten Tag kamen sie wieder mit neuen Halluzinationen und Angstzuständen, ohne dass sie noch mal was genommen hatten. Bisher musste noch keiner in die geschlossene Psychiatrie, aber wir haben schon wirklich schlimme Fälle gehabt.

Zum Beispiel?
Wenn jemand in der Vergangenheit etwas Schlimmes erlebt hat, Gewalt in der Familie oder Partnerschaft oder sexuellen Missbrauch, können die Traumata durch Drogen, gerade LSD, wieder aufbrechen. LSD und MDMA werden im Ausland auch in der Therapie eingesetzt, damit die Leute sich besser öffnen und erinnern können. Wenn das auf einer Party passiert, ist das der unpassendste Ort, den man sich vorstellen kann. Oft nehmen junge Frauen psychoaktive Substanzen und projizieren ihre Angst auf den Freund oder Partner – und sehen ihn dann als Feind.

Was macht ihr in so einer Situation?
Wir sorgen dafür, dass die Frauen erst einmal mit gar keinen Männern mehr in Kontakt kommen, begleiten sie aufs Klo, schaffen einen Schutzraum für sie. Bricht so ein Trauma auf, will man alles erzählen. Das müssen wir aufhalten, weil es zu einer Retraumatisierung kommen kann: Die Person würde ihr Trauma dann ein zweites Mal erleben.

„Wir wollen niemanden therapieren, sondern die Leute wieder partyfit machen.“


Wie verhindert ihr das?
Wir holen sie in die Gegenwart, fragen, was sie gut kann, was sie an sich mag, oder geben ihr einfache Anweisungen, zum Beispiel, ihre Beine zu spüren, sich auf ihren Körper zu konzentrieren. Alles, was sie wegbringt von ihrer Geschichte, ist gut.

Gibt es auch lustige Trips?
Sagen wir „nett“. Wenn zwei auf Speed im Laber-Flash sind, setzen wir die zum Beispiel zusammen. Wenn uns schon die Ohren wehtun, unterhalten die sich immer noch blendend.

Hilft dir deine eigene Erfahrung mit Drogen bei der Arbeit?
Jeder, der schon mal Drogen genommen hat, weiß, wie schnell man abstürzen kann und was man dann braucht. Darum werten wir eigene Erfahrungen als Pluspunkt, aber es ist keine Voraussetzung, um mitzumachen. Viele arbeiten im sozialen Bereich, als Psychiater, Psychologen, Sozialpädagogen, Krankenschwestern, andere haben aber gar keine Ausbildung in der Richtung. Wir bieten jedes Jahr einen Workshop für neue Helfer an. Es hat aber auch viel mit Gefühl zu tun.

Inwiefern?
Wichtig ist, dass jemand empathisch ist und Respekt gegenüber dem Konsumenten hat. Man muss spüren, wie nah man jemandem kommen darf – immerhin kommen manche mit Angstzuständen zu uns. Wichtig ist auch, dass man hinter unseren Grundsätzen steht: Uns geht es nicht darum, jemanden zu therapieren, sondern darum, die Leute wieder partyfit zu machen. Wir halten Drogen nicht für böse. Wir sind eine Art Reisebegleitung.

Informiert ihr die Leute auch über sicheren Konsum?
Im Chill-Zelt liegen Flyer zu allen Substanzen, nach denen werden wir oft gefragt. Man kann sich auch Leerkapseln, Ziehröhrchen, Unterlagen und Alkoholtupfer zum Saubermachen mitnehmen, damit man nicht immer auf dem dreckigen Zeug ziehen muss, und auch Kondome. Wir werden auch oft gefragt, was man mischen kann, und predigen dann immer, nur bei einer Substanz zu bleiben, und wenn der Turn vorbei ist, das auch zu akzeptieren. Das Nachlegen ist fatal.

Sollten auf einem Festival nicht eigentlich die Freunde, die zusammen da sind, aufeinander achtgeben?
Wenn alle in der Gruppe drauf sind, kann es gut sein, dass keiner mehr weiß, was zu tun ist, wenn es einem plötzlich schlecht geht. Darum ist es besonders bei psychoaktiven Drogen wie Ketamin, LSD oder GHB gut, wenn einer dabei ist, der nichts genommen hat. Früher haben die Leute mehr aufeinander aufgepasst, Fremde haben gefragt, ob alles in Ordnung ist, wenn sich jemand nicht mehr ausgekannt hat. Heute ist alles anonymer, auch deshalb hat sich Eclipse gegründet, um das ein wenig zu übernehmen, gerade auf der Fusion mit 80 000 Besuchern. Manchmal liegt einer irgendwo, und keinen interessiert es, ob er noch atmet.

Dieses Interview ist Teil des SZ-Schwerpunkts „Die Recherche“ zum Thema „Alkohol, Cannabis, Crystal: Wann hört der Spaß auf?“ Mehr Infos und Beiträge unter sz.de/rauschundrisiko.

Einvernehmlicher Sex für Dummies

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http://www.youtube.com/watch?v=zXju34Uwuys

Würde man in der "Sendung mit der Maus" sexuelle Gewalt thematisieren, die Polizei der Region Thames Valley in England hätte schon mal das ideale Lehrmaterial vorgelegt. In dem Zeichentrick-Video, das vor kurzem auf ihrem Youtube-Account erschienen ist, wird Sex mit dem britischsten aller Zeitvertreibe verglichen: einer Tasse Tee. Mit dieser Analogie und anhand zweier Strichmännchen erklärt ein Sprecher, wann Sex einvernehmlich und damit okay ist – und wann nicht.

"Wenn man jemandem eine Tasse Tee anbietet und der andere sagt: 'Oh mein Gott, ja, ich hätte liebend gerne eine Tasse Tee, vielen Dank!', dann weiß man, der andere will eine Tasse Tee", erklärt der Sprecher. Wenn der andere unsicher sei oder das Angebot ablehne, "würde man demjenigen ja auch nicht Tee aufzwingen." Danach folgen alle Szenarien, die man sich mit zwei Personen als Subjekte und einer Tasse Tee als Objekt vorstellen kann. Man möchte erst Tee und bis die Tasse vorbereitet ist, hat man sich umentschieden oder ist bewusstlos. "Bewusstlose Menschen wollen keinen Tee", sagt die Stimme aus dem Off. "Sie können nicht nicht auf Frage, ob sie Tee haben wollen, antworten."

Das Video ist Teil der Kampagne #ConsentisEverything der Polizei von von Thames Valley, die ähnlich wie die "Yes means yes"-Bewegung aus den USA, bei der Sex ohne vorhergehende Zustimmung nicht als einvernehmlich gilt.

Kathrin Hollmer

Einer muss es ja machen

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Das musikalische Gedächtnis Deutschlands trägt ein graues Hemd, eine kleine Brille und spricht mit sächsischem Einschlag. Sein Name: Matthias Matthes. Matthes, 61, kopiert mit einer Handvoll Mitarbeitern für das Deutsche Musikarchiv CDs. Und zwar nicht nur ein paar spezielle Liebhaberstücke. Nein. Alle CDs. Alle, die seit der Einführung der CD in Deutschland erschienen sind. Per Hand, Stück für Stück. Captain Jack. Gustav Mahler. Bravo-Hits. Egal. 500 Stück am Tag. „Für eine CD brauche ich 27 Sekunden“, sagt Matthes trocken. Er hat es gemessen. Es ist eine gigantische Aufgabe.

Gerade steht er in einem Büro der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig - in dem Gebäude ist das Musikarchiv untergebracht. Vor ihm: ein unscheinbarer, kühlschrankähnlicher, ständig brummender, grauer Automat, den alle hier „Jukebox“ nennen. Er ist das Herzstück der Digitalisierungsmaschinerie, die Grenze und das Portal zwischen analoger und digitaler Welt. Ihn muss Matthes mit CDs befüllen. Das passiert aber nicht mit einem dieser orangefarbenen, ultrapräzise arbeitenden Roboterarmen, die man aus Fabriken oder Hightech-Laboren kennt. Matthes macht das händisch. Knopf drücken, Laufwerk fährt raus, CD drauf, Knopf drücken, Laufwerk fährt wieder rein. 500 000 CDs haben sie so in den vergangenen Jahren umkopiert. Es habe zwar mal Überlegungen gegeben, ob das nicht auch irgendwie einfacher und besser ginge - weil: Der Mensch schießt ja auch Roboter auf den Mars, die Selfies von sich machen können. Aber: „So wie wir das machen, ist das der ökonomischste und schnellste Weg“, sagt Matthes.

Das Herzstück ist ein unscheinbarer, grauer Automat. Sie nennen ihn hier nur "Jukebox".


Der 61-Jährige ist hier zwar weder der Chef noch hat er das Digitalisierungsprogramm ausgetüftelt. Früher hat Matthes eigentlich mal Kopierer repariert. Aber er kennt die Jukebox in- und auswendig. Er weiß, was los ist, wenn sie ein wenig tiefer brummt als normal. Fragt man Matthes nach der ersten CD, die hier jemals digitalisiert wurde, schießt die Antwort sofort aus ihm heraus: „‚The Visitors, Abba, 1981.“ Matthes ist CD-Digitalisierungsexperte. Auch wenn sie hier in Leipzig - ganz streng genommen - die CDs nicht digitalisieren, sondern die digitale Information umspeichern. Von einem Medium auf ein anderes.* 




Ein grauer, unscheinbarer Kasten ist das Herzstück der Digitalisierungsmaschinerie. Hier legt Matthes CD für CD ein. Für eine braucht er 27 Sekunden.

Man kann sich jetzt fragen, warum das Musikarchiv sich überhaupt so eine Riesenarbeit macht. Es müssen nämlich nicht nur CDs kopiert werden, die von professionellen Labels produziert wurden. Auch selbst gebrannte CDs, zum Beispiel vom Lehrerchor, der 1996 auf dem Schulfest in Bad Birnbach gesungen hat, müssen in den Bestand aufgenommen werden. Es arbeiten hier tatsächlich Leute, die das Internet gezielt nach diesen speziellen Veröffentlichungen durchforsten. Aber abgesehen von solchen Exoten - den Großteil der Musik gibt es ja schon überall digitalisiert. Auf iTunes, auf Spotify, auf Youtube, jetzt auch auf Aldi - sogar der Discounter bietet inzwischen einen Streaming-Dienst an. Warum also dieser Aufwand? Die Antwort ist simpel. „Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet“, sagt Matthes. Es ist Kulturgut - egal ob Dr. Alban oder Herbert von Karajan. Und die Musik wird auf diese Weise allen gratis zugänglich gemacht. Allen jedenfalls, die Musik in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig hören wollen.

Auch die selbst gebrannte CD vom Lehrerchor aus Bad Birnbach wird in den Bestand aufgenommen.


Eigentlich verwundert es nicht wirklich, dass Deutschland auch in diesem Bereich sehr penibel ist. Deutschland hortet Gold, lagert Ölreserven, bunkert Nahrungsmittel in geheimen Hallen - klar lagert die Bundesrepublik auch Musik. Die Sache mit den CDs hat allerdings einen Haken: Die Haltbarkeit der glänzenden Tonträger ist ziemlich eingeschränkt. Das liegt oft an den Materialien, die zum Pressen verwendet wurden. Aggressive Lacke der Aufdrucke fressen sich innerhalb weniger Jahre durch die ganze CD. Hunderte Stücke sind dem Archiv deshalb schon verloren gegangen. „Je nach Qualität des Produkts kann der Verfall schon nach ein paar Monaten beginnen“, sagt Matthes. Oder die Sache mit den CDs in Pappcovern. War vor zehn Jahren ziemlich chic, weil irgendwie ökologisch-bewusster - Musikkonsum und so - aus Sicht der Leipziger Digitalisierer aber ein schwerer Fehler. Weil: schlecht, ganz schlecht für die CD. Wegen der Dämpfe aus dem Kleber, mit denen die Pappe zusammenhält. Greift nämlich auch die Scheibe an. Es braucht eben Menschen, wie sie dort in Leipzig arbeiten. Menschen wie Matthias Matthes, die die Musik für die Ewigkeit bewahren. Und das geht eben nur, wenn man sie digitalisiert.[seitenumbruch]
Matthes geht auf die andere Seite des Büros und setzt sich vor einen Computer. Über den Bildschirm laufen endlose Zahlenreihen, die Fehler auf den CDs anzeigen. Matthes kann sie lesen, als würde er nicht in Leipzig, sondern in der Matrix arbeiten. Findet er eine Abweichung, dann kommt die CD in ein anderes Laufwerk, zur Tonüberprüfung. Matthes setzt sich einen dicken Kopfhörer auf. Lange passiert nichts, er starrt konzentriert auf den Bildschirm. Dann plötzlich zuckt seine Wimper. Ein Fehler auf der CD. Er hört sich das Ganze noch mal an, über Lautsprecher. Italienischer Schlager dudelt durch das Büro. Damdidamdidamdidam. Und dazwischen: ein kurzes Klicken. Ein Fehler. Eindeutig. Matthes schraubt an ein paar Knöpfen - gleicht das Klicken mit einem anderen Computerprogramm wieder aus. Schließlich soll hier nur makelloses Liedgut in die Ewigkeit eingehen.

„Bei Musik wie der von Rammstein hört man solche Fehler allerdings nur schwer raus“, sagt Matthias Matthes. Und fügt schnell hinzu, dass das keine Kritik an der Band sei, sondern lediglich ein Erfahrungswert.




Die CDs lagern in einem fußballfeldgroßen Gebäude in endlosen Regalreihen. Da stehen in schöner Harmonie Dylan-CDs neben Céline Dion und Hobbychöre neben schwedischem Power-Metal.

Bei aller Freude an der Genauigkeit plagt Matthes aber manchmal so ein dumpfes Gefühl. Matthes könnte lang und breit erzählen, dass die Qualität der CDs in den Achtzigern oft richtig mies war. Er kann über den Kopierschutz referieren, und wie man ihn knackt. Weiß er alles. Manchmal aber, da nervt ihn die Arbeit. Immer CD reinschieben, immer CD rausnehmen. Dazwischen das ewige Brummen des Automaten. „Ist schon oft monoton“, sagt er. „Und manchmal auch sehr langweilig.“

Und dann ist da noch diese Ohnmacht: Denn selbst das Digitalisieren reicht nicht aus, um die Vergänglichkeit auszutricksen. Die Langzeitarchivierung - so nennt man den Vorgang - hat nämlich ein grundsätzliches Problem. Niemand kann garantieren, dass Daten auf Festplatten länger als zehn Jahre halten. Im Falle des Musikarchivs werden daher alle gespeicherten Daten nach fünf Jahren auf neue Festplatten kopiert.

Das wissen sie in Leipzig - und das wissen sie vor allem im Leibniz-Rechenzentrum in Garching bei München. Hier gibt es eine Abteilung, die sich „Datenhaltung“ nennt, und dort machen sich Forscher über nichts anderes Gedanken als über die Sicherung digitalen Materials. In einer streng gesicherten und vor allerlei Katastrophen -geschützten Halle werden dort wissenschaftliche Daten aller Münchner Unis in einer gigantischen Menge gespeichert. Doktorarbeiten, Seminararbeiten, Bilder. Auch den kompletten Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek haben sie dort digital. 50 Petabyte sind das momentan. Zum Vergleich: Hätte man nur ein Petabyte Musik auf dem Handy, könnte es theoretisch 2000 Jahre am Stück durchspielen.





Doch auch in Garching müssen sie die Daten alle fünf bis sieben Jahre umheben. Zum einen, weil das Speichermaterial einfach nicht mehr hergibt. Dort wird auf speziellen Magnetbändern gespeichert, die sind effektiver als konventionelle Festplatten. Aber noch aus einem zweiten Grund. Arndt Bode ist Leiter des Zentrums, er sagt: „Niemand weiß, ob es in ein paar Jahren zum Beispiel noch DOC-Dateien gibt. Beziehungsweise eine Software, die diese Dateien lesen könnte.“ Siehe Disketten. Dafür haben Computer ja schon seit Jahren keine Laufwerke mehr. Mit der Umspeicherung nach ein paar Jahren bleibe man laut Bode auf dem aktuellen Stand der Lesetechnik. Sonst gehe es einem am Schluss noch so wie der NASA. Die hat in den Neunzigern nämlich versucht, alte Daten einer Saturnsonde auszuwerten. Dann aber leider schnell festgestellt, dass sie gar nicht mehr über die Geräte verfügte, die man dazu gebraucht hätte.

Selbst das Digitalisieren reicht nicht aus, um die Vergänglichkeit auszutricksen.


Zurück im Musikarchiv in Leipzig. Auch wenn sie hier beim Digitalisieren die gleichen Probleme haben - es gibt ja noch die Originale. Die CDs selbst lagern in einem fußballfeldgroßen Trakt. Nur mit einer speziellen Chipkarte kommt man dort rein. Das ganze Jahr über herrschen dort konstante 15 Grad Celsius. Luftfeuchtigkeit: zwischen 35 und 40 Prozent. Matthes schlendert durch die schier endlosen Regalreihen, schaut prüfend links und rechts, streift sanft mit der Hand über eines der Regale. Dort findet man nicht nur ein ideales Klima - sondern auch eine seltsam schöne Harmonie. Bob Dylan steht hier neben Céline Dion, CDs stehen neben Minidiscs. Auch für die Irrwege der Musikindustrie ist in Leipzig Platz.

Renitenz und Ignoranz hingegen mögen sie hier im Archiv gar nicht. Matthes erzählt eine Anekdote. Ein Musikverlag weigerte sich vor Kurzem, seine CDs zu den Archivaren zu schicken. Das Archiv zwang den Verlag per richterlichem Beschluss. „Der Verleger war so sauer, dass er eines Tages eine komplett vollgepackte Europalette vor unsere Tür stellte. Höchstpersönlich. 6000 CDs.“

Ein paar Jahre wird Matthes den Job noch machen. Mindestens aber bis 2016. Dann haben sie in Leipzig alle Altbestände umkopiert - und können sich auf die Neuerscheinungen konzentrieren. Denn auch wenn weit weniger Menschen als noch vor zehn Jahren CDs kaufen, die allermeisten Lieder kommen immer noch, neben anderen Tonträgern, auf diese Weise auf den Markt.

Bei den Hunderttausenden von CDs, von Kleinoden, die hier herumstehen - was hört Matthes, der Hüter dieses Schatzes, eigentlich gern privat?
„Radio“, sagt er.



*In einer früheren Version des Artikels war die Rede von der Digitalisierung der CDs. Das ist nicht ganz richtig, denn die Daten auf einer CD sind natürlich schon digital vorhanden. Es handelt sich also eher um ein Umspeichern. Vielen Dank für den Hinweis. 

Interview mit dem Vergangenheits-Ich

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Wer in der Kneipe ein Thema anstoßen möchte, zu dem jeder etwas sagen kann, dann am besten mit dieser Frage: Welchen Ratschlag würdest du deinem jüngeren Ich mit deiner Erfahrung von heute gerne geben? Funktioniert garantiert! Drauf geschworen!

Denn das ist schon so ein mittelgroßer Menschheitstraum: mit sich selbst in einer anderen Lebensphase sprechen zu können. Bin ich der gleiche Mensch wie mit 15? Werde ich mit 50 der gleiche Mensch sein wie heute? Welche meiner Wünsche haben sich erfüllt, welche werden nie in Erfüllung gehen?

Mit seinem Langzeitprojekt „Later That Same Life“ ist der Schriftsteller und Schauspieler Peter Emshwiller kurz davor, sich diesen mittelgroßen Menschheitstraum zu erfüllen. Im Jahr 1977, mit 18 Jahren, hat er seinem Zukunfts-Ich Fragen zu Karriere, Liebe, Kunst, Familie, Sex und vielem mehr gestellt und sich dabei von seinem Vater filmen lassen.

[plugin imagelink link="https://41.media.tumblr.com/54fc2071427a3a86ab044f743f9833df/tumblr_nv5xxcbxFE1tfwvg8o1_1280.jpg" imagesrc="https://41.media.tumblr.com/54fc2071427a3a86ab044f743f9833df/tumblr_nv5xxcbxFE1tfwvg8o1_1280.jpg"] Vergangenheits-Peter(via Rockethub)

Antworten hat er natürlich keine bekommen, aber dafür schon mal alle möglichen Reaktionen auf alle möglichen Antworten durchgespielt und ebenfalls aufgenommen: von höflich interessiert über erfreut oder enttäuscht bis hin zum genervten Augenrollen. Heute ist Emshwiller 56 Jahre alt und hat beschlossen, dass es an der Zeit sei, Teeanger-Peter endlich zu antworten. Ihm zu gestehen, dass er nicht alles so umgesetzt hat, wie sein jüngeres Ich sich das gewünscht hat. Ihm aber auch schon mal zu raten, viel Zeit mit seinem Vater zu verbringen. Und um ihn damit zu konfrontieren, dass er noch Jungfrau ist (aber bald nicht mehr sein wird!).

[plugin imagelink link="https://36.media.tumblr.com/59a9ae9fb6cb9c9db0a356fd5f88b604/tumblr_nv7wx3GZOJ1tfwvg8o1_1280.jpg" imagesrc="https://36.media.tumblr.com/59a9ae9fb6cb9c9db0a356fd5f88b604/tumblr_nv7wx3GZOJ1tfwvg8o1_1280.jpg"] Gegenwarts-Peter (via Rockethub)

Wie „Later That Same Life“ am Ende aussehen soll, das zeigt er in diesem Teaser-Video:

http://www.youtube.com/watch?v=x9n9dt2fKeE

Funktioniert erstaunlich gut, dieses Gespräch, und ist erstaunlich glaubwürdig. Um das Projekt ganz und in guter Qualität umsetzen zu können (vor allem durch Nachbearbeitung der alten Filmaufnahmen), hat Emshwiller eine Crowdfunding-Kampagne gestartet und schon mehr als die erforderliche Summe eingenommen. Das ist schön, weil wir das Interview nämlich unbedingt in seiner gesamten Länge sehen wollen. Denn wenn man schon nicht mit sich selbst in einer anderen Lebensphase sprechen kann, möchte man doch wenigstens jemand anders dabei zuschauen.

Nadja Schlüter

Mädchen, die Gluten essen

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Aaah, Witze mit Gluten! Oder gegen Gluten. Oder gegen Glutenunverträglichkeit. Machen Spaß. Erinnert sich zum Beispiel noch jemand an das „Gluten Free Museum“ (Kunst, aus der das Gluten entfernt wurde)? Sah so aus:

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Jetzt wollen wir kurz einen Instagram-Account vorstellen, der auch in die Reihe „Witze mit (oder gegen) Gluten“ passt: Girls with Gluten. Motto: „Have your cake, eat hers too“. Zu sehen sind mittlerweile fast tausend Fotos von Frauen, die Dinge aus Teig essen. Naja, oder zumindest in der Hand halten oder anknabbern oder vor sich auf dem Teller haben. Brot. Donuts (viele Donuts). Pizza (viel Pizza). Burger. Nudeln. Hot Dogs. Waffeln. Brezen. Croissants. Und so weiter.










Ein T-Shirt gibt es auch schon dazu:

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Jaja, okay, das sind sehr amerikanische Bilder mit sehr amerikanischen Mädchen, alles sehr Hochglanz und superschlank (trotz der vielen Donuts und Pizza, was an diesen anderen Account namens „You Didn’t Eat That“ erinnert, auf dem Bilder von Models gezeigt werden, die sich an fettigem Essen festhalten). Aber dennoch ist das mit die netteste Kritik am Glutenunverträglichkeitstrend. Kein böses Drauf-abhassen. Kein Schmäh und kein Schimpf. Einfach nur Fotos von Frauen, deren Darm keine Probleme mit Klebereiweiß hat. Oder genauer gesagt: Die sich nicht einbilden, dass ihr Darm Probleme mit Klebereiweiß hat. Gegen alle, deren Därme wirklich ein Problem mit Klebereiweiß haben, wollen wir nichts gesagt haben. Und an dieser Stelle muss dieser Text enden, weil wirklich viel zu oft die Wörter „Darm“ und „Klebereiweiß“ gefallen sind.

Nadja Schlüter

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