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Schlaf bei mir!

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Im vergangenen Jahr gab es eine Phase, in der ich oft bei Freunden übernachtet habe. Eher aus einer Not heraus, aber das tut nichts zur Sache. Zur Sache tut, dass es schön war. Und ich mich fragte, warum man es eigentlich nicht öfter macht.





Man hat es ja mal öfter gemacht. Bloß hat das irgendwann aufgehört. In meiner Erinnerung haben vom Grundschul- bis ins Teenageralter hinein alle dauernd beieinander übernachtet. Als ich noch ein richtiges Kind war, war das jedes Mal etwas Besonderes. Beide Seiten, Übernachtungsgast und Übernachtungsgastgeber, mussten die Eltern explizit um Erlaubnis fragen. Man hat eine Tasche gepackt, in der lauter Dinge waren, die man eigentlich nur Zuhause benutzt, maximal noch im Ferienhaus, in das man mit der Familie fährt: eine Zahnbürste, der Schlafanzug, das liebste Stofftier. Mama hat kontrolliert, ob auch nichts fehlt. Diese Tasche hat man dann zur besten Freundin oder zum besten Freund transportiert. Man hat dort den Schlafanzug angezogen und sich sehr speziell gefühlt, denn man war in einer Hülle, in der man sonst nur im eigenen Bett und im eigenen Bad steckte, man trug diese Hülle in einer fremden Umgebung, man hatte ein ganz heimeliges und ganz fremdes Gefühl auf einmal.

Und man bekam Ausnahmeerlaubnisse. Ausnahmsweise nach dem Abendbrot noch was Süßes essen. Ausnahmsweise länger wach bleiben. Und wenn dann doch das Licht gelöscht wurde, sprach man noch im Dunkeln, flüsternd, alles wurde ein bisschen heimlicher, alle wurden immer müder und man schlief ein und war dabei schon gespannt, wer am nächsten Morgen wohl als erstes wach sein und den anderen schlafen sehen würde. Und überhaupt das Aufwachen: Da war einfach direkt jemand! Und zwar nicht ein Elternteil oder der nervige kleine Bruder, das wäre ja gewöhnlich gewesen, sondern jemand, den man sich ausgesucht hatte. Und der krönende Abschluss der ganzen Übernachtungsaktion war das fremde Frühstück, bei dem Dinge auf den Tisch kamen, die es Zuhause nicht gab, was sogar dann aufregend war, wenn es bloß der Junge Gouda von Rewe und nicht der von Edeka war.

Als Teenager packte man die Tasche zwar selbst, doch das Gefühl blieb, das Fremd-Heimelige, das So-ähnlich-wie-Ferien, das sich von echten Ferien darin unterschied, dass einer ja gar nicht fremd war an diesem Ort, sondern Zuhause. Und dann blieb man ewig wach und redete, denn es redet sich nie besser und ehrlicher als liegend und im Schlafanzug, und dann schlief man und dann wurde es wieder hell und man war sich unfassbar vertraut. Schlaf ist ja etwas sehr Privates. Wenn man den eigenen Schlaf woanders hinbringt, dann bringt man sehr viel von sich selbst dorthin.

Wieso den Abend hinten abschneiden, wenn man ihn auch ausschleichen kann?


Wenn man dann langsam erwachsen wird, hört es auf. Man schläft nicht mehr bei Freunden, sondern nur noch bei dem Freund oder der Freundin. Man macht einen Führerschein und kann immer nach Hause fahren. Alle anderen haben auf einmal auch feste Freunde und Freundinnen, die den Übernachtungszuschlag bekommen. Man zieht daheim aus und es verliert den Reiz, woanders zu übernachten, denn man übernachtet jetzt quasi jeden Tag woanders und gleichzeitig im ganz eigenen Zuhause, darauf muss man ja auch erstmal klarkommen. Und dann ist man einfach zu alt dafür. Erwachsene übernachten nicht mehr beieinander, außer, man besucht sich übers Wochenende in einer anderen Stadt. Aber einfach so, in der eigenen Stadt, passiert das nicht.

Dabei sollte es. Das Blöde an schönen Abenden ist ja oft, dass einer irgendwann gehen muss. Im schlimmsten Falle auch noch durch die Kälte. Und je älter man wird, desto größer wird auch die Sorge, der andere könne sich wünschen, man würde endlich gehen. Man geht aus Höflichkeit, obwohl vielleicht beide einfach nur müde sind und gerne schlafen würden – aber das muss man ja nicht in zwei verschiedenen Vierteln tun. Wieso den Abend immer hinten abschneiden, wenn man ihn auch ausschleichen kann, indem man sich hinlegt, noch ein bisschen murmelt und dann einschläft? Man sollte das schöne Gefühl von früher wieder zurückholen ins eigene Leben, das Fremd-Heimelige. Man fühlt sich gut aufgehoben, wenn man bei Freunden übernachtet. Und es ist schön zu merken, dass man ein Zuhause hat, aber dass es auch noch andere Orte gibt, an denen man den Schlafanzug tragen kann und es irgendwie richtig ist.

Wenn ich genauer drüber nachdenke, dann tut es vielleicht doch etwas zur Sache, dass ich im vergangenen Jahr aus einer Not heraus bei Freunden schlief. Denn: Das Übernachten hat die Not gelindert. Das kann es nämlich auch. Darum und weil es so schön ist, sollte man es wieder öfter tun. Man denkt ja immer, man sei da rausgewachsen wie aus dem alten Frottee-Schlafanzug. Aber das stimmt nicht. Der innere Frottee-Schlafanzug passt immer noch. Man muss sich nur trauen, ihn mal wieder anzuziehen.

Wir Avatare

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Eine der erfolgreichsten Apps der Stunde heißt „MyIdol“, kommt aus China, führt derzeit die App-Charts an und funktioniert ungefähr so: Man lädt ein Foto von sich selbst, einem Freund oder einem heißgehassten Feind hoch, die App verwandelt dieses in einen cartoonhaften Avatar und animiert es schließlich zu einem dadaistisch bis verstörend anmutenden Kurzvideo.

Einige Beispiele gibt es hier,hier und hier. Und eine Tierversion gibt es selbstverfreilich auch.




Morgan Freeman im Pandakostüm auf einem Eisthron. Alles klar?

Freunde, Feinde oder sich selbst ins sogenannte „Uncanny Valley“ zu befördern, scheint Menschen auf der ganzen Welt zu faszinieren: Die App trendet global, obwohl sie ausschließlich auf Chinesisch erhältlich ist.

Der Begriff „Uncanny Valley“, also „unheimliches Tal“, wurde erstmals von dem japanischen Robotiker Masahiro Mori verwendet, um den verstörenden Effekt einer schlecht getroffenen Computeranimation zu beschreiben: Gelingt die künstliche Nachbildung eines Lebewesens nicht hochprozentig, stürzt die Wohlfühlkurve des Betrachters massiv ein – die Figur wirkt auf ihn nicht nur unstimmig, sondern intuitiv gruselig und zombiehaft.

Gepaart mit den absurden Setting-Optionen der App (Eine Table-Dance-Stange, ein Eisthron, ...) ergibt das natürlich einen Trash-Overkill – der die Menschen amüsiert. Jeder will einmal die „Uncanny Version“ von sich selbst sehen und lädt die App runter. Und hat er sie einmal, ist er natürlich verleitet, auch andere Menschen in das unheimliche Tal der Avataranimation zu stürzen.

Vielleicht steckt dahinter nichts weiter als kurzweilige Neugier. Vielleicht aber erzählt der Erfolg von „MyIdol“ auch von der Sehnsucht des Menschen nach dem endgültigen Eingeständnis seiner Sinnlosigkeit: Wenn doch eh die Menschheit sich selbst zugrunde richtet, die Katze sich dauernd in den Schwanz beißt und jeder einmal sterben muss, dann kann man die Lächerlichkeit unserer Existenz genauso gut noch einmal bejubeln.

mercedes-lauenstein



Magische Haarpuschel

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“Ich habe meine Haare nie gemocht”, sagt Natalie McGriff, ein schwarzes Mädchen mit lustigen, bunt gefärbten Haarpuscheln auf dem Kopf, “ich wollte immer glatte Haare haben wie alle anderen.” Natalies Mutter weiß aus eigener Erfahrung, wie sich das anfühlt - und hat mit ihrer siebenjährigen Tochter kurzerhand einen Superhelden-Comic geschrieben, dessen Hauptfigur Moxie Natalie nicht nur sehr ähnlich sieht, sondern auch von den gleichen Sorgen geplagt ist: Auch Moxie ist nicht zufrieden mit sich selbst, mit ihrer Haut und ihren Haaren - bis sie diese mit einem Zaubershampoo wäscht, das ihren Haarpuscheln magische Kräfte verleiht. So kann Moxie die Bücherei in ihrer Heimatstadt Jacksonville vor bücherfressenden Monstern bewahren.

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Auf dem Crowdfunding-Festival One Sparks haben Mutter und Tochter mit dieser Idee in der Kategorie “Education” den ersten Platz gemacht und einen Betrag von mehr als 16.000 Dollar zusammenbekommen; mithilfe des Geldes soll der Comicstrip in kleiner Auflage gedruckt werden und ab Juni in den Buchläden rund um Jacksonville erhältlich sein.

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“Ich wollte Natalies Selbstbewusstsein stärken und ihr Lust aufs Lesen machen”, erzählt Angela Nixon, Natalies Mutter. Überhaupt sei es Zeit, dass es eine Superheldenfigur gebe, in der sich dunkelhäutige Mädchen wiedererkennen. Die Botschaft sei ganz einfach: “Liebe, wer du bist, deine Hautfarbe, deine Haare, denn du bist wunderbar!”

"Ich traue den Erwachsenen immer noch nicht"

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Offiziell hat die elfte Tocotronic-Platte, die am 1. Mai erscheint, keinen Namen. Inoffiziell heißt sie „Das rote Album“. Das Rot hat einen Grund: Die Farbe ist die der Liebe, und vor allem darum geht es in jedem der zwölf Songs. Darüber haben wir uns also auch mit Sänger und Texter Dirk von Lowtzow (44) und Bassist Jan Müller (43) in Berlin unterhalten.
   
jetzt.de: Dirk, im Song „Die Erwachsenen“, der auch die erste Single des neuen Albums ist, singst du: „Wir wollen in unseren Zimmern liegen und knutschen / Bis wir müde sind.“ Ist das ein aktueller Wunsch?
Dirk von Lowtzow: Naja, der Wunsch ist unverändert da, aber in dem Song beschreibe ich natürlich einen Zustand aus der Jugend. Aktuelle Knutscherlebnisse würde ich weniger pubertär formulieren.
Die erste Zeile lautet: „Man kann den Erwachsenen nicht trauen“. Habt ihr das denn getan?
Dirk von Lowtzow: Nee, und ich glaube, ich traue den Erwachsenen immer noch nicht. Das Problem ist, dass man halt erwachsen ist.




Dirk von Lowtzow und Jan Müller sind die in der Mitte.

Seid ihr gerne Teenager gewesen?
Jan Müller: Für mich war das eigentlich eine schwierige Zeit. Den Zustand der jugendlichen Leichtigkeit hatte ich so nicht. Für mich war die Pubertät von großen Irritationen geprägt. Ich finde dieses Lied auch deshalb so schön, weil es sich an Jugendliche richtet und ein bisschen utopisch an die eigene Jugend erinnert. Ich bin jetzt viel glücklicher – und überhaupt ganz glücklich, erwachsen zu sein.
Dirk von Lowtzow: Ich habe meine Pubertät nicht als so eine wahnsinnig schwere Zeit empfunden wie Jan. Ich war unglaublich viel damit beschäftigt, mich in einen subkulturellen Zusammenhang zu träumen, den es nicht gab. Ich bin nicht wie Jan in Hamburg aufgewachsen, sondern in der totalen Provinz: In einer Reihenhaussiedlung in einem Vorort von Offenburg. Öder geht es gar nicht mehr.

Also hast du dich in eine Phantasiewelt geflüchtet?
Dirk von Lowtzow: Die Welt war schon da, nur nicht für uns. Zusammen mit fünf, sechs Freundinnen und Freunden habe ich im Wäschetrockenkeller meiner Eltern Videos gedreht, oder wir haben uns fiktive Plattencover ausgedacht für Bands, die noch zu gründen waren. Manchmal habe ich auch selbstentworfene Modestile auf der Straße ausgeführt. Man hat halt irgendwie versucht, sich ein Image zu verschaffen.

In Offenburg.
Dirk von Lowtzow (seufzt): In Offenburg. Von dieser Zeit handelte später unser Song „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“. Studiert habe ich in Freiburg, das war schon besser, und später in Hamburg gab es sie endlich: die Möglichkeit, sich kulturell auszutoben.

Wären eure Teenager-Ichs mit den jetzigen Mittvierzigern Müller und von Lowtzow zufrieden?

Dirk von Lowtzow: Och, ich glaube schon. Ich entspreche weitgehend dem Bild, das ich mir früher von mir gemacht habe. Der Jugendliche, der ich damals war, der würde mich jetzt ganz cool finden.
Jan Müller: Ich bin mir nicht sicher. Ich bin heute ein anderer als der, der ich damals werden wollte. Bei allem Kult, den die Jugend in unserer Gesellschaft genießt, muss man ja mal sagen, dass das nicht die intelligenteste und reflektierteste Zeit des Lebens ist.

Eure letzten Alben habt ihr auf sehr reduzierte Weise aufgenommen. Das rote Album klingt viel opulenter, poppiger und ausufernder produziert als die vorherige Platte „Wie wir leben wollen“.
Dirk von Lowtzow: Ja, das war unsere volle Absicht. Wir wollten ein Pop-Album machen. Das gesamte Klangbild ist viel kristalliner und klarer. „Wie wir leben wollen“ haben wir mit einem Vierspurgerät aufgenommen, was ein sehr eigenwilliges Klangbild ergeben hat. Die Platte war sehr basslastig, mit tiefen Frequenzen und so Sixties-artig, was auch die Idee war. Jetzt wollten wir genau das Gegenteil haben.

Habt ihr euch im Studio umstellen müssen?
Dirk von Lowtzow: Klar, extrem sogar. Wir haben die letzten Alben sehr unmittelbar und live aufgenommen, das war körperlich hart. Wir haben bis zu zehn Stunden ohne Unterbrechung musiziert und waren zu großer Präzision gezwungen.
Jan Müller: Dieses Mal war es eher vom Kopf her anstrengend. Das Körperliche, das man im musikalischen Sinne als „rockig“ bezeichnen kann, hat Platz gemacht für das Poppige – für Konstruktionen und Konzepte.

Das Konzept ist vielleicht das schwierigste überhaupt: Das Album handelt von vorne bis hinten von der Liebe.
Dirk von Lowtzow: Eben. Wenn du dich entschließt, das Thema „Liebe“ in Angriff zu nehmen, musst du zunächst mal als Band sehr viel reden. Da geht es sehr schnell ins Persönliche, auch ins Schmerzhafte. Man verlässt dabei schnell seine Comfort Zone, wie man neudeutsch sagt. Aber der Ausdruck passt.

>>>"Wusstet ihr übrigens, dass Miley Cyrus eine hervorragende Countrysängerin ist? Wirklich toll. Es gibt Aufnahmen, da singt sie wie Dolly Parton.<<<
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Der Titel des Liedes „Ich öffne mich“ war also die Devise?
Dirk von Lowtzow: Genau. Erst mir gegenüber und dann gegenüber den anderen. Mir ist das nicht leicht gefallen. Ich bin vom Wesen her kein sehr offener Mensch. Man gleicht das, was man schreibt, unweigerlich ab mit dem eigenen Leben, den eigenen Erfahrungen. Deshalb ging es bei dieser Platte nicht, um den heißen Brei herumzureden und diese postmodernen Textspielchen zu veranstalten, die ich sonst so mag. Sonst wird es bei diesem Thema schnell zu schwafelig.

Dann also lieber Sätze wie „Ich hafte an dir wie eine Zecke an einem Tier“.

Dirk von Lowtzow: Ja. An diesem Text haben wir lange gearbeitet, damit die Bilder wirklich präzise sind. Ich bin sehr zufrieden, dass wir auf dem roten Album noch mal eine andere Seite von uns preisgeben. Es wäre deprimierend, wenn wir irgendwann in ein bestimmtes Genre abrutschen. Was man tut, will man für sich selber natürlich spannend halten.

Muss man erwachsen sein, um solche Texte schreiben zu können?

Dirk von Lowtzow: Vielleicht. Vielleicht kann man auch ganz jung sein, 20 oder so. Als wir damals anfingen, haben wir sehr unmittelbare Lieder gemacht. Dann wollten wir das Bild korrigieren, das das Publikum von uns hatte, es kamen andere Interessen wie Filme und Literatur hinzu. Es gab auch eine Phase, in der wir Lust hatten, die Lieder immer weiter zu verrätseln, auch, um uns abzugrenzen.
Jan Müller: Ich weiß sehr genau, was Dirk kann und nehme auch Einfluss darauf, in welche Richtung wir uns als Band bewegen. Und ich finde die neuen Lieder jetzt für diesen Augenblick schöner und lässiger, als wenn wir uns noch höher in irgendwelche Diskursrock-Türme hochbegeben hätten.

Stichwort „lässig“. Musikalisch lasst ihr es ganz schön laufen. „Chaos“ und „Solidarität“ sind richtige Countrysongs.
Jan Müller: Einen lässigen Eindruck zu erzeugen, ist gar nicht so einfach. Umso glücklicher sind wir, wenn er denn entsteht.
Dirk von Lowtzow: Dieses Lässige ist tatsächlich etwas, das man erst im höheren Alter draufhat. Country ist ja im Grunde ganz simpel: immer dieselben drei Akkorde. Aber man macht sich keine Vorstellung, wie schwierig es trotzdem ist, einen ausgewogenen, gut komponierten Song zu schreiben.
Jan Müller: Es kommt auch drauf an, wo man herkommt. Hank Williams war jung, als er seine großen Hits schrieb, mit 30 war er schon tot. Wir kommen ja eher aus der wütenden, punkigen Ecke – da ist Country eben eine Sache, die man erst später entdeckt.
Dirk von Lowtzow: Wusstet ihr übrigens, dass Miley Cyrus eine hervorragende Countrysängerin ist? Wirklich toll. Es gibt Aufnahmen, da singt sie wie Dolly Parton.

Würde euch das Freude machen, mal mit so jemandem zusammenzuarbeiten?
Dirk von Lowtzow: Ich hätte nichts dagegen, mit Miley zu arbeiten. Das Interesse ist vielleicht nicht so gegenseitig. Obwohl, man weiß es nicht. Sie schreibt ja auch mit Wayne Coyne von den Flaming Lips.

Wer ist eigentlich der „Rebel Boy“ aus dem gleichnamigen Lied?
Dirk von Lowtzow: Das ist so eine Art Messias, eine luziferische Figur. Literaturgeschichtlich ist es interessant, dass die Linie der Popkultur-Rebellen wie James Dean oder Marlon Brando auf den Schriftsteller Lord Byron zurückgeht. Und Byron wiederum bezog sich auf „Das verlorene Paradies“ von John Milton, der der erste Schriftsteller war, der Satan als Rebellen dargestellt hat: als schönen, jungen, schwermütigen Mann, der gegen seinen Vater Gott aufbegehrt: Das ist die Urform des heutigen Rebellentums.

Man wundert sich fast, dass es einen Song mit diesem Titel von Tocotronic nicht längst gibt.
Dirk von Lowtzow: Wir haben uns damit immer schwergetan, gerade weil es so naheliegend ist. Jetzt auf dem roten Album passt das ganz gut.

Ist „Das Rote Album“ jetzt eigentlich der offizielle Titel der neuen Platte?
Dirk von Lowtzow: Das ist der mündliche Titel. Das Album hat an sich keinen Titel, aber da rot die Farbe der Liebe und die Farbe der Rebellion ist, liegt das auf der Hand.

Du sagst „Ich öffne die Grenzen für dich“ oder „Sie irren, wenn sie sagen, dass dieses Ghetto dein Zuhause ist“. Ist das, bei aller Liebe, nicht schon Politik?
Dirk von Lowtzow: Das hat eine politische Dimension, logisch. Auch „Rebel Boy“ ist für mich politisch. Ich denke an die ganzen jungen Leute, die das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden. Die glauben, dass es keine Zukunft für sie gibt. Dieses Lied ist für die Jugendlichen geschrieben, die sich in unserer durchökonomisierten Welt nicht gut aufgehoben und unbehaglich fühlen. Speziell in Berlin beobachtet man das permanent. Die Stadt ist ein Sammelbecken desillusionierter Menschen aus aller Welt, die es schwer haben – aus Spanien und woher auch immer sie kommen.

Ist das bereits eine politische Aussage, ein Lied „Solidarität“ zu nennen?
Dirk von Lowtzow:„Solidarität“ ist der Versuch, ein Liebeslied zu schreiben, das auch politisch ist. Was in einem linken Kontext Solidarität ist, wäre bei den Christen vielleicht Nächstenliebe. Gleichwohl hat die Liebe als solche mit der Politik überhaupt nichts zu tun.

Mädchen, was macht der Frühling mit euch?

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Liebe Mädchen,

vor ein paar Tagen war ich mit Freund M. laufen. Früher Abend, frühfrühlingshafte Restwärme in der Luft, Menschen vor Kneipen, rauchend, trinkend, lachend, und beobachtend. Vor allem beobachtend. Man schaut ja jetzt grundsätzlich wieder aufmerksamer auf die Welt – die Straßen, die Menschen, die Klamotten und bestimmt - dazu dann aber gleich noch ein paar Fragen - auch auf die Stellen, an denen jetzt wieder keine Klamotten sind.

M. und ich gehen regelmäßig zusammen laufen, was hier nur deshalb relevant ist, weil es mich befähigt, einen Unterschied wahrzunehmen. Man schenkt Joggern sonst ja – und das auch völlig zu Recht – höchstens einen flüchtigen Seitenblick: die rennen, schwitzen, haben einen roten Kopf, tragen beschissene Schuhe und riechen bestimmt auch so. Guckt keiner länger an. An diesem Abend war das anders. Da verharrten viele Blicke auf uns. Immer diesen wunderbaren Moment zu lang. Ganz selten sogar so lang, dass man als nächstens mit einem winzigen Zwinkern rechnet.

Ich kann da natürlich nur wiedergeben, was ich wahrgenommen habe. Was ich dabei nicht ausschließen kann: dass meine Wahrnehmung getrübt war. Vielleicht hatte ich ein unterschätztes Runners-High und die Frauen haben eigentlich nur angewidert den Kopf geschüttelt, weil ich gegafft habe. Vielleicht hing mir auch ein Popel unter der Nase.

Was ich mich seither aber trotzdem frage: Kann’s nicht auch der Frühling gewesen sein? Wirkt der bei euch auch? Und wenn ja, wie? Denn bei uns schlägt der Klimawechsel schon ziemlich gewaltig durch. Stellt euch bitte kurz einen Dackel vor. Einen Dackel, dem ihr Monate lang nur Trockenfutter mit Hüttenkäse in den Fressnapf gegeben habt. Und mit dem ihr dann einen Spaziergang durch dem Hoeneß Uli seine Wurstfabrik macht. Geht dieser Dackel in eurer Vorstellung noch brav bei Fuß? Eben.

Und mit Wurst meine ich jetzt nicht nur ganz plump Spaghettiträger-Tops und Hot-Pants und kurze Röcke und so. Da ist schon noch mehr bei uns im Frühling. Ein Grundzustand eher. Irgendwas schwirrt da in der Luft. Und dann auch im Kopf. Und ich glaube auch irgendwo in der Gegend zwischen Brust und Bauch. Keine Ahnung, ob das jetzt die Hormone sind, oder einfach nur der Temperaturumschwung. Das ist ja schnell mal verwechselt. Jedenfalls fühlt sich dieser Zustand sehr leicht an und sehr offen. Nonverbale Kommunikation, Blickkontakte, ein kleines Lächeln, das alles fällt etwas weniger schwer. Und ich kann tatsächlich so gar nicht verorten, ob das bei euch jetzt auch so ist.

Also bitte erklären: Schaut ihr auch mehr im Frühling? Kennt ihr gar dieses Gefühl, aus dem Schauen gar nicht mehr herauszukommen? Womöglich sogar so, dass es fast schon ein bisschen belastet? So Dackel/Wurst-Niveau? Und wenn ihr denn schaut: Worauf? Auch auf freiliegende Körperteile? Können wir euch mit einem guten Bein auch ein bisschen entzücken? Schultern? Ellenbogen? Rückenpartien? Und nicht vergessen: Bei uns ist es ziemlich genau so wie bei diesem ganz schrecklich großartigen Song.

Also seid lieb!

http://vimeo.com/23476647

>>>>> Die Mädchenantwort von martina-holzapfl >>>>>

[seitenumbruch]




Liebe Jungs,

ihr seid ganz schön süße Dackel. Gute Frage auch! Antwort kommt sofort, nämlich jetzt: Auch wir sind natürlich große Frühlingsfans. Dackel in der Wurstfabrik – davon musst du uns nichts erzählen. Allerdings ist die Wurst in unserem Fall tatsächlich eher nicht explizit auf das von uns favorisierte Geschlecht.

Unsere Frühlingsgefühle gründen sich erst einmal auf das ganze große Gesamtgefühl des werdenden Sommers: Die Sonne steht anders, das Blau am Himmel kriegt einen anderen Ton, irgendwie scheint man am Horizont plötzlich die Weltkugelkrümmung sehen zu können und dahinter die ganze Welt. Alles wird groß und licht und möglich. Die Bäume sind von einem grünen Schleier behangen, das Wasser der Isar glitzert als habe jemand Funkelpulver drauf gestreut und am Eisbach sitzen all jene Nackerten und Halbnackerten mit einen kalten Radler in der Hand herum, die die Stadt eben so hergibt: Ob dick, alt, runzlig, knackig, braun, bleich – völlig wurscht. Hauptsache, sie sind da und wollen auch zur Sonne hin.

Da atmen wir gleich ganz anders, kriegen ordentlich Sauerstoff in die Zellen und ganz große, lebenshungrige Augen. Wir wollen am liebsten überall gleichzeitig hingucken: Auf den krass trainierten Bauch des schönen Mädchens im blauen Bikini, auf die im Licht glühenden Brusthaare des Jungens daneben, auf das Grinsen der mindestens 98-jährigen Gehwagen-Frau, deren Sonnenbrille sie zum größten Italo-Gigolo des ganzen Parks macht, auf den Eismann, der vor seinem Wagen am Baum lehnt und von wer-weiß-was-träumt und auch auf den schon ganz klein gewordenen Opa an der Bushaltestelle, der die alten Augen geschlossen hält und seinen Kopf der Sonne entgegen reckt. Auf den hellen Asphalt und die blitzenden Autodächer und die weißen Wolkenspuren der Flugzeuge am Himmel. Achso, und natürlich: Auf euch Jogger-Jungs, wie ihr, mit einem gar nicht angestrengten, sondern fein beduselten Blick an uns vorbeijoggt.

Schön, freuen wir uns da, dass ihr so entspannt guckt, obwohl so anstrengend beschäftigt! Mei, schön überhaupt alles! Schön, dass die Welt wieder zum Leben erwacht und jeder das mitkriegt. Dass der Blick mal kurz vom eigenen inneren Gegrübel abgelenkt wird und man endlich mal wieder auch die anderen sieht, wie sie das innere Gegrübel beiseite lassen und gemeinsam spüren, was jenseits von Geld-, Erfolgs-, Schönheits- und Liebesproblemen für alle da ist: Der Lauf der Natur.

Es kann natürlich aber sein, das wollen wir gar nicht abstreiten, dass wir in diesem euphorischen Taumel auch empfänglicher werden für Frühlingsgefühle der klassischen Art. Ist ja sozusagen „self-fulfilling-prophecy“ oder so etwas: Wenn ihr uns so duselig anseht und überhaupt alle Menschen so leicht und duselig durch die Welt gehen und sich über ihre Mitmenschen freuen, liegt da ja eine ganz andere Elektrizität in der Luft. Dass wir da schneller mal umherzwinkern oder einen schönen, den Fahrradlenker so herrlich fest umfassenden Jungsunterarm auf einmal ganz schön scharf finden, versteht sich von selbst. Aber weil wir halt die Waden von dem danach vorbeifahrenden Skatermädchen auch so wunder-, wunderschön fest und toll geformt und zum Reinbeißen heiß finden und schon wieder gar nicht mehr wissen, wo wir noch überall hingucken sollen, deuten wir das dann eher als allgemeine Liebe zum Leben und zur Menschheit, und nicht als sexuellen Frühlingsaufschwung.

Wir haben verstanden: KW 17

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  • Das erste Eis des Jahres isst man zähneklappernd: nicht, weil es warm genug ist, sondern weil jetzt endlich die Sonne scheint.

  • Ein Hexenschuss ist die Zeitreise des kleinen Mannes. Einmal falsch heben, schon lebst du fünf Tage wie ein 90-Jähriger!

  • Was man versteht, wenn man ein Wochenende durch London geht (1): Das gemeine Gesichtspiercing kehrt zurück!

  • Was man versteht, wenn man ein Wochenende durch London geht (2): Schlechte Laune mit schlechtem Wetter zu begründen muss eine deutsche Erfindung sein. Weil in London haben immer alle gute Laune.

  • Atmen kann plötzlich etwas sehr Politisches sein. Und Popmusik dann auch.

  • In der Türkei kauft man am Ende doch immer einen Teppich.

  • Man sollte dringend wieder öfter beieinander übernachten. Ganz platonisch! Gerade wenn man denkt, dass man dafür eigentlich zu alt ist.

  • Das bequemste Hotelbett bringt dir gar nichts, wenn im Nachbarzimmer jemand rumschreit.

  • Dalí-Bärte sehen im echten Leben einfach lächerlich aus.

  • Das Zweitschönste beim Pferderennen sind die Pferde-Namen: Dusty Cloud, Ach was, Mister Universum, Paper Moon, Attentionadventure, Action Please, Icing in her name, Serienlohn, Kiss me Kate, Jungleboogie. Und immer so weiter.

  • Bevor jemand fragt: Das Schönste beim Pferderennen sind natürlich die Pferde. Aber die Ansager (die die abgefahrenen Namen während des Rennens laut rufen!) und das mitfiebernde Wett-Publikum sind auch nicht zu verachten.

  • Ehrenamt-Evaluations-Treffen können sich manchmal wie Selbsthilfegruppen anfühlen. Was nicht unbedingt gut ist.

  • Ehrenämtler streiten gerne darüber, ob sie nun Dankbarkeit erwarten dürfen oder nicht. Dabei ist das so müßig.

  • Total müde ungeplant einschlafen ist ein verdammt schönes Gefühl.

  • Einen wunderbaren Aufzug-Textüber Stille beim Aufzugfahren lesen hilft, diese Stille dann mit Zitaten aus dem Text zu füllen.

  • Die Mücken kommen zurück. Zeit, beim Radfahren wieder den Mund zuzumachen.

Das badische Miami

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Ich trete aus dem Bahnhofsgebäude und bin in Florida. Es ist sechs Uhr abends, subtropisch heiß, und da stehen: Palmen. Und zwar nicht nur am Bahnhofsplatz, um arglose Besucher zu täuschen. Sondern auch überall in der Innenstadt. Freiburg ist eine der wärmsten Städte Deutschlands, das hatte ich schon gelesen. Die Wahrheit ist: Es ist ein badisches Miami. 

Kurz darauf sitze ich auf einem blaulackierten Eisenträger und trinke Radler. Alex hat es mitgebracht, mein erster Kontaktmann hier. Der Eisenträger auf der sogenannten "blauen Brücke" ist ein beliebter Treffpunkt, um in vier Metern Höhe die Abendsonne zu genießen. Ringsum sitzen Leute darauf wie biertrinkende Amseln, unter unseren baumelnden Beinen fährt hin und wieder ein Zug durch, vor uns knallt die Abendsonne ins Elsass. 24 Stunden in Freiburg könnten besser kaum starten. 





Alex, 31, arbeitet hier als Umweltingenieur, vorher hat er fast zehn Jahre in Berlin gelebt. Er kennt also beides: die richtige Großstadt und die Unistadt. "Freiburg ist erst mal eine wirklich schöne Stadt", sagt er. Schön und ruhig. Und ruhig erstens im übertragenen Sinn, weil das Leben in einer Stadt mit 200 000 Einwohnern natürlich nicht übertrieben turbulent ist. Aber ruhig auch im ganz wörtlichen Sinn: Das lauteste Geräusch auf den Straßen sind die Fahrradklingeln.  

Klar, Freiburg, die Fahrradstadt. Eine der nachhaltigsten Städte der Welt, sie nennt sich selbst "Green City". Die Umweltschutzbewegung wurde unter anderem hier geboren. Heute ist Freiburg durchzogen von Radwegen in einer Länge von insgesamt 400 Kilometern. Vergleich für Autofahrer: Das entspricht 14 Runden um den Mittleren Ring in München. 

Klischee hin oder her, man kann nicht in Freiburg ankommen, ohne sich über die Fahrräder zu wundern. Schon am Bahnhof wartet ein riesiger Parkturm mit tausenden Rädern, an jeder freien Stelle der Stadt steht ein Zwanziger-Rudel. Die Radwege sind doppelt so breit wie die Bürgersteige, manche haben Abbiegespuren. Hin und wieder sieht man stillgelegte Ampeln, wo offenbar mal eine Autostraße war. Heute fließt da nur ein endloser Strom junger Leute auf teuren Rädern. Und immer wieder grauhaarige Vollbartmänner, die so aussehen, als hätten sie schon mal im Stadtrat einen Pullunder gestrickt. 





Wie ist das, länger hier zu sein? Francesco Wilking kann das beantworten, er hat hier studiert, in den Neunzigern. (Wie übrigens auch Dirk von Lowtzow, den wir hier interviewt haben.) Dann zog Francesco mit seiner Band Tele nach Berlin und wurde, wie Lowtzow, ein Indiestar. "Freiburg ist eine offene Stadt", sagt er am Telefon. "Die Stadt hat, im Gegensatz zu vielen anderen Städten in der Größe, nichts Piefiges."  

Eine Säule aus Plexiglas leuchtet rot, wenn es Zeit ist, mit dem Trinken aufzuhören. 



Allerdings hat Freiburg, wie alle Städte in allen Größen, ein Problem mit jungen nachtaktiven Menschen und sogenannten Anwohnern. In Freiburg betrifft das Problem besonders einen Platz in der Altstadt, an dem Studenten abends auf Stufen sitzen und Bier trinken. Er heißt passenderweise Augustinerplatz. 

Vor ein paar Jahren wollte der grüne Bürgermeister wegen des Lärms den Alkoholkonsum in der Altstadt verbieten. Damit kam er nicht durch, deshalb hatte er  eine andere Idee. Und so steht jetzt mitten auf dem Augustinerplatz eine drei Meter hohe Stehle aus Plexiglas, die grün leuchtet. Sie heißt "Säule der Toleranz", und ab 23 Uhr wird sie rot, was den Trinkenden signalisieren soll: Seid jetzt bitte leise – die Anwohner! "Klappt eher nicht so gut", sagt Alex und sagt auch die Lokalzeitung: Die Stadt muss 2500 Euro im Jahr für die Reinigung der Säule ausgeben.  





Am nächsten Morgen hat Francesco Wilking von Berlin aus ein Frühstück mit Zeitungslektüre im Café Jos Fritz empfohlen. Das ist ein sympathisch alternativ eingerichteter Laden mit gut verlebtem Dielenboden und Besitzer. Nebenan liegt das Radio Dreyeckland, der älteste freie Sender Deutschlands, da hat Francesco Wilking als Student Platten aufgelegt. Hier ist Freiburg noch altlinks wie früher, nicht neugrün wie drüben im Vauban-Viertel, wo junge Familien in Passivhäusern wohnen und schon mal vorsorglich bei der Polizei anrufen, wenn zwei Tage ein Auto rumsteht, dessen Nummernschild sie nicht kennen. Das sagt zumindest Andreas, aber er zwinkert dabei und grinst.  

Nachts gibt es Zitronengras-Whiskey oder Räucherschinken-Wodka. Aber die wahre Attraktion ist tagsüber.



Andreas Schöler betreibt mit Freunden die "Passage 46", eine Art Tunnel unter dem Freiburger Theater, den sie zum Club umgebaut haben. Der Putz an den Wänden ist kunstvoll abgeschlagen, eine Wand ist bis zur Decke mit hunderten Gettoblastern verkleidet. Andi hat in Freiburg Jura studiert. Jetzt zaubert er mit Geräten aus dem Chemielabor die avantgardistischsten Drinks der Stadt, zum Beispiel Zitronengras-Whiskey oder Räucherschinken-Wodka. Und er bucht DJs, die man sonst nur in Manchester oder Berlin zu sehen bekommt.  

"Die Stadt hat aber vor allem tagsüber wahnsinnig viel zu bieten", sagt er. Er meint das Umland, in das Freiburg gebettet ist. Ich sehe es, als ich später auf den Schlossberg steige, der mitten in der Stadt dicht bewaldet in den Himmel ragt: Die Stadt liegt L-förmig zwischen den unendlich grünen Hügeln des Markgräflerlands, am Horizont erkennt man die Ausläufer des Schwarzwalds. Mittendurch gluckert ein Fluss, die Dreisam, am Ufer liegen Studenten mit hochgekrempelten Jeans im Löwenzahn und lesen. "Fahr unbedingt mit dem Rad aus der Stadt raus", hatte Francesco geraten. "Egal in welche Richtung – es wird traumhaft!" Ich radle in Richtung Osten und kann sagen: Stimmt.

Die Freiburger sind eben nicht nur enthusiastische Radfahrer, weil es umweltfreundlich ist. Sondern weil es blanker Irrsinn wäre, in dieser Landschaft und bei diesem Klima nicht die meiste Zeit an der frischen Luft zu verbringen.

Viertelkunde: Freiburg

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Dieser Text erscheint im "Studentenatlas", ein Projekt von jetzt.de und SZ.de. Mehr Infos dazu findest du hier. Eine interaktive Freiburg-Karte für Studenten findest du hier.


Stühlinger



Das bekommst Du hier: die größte Studentensiedlung der Stadt; alternative Cafés; Buchläden; vegane Restaurants; junge Designer und Pop-up-Stores; die Kulturstätte E-Werk mit Theateraufführungen und Konzerten; die „Stühlinger-Brücke“ (auch blaue Brücke genannt), die das Viertel mit der Innenstadt verbindet (besonders im Sommer beliebt: auf der Brüstung sitzen und über die Stadt schauen); einen Hauch urbanen Charme.
Das bekommst Du hier nicht: studentenfreie Locations; einen Döner mit Fleisch, ohne einen vorwurfsvollen Blick zu ernten.
Durchschnittsmiete Stühlinger: 8,20 Euro/qm (Quelle)

Wiehre



Das bekommst Du hierwunderschöne Altbauten; verkehrsberuhigte Zonen; Stadtvillen, in denen unzählige Burschenschaften und Verbindungen wohnen; im besten Falle einen super Ausblick über die Stadt und den angrenzenden Schwarzwald; viele kleine (Bio-)Lebensmittelläden; den alten Wiehre-Bahnhof, in dem Ausstellungen und Sparten-Filme gezeigt werden; kleine Kneipen und Cafés, in denen Akademiker, Künstler und Snobs sitzen und über Michel Houellebecq diskutieren.
Das bekommst Du hier nicht: pädagogisch unwertvolle Spielplätze; Arbeiterklasse; Fahrradwege.
Durchschnittsmiete Wiehre: 9 Euro/qm (Quelle)

Altstadt/Innenstadt



Du bekommst hierdie schönsten Pflastersteine Baden-Württembergs; eine beeindruckende Kneipendichte; die Nähe zum Münsterplatz und dem dazugehörigen Münstermarkt; die Kaiser-Joseph-Straße, auf der fast jede Modemarke vertreten ist; die „Fressgasse“ in der Markthalle, in der man auf engstem Raum Gerichte von jedem Kontinent und aus jedem Kulturkreis probieren kann.
Du bekommst hier nicht: Ruhe am Wochenende; vernünftigen Untergrund für das Fahrrad; kostenlose Parkplätze.
Durchschnittsmiete Altstadt/Innenstadt: 10,25 Euro /qm (Quelle)

Schlabber' doch mal!

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[plugin imagelink link="http://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2015/04/adopted-dog-teton-pitbull-humane-society-utah-15.jpg" imagesrc="http://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2015/04/adopted-dog-teton-pitbull-humane-society-utah-15.jpg"] (Quelle:Guinnevere Shuster/BoredPanda)

Sobald der kleine Vorhang geschlossen wird, ist alles möglich: In Foto-Automaten (die nicht mehr Foto-Automaten, sondern „Photo Booth“ heißen) schneiden wir Grimassen, die wir keinen Fotografen zeigen würden, und gucken so, wie wir gucken wollen, nicht wie ein anderer es vorschlägt oder gar verlangt. Wir inszenieren uns für uns selbst. Das macht ziemlich viel Spaß. Uns Menschen. Aber was passiert, wenn man ein Tier in so eine Fotobox steckt?

Die Fotografin Guinnevere Shuster, die für ihre Hundefotos schon öfter internationale Aufmerksamkeit bekommen hat, hat das ausprobiert und für die Tierrettungsorganisation Humane Society of Utah Hunde in Fotoboxen fotografiert. Das Ergebnis ist ziemlich entzückend und zeigt: Es muss an den Fotoboxen liegen, was da mit den Besuchern passiert, denn egal ob Mensch oder Tier, die Fotos fangen ehrliche, peinliche, herzerweichende Momente ein. Humane Society of Utah hat sich die Aktion übrigens ausgedacht, um für die Hunde auf den Fotos ein neues Zuhause zu suchen. Mit Kontaktanzeigen wie dieser hier:

"Do you like to gossip? So does Chief the 6 month old hound-dog mix. He loves telling everyone all about everything! But don’t worry – unless they speak dog, no one will know your secrets. This sweet and friendly guy would love an active family that will take him on daily romps and teach him how to be a great doggy."

Seit ein paar Wochen werden die Fotos auf Blogs, Twitter und Facebook geteilt. Der Tierrettungsorganisation zufolge mit Erfolg: Vor Ort haben sie schon viele Hunde an neue Besitzer vermittelt – und auf der ganzen Welt für Lacher gesorgt. 

[plugin imagelink link="http://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2015/04/adopted-dog-teton-pitbull-humane-society-utah-24.jpg" imagesrc="http://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2015/04/adopted-dog-teton-pitbull-humane-society-utah-24.jpg"](Quelle:Guinnevere Shuster/BoredPanda)

kathrin-hollmer

Überall Putin bei Jan van Eyck

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[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/CW8W9e6.jpg" imagesrc="http://i.imgur.com/CW8W9e6.jpg"] (Quelle)

Wie nervig das ist, wenn die Begleitung im Museum nur am filigranen Schattendingsbums erkennt, wer der Maler dieses mittelalterlichen Gemäldes ist – ohne in den Übersichtsplan oder die Erklärung an der Wand zu gucken. Und wie bewundernswert. Wer sich nicht merken kann, wer welche Art von Schatten in seinen Bildern einsetzt, dem hilft vielleicht die Übersicht, die der Imgur-User TheCrookedStep veröffentlicht hat und die gerade auf Facebook und Twitter verbreitet wird.

TheCrookedStep fasst die wichtigsten Regeln zusammen, mit denen man die Maler von berühmten Gemälden auf einen Blick erkennt. Nicht an komplizierten Details, die sich kein Mensch merken kann, sondern an teilweise sehr lustigen Beobachtungen: Wenn etwa auf dem Bild alle – auch die Frauen! – wie Putin aussehen, hat es wohl Jan van Eyck gemalt, der Maler der niederländischen Frührenaissance. Sieht man dagegen ein Dutzend Augen und Nasen, aber nur eine Person auf dem Bild, ist es bestimmt ein Picasso. Ist eine Ballerina zu sehen, heißt der Künstler wohl Edgar Degas. Und wenn alle auf dem Bild wie Landstreicher ausssehen, die nur von einer schummrigen Straßenlaterne angeleuchtet werden, ist es mit Sicherheit ein Rembrandt.

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/VMm5uph.jpg" imagesrc="http://i.imgur.com/VMm5uph.jpg"] (Quelle)

Dieses Regeln-Feststellen ist ziemlich berühmt auf Plattformen wie Imgur und Reddit. Der Reddit-User DontTacoBoutIt hat vor zwei Jahren berühmte Gemälde samt Eselsbrücke zum dazugehörigen Künstler gepostet, was sich ebenfalls rasend schnell im Netz verbreitet hat.

Diese Regeln ersetzen sicher keinen Grundkurs Kunstgeschichte, und um die Bilder einzuordnen reicht teilweise auch ein gesundes Allgemeinwissen (wer sich ein bisschen auskennt – oder googelt – weiß, dass die Regeln auch nicht ausnahmslos anzuwenden sind). Dafür ist es wunderbar entlarvend, die stilistischen Merkmale berühmter Künstler auf ein Motiv oder ein anderes widerkehrendes Detail herunterzubrechen. Und leichter zu merken als ein bestimmtes Schattenspiel ist es auch. 

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/7GnPPGh.jpg" imagesrc="http://i.imgur.com/7GnPPGh.jpg"] (Quelle)

kathrin-hollmer

Das ist...Keegan-Michael Key, Obamas Wut-Übersetzer

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Das ist...

Keegan-Michael Key, US-amerikanischer Comedian, Schauspieler und Drehbuchautor. Hauptsächlich kennt man den 44-jährigen aus der Sketch-Comedy-Show "Key & Peele", die seit 2012 auf dem amerikanischen Sender Comedy Central ausgestrahlt wird. Die Show der beiden Afro-Amerikaner spielt hauptsächlich mit gängigen Klischees über die afroamerikanische Bevölkerung und ist seit Jahren ein Kritikerliebling. Richtig berühmt geworden ist Key aber erst vergangenen Samstag auf dem Dinner der Hauptstadt-Korrespondenten in Washington, als er Präsident Barack Obama komödiantisch zur Seite stand. Er spielte seinen "Wut-Übersetzer", gab also nach jedem von Obamas Sätzen wieder, was er in Wirklichkeit sagen wollte:

http://www.youtube.com/watch?v=jpX1bsihugY

Das traditionelle White House Correspondants' Dinner findet seit 1920 alljährlich statt und ist eine Gelegenheit für berühmte Persönlichkeiten, den Präsidenten und dessen Regierung auf humorvolle Art zu kritisieren. Legendär ist auch die Rede von Stephen Colbert.

Vorlage für Keys Auftritt beim Dinner, der ihn international berühmt gemacht hat, ist die Reihe "Obama’s Anger Translator" aus der Key & Peele-Show. Key spielt hier die innere wütende Stimme Obamas, die aus Höflichkeit und Etikette unterdrückt wird:

http://www.youtube.com/watch?v=-qv7k2_lc0M

Der kann…

die wirklich wahren Gefühlen Barack Obamas darstellen und sonst noch sehr viele andere Persönlichkeiten imitieren. Eines der Sketche in Key & Peele behandelt zum Beispiel das Klischee der älteren Südstaaten-Afro-Amerikanerinnen, die schwitzend in der Kirche sitzen und sich während der Messe dem neusten Tratsch hingeben:

http://www.youtube.com/watch?v=a-C9q-Na6_w

Der geht...
auf eine Karriere als international bekannter Schauspieler zu. Mit seinem Kollegen Jordan Peele ist er im Time Magazine als einer der 100 einflussreichsten Personen der Welt aufgelistet. Zu Recht, denn mittlerweile ist der Mitbegründer zweier Improvisationstheater (Detroit Creativity Project" und Planet Ant Theater in Detroit) zu einem begehrten Darsteller geworden. Seine Auftritte reichen von "How I Met Your Mother" bis hin zu "Fargo". In so ziemlich jeder großen Comedyproduktion war er schon vertreten und 2015 wird er uns noch in weiteren Kinofilmen begegnen.

Wir lernen daraus, dass…
Präsidenten auch nur Menschen sind und sich wahrscheinlich oft denken: "Alter, was wollen die denn von mir?" Beim Anblick des diesjährigen Dinners wird klar, wie schön es doch wäre, wenn jeder einen "Wut-Übersetzer" hätte.

Nur Google weiß über ihn, dass...
er auch mal eine Frisur hatte. In den 80ern.

[plugin imagelink link="http://nerdist.com/wp-content/uploads/2014/09/jvc126.jpg" imagesrc="http://nerdist.com/wp-content/uploads/2014/09/jvc126.jpg"]

Freiburg verstehen

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Diese Liste für Neu-Freiburger erscheint im "Studentenatlas", ein Projekt von jetzt.de und SZ.de. Mehr Infos dazu findest du hier. Eine interaktive Freiburg-Karte für Studenten findest du hier.





  1. Freiburg ist die Stadt mit den meisten Sonnenstunden im Jahr. Nach zwei Semestern wirst Du Menschen in Deiner Heimat mit der knackigen Bräune eifersüchtig machen.

  2. Badisch klingt irgendwie doch süß.

  3. Auch süß: Die drei Hochhäuser am Bahnhof werden gerne als „Skyline“ bezeichnet.

  4. An der Dreisam sitzen und Bier aus Sixpacks trinken: Damit kann man mühelos ein ganzes Sommersemester rumkriegen.

  5. Es stimmt, was man über den Südbadener sagt: gutes Essen, freundliche Mentalität.

  6. Auf dem Münstermarkt gibt es ohne Zweifel den besten Käsekuchen der Welt.

  7. Abwechselnd den "Höllentaler" lieben und hassen: Der Talwind kommt vom Schwarzwald und sorgt an heißen Sommertagen für angenehme Abkühlung, in kalten Nächten macht er den Nachhauseweg unerträglich zugig.

  8. Der Freiburger trägt Funktionsjacken, Trekking-Sandalen und Outdoor-Rucksack. Man kann also rumlaufen, wie man will, irgendjemand wird immer schlechter gekleidet sein alls man selbst.

  9. Das Fitness-Studio kann man sich sparen, die 220 Stufen zum Schloßberg-Turm sind Workout genug.

  10. Die "Lange Rote mit" als perfekten Snack entdecken: die lange rote Bratwurst mit gebratenen Zwiebeln auf dem Münstermarkt gehört zu Freiburg wie Badisch und die Bächle. 

  11. Weitere kulinarische Klassiker: Flammenkuchen mit Schmand, Zwiebeln und Speck, sehr zu empfehlen auf dem Freiburger Weinfest. Und die "Scherben" zur Fasnet, ein mit Puderzucker bestäubtes, dünn ausgewalztes Schmalzgebackenes.

  12. Ganz wichtig: Hier feiert man Fasnet. Nicht Fasching, nicht Fasent, und vor allem nicht Karneval. Wer mit dem Ganzen nichts anfangen kann, darf sich zumindest mit "Scherben" trösten, einem zuckersüßen, fettigen Gebäck, das es nur zur fünften Jahreszeit gibt.

  13. Man muss kein glühender Fan des SC Freiburg sein, aber zumindest Sympathie sollte man übrig haben für den Verein. Gewonnene Heimspiele machen die Innenstadt zur Partymeile, bei Niederlagen gibt’s überschwängliches Deprimiertsein. Das Wort "Abstieg" hier nicht zu oft in den Mund nehmen, bitte. Dem Trainer Christian Streich sollte man ausnahmslose Sympathie entgegen bringen. Fällt aber auch gar nicht schwer.

  14. Den Bands, die beim ZeltMusikFestival im Juli auftreten, kann man auch von den Grashügeln vor dem Hauptzelt aus zuhören. Ist fast genauso schön, wie in der ersten Reihe zu stehen. Und der Klang durch die Plane ist überraschend gut.

  15. Ja, der Bundestrainer Jogi Löw wohnt in Freiburg. Ja, er geht in seinem Lieblingscafé am Bahnhof  oft Espresso trinken. Der Freiburger reagiert aber eher betont cool, wenn der Bundestrainer in der Innenstadt spazieren geht. 

Zusammener wohnen

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Ich bin die Letzte, die ins Schlafzimmer kommt. In der Dunkelheit versuche ich auszumachen, wo noch ein Platz für mich im großen Viererbett frei ist. Andi liegt diagonal über der ganzen rechten Doppelmatratze. Luca schläft anscheinend heute mit seiner Freundin im Sexzimmer. Ich kuschele mich also links an die Wand neben Milan und während ich mich von sanften Schnarchgeräuschen in den Schlaf wiegen lasse, nehme ich mir noch ganz fest vor, morgen beim ersten Weckerklingeln aufzustehen – nicht dass ich wieder Ärger kriege, wenn ich eine Stunde lang die Schlummerfunktion benutze und alle aufwachen, außer mir.

Wenn ich anderen davon erzähle, wie ich wohne, blicke ich oft in fassungslose Gesichter. „Was, du schläfst mit allen deinen drei Mitbewohnern in einem Zimmer?!?“ Ja. Und nicht nur das. Wir teilen uns auch ein Arbeitszimmer und ein Wohnzimmer. Außerdem haben wir noch ein Zimmer für Privatsphäre, das wir der Einfachheit halber auch Sexzimmer nennen. „Funktionales Wohnen“ nennt sich das, weil die Zimmer nicht Personen, sondern Funktionen zugeordnet sind.



Beim funktionalen Wohnen teilen alle alles

Wir sind nicht die Einzigen, die das so machen. Ich kenne vier andere WGs in Berlin, die funktional wohnen, und eine Reihe von Leuten, die mal so gelebt haben oder es sich vorstellen könnten. Sehr bekannt ist das Konzept trotzdem nicht. Dementsprechend groß sind oft die Zweifel: Was ist, wenn jemand schnarcht? Wie könnt ihr ruhig schlafen, wenn ihr alle zu unterschiedlichen Zeiten ins Bett geht? Ist denn niemand von euch in einer Beziehung? Nicht selten wird funktionales Wohnen auch mit 68er-Kommunen-Klischees verwechselt. Ich wurde schon gefragt, ob wir in unserem Gemeinschaftsbett jede Nacht wilde Orgien feiern.

Tatsächlich geht es uns bei unserer Form des Zusammenlebens aber nicht darum, möglichst viel Sex miteinander zu haben. Wir sind alle gute Freunde seit der Schulzeit und unsere WG hat eher etwas von einer Familie – in denen ja im Übrigen auch häufig Wohnzimmer oder Schlafzimmer geteilt werden. Schon am Anfang, als noch alle ihr eigenes Zimmer hatten (bis auf Milan, der schlief hinter einem Vorhang im Durchgangszimmer) haben wir oft in einem Bett geschlafen oder uns zusammen gesetzt, wenn wir für die Uni lernen mussten. Das war nur immer sehr eng und unpraktisch. Dann erzählte ich den anderen eines Abends von einer Begegnung mit einem Bekannten: „Jakob zieht jetzt mit elf Leuten in eine Sechs-Zimmer-Wohnung und die teilen sich alle Zimmer, inklusive Werk- und Tobezimmer!“ Ich hatte nur eine lustige Geschichte von meinem Tag zum Besten geben wollen, doch die anderen waren sofort begeistert von der Idee und zwei Wochen später wurde die Wohnung umgeräumt. Wir haben nicht lange nachgedacht, sondern es einfach mal ausprobiert. Das ist jetzt drei Jahre her und wir haben nicht vor, in absehbarer Zeit etwas an unserer Wohnform zu ändern.

Es ist erstaunlich wie groß eine Wohnung auf einmal wird, wenn man funktional lebt. Der Vorhang im Durchgangszimmer ist weg. Stattdessen ist der große, helle Raum mit Balkon jetzt unser gemeinsames Wohnzimmer. Dort haben schon ein Kleidertausch, Treffen unserer jeweiligen politischen Gruppen und natürlich viele legendäre Partys stattgefunden. Außerdem ist in unserer jetzigen Zimmeraufteilung viel mehr Platz für Besuch: Andis zwei Schwestern mit ihren jeweiligen Partnern und drei kleinen Kindern haben schon bei uns übernachtet. Ein anderes Mal hat ein Wochenende lang ein Seminar mit elf Leuten bei uns stattgefunden. Es ist ein schönes Gefühl, immer sagen zu können: „Komm vorbei, du kannst bei uns schlafen.“ Gastfreundschaft ist für mich ein Luxus, den wir uns in diesem Maße vor allem deshalb leisten können, weil wir funktional leben.

Unsere Einstellung zu Eigentum hat sich verändert


Seitdem wir unsere Zimmer teilen, teilen wir generell viel mehr als früher. Den Drucker im Arbeitszimmer haben wir uns zusammen angeschafft. Unser gemeinsames Bücherregal vervierfacht unsere Auswahl an spannender Lektüre. Und seit kurzem ist auch unser Kleiderschrank funktional: ein Fach für alle T-Shirts, eins für Pullis, eins für Hosen. Als einzige Frau in der WG habe ich zwar noch immer mein eigenes Schrankfach, bediene mich aber gerne mal bei den anderen und bin genauso an der Socken- und Schalkiste beteiligt. Unsere Einstellung zu Eigentum hat sich dabei langsam verändert: Es ist viel selbstverständlicher geworden, einen Laptop aufzuklappen, einen Rucksack zu packen oder eine Jacke von der Garderobe zu nehmen, ohne dass es besonders darauf ankommt, wem das jeweilige Teil eigentlich gehört.

Dass es beim funktionalen Wohnen manchmal auch Probleme gibt, ist klar. Unser Einrichtungsgeschmack ist nicht immer derselbe. Wenn eine Person ihre Sachen herumliegen lässt, betrifft das nicht nur sie selbst sondern alle. Die anderen sind genervt von meinem Wecker, ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ständig jemand im Arbeitszimmer raus- und reinläuft und die Tür offen lässt. Einmal wäre ich fast wahnsinnig geworden, als in der Prüfungszeit wochenlang partyfreudige Leute bei uns herumhingen, die ich kaum kannte. Doch gerade solche Schwierigkeiten sind ein Grund, warum funktionales Wohnen großartig sein kann. Man kann nämlich unglaublich viel dabei lernen. Zum Beispiel, die eigenen Bedürfnisse wahr- und ernst zu nehmen und besser miteinander zu kommunizieren. Solidarisch und tolerant miteinander zu sein. Und vor allem, gut aufeinander zu achten.

Der wichtigste Grund, warum ich funktional wohne, ist aber ein ähnlicher, warum andere heiraten und in ein Reihenhaus ziehen: Weil ich es schön finde, nach einem langen Tag nach Hause kommen und vor der Tür schon zu riechen, dass jemand kocht. Die Tasche fallen zu lassen und mich erstmal zu jemandem aufs Sofa zu kuscheln. Sich im Arbeitszimmer gegenseitig Tee zu bringen und ab und zu miteinander zu raufen, wenn man sich nicht mehr konzentrieren kann. Nicht alleine einzuschlafen. Eine Art von Familienleben eben.

Alte Beats von Kanye West aufgetaucht

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Wir sind hier ja grundsätzlich große Fans von Kanye West. Wir sprechen also eher von der großen emotionalen Nähe, die der Künstler in den vergangenen Jahren zum Zeitgeist entwickelt hat. Und nicht von einer schwereren psychischen Störung, die zutage tritt, wenn er sich mal wieder mit Gott oder den Ägyptischen Pyramiden vergleicht – oder mal wieder Taylor Swift für etwas bepöbelt, das eigentlich mit Beyoncé zu tun hat. Denn bei alldem bringt der Rapper und Produzent ja eben doch immer noch ziemlich gigantische Pop- und Hip-Hop-Bretter heraus. Jüngst etwa das durchaus sehr große „American Oxygen“ von Rihanna.

Oder vielleicht sogar noch einen Stufe drüber: Gerade die völlig manische Künstlichkeit, das extrem Artifizielle, das er am Leib hat und von da in seine Kunst pumpt, tut der Rap- und Hip-Hop-Szene ja wahnsinnig gut.

http://www.youtube.com/watch?v=kjnk-ryCk-s#t=178

Aber auch Yeezus, das vergisst man schnell, war ja nicht immer der sonnengottgleiche Krösus des Urbanen. Auch er hat mal angefangen. Auch er musste mal buckeln, Tapes versenden – und drauf hoffen, dass irgendeine andere Instanz als er selbst entscheidet, was nun Kunst ist und was nicht. Jensen Karp war mal so eine Instanz. Dem Kunsthändler, Produzent und einstiger Rapper (Hot Karl) hat West offenbar mal einen Schwung Beats auf zwei Tapes geschickt. Und er fand sie offenbar nicht sehr spannend. Jedenfalls will er sie in Kartons in seiner Garage gepackt und dort vergessen haben. Jetzt sind sie wieder aufgetaucht und stehen mittlerweile als Download im Netz. Und natürlich – wie oben – auf Youtube.

Nach flüchtigem Hören beim Schreiben müssen wir sagen: Vielleicht öfter mal die Rumpelkammer ausmisten. Wer weiß, was da noch alles drinnen ist: Vielleicht noch was von Tupac? Biggy? Bernsteinzimmer?

jakob-biazza

Neben der Spur

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Da sitzt man sich gegenüber, über das schmutzige Geschirr gebeugt, und merkt, dass das Problem nur noch gößer wird, je länger man darüber redet. Oder man liegt im Bett und dreht einander den Rücken zu, nachdem man sich angeschrien hat. Oder man weint am Telefon. Streiten ist nie schön. Der kritische Punkt ist aber häufig nicht das Gespräch, sondern der Ort, an dem man es führt. Es würden viel mehr Probleme gelöst, wenn man sie anderswo beprechen würde.

Der ideale Ort ist das Auto. Hier kann man ansprechen, was man immer schon mal sagen wollte. Dinge, die schon lange stören, sich bis jetzt aber immer zu sehr nach pedantischer Grundsatzdiskussion angefühlt haben. Themen, die zu sperrig erscheinen, wenn man sich ein Stündchen auf einen Kaffee trifft und ständig fürchten muss, dass der andere noch einen Termin hat und jeden Moment nach seiner Jacke greift.



Streit im Auto bleibt im Auto

Es kommt natürlich darauf an, wie lange die Fahrt dauert. Unklug, einen Streit zu erzwingen, wenn man nur mal eben zum Bäcker fährt. Am Besten sind lange Fahrten: viel Zeit, viel Proviant und ab und zu ein paar Dehnübungen auf dem Rastplatz. Mit 600 gemeinsamen Kilometern vor sich hat man Zeit, über alles zu reden, was die gewöhnliche Kaffee-und-Kuchen-Unterhaltung sprengen würde. Man kann eine Dreiviertelstunde vom schlechten Verhältnis zu den Großeltern zu erzählen – weil die einzelnen Minuten weniger kostbar sind. Genauso kann man aber auch einfach mal entspannt sagen: "Ich finde ja nicht, dass du dir leisten kannst, so wählerisch zu sein" oder "Hast du auch manchmal das Gefühl, dass wir uns nichts mehr zu sagen haben?"

Die kommenden Stunden im Auto sind wie ein Puffer zur Realität, mit dessen Hilfe quasi jedes Problem aus dem Weg geräumt werden kann. Und das aus mehreren Gründen. Zum einen ist man zusammen in einem abgeschlossenen, winzigen Raum, der zwei Menschen einander sehr nah bringt – physisch und psychisch. Der eine bringt den anderen sicher ans Ziel, dafür gießt der ihm vorsichtig heißen Tee in seinen Plastikbecher. Gute Voraussetzungen also, um ehrlich zu sein.

Dann lohnt sich ein Streit im Auto ja allein der Perspektive wegen. Wenn man zuhause streitet, schaut man auf das Gewürzregal oder den Wäscheständer und in das immergleiche Gesicht desjenigen, der gerade erklärt, was alles falsch an einem selbst ist. Das kann sich seltsam trostlos anfühlen. Anders auf der Autobahn: Die Welt fühlt sich groß an auf der linken Spur, voller Lösungen für jedes noch so vertrackte Problem. Man schaut nach vorn, alle beide, und hört sich zu. Das verhindert, dass man irgendwann das Gesicht des anderen leid ist. Stattdessen hat man sogar im Streit das Gefühl, man würde vorankommen, wenn Rapsfelder und Baustellen vorbeiziehen.

Und es lenkt einen ja auch nichts ab. Bloß Überholvorgänge, Regen auf der Windschutzscheibe und vorbeirauschende Lärmschutzwälle; nichts, was die Aufmerksamkeit des Mitfahrers so richtig mindern könnte. Keine Bedienung, die fragt, ob sie schonmal abkassieren dürfe, keine vorgeschobene Müdigkeit. Es bleibt nichts übrig, als zuzuhören. Hätte das selbe Gespräch auf einer Parkbank stattgefunden, wäre man vielleicht aufgestanden und gegangen. Wenn man aber mit einem vollgepackten Kombi an die kroatische Küste fährt, dann muss man sich eben anhören, was es noch zu sagen gibt. Oft erscheint alles viel schlüssiger, wenn beide Zeit haben, sich zu erklären. Es muss schon viel Schlimmes gesagt werden, bevor man an der nächsten Tanke rausgeschmissen wird.

Und wenn doch etwas Unvorhergesehenes passiert, betrifft es automatisch alle beide. Es gibt Situationen, in denen man dann doch wieder ein Team sein muss: Wenn man vom Navi in eine Vollsperrung geleitet wird oder man anrufen muss, dass man später kommt, oder der Fahrer plötzlich wasserfallartiges Nasenbluten hat.

Eine gemeinsame Fahrt ist auch deswegen so toll und streitgeeignet, weil darauf meistens noch mehr gemeinsame Zeit folgt. Ein Urlaub oder ein Festival oder ein Besuch bei der Familie – irgendetwas, was die lange Fahrt wert ist. Man hat gemeinsam etwas Schönes vor sich.  Man ist fast gezwungen, die Sache wieder hinzubiegen, bevor man das nächste Mal ein gelbes Ortsschild sieht. Weil ja sonst alles versaut wäre, was danach kommt.

Wenn man am Ziel ist, ist man sich im besten Fall näher als vorher. Man steigt aus, schlägt die Türen zu, atmet frische Luft ein – und der Streit bleibt im Auto zurück.

Nimm das, Sesamstraße!

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Wir wollten uns an diesem grausamen Treiben eigentlich nicht beteiligen. Man sollte sich nicht der Verbreitung schuldig machen, wenn böse Internet-Menschen die schönsten Kindheitserinnerungen attackieren. Aber dann haben wir dieses Video gesehen (eigentlich besser nicht anschauen):

http://www.youtube.com/watch?v=AHPn5d7wRtk

Sesamstraßen-Figuren führen da eine – mit Verlaub – wirklich hanebüchen blöde „Avengers“-Parodie auf. Mit Wortspielen, die wahrscheinlich nicht mal der Kollege Biazza für eine Überschrift verwenden würde. Und der hat immerhin schon mal „Das Schweigen-Dilemma“ vorgeschlagen. Für einen Text über eine Mutistin.

Jedenfalls sind wir so wütend geworden, dass wir jetzt doch mitmachen. Nimm also das, Sesamstraße! Es kursieren nämlich gerade Mems, bei denen harmlose Szenen aus der Kinderserie mit einer Bildunterschrift in einen, nun, neuen Kontext gerückt werden und damit plötzlich ... ach, kapiert ihr schon selbst!

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(Quelle)

"Unsere Heimat geht vor die Hunde"

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Ende der Neunzige Jahre wurde bekannt, dass der ehemalige Direktor der Odenwaldschule in Hessen in den Siebziger und Achtziger Jahren mehrere Schüler sexuell missbraucht hatte. Im Jahr 2010 forderte die Schulleitung eine Aufklärung und Untersuchung der Fälle. Damals war von mindestens 132 Opfern die Rede, die Opferorganisation "Glasbrechen" geht sogar von etwa 500 Opfern aus.

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Neuanmeldungen an der Odenwaldschule stark zurückgegangen, das Geld wurde knapp. Am vergangenen Wochenende wurde bekannt, dass die Finanzierung der kommenden Jahre nicht mehr gesichert ist – die Schule muss schließen. Dieses Schuljahr soll noch beendet werden, dann müssen die Schüler gehen. Derzeit sind es noch 149, mehr als ein Dutzend davon sind Abiturienten – auch Schulsprecher Yannik, 19, der uns von seiner Zeit an der Odenwaldschule erzählt hat:


Der Ort, der für mich ein Zuhause ist, der ist für andere ein Ort des Schreckens und der Angst. Manchmal erfuhr man so etwas bei einem Altschüler-Treffen, wenn man mit Ehemaligen zusammen eigentlich nur eine Zigarette rauchte. Und plötzlich kam man auf die Missbrauchs-Themen zu sprechen. Keiner hat uns direkt ins Gesicht gesagt, was ihm konkret passiert ist. Aber das war auch gar nicht nötig. Ich war trotzdem jedes Mal sehr betroffen, wenn mir jemand gegenüberstand, der missbraucht worden ist.

Ich habe an vielen Gesprächsrunden mit Opfern teilgenommen. Klar waren die Opfer sehr, sehr wütend. Aber wir waren selbst auch wütend, denn der Opferverein hatte vor, die Schule zu schließen, das wollten wir nicht, wir waren ja gerne hier. Am Ende hat es aber doch gut getan, sich an einen Tisch zu setzen. Uns verband ja das Schüler-Sein. Es ist derselbe Ort und Name, aber es ist nicht mehr die gleiche Schule wie damals.

Ich bin 2011 an die Odenwaldschule gekommen. Meine Familie und ich kannten sie aus der Presse, ich wusste grob Bescheid: dass der Schulleiter übergriffig geworden war und so etwas. Unser Bild war also nicht so gut, aber wir haben uns die Schule trotzdem angeschaut. Es war schon etwas schockierend, dorthin zu fahren und zu denken: "Was wohl hinter diesen Fenstern alles passiert ist..."Ich hatte dann eine Führung mit einer Schülerin, die mir alles toll erklärt hat. Mir wurde dabei vor allem klar, welche Möglichkeiten die Schule mir bietet: superkleine Klassen, kein Frontalunterricht, zig Freizeitangebote.



Yannik Güldner ist Schulsprecher der Odenwaldschule und macht dieses Jahr dort sein Abitur.


Nachdem ich dann auf der Schule war, bekam ich auch schnell eine differenziertere Sicht auf alles. Ich fand es toll, in einer Klasse mit nur zehn Schülern zu sein, das bedeutet, dass man sich viel besser einbringen kann. Gearbeitet wurde immer in Gruppen. Und: Bei uns gab es nie ein Elitedenken im klassischen Sinn. Natürlich war man sich bewusst, wie viel Geld da investiert wurde. Auf der Schule im Miteinander spielte das aber überhaupt keine Rolle. Ungefähr ein Drittel der Schüler ist vom Jugendamt der Schule "zugewiesen worden" und ganz am Anfang, als ich noch neu war, habe ich mal gefragt, wer vom Jugendamt ist. Wir saßen im Kreis zusammen und ich habe gesagt, dass sie mal die Hand heben sollen. Auf einmal haben mich alle total schräg angeschaut. Es ging nicht darum, aus welcher sozialen Schicht man kommt – das habe ich dann auch begriffen. Es ging darum, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

Als ich kam, war der Umgang mit den Medien noch sehr schwer. Die Presse hat immer wieder ein sehr rabiates Verhalten an den Tag gelegt. Schüler wurden belästigt und zum Beispiel dabei fotografiert, wie sie zum Essen gehen. Fotografen lauerten uns mit ihren Teleobjektiven regelrecht auf. Nach und nach wurde uns klar, wie man mit Medien sprechen muss, mittlerweile gehen wir sehr offen und ehrlich damit um und haben auch einen eigenen Presseberater, mit dem wir uns rückversichern können.

Heute ist die Odenwaldschule sicherlich eine der sichersten Schulen Deutschlands, denn keine andere steht so unter medialer Beobachtung. Hier gibt es ein unglaublich gutes System, das vorbeugen soll, dass je wieder irgendetwas passiert: Ich habe diverse Menschen an der Hand, an die ich mich jederzeit wenden kann, wenn irgendetwas komisch ist oder schief läuft. Dennoch wird man immer noch schräg angeschaut, wenn man sagt, dass man auf die Odenwald-Schule geht, die Leute sagen dann: "Was? Du gehst auf die Skandal-Schule?"Man muss sich immer rechtfertigen und so was sagen wie: "Schon, aber das ist 30 Jahre her, heute ist das eine sehr, sehr gute Schule“. Wenn man dann erzählt, was man auf dieser Schule alles machen kann, dann sind viele erstmal überrascht und fangen an, neu darüber nachzudenken.

Umso trauriger ist es, dass jetzt der Schulbetrieb eingestellt werden soll. Als ich davon erfahren habe, war das für mich ein totaler Schock, ich dachte erstmal: "Das kann und darf nicht wahr sein!" Aber es wurde dann schnell klar, dass die Nachricht stimmt. Schon am selben Abend haben wir uns gesagt: "Das können wir doch so nicht stehen lassen, wir dürfen uns unsere Heimat nicht rauben lassen!“

Ich habe momentan unglaublich viel zu tun: Ich will helfen, wo ich nur kann. Gebe Interviews, organisiere Aktionen zur Rettung der Schule. Wir kämpfen jetzt für die Schule, auch wenn wir nicht direkt betroffen sein werden, ich habe dieses Jahr ja die Abiturprüfung abgelegt. Wir wissen, dass die Hoffnung klein ist, aber sie existiert. Wir versuchen, uns jetzt zu zeigen, damit die Menschen sehen, dass hier gerade unsere Heimat vor die Hunde geht.

Der dritte Mann

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In der Serie Seinfeld gibt es eine Episode, in der das Problem der Dreisamkeit perfekt dargestellt wird. Jerry, Elaine und George sind enge Freunde und gehen öfters zusammen aus. Als jedoch Jerry eines Abends kurzfristig absagen muss, wird klar, dass George und Elaine eher “friends in law” sind: bedrückende Stille, gesenkte Blicke und ein kläglicher Versuch, eine Gemeinsamkeit zu finden, wo sonst ganz selbstverständlich eine ist. Denn sie führen eine Freundschaft zu dritt – miteinander, aber nicht untereinander. Sie brauchen ihren Verbingdungsmann Jerry. Denn George und Elaine sind Schwiegerfreunde. 

Der Schwiegerfreund ist ein Zwischenwesen in den menschlichen Beziehungen: Ein Mensch, den man wirklich nett findet, mit dem man aber nicht unbedingt alleine sein möchte. Seine wahren Freundschaftsqualitäten zeigt er, wenn er in Begleitung mit dem eigentlichen Freund auftritt. Dann wirkt er wie das freunschaftliche Salz in der Suppe: Er verleiht an den richtigen Stellen würze, füllt Gesprächspausen, stellt Fragen, auf die man selbst nicht kommen würde, zeigt neue Perspektiven und ergreift Partei bei Meinungsverschiedenheiten. Er sorgt dafür, dass man sich bei einem Treffen ernstgenommen fühlt und hat immer ein offenes Ohr, falls der andere kein Interesse zeigt.

Ist man allein, fühlt es sich an, wie in Seinfeld: Schockstille tritt ein. Nervös zerrt man am Flaschenetikett, schaut verlegen auf das Handy - und beginnt den Kampf um ein halbwegs gutes Gespräch. Es ist nicht rational zu erklären, wie und warum sich die Atmosphäre verändert, aber etwas ist plötzlich in der Luft, was vorhin noch nicht da war. Was vor wenigen Minuten in geselliger Runde noch so gut lief, wird jetzt zu einer Qual. 

Wer ist dieser Mensch, der so sehr am Konzept der Freundschaft rüttelt? Der nur unter bestimmten Bedingungen und zu bestimmten Zeiten als Freund gilt? Mit dem sich das Alleinsein komisch anfühlt? Eigentlich fand man ihn doch immer so lustig mit seinem trockenem Humor und seinen interessanten Geschichten, die immer schallendes Gelächter in der Runde auslösten. Wieso fällt er jetzt auf einmal in die kommunikative Mittelmäßigkeit? Oder in das gefürchtete peinliche Schweigen?

Wieso aber trifft man sich dennoch noch mit dem Schwiegerfreund? Weil er immer zum richtigen Zeitpunkt einen guten Kommentar findet? Weil er das Zweiergespann gut ergänzt? 

Der Schwiegerfreund füllt das aus, was in der Beziehung zwischen dem eigentlichen Freund fehlt: Eine dritte Partei, die bei Streiterein schlichtet, bei Gesprächen ergänzt und motiviert. Er ist der Motor einer Zweierbeziehung und macht das, was vorhin schon gut war, noch besser. Er ist die dritte Instanz und sorgt für das Gleichgewicht in der Dreierkonstellation, indem er alle als eine Art Brückenwesen miteinander vereint. Insofern ist der dritte Mann ein wichtiger Teil jeder Freundschaft, denn er ist unverzichtbar, wenn es darum geht, vorhandenen Freundschaften einen feinen Schliff zu geben.

Aber er ist auch nicht mehr als eine Ergänzung- für eine Zweierfreundschaft reicht er nicht aus. Dazu sind die Unterschiede zu groß, die Chemie zu unstimmig. Der Grad zwischen einem guten Bekannten und einem entferntem Kumpel ist schmal, aber genau da ist der Schwiegerfreund zu finden. Das ist okay, denn man muss ja nicht mit jedem gut befreundet sein. Es reicht auch einfach nur, zu dritt eine gute Zeit zu haben, ohne zu zweit zu sein. Und missen möchte man ihn in Gemeinschaft eigentlich auch nie.

Stephen Hawking erklärt Formel gegen Herzschmerz

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 "In einem anderen Universum ist Zayn (hier im Bild) mit dir verheiratet!"

Es gibt keine dummen Fragen, sehr wohl aber drängende Fragen! Vor allem, wenn man die Möglichkeit hat, sie dem berühmtesten Astrophysiker der Welt zu stellen. Am Samstag ergriff ein Mädchen namens Samantha in Sydney ihre Chance. Bei einer Veranstaltung beantwortete Stephen Hawking, per Hologramm zugeschaltet, Fragen aus dem Publikum. Und, oh ja, Samantha hatte eine Frage!

"Was", las der Moderator zögernd vor, "ist der kosmologische Effekt davon, dass (der Sänger) Zayn (die Teenie-Band) One Direction verlassen hat – und damit Millionen Mädchen das Herz gebrochen hat?"

Es folgen: drei Sekunden Stille. Hawking sitzt völlig unbewegt im Rollstuhl, vor sich den Bildschirm des Sprachcomputers. Anspannung in Sydney. Dann macht es "Blip" – und Hawkings Computerstimme sagt den Satz:

"Finally, a question about something important." 

Und dann folgt eine einminütige Antwort, mit der Stephen Hawking mal eben im Vorbeigehen Millionen zerfetzter Directioners-Herzen näht, salbt und verbindet. Und die sich darüberhinaus als Weltformel gegen jeglichen Herzschmerz anwenden lässt. Applaus! 

http://www.youtube.com/watch?v=R8s6P3Tu1QM

"My advice to any heartbroken young girl is to pay close attention to the study of theoretical physics. Because one day there may well be proof of multiple universes. It would not be beyond the realms of possibility that somewhere outside of our own universe lies another different universe. And in that universe, Zayn is still in One Direction."


jan-stremmel

Pischko, der Biermann

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Gina Kutkat, 29, Volontärin bei der Badischen Zeitung und DJane
 

Sehr beliebt ist das Sedanviertel, da gibt es niedliche, kleine Cafés wie das Café Sedan oder das Wilhelm Moltke, wo man auf einen Kaffee oder zum Club-Mate trinken hingehen kann - ist alles ein bisschen hipstermäßig angehaucht da. Schön ist auch der Stühlinger, das Viertel hinter dem Bahnhof, in dem ganz viele Studenten wohnen. Da ist auch der Plattenladen Flight 13, wo ich immer meine Platten kaufe.

Im Sommer gehe ich gerne in Straußenwirtschaften, das sind saisonal eröffnete Hofgaststätten, wo man hausgemachten Wein und Brägele mit Bibiliskäs bestellen kann. Die schönste kann man sogar mit dem Fahrrad erreichen: In Kerbers Straußenwirtschaft im Vorort Staufen kann man Fleisch und Gemüse kaufen und direkt dort auf dem vorbereiteten Grill zubereiten. Da sind auch oft DJs und Bands eingeladen und spielen für die Gäste. Bei Edos Hummus Corner kann man sich einen Teller Hummus nehmen und sich damit auf den Augustinerplatz setzen – das ist mein persönliches Sommerritual. 

Außerdem muss man mindestens einmal auf den Schlossberg: Wenn man da hochläuft, kann man gut am Kastaniengarten Halt machen, ein Biergarten, von wo aus man über die ganze Stadt schauen kann. Weiter oben kommt der Kanonenplatz, da hat man einen noch schöneren Blick und ein paar Kilometer weiter kann man dann im Gasthaus St. Ottilien vespern. 

Eine tolle Cocktailkarte gibt es in der Passage 46, in der Hemingway Bar empfehle ich den Moscow Mule, der ist da richtig gut. In der Passage 46 legt manchmal das DJ-Duo Comma auf, die kommen aus Freiburg. Am letzten Samstag im Monat findet da immer die Partyreihe Root Down statt, die gibt es schon seit 20 Jahren. Ich selbst lege mit meinem DJ-Duo "Gold Guns Girls" manchmal im Ruefetto im Ahoii-Club auf, das ist eine Indieparty. Ich organisiere zwei- bis dreimal im Jahr den Frollein-Flohmarkt Freiburg im Artik, da verkaufen Mädchen Klamotten nur für Mädchen.

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Marius Buhl, 23, Volontär bei der Badischen Zeitung

Der Fußball spielt in Freiburg eine große Rolle: Wenn der SC Freiburg spielt, sind auf einen Schlag alle Bars und Kneipen voll. Zum Glück hat die Stadt eine ausgeprägte Kneipen- und Barkultur. Eine Bar, die man auf jeden Fall mal besucht haben muss, ist die Erika-Bar. Die liegt zwar ein wenig außerhalb, in der Karthäuserstraße beim SWR Fernsehen, ist aber wie ein Wohnzimmer eingerichtet – und es gibt für wenig Geld die besten Cocktails der Stadt.

Im Sommer sitze ich am liebsten im Sedancafé– übrigens das Lieblingscafe von Jogi Löw, aber das ändert sich auch ständig. Außerdem sieht man ihn sehr oft auf der Straße, das ist also nichts Besonderes mehr. Auch clubtechnisch hat Freiburg etwas zu bieten: Zum Feiern empfehle ich das Waldsee, aber auch die Passage 46 oder Schmitz-Katze.

Gut essen kann man im Edos Hummus Corner, einem israelischen Lokal, in dem es den perfekten Hummus gibt. Wenn man eher badisch essen gehen möchte, empfehle ich das Restaruant "Der Ochsen" in Freiburg-Zähringen. Stefans Käsekuchen genießt den Ruf, der beste Käsekuchen der Welt zu sein. Das Cafe Pow sieht zwar auf den ersten Blick ein wenig heruntergekommen aus, die Möbel aus zusammengezimmerten Paletten machen aber einen besonderen Charme aus.
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Jule Markwald, 28, Volontärin bei Baden FM

In der Freiburger Innenstadt, besonders um das Münster herum, sind immer furchtbar viele Touristen. Es gibt aber auch ruhigere Ecken: Einer meiner Lieblingsplätze ist hinter dem Münster. Da steht vor einer Kapelle neben dem Priesterseminar eine Holzbank unter einer Kastanie – da ist es immer total ruhig, obwohl man mitten in der Stadt ist. Ein Geheimtipp ist das Damenbad, deutschlandweit das einzige Freibad nur für Frauen. Das gehört zum Lorettobad, und da ist es immer wahnsinnig schön. Man trifft viele muslimische Frauen, Schwangere und ältere Damen, und die Stimmung ist sehr entspannt.

Direkt gegenüber vom Bad liegt das Café Lollo, da ist alles regional, bio und hausgemacht, aber trotzdem erschwinglich. Besonders gut sind die Pizzen, aber mit dem Bacon-Cheese-Burger kann man auch nichts falsch machen. In Freiburg gibt es viele kleinere Kinos wie das Friedrichsbar oder Kandelhof, da laufen viele Filme in OmU. 

Feiern gehe ich am liebsten im The great räng teng teng, das ist ein ganz verrauchter Kellerklub, der nach dem Motto "Westernpuff" eingerichtet ist. Wenn es warm ist, gehe ich gerne auf den Augustinerplatz, da sitzen in warmen Sommernächten oft um die 500 Leute und kaufen Bier von Pischko, dem Biermann. 

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Santiago Portela, 38, Sachbearbeiter bei einer Versicherung

Ein Tipp für Nachtschwärmer ist die Produktionsstätte der Bäckerei Lienhard in der Nähe des Schwabentors: Die haben nachts einen Werksverkauf, wo man sich mit Backwaren eindecken kann, wenn man vom Feiern kommt. Auch toll ist der Bauernmarkt am Münster, da gibt es frisches Obst und Gemüse und den wahrscheinlich besten Käsekuchen der Welt. Den muss ich als Mitbingsel immer allen Freunden mitbringen, sobald sie den schonmal probiert haben.

In Freiburg kann man für günstiges Geld gut essen. Ein Geheimtipp ist der Primo-Markt in der Bernhardstraße, ein italienischer Supermarkt, bei dem man auch essen kann. Die selbstgemachte Pasta ist wirklich ein Highlight, das Ambiente ist urig – ein guter Ort, um mit seinen Eltern essen zu gehen. Auch ganz beliebt ist Euphrat, ein Imbiss an der Uni, da gibt es sehr guten Döner und Falafel.

Eine Institution im Freiburger Nachtleben ist sicher der Schlappen, den gibt es schon ewig.

Wer gern wandern oder mountainbiken geht: Der Hausberg der Stadt ist der Schauinsland. Wenn man mit der Seilbahn hochfährt, kann man aus 1200 Metern über Freiburg gucken. Wer kunstinteressiert ist, für den lohnt sich womöglich der Museumspass, damit kann man ein Jahr lang die Museen in der Dreiländerregion besuchen. 
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