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Bryce Taylor, ärgere Dich nicht!

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Ein Gespräch über Rückschläge bei einer Partie „Mensch, ärgere Dich nicht‟. Sonderregel: Schmeißt der Reporter eine Figur des Interviewten, darf er eine unangenehme Frage stellen. Umgekehrt darf der schamlos bewerben, was er will, wenn er es schafft, eine Figur des Reporters zu schmeißen.  



Es ist ein ungewöhnlicher Ort für eine Partie „Mensch, ärgere dich nicht“ (MÄDN): Im Audi-Dome sehen sonst 6700 Menschen Basketballspiele. Jetzt ist die Halle leer, das Spielbrett ist auf der Ersatzbank des FC Bayern Basketball aufgebaut, auf der noch halb ausgetrunkene Wasserflaschen vom Vormittagstraining liegen.


Bryce Taylor, 28 Jahre, 1,95 Meter groß und seit dieser Saison Bayern-Kapitän, kommt in Trainingshose und T-Shirt frisch geduscht aus der Kabine. Sein erster Blick gilt seinem Teamkameraden, der auf der anderen Seite der Halle noch Würfe übt. Dann lässt er sich die Regeln erklären – MÄDN gehört in Los Angeles, wo er aufgewachsen ist, nicht zu den Standard-Brettspielen. Vielleicht ein Nachteil für ihn. Dafür hat er hier den Heimvorteil.

Bryce Taylor: Ich brauche jetzt also erst mal eine Sechs, oder?
jetzt: Genau.

Ziemliches Glücksspiel...
Richtig. Ist beim Basketball viel Glück im Spiel?

Sicher. Das meiste ist natürlich viel Übung, Können und harte Arbeit, aber du brauchst immer ein bisschen Glück, um wirklich erfolgreich zu sein. Eine Gelegenheit, die sich dir bietet, ein Mensch, der dich entdeckt – das sind Sachen, die du nicht in der Hand hast. Ich glaube an Gott, andere Leute sprechen da eher von Glück. Aber ein höheres Element gibt es, und das ist wichtig im Sport und im Leben.

Nach drei Würfen bekommt er eine Sechs und betritt mit einer Figur das Spielfeld. Sie sieht in seiner großen Hand noch kleiner aus als sonst.


Wann hattest du das letzte Mal richtig Glück?

Ich habe generell relativ viel Glück. Aber kürzlich besonders: Mein Großvater war sehr krank und lag im Sterben. Und ich konnte ihn noch mal besuchen, bevor er starb. Als ich erfuhr, dass es ernst wurde für ihn, stand ein Spiel an. Ich musste entscheiden, ob ich sofort fliege, kurz bleibe und schnell wieder zurückkomme, oder ob ich auf die längere Pause nach dem Spiel warte. Ich flog sofort. Und er starb 48 Stunden nach meinem Besuch. Hätte ich gewartet, hätte ich ihn nicht mehr gesehen.

War es Glück für dich, einen Vater zu haben, der selbst Basketballprofi war? Oder setzte dich das eher unter Druck?

Beides, glaube ich. Einerseits war es gut, jemanden zu haben, der das Spiel wirklich versteht. Er hatte schon alles durchgemacht, wo ich noch durch musste. Das war ein Vorteil gegenüber Kindern, deren Eltern vielleicht auch Interesse an Basketball hatten, aber nicht wirklich was davon verstanden oder gar wussten, welche Schritte notwendig sind, um besser zu werden. Natürlich war da auch viel Druck, weil er in der NBA gespielt hatte. Das war für mich deshalb auch das Ziel, alles drunter galt als Niederlage. Als ich nicht für die NBA ausgewählt wurde, musste ich also durch eine schwere Zeit, in der ich das Gefühl hatte, gescheitert zu sein.

Und dann hast du aufgegeben und bist nach Europa gegangen?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, es in die NBA zu schaffen: Zum Beispiel über die niedrigeren US-Ligen. Da werden du und deine Fortschritte von den NBA-Vereinen genau beobachtet. Aber die Bezahlung ist eher schlecht. Manche versuchen, sich über Europa für die NBA zu empfehlen. Da verdienst du mehr, aber du bist nicht mehr so im Blickfeld der NBA.

Warum fiel deine Wahl dann auf Europa?

Ich hatte ein Angebot aus Italien und war schon ein paar Mal als Teenager in Europa gewesen. Und da dachte ich: Ich sollte dieses Angebot einfach annehmen, schon der Lebenserfahrung wegen. In der NBA konnte ich es auch später noch mal versuchen.

Du bist dann aber geblieben.

Das Problem ist: Du kannst nicht gleichzeitig diesem NBA-Traum hinterherlaufen und in Europa wirklich erfolgreich sein. Du musst dich auf eine Sache fokussieren. Mit jedem Jahr habe ich gemerkt, dass ich hier mein Bestes geben und sehen wollte, wie weit mich das führt.

Aber für die Leute daheim sah es aus, als wärst du gescheitert, oder?

Die meisten Leute zu Hause stehen dem Level hier ziemlich ignorant gegenüber und wissen nicht, wie gut hier gespielt wird. Manche Spieler aus den USA – auch aus der NBA – kommen hier rüber und denken, sie können in jedem Spiel 25 Punkte machen und sich ihren dicken Scheck abholen.

Wie schwer hast du dich am Anfang in Europa getan?

Die Zeit war schwer, hat mir aber sehr geholfen. Ich war 21, der jüngste in meinem Team und musste mich allein in der neuen Umgebung zurechtfinden. Ich lernte, von zu Hause weg zu sein, ich lernte, mit Rückschlägen umzugehen und daran zu wachsen.

In das für ihn neue Brettspiel hat Bryce sich gut reingefunden. Er hat zwei Figuren im Umlauf und zieht weit davon. Ans Würfeln muss man ihn allerdings immer wieder erinnern; seine Hauptkonzentration liegt auf dem Gespräch und seinen Antworten.


Basketball ist zwar ein Teamsport, lebt aber sehr von den Eins-gegen-Eins-Situationen. Was für Typen sind da auf dem Platz gefordert?
Basketballer brauchen sehr viel Selbstvertrauen. Das spielt eine riesige Rolle für Erfolg und Konstanz. Denn du musst, selbst wenn du fünf oder zehn Würfe versemmelt hast, den nächsten wieder versuchen und daran glauben, dass du ihn rein machst.

Wie erhältst du dir diesen Glauben?

Er zeigt auf seinen Mitspieler, der am anderen Ende der Halle noch immer Überstunden macht und den er während des Interviews auch immer mit einem Auge beobachtet.

Du musst üben. Immer wieder werfen, auch alleine, unzählige Male. Und du musst dir Videos von dir selbst anschauen. Dir deinen Erfolg visualisieren. Erfahrung hilft auch: Du musst Misserfolge – und vor allem das Gefühl, Misserfolge hinter dir zu lassen – kennenlernen. Nach einem echt schlechten Spiel wieder ein gutes abzuliefern – das macht dich mental stark.

Wie er mit Rückschlägen umgeht, kann er gleich beweisen. Der Reporter hat aufgeholt, würfelt jetzt eine Sechs und eine Vier und kann eine Figur schlagen. Also: fiese Frage:
 

>> Auf der nächsten Seite: Bryce über Trash-Talk und Twitter <<
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Ist es für einen Basketballer nicht peinlich, für einen Verein zu spielen, der FC Bayern heißt? FC für Fußballclub?
Nein, warum? Wir  sind hier zwar so was wie der kleine Bruder und bekommen nicht ganz dieselbe Anerkennung wie die Fußballer. Aber in Relation zu den anderen Basketballvereinen in Deutschland sind wir der größte Name. Und der Name FC Bayern verschafft einem nun mal Aufmerksamkeit. Das treibt uns an, das bringt uns nach vorne. Ich habe hier das Gefühl, Teil von etwas zu sein, das sehr viel größer ist als ich. Es geht nicht nur um mich, es geht nicht mal nur um die Mannschaft. Ich spiele für einen großen, erfolgreichen Verein – und dem will ich gerecht werden.

Bei den Fußballern des FC Bayern hat das Wort „Scheitern“ eine andere Bedeutung: Nicht alles zu gewinnen, ist schon eine Niederlage. Gilt das auch für euch?

Es ist definitiv ein anderer Anspruch zu spüren als anderswo. Alle im Verein erwarten, dass wir jedes Spiel gewinnen, weil wir sehr gute Spieler und einen der besten Trainer haben. Das ist nicht leicht. Aber mir ist das lieber, als in einem Team zu spielen, wo keiner was von dir erwartet und du Ausreden hast, wenn du verlierst. Der Druck hält dich auf dem höchsten Level deiner Leistungen.

Was macht einen guten Trainer aus?

Ein guter Trainer weiß vor allem, wie er aus jedem einzelnen Spieler das Beste herausholt, sei es durch Motivation, Techniktraining oder was auch immer.

Ein Trainer muss also auch ein sehr guter Menschenkenner sein.

Ja. Basketball ist ein Mental Game. Der Trainer muss die Psyche jedes Spielers kennen. Denn er muss wissen, welche Knöpfe er in welchen Situationen bei ihnen drücken muss: ob er ihnen, wenn sie eine schlechte Phase haben, in der Pause ermutigend auf die Schulter klopfen oder sie anschreien muss.

Welchen Knopf muss man bei dir drücken, wenn es nicht läuft?

Ich spiele gut, wenn ich sauer bin. Wenn es nicht läuft, tut es mir gut, wenn man mich ein bisschen härter angeht. Das weckt dann ein bisschen das Feuer in mir.

Er würfelt eine Sechs und verlässt sein Haus mit einer weiteren Figur. Es folgt direkt eine Fünf, mit der er eine Figur des Reporters vom Spielfeld nimmt. Er tut das nicht aggressiv, sondern setzt die kleine Figur behutsam zurück ins Haus. In seinem Gesicht steht deutliche Zufriedenheit.


Jetzt darf ich was bewerben, oder?Folgt mir auf Twitter und Instagram! @thrycebaylor heißen meine Accounts.
Wenn im Basketball das Mentale so eine große Rolle spielt: Versuchst du, deinen Gegner auch mit psychologischer Kriegsführung zu schlagen?

Du meinst Trash-Talk? Klar! Der spielt eine große Rolle!

Was werft ihr euch da denn an den Kopf?

Du feuerst ständig kleine Provokationen ab: Du sagst deinem Gegner, dass er an dir nicht vorbeikommt, dass er keine Chance hat. Du versuchst, irgendwie in seinen Kopf zu gelangen; er soll sich da drin mit dir auseinandersetzen, dann hast du einen Vorteil. Das habe ich von klein auf gelernt, das ist auf Basketballplätzen in LA der Alltag.

Bryce nähert sich mit seiner ersten Figur seinem Ziel und hat damit den Sieg vor Augen. Wir haben die Regeln angepasst: Es gewinnt, wer die erste Figur ins Häuschen bringt. Denn Bryce muss gleich zum Deutschunterricht.


Wie weit geht ihr beim Trash-Talk?

Ich versuche, auf einer Basketball-Ebene zu bleiben. Aber manchmal wird es auch beleidigend. In der Play-off-Serie gegen Frankfurt war es besonders krass, da wurde viel geredet, und irgendwann wurde es persönlich, vor allem von Seiten der jüngeren Spieler. Als ich jung war, habe ich auch ziemlich viel Mist geredet auf dem Platz. Jetzt bin ich etwas ruhiger und lasse lieber mein Spiel sprechen.

In diesem Moment kommt der Siegwurf: Bryce rettet seine Figur ins Häuschen. Heimvorteil eben.

Im Teufelskreisel

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Meine neue Mitbewohnerin hält mir zwei Päckchen entgegen. „Die sind schon vor dir angekommen.“ Mit Rucksack und Koffer habe ich gerade erst zur Tür meiner Übergangs-WG hereingekommen. Ich werde rot. Mit viel Glück denkt sie, es kommt vom Treppensteigen. „Ja danke, das ist bestimmt von meinen Eltern.“ Eine glatte Lüge. Denn ich weiß genau, was in den Päckchen drin ist: ein Tanktop und ein Pulli in Größe M von zwei vollkommen fremden jungen Frauen. Eine meiner vielen Ausbeuten beim Secondhand-Shopping im Internet. Eine Woche später kommt schon das nächste Päckchen an.


"Hab ich secondhand im Netz gekauft. Supernachhaltig, oder?"

Meine Kleider online secondhand einzukaufen, war bisher mein geheimer Triumph im Kampf gegen die Widrigkeiten der Globalisierung. Gegen dieses bohrende schlechte Gewissen, das mich nach dem Einkaufen immer verfolgt hat: Wer hat da eigentlich in welcher Fabrikhalle unter welchen Umständen meine neue Hose genäht? Ich glaube, Katastrophen wie Rana Plaza lassen niemanden kalt. Einstürzende Sweatshops und schimmelige Kleidung bei Primark: Vor ein paar Jahren habe ich mir vorgenommen, an so einem Dreck nicht mehr beteiligt zu sein. Seitdem versuche ich, soweit es geht, Secondhand oder Fairtrade-Klamotten einzukaufen. Das klappt mal besser, mal schlechter. Schlichte Tops oder Leggings gibt es nicht immer im Secondhand-Laden um die Ecke und für Fairtrade fehlt oft das Geld. Als ich das Online-Portal Kleiderkreisel entdeckte, dachte ich: Das ist die Lösung. Fair? Check. Schickes Zeug? Check. Kein Kaufhausstress? Check.

So ging es sicher einigen. Zumindest wirbt Kleiderkreisel mit dem Slogan „Kämpfe stilvoll gegen Verschwendung“ und hat mit dem Angebot bisher 8,5 Millionen Mitglieder weltweit erreicht. Pro Minute werden laut Internetseite 90 Artikel hochgeladen. Die können dann verkauft, gekauft, getauscht oder verschenkt werden. Die meisten angebotenen Artikel sind allerdings zum Verkauf.

Und so habe ich in den letzten zwei Jahren vom Büro und aus dem Bett fröhlich Kleider, Pullis und Hemden gekauft. Teilweise von Marken, die ich mir sonst nicht leisten könnte. Oft beinah ungetragen. Für drei bis vier Euro. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Bei vielen meiner Freundinnen ist es ähnlich: wenn auffällt, dass sie etwas Neues anhaben, wird betont: „Sieht aus wie neu, ist aber von Kleiderkreisel.“ Unsere Botschaft: wir können eben alles sein. Fair und nachhaltig. Stylish und unkompliziert.

In letzter Zeit beschleichen mich allerdings Zweifel, an diesem Konzept. Wenn ich mich durch reihenweise T-Shirts klicke, die von Primark, Zara und H&M kommen und wo „erst einmal getragen“ darunter steht, frage ich mich, wie nachhaltig kann das sein? Und ist das fair? Wie hilft es den Näherinnen in Kambodscha, wenn ich in Deutschland Secondhand-Mode kaufe? Wird durch Portale wie Kleiderkreisel wirklich weniger und unter besseren Bedingungen produziert?

Susanne Wigger-Spintig ist Professorin für Marketing an der Hochschule München. Sie sagt: „Wenn man bei Kleiderkreisel einkauft, geht es eigentlich um das eigene Gewissen: Ich kaufe ja jetzt was Gebrauchtes. Das hat auch den psychologischen Effekt, dass man das Gefühl hat, sich dem Konsumzwang nicht so hinzugeben, weil man sich ja etwas gebraucht kauft. Das hat ja schon mal jemand gehabt.“

So geht es mir auch. Bei Kleiderkreisel einkaufen geht nicht nur viel schneller als im Laden, es ist auch persönlicher, von Nutzerin zu Nutzerin. Aber viele der Verkäuferinnen argumentieren beim Preis gerade damit, dass sie das Hemd oder die Hose praktisch nie getragen hätten. So richtig gebraucht ist das also gar nicht. Also auch nicht nachhaltig. Wigger-Spintig sieht das ähnlich: „Es wird ja viel gekauft, kurz getragen, oder gar nicht getragen und dann weiterverkauft. Der Nachhaltigkeitsnutzen spielt meiner Meinung nach dabei eine untergeordnete Rolle.“ Die Soziologie-Professorin Brigit Blättel-Mink von der Goethe-Universität in Frankfurt kann das bestätigen: „Ich würde bezweifeln, dass man mit Angeboten wie Kleiderkreisel einen relevanten Nachhaltigkeitseffekt erreicht. Ich denke, da geht es eher darum, hip zu sein und letztlich mehr Kleider zu besitzen, oder aber auch die Garderobe häufig zu wechseln."

Wenn wir letztlich mehr Kleider kaufen, die dann aber Secondhand, profitieren dann wenigstens die Näherinnen davon? Die einfache Antwort ist: Nein. „Das hat dann einen Rebound-Effekt. Wenn man auf der einen Seite was Gutes tut oder Ressourcen einspart, dass man auf der anderen Seite das Ersparte für etwas anderes ausgibt.“, sagt Blättel-Mink dazu. Quasi das Flohmarkt-Prinzip, das ich von mir selbst so gut kenne: Einmal alle Sachen im Schrank durchgehen, aussortieren und auf dem Flohmarkt verkaufen. Schon hat man das Gefühl, da ist ja jetzt Platz für Neues. Und dann füllen wir den Kleiderschrank wieder auf, mit neuen Produkten von H&M, Primark und Co. Die bereits unter unfairen Bedingungen produziert und zum Großteil nicht einmal mehrfach getragen wurden.

Schnell, schnell, schnell alles verkaufen, was uns nicht mehr so gefällt. Dieses Prinzip wird von Portalen wie Kleiderkreisel befeuert, man muss nicht einmal mehr den Weg zum Secondhandshop gehen. Wenn bei Kleiderkreisel pro Minute 90 Artikel hochgeladen werden, investieren diese Verkäufer das Geld vermutlich schnell wieder in neue Artikel. Die dann eventuell schon eine Woche später an mich verschickt werden. Ein verdammter Kreislauf.

Es ist also komplizierter als gedacht. Fazit Nummer eins. Und: Wir sind immer eins weniger nachhaltig und fair als wir annehmen: Die Kaufzyklen werden durch Portale wie Kleiderkreisel kürzer und an den Produktionsbedingungen ändert sich absolut gar nichts.

Vielleicht ist das schlechte Gewissen beim Einkaufen also gar nicht so dumm, sondern ein ganz guter Hinweis darauf, dass wir durch viel Einkaufen meistens auch viel Schaden anrichten. Es klingt banal, aber das gute alte „weniger ist mehr“ ist an dieser Stelle vielleicht ein guter Anhaltspunkt. Oder wirklich mal tauschen und nicht kaufen. Auf Kleidertauschpartys im Freundeskreis ist man sowieso meistens weniger gierig und überlegt besser, was einem wirklich gefällt. Man kann dort Sachen anfassen, nicht nur anschauen und es gibt keine nervige Kaufhausmusik. Das grüne Seidenkleid, das ich standardmäßig auf alle Hochzeiten anziehe, ist so ganz fair und nachhaltig in meinen Schrank gewandert.

Ehrenamt bei der NSA

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„Ich steh drauf, wenn wir im Bett Filmszenen nachspielen. Batman Returns und so.“ Die beiden Männer lachen laut. Ein Gespräch unter Kumpels in einem New Yorker Café. Ihre Stimmen klingen jung. Im Hintergrund laufen angenehme Beats und lautes Stimmengewirr. Sie scheinen sich gut zu kennen. Das Gespräch wird immer intimer, man ist ja unter sich: Wie viel Würgen ist beim Sex noch okay? Welche Rollenspiele funktionieren am besten? Wie macht man danach sauber? Die Antworten haben mittlerweile knapp 10.000 Menschen auf dem Soundcloud Account von theNSA nachgehört. 

[plugin imagelink link="http://www.wearealwayslistening.com/images/bw_bond.jpg" imagesrc="http://www.wearealwayslistening.com/images/bw_bond.jpg"] (Quelle) In diesem süßen Café in New York werden schmutzige Geheimnisse abgehört

https://soundcloud.com/wearealwayslistening/wrestlers
Eines der vielen Gespräche, die man bei theNSA mithören kann

Und da gibt es noch mehr Geschichten aus dem Alltag anzuhören. Die Frau, die dem Fitnesstrainer von ihren Geldsorgen berichtet. Die Jungs, die  über die gescheiterten Einbürgerungsversuche eines Freundes herziehen. Der Künstler, der beim Jobinterview mit nervöser Stimme seinen Lebenslauf runterrattert. Intimste Geheimnisse und inhaltsloses Gebrabbel – eine Gruppe von selbsternannten NSA Helfern nimmt seit über einem Monat Alltagsgespräche in Cafés, Bars und Restaurants auf. In New York und seit neuestem auch in Berlin. Die Aufnahmegeräte haben die Größe eines Walkman und werden von den Aktivisten mit Tape unter Tresen und Tischen befestigt.  Von da an wird jedes Wort mitgeschnitten. Gesprächsauszüge von knapp dreißig Rekordern können dann auf wearelistening.com angehört werden.


"Ich habe ja nichts zu verbergen" - gilt das noch, wenn sich unter dem eigenen Cafétisch ein Abhörgerät befindet?

Im Telefoninterview lehnt einer der Gründer von wearelistening die Bezeichnung „Künstler“ oder „Aktivist“ streng ab. Er möchte anonym bleiben und gibt sich konsequent als ehrenamtlicher Mitarbeiter der NSA aus. „Ja, Privatsphäre ist wichtig. Aber vielleicht wird der nächste Terrorangriff ja wirklich beim Kaffee oder einem Putensandwich geplant. Da muss man doch hinhören!“ Das Gespräch wirkt wie ein albernes Theaterspiel. Der Anrufer lässt sich dabei nicht aus der Rolle bringen, obwohl die Antworten im Namen der NSA vor Ironie triefen.

>> Auf der nächsten Seite: Was eine Online-Petition mit der Hobby-NSA zu tun hat >>
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Wäre da nicht der beklemmende Realitätsbezug. Denn die rechtliche Lage zur Datenspeicherung in den USA hat sich mit dem kürzlich erlassenen Freedom Act vom 3. Juni wenig verändert. Der sollte eigentlich die umstrittene Telefondatenspeicherung eindämmen und das Recht auf Privatsphäre stärken. Tatsächlich darf die US-Regierung seit letzter Woche keine privaten Gespräche mehr direkt abhören, allerdings behalten die Konzerne die Rechte an allen Daten ihrer Nutzer. Die US-Regierung kann diese Aufnahmen weiterhin anfragen. In 98% der Fälle werden die Informationen herausgegeben.   

[plugin imagelink link="http://www.wearealwayslistening.com/images/bw-pots.jpg" imagesrc="http://www.wearealwayslistening.com/images/bw-pots.jpg"] (Quelle) Auch in Berlin hören die Hobby-Agenten den Touristen bei der Reiseplanung zu

https://soundcloud.com/wearealwayslistening/potsdamer
Ein Gesprächsbeispiel aus Berlin

Auf einer aktuellen Aufnahme am Potsdamer Platz in Berlin hört man zwei Reisende ihre weitere Route planen. „Wir wollen, dass die ganze Welt sich sicher fühlt. Deshalb hören wir auch überall ab“, erklärt der anonyme Hobby-Spion und lacht dabei ein bisschen. In Deutschland bewegen sich die Künstler in einer rechtlichen Dunkelgrauzone. Hier trifft künstlerische Freiheit auf das Recht am gesprochenen Wort, die Grundlage unseres Persönlichkeitsrechts. Aber für internationale Geheimdienste gelten sowieso ganz andere Regeln. Die Anfragen auf Abhörversuche finden vor einem geheimen Gerichtshof statt, zu dem weder Publikum noch Presse Zugang haben. Indem sich die Aktivisten als NSA ausgeben, sind sie deshalb auf der sicheren Seite, zumindest virtuell.

Von der Abhöraffäre um Kanzlerin Merkels Handy inspiriert, wollen die Künstler auch in Deutschland einen persönlicheren Bezug zu dem Thema herstellen. Die Verletzung der Privatsphäre solle kein Problem von „denen da oben“ bleiben, so der anonyme Freizeitagent. Wer also die Retro-Rekorder von Wearelistening doof findet, muss sich zwangsläufig auch über die Rechtswidrigkeit der NSA-Abhörversuche aufregen. Über einen Button können wütende Zuhörer dann eine Online-Petition zum Schutz der Daten im eigenen Land unterschreiben. Und genau darauf zielt das Projekt ab.

Fraglich, ob die Ausrede „Ich hab eh nichts zu verbergen“ dann immer noch zieht, wenn die eigenen Liebesgeschichten online kursieren. Für alle, die das vermeiden möchten, hat der ehrenamtliche NSA-Agent einen simplen Tipp: „Wenn du wissen willst, ob wearealwayslistening.com in deinem Lieblingscafé mithört, schau doch einfach mal unter den Tisch, bevor du deinen Kaffee bestellst.“

Die schwarze Weiße

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Beginnen wir mit einer Feststellung: Wenn man sich in unserer Gesellschaft dafür entscheiden kann, fortan keine Frau mehr, sondern ein Mann zu sein, dann muss man sich eigentlich auch dafür entscheiden dürfen, fortan nicht mehr weiß, sondern schwarz zu sein. Klingt folgerichtig. Bleibt die Frage: Muss man andere Menschen eigentlich über diese Entscheidung in Kenntnis setzen? Wahrscheinlich spätestens dann, wenn man merkt, dass sich die neue Identität nur durch eine Menge Lügen erklären lässt.

Jüngst zum Beispiel geschehen im seltsamen Falle der Amerikanerin Rachel Dolezal, Präsidentin der sogenannten Spokane NAACP, der National Association for the Advancement of Colored People. Einer Vereinigung also, die sich für die Rechte von Afroamerikanern einsetzt. Rachel Dolezal sieht einigermaßen dunkelhäutig aus und trägt Rastas. Bisher dachten alle, sie sei Afroamerikanerin. Weil sie die Geschichte so erzählt hat.




Rachel Dolezal als Kind, vor ihrer Inszenierung als Afroamerikanerin


Bis eines Tages jemand Zweifel an dieser Geschichte anmeldete. Ein Mann namens Jeff Humphrey der Internetseite KXLY.com befragte sie zu verschiedenen Belästigungs-Anzeigen, die Dolezal in der Vergangenheit gemacht hatte. Sie werde aufgrund ihrer Hautfarbe immer wieder belästigt und bedroht, habe neulich erst wieder ein anonymes Paket mit Hassbekundungen empfangen. Humphrey fragte Dolezal in einem Videointerview nach einem Foto eines schwarzen Mannes auf ihrem Facebookprofil, den Dolezal dort als ihren Vater ausgibt - habe sie denn wirklich einen schwarzen Vater? Sei sie eigentlich wirklich eine Schwarze? Dolezal brach das Interview ab.



 
Rachel Dolezal nachher, als angebliche Schwarze

Mittlerweile haben sich die angeblichen Eltern dieser Rachel Dolezal zu Wort gemeldet, alte Fotos von ihr veröffentlicht und ein Geburtszertifikat. Sie sagen: Rachel Dolezal ist keine Schwarze, sondern von Geburt aus eine „Weiße“, mit deutschen, tschechischen, kaukasischen Vorfahren. Die angeblichen Fotos zeigen sie mit rotem Haar, porzellanweißer Haut und vielen Sommersprossen. Man erkennt durchaus eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Rachel Dolezal und der Frau auf den Fotos.

Jetzt muss man wissen: Dolezal ist mit schwarzen Adoptivgeschwistern aufgewachsen. Sie hat einen dunkelhäutigen Mann und engagiert sich für die Rechte von Afroamerikanern. Sie fühlt sich offenbar als Schwarze. So sehr, dass sie sich als eine ausgibt. So sehr, dass sie es bis zur Präsidentin der NAACP gebracht hat. So sehr, dass sie irgendwann begonnen hat zu lügen und ihren Adoptivbruder als ihren Sohn auszugeben und sich als Opfer einer rassistischen Gesellschaft zu inszenieren. 

Klarer Fall für den Satz: Da hätte ein Psychoanalytiker seine wahre Freude dran!

Jungs, habt ihr eine psychologische Uhr?

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Liebe Jungs,

altes Thema Kinderkriegen! Euer, nennen wir es mal: fehlendes biologisches Verfallsdatum, stattet euch mit einer gewissen Tiefenentspannung aus, was das Vaterwerden angeht. Das ist allseits bekannt. Ihr könnt noch viele, viele, viele Jahre Kinder zeugen, wer wird sich da also besonders sputen?

Nun beobachten wir aber in unserem weiblichen Umfeld gerade einen neuen Trend, der mit der biologischen Uhr nicht viel zu tun hat und angesichts dessen wir uns fragen, ob der wohl auch auf euch abfärbt: Die biologische Uhr wird Frauen, zumindest scheinbar, immer egaler. Stattdessen argumentieren sie mit etwas, das wir hier die „psychologische Uhr“ nennen wollen. Diese Psychologische-Uhr-Argumentation wird vor allem von Frauen zwischen 20 und 26 benutzt und geht in etwa so: „Aaaaaaalso, ich weiß zwar, dass ich noch gute zehn bis 15 Jahre Zeit habe, aber mal ehrlich: Will man echt so eine alte Mutter sein? Jetzt bin ich doch noch viel unspießiger und angstbefreiter. Außerdem: Wenn ich jetzt schwanger werde, ist das Kind schon wieder aus dem Haus, wenn ich gerade mal um die 40 bin – da hab ich dann noch ein ganzes Leben vor mir. Ist doch viel besser!“

Jetzt denken wir uns: Diese Haltung ist ja geschlechtsunabhängig, oder? Außerdem haben diese jungen Mütter ja meist auch den passenden, sehr jungen Vater an ihrer Seite, der dann mit lässigem Cap und hochgekrempelten Jeans sein süßes Kind voll Großer-Bruder-mäßig auf den Schultern durch die Stadt trägt und von sämtlichen Bürgern schmachtende Blicke zugeworfen bekommt. Alte, grauhaarige Männer mit Kind kriegen solche Blicke nicht, die kriegen nur „Och wie niedlich“-Blicke. Aber keine „Halleluja, was ein sexy junger Coolvater“-Blicke.

Unsere Frage lautet deshalb, Jungs, habt ihr jetzt neuerdings auch so eine psychologische Uhr? Ist die vielleicht gerade total in? Ist so ein Baby unterm Arm vielleicht das neue Skateboard unterm Arm oder die neueste Sneaker-Special-Edition? Und, um auch noch mal ein bisschen tiefer unter die Oberfläche zu kommen: Leuchtet euch das ganze Konzept des Junge-Eltern-Seins nicht auch alterslogistisch total ein? Will sagen: Findet ihr es nicht eigentlich auch tausendmal klüger, ein junger, angsbefreiter Chillax-Vater zu sein und dann hintenraus wieder mehr Spiel- und Entfaltungsraum zu haben, wenn die Kinder dann aus dem Haus sind, als andersrum?

>>>>> Es folgt: Die Jungsantwort von Elias Steffensen.>>>>>
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Liebe Mädchen,

der junge Kollege aus einem anderen Stockwerk ist da interessant. Der war wenigstens eine Zeitlang hochpassionierter Kind-voll-großer-Bruder-mäßig-auf-den-Schultern-Herumträger. Und zwar sehr öffentlichkeitswirksam. Er skatet auch. Aber sein Board hatte er in der Redaktion noch nie unter dem Arm. Manche von uns fanden allerdings immer, dass er sein Kind ausstellt, als würde er gleich einen Kickflip die Treppe runter auf ihm stehen wollen. Und wir fanden ihn in diesen Momenten etwas gockelig und lachten heimlich.

Der Kollege stützt eure These aber vielleicht trotzdem mehr als uns lieb ist. Wobei das „uns“ heute etwas schlechter funktioniert als sonst. Wenn du jetzt auf der Straße zehn Typen fragst, bekommst du mit etwas Pech fünf verschiedene Antworten. Wir sind hier bei einem Thema mit Tendenz zur Genderneutralität. Aber eine leichte, wenigstens gefühlte Schlagseite hat es doch. Und die geht Richtung „Nein, auch diese Uhr haben wir nicht.“ Wenn ihr in Beziehungen nicht irgendwann damit anfangen würdet, über Kinder zu reden, würde das lange nicht auf die Agenda gesetzt. Wir, das scheint mir empirisch ziemlich eindeutig, fangen selten davon an. Aber, und dazu krame ich den Kollegen später dann noch mal hervor, das könnte sich ändern.

Denn so gut euer Begriff von der psychologischen Uhr ist, eigentlich ist es ja zunächst eher eine „soziale Uhr“. Viel gesellschaftliche Prägung schlägt da mit. Und bei uns geht sie wahrscheinlich etwas nach. Unsere Väter waren nämlich zu größeren Teilen noch nicht so jung (hatten aber eher jüngere Frauen). Und als wir in ein Alter kamen, in dem wir anfingen, sie in ihrem Wesen bewusst wahrzunehmen und dann irgendwann etwas später sogar zu reflektieren, kamen sie in ein Alter, in dem sie sich Cabrios kauften und dann irgendwann etwas später sogar Motorräder. Und dadurch ist das für uns noch ein bisschen verknüpft: Kinderkriegen und, nun ja, Coolness oder Souveränität einbüßen. Nachwuchs und Midlife-Crisis, das liest sich für uns noch wie ein semantisches Feld. Und damit scheint es auch wie eine recht rationale Kombination: Wenn wir irgendwann in unseren Vierzigern eh seltsam werden, dann können wir uns die Kinder ja auch für dann aufheben. Und bis dahin noch Chillax-Typen sein, die die neue Sneaker-Special-Edition tragen können, ohne bemüht zu wirken.

So, und jetzt kommt gleich der Kollege wieder. Weil: Man muss etwas, das einem ungeheuer ist, schließlich ein paar Mal sehen, bis es seinen Schrecken verliert. Das gilt in der Mode wie beim Sprung vom Zehn-Meter-Turm wie beim Kinderkriegen. Irgendwann gab es also die ersten Freunde im näheren Umfeld, die welche bekamen. Und mit ihnen langsam die Erkenntnis: Die leben trotzdem noch – offenbar ist doch nicht alles vorbei. Ein paar von ihnen blieben sogar cool. Das, haben wir gelernt, geht also schon mal: Kind haben und jung im Kopf sein. Und jung auf dem Ausweis? Da hat nun so ein Bübchen wie der Kollege Kickflip natürlich schon eine gewisse Strahlkraft. Zumindest, wenn er schmachtende Blicke zugeworfen bekommt. Weil: Man redet und theoretisiert zwar immer über Trendsetter und Zeitgeist und irgendwas, das in der Luft liegt, aber eigentlich sind es ja schmachtende Blicke, die einen Trend zumindest in der Masse begründen.

Also: Treibt uns noch nicht richtig um, diese Uhr. Aber das Ticken kommt schon näher. Der Kollege bekam im Kinderausstellen nämlich mit der Zeit tatsächlich eine gewisse Souveränität. Und wenn wir noch ein paar mehr von den Cap-tragenden, jungen Cool-Daddys auf der Straße sehen, die das mit dieser Selbstverständlichkeit hinbekommen, dann, werden wir denken, können wir das allemal. Wäre doch gelacht!

Wir haben verstanden: KW 24

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  • Wenn man Abends auf der Straße plötzlich von Übelkeit übermannt wird und sich übergeben muss, kommt man sich schlecht vor, weil bestimmt alle denken: "Krass, der reihert schon um 21 seinen Vollrausch raus."

  • Wenn Kellner in Wien einem ein leeres Glas abnehmen möchten, sagen sie: "Darf ich Sie befreien?"

  • Ein "Eau de Strache" würde Kopfschmerzen machen.

  • Marktlücke: Neben Hochzeitsmagazinen sollte es auch solche für Junggesellenabschiede geben.

  • Es gibt Menschen, die wollen, dass man ihnen jetzt.de ausdruckt und faxt.

  • Die Marketingmenschen beim DFB sind schon beeindruckend kreativ: Die Fußball-Nationalmannschaft heißt jetzt nur noch "Die Mannschaft".

  • Beim G7-Gipfel gab es nicht nur Protest, sondern auch Liebe.

  • Ein großer Penis kann im Gefängnis von Vorteil sein.

  • Hasen können über Lawinen laufen. http://vimeo.com/129896765

  • Wenn man als Kind die "Truman Show" gesehen hat, kann einen das ein Leben lang prägen: Dauernd denkt man, alles sei nur eine Show, man selbst der Protagonist, nichts ist wahr, alles inszeniert und der Himmel ist eine riesige blaue Studiokuppel.

  • Im Sommer braucht der Mensch nichts anderes als kein Dach über dem Kopf.

  • Man braucht neben einem Glascontainer gar keinen Mülleimer (siehe: KW22): die Deckel dürfen dranbleiben!

  • Ekliger als Zehensocken sind nur noch Zehenschuhe.

  • Die albernsten Menschen sind vermutlich die, die an der Ampel nicht vom Rad steigen, sondern darauf balancieren.

  • Wenn man eine Butterbreze isst, will man immer noch eine zweite. Das ist wie nicht nur ein Mal niesen können.


Wochenvorschau: Die Festivalsaison eröffnen

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Wichtigster Tag der Woche 
Mittwoch. Da habe ich das erste mal Putzdienst in der neuen WG. Nichts worauf ich mich im Speziellen freue, aber ich sollte mich trotzdem profilieren. Danach mit einem kühlen Bierchen auf dem blitzblanken Balkon abhängen.      

Kulturelles Highlight 
Die Festivalsaison einläuten! Da gab es schon ein paar, aber so richtig Spaß macht es ja erst, wenn das Wetter auch mitspielt. Meine persönliche Saison beginnt am Freitag mit dem kleinen aber sehr feinen Reich & Schön Festival. Das findet so ziemlich in der Mitte von Deutschland statt – optimale Gelegenheit also, den verstreuten Freundeskreis mal wieder zusammen zu trommeln.

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Das geht am besten auf überschaubareren Festivals. Die sind gerade groß genug für Festivalstimmung, aber nicht so groß, dass beim Tanzen in überhitzten Zelten klaustrophobische Zustände eintreten. Man verläuft sich weniger, bekommt weniger Bierduschen von fremden Menschen und zeltet vielleicht sogar auf so was wie einer Wiese. Und Erschwinglich ist das Reich & Schön Festival auch noch. Besonders freue ich mich auf den sanften Elektropop von Phia. Muss nur noch das Wetter passen.  

Politisch interessiert mich 
Ein Skypegespräch mit Freunden in Istanbul. So richtig zufriedenstellend war das Ergebnis der Wahlen in der Türkei letzte Woche für junge Menschen ja nicht. Besonders für die nicht, die bei den Gezi-Protesten ganz vorne mit dabei waren.  Es bleibt spannend, wie Erdogan mit dem Dämpfer umgehen wird.  

Soundtrack
 
Das kommt also dabei raus, wenn man seine Kindheit in Las Vegas verbringt. Quietschige Coming-of-Age Texte zu lauten Discohouse Beats. Auch wenn es mich immer ein bisschen deprimiert, wenn Künstler wie Shamir so wahnsinnig jung schon so Vielversprechendes produzieren, bekomme ich bei On the Regular sofort sommerlich gute Laune.

http://vimeo.com/109807793

In Interviews fummelt der schmächtige Junge hibbelig an seinen Fingernägeln herum und lacht immer mal wieder etwas zu schrill. So wirken auch seine Videos. Bunt und noch nicht ganz ausgewachsen. Dafür aber erfrischender Teenie-Trash. Shamirs Kristallstimme und die energische Percussion werden mich auch diese Woche auf dem Fahrrad zur Arbeit treiben.

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Kinogang
Warum ins Kino gehen, wenn am Sonntag die teuerste TV-Serie aller Zeiten ihr Finale Grande feiert? In der letzten Folge der fünften Staffel Game of Thrones wird sicherlich wieder in hohen Maß geliebt, gekämpft und gemordet – alles was ein guter Blockbuster bieten sollte.  Wer nicht ganz durchblickt, welcher Lord mit welcher Lady anbändelt, kann sich mit einer der zahlreichen online Zusammenfassungen vorbereiten. Mit dem Ende der fünften Staffel Game of Thrones ist die Winterzeit jetzt offiziell vorbei.  

Geht gut diese Woche
 
Die „Übergangsjacke“ endgültig auf den Dachboden verbannen. Ab jetzt nur noch Leicht-Luftiges tragen und Biergärten testen.  

Geht gar nicht
 
Die hart erarbeitete erste Sommerbräune von letzter Woche riskieren und sich so fies die Schultern verbrennen, dass alles in runzligen Streifen vom Körper fällt. Das gilt es auf jeden Fall zu vermeiden. Sollte bei den moderaten Temperaturen diese Woche nicht so schwer werden.

Wo die Liebe nicht hinfällt

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Grenzen können hart und klar sein. Aber sie können auch aufweichen und verschwimmen. Zum Beispiel die zwischen Freundschaft und Liebe oder zwischen platonischer und sexueller Beziehung. Erst will man mit dem anderen nur reden und ihn kumpelhaft in die Seite knuffen – und auf einmal will man statt reden doch lieber knutschen und wenn man knufft, kribbelt’s einen in der Hand und im Bauch. Blöd nur, wenn das dem anderen nicht genauso geht. Wenn der sich gut eingerichtet hat in der Freundschaft, die sich ja bisher bewährt hat. Dann ist man in der sogenannten „Friend-Zone“ gelandet. Und aus der führen nur zwei Wege hinaus: Entweder muss man die Freundschaft beenden, um Abstand zu gewinnen. Oder man muss dem anderen seine Gefühle gestehen, auf die Gefahr hin, dass er oder sie dann auf Abstand geht. Also vielleicht doch lieber einfach drinbleiben, in der Zone? Vier Geschichten aus dem verminten Gebiet der unerfüllten Liebe – und eine mit Happy End.



Der eine liebt, der andere nicht (oder halt schon, aber...anders): gefangen in der Friend-Zone

Die vier Rachels


In einer Episode der Sitcom „Friends“ sagt Joey zu Ross, dass es mit dessen Angebeteter Rachel nie klappen werde. Ross habe zu lange gewartet. Er sei nicht nur in der „Friend-Zone“, er sei sogar „the mayor of the zone“. So habe ich mich oft gefühlt. Bei mir gab es sogar vier Rachels. Die erste mit 15, die (bisher) letzte mit 30. Jedes Mal die gleiche Frage: Warum suchen sich meine Rachels immer diese grobschlächtigen Affen aus, die sie mies behandeln, und mit mir, dem sensiblen Typen, der sie vergöttert und „wirklich“ versteht, wollen sie nur reden? Besonders perfide sind die Komplimente: „Du bist so toll, ich verstehe überhaupt nicht, warum du keine Freundin hast“, sagte mir mal Rachel Nr. 2. Ja, danke auch.

Mit der Zeit merkte ich, dass ich eine Mitschuld trug: Die Friend-Zone war meine Komfortzone geworden. Der gute Freund sein, das kannte ich, darin war ich gut. Übrigens auch darin, den Schmerz auszuhalten, wenn ein „richtiger“ Freund hinzukam. Meine Gefühle zu gestehen, davor hatte ich einfach Schiss. Und während sie froh darüber waren, mich als Kumpel zu haben, wollte ich mit ihnen ins Bett. Ich log sie an und mich selbst auch.

Als Rachel Nr. 4 sagte, sie hätte jemand anders und ob wir nicht Freunde sein könnten, lehnte ich ab. „Freunde habe ich genug, von dir will ich mehr“, sagte ich. Ein Jahr lang sahen wir uns nicht, dann zufällig auf einer Party. Beim nächsten Treffen küssten wir uns. Und wäre das jetzt eine Sitcom, wären wir immer noch zusammen. Als wir uns trennten, rief ich Rachel Nr. 3 an. Sie kam sofort vorbei. Sie ist nämlich eine wirklich gute Freundin.

Constantin Wißmann

Die Frau von nebenan


Ich weiß noch genau, wie Lina an dem Tag roch und was sie anhatte, als sie zum Vorstellungsgespräch in die WG kam. Ich wollte gleich, dass sie einzieht, aber sagte damals schon zu meinem besten Freund: „Ich weiß nicht, ob ich die nicht ein bisschen zu gut finde.“ Nach kurzer Zeit hatten wir ein sehr intensives freundschaftliches Verhältnis. Ziemlich bald lief auch etwas zwischen uns, aber sehr unverbindlich. Die ganze Zeit über hatte Lina auch eine Affäre mit einem Typen namens David. Für mich war das okay. Aber in einer Nacht – ich steckte gerade in der Endphase meiner Diplomarbeit und konnte sowieso ziemlich schlecht schlafen – kamen die beiden zusammen nach Hause und ich wurde wach. Ich konnte nicht mehr einschlafen und wälzte mich etwa fünf Stunden lang im Bett rum. Da habe ich gemerkt: Irgendwie scheint mir das nahe zu gehen. Ich habe Lina danach gebeten, David nicht mehr in unsere Wohnung mitzubringen. Ein Wochenende später wachte ich nachts von einer SMS auf: „Ich komme jetzt mit David nach Hause, ich hoffe das ist okay für dich.“ Danach war ich richtig sauer auf sie. Mir war klar: Das kann kein langfristiger Zustand sein. Ich war gleichzeitig ihr bester Freund, Mitbewohner und in sie verliebt. Aber als sie für einen Monat auszog und die Sache mit David dann überraschend beendete, wusste ich, dass sie auch sehr viel für mich empfindet. Mittlerweile wohnen wir wieder zusammen, aber zusammen sind wir trotzdem nicht. Sie sagt immer: „Ich will nicht mit dir zusammen sein, ich will dich aber auch nicht als Freund verlieren.“ Ich habe schon oft überlegt, auszuziehen, es dann aber doch nie durchgezogen. Einmal hat sie angefangen zu weinen und gesagt: „Ich will nicht, dass du ausziehst, ich will doch eigentlich ein Haus mit dir bauen!“ Da dachte ich: Vielleicht ist doch nicht alle Hoffnung verloren.

Noah (Protokoll: Janin Haase)

>>> Crush im Café, die derbe kluge Freundin und ein wirklich gutes Ende

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Der Barista


Die letzte Phase meiner Masterarbeit habe ich praktisch im Café gegenüber gelebt. Da gab es super Croissants, leckeren Kaffee und vor allem einen ziemlich attraktiven Barista. Ungefähr sechs Monate lang habe ich ihn über meine Bücher hinweg heimlich angehimmelt. Er war ein sehr charmanter Typ, mit vielen Frauen befreundet. Wir verstanden uns gut und mit der Zeit trafen wir uns öfter außerhalb des Cafés. Ich wusste die ganze Zeit nicht, woran ich bei ihm bin – flirtet er mit mir oder ist es einfach seine Art? Wir standen uns ziemlich nah, sprachen offen über vieles, sehr explizit über Sex und Beziehungen – aber nie wirklich über uns. Manchmal machte ich Witze darüber, warum wir nicht einfach mal im Bett landen. So richtig darauf reagiert hat er nicht. Es war eine bescheuerte Situation: Ich stand so sehr auf ihn, dass ich mich nicht traute, den ersten Schritt zu machen. Stattdessen klammerte ich mich an die Hoffnung, dass er plötzlich kapieren würde, dass ich seine Traumfrau bin und sich Hals über Kopf in mich verliebt. Nach vielen frustrierenden „Freundschaftsdates“, lief dann doch was zwischen uns. Ich dachte, ich wäre endlich raus aus der Friend-Zone. Stattdessen mied er mich tagelang und servierte mich schließlich ziemlich kalt ab – er habe nicht genug Gefühle für mich. Ich war so enttäuscht! Ich finde, wenn der Funke nicht überspringt, sollte man das auch klar und vor allem rechtzeitig sagen. Das hätte ich von ihm als Freund zumindest erwartet.

Jetzt weiß ich, dass es keinen Sinn macht, jemandem hinterherzulaufen, den man erst von sich überzeugen muss. Wenn jemand nur halbherzig dabei ist, hat das meistens einen Grund: Es ist nicht der Richtige.

Emma (Protokoll: Sina Pousset)  

Die Freundin mit Freund


Ich habe Selma in einer politischen Gruppe kennengelernt. Ich glaube, ich habe angefangen, sie gut zu finden, als wir einmal zusammensaßen und sie wieder derbe kluge Sachen gesagt hat und dabei unglaublich gut aussah. Was wirklich schwierig ist, ist gar nicht, dass sie sich nicht in mich verguckt hat, sondern dass sie so einen blöden Freund hat. Ich fand es schon ein bisschen hart, an meinem Geburtstag mit den beiden zusammen in unserem Garten zu sitzen – sie war so toll wie immer und er war so nervig. Da dachte ich schon: „Ey Mädel, überleg dir das noch mal!“ Ich bin mir ziemlich sicher, dass unser Verhältnis für sie total platonisch ist. Ich würde es deswegen auch niemals riskieren, sie anzuflirten. Ich will nicht, dass es komisch zwischen uns ist. Da freue ich mich lieber über die Schwärmerei. Ich habe auch nie mit ihr darüber geredet, ob sie auf Frauen steht. Aber so wie ich sie einschätze, würde sie das eher an meiner Person als an meinem Geschlecht festmachen. Es ist jetzt schon okay so, wie es ist, weil ich ja auch selbst in einer tollen Beziehung bin. Selma und meine Freundin verstehen sich super. Es ist gerade so schön, dass ich gar keine Lust habe, es durch irgendwelche komischen Geschichten zu zerstören. Aber manchmal hätte ich sie einfach gerne mehr bei mir. Mit ihr zusammen zu sein wäre bestimmt ganz schön cool. Aber auch ziemlich schwierig – man kann sich nämlich sicher sehr gut mit ihr streiten. Vielleicht ist es da einfacher, in sie verknallt zu sein.

Alicia (Protokoll: Janin Haase)

Das Happy End


Wir waren schon fünf Jahre befreundet, als ich Elisa auf einem Konzert einfach gefragt habe: „Warum sind wir eigentlich nicht zusammen?“ Dabei war ich damals nur ein klein wenig in sie verknallt. Ich hatte eine Trennung hinter mir und dachte, dass es gerade nichts zu verlieren gab. Zu der Zeit war unsere Freundschaft besonders schön und vieles, was vorher ein Problem zwischen uns war, war irgendwie weg. Wir waren in den ersten Jahren mal mehr mal weniger eng befreundet, waren im Kino oder tanzen – und gingen am Ende des Abends mit jemand anders nach Hause. Das war in Ordnung. Für mich war klar, dass wir als Paar nicht funktionieren würden. Sie ist fünf Jahre jünger und steckte mitten im Studium, in der Ausprobierphase, wollte nichts Verbindliches. Ich war Berufseinsteiger und eher auf was Festes aus. Nach anderthalb Jahren habe ich mal versucht, sie zu küssen. Das hat sie aber zurückgewiesen. Ein paar Jahre später war sie dann in mich verknallt und hat zwei Wochen lang gegrübelt und gelitten. Erzählt hat sie mir aber nichts, wohl aus Angst, verletzt zu werden.

Als ich Elisa dann gefragt habe, wieso wir eigentlich kein Paar sind, sagte sie: „Das wäre total praktisch, dann müssten wir uns nicht mehr mit den ganzen Idioten rumschlagen!“ Am selben Abend haben wir uns geküsst. Alles war neu und aufregend, anfangs auch ein bisschen holprig, aber von Tag zu Tag schöner. Jetzt sind wir seit knapp zwei Jahren zusammen und immer noch überrascht, wie romantisch es zwischen „Freunden“ sein kann. Hätte ich damals nichts gesagt, wäre unsere Freundschaft wahrscheinlich einfach weitergelaufen – und das wäre sicher auch in Ordnung gewesen. Wenn Leute sagen, sie wollen ihre Freundschaft nicht durch Liebe gefährden, möchte ich ihnen sagen: „Man kann eine Freundschaft nicht konservieren. Sie verändert sich sowieso mit der Zeit.“

Hans (Protokoll: Sina Pousset)

Wenn dir die Bong einfach nicht mehr steht

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Leo möchte anonym bleiben. Deswegen sehen wir hier nur seine Beine. Und zwei verschiedene Socken.



... um Vater zu werden. Dass mir das als erstes einfällt, bedeutet wohl, dass ich gerade nicht zu jung bin, sondern eher genau in das richtige Alter komme. Auch in meinem Freundeskreis zeichnet sich langsam ab, dass es bald so weit ist. Ich bin echt eine gechillte Person, aber wenn ich übers Kinderkriegen nachdenke, kommt so was von die Panik bei mir. Ich weiß ja selbst noch nicht, was Sache ist im Leben, wie soll ich das dann einem Kind erklären? Ich glaube, am meisten Angst hätte ich aber davor, dass sich alles ändert und ich keine Zeit mehr für mich habe.

Wahrscheinlich kommt der Zeitpunkt nie, an dem man sagt: So, jetzt bin ich bereit. Mein Vater zumindest sagt, dass er nie kommt. Ich war definitiv kein Wunschkind für ihn. Er hat wohl damals genauso gedacht, wie ich jetzt gerade, das kann ich voll verstehen. Er sagt, das gibt sich dann. Ich würde trotzdem gerne noch bis zu dem Moment warten, in dem nicht mehr allein der Gedanke daran eine Panikattacke auslöst.

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... um Bong zu rauchen. Ich meine nicht unbedingt, dass ich zu alt für Drogen bin. Das geht schon noch ab und zu und in Maßen. Aber Bong geht aus zwei Gründen nicht mehr. Zum einen das Image: Eine Bong ist wie eine Cap, es kommt einfach die Zeit, da steht sie einem nicht mehr, da will man sich selbst nicht mehr damit sehen, da wird das lächerlich. Zum anderen stehen Bongs bei mir für alles, was mit übermäßigem Rausch zu tun hat. In die gleiche Kategorie fällt bei mir das „Takko-Saufen“: Früher hatten wir nicht so viel Geld und wenn wir uns betrinken wollten, gingen wir zur Tankstelle, trafen uns dann auf dem Parkplatz des Discountladens Takko und teilten, was wir hatten – und zwar bis zum Umfallen. Das wäre mir heute schon unangenehm. Wenn jemand sagen würde: „Komm schon, einmal noch Takko-Saufen“ – ich würde wahrscheinlich schon mitkommen, aber sicher nicht so viel trinken. Es gibt Besseres, was man aus Nostalgie tun kann. Modellflugzeuge bauen zum Beispiel. Das haben wir neulich mal mit der ganzen WG gemacht. Dafür ist man nie zu alt.

Böser Comic!

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So ganz laienhaft behaupten wir jetzt einfach mal: Comics sind Kulturgut. Wo man bei Batman und Robin vielleicht noch ein bisschen rumargumentieren muss ("Tue Gutes mit deinem Geld"), ist es bei "Persepolis" von Marjane Satrapi schon ein bisschen einfacher: Ohne die Graphic Novel wüssten viele wohl gar nicht, dass es im Iran auch vor der islamischen Revolution ein Leben gab, das Buch bekam zahlreiche Preise und wurde sogar verfilmt.


Zufall: Marjane Satrapi hat auch gezeichnet, wie sich Tara Shultz fühlte, als sie ihre Graphic Novel "Persepolis" anschauen sollte

Und trotzdem: Tara Shultz, 20, und aus Yucaipa in Kalifornien findet, dass man "Persepolis" neben drei anderen Graphic Novels an ihrer Uni verbieten solle. Tara belegte nämlich im Rahmen ihres Englisch-Studiums ein Seminar zum Thema "Comics", doch was ihr dort geboten wurde, hat sie nachhaltig schockiert: "Ich erwartete Batman und Robin und keine Pornografie", sagte Tara gegenüber einer Zeitung und bezieht sich dabei wohl vor allem auf die Novel "Fun Home" von Alison Bechdel, in der diese ihr Coming-out verarbeitet. Stattdessen bekam sie, nunja, eben Persepolis und andere gesellschaftskritische Literatur.

Tara organisierte daraufhin, unterstützt von ihren Eltern, einen Protest mit mehreren Freunden vor der Uni. Sie will, wenn dieser "Schrott", wie sie es nennt, schon nicht von den Lehrplänen verbannt wird, die Professoren ihre Studenten zumindest zu Beginn der Vorlesung warnen, dass Gewalt und pornografisches Material gezeigt werden. Taras Vater argumentierte zudem, die Bücher müssten ganz vom Campus beseitigt werden – schließlich seien dort manchmal ja auch Minderjährige unterwegs.

Und der Professor, der besagten Skandalkurs hält? Der reagierte ziemlich cool: In einer Mail an eine Zeitung schrieb er, er habe den Kurs bereits drei Mal ohne Probleme gehalten, zuvor sei zudem an alle Teilnehmer eine Bücherliste versandt worden. Tara habe also durchaus ahnen können, dass eben nicht "Batman und Robin" auf dem Lehrplan stünde.

Auch wenn die meisten Studenten Taras Protest eher belächelten - die Uni hat nun leider trotzdem entschieden, dass der Professor zukünftig die Studenten warnen müsse, welche Werke in seinem Kurs gelesen werden müssen. Tara wird das vermutlich aber gar nicht mehr hören – sie wird jetzt einen der 14 Alternativkurse besuchen, die die Uni in ihrem Bereich anbietet.

charlotte-haunhorst

Praktikum bei jetzt.de

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Du schreibst gerne Texte und möchtest in einer netten Redaktion arbeiten? Dann bewirb dich für ein Praktikum bei jetzt.de! Wir haben derzeit drei Plätze zu vergeben: für November/Dezember 2015, Dezember 2015/Januar 2016 und Januar/Februar 2016.





Das bekommst du: 

  • ein achtwöchiges Praktikum, in dem du den Redaktionsalltag kennenlernen und viele Texte für das online-Magazin und die jetzt-Printseiten in der Süddeutschen Zeitung schreiben kannst

  • eine Vergütung von 400 € / Monat

  • nette Kollegen  


Das solltest du mitbringen:
 

  • Du hast Abitur oder studierst/bist an einer Hochschule eingeschrieben.

  • Du hast erste Erfahrungen im journalistischen Bereich (Recherche und Texte verfassen).

  • Du hast Spaß und Interesse an redaktioneller Arbeit und jungen Themen.  


So sollte deine Bewerbung aussehen:

  • Motivationsschreiben

  • Lebenslauf

  • drei journalistische Textproben

  • drei Themenvorschläge, die du gerne für jetzt.de umsetzen würdest


Das alles schickst du an: nadja.schlueter@jetzt.de. 
Wir freuen uns auf deine Bewerbung!

HipHop Hurra!

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Vergangenen Monat rappten sich Dendemann und Jan Böhmermann bei ZDFNeo einmal quer durch die deutsche HipHop-Geschichte, nun gibt es die auch im rock’n’popmuseum in Gronau zu sehen: Am 26. Juni eröffnet dort die Ausstellung „Styles – HipHop in Deutschland“, in der bis zum März 2016 Exponate aus einem Vierteljahrhundert HipHop-Kultur gezeigt werden. Es ist bundesweit die erste Ausstellung, die sich dem HipHop-Genre widmet. Aber wie bringt man Rap ins Museum? Darüber sprachen wir mit Ausstellungsleiter Dr. Thomas Mania sowie Mit-Kuratorin und Rapperin Pyranja.  

jetzt.de: In Museen ist in der Regel Kunst zu sehen, nun bringen Sie erstmals HipHop ins Museum. Ist HipHop also Kunst?
Dr. Thomas Mania: HipHop beinhaltet ja auch Graffiti und Street-Art, letzteres trägt den Kunstbegriff bereits im Namen. Meiner Meinung nach hat Graffiti durchaus Annäherungspunkte zur Kunst. Freestyling ist ebenfalls sehr künstlerisch. Rap ist heutzutage zudem ein Stück weit Literatur.  

Wie kann man HipHop einem Museumspublikum richtig vermitteln? 
Wir versuchen, das Phänomen für den szenefremden Normalbesucher runterzubrechen, es aber gleichzeitig auch für Experten interessant zu halten. Unser Publikum ist erfahrungsgemäß nicht sonderlich HipHop-affin – zuletzt hatten wir großen Erfolg mit einer Schlagerausstellung. Man muss also die Grundstrukturen der Kultur vermitteln. Daher beleuchten wir auch die Anfänge von HipHop in Amerika bis zu dem Zeitpunkt, an dem es in Deutschland losging. Außerdem widmen wir uns der kompletten HipHop-Kultur, also nicht nur der Musik sondern auch Breakdance und Graffiti.   

[plugin bildergalerielight Bild1="Alte Flyer." Bild2="Backstagepässe" Bild3="Viele Exponate stammen von Künstlern selbst: Diese Jacke trug Kool Savas oft auf der Bühne." Bild4="Equipment von LSD." Bild7="Von hinten wie von vorn sehr schön: Das Textbuch von Max Herre."]

Wie wurde es innerhalb der Szene wahrgenommen, dass sie sich als Wissenschaftler mit HipHop auseinandersetzen?
Es gab durchaus Berührungsängste. Denn die Szene selbst mag manch eine Entwicklung anders beurteilen als wir das tun. Wir konnten die anfänglichen Bedenken aber weitgehend ausräumen. Leute wie Torch oder die Ricks [DJ Rick Ski und Future Rock, die mit LSD 1991 »Watch Out For The Third Rail« veröffentlicht haben; Anm. d. Verf.] haben sich über unsere Idee von Anfang an sehr gefreut. Torch hatte ja selbst schon mal vor, in Heidelberg ein HipHop-Museum zu initiieren – genauso wie Akim Walta [aka Zeb.Roc.Ski, Gründer des Labels MZEE; Anm. d. Verf.], den wir für unsere Ausstellung ebenfalls begeistern konnten.

Also höchste Zeit, HipHop ins Museum zu bringen?
Ja, offenbar. Wobei Akim Walta die offizielle Unterstützung fehlt – und das privat zu machen wäre Harakiri. Torch hingegen hatte bei der Stadtverwaltung in Heidelberg wohl bereits Anklang gefunden, konkret geworden ist bisher aber noch nichts.  

Die Ausstellung trägt den Titel »Styles – HipHop in Deutschland«. Wer hat den deutschen Stil ihrer Meinung nach geprägt?
Wir haben drei Bereiche unterteilt. Zunächst den Beginn der Oldschool, etwa endend mit dem Auftauchen der Fanta 4, als Rap plötzlich eine humoristische Seite bekam und nicht mehr ganz so linksliberal war wie am Anfang – der Beginn der Neuen Schule. Dann gibt es den Freestyle-Bereich mit Bestandteilen wie den »Beatz aus der Bude«-Sessions von DJ Lifeforce. Und natürlich widmen wir uns auch dem neuen Jahrtausend mit Phänomenen wie Aggro Berlin. Da gibt es viele Parallelentwicklungen.

Zum Beispiel?
Nehmen Sie jemanden wie Kool Savas, dessen erste Veröffentlichung aus dem Jahr 1997 stammt, der mit seiner expliziten Sprache aber auch den Weg für Gangstarap geebnet hat. Das hat sich also bereits Mitte der Neunzigerjahre entwickelt, ist aber erst Anfang des neuen Jahrtausends mit Aggro Berlin richtig groß geworden.     

Sie haben die Ausstellung auch mit vielen Exponaten bestückt. Was gibt es denn zu sehen? 
Von B-Tight haben wir eine goldene Schallplatte bekommen, von Savas eine Jacke. Torch hat uns einen ganzen Stapel alter Jam-Plakate vom Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre zur Verfügung gestellt, an denen man noch sehr schön die damals enge Verbindung der einzelnen HipHop-Elemente Rapping, DJing, Breakdance und Graffiti sehen kann. Von den Gebrüdern Rick haben wir das komplette Equipment bekommen, mit dem sie ihre erste Platte gemacht haben. Außerdem natürlich viele Fotos, Plakate, Platten – insgesamt sind es etwa 150 Exponate.  

Sie haben unter anderem die Rapperin Pyranja als Kuratorin mit ins Boot geholt. Wie kam es dazu?
Das war ein Zufall, der sich als Glücksfall erwiesen hat: Jemand hat den Kontakt hergestellt, sodass wir uns in Berlin getroffen und dann sehr schnell beschlossen haben zusammenzuarbeiten. Der Vorteil bei Pyranja: Sie kommt einerseits aus der Szene, hat andererseits aber auch als Journalistin gearbeitet und sich sogar wissenschaftlich mit HipHop auseinandergesetzt – sie hat demnach eine Innen- und Außensicht auf die Kultur. 

Einer aktuellen amerikanischen Studie zufolge ist Rapmusik die einflussreichste Musik der letzten Jahre. Denken Sie jetzt über eine Namensänderung des Museums nach?
Höchstens für die neun Monate, in denen die Ausstellung läuft. Aber das »Pop«, das für populäre Musik steht, schließt Rapmusik natürlich mit ein.    




Ausstellungsleiter Dr. Thomas Mania will HipHop auch für Schlagerfans zugänglich machen.

>>>> Auf der nächsten Seite liest du das Interview mit Rapperin Pyranja.

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Rapperin Pyranja konzipierte die Ausstellung mit.  

jetzt.de: Du bist die einzige Künstlerin im Kuratorium. War es manchmal schwierig, den Kollegen deine Sicht klarzumachen?
Pyranja: Eigentlich nicht, weil auch meine Mit-Kuratoren thematisch sehr bewandert sind – auch wenn sie als Uni-Professoren einen anderen Blick darauf haben. Es war spannend zu sehen, wie sich unsere verschiedenen Sichtweisen ergänzen. Aber klar: Es gab auch die eine oder andere Diskussion – aber davon lebt so eine Ausstellung. Und ich finde es nach wie vor abgefahren, dass es nun überhaupt eine Ausstellung über deutschen HipHop gibt.  

Wart ihr euch denn schnell einig darüber, wie die Ausstellung aussehen soll?
Wir haben viel diskutiert. Nach welchen Kriterien wählt man die Leute aus, denen man in der Ausstellung Platz einräumt? Geht man nach Verkaufszahlen und Charterfolgen, nach der Anzahl veröffentlichter Platten, nach den Inhalten, nach Reimtechnik und Flow? Und: Wie objektiv muss man sein und wie subjektiv darf man werden? Allesamt schwierige Fragen, die das Ganze aber eben auch spannend machen.  

Welche Frage hat euch besonders beschäftigt?
Zum Beispiel, ob man die Frauen wieder in einer blöden Female-Rap-Ecke unterbringen soll. Wir haben uns aber einstimmig dagegen entschieden, weil man die künstlerische Qualität von Musik nicht am Geschlecht des jeweiligen Protagonisten festmachen kann. Und eine Ecke, in der Sabrina Setlur neben Fiva steht, hätte sich für mich auch komisch angefühlt.  

Wie sah die Arbeit an der Ausstellung für dich denn konkret aus?
In erster Linie musste ich mein Telefonbuch durchgehen, Leute anrufen und Kontakte herstellen. Aber natürlich habe ich auch zusammen mit den anderen Kuratoren ein Ausstellungskonzept erstellt und versucht, dem Ganzen eine Struktur zu geben. Es ist nicht leicht, eine dreißig Jahre währende Kultur wie HipHop in Deutschland komplett abzubilden, das heißt: Man muss sich entscheiden, welche Aspekte man herauspickt. Aber man ist natürlich auch davon abhängig, in welcher Form sich Künstler einbringen und welche Exponate man zur Verfügung gestellt bekommt.    

War es für dich als Künstlerin einfacher, andere Musiker von der Ausstellung zu überzeugen?
Nicht bei allen, aber bei einigen. Natürlich ist es etwas anderes, ob ich bei jemandem anrufe, den ich kenne, als wenn irgendeine Dame aus Gronau anruft und sagt: »Wir machen da was mit HipHop.« Da würde ich auch erst mal in Habachtstellung gehen.

Bist du selbst auch in der Ausstellung zu sehen?
Ja, aber ich habe mich lange dagegen gewehrt, weil ich es unangebracht finde, gleichzeitig als Künstlerin und Kuratorin an der Ausstellung mitzuwirken. Ich wurde aber überstimmt – Nun ist in der Ausstellung eine Backstage-Bänder-Sammlung von mir zu sehen sowie meine erste Vinyl-LP.  

Dein letztes Soloalbum ist vor knapp zehn Jahren erschienen – wie sehr bist du selbst noch aktiver Teil der Szene?
Ich bin in den vergangenen Jahren immer mal wieder aufgetreten, auch in Südamerika, Ägypten, den USA, dem Libanon und Russland – das war toll. Ich habe auch noch ein halbes Album in der Schublade, aber dann kam erst ein Kind, dann noch eins und plötzlich saß ich in der Babyfalle. Demnächst möchte ich mich aber daraus befreien und die zweite Albumhälfte aufnehmen. Wann das Album erscheint, kann ich noch nicht sagen.

Couchbewohner

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Der Event-Tourist


So kündigt er sich an:
Mit einer mit sehr vielen Smileys getränkten Nachricht bei Facebook: “Hey, erinnerst du dich noch an mich? :) Wir waren damals zusammen im Freizeitlager mit der evangelischen Kirche/Snowboarden im Zillertal/auf der Sylvesterparty bei Tobi. Duuu, ich bin nächste Woche zufällig in der Stadt und wollte dich ganz lieb mal was fragen…”

Das bringt er mit: Knicklichter, bequeme Turnschuhe und seine Fan-Ausstattung (Paul-Kalkbrenner-Tour-T-Shirt / Fußball-Schal / die Musical-CD von Tarzan). Er ist vom Dorf in die Stadt für ein Event gereist, für das er sich schon vor Monaten Karten gekauft. Seine Dankbarkeit dir gegenüber ist dementsprechend echt – ohne dich hätte er ja ein teures Hotelzimmer bezahlen müssen.

Dieser Satz fällt morgens in der Küche:
“Findest du, an den Schuhen erkennt man mich als Tourist?”

Nervt spätestens, wenn: Er dich bittet, ob du ihn vielleicht doch von der O2-World abholen kannst. Das mit den U- und S-Bahnen findet er nämlich immer so kompliziert.

So wirst du ihn los: Passiert glücklicherweise von ganz alleine. Denn eigentlich ist er ja nicht deinetwegen, sondern wegen Kalkbrenner da – dementsprechend müsst ihr eigentlich auch keine Zeit miteinander verbringen.

Zurück lässt er: Zerknitterte Essens-Promo-Gutscheine, die ihm am Ausgang so ein netter Typ im Wurstkostüm in die Hand gedrückt hat (“Vielleicht kannst du die ja noch einlösen?”)

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Die Feierleiche

So kündigt sie sich an: Gar nicht. Sie hat von irgendwo von dieser geilen Party gehört, die hier steigt und klingelt jetzt einfach mal im Stockwerk, aus dem so laut Musik herkommt.

Das bringt sie mit: Im Idealfall Alkohol und Drogen jeglicher Art, meistens aber eher einen halben Joint und lauwarmes Wegbier. Sie will vor allem “disco disco disco” (steht zumindest auf ihrem T-Shirt), fragt auf der Abrissparty locker in die Runde “Also wer hat hier Geburtstag?” und kotzt später vom Balkon.

Dieser Satz fällt morgens in der Küche: “Ööh, Aspirin da?”  Gibt sich dann aber auch mit einem Konterbier zufrieden.

Nervt spätestens, wenn: Sie deinem Partner an den Arsch grapscht und gegen dein Regal pinkelt.

So wirst du sie los: Fester Handschlag und wenig subtiles Drängeln Richtung Tür.

Zurück lässt sie: Alles von mittlerer Zerstörung bis hin zu schwerem Sachschaden, Gesprächsstoff für die nächste Party. [seitenumbruch]

 

Der Trauerkloß

So kündigt er sich an: Überfallartiges Wimmern am Telefon oder abgehackte Kurznachrichten: “Es ist aus. Stehe vor deiner Tür.” Es ist klar: Er braucht Komplettbetreuung, jetzt, sofort, von dir. Du darfst nun miterleben, wie er sich von einem suizidalen Häufchen Elend langsam wieder in einen normalen Menschen verwandelt. Bis dahin vegetiert er erstmal auf deinem Sofa. Dienst an der Freundschaft nennt man das.

Das bringt er mit: Ein paar Umzugsboxen, seine Kuscheldecke.

Dieser Satz fällt morgens in der Küche: “Wann kommst du heute von der Arbeit?”

Nervt spätestens, wenn: Er zur Trennungsbewältigung bis 4 Uhr morgens “Sie ist weg” mitgrölt.

So wirst du ihn los: Mitsaufen, Mitleiden und vor allem: geduldig sein!

Zurück lässt er: Eine Familienpackung vollgerotzte Tempos unterm Bett, leere Bierflaschen, einen gefühligen Abschiedsbrief und eine halbe Flasche Vodka im Kühlschrank. [seitenumbruch]

 

Der Dauergast
 

So kündigt er sich an: Ganz locker, per Anruf. Du hättest doch mal gesagt, dass dein Gästesofa immer für ihn frei wäre. Ob das Angebot noch gelte? “Na klar”, sagt du, unwissend, dass du dir gerade einen neuen Mitbewohner gecastet hast. Obacht: Der Dauergast ist so etwas wie der Hybrid aller Couchcrasher – auch er begann vielleicht mal als harmloser Event-Tourist, der nach dem Konzert einfach nie wieder nach Hause ging. 

Das bringt er mit: Schlafsack, Isomatte und eine Flasche sehr teuren Gin. Wegen des Gins fällt dir sein sehr großer Koffer nicht direkt auf. Stattdessen sagst du direkt “Schlafsack brauchst du doch nicht, ich hab dir schon das Sofa bezogen.”  

Dieser Satz fällt morgens in der Küche: Am Anfang noch “Kann ich irgendwie helfen?” Nach drei Wochen: “Ich beneide ja nicht, wie ihr jeden Tag wie die Bienen zur Arbeit müsst”, nach sechs Wochen “Ey, wer hat mein Knuspermüsli leer gemacht?”

Nervt spätestens, wenn: Er vor anderen Gästen erzählt “Ich brauchte einfach mal einen Tapetenwechsel”

So wirst du ihn los: Es ist ein Teufelskreis: Du fühlst dich ihm gegenüber verpflichtet, je länger er bleibt, umso mehr beharrt er allerdings auf seinen Wohnrechten. Da hilft nur: Das Thema “Miete” ansprechen. Geld kann schließlich jede Freundschaft zerstören. 

Zurück lässt er: Die teure Teemischung, die er als großzügige Geste für die WG auf dem Weihnachtsmarkt gekauft hatte. “DIE will ich jetzt auch nicht mehr zurück.” 
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Die Eltern

So kündigen sie sich an: Reiseverlauf in Tabellarischer Form als PDF, Vorschläge zu aktuellem Kultur- und Freizeitangebot deiner Stadt (“Also Sonntag wäre da so ein schönes Jazzfrühstück…”). Außerdem Standort-SMS zur genauer Verfolgung des Reisefortschritts: “Hase, Stau auf der A4, Kreuz Walldorf. Papa sagt Landtraße. Hund hat Durchfall. Kuss MaPa.”

Das bringen sie mit: Einen Fresskorb aus der Heimat, Blumen, viele Ideen zur Umgestaltung deiner Wohnung. Zu kostenlosen Hauptmahlzeiten bekommst du nebenbei auch noch ein paar Lebensweisheiten gesteckt. Aber eigentlich wollen die ja nur mal gucken, wie es dir so weit weg vom Nest so geht.

Dieser Satz fällt morgens in der Küche: “Ach, hier wird geraucht?”

Nervt spätestens, wenn: Dein Vater versucht, beim Familienfrühstück den wackelnden WG-Tisch zu reparieren und du in pubertäres Grundvokabular zurückfällst.

So wirst du sie los: Los wirst du sie nie, ihr seid schießlich verwandt. Aber da die Sprungfeder doch sehr auf Papas Bandscheibe drückt, nehmen sie beim nächsten Mal vielleicht ein Hotel.

Zurück lassen sie: Sauberes Geschirr, eine neue Klobürste.

Sichere Geschichte

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Irgendwann (und zwar gar nicht mal so spät) kommt man in seinem Leben an den Punkt, an dem einem die vierstelligen Zahlenkombinationen ausgehen. Da hat man die Geburtsdaten sämtlicher Familienmitglieder aufgebraucht. Und auch alle Jahrestage und Todestage und alle Varianten, die sich besonders angenehm auf einer Tastatur tippen lassen. An den Punkt hingegen, an dem man sich vierstellige Zahlenkombinationen, die einem zum Beispiel von der Bank zugeschickt werden, ganz einfach und ohne Probleme merken kann, an den kommt man eigentlich nie. Kurz gesagt: Viertstellige Zahlenkombinationen sind extrem unpraktisch und unser Gehirn mag sie nicht.

Das britische Softwareunternehmen Intelligent Environments hat darum gestern eine Idee vorgestellt, die uns und unseren Gehirnen gefällt: Sie wollen beim Online-Banking den PIN-Code aus Ziffern durch einen aus Bildern ersetzen. Genauer gesagt: aus Emojis. In dem kleinen Imagefilm sind alle Beteiligten hellauf begeistert:

http://vimeo.com/130728753

Okay, die sind natürlich begeistert, weil das in einem Imagefilm so sein muss. Aber sie sind es auch unabhängig davon völlig zu Recht. Die Idee ist charmant und klug. Zum einen, weil diese Code-Variante noch sicherer wäre als die mit Zahlen. Denn es gibt nur zehn Ziffern, aber unzählige Emojis. Und selbst, wenn es nur 44 sind, wie es das Konzept von Intelligent Environments vorsieht, sind fast 3,5 Millionen Kombinationen möglich. Zum anderen, weil wir uns den Code so besser merken können. Denn mit Emojis können wir kleine Geschichten erzählen und an die erinnern wir uns besser als an abstrakte Zahlenkombinationen. Und auch besser als an Passwörter. Die Idee, statt eines Passwortes eine sogenannte Passphrase zu verwenden, also einen Satz, gibt es ja schon länger. Auch dabei geht es darum, den Code in einen Zusammenhang zu betten, ihn eine Geschichte erzählen zu lassen.

Der Emoji-Code wäre aber nicht nur charmant und klug, sondern vor allem auch: sehr zeitgemäß. Laut einer Studie der britischen Bangor University sind Emojis die sich am schnellsten entwickelnde Sprache im Vereinigten Königreich und es ist sicher nicht falsch anzunehmen, dass das auch auf andere Länder zutrifft. Emojis funktionieren international, mit ihnen kann man Sprachbarrieren überwinden – und auch die eigene Sprachlosigkeit. Eine britische Studie besagt, dass 72 Prozent der 18- bis 25-Jährigen es einfacher finden, ihre Emotionen mit Emojis auszudrücken, als mit Worten.

Angeblich wird gerade schon mit einigen Banken über die Einführung der neuen PIN-Codes verhandelt. Und irgendwie ist die Idee einer Welt mit Emoji-Passphrasen ja eine sehr schöne. Denn in der erzählt jeder, der eigentlich nur ein Bankgeschäft erledigen will, erstmal eine kleine Geschichte. In der vielleicht ein gefleckter Hund, eine Flamencotänzerin, ein Daumen nach oben und eine Bananenschale vorkommen. Das wäre doch sehr niedlich. Und alles, was die Welt ein bisschen niedlicher macht, ist begrüßenswert.

Nadja Schlüter

In der falschen Haut

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Im April verkündete Bruce Jenner, er fühle sich als Frau. Aus Bruce wurde letzte Woche Caitlyn und alle fanden das gut. Zumindest gab es keine großen Widersprüche, soll sie doch machen. Der ehemalige US-Spitzensportler hat sich selbst immer wieder in die Schlagzeilen gebracht. Als Stiefvater von Kim Kardashian in deren gemeinsamer Serie"Keeping up with the Kardashians" zum Beispiel. Auch das Bekenntnis zur Transsexualität wurde medial zelebriert. Es reißt aber niemanden mehr vom Hocker. Diskutiert wurde nicht der Indentitätswandel, sondern ob Caitlyn Transgender kommerzialisiere.





Bei Rachel Dolezal ist die Lage anders. Heute musste sie als Sprecherin der NAACP, einer Organisation für die Rechte schwarzer US-Bürger, zurücktreten. Seit über zehn Jahren tritt die Professorin für Afrikawissenschaften dort als Afroamerikanerin auf und fühlt sich auch so. Auf den Fotos, die Rachels Eltern letzte Woche an amerikanische Medien weiterleiteten, sieht man aber ein weißes Mädchen. Rachel ist als weißes Kind aufgewachsen. Die unfreiwillige Enthüllung wird in sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert. Unter dem Hashtag #wrongSkin wird dabei mehr Spott als Mitgefühl für Rachel Dolezal geäußert. Ironisch bekennen sich mittlerweile blonde Menschen, die sich als Rothaarige fühlen, Reiche, die lieber arm und Schwarze, die lieber weiß wären.





Während Jenners Outing medial anerkannt und mit einem Ganzkörperbild auf dem Cover der Vanity Fair belohnt wurde, erntete Dolezal feindselige Kommentare. Warum fallen die Reaktionen so unterschiedlich aus? Vanessa Vitiello Urquhart hat in einem Artikel auf Slate.com versucht, das  Problem auseinanderzunehmen. In beiden Fällen gehe es um ein Grundgefühl, das unsere Identität sichert, schreibt sie. Beide fühlten sich einer Gruppe nicht mehr zugehörig, zu der sie als Kinder noch gezählt wurden. Heute können sie sich mit ihrer"biologischen" Zuschreibung nicht mehr identifizieren: Jenner will kein Mann und Dolezal keine Weiße mehr sein. Trotzdem fühlt sich die schwarze Gemeinschaft von Dolezals unfreiwilligem Bekenntnis betrogen, während die Transgender-Community Jenner als neuen Star feiert.

Während Dolezal krampfhaft versuchte, nicht als Weiße erkannt zu werden, machte Jenner keinen Hehl daraus, mal ein Mann gewesen zu sein. Auf die eine ist man"reingefallen", die andere hat sich endlich getraut. Der Unterschied liegt also in der Art und Weise, wie mit der neuen Identität umgegangen wurde. Jenner lehnte ihre Rolle als Spitzensportler und Männeridol öffentlich ab. Von Dolezals Vergangenheit weiß man wenig. So scheint es, als hätte sie ihr Umfeld mutwillig getäuscht. Daher wohl der Unmut in vielen Tweets.    




Dass Rachel Dolezal sich in der falschen Haut gefangen fühlt, wird auf Twitter wenig ernst genommen.

Aber kann man das überhaupt vergleichen? Frauen können zu Männern werden und andersrum. Geschlecht ist als Selbstzuschreibung längst in der Gesellschaft angekommen. Dass Weiße plötzlich schwarz sind oder sich schwarz fühlen, kommt eigentlich nie vor. Die Kategorie"Geschlecht" scheint durchlässiger als die Hautfarbe und kulturelle Zugehörigkeit. Und die Frage ist, ob die Durchlässigkeit in diesen Bereichen jemals erreicht werden kann. Beim Geschlecht geht es um Individuen. Bei Hautfarbe und Kultur steht eine Grupppe dahinter, die sich als Gemeinschaft verraten sieht, wenn sie das Gefühl hat, dass jemand sich "eingeschlichen" hat.

#wrongSkin steht also nicht nur für das Gefühl, in der falschen Haut zu stecken. Es steht für unterschiedlichste Identitätsentwürfe. Und die scheinen mal mehr, mal weniger gerechtfertigt. 

Eva Hoffmann

Techno ist keine Würstchenparty!

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Ein großer Festivalsommer steht uns bevor, mit mehr als 100 Elektro-Festivals allein im Juli. Dabei sieht es hinter den Decks gar nicht so bunt aus. Das Forschungskollektiv female:pressurewertet jährlich die weiblichen Auftritte auf europäischen Elektrofestivals aus. Dieses Jahr sind es in Deutschland gerade mal zwölf Prozent weibliche Acts. Auflegen scheint nach wie vor eine Männerdomäne zu sein.

"Frauen bekommen schneller Kopfschmerzen und sagen deshalb eher ab." Das ist nur eine von vielen Ausreden, die sich Katja Lucker immer wieder anhören muss. Sie ist Geschäftsführerin des Musicboard Berlin GmbH, einer Institution für Popkulturförderung. Und oft sitzt sie als einzige Frau in Jurys für Festivalprogramme oder DJ-Auswahlgremien. Deshalb bohrt sie immer wieder nach. Warum werden so wenige Frauen für die Clubs und Festivals gebucht?

Katja Luckers Frage hat mit feministischem Dogmatismus nichts zu tun. Sie spricht aus Erfahrung. Wenn sie fünf Minuten zu spät bei einem reinen Männermeeting erscheint, muss sie sich Herrenwitze anhören: "Bring doch beim nächsten Mal gleich deine Freundinnen mit!" Nicht nur auf den Festivalbühnen, auch auf Produktions- und Führungsebene sind Frauen eine Seltenheit.

[plugin imagelink link="https://femalepressure.files.wordpress.com/2015/03/festivals-graphic-all.jpg" imagesrc="https://femalepressure.files.wordpress.com/2015/03/festivals-graphic-all.jpg"]
Das Kollektiv female:pressure hat weibliche Acts auf Festivals gezählt (Quelle)

Auf Luckers Frage, warum Booker so wenige Frauen engagieren, wüssten die oft selbst keine Antwort, sagt sie. "Wo sind sie denn, diese Frauen?", hieße es dann oft. "Wir wissen ja nicht, wen wir fragen sollen!" Lucker achtet darauf, dass das Musicboard mit seinen 1,7 Millionen Euro Fördergeldern besonders Frauen berücksichtigt. Trotzdem waren nur ein Viertel der 370 von ihr geförderten Profi-Musiker im vergangenen Jahr weiblich. Es gibt also tatsächlich zahlenmäßig weniger Frauen, die mit professionellem Auflegen Geld verdienen oder sich auf Stipendien und Club-Residenzen bewerben. Ganz so wenig wie die Festivalquote von zwölf Prozent sind es aber trotzdem nicht.
[seitenumbruch]
Dass es mehr Frauen in der Elektroszene gibt, als viele Booker behaupten, will das Fotoprojekt Visibility zeigen. Dort werden internationale weibliche DJs und Produzentinnen bei der Arbeit gezeigt. Im Homestudio, an riesigen Mischpulten und an den Plattentellern renommierter Clubs. Bekanntere Künstlerinnen wie Björk und Soap & Skin sind dabei, aber auch etablierte weibliche DJs, die in Clubs wie dem Berghain oder dem Tresor auflegen.
[plugin imagelink link="http://41.media.tumblr.com/acabe9e14e5f1ba15471629c7a4b3b4c/tumblr_nohvn6lz5F1upoldwo1_1280.jpg" imagesrc="http://41.media.tumblr.com/acabe9e14e5f1ba15471629c7a4b3b4c/tumblr_nohvn6lz5F1upoldwo1_1280.jpg"] Visibility soll Künstlerinnen sichtbar machen. Björk ist eine der bekannteren Unterstützerinnen. (Quelle)

"Es geht um Sichtbarkeit", erklärt Ena Lind, DJ und Produzentin aus Berlin. "Wir müssen aktiv Vorbilder schaffen. Das Fotoprojekt soll zeigen, dass es genug weibliche Profis in der Elektroszene gibt. Sie müssen nur gebucht werden. Dann ziehen auch diese Scheinargumente nicht mehr." Sie selbst kann sich mittlerweile aussuchen, wo sie auflegt. Sie hat alle wichtigen Clubs in Berlin, Paris und New York beschallt. Früher war das anders. "Es gab schon immer wieder Techniker, die mir die Plattenspieler erklären wollten. Aber auch aus dem Publikum kommt ab und zu ein ‚für ’ne Frau legst du ja ganz gut auf.’"

Besonders am Anfang der Karriere fehlte ihr das Kumpelnetzwerk. Männer würden sich gegenseitig weiter vermitteln, sie seien von Anfang an besser vernetzt und würden deshalb häufiger gebucht, meint Lind. "Das war schon in den Achtzigern so. Auch heute greifen männliche Booker bis auf wenige Ausnahmen automatisch eher auf männliche DJs zurück, weil sie es so gewohnt sind."

Etablierte Künstlerinnen wollen schon lange nicht mehr auf ihr Frausein angesprochen werden – eine Haltung, die man sich leisten können muss.



Ena Lind hat deshalb vor zwei Jahren die Kursreihe Mint gegründet, einen regelmäßigen Workshop für Frauen. Keine "Mädchenkurse", sondern ganz trockene Technikfortbildungen für Anfängerinnen und Profis. Obwohl die Kurse nur für weibliche Teilnehmer ausgeschrieben sind, bewerben sich immer wieder Männer. Vielleicht, sagt Lind, sei es genau diese Mischung aus Selbstbewusstsein und Dreistigkeit, die Erfolg bringt, unabhängig vom Geschlecht.

Etablierte Künstlerinnen wie Tama Sumo, Emika oder Laurel Halo wollen schon lange nicht mehr auf ihr Frausein angesprochen werden. Eine Haltung, die sich nur die erlauben können, die schon ganz oben angekommen sind. Für viele andere sind Sonderveranstaltungen die einzige Chance, überhaupt gehört zu werden. Das Münchner Harry Klein ruft seit mehreren Jahren einen ganzen "Frauenmonat" aus. 31 Tage lang wird der Club nur von weiblichen DJs bespielt. Danach läuft der Betrieb wie gewöhnlich weiter. Mit der üblichen bescheidenen Frauenquote. Für Ena Lind haben diese "Mädchenveranstaltungen" nichts mit dem Alltag der Musikindustrie zu tun. "Solche Frauenevents sprechen die normalen Partygäste nicht an. Die machen Frausein zu etwas Besonderem, dabei wollen wir doch eigentlich das Gegenteil. Es soll ganz normal sein, dass in angesagten Clubs eine Frau am Mischpult steht."

Ein Frauenquote für Clubs und Festivals könnte aber auch helfen, findet sie. "Natürlich kann man das nicht von heute auf morgen ändern. Momentan gibt es viel scharfe Kritik an rein männlichen Clubbesetzungen. Ein Ziel könnte ja sein, erst mal aus dem einstelligen Bereich rauszukommen. Nächstes Jahr sehen die Festivals dann vielleicht schon ein kleines bisschen anders aus."

Die Krise in Zwei-Cent-Stücken

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Kunst, die die Euro-Krise kommentiert, gab es schon oft. Aber selten so anschaulich wie vor ein paar Tagen an einer Wand in Bilbao. Dort strahlte den Passanten in glänzendem Kupfer das Wort „Crisis“ entgegen. Der Street-Artist SpY hatte es dort angebracht, zusammengesetzt aus 50.000 Zwei-Cent-Stücken.

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Eigentlich ist ein Zwei-Cent-Stück eine lächerliche Geldeinheit. Kupfergeld ist die Nervensäge des Geldbeutels, nur geschaffen, damit Supermärkte mit ihren 1,98-Preisschildern billige Waren suggerieren können. Viele nehmen ihre Ein- bis Fünf-Centstücke regelmäßig aus ihrem Geldbeutel und füllen sie in Sammelbehältnisse zu Hause, die sie dann einmal im Jahr zur Bank bringen. Ein Zwei-Cent-Stück auf der Straße ist deshalb für viele kein Grund, stehen zu bleiben und sich zu bücken.

An Spys Münzen-Tag blieben viele Leute stehen. Und nicht nur das: Sie kratzten das Geld von der Wand. Das Kunstwerk war nach 24 Stunden komplett abgeerntet. Und das sagt vielleicht mehr darüber, wie es den Menschen geht, als viele Arbeitslosenstatistiken.

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christian-helten

Welcome to Marzahn

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So weit, so schön: Der Entwurf für die Marzahn Hills.

jetzt.de: Ein Hollywoodschild für einen Berliner Stadtteil – da denken vermutlich viele erstmal: wollen die da in Marzahn einen auf dicke Hose machen, oder was?

Karoline Köber: Wir wollen weder auf dicke Hose machen, noch wollen wir den Bezirk zu einem Szeneviertel umfunktionieren. Hinter dem Projekt steckt die einfache Idee, Menschen anzuregen, den Bezirk von innen statt von außen zu betrachten.

Wofür steht Marzahn denn Ihrer Meinung nach von außen betrachtet?

Nicole Mühlberg: Viele Menschen von außerhalb assoziieren Marzahn mit Plattenbau, Hartz IV und sozialem Brennpunkt. Einige sagen auch, dass der Name Marzahn allein schon rau klingt und an Frau Mahlzahn von Jim Knopf erinnere – die Drachendame mit nur einem langen Zahn im Maul, die Kinder quält.

Dabei ist es in Marzahn in Wirklichkeit ganz nett?
Für uns ist es der Ort, an dem wir die meiste Zeit unseres Lebens verbracht haben. Natürlich dominieren die Plattenbauten in Marzahn, aber man findet zwischen den Häuserblocks auch Natur und Kultur, man muss nur hinsehen.

Wie verbringt man einen Tag in Marzahn am besten?
Ein Tag in Marzahn beginnt architekturgeschichtlich am alten Sojus am Helene-Weige Platz, dann geht's weiter in die Natur auf den Ahrensfelder Berg, von dem man über ganz Marzahn gucken kann, und zur Bisonfamilie am Fuße des Ahrensfelder Berges, später dann ins dorfige Alt-Marzahn Abendessen in den Landkrug.

Und wie reagieren die Marzahner auf Ihre Initiative?

Karoline Köber: Uns erreichen viele positive Rückmeldungen, von Marzahner Sportvereinen, Privatpersonen bis hin zu Hotels. Viele Marzahner finden – wie wir – die Idee witzig, mutig und selbstbewusst und wollen die Idee umgesetzt sehen.

Trotzdem steht das Hollywoodschild ja eher für Glamour, als für Hartz IV.
 
Empfinden Sie das so? Etwa 300.000 Schauspieler leben in L.A., davon haben rund 95% keinen Job in der Filmindustrie...das klingt für mich eher nach geplatzten Träumen und harter Realität. Erfolg und Bedeutungslosigkeit, Armut und Reichtum, Illusion und Wirklichkeit scheinen also dicht beieinander zu liegen. Letztlich gilt das doch für jede Stadt, für jeden Bezirk – es herrschen Gegensätze: auch in Marzahn. Marzahn ist grün und grau, Dichte und Freiraum, arm und reich, dick und dünn und natürlich auch Klischee und Wirklichkeit. Der Schriftzug ist daher ein selbstbewusster Umgang mit dem immer wieder zitierten schlechten Image des Bezirks ironisch umzugehen und sehr authentisch.

Also liegen Marzahn und Hollywood gar nicht so weit auseinander?

Nicole Mühlberg: Na, doch noch ein bissel. Aber Marzahn verändert sich und wir haben manchmal das Gefühl, dass diese Veränderungen nicht wahrgenommen werden. Es ist halt einfach, alte Stereotypen stetig zu reproduzieren.

Glauben Sie, Marzahn wird tatsächlich attraktiver durch den Schriftzug auf dem Hügel?
Karoline Köber: Uns geht es nicht darum, den Bezirk attraktiver zu machen. Marzahn Hills soll einen Anstoß geben – Menschen motivieren, sich selbst ein Bild zu verschaffen.

Was zieh' ich an?

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Früher war nicht alles besser, aber manches leichter. Als Kind musste ich nie darüber nachdenken, wo ich jetzt was zu Essen herkriege und wann ich losmuss zur Schule, weil Mama gekocht und mir Bescheid gesagt hat. Ich musste auch keine Friseurtermine ausmachen (sie hat da angerufen) und nie darüber nachdenken, was ich anziehe (sie hat die Klamotten rausgelegt). Und manchmal wünsche ich mir, es wäre mal wieder so. Wenn der Magen knurrt und ich keine Lust habe zu kochen, zum Beispiel. Oder wenn ich morgens sehr, sehr müde im Bademantel vorm Schrank stehe und nicht weiß, was ich anziehen soll.

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"Clueless" mit Pioniergedanken: Einen Outfit-Generator gibt es in der Realität erst jetzt.

Zumindest für das zweite Problem (oder: „Problem“) gibt es jetzt eine Lösung. Naja, fast. Informatiker aus Toronto und Spanien haben gemeinsam ein Programm entwickelt, das sich mit Mode auskennt. Gelernt hat es das von einem Fashion Blog namens „Chictopia“, tausende Bilder wurden eingepflegt und je höher sie von den Blog-Lesern bewertet wurden, desto relevanter oder „modischer“ werden sie auch von dem Programm gewertet. Und jetzt kann es dem Nutzer sagen, was er anziehen soll, beziehungsweise, was zu was am besten passt. Man lädt einfach ein Selfie hoch, auf dem man etwas anhat (ja, ein bisschen was muss man schon anhaben) und der Computer macht auf Basis seiner modischen Daten einen Vorschlag, welche Schuhe dazu passen oder welche Farbe man noch ergänzen sollte. Und weil Mode ja auch viel mit den äußerem Umständen zu tun hat, rechnet das Programm auch den Zeitpunkt ein, an dem das Bild gemacht wurde, den Ort, an dem die Person sich befand, und den Hintergrund, vor dem sie steht. Diese Infos werden mit denen des Nutzers abgeglichen, damit er einen Vorschlag bekommt, der nicht nur gut zu seinem Outfit passt, sondern auch zu seiner aktuellen Situation.

Natürlich gab es auch schon Kritik an der Erfindung. Und natürlich kam die von jemandem aus der Modewelt. Alexandra Greenawalt, eine Stylistin aus New York, sagt, dass ein Computerprogramm nun mal nicht alle Faktoren mit einrechnen könne, die für ein gelungenes Outfit eine Rolle spielen: das Alter, der Beruf, die Körperform und so weiter. Trotzdem ist sie auf die Weiterentwicklung des Programms gespannt. Und fragt sich, ob es vielleicht irgendwann Modeprognosen errechnen kann, also weiß, was modern wird, bevor es modern ist.

Vorschlag von unserer Seite: Um das Programm zu perfektionieren, müsste man noch eine Liste mit verschiedenen Stimmungen und Befindlichkeiten einbauen, aus der man auswählen kann. Damit das Programm einkalkuliert, wenn man gerade einen Kater hat oder man aus dem zweiwöchigen Karibikurlaub kommt. Mama wusste ja meistens auch, wie man sich gerade fühlt.

Nadja Schlüter

Der Heimat-Holzhammer

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Es fing an mit der Freundin aus Berlin. Sie schaute mich mit halb entsetztem Blick an und fragte: "Was ist denn bei euch los? Sind wir wieder im vorletzten Jahrhundert?" Als sie am Hauptbahnhof aus dem Zug stieg, klatschte ihr von der größten Werbetafel ein Satz ins Gesicht. "Ein Herz für Preiß’n. Den Rest für Bayern."  

Mit dem Satz wirbt gerade ein Schokoladenhersteller für eine Art Praline, die es offenbar auch in Herzform gibt. Dann setzte sich die Freundin in die U-Bahn und las auf dem erstbesten Plakat: "Kochen ist für Preußen."  

Eine Werbung für einen Essens-Lieferdienst, eigentlich harmlos. Aber die Freundin fühlte sich komisch. "Diskriminiert" wäre übertrieben, aber latent unwillkommen, sagte sie, in einer Stadt, die sie als weltoffen, als zugewandt, herzlich und modern in Erinnerung gehabt hatte. Warum, fragte sie mich, macht ihr das in München neuerdings? Werbung mit Vorurteilen aus dem 19. Jahrhundert, in dem das Königreich Preußen der Erzfeind der Bayern war? 



"Hoam sweet Hoam": Immer öfter klingt Werbung in München so, als richte sie sich an Provinzbewohner mit solidem Vorurteil gegen den Rest der Welt. 


Nun ja, dachte ich. Man kann sich seine Probleme auch suchen. Aber dann fuhr ich mit der Frage im Kopf ein paar Tage mit dem Rad durch die Stadt. Und sah an Stromkästen Plakate, die für Clubs warben mit dem Wort "Dahoam". Ich sah FC-Bayern-Shirts und -Schals mit dem Satz "Mia san Mia", die Telekom warb mit: "Mia san dran." An jeder dritten Litfaßsäule las ich den Spruch: "Mia san Media Markt." Und an einem Fahrradständer neben meiner Wohnung hatte eine Biomarkt-Kette Überzieher auf alle Sättel gestülpt. Grotesker als Plastiküberzieher von einem Biomarkt war nur noch der darauf gedruckte Satz: "Mia san Bio". 

Seither verstehe ich die Freundin. Die Straßen in München sind links und rechts vollgekleistert mit Lokalpatriotismus und Heimatkitsch. An jeder Ecke apelliert irgendwer mit dumpfester Rhetorik an unser Heimatgefühl und will damit irgendwas verkaufen. Schon verständlich: Die Firmen wollen sich mit den Menschen vor den Plakaten verbrüdern. Damit die nämlich Handyverträge, Bier oder Hausmachersenf bei ihnen kaufen. Bei den Menschen auf der Straße ist der Wohnort eben der kleinste gemeinsame Nenner. Und wenn jeder, der sich in München wohlfühlt, auch gleich noch Kunde der Telekom wird oder Schokopralinen kauft – die Unternehmen wären am Ziel!  

Aber – ernsthaft? Glauben die wirklich, dass jeder, der sich in München wohlfühlt, ein Produkt bevorzugt, das so tut, als sei es urmünchnerisch? Und zwar, indem es ein wahlloses Attribut an die Phrase "Mia san..." hängt, irgendwas mit "dahoam" fabuliert oder einen Witz auf die Preiß’n macht?  

Mit dem "Finale dahoam" fing es an - und ist seither nur noch schlimmer geworden


2012 fing das an, als der FC Bayern das Championsleague-Finale erreichte, das postwendend von der Presse zum "Finale dahoam" umgewidmet wurde. Drei Wochen lang wurde der Begriff "dahoam" zur Weltformel des Münchner Marketings: Von Neuwagen über Internet-Flatrates und Butterbrezen wurde in jeden Werbeclaim der Zusatz "dahoam" eingerührt. Der Tiefpunkt war erreicht, als die Allianz für eine Anzeige den Satz "Hoam sweet Hoam" erfand. Nur hat sich der ganze Irrsinn nie wieder richtig verabschiedet.  

Woher kommt dieser Quatsch? Anruf bei zwei Fachleuten, Torben Otten und Georg Baur, Kreativdirektoren bei der Agentur Thjnk. "Kleine Firmen, die Produkte aus der Region beziehen, haben einen echten Trend geschaffen", sagen sie. "Deshalb fühlt man sich bei den großen Marken heute oft ziemlich verloren. Um das immergleiche Angebot wieder relevant zu machen, biedert man sich eben an lokale Sprachgewohnheiten an. In Bayern schreibt man 'Mia san X', in Köln 'Mir lasse de X in Y' und in Berlin 'Icke, ditte, wa?'"   

Dabei ist die interessantere Frage ja ohnehin: Wenn man uns mit dümmlichen Heimatphrasen und ekligen Klischees aus den Zeiten der Kleinstaaterei kriegt – was sagt das eigentlich über uns Münchner aus? Denn es liegt ja auch an uns, wie man um uns wirbt. "Wem ist es schon egal, ob ein Produkt aus Deutschland oder Russland kommt?", sagt Georg Baur. "Konsumenten sind wählerisch." 

Von "Mia san mia" ist es nur ein kleiner gedanklicher Schritt bis zu "Das Boot ist voll"  


Und im nächsten Schritt können wir ja überlegen: Wenn Firmen an jeder dritten Litfaßsäule so tun, als wäre der typische Münchner ein bayerisch glucksender Almbauer mit solidem Vorurteil gegen den Rest der Welt – was macht das mit der Außenwirkung unserer Stadt?

Denn der Satz "Mia san mia" lässt sich zwar schon auch so übersetzen wie es die PR-Abteilung des FC Bayern gerne tut, nämlich mit "We are who we are". Wir sind, wer wir sind, und müssen es niemandem rechtmachen. Klingt griffig, ist aber nur die bemüht sympathischste Deutung. Eigentlich transportiert "Mia san mia" ja etwas anderes: Nämlich bräsige Selbstzufriedenheit inklusive Ausgrenzung alles Anderen, Auswärtigen oder eben nicht zum "Mia" gehörigen. Und, um nun sicherheitshalber auch mal die unsympathischste Deutung durchzuspielen, die einem so einfallen könnte: Von "Mia san mia" ist es eigentlich nur noch ein kleiner gedanklicher Schritt bis zu "Das Boot ist voll". 

Peter Martin sieht das ähnlich. Er ist Kommunikationsexperte und leitet eine große Münchner Markenagentur. Er ist genervt von der Plumpheit, mit der der Münchner Regionalstolz für Werbung verwurstet wird. "Heimatverbundenheit ist ein einfaches, aber penetrantes Mittel, um Marken Identität zu verleihen", sagt er. "Es wirkt in vielen Fällen ausgesprochen einfallslos."  

Der neue Werbeclip für Bayern: Menschen diverser Hautfarben, ein Roboter und der Satz "Welcome dahoam"


Martin hat deshalb vor ein paar Monaten eine Kampagne namens "Mia san mehr" gestartet. Als Zeichen der Weltoffenheit und Toleranz hängte seine Agentur an mehrere Stellen der Stadt Plakate, die das Münchner Kindl mit Symbolen aller fünf Weltreligionen zeigen. Das "Open Kindl" wurde auch als Schablone, Turnsack und Poster verkauft, die Erlöse gingen an ein Flüchtlingsprojekt. 

"Wir wollten damit das Gegenteil dieses vermeintlichen Stolzes ausdrücken", sagt Martin. "Wir haben nichts gegen München einzuwenden, aber es nervt, wenn Werber mit diesem Heimatgefühl hausieren gehen. Seid tolerant, bildet euch nicht so viel darauf ein, aus Bayern zu kommen! Die Welt ist groß, und es ist eine Bereicherung, wenn in München Menschen mit verschiedenen Weltanschauungen leben."  

Bei allem Lob, das die Stadtverwaltung der Kampagne aussprach – sie verbot das "Open Kindl" dann doch. Das Hoheitszeichen der Stadt dürfe nur sie selbst verwenden. Dafür wirbt seit dem G7-Gipfel der Freistaat Bayern mit einem interessanten neuen Clip für sich selbst. Den Link hat mir meine Berliner Freundin gemailt, sie kann inzwischen drüber lachen. In dem Clip tanzen viele sympathische Menschen diverser Hautfarben, ein paar spielen Gitarre im Englischen Garten, ein paar Roboter schrauben einen BMW zusammen.  

Oh, denkt man kurz, eine bunte Stadt der Zukunft, ein weltbauchnabeliger Ort der Freiheit, der Offenheit, wo ausländische Fußballtrainer bestimmt nicht genötigt werden, sich in einer Lederhose fotografieren zu lassen und einen Brocken Bayrisch in ein Mikrofon zu stammeln. Wo man auch mal fremd sein darf, ohne sich anstrengen zu müssen, auch einer von "Mia" zu sein. Aber dann taucht Horst Seehofer im Bild auf. Und brummt mit ministerpräsidential kumpeligem Lächeln den grotesken Satz: "Welcome dahoam." 

Es wanzen sich also jetzt nicht mehr nur verzweifelte Firmen mit einer Soße aus Heimatkitsch und regionaler Selbstgefälligkeit an uns ran, sondern auch noch der Freistaat Bayern selbst. In unserem Namen, an die ganze Welt. Na Servus.
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