Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live

Ruhig bleiben

$
0
0
Am auffälligsten sind die Kippot. Bereits vor dem Eingang des Leonardo Hotels in Berlin Friedrichshain kann man junge, rauchende Leute sehen, die die jüdischen Kopfbedeckungen tragen. Dunkelblau sind sie und mit einem Davidstern und dem silbernen Schriftzug „Jugendkongress“ versehen. Drinnen, hinter der Sicherheitskontrolle am Hoteleingang, trägt sie jeder dritte männliche Teilnehmer des jüdischen Jugendkongresses, der dieses Wochenende stattfindet. Sie sind ein Statement: Der Zentralrat der Juden, einer der Hauptorganisatoren, hat kurz zuvor noch vom Tragen eben dieser Kippa abgeraten.

In der Lobby des Hotels hängt ein großes Plakat: „50 Jahre diplomatische Beziehungen Deutschland –Israel“ steht darauf  – das Motto des Jugendkongresses. Zu diesem Thema sind Vertreter aus Politik und jüdischem Leben eingeladen worden, um mit den rund 350 Teilnehmern zwischen 18 und 35 Jahren aus diversen jüdischen Gemeinden in Deutschland zu diskutieren. Abseits des Podiums geht es aber fast immer um etwas anderes: die Angst vorm Erstarken des Antisemitismus.

Es ist Mittagszeit, überall laufen junge Menschen mit Tellern voller Kuchen und Pommes durch die Räume, viele machen Fotos mit ihren Handys und twittern. Swetlana und Liliana, beide 22, sind extra aus Süddeutschland für den Kongress angereist. Liliana hat kurz zuvor auf Instagram ein Bild von sich und ihrer Freundin gepostet. Darunter hat sie geschrieben: #jewishgirl #juko15. Für beide ist es nicht der erste Jugendkongress, viele kennen sich hier schon seit Jahren.


Liliana und Swetlana sind beide 22 - und für den Jugendkongress extra aus Süddeutschland angereist.

Trotzdem sei es dieses Jahr anders, erzählt Swetlana: „Wir sind an Security ja gewöhnt, dieses Jahr ist sie allerdings besonders präsent. Das macht mich traurig – es bedeutet ja auch, dass wir momentan besonders bedroht sind. Dabei war Deutschland für mich immer mit das sicherste Land der Welt für Juden.“ Liliana pflichtet ihr bei und zieht unter ihrem Schal eine Kette mit einem kleinen Davidstern hervor: „Den trage ich sogar, wenn ich schlafe“, sagt sie. Neulich in einer Shisha-Bar habe sie allerdings zum ersten Mal überlegt, ob ihre Kette hier vielleicht ein Problem sein könnte. „Ich habe mich dann aber entschieden, sie trotzdem zu tragen. Es hätte mich zu sehr geärgert, da zukünftig immer drüber nachdenken zu müssen“, sagt die angehende Krankenschwester. Passiert sei dann auch weiter nichts. Die meisten würden eher interessiert nach ihrer Kette und ihrer Religion fragen.

Zu Schulzeiten sei das noch anders gewesen: „Wenn man da gesagt hat, dass man Jüdin ist, wurde man schon komisch angeschaut“, sagt Liliana. Swetlana erzählt, dass ein Klassenkamerad in ihrer Süddeutschen Kleinstadt immer wieder dumme Sprüche über ihre Religion gemacht hat, bis sie sich schließlich beim Direktor beschwerte. „Natürlich hat er das nur gemacht, weil er einfach keine Ahnung hatte. Er musste sich dann bei mir entschuldigen“, erinnert sie sich. Seit sie zur Uni geht, seien ihr solche Situationen auch nicht wieder untergekommen. „Vermutlich, weil die Leute da aufgeklärter sind“, sagt Swetlana.

Swetlana und Liliana sind gute Beispiele für die Klientel auf dem Jugendkongress. Beide sind junge, selbstbewusste Frauen, die ihre jüdische Identität bisher immer als etwas Selbstverständliches gesehen haben, obwohl sie nicht besonders religiös sind. Die aktuelle Häufung antisemtischer Gewalttaten, wie in Paris oder Kopenhagen, verunsichert sie. „Meine Tante wohnt in Paris zehn Minuten von dem Supermarkt entfernt, in dem das Attentat passiert ist. Seitdem telefonieren wir öfter und versichern uns, dass alles okay ist“, sagt Liliana. Swetlana ergänzt: „Natürlich macht man sich seitdem mehr Gedanken, fragt sich, ob es auch in Deutschland Attentate geben könnte. Gleichzeitig will ich mich aber nicht wegen meiner Religion verstecken müssen. Deshalb trage ich meinen Davidstern auch weiterhin so, dass ihn jeder sehen kann.“


Konstantin und Susi waren bereits häufiger beim Jugendkongress. Sie engagiert sich in einem Projekt, bei dem Juden Schulen besuchen und sich vorstellen.

Der 24-jährige Konstantin ist da weitaus stärker verunsichert. Während des Kongresses trägt er die dunkelblaue Kippa, draußen auf der Straße würde er das eher lassen: „Ich bin in Zürich dafür einmal beschimpft und bespuckt worden. In Paris haben mittlerweile ein Drittel der Juden die Stadt verlassen. Natürlich frage ich mich dann, ob diese aggressive Stimmung gegenüber Juden auch nach Deutschland rüberschwappen könnte“, erzählt der Mathematik-Student. Rufe wie „Jude, Jude, feiges Schwein“ bei einer Demonstration vergangenes Jahr in Berlin bestärken ihn in dieser Sorge: „In der Mathematik sagt man, dass Ausnahmen die Regel bestätigen. Deshalb finde ich auch, Deutschland muss sich jetzt um die Antisemiten kümmern“, sagt Konstantin. Über sein Studium hat er auch Kontakt zu Palästinensern. Er sagt, dass er sich mit diesen gut verstehen würde, sein bester Freund sei Iraner. Trotzdem ist Konstantin der Überzeugung, dass er irgendwann aus Deutschland auswandern wird. Nach Israel, das er neben Deutschland ebenfalls als „Heimat“ bezeichnet. Weil es in Deutschland eben doch ein Risiko sein könne, die Kippa zu tragen. In Israel sei das anders: „Da trage ich ständig eine Kippa, obwohl ich gar nicht so religiös bin. Einfach, weil ich dort freier bin und es kann“, sagt Konstantin.

Seine Freundin Susi, die ebenfalls zum Kongress gekommen ist, sieht das mit dem Auswandern ganz anders: „Ich bin in Deutschland geboren und fühle mich hier sicher. Und gerade jetzt dürfen wir uns nicht verstecken! Das jüdische Leben ist in den letzten Jahren in Deutschland so stark aufgeblüht, das darf man jetzt aus Angst nicht einfach unterbinden. Stattdessen müssen wir aufklären, in den Dialog treten!“, sagt sie energisch und versucht dabei, ihre roten Locken immer wieder hinter ihrem Ohr festzuklemmen. Tatsächlich engagiert sich Susi neben ihrem Lehramtsstudium in Frankfurt in einem Verein, der Juden und Schulklassen zusammenbringt. „Die Schüler sehen dann, wie so ein Jude aussieht und dass wir keine Aliens sind“, erklärt die 20-Jährige. Dass das heute, 70 Jahre nach Ende Hitler, überhaupt noch notwendig ist, findet sie allerdings auch traurig.


Ein junger Teilnehmer während einer Podiumsdiskussion auf dem Jugendkongress.

Die Mittagspause ist vorbei, ein Mann im Anzug bittet die Teilnehmer, zur nächsten Podiumsdiskussion den Raum zu wechseln. Eine Frau verteilt kleine Papierzettel, auf denen der korrekte Hashtag für die folgende Diskussion steht, jeder soll mitdiskutieren können. Swetlana will noch schnell ihren Kuchen aufessen und erzählt von einem Vorfall, der sie vergangene Woche beschäftigt hat: Ein Mädchen hatte in eine jüdische Facebookgruppe einen Witz gepostet. Einen Witz, der an dieser Stelle nicht wiederholt werden sollte. Auf jeden Fall kamen Juden, Harry Potter und die Kammer des Schreckens darin vor. Swetlana hat diesen Witz kommentiert und das Mädchen gefragt, was das soll. Kurz darauf habe diese einen zweiten Witz gepostet, diesmal wurden Juden mit einer Pizza verglichen. Daraufhin hätten sie und mehrere Freunde das Mädchen bei Facebook gemeldet, bis sie gelöscht wurde. „Ich verstehe nicht, warum es immer noch Menschen gibt, die so über Juden denken. Aber daraus zu schließen, dass viele so denken, finde ich auch falsch“, sagt Swetlana und schiebt die letzte Gabel voller Kuchen in ihren Mund. Ähnlich sei das auch mit den Muslimen, finden sie und Liliana: Nur, weil es Islamisten gibt, dürfe man nicht sagen, dass alle Araber Antisemiten seien und ihnen misstrauen. Dann gehen die Beiden zur nächsten Veranstaltung. Vorbei an einem großen Plakat der Juko, der Jugendkonferenz, auf dem in blauer Schrift steht: „Keep calm and join the Juko“.

Ruhig bleiben. Das fällt gerade nicht immer leicht, wenn man ein junger Jude ist.


Wochenvorschau: So wird die KW 10

$
0
0
Wichtigster Tag der Woche:
Der Freitag! Da fahre ich endlich mal wieder zu meiner Familie nach Norddeutschland. Und werde dabei diesen Song hören (auch wenn's von uns aus zur Autobahn gar nicht so weit ist, wie Thees behauptet; der Satz "Du kriegst die Leute aus dem Dorf, das Dorf nicht aus den Leuten" ist wahr):
http://www.youtube.com/watch?v=vCPmX2krA0o

Politisch interessiert mich:
Griechenland! Die Aktion der Bildzeitung, dass man sich "Nein"-Schilder ausdrucken kann, um gegen weitere Hilfen zu protestieren, finde ich grauenhaft und verlinke deshalb auch nur auf den Bericht des Tagesspiegels zu dem Thema. Ich kann mir aber auch kaum vorstellen, dass nach der Abstimmung im Bundestag für weitere Hilfen vergangenen Freitag das Thema gegessen ist.

Wochenlektüre:
In meiner Eigenschaft als Expertin für tote Künstlerehefrauen, habe ich kürzlich die neue Alma Mahler-Werfel-Biografie geschenkt bekommen. Noch liegt sie verschweißt auf dem Nachtisch, aber ich freue mich bereits auf neue Enthüllungen aus ihrem Leben als Muse, gegen das "Verbotene Liebe" ja Firlefanz ist.

Soundtrack zur Woche:
Am 6. März erscheint das neue Madonna-Album "Rebel Heart", das werde ich aber ignorieren. Mein Lieblingssong von ihr bleibt "Frozen", obwohl sie in dem Video wirklich wie eine Krähe aussieht.
http://www.youtube.com/watch?v=MDM0yAJjlBo
Was ich momentan nicht genug hören kann, ist allerdings dieser Song:

10,000 Emerald Pools (Audio) von
  BØRNS auf tape.tv.


Kinogang?
Aber klar! Ich möchte gerne "Still Alice" sehen, in dem Julianne Moore eine Linguistikprofessorin spielt, die mit 50 Alzheimer bekommt. Sie hat dafür immerhin den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhalten! Und bei dem Trailer werde ich schon ganz sentimental.
http://www.youtube.com/watch?v=ZrXrZ5iiR0o

Geht gut diese Woche:
In den Botanischen Garten gehen! Nachdem ich die Sommersuche im Winter vom Kollegen Jan Stremmel vergangene Woche gelesen habe, möchte ich das gerne in Berlin versuchen. Auch auf dem Plan: Angrillen (auch wenn manche Menschen behaupten, das sei ein hässliches Wort).

Geht gar nicht diese Woche:
Für Restkarten an der Schaubühne anstehen. Ich möchte nämlich sehr gerne deren Inszenierung des Buches "Fabian" von Erich Kästner, das passenderweise ein Berlinbuch ist, sehen. Das Stück ist allerdings seit Wochen ausverkauft und immer wieder stehe ich abends in der Schlange für Restkarten an - bisher erfolglos. Kommende Woche wird das Stück nicht gespielt, dann muss ich auch nicht rumstehen.

Und sonst so?
Möchte ich in Berlin endlich mal tanzen gehen. In den vergangenen Wochen hat sich's nicht ergeben, aber jetzt hätte ich Lust. Ungefähr so:
[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/7JlXhJk93W7pm/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/7JlXhJk93W7pm/giphy.gif"]

Das neue jetzt Magazin ist da!

$
0
0



Liebe Leserin, lieber Leser,



stell dir vor, du wärst ein berühmter Musiker. Plattenvertrag, Groupies, Tourneen. Würdest du dich dann wohl danach sehnen, als Arzt zu arbeiten? Nein? Sänger Max Mutzke tut das. Weil seine Musikkarriere nur einer von mehreren Lebens-
plänen war und der andere ihm immer noch reizvoll erscheint.

Der Gedanke an einen Seitenwechsel ist sowieso ein sehr menschlicher. Egal was wir tun - wir schielen immer mindestens mit einem halben Auge woandershin. Weil es Alternativen
gibt, die sinnvoller erscheinen, oder weil es schlicht zu langweilig wäre, immer weiter das zu machen, was man eh schon kann.


Deshalb haben wir in diesem Heft Geschichten über Seitenwechsler gesammelt: Wir haben mit Jan Delay gesprochen, der sich für fast jedes Album eine andere Musikrichtung aussucht. Wir haben Menschen befragt, die den Job gewechselt haben, weil sie nicht nur Geld verdienen, sondern auch Gutes tun wollten. Und wir haben ein Paar besucht, das erst zusammen- und dann wieder auseinandergezogen ist.

jetzt liegt am 2. März 2015 in deiner Süddeutschen Zeitung. Außerdem kannst du es digital auf dem Smartphone oder dem Tablet lesen - mit der kostenlosen App der Süddeutschen Zeitung. Du kannst die digitale Ausgabe des Hefts einzeln für 89 Cent oder zusammen mit der SZ vom Montag kaufen - für Abonnenten der Digitalausgabe der SZ ist das Magazin kostenlos.

Die einzelnen Texte aus dem Heft kannst du ab Montagabend auch auf jetzt.de im Label jetzt_Magazin nachlesen. Für eine erste Orientierung hier das Inhaltsverzeichnis:

4 „Auf Schlaf könnte ich nicht verzichten.“ #Werbistdugerade
6 Das Problem lag im Zusammenwohnen, nicht in der Beziehung. #Auseinanderziehen #Liebe #Freiraum

12 „Subkulturen vermitteln Haltung und Ideale.“ #JanDelay #Genregrenzen #Veränderung

16 „Auf einmal habe ich mich ganz klein gefühlt.“ #Seitenwechsel #Nachhaltigkeit #NGOs #GeldoderGutes
20 Der CO2-Fußabdruck der U2-Tour von 2009 ist so groß, als wäre die Band zum Mars geflogen. #Nachhaltigkeit
#Gutzuwissen
22 „Für das Lager wurden drei tunnelartige Kammern 130 Meter tief in den Berg gesprengt.“ #Tresor #Saatgut
#Nachhaltigkeit #Überleben

24 Afrob ist sich sicher, dass er ohne Musikkarriere irgendwann im Gefängnis gelandet wäre. #Waswärewenn #PlanB
#Fotostrecke

30 „Ich bin mindestens ein Teilzeit-Arschloch.“ #Werte #Durchsetzungsvermögen #Konkurrenz

32 Welches Post-it gehört zu welchem Bildschirm? #Rätsel
34 „Auf der Bühne war ich manchmal ganz schön verstöpselt.“ #KarolineHerfurt #MenschÄrgereDichNicht
#Interview #Scheitern

Klebstoff!

$
0
0
[plugin zuordnen Bild1="Bild2" Bild3="Bild4" Bild5="Bild6" Bild7="Bild8" Bild9="Bild10" Bild11="Ergebnis" Bild12="Ergebnis" Bild13="Ergebnis" Bild15="Ergebnis" Bild14="Ergebnis" FarbeLinks="#123456" FarbeRechts="#bed7f9" FarbeErgebnis="#33AA33"]

Tagesblog - 2. März 2015

$
0
0
[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/IL4iTvQH0MjS/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/IL4iTvQH0MjS/giphy.gif"]

18:10 Uhr:
Da ich vom Indensonnenuntergangstarren kurzfristig nur noch weiße Flecken sehe, muss ich den Tagesdienst an dieser Stelle leider beenden. Wir lesen uns nächste Woche! 
Morgen begrüßt euch hier Nadja Schlüter.

+++

Ist das eine wirklich große Maus - oder sind Sie ein wirklich kleiner Elefant?



[plugin imagelink link="http://sz-magazin.sueddeutsche.de/upl/images/user/8059/thumbs_bildergalerie/77064.jpg" imagesrc="http://sz-magazin.sueddeutsche.de/upl/images/user/8059/thumbs_bildergalerie/77064.jpg"]

17:45 Uhr:
Ich nehme alles zurück, im Internet ist doch was los. Ihr kennt ja "Sagen Sie jetzt nichts", die ziemlich tolle Interviewreihe aus dem SZ Magazin. Am Freitag erschien das beste "Sagen Sie jetzt nichts" seit ... mindestens Bud Spencer. Mit der Maus und dem Elefanten. Und das ist jetzt online und sehr toll geworden!

+++

17:15 Uhr:
Heut ist irgendwie nix los. Im Büro, im Internet. Darum bekommt ihr mal wieder ein SZ-Panoramabild. Das aber auch journalistisch gerechtfertigt ist, denn ein bisschen sieht das schon nach Weltuntergang aus da draußen...



 

+++

16:42 Uhr:
Ich hätte ja gedacht, dass nirgends so viele Plastiktüten (kurz) benutzt und entsorgt werden wie hier. Stimmt aber gar nicht.

[plugin imagelink link="https://pbs.twimg.com/media/B_GfqiyU0AAtz3T.jpg" imagesrc="https://pbs.twimg.com/media/B_GfqiyU0AAtz3T.jpg"](Quelle und mehr dazu)

+++

16:26 Uhr:
Morgen streiken übrigens Lehrer, also die in Angestelltenverträgen. Der Vollständigkeit halber. Und falls Lehrer oder Schüler mitlesen. Damit die sich freuen.

+++





16:10 Uhr:
Jakob, der Gute, durfte mit Karoline Herfurth "Mensch ärgere dich nicht" spielen. Und mit ihr übers Scheitern sprechen. Beides war ziemlich genial. Und beides könnt ihr jetzt nachlesen!

+++

15:45 Uhr:
Wenn ich so in die Kommentare sehe, vielleicht sollten wir statt langweiliger Konferenzen lieber Gefühle diskutieren, die wir nicht kennen. Bei mir: Sodbrennen (da kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, was das ist) und Katerkopfweh (glaube, weil ich so oft Kopfschmerzen habe, werde ich als Ausgleich davon verschont). Und ihr so?

+++

15:12 Uhr:
Bei den Kollegen von Edition F wird gerade die Frage "Warum gibt es Meetings überhaupt noch?" aufgeworfen. Dass wir immer auf vielen Meetings und Konferenzen und wie das auch immer heißen mag sind, merkt ihr ja immer wieder im Tagesblog. Ich bin bei so was immer zu ungeduldig, vor allem, wenn ich in der Zeit dringend etwas anderes fertig machen müsste. Weiß aber natürlich, dass in der Gruppe einfach bessere Ideen entstehen. Wie geht es euch selbst damit? Mögt ihr Konferenzen oder findet ihr sie ganz schlimm? Und wie übersteht ihr sie dennoch?

+++

14:54 Uhr:
Übrigens müsst ihr alle unbedingt Serfafahms neues Profilbild angucken. Der Astronauten-Jogginganzug ist da (Ihr erinnert euch?)!!! Und steht ihm klasse, oder?



(Foto: Serfafahm)

+++

14:32 Uhr:


[plugin imagelink link="http://i-ref.de/wp-content/uploads/2015/03/Ha-Long-Bay.jpg" imagesrc="http://i-ref.de/wp-content/uploads/2015/03/Ha-Long-Bay.jpg"]

Selfies kann jeder, darum stickt (Sticken! Hab ich ungefähr seit der vierten Klasse nicht mehr gemacht!) die Künstlerin Teresa Lim ihre Reiseerinnerungen in einem hölzernen Rahmen nach. Sieht auf jeden Fall viel besser aus als das Zeug, das wir im Handarbeitsunterricht sticken mussten!

+++



(Foto: Teresa Fries)

14:19 Uhr:
Eine neue Folge "Zu jung / zu alt" ist online! Es geht um Pfeiferauchen und einen elektrischen Kran aus Bauklätzen. Klingt verheißungsvoll!

+++

13:55 Uhr:
Die Serie "Top of the lake" soll ja eine Art feministisches "Twin Peaks" sein. Habt ihr schon mal reingesehen? Ich hab nach diesem Text von Kleinerdrei ziemlich Lust drauf bekommen. Einziger Nachteil auf jeden Fall: kein Agent Cooper...

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/bwctVMRO7kb4c/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/bwctVMRO7kb4c/giphy.gif"]

+++

13:35 Uhr:
Zurück aus der Mittagspause (es gab übrigens Salat) mit lieben Kolleg(inn)en. Weil ich gerade unzufrieden mit meiner bin, habe ich mir gleich den Link zum ziemlich tollen Thermoskannen-Test von Max Scharnigg gespeichert, den will ich euch nicht vorenthalten!

+++

12:22 Uhr:
Mit einem unguten Gefühl im Bauch mache ich mich jetzt auf den Weg in die Kantine. Der Grund: In Los Angeles haben Polizisten einen Obdachlosen erschossen, mitten am Tag, mitten auf der Straße. Ein Video davon kursiert seitdem im Netz (ist bei SZ.de verlinkt). Der Polizei zufolge habe der Mann nach der Waffe eines Polizisten gegriffen, Passanten riefen jedoch "Sie haben ihn erschossen. Sie haben ihn einfach so erschossen", was auf einem Video zu hören ist. Noch wird überprüft, wie alles passiert ist. Mich hinterlässt es ratlos, wie so etwas passieren kann, weil ich selbst nie Polizeigewalt erlebt habe, und ich muss gleich an den Teenager Michael Brown denken, der im vergangenen Jahr von einem Polizisten erschossen wurde. Wie geht es euch damit?

+++

11:55 Uhr:
Fertig mit Konferieren! Gleich geht's weiter, ich weiß nur noch nicht, womit.

+++



(Foto: UNDP / Carly Learson)

10:55 Uhr:
Jetzt holen wir gleich unsere Konferenz nach. Damit euch nicht langweilig wird, lasse ich euch unsere tolle Aufmachergeschichte von unserer Printseite hier. Lisa hat einen Biker-Club entdeckt, den 15 junge liberische Frauen gegründet haben - um Motorrad-Taxifahrerinnen zu schützen. Klingt verwirrend, ist superspannend und sieht ziemlich toll aus. Hier geht's lang!

+++

10:36 Uhr:
Bis eben wusste ich nicht, was ein Stop-Motion-Lichtgemälde-Video ist. Aber ich muss es euch zeigen!

http://www.youtube.com/watch?v=lfTPxdrB5uQ(Quelle)

+++

10:24 Uhr:
Ihr wundert euch sicher, warum ich jetzt was schreibe. Wir haben unsere Konferenz ein wenig nach hinten verschoben. Darum kann ich jetzt auch direkt eine Eilmeldung weitergeben: Edathy hat eben gestandensich mit seinem Dienst-Laptop kinderpornografische Videos und Bilder aus dem Internet besorgt zu haben. Muss ich jetzt so stehen lassen. 

+++

09:42 Uhr:
Heute lesenswert und sehenswert und wichtig:

* Die Kollegen von der Wired haben Mafiaboy interviewt, einer der berüchtigtsten Hacker der Geschichte. Er legte er mit einem der ersten DOS-Angriffe u.a. Yahoo lahm, da war er noch an der Highshool.

* Ab heute gibt es jeden Montag eine Videoreportage aus Europa zum Thema "Coming of Rage". Unter anderem mit dem wunderbaren Hakan Tanriverdi. Unbedingt anschauen!

http://www.youtube.com/watch?v=tToL2f3XJPE&feature=youtu.be

* Und damit ihr auch beim aktuellen Weltgeschehen mitreden könnt: In Moskau nahmen gestern Tausende Abschied von dem getöteten Oppositionspolitiker Boris Nemzow. Und heute geht der Edathy-Prozess weiter.

+++

09:05 Uhr:
In der SZ liegt heute unser neues Magazin. Ziemlich toll ist das geworden. Könnt ihr hier schon mal gucken:






Montag in der Süddeutschen Zeitung: jetzt Nr 1/2015 Ein von jetzt_de (@jetzt_de) gepostetes Video am 1. Mär 2015 um 23:47 Uhr




+++

08:36 Uhr:
Guten Morgen! Mehr kann ich noch gar nicht sagen. Muss nämlich gleich zur SZ-Konferenz. Und einen Föhn suchen. Ich lasse euch aber das schönste Foto, das ich am Wochenende gesehen habe, hier. So sieht das aus:

[plugin imagelink link="https://pbs.twimg.com/media/B-6XNmyWoAMaG3C.jpg:small" imagesrc="https://pbs.twimg.com/media/B-6XNmyWoAMaG3C.jpg:small"] Krass groß, so eine Baby-Giraffe. (Quelle)


Uber muss Geduld lernen

$
0
0
Im Januar hatte Travis Kalanick, Gründer der umstrittenen Taxi-Alternative Uber, noch große Wachstumspläne für Deutschland. „Wenn wir könnten, gäbe es Uber bald in mehr als 70 deutschen Städten. Jede Stadt ab 100000 Einwohner ist interessant“, sagte er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Schon damals räumte der 38-jährige Unternehmer aus Kalifornien ein, dass er bei diesem Vorhaben mit heftigem Widerstand zu rechnen habe – zu Recht, wie sich jetzt zeigt: Die Ausweitung des Geschäfts in Deutschland ist zunächst ins Stocken geraten.



Die Taxi-Branche, hier eine Reihe wartender Wagen in Berlin. hadert mit Uber.

Uber vermittelt derzeit in Berlin, Hamburg, München, Frankfurt und Düsseldorf gewünschte Fahrten über eine App an private Fahrer. Am Wochenende bestätigte ein Sprecher des Unternehmens der Nachrichtenagentur DPA, dass vorerst keine weiteren Städte hinzukämen. Dies heiße jedoch nicht, dass der Fahrdienst-Vermittler seine Expansion in Deutschland einstelle. Das Unternehmen reagierte damit auf einen entsprechenden Bericht der Wirtschaftswoche.

Uber war bereits im Herbst 2014 von seinem ursprünglichen Geschäftsmodell teilweise abgerückt. Nachdem der US-Firma in Berlin und Hamburg der Betrieb ihres Dienstes gerichtlich untersagt worden war, wurden die Preise auf 35 Cent je gefahrenem Kilometer gesenkt. In Berlin hatte der Kilometer zuvor 1,60 Euro gekostet. Die Richter hatten argumentiert, der Fahrpreis liege meist unterhalb des Preises für reguläre Taxifahrten. Er dürfe aber nicht die Betriebskosten des Autos überschreiten, weil der Fahrdienst sonst unter die Regeln des Personenbeförderungsgesetzes falle, wofür eine Konzession notwendig sei. Das 35-Cent-Preismodell sollte deshalb dazu dienen, den Fahrten den gewerblichen Charakter zu nehmen und sie wieder legal zu machen. Auch dies bereitet Uber nun neue Schwierigkeiten.

Nach Angaben des Unternehmenssprechers könne der Dienst, der zu 35 Cent pro Kilometer angeboten wird, nicht so schnell wachsen, „wie das aufgrund der Nachfrage eigentlich nötig wäre“. Trotzdem gebe es keinen „generellen Anwerbestopp für Partner-Fahrer“ in diesen Städten. Uber will dort auf jeden Fall im Markt bleiben. Die 35 Cent dürften jedoch weder für den Fahrer noch für den App-Anbieter sonderlich lukrativ sein, der normalerweise 20 Prozent des Fahrpreises kassiert. Auch einige deutsche Städte hatten zuletzt auf ein allgemeines Kooperationsangebot des Unternehmens eher zurückhaltend reagiert.

Der 2009 gegründete Fahrdienst, der in mehr als 270 Städten in 55 Ländern und seit 2013 auch in Deutschland unterwegs ist, wird von der Taxi-Branche heftig bekämpft. Michael Müller, Präsident des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes, zeigte sich deshalb erfreut über die neuen Nachrichten von der Konkurrenz. Lege Uber seine Expansionspläne in Deutschland tatsächlich auf Eis, „nehme man dies „mit Genugtuung auf“. sagte er. Die Ankündigungen zeigten, „ dass das Unternehmen erkannt hat, wie wirtschaftlich kompliziert die Lage auf dem Beförderungsmarkt ist – nicht zuletzt auch durch die Einführung des Mindestlohns“.

Ärger hat der Fahrdienst ebenfalls in den USA: Unbefugte verschafften sich dort im Mai 2014 Zugriff auf Namen und Führerschein-Nummern von etwa 50000 Uber-Fahrern. Im September wurde das Datenleck bemerkt, doch erst jetzt berichtete Uber davon in einem Blog-Eintrag – ohne weitere Angaben zu den Umständen des Angriffs zu machen. Man habe Klage gegen Unbekannt eingereicht, hieß es.

Der Kunde ist König

$
0
0
Elvir Omerbegovic steht am Fenster seiner Maisonettewohnung mit komplett verglastem Blick auf den Rhein. In fünf Minuten ist man von hier in der Düsseldorfer Altstadt. Oder in drei, wenn man den Porsche 911 Turbo Snimmt, der in der Tiefgarage wartet. Einen stärkerer 911er wird nicht gebaut. Es ist ein Auto für Menschen, die gerne zuerst da sind.



Vor zehn Jahren gründete Elvir Omerbegovic sein Plattenlabel "Selfmade Records" - heute ist er Deutschlands erfolgreichster Hip-Hop-Produzent.

Früher half Omerbegovic seiner Mutter beim Putzen in Krankenhäusern. Da war er 13. Heute ist er 34 und derzeit Deutschlands erfolgreichster Hip-Hop-Produzent. Das von ihm produzierte Album „King“ des Düsseldorfer Rappers Kollegah war im vergangenen Jahr das meistverkaufte Hip-Hop-Album im Land. Die anderen beiden Porsches Omerbegovics stehen übrigens bei einem Freund, einer hat zwar keine Rückbank, aber einen Feuerlöscher an Bord, Spitzname: Witwenmacher. Omerbegovic blickt also über den Rhein und sagt: „Ich mache nichts mehr, worauf ich keinen Bock habe.“

Vor zehn Jahren, während seines Studiums, hat er ein Musiklabel gegründet. Nachts Seminararbeiten, tagsüber Büro. Das Label heißt „Selfmade Records“. 2008 macht er seinen Masterabschluss, und während seine Kommilitonen Jobs suchen, arbeitet er jetzt einfach auch nachts im Büro. Im Jahr 2013 wurden die Videos aller „Selfmade“-Künstler 100 Millionen Mal angesehen. Einmal gelangen dem Label fünf deutsche Nummer-1-Alben hintereinander, und „King“ führte einmal sogar die weltweiten Streaming-Charts an. Kollegah, ein Bodybuilder und ehemaliger Jurastudent, ist Omerbegovics wichtigster Künstler. In den Alben-Top-Ten 2014 landete „King“ schließlich auf dem 7. Platz.

Das ist für einen Künstler im Subgenre Gangster-Rap hierzulande ein gigantischer Erfolg. Kollegahs Talent dürfte seinen Anteil daran haben. Besonders für deutsche Verhältnisse ist er ein außergewöhnlich origineller Gangster-Rapper. In der mittlerweile kaum noch zu überblickenden und notorisch zerstrittenen Deutschrap-Szene wird er sogar von nicht wenigen Gegnern geschätzt. Einerseits. Andererseits ist da noch Omerbegovic, der für die Art, wie in Deutschland inzwischen Rap und Hip-Hop entsteht und vermarktet wird, neue Maßstäbe gesetzt hat.

Sozialer Aufstieg ist im Hip-Hop die Motivation schlechthin, von Compton nach Hollywood, von der Bronx nach Manhattan, und zwar eben mit nichts weiter als Worten und einer großen Portion Mut. Omerbegovic kommt aus Mettmann. Und es hilft auch nicht, dass seine Vater aus Kroatien und seine Mutter aus Serbien kommt. In Mettmann dealt man nicht mit Crack. Man geht putzen, und wenn das dann „ganz unten“ ist, dann landet man, wenn man weit nach oben kommt, in Düsseldorf und um die Ecke wohnen Verona und Franjo. Die Tragik Deutschlands ist eben manchmal, dass es nicht Amerika ist. Omerbegovic spielte in seiner Jugend so gut Basketball, dass er erst zu Bayer Leverkusen ging und mit 17 Jahren schließlich in die USA wechselte, zu einem Team in Kentucky. Er sagt: „Düsseldorf als cool wahrzunehmen, ist unmöglich. Ich mag, dass der Flughafen in der Nähe ist. Und: Hier kann ich ohne Ablenkung in Ruhe arbeiten.“

Er ist bis heute oft in den USA. Dort wohnt seine Freundin. Und dort lernt er. Neben ihm auf seinem Sofa in der Maisonette-Wohnung liegen Handbücher über amerikanischen Turbokapitalismus und über den deutschen Porsche Turbo. Er packt gerade, eine Woche Urlaub auf Gran Canaria – mit seiner Mutter. Sie entspannt, er lernt und liest. Seine Mutter ist Omerbegovics größtes Vorbild: „Sie hat aus extrem schwierigen Umständen das beste gemacht.“ Vor einigen Jahren hat er ihr einen Golf geschenkt.

Ein paar Stunden zuvor, beim Abendessen, erklärt Omerbegovic seinen Erfolg. Er sitzt im Restaurant „Das Fischhaus“ zwischen Düsseldorfer Frührentnern, die sich fein gemacht haben. Viele müssen auf einen Tisch warten, Omerbegovic, der wie immer Jogginganzug trägt, nicht. Denn: „Warten nervt“, eine Regel, seine Regel, die die Kellner seines Stammlokals kennen. Omerbegovic bekommt blitzschnell anderthalb Portionen Thunfisch medium rare serviert, ohne alles. Er isst niemals Kohlenhydrate. Er trinkt niemals Alkohol. „Erfolg ist kein Sprint“, sagt er, „Erfolg ist ein Marathon“. Kurze Pause. „Mein Problem ist, dass ich den Marathon zu häufig im Sprint zurücklege.“ Tatsächlich hatte er schon mal einen Burnout. Aber im Rap ist man nach dem Comeback oft stärker als zuvor. Heute checkt er regelmäßig seine Blutwerte und lässt sich fünfzehn Mal im Jahr von einer Biochemikerin mit extra für ihn angefertigten Infusionen versorgen. So hält er das Arbeitspensum: „Samstag, Sonntag, Feiertag – ist alles dasselbe.“ Alles ist ein Geschäftsmodell, wenn man hart genug drauf ist. Und man kann alles optimieren. Gerade auch sich selbst. Nach dem Abendessen geht’s ins Fitness-Studio, danach wieder zurück ins Büro. Um 21 Uhr sieht man Omerbegovic noch mal dabei zu, wie er Zahlen checkt. Er checkt ständig Zahlen. Alben-Abverkauf, Chart-Platzierung, Youtube-Aufrufe, Likes auf Facebook.

Sein Schreibtisch ist bis auf einen großen Mac leer. An der Wand hängen die goldenen Schallplatten. Spezielle Computerprogramme geben ihm in Echtzeit Aufschluss darüber, wie beliebt seine Künstler sind. Und dann sind da noch die Verkaufszahlen seiner Klamotten, zum Beispiel des Labels Pusher, das Jogginganzüge herstellt. Die tragen seine Künstler in ihren Videos. Und alle, die aussehen wollen wie Rap-Stars, bestellen sie. Das Geschäft läuft ausgezeichnet.

„Das Musikding beherrsche ich. Jetzt brauche ich weitere Herausforderungen“, sagt Omerbegovic dazu. Eines seiner neuesten Produkte ist ein Softeis mit Alkoholgehalt. Markenname „Suck It“, was auf Deutsch irgendetwas zwischen „Leck mich“ und „Lutsch dran“ bedeutet, je nachdem, wem man eines anbietet.

Je größer die Provokation, umso eher verbreitet sich die frohe Botschaft – in diesem Fall, dass man sich jetzt auch beim Eislutschen betrinken kann – von selbst. Das spart Ausgaben. Der Absatz des Alkohol-Softeises, das Omerbegovic zusammen mit dem Smoothie-Produzenten True Fruits herstellt, habe sich – selbstredend – innerhalb der ersten zwei Jahre verdoppelt.

Apropos Provokation und Marketing: Vor ein paar Wochen hat er für seinen Rapper Favorite das Video „Europas wichtigster Mann“ produziert, in dem Originalaufnahmen aus dem Dritten Reich so bearbeitet sind, dass der Rapper Hitler auf dem Obersalzberg die Leviten rappt. 1,5 Millionen Views später läuft die Debatte, ob man so was machen darf, immer noch.

Über Gangster-Rapper, die ihre Rolle mit ihrem Leben verwechseln, lächelt Omerbegovic nur sanft. Als er Selfmade Records gründete, kämpfen die großen Plattenfirmen gegen die Raubkopien im Netz. Sie begreifen nicht, dass das Netz eine Chance ist. MTV und Viva spielen Omerbegovics Künstler nicht. Zu klein, zu unbekannt. Also stellt er die Videos auf Youtube. Dort sind längst die Jugendlichen, die gerne das coole Zeug hören wollen, das vor ihnen noch niemand entdeckt hat. Und die Jugendlichen, die die Musik hören möchten, über die ihre Freunde reden. Also eigentlich alle Jugendlichen. „Als MTV uns dann endlich spielen wollte, war es schon komplett irrelevant geworden.“ Die alten Labels, die großen Plattenfirmen hat er so quasi rechts überholt. Porschefahrer-Taktik. Sie sahen ihn nicht mal kommen, sie waren noch damit beschäftigt, das Internet zu bekämpfen.

Seine eigenen Firmen führt Omerbegovic wie Startups: „ Träge Strukturen engen mich ein.“ Er hat wenige Angestellte und jeder kann fast überall aushelfen. Seine Videos entstehen mit Freelancern, jungen Profis, die mit ein paar Leuten bessere Videos produzieren als alte Produktionsfirmen mit 30 oder 40 Angestellten. Die Labels, die den neuen deutschen Rap und den Sieg des Internets verschlafen haben, wollen jetzt an Omerbegovics Erfolg teilhaben. Universal hat ihn Anfang 2014 zum „President of Rap“ ernannt.

Die Frage ist eigentlich nur, was jetzt noch kommen kann. Probleme? Omerbegovic denkt nach. Auf dem Weg ins Fitness-Studio fällt ihm eins ein: Es war schwer, für seinen neuesten Porsche eine Versicherung zu finden. Das Auto ist zu viel wert.

Halbe Ärzte

$
0
0
Lucia Benzinger ist eine junge Frau, die weiß, was sie will. Die 23-Jährige möchte Ärztin werden. Gut zwei Jahre hat sie an der Universität Frankfurt am Main Medizin studiert. Das Physikum, die Hürde zwischen dem vorklinischen und dem klinischen Studienabschnitt, konnte sie nach vier Semestern meistern. All der Fleiß hat jedoch eines nicht verhindern können: Zum 31.März wird sie exmatrikuliert. Der Grund: Benzinger hat einen „Teilstudienplatz“ und darf damit nur die ersten vier Semester Humanmedizin studieren, bis zum sogenannten Physikum. Und die junge Frau ist nicht alleine mit diesem Problem. Mit ihr stehen knapp 20 Studenten ihres Semesters vor der Exmatrikulation – aus dem gleichen Grund.



Ärzteverbände erwarten mit Sorge eine Ruhestandswelle - auf den Nachwuchs im Hörsaal kommt es an.

Teilstudienplätze sind ein Konstrukt, das sich ausschließlich an den humanmedizinischen Fakultäten der Universitäten findet. In Zeiten des Ärztemangels erscheint es aberwitzig, Nachwuchs auf halber Strecke auszubremsen. Jährlich sind mehrere hundert Studenten davon betroffen. Die Berufsverbände der Ärzte sehen mit bangem Blick einer anstehenden Ruhestandswelle entgegen. Zum Beispiel der Marburger Bund fordert in einem aktuellen Positionspapier zur Reform des Medizinstudiums zehn Prozent mehr Studienplätze, erst vor Kurzem hat der Verband in Berlin zur Pressekonferenz geladen. „Ganze“ Studienplätze statt halber wären hinsichtlich der Lage schon mal ein Anfang.

Die „halben“ Plätze kommen durch einen Fehler im System zustande. Ulf Bade, als Geschäftsführer der Stiftung für Hochschulzulassung (der früheren ZVS) auch zuständig für die Verteilung der Medizin-Studienplätze, erklärt die Sachlage: „Es gibt für den vorklinischen Teil des Studiums ein höheres Studienplatzangebot als für den zweiten Studienabschnitt, den klinischen Teil.“ Der Unterschied wurzelt in den Kriterien für die Berechnung der Plätze. Während in den ersten vier Semestern die Anzahl an Lehrpersonal ausschlaggebend ist, berechnet sich die Kapazität für den zweiten Abschnitt, der „Klinik“, zusätzlich an den vorhandenen Betten in den an die Universitäten angeschlossenen Krankenhäusern. Das Ungleichgewicht würde sich unter Umständen selbst auffangen; denn nicht jeder, der ein Studium anfängt, beendet es auch erfolgreich – viele scheitern an der ersten großen Zwischenprüfung.

Doch es gibt da einen weiteren Faktor, genau genommen ist es der wichtigste: der Gesetzgeber. 1981 sprach das Bundesverfassungsgericht ein richtungsweisendes Urteil zur Kapazitätsverordnung. Darin heißt es: Das durch das Grundgesetz „gewährleistete Zulassungsrecht von Studienbewerbern wird verletzt, wenn ihre Anträge auf Zuteilung eines vorhandenen Studienplatzes für den vorklinischen Abschnitt des Medizinstudiums deshalb abgewiesen werden, weil die Möglichkeit eines Weiterstudiums bis zum berufsqualifizierenden Abschluß ungewiß ist.“ Das heißt konkret: Seitdem müssen alle Studienplatzkapazitäten ausgenützt werden – ohne Rücksicht darauf, ob jeder, der ein Medizinstudium begonnen hat, es zu Ende führen kann.

Nur zwei medizinische Fakultäten in Deutschland folgen der Vorlage des Gesetzgebers und bieten von Haus aus auch Teilstudienplätze an: Göttingen und Marburg. Diese Plätze werden ganz regulär im Vergabeverfahren über die Stiftung Hochschulzulassung ausgelost. Alle anderen Teilstudienplätze entstehen durch Gerichtsverfahren, in denen Studienbewerber einen Platz einklagen. Vor Gericht geht es in solchen Fällen nicht darum, dass die Note des Bewerbers nicht ausreicht – sondern die Kläger ziehen die Zahl der angebotenen Plätze in Zweifel. In jedem Fall ist aber von vorneherein klar: Der Studienplatz gilt nur bis zum Physikum. Wie viele eingeklagte Teilstudienplätze es an deutschen Universitäten gibt, lässt sich schwer beziffern. Neben dem Frankfurter Fall berichteten die Universitäten Halle-Wittenberg, Hamburg und Leipzig von eingeklagten Plätzen.

Die Zahl derer, die über die reguläre Vergabe einen Teilstudienplatz bekommen, kann Stiftungsvertreter Ulf Bade hingegen genau benennen: 254 pro Erstsemester. Sie erscheint vergleichsweise gering, wenn man die Gesamtzahl betrachtet: 8999 Studienplätze wurden im klassischen Verfahren im Wintersemester 2014/15 vergeben. Auf jeden Platz kommen ungefähr fünf Bewerber. 20 Prozent der regulären Plätze gehen nach Auskunft der Stiftung an die Abitur-Besten, weitere 20 Prozent werden nach der Wartezeit vergeben. Über die restlichen 60 Prozent entscheiden die Universitäten selbst in eigenen Auswahlverfahren, bei denen zusätzlich zur Note weitere Kriterien einfließen. Bade sieht sich bezüglich des Andrangs und der knappen Zahl an Plätzen als „Verwalter eines Mangels“.

Anwaltskanzleien haben sich seit dem Karlsruher Urteil auf sogenannte Kapazitätsklagen spezialisiert, machen mit ihren Diensten Reklame. Auch die Frankfurter Studentin Benzinger verdankt ihren Studienplatz einem Gerichtsurteil. Nach ihrem Abitur mit Note 2,2 hatte sie sich zunächst zur Rettungsassistentin ausbilden lassen – und so vier Wartesemester gesammelt. Als diese nicht ausreichten, um direkt ins Studium zu wechseln, entschloss sie sich zur Klage. Gut 10000 Euro investierte sie dafür, hatte aber Erfolg. Nun ist die Ernüchterung groß. Mit „viel Elan“ sagt sie, habe sie sich in ihr Studium gestürzt – von der Hochschule fühlt sie sich alleinegelassen.

Die Uni Frankfurt verweist die Studentin und ihre exmatrikulierten Kommilitonen auf das übliche Procedere: Der Teilplatz sei nun mal zu Ende – entweder man bewerbe sich bei anderen Unis direkt für die klinischen Fachsemester oder man nehme über die Stiftung erneut am Vergabeverfahren für einen Vollstudienplatz teil.

Doch: Hier würde ja wieder ihre Abiturnote zählen, viele Bewerber müssten wohl wieder Wartesemester erwerben. Robert Sader, Dekan für den klinischen Studienabschnitt in Frankfurt, spricht von einer „unguten Situation“. Er habe Verständnis für die Lage der Betroffenen. Tun könne er aber nichts. Darüber hinaus sei die Situation ja „nicht von heute auf morgen entstanden“. Vielmehr hätten die Studenten das Risiko von Anfang an gekannt. Er sieht vor allem die Anwälte in der Pflicht, ihre Mandanten umfassender aufzuklären. Doch ob eingeklagt oder per regulären Teilstudienplatz: Jahr für Jahr stehen junge, motivierte Menschen vor zugesperrten Türen ihrer Fakultäten, machen ein Studium als halber Arzt und müssen dann bangen, warten – oder kreativ sein. Ein Teil der ehemaligen Teilstudenten, so hört man, wechselt zum klinischen Abschnitt an Universitäten im Ausland. Die Universität Göttingen, an der aktuell 64 Studenten mit Teilstudienplatz exmatrikuliert sind, hat eigens eine Beratung für Betroffene eingerichtet.

Andreas Botzlar, Vize-Vorsitzender des Marburger Bundes, sieht in den Teilstudienplätzen „eine Sackgasse, die niemandem hilft“. Der Verband fordert eine Reform des Medizinstudiums, die nicht nur mehr Plätze schafft, sondern auch einheitliche Kapazitäten für beide Abschnitte gewährleistet, die klinischen Lehrkapazitäten also ausbaut. „Jeder, der ein Medizinstudium anfängt“, so Botzlar, „muss auch die Chance haben, es zu Ende zu führen.“

Mit dem Rücken zum Eingang

$
0
0
Dennis Meyhoff Brink war schon häufig bei Debatten wie im Kopenhagener Kulturcafé Krudttønden vor zwei Wochen: kleiner Rahmen, etwa 40 Zuhörer, Sicherheitskontrollen am Eingang. Sie gehören für den Kulturwissenschaftler zur Routine, wenn Gäste wie der schwedische Mohammed-Zeichner Lars Vilks teilnehmen. Im Café vor dem Seminarraum stehen zwei Polizisten, zudem sind Mitarbeiter vom Geheimdienst in Zivil da.



Nach den Terroranschlägen vor zwei Wochen wird Kritik laut, dass die Polizei nicht genug Prävention betrieben habe.

Eine halbe Stunde nach Beginn fallen Schüsse. Panik bricht aus, Menschen laufen zu den Ausgängen. Meyhoff Brink versteckt sich unter einem Mischpult. Ein bewaffneter Mann kommt rein und stürzt durch den Raum zur Hintertür. Er blutet am Bein, richtet die Waffe zur Decke. Wahrscheinlich Nachrichtendienst, denkt Meyhoff Brink in seinem Versteck. „Er schien die Situation nicht unter Kontrolle zu haben“, sagt er.

Zwei Wochen nach den Anschlägen, bei denen zwei Opfer und der Täter starben, werden immer mehr Details öffentlich und werfen neue Fragen auf. Eine offizielle Untersuchung soll nun zeigen, ob Polizei und Inlandsgeheimdienst PET richtig gehandelt haben. Hätten die Anschläge verhindert werden können?

In der Tageszeitung Politiken belasten Augenzeugen anonym die beiden Polizisten am Ort. Sie hätten Kaffee getrunken, mit dem Rücken zum Eingang, als der Täter Omar Abdel Hamid El-Hussein auftauchte. Es sei ein Café-Mitarbeiter gewesen, der den Täter zuerst gesehen und die Polizisten gewarnt habe. Als El-Hussein schießt, erwidern sie das Feuer sofort. Meyhoff Brink im Seminarraum nebenan hört nur die Schüsse und weiß nicht, wie viele Täter es sind. „Wir waren überhaupt nicht sicher, dass die Polizisten den Kampf gewinnen“, sagt er. Die Sicherheitsleute hätten „einen heldenhaften Job“ gemacht, doch vielleicht waren sie zu wenige. Nicht einmal die Hintertür sei bewacht gewesen. Von dort wäre der Täter leicht in den Seminarraum gelangt. „Dann hätte es höchstwahrscheinlich ein Massaker gegeben, wie bei Charlie Hebdo“, sagt Meyhoff Brink.

Tatsächlich hat El-Hussein einen anderen Weg ins Gebäude gesucht, bevor er auf die Glasfront des Haupteingangs schoss. Der Filmemacher Finn Nørgaard begegnete dem 22-Jährigen dort draußen, versuchte wohl, ihn aufzuhalten. El-Hussein erschoss ihn aus nächster Nähe. Warum stand kein Sicherheitsmann vor dem Gebäude? Warum konnte der Täter nach der Schießerei zunächst einfach entkommen, zu Fuß? „Warum wurde das Café nicht besser bewacht, wo wir doch eben erst Anschläge im Zusammenhang mit Mohammed-Karikaturen in Paris erlebt hatten“, fragt Lars Erslev Andersen, Terrorismus-Forscher am Dänischen Institut für Internationale Studien (DIIS).

PET und Polizei antworten auf keine dieser Fragen, verweisen auf die laufende Untersuchung. Häppchenweise veröffentlichen sie andere Details. Man weiß, dass der Täter an diesem Tag 40 Schüsse aus drei verschiedenen Waffen abgefeuert hat. Dass die Jagd auf ihn 13 Stunden und 17 Minuten dauerte. Dass er um 15.33Uhr das Feuer auf das Krudttønden mit einem M95-Gewehr eröffnete. Die Waffe war einem Reservisten der Streitkräfte gestohlen worden. Die Polizei fand sie später am Mjølnerparken, einem Wohnkomplex im Stadtteil Nørrebro, wo der Täter lebte.

Auf der Flucht nach dem ersten Anschlag zwingt El-Hussein den Fahrer eines VW Polo, ihm seinen Wagen zu überlassen. Er fährt wenige Kilometer, lässt dann das Auto stehen und ruft ein Taxi. Es setzt ihn um etwa 16.15Uhr in Nørrebro ab, vermutlich vor seiner Wohnung. Nach 20 Minuten verlässt er diese wieder. Was tut er in den Stunden bis zum Anschlag auf die Synagoge? Warum nutzt die Polizei diese Zeit nicht, um jüdische Einrichtungen in der Stadt stärker zu bewachen?

Die Familie, die in der Synagoge die Bat-Mizwa ihrer zwölfjährigen Tochter feiert, berichtet später, die jüdische Gemeinde habe sich nach dem ersten Anschlag an die Polizei gewandt. Doch die habe es nicht für nötig gehalten, die Feier abzusagen. Die Gemeinde habe daraufhin um Schutz gebeten. Zwei Beamte bewachten in der Tatnacht die Synagoge gemeinsam mit dem 37-jährigen Dan Uzan, der sich freiwillig gemeldet hatte.

Als El-Hussein sich ihnen nähert, täuscht er Berichten zufolge vor, betrunken zu sein. Torkelnd kommt er auf Uzan zu, bevor er ihn erschießt und die beiden Polizisten verletzt. Wieder kann er entkommen. Später ist von möglicherweise defekten Waffen der Beamten die Rede. Was genau passiert ist, bleibt unklar. Die Polizei schwärmt aus, sperrt die Innenstadt ab, evakuiert die nahe gelegene S-Bahn-Station. Das zumindest habe gut funktioniert, sagt Terrorexperte Magnus Ranstorp von der schwedischen Hochschule für Verteidigung. Um 4.50 Uhr fangen sie den Täter nahe seiner Wohnung ab. Er schießt, die Polizei erwidert das Feuer und tötet ihn.

Nun versucht sie, die Zeit zwischen den Anschlägen zu rekonstruieren. Vergangenen Freitag nimmt sie einen weiteren Verdächtigen fest. Er könnte El-Hussein geholfen haben. Zwei mögliche Helfer sitzen bereits in Untersuchungshaft. Die Polizei veröffentlicht ein Bild des Täters aus einem Internet-Café, aufgenommen wenige Stunden vor dem Anschlag auf die Synagoge. Sie sucht Zeugen, die ihn gesehen haben.

Doch damit enden die Fragen nicht. El-Hussein war nur zwei Wochen vor der Tat aus dem Gefängnis entlassen worden. Dort saß er, weil er jemanden mit einem Messer verletzt hatte. Die Gefängnisleitung meldete ihn bereits im September dem PET als einen Häftling, bei dem das Risiko zur Radikalisierung bestehe. Schon vorher war er mehrmals aufgefallen, wegen Drogendelikten, unerlaubten Waffenbesitzes, und weil er gewalttätig wurde. Der PET habe ihn „auf dem Radar“ gehabt, erklärt die Behörde später. Warum wurde er dann nicht überwacht? Medien berichten, der PET habe gar nichts von seiner Entlassung aus dem Gefängnis gewusst. Offiziell bestätigt ist das nicht. „Die Kommunikation zwischen Anwälten, Gefängnis und Sicherheitsdiensten funktioniert nicht“, sagt Terror-Forscher Lars Erslev Andersen.

Dennis Meyhoff Brink, der als Kulturwissenschaftler über die Geschichte der Karikatur forscht, war am Mittwoch wieder zu einer Debatte eingeladen. Es sollte um Charlie Hebdo gehen, der Termin stand schon lange fest. Er hat abgesagt, war noch nicht bereit. „Ich hoffe, dass ich es bald wieder bin“, sagt Meyhoff Brink. Doch in Zukunft werde er vor solchen Veranstaltungen bei der Polizei anrufen und nach den Sicherheitsvorkehrungen fragen.

Der ausgebremste Präsident

$
0
0
Es war ein Auftritt ganz nach seinem Geschmack. Der Plenarsaal war voll, die Kameras liefen. 95 Prozent der Abgeordneten hatten ihn gerade als Bundestagspräsidenten wiedergewählt, ein starkes Ergebnis. Norbert Lammert stieg zur Präsidentenkanzel hinauf, schob das Pult hoch – und begann seine Rede. Lammert redet gern, er weiß um seine Wirkung. Im Bundestag sitzt zwar ein Abgeordneter namens Cajus Julius Caesar. Es gibt aber kaum einen Parlamentarier, bei dem sich der Eindruck aufzwingt, er könne in direkter Linie von Cicero oder Cato abstammen. Umso stärker glänzt der Rhetor Lammert.



Der frustrierte Rhetor: Norbert Lammerts Reformpläne stoßen auf Widerstand in den eigenen Reihen.

Auch an diesem Tag verfehlte der Bundestagspräsident nicht seine Wirkung. Es war der 22. Oktober 2013, das neue Parlament hatte sich gerade konstituiert. Lammert nutzte die Chance für einen Appell an den Stolz des Bundestages – auch gegenüber einer übermächtigen großen Koalition. Ein Parlament, das Forum der Nation sein solle und wolle, müsse die ganze Breite der Meinungen zur Geltung bringen, die es unter den Abgeordneten und in der Gesellschaft gebe, sagte Lammert. Zum Leidwesen seiner Parteifreunde von der CDU forderte er deshalb eine Klarstellung der Minderheitenrechte sowie eine Reform der bisher zahmen Regierungsbefragung im Parlament. Außerdem mahnte Lammert eine Reform des Wahlrechts an, weil dieses für viele Bürger „ziemlich undurchsichtig“ sei.

Grüne und Linke klatschten erfreut ob dieser Forderungen, in der Unionsfraktion blieb der Beifall vergleichsweise mau. Lammert stocherte auch noch ein bisschen in der Wunde. Bei der Unionsfraktion wolle er sich besonders bedanken, sagte der Bundestagspräsident. Die habe ihn erneut vorgeschlagen, obwohl sie wisse, dass sein Amtsverständnis „in den eigenen Reihen nicht immer stürmische Begeisterung erzeugt“. Da konnte Angela Merkel nur heftig nicken. Unionsfraktionschef Volker Kauder rief gar laut „Stimmt!“ durch den Plenarsaal.

Für Lammert war es ein triumphaler Start in die neue Legislaturperiode. Inzwischen ist das erste Drittel vergangen. Es ist also Zeit für eine erste Bilanz, was der Bundestagspräsident von seiner Agenda hat durchsetzen können. Es ist, so viel sei vorweg gesagt, trotz vieler ehrenwerter Bemühungen eine eher dürftige Bilanz. Seine eigene Fraktion hat ihn zu oft ausgebremst.

Die Reform der Regierungsbefragung ist in der vergangenen Woche endgültig gescheitert. Lammert hatte sich monatelang um eine Verständigung zwischen Koalition und Opposition bemüht und am Ende sogar einen eigenen Kompromissvorschlag präsentiert. Union und SPD lehnten diesen jedoch ab. „Damit ist das Manöver beendet“, musste Lammert deshalb in der jüngsten Sitzung des Ältestenrats eingestehen. Jetzt bleibt alles beim Alten. Auch künftig darf die Regierung das Hauptthema ihrer Befragung selbst festlegen. Auch künftig muss lediglich ein einziger Minister bei der Befragung anwesend sein. Auch deren Dauer wird nicht verlängert, es bleibt bei knappen 30 Minuten je Sitzungswoche. Von einem Schlagabtausch wie bei den „Prime Minister’s Questions“ im britischen Unterhaus können Bürger also weiterhin nur träumen. Die Kanzlerin wird sich auch in Zukunft nie einer Befragung durch den Bundestag stellen müssen. Lammert selbst wird das am meisten schmerzen. Er hatte vor einem Jahr erklärt, die Regierungsbefragungen und Fragestunden in ihrer jetzigen Form seien der „schwächste Teil des deutschen Parlamentarismus“.

Bei den Minderheitenrechten waren Lammerts Vermittlungsversuche erfolgreicher. Grüne und Linke stellen nur 20 Prozent der Abgeordneten. Sie bekommen inzwischen aber je nach Debattenformat 25 bis 32 Prozent der Redezeit. Außerdem werden den beiden Oppositionsfraktionen einige Minderheitenrechte zugestanden, für deren Wahrnehmung eigentlich 25 Prozent der Abgeordneten notwendig sind. Dazu gehören etwa die Einberufung des Bundestags oder die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. Ein wichtiges Recht hat die große Koalition dabei aber ausgespart: die Möglichkeit einer Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht.

Bleibt der dritte Punkt der Lammert’schen Agenda, die Reform des Wahlrechts. Das Wahlrecht ist das Betriebssystem der Demokratie. Es übersetzt ein Abstimmungsergebnis in Mandate – und entscheidet damit über die Macht im Land. Wenn Bürger das Wahlrecht nicht verstehen oder es gar für ungerecht halten, schadet das der Akzeptanz der Demokratie. Lammert stört sich vor allem am neu eingeführten komplizierten System der Ausgleichs- und Überhangmandate. Gleich nach seiner Wiederwahl zum Bundestagspräsidenten hatte er deshalb erklärt, man müsse das erst Anfang 2013 geänderte Wahlrecht „noch einmal angucken“. Dies sollte bis spätestens 2015 geschehen. Ansonsten käme man der nächsten Bundestagswahl zu nahe.

Inzwischen ist März 2015, in Sachen Wahlrecht ist aber nichts geschehen. Lammert hat deshalb jetzt erneut eine Reform angemahnt. Er sei fest davon überzeugt, dass „wir an dieses Thema noch einmal heranmüssen“, sagte er dem Magazin Cicero. Das aktuelle Wahlrecht sei „derart kompliziert, dass nur ein Bruchteil der Wähler eine zutreffende Vorstellung über die Wirkungsweise seines Stimmverhaltens für die Mandatsverteilung“ habe. Damit seien „die Mindestanforderungen an die Transparenz eines Wahlsystems nicht erfüllt“. Bei der Bundestagswahl 2013 hätte es nach dem alten Wahlrecht nur vier Überhangmandate gegeben. Wegen des neuen Systems wurden daraus aber 33 zusätzliche Sitze im Bundestag. Hätte die Union nicht so deutlich gewonnen, hätten es auch doppelt so viele Extra-Mandate werden können.

Für Lammert ist das nicht akzeptabel. Die große Koalition macht bisher aber keine Anstalten, das Wahlrecht zu ändern. Der Bundestagspräsident mag ein großer Redner sein, aber auch er hat nur eine Stimme. In diesem Fall ist das leider zu wenig.

Gegen Genpflanzen-Inseln

$
0
0
Im Streit um das geplante Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen dringt die Mehrheit der Länder auf eine Regelung auf Bundesebene. Sollte diese nicht zustande kommen, behalten sich einige von ihnen eigene Verbote vor, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in den zuständigen Ministerien ergab.



Unerwünscht: gentechnisch veränderter Mais auf einem Versuchsfeld in Baden-Württemberg.

„Es darf in Deutschland keinen Flickenteppich geben, daher muss der Bund ein Verbot erlassen“, sagte Schleswig-Holsteins Agrarminister Robert Habeck (Grüne). Generell positionierten sich fast alle Flächenländer gegen Genpflanzen auf Äckern. Sachsen-Anhalt äußerte sich abwartend. Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) plant die Umsetzung des Anbauverbots auf Länderebene, da dies die rechtssicherste Methode sei. Ein Bundesgesetz soll dafür einen einheitlichen Rahmen schaffen. Das Bundesumweltministerium will dagegen ein Verbot auf Bundesebene. Die EU-Staaten sollen nach einer Grundsatzeinigung mehr Spielraum bekommen, den Anbau von europaweit zugelassenen Genpflanzen auf ihrem Gebiet per Ausstiegsklausel zu verbieten. Das Gesetz zur Umsetzung in Deutschland soll voraussichtlich im Herbst in Kraft treten.

Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Bundesminister Schmidt richtet mit seinem Vorschlag erhebliches Chaos an.“ Erzeugern, die gentechnikfrei wirtschafteten, drohe Planungsunsicherheit. Ein Sprecher von Sachsens Agrarminister Thomas Schmidt (CDU) sagte: „Wenn jedes Bundesland selbst eine Entscheidung treffen soll, würde sich auch der damit verbundene Verwaltungsaufwand versechzehnfachen.“ Hessens Ministerin Priska Hinz (Grüne) sagte: „Gründe wie die Sicherung der Saatgutreinheit könnten ein bundeseinheitliches Verbot durchaus rechtfertigen.“

Bei der Agrarministerkonferenz vom 18. bis 20. März solle das Thema auch mit Schmidt erörtert werden, sagte Hinz, die derzeit den Vorsitz innehat. Bereits im vergangenen Herbst hatten die Länder-Agrarminister gefordert, dass der Bund ein solches einheitliches Verbot ausspricht. Käme es nicht zustande, will Hessen alle gesetzlichen Grundlagen nutzen, um einen Anbau zu verhindern. Sollten die Länder Verantwortung übernehmen müssen, will auch das Saarland dafür sorgen, dass es als Region ohne Genpflanzenanbau erhalten bleibt, wie Umweltminister Reinhold Jost (SPD) sagte. Der nordrhein-westfälische Minister Johannes Remmel (Grüne) sagte: „Wir wollen ein gentechnikfreies NRW und werden alle Möglichkeiten für ein Verbot nutzen.“ Sinnvoller Umweltschutz müsse aber bundesweit sein. Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD) sagte, bei diesem wichtigen Thema könne man sich keine verschiedenen föderalen Herangehensweisen erlauben. Notfalls würde das Land selbst ein Verbot erteilen. Sachsen-Anhalt will sich zunächst anschauen, was die Bundesebene macht. Bislang liege kein belastbares Material für eine Entscheidung vor, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums. Für eine bundesweite Umsetzung eines Verbots sprachen sich dagegen auch Niedersachsen, Baden-Württemberg, Thüringen und Brandenburg aus. Bayern lehnt einen Anbau von Genpflanzen seit Langem ab.

Das Thema hatte vergangene Woche auch den Bundestag beschäftigt. Oppositionspolitiker warnten in einer Aktuellen Stunde vor Lücken bei einem Anbauverbot. „Wer garantiert uns denn, dass alle Länder Verbote aussprechen?“, fragte Grünen-Experte Harald Ebner. SPD-Fraktionsvize Ute Vogt sagte, es dürfe keine Kleinteiligkeit geben. Gefunden werden könne eine Regelung, die von Bundesebene aus regionale Gegebenheiten beschreibe. Unions-Fraktionsvize Gitta Connemann (CDU) warb dagegen für Entscheidungen auf Länderebene. Für rechtssichere Verbote brauche es zwingende Gründe, die aber nicht in allen Regionen gleich zwingend seien. Die Linke-Abgeordnete Kirsten Tackmann sagte, das Märchen von einem Nebeneinander von natürlichen und gentechnisch veränderten Pflanzen sei ausgeträumt.

Auch das Bundesamt für Naturschutz schaltete sich in den Streit ein und forderte eine bundeseinheitliche Regelung. Das sei notwendig, „damit die Methodik und die Kriterien einer solchen Prüfung einheitlich sind und die Prüfung selbst reproduzierbar wird“, heißt es dem Spiegel zufolge in einer Stellungnahme des Amtes.

Hart rosa

$
0
0
Dearest Coleman ist 24 Jahre alt und seit sechs Jahren Motorrad-Taxifahrerin in Monrovia, der Hauptstadt von Liberia an der Westküste Afrikas. Bei einer längeren Tour bat ein Kunde Dearest, unterwegs anzuhalten, um einen Zuckerrohrsaft zu kaufen. Dann tauchten zwei Männer auf, bedrohten sie mit Messern und wollten ihr die Motorradschlüssel abnehmen. Als sie sich wehrte, wurde sie niedergeschlagen und ihr Bike geklaut.

[plugin bildergalerielight Bild2="Die Taxifahrerinnen der Pink Panthers treffen sich in der Millionenstadt Monrovia, um Erfahrungen auszutauschen" Bild1="Dearest Coleman, 24, ist seit sechs Jahren Moto-Taxifahrerin in Monrovia" Bild3="Die Mitglieder des Motorradklubs decken sich mit der nötigen Ausrüstung ein: pinke Helme und Jacken – und Desinfektionsmittel für die Ebola-Prävention. Wegen des engen Kontakts mit den Fahrgästen ist das Übertragungsrisiko besonders hoch" Bild4="Die Bikes für ihre Fahrten müssen die Frauen mieten" Bild5="Neun der 15 Klubmitglieder mit Helen Clark vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (Mitte, mit Kappe) und zwei Freiwilligen der lokalen NGO Angie Brooks International Centre (links neben Clark und ganz links)" Bild6="Die Panthers auf Spritztour mit Ehrenmitglied Helen Clark"]

Über eine Millionen Menschen leben in Monrovia, Motorräder sind ein beliebtes Fortbewegungsmittel. Von Montag bis Sonntag fährt Dearest Kunden von A nach B. Ihr Tageslohn: zwischen sechs und 12 Dollar. Für das Motorrad zahlt sie am Tag sechs Dollar Miete. Um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und um sich sicherer zu fühlen, hat Dearest Mitte Februar mit 14 anderen jungen Taxifahrerinnen den Pink Panthers Motocycle Club gegründet. Die Frauen zwischen 18 und 30 Jahren treten jetzt als organisierte, gut sichtbare Gruppe auf und hoffen, sich dadurch besser vor Angriffen, sexueller Gewalt und Belästigung schützen zu können. Außerdem wollen sie ein Vorbild sein für andere Moto-Taxifahrerinnen, die sich ihren Platz in dem von Männern dominierten Beruf jeden Tag neu erkämpfen müssen. „Ich bin ziemlich groß und kräftig – das hilft. Aber bei vielen der Mädchen ist das anders“, sagt Dearest.

Die Polizei war ihnen bisher keine große Hilfe – im Gegenteil: Sie hielt die Moto-Taxifahrerinnen besonders oft an, um sie zu kontrollieren, und verhalf so der männlichen Konkurrenz zu mehr Aufträgen. „Die männlichen Kollegen schüchtern uns oft ein oder versuchen, uns Kunden abzuwerben. Aber ich muss trotzdem dranbleiben, weil es der einzige Weg ist, um überhaupt Geld zu verdienen“, sagt Dearest. Dass nie klar sei, wie viel Lohn sie am Ende des Tages wirklich in der Tasche habe, sei dabei das Schlimmste. „Sonntag ist unser bester Tag, da wollen alle in die Kirche und nutzen unseren Service. Aber jeder andere Tag kann gut oder schlecht laufen“, sagt sie. „Es ist sehr hart, von dem Job zu leben, vor allem, weil ich Miete für das Bike zahlen muss.“ Auch das ist vor allem ein Problem der weiblichen Biker: Die männlichen Fahrer haben überwiegend eigene Motorräder – sie können sie sich leisten, weil sie mehr Aufträge bekommen und seltener Opfer von Überfällen werden.

Auf Initiative der lokalen Organisation Angie Brooks International Centre (ABIC) und mit finanzieller Unterstützung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) konnten sich die Pink Panthers mit Helmen und Jacken ausstatten. Die Farbe Pink macht die Frauen im Stadtbild sichtbarer, schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und gibt ihnen so mehr Selbstvertrauen. Und der Club soll noch mehr bewirken. „Wir planen, mit den Eigentümern der Bikes zu verhandeln, dass sie die Preise runtersetzen, und wir suchen einen Weg, dass die Frauen sich über einen Kredit oder einen Gruppenpreis eigene Bikes kaufen können“, sagt Yvette Chesson-Wureh von ABIC. Helen Clark, Leiterin des UNDP in Liberia, wurde sogar zum Ehrenmitglied des Clubs ernannt. „Weibliche Taxifahrerinnen müssen mit extra großen Risiken umgehen. Deswegen müssen wir sicherstellen, dass sie ihren Job machen können, ohne belästigt zu werden“, sagt Clark.

Aber nicht nur mögliche Gewalt ist ein Problem, sondern auch der enge Körperkontakt mit den Kunden auf dem Motorrad: Dadurch kann Ebola schnell übertragen werden. Kein Land in Westafrika hat bisher so stark unter der Epidemie gelitten wie Liberia. Etwa 9600 Menschen sind bisher in Afrika an Ebola gestorben  – rund 4000 davon in Liberia. „Wir benutzen Chlor, Desinfektionsmittel und tragen lange Ärmel und Boots. Aber Angst habe ich natürlich trotzdem“, sagt Dearest. Denn gegen Viren hilft auch keine Gang.

Zu jung – zu alt (4)

$
0
0




 


... um Pfeife zu Rauchen. Ich habe zu meinem letzten Geburtstag eine geschenkt bekommen. Erst mal ist es gar nicht so einfach, die zu stopfen und anzuzünden. Wenn man das mal raus hat, ist so ein Pfeifchen ab und zu aber schon sehr nice. Ich nehme sie vor allem gern mit auf Partys. Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich versuche, die Pfeife auffällig unauffällig in der hohlen Hand zu verstecken, wenn fremde Menschen vorbeilaufen, während wir vor der Tür stehen. Es hängt einfach so viel Opa und Sherlock Holmes an diesem Ding.

Alleine deswegen würde ich mich vielleicht gar nicht zu jung fühlen. Oft mag ich Sachen, die nicht zusammenpassen – in diesem Fall die Pfeife und ich. Aber für eines bin ich einfach definitiv zu jung: um mir den richtig guten Tabak zu leisten. Bis ich das richtig genießen können werde, dauert es also noch ein paar Jahre – dann habe ich vielleicht auch den bauschigen Bart, der eigentlich dazugehört.
[seitenumbruch]





... für Lego. Und das ist echt tragisch. Da gibt es mittlerweile so abgefahrene Sachen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich für den Lego-Hype einfach ein paar Jahre zu früh geboren wurde. Das Spannendste, was ich hatte, war ein Star Wars X-Wing Starfighter. Mein Cousin dagegen ist jetzt 14 und hat den ganzen Kram mit Magneten und zum Programmieren und mit Schleudersitzen. Das ist so geil. Und der spielt immer noch damit und macht immer noch diese Geräusche dazu, die man als Kind eben dazu gemacht hat. Manchmal überlege ich auch, ob er nicht schon zu alt dafür ist, aber meistens bin ich einfach nur krass neidisch.

Natürlich könnte ich mir das auch kaufen. Aber ich, 1,90 Meter groß, in einem Spielwarengeschäft, mit feuchten Augen beim Anblick eines elektrischen Krans aus kleinen Bauklötzchen – dafür fühle ich mich leider wirklich zu alt. Aber eines Tages werde ich das alles so was von nachholen. Ich brauche nur noch ein Kind.

Karoline Herfurth, ärgere Dich nicht

$
0
0
Karoline Herfurth braucht jetzt eine Süddeutsche Zeitung. Schnell. Warum? „Für Facebook. Ich will posten, dass wir spielen. Geht auch ganz schnell!“ Es geht vieles sehr schnell bei der Schauspielerin („Das Parfum“, „Fack ju Göhte“). Und vieles wie nebenbei. Während die 30-Jährige ein Foto für den Post macht (Zeitung neben Spielbrett), klärt sie noch mal die Eckdaten: „Und ihr müsst das dann auch schreiben, wenn ich etwas bewerbe?“ Müssen wir. „Icke beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen mit jetzt.de“, steht kurz drauf auf ihrem Profil.

jetzt.de: Du hast mal gesagt, dass du die Angst vorm Scheitern verloren hast, als dir klar wurde: Egal, wie oft du scheiterst, du wirst trotzdem immer geliebt. Fürchten wir das Scheitern also aus Angst vor Liebesentzug?
Karoline Herfurth: Puh. Also, ich wage mal eine These: Der Großteil unseres Handelns orientiert sich daran, von einer Gemeinschaft akzeptiert zu werden. Angst vor Ausgrenzung ist meiner Meinung nach einer der größten Motoren des Handelns.

Das ist ein Ja?
Denke schon. Es war bei uns zu Hause aber immer völlig okay, zu scheitern. Deshalb hatte ich früh den Mut, Dinge auszuprobieren. Mir wurde da an allen Stellen ein netter Boden gebaut.

Wann bist du mal richtig markant gescheitert?
Ich glaube, in der Schauspielschule bin ich fast nur gescheitert.

Woran?
An mir selbst. Ich war eher ein stiller Lerner und konnte das meiste nicht sofort umsetzen.
Es ist spannend, wie schnell das alles bei ihr geht – würfeln, zuhören, denken, antworten. Dem Gesagten nachhören, Gedanken korrigieren, abnicken. Fertig. Nur manchmal stockt die Maschine. Dann scheint sie ein paar Sekunden weit weg - und ihre Mimik bekommt etwas kindlich Suchendes.
Während ich so überlege: Auf der Bühne habe ich mich nie getraut, wirklich zu scheitern. Da war ich ganz schön verstöpselt. Eine der großen Anforderungen der Schauspielschule ist es, sich auszuprobieren. Und ich habe mich nicht so rausgetraut aus mir. Ich bin wohl eher eine Theoretikerin. Ich will Figuren manchmal mehr intellektuell durchdringen, als sie einfach aus dem Bauch heraus zu spielen. Das kann hinderlich sein.

Wie wurde das besser?
Durch eine ganz wunderbare Sprecherzieherin. Die konnte meine Probleme sehr gut benennen.
Noch so ein Innehalten. Ich schlage eine Figur.

Jedenfalls brachte diese Lehrerin zu einer Leseprobe mal eine Packung Taschentücher mit, legte sie neben sich und sagte: "Mal sehen, ob ich die brauche." Ich sollte irgendeine klassische Rolle sprechen und während ich das tat, sagte sie irgendwann: "Weißt du Karoline, vorlesen musst du mir das nicht. Lesen kann ich selber.“ Und dann hat sie die Taschentücher wieder eingepackt und gesagt: "Habe ich nicht gebraucht."

Klingt nach ganz schönen „Karate Kid“-Methoden.
Na ja, ich war da bestimmt schon ein halbes Jahr in der Ausbildung und kam einfach nicht weiter. Da brauchte es wohl mal einen Weckruf.

Und dann?
Ist der Knoten irgendwann geplatzt und ich habe verstanden, wie man eine Figur nah an sich heranholt. Wie man eine eigene Empfindung bekommt für eine Rolle. Du darfst mir ja auch noch immer eine unangenehme Frage stellen. Ich winde mich hier raus ...

Du hattest lange ein eigenes Pferd. Dem Klischee nach suchen Reiterinnen ja vor allem eines: Kontrolle.
Die Frage geht etwas unter, weil sie erst eine Figur schlägt und dann sehr bestimmt spricht:
Jetzt darf ich erst mal etwas bewerben! Weil ich ja das Recht habe, das zu tun! Und zwar meinen aktuellen Film „Traumfrauen“. Der läuft gerade in den Kinos!

Das bestätigt die These wohl.
Wie war die Frage?

Kannst du Kontrolle abgeben?
Ja, schon. Das wäre sonst auch sehr problematisch in meinem Beruf.
Sie schlägt sofort noch eine Figur.
Ich habe dich geschlagen und das nächste, was ich bewerbe, ist noch ein Kinofilm. Der kommt im März, heißt "Gespensterjäger" und ist für Kinder. Mit Anke Engelke. Und ich spiele die Chefin von Anke Engelke.

Nicht schlecht.
Außerdem ist das mit dem Reiten ein sehr altes Bild. Man dachte früher wohl, man müsse die Tiere zähmen und kontrollieren. Eigentlich ist eine Beziehung zu einem Pferd eine, die von gegenseitigem Respekt geprägt sein sollte. Von Freundschaft. Das Pferd sagt: "Ich folge dir, wenn du mich gut führst."

Das ist jetzt aber eine Vermenschlichung.
Ne. Aber Willst du echt über Pferde reden?

Hm. Studierst du noch Politik und Soziologie?
(zögert) Ja. Also, ich bin noch eingeschrieben.


>>> Warum Karoline Herfurth Soziologie mag und was sonst noch so ansteht dieses Jahr.
[seitenumbruch]
Das ist ja nicht unbedingt dasselbe.
Ich nehme gerade ein Freisemester – wahrscheinlich sogar zwei. Weil ich so viel arbeite. Ich habe im vergangenen Jahr schon überlegt, abzubrechen. Aber ich will nicht.

Warum hast du das Studium überhaupt begonnen?
Da gibt es mehrere Gründe. Ich finde das Thema interessant. Ich finde Lernen an sich toll und ich hatte irgendwann mal das Gefühl, in meinem Job in einem Kokon zu stecken, in dem ich mich etwas weltfremd gefühlt habe.

Und was hat es bislang gebracht?
Es hat mich in meiner Grundorientierung ganz schön durcheinandergewirbelt. In der Soziologie wird ja unter anderem behauptet, dass alles ein gesellschaftliches Konstrukt sei: Liebe zum Beispiel, überhaupt jede emotionale Regung. Irgendwann kannst du das Wort "normal" eigentlich nicht mehr richtig benutzen. Es gibt kein "richtig" oder "falsch" mehr, sondern nur noch gesellschaftliche Konstrukte und Entscheidungen. Das ist wahnsinnig spannend, aber auch sehr aufreibend.

Schwer vorstellbar, dass jeder Soziologie-Student das derart intensiv empfindet ...
Nicht?!

Eher nicht, nein. Kommt das durch deinen Beruf oder hast du diesen Beruf, weil du das so kannst?
Das ist eine gute Frage. Und schwer zu beantworten. Ich habe diesen Beruf bekommen, da war ich 15. Ich bin nicht als erwachsener Mensch hingegangen und habe gesagt: „Das möchte ich jetzt lernen.“
Kekse essen kann sie auch noch parallel. Nachdem sie eine weitere Figur schlägt, wirbt sie mit vollem Mund:

Und zwar für den dritten Film, der in diesem Sommer herauskommt: „Rico, Oscar und das Herzgebreche“.

Himmel, wie viel arbeitest du denn?!
Deshalb brauche ich ja ein Urlaubssemester.

Wie viele Stunden arbeitest du in der Woche?
Jetzt gerade geht’s eigentlich. Der Winter ist ruhiger. Wenn ich drehe, komme ich aber bestimmt auf 60 bis 70 Stunden. Ich bin inzwischen aber auch sehr drauf bedacht, dass es nicht zu viel wird.

Wann wird es zu viel?
Wenn ich nur noch am Hinterherhinken bin. Ich hasse es zum Beispiel, im Stau zu stehen und dabei eigentlich schon zu spät für meinen nächsten Termin zu sein. Ich werde dann extrem aggressiv. Wenn ich immer so viel Zeit habe, dass ich entspannt im Stau stehen kann, dann plane ich richtig.
Ich schlage eine weitere Figur. Was ihr ein „Dann frag halt“ entlockt.

In einem deiner letzten Facebook-Posts entschuldigst du dich dafür, auf einem Foto Pelz zu tragen. Nervt es nicht, öffentlich so zu Kreuze zu kriechen?
Die ganze Interaktion mit der Öffentlichkeit über Socialmedia-Kanäle ist ein brutal schwieriges Feld. Wahnsinnig viele Menschen fühlen sich befugt, ihre Meinung zu sagen. Und nicht alle sind nett dabei, oder kompetent. Im konkreten Fall war’s allerdings so, dass die User einen Punkt getroffen haben, der mir tatsächlich wichtig ist. Ich habe bei dem Shooting einfach wirklich gepennt.

Das gilt jetzt für den konkreten Fall.
Ich finde grundsätzlich nicht, dass ich mich für alles entschuldigen muss oder für alles eine Verantwortung habe. Die Menschen sind erwachsen. Die brauchen nicht mich, um ihnen ein Idealbild vorzuleben. Ich bin Schauspielerin und keine Pädagogin.
Inzwischen hat sie drei der vier Figuren perfekt im Zielhaus aufgereiht.

Ein bisschen stimmt das Bild schon, dass du sehr diszipliniert und strukturiert bist.
(lacht) Ich kann auch sehr chaotisch sein. Ich liebe allerdings auch langweilige Schreibtischarbeit. Ich bin niemand, der Unterlagen stapelt. Das wird alles schnell abgearbeitet. „Post machen“ steht dann in meiner To-Do-Liste.

Kein Witz?
„Wäschemachen“, steht da auch.
Und während sie das sagt, gewinnt sie – und postet das schnell bei Facebook.

Gutes Timing. Die Fragen sind eh durch.
Klingt ein bisschen, als wäre ich nicht so interessant gewesen. Eigentlich müsstest du doch noch unendlich viele Fragen haben. Ich bin jetzt ein bisschen beleidigt. (lacht)

Halt! Tatsächlich interessiert mich doch noch eine Sache.
Krass.

Deine Diplomarbeit. Warum hast du die überhaupt noch geschrieben? Du warst doch längst erfolgreich.
Erstens ist es für die Schauspielschule wichtig, dass die Absolventen die Ausbildung abschließen. Sonst bekommt die Schule keine Subventionen mehr. Aber davon abgesehen wollte ich nen Abschluss haben. Das hat ja mit Status zu tun, ob ich ein Diplom in der Tasche habe oder einfach nur exmatrikuliert bin.

Ist für den Status nicht wichtiger, nach der Schule mit Tom Tykwer gearbeitet zu haben? Oder in der erfolgreichsten deutschsprachigen Komödie mitgespielt zu haben?
Vierterfolgreichste. Bully holt niemand ein.

Ach so. Dann ist es ohne Diplom schon wackelig.
(lacht) Ich verstehe schon, was du meinst. Das ist vielleicht etwas seltsam. Aber es ist doch auch schön, etwas abgeschlossen zu haben. Und die theoretische Auseinandersetzung hat mich sehr interessiert.

Die Schattenseitenwechsler

$
0
0
Im Kino ist es einfach: Da tragen die Bösen maßgeschneiderte Hemden und ein fieses Grinsen im Gesicht, oder gleich eine Maske, die keinen Zweifel daran lässt, dass dahinter das Böse lauert. Die Guten sind die, die im Lederoutfit Karate machen und wie nebenbei Leben oder gleich die ganze Menschheit retten. Hauptberuflich sind die Guten aber oft was ganz anderes: Pressefotograf  in „Spiderman“, CEO  in „Iron Man“ oder der Informatiker Neo in „Matrix“. Hauptberuflich Gutes tun, das geht nicht mal in Hollywood.

Und im wahren Leben? Erwachsenwerden, so sagen viele, die es schon geworden sind, bedeutet, Realist zu werden. Die Welt retten, das passt eben nicht zur Eigentümerversammlung, zur Steuererklärung – und zum geregelten Einkommen. So nebenbei wie Superman kriegen wir das eben doch nicht hin.

Trotzdem versuchen es immer mehr Menschen. Die Tendenz geht dahin, Arbeit und Ideale zusammenzubringen. Jahrhundertelang war Arbeit einfach Broterwerb, heute aber sind für viele sogenannte Bullshit 
Jobs das Schlimmste: Berufe ohne Sinn und Perspektive. Dahinter steht der Wunsch, der Job müsse Selbstverwirklichung ermöglichen oder wenigstens die Welt ein bisschen verbessern.






Wer sich entscheidet, hauptberuflich Gutes zu tun, stellt nach ein paar Arbeitstagen aber vielleicht fest: Ist ja doch nicht so weltverändernd, der neue Job. Auch hier nur Neonlicht und Riesenstapel Papier auf dem Schreibtisch, ein magerer Stundenlohn, und dann sinkt nicht mal die Kindersterblichkeitsrate in Somalia, was all die Nachteile immerhin ausgleichen würde. Ist das dann ein guter Job? Ist er besser als ein gewöhnlicher Bullshit Job? Wie merkt man überhaupt, was Gutes tun wirklich ist und ob man dafür geschaffen ist?

Dass diese Frage so schwer zu beantworten ist, liegt 
auch daran, dass „gut“ ein dynamischer Begriff ist, 
der für jeden Menschen etwas anderes bedeutet. Was 
gut und was schlecht ist, ändert sich mit den eigenen Bedürfnissen und Prioritäten, dem Alter und den Erfahrungswerten. Und man muss erst herausfinden, wie man im Beruf Realität und Wunschvorstellung zusammenbringt. Pünktlich nach Hause gehen, Gutes tun, gut verdienen, sich selbst verwirklichen – wahrscheinlich kann man nicht alles gleichzeitig haben. Man braucht Kompromisse.

Die können je nach Mensch und Lebensphase völlig unterschiedlich aussehen. Man muss sie suchen, finden, und nachjustieren, indem man sich immer wieder selbst die richtigen Fragen stellt. Akzeptiert man für die Ideale ein bisschen mehr Realität auf dem Gehaltsscheck? 
Muss man sich eingestehen: Ich will lieber im Großkonzern über Nachhaltigkeit diskutieren als im mongolischen Hochland?

Wir haben Menschen gesucht, die solche Fragen für sich beantwortet haben: die eigenen Prioritäten abgesteckt und zum Teil wieder umgeworfen haben. Für solche Entscheidungen braucht es ehrliches Eingeständnisse und manchmal ein Zurückrudern. Und das erfordert am Ende genau so viel Mut, wie die Idee, ein Ideal unangefochten zu verfolgen.

>>> Warum Luis gemerkt hat, dass er gern in großen Unternehmen arbeitet
[seitenumbruch]
Luis, 23

„Ich möchte an die Spitze, um etwas zu bewegen.“


Mit den klassischen Businesstypen kann ich mich nicht identifizieren, obwohl ich eigentlich ins Raster passe: Ich habe Ingenieurwesen studiert und gerade meinen MBA in den USA begonnen. Mir geht es trotzdem nicht darum, im Management so viel Geld wie möglich zu scheffeln. Ich möchte an die Spitze, um dort etwas zu bewegen.

Deshalb wollte ich zunächst in die Energiebranche, weil ich denke, dass in diesem Bereich Innovation und die richtigen Ideen die größte Rolle spielen werden. Während eines Praktikums bei einem Nuklearkonzern habe ich allerdings so viel Stagnation auf der Führungsebene erlebt, dass ich ziemlich frustriert war.

Nur im Non-Profit-Bereich zu arbeiten, stand für mich trotzdem nicht zur Debatte. Ich glaube, dass große Unternehmen durch ihr Budget und ihre große Reichweite einfach viel mehr erreichen und durch die richtige Firmenpolitik auch kleine Projekte unterstützen können. Viele unterschätzen vielleicht, wie viel Unternehmen im Sozialbereich leisten können. In meinem neuen Job bei einer Unternehmensberatung kann ich beispielsweise mehreren NGOs und anderen Sozialprojekten helfen, effektiver zu arbeiten. Einmal im Jahr arbeiten wir auch pro bono an solchen Fällen. Dieser Ansatz war mir bei der Auswahl meines Jobs definitiv wichtig.

Irgendwann würde ich gern meine eigene Firma gründen und die Unternehmensstandards selbst festsetzen.

>>> Alessandra fragt sich, wie Unternehmen zu globaler Gerechtigkeit beitragen können.
[seitenumbruch]

Alessandra, 32


„Ich konnte mir den NGO-Job nicht mehr leisten.“


Mein erster Job in einer Unternehmensberatung hatte eigentlich alles: schnelle Aufstiegsmöglichkeiten, gute Arbeitsbedingungen und ein gutes Gehalt. Aber am Ende hatte ich das Gefühl, mich selbst zu verlieren. Ich war schon immer sozial engagiert, das hat mir in diesem Beruf völlig gefehlt.

Das erste Mal, dass ich ehrenamtlich für eine NGO gearbeitet habe, war während meines Urlaubs im zweiten Arbeitsjahr als Consultant. Danach war für mich klar: Ich will einen Master in Sustainable Development machen. Für meine Abschlussarbeit habe ich in Indien ein halbes Jahr verschiedene NGO-Projekte, die sich mit der Integration von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben in die globale Handelskette beschäftigen, besucht und evaluiert. Genau das hat mich schon immer interessiert: wie Unternehmen zu globaler Gerechtigkeit beitragen können. Als ich nach fünf Monaten aus Indien zurückkam, hätte ich gern weiter für eine NGO gearbeitet. Aber ich hatte nicht genug Erfahrung, um einen besser bezahlten Job zu bekommen. Und ich hatte den Master von meinem Ersparten finanziert und konnte mir einfach nicht länger einen schlecht bezahlten Job leisten.

Seit etwa einem Jahr arbeite ich wieder in einer gro-
ßen Firma, einem Pharmakonzern. Das klingt jetzt 
schlimmer, als es ist. Ich kann mich mit den Firmenwerten absolut identifizieren, da wir nur nachhaltige Rohstoffe verarbeiten.

Wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern, kann ich mir auch wieder einen Job bei einer NGO vorstellen. Es kommt aber ganz darauf an wo – denn genau wie es gute oder schlechte Unternehmen gibt, gibt es auch gute oder schlechte Sozialprojekte. NGOs können, was Finanzierung angeht, vieles von der Geschäftswelt lernen und Unternehmen umgekehrt viel über Nachhaltigkeit.

>>> Till über Entwicklungsarbeit in Laos
[seitenumbruch]
Till, 29

„Viele haben von Entwicklungshilfe eine romantisierte Vorstellung.“


Für mich war eigentlich schon früh klar, dass ich im NGO-Bereich arbeiten will. Deswegen habe ich Soziale Arbeit und internationale Entwicklungszusammenarbeit studiert. Gerade habe ich ein Jahr bei der Bambusschule e. V. in Laos gearbeitet. Das ist eine sogenannte Grassroots-Organisation, also eine kleine lokale. Das war 
mein erster Vollzeitjob nach dem Studium. Als ich dort ankam, hatte ich zuerst einen Kulturschock. Entwicklungsländer sind oft auf einer korrupten politischen Elite aufgebaut, ohne deren Einverständnis gar nichts geht. 
In Laos gibt es auch eine ganz andere Konfliktkultur. Man kann nicht so direkt sein, was die tägliche Arbeit extrem erschwert. Man muss sich sehr auf die andere Mentalität einlassen und damit umgehen können. Ich denke, viele haben von der Arbeit eine romantisierte Vorstellung. Vor Ort ist echte Motivation gefragt und es ist oft frustrierend.

Das Jahr hat mir trotzdem gezeigt, dass ich generell im richtigen Bereich arbeite. Von unseren Projekten im Bildungs- und Gesundheitswesen für die laotische Bergbevölkerung war ich absolut überzeugt. Aber nachdem ich Entwicklungsarbeit in der Praxis erlebt hatte, fragte ich mich: Wie viel erreicht man damit letztendlich? Wie sehr ist unser Verständnis von Hilfe einer fremden Kultur aufgezwungen?

Es ist falsch zu denken, dass man in einem fremden Land mit fertigen Lösungen auftauchen kann – das geht nur im Dialog. Die Arbeit vor Ort funktioniert auch nur dann, wenn man auf der politisch-administrativen Ebene die Rahmenbedingungen dafür schafft. Ich habe mich deshalb für den weiterführenden Studiengang Länd-
liche Entwicklung beworben. Auch wenn Geld für mich erst mal zweitrangig war, sehe ich das Studium als wichtige Qualifikation: Etwas mehr verdienen möchte ich irgendwann auch.

>>> Was Anne bei einer NGO in Südafrika gelernt hat
[seitenumbruch]
Anne, 33

„Es hat nicht gereicht, Freunde und Familie nur einmal im Jahr zu sehen.“


Bevor ich gegangen bin, gab es noch ein Abschieds-abendessen mit den Kollegen. Wir saßen im Restaurant und ich habe von meinem Plan erzählt, als Entwicklungshelferin nach Südafrika zu gehen. Die fanden das gut. Aber als ich erklärt habe, was es genau bedeutet, ist ihnen buchstäblich die Gabel aus der Hand gefallen. Sie waren erstaunt, was ich alles aufgab.

Vier Jahre hatte ich in einer Firma in Frankfurt als Kommunikationsberaterin gearbeitet. Mein Arbeitsvertrag war unbefristet, ich habe ordentlich verdient, war kurz davor, aufzusteigen. Die Stelle in Südafrika war das Gegenteil davon: Sie war befristet auf zwei Jahre, das Gehalt niedriger, und die Organisation relativ klein. Aber ich wollte das eben versuchen. Entwicklungshilfe hatte mich schon länger fasziniert.

In Südafrika habe ich dann die Anstellung bei einer Nichtregierungsorganisation bekommen, mein Mann hat einen Job bei Greenpeace gefunden. Für die NGO habe ich vor allem Gesetzesentwürfe gelesen und Analysen geschrieben. Die Arbeit war eine Bereicherung. Wir haben Freunde gefunden in Südafrika. Alles schien gut.

Dann begannen ein paar Dinge schiefzugehen. Nach drei Monaten wurde die Organisation geschlossen, ich musste den Job wechseln und kam bei einer Organisation unter, die sich mit der Entwicklung des IT-Sektors beschäftigte. Das war weit entfernt von dem, was ich ursprünglich machen wollte.

Außerdem habe ich gemerkt, dass es mir nicht reicht, Familie und Freunde in Deutschland nur einmal im Jahr zu sehen. Meinem Mann ging es ähnlich. Wir hatten beide vorher schon im Ausland gelebt – dass uns die große Distanz so viel ausmachen würde, haben wir nicht geahnt.

Ich habe meinen Vertrag also nicht verlängert. Stattdessen haben wir uns Motorräder gekauft und sind 
16 000 Kilometer durch Afrika zurück nach Hause gefahren. Jetzt sind wir wieder in Deutschland und ich bewerbe mich auf Jobs als Kommunikationsberaterin. Mir ist bewusst geworden: Ich will in meinen alten Beruf zurück. Nur nicht in meine frühere Firma.

>>> Isabell will nicht in ihr altes Leben zurück. In ihr neues aber auch nicht!
[seitenumbruch]
Isabell, 38

„Ich dachte, es sei besser, die Reißleine früh zu ziehen.“


Irgendwann bin ich aufgesprungen und habe gekündigt. Fast zehn Jahre habe ich als Grafikdesignerin in Berlin gearbeitet, mehrere Jahre davon fest angestellt. Ich habe meinen Job gern gemacht, hatte viel Urlaubstage und ein gutes Gehalt. Aber irgendwann haben mir Arbeit und Alltag die Luft zum Atmen genommen. Mein Beruf kam mir auf einmal sinnlos vor.

Eine Freundin in Freiburg hat mir dann von ihrem Traum erzählt, ein Mehrgenerationenhaus aufzubauen. Irgendwann war mir klar: Wir machen etwas Gemeinsames. Die Idee, gleich eine Hausgemeinschaft zu gründen, war zu kompliziert. Deshalb wollten wir mit einem Café für Menschen verschiedenen Alters beginnen. Etwas Vergleichbares gab es in Freiburg noch nicht.

Ich bin nach Süddeutschland gezogen und habe begonnen, einen detaillierten Businessplan zu schreiben: Wie viel kann man selbst leisten? Wie viel Personal braucht man, wie viel Fremdleistung an Kapital?
Es kamen aber auch andere Fragen auf. Persönlichere: Halten wir es aus, einen Kredit über 100 000 Euro aufzunehmen? Wie lange kann ich zwölf bis 14 Stunden am Tag arbeiten?

Auf einmal habe ich mich ganz klein gefühlt. Ich habe Zweifel bekommen. Als ich über Weihnachten in Berlin war, habe ich viel nachgedacht und mit Familie und Freunden gesprochen. Nach dem Jahreswechsel bin ich ausgestiegen. Ich dachte, es sei besser, die Reißleine bereits früh zu ziehen.

Ich hätte in meinen alten Beruf zurückgehen können. Aber ich wollte mein altes Leben nicht eins zu eins zurückhaben. Ich habe stattdessen meine Persönlichkeit kritisch hinterfragt – mit allen Stärken, Interessen und Wünschen. Ich hatte immer noch das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit und habe mich erinnert, dass ich früher viel und gern Nachhilfe gegeben habe. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschieden, noch mal ein Studium zu beginnen: Lehramt in Dresden.




Vereinigte Saaten

$
0
0
jetzt.de: Herr Westengen, Sie betreuen den Svalbard Global Seed Vault, einen Saatguttresor auf Spitzbergen. Die Anlage erinnert er an die Residenzen der Bösewichte in James-Bond-Filmen: viel Beton, weitab der Zivilisation, im ewigen Eis.
Ola Westengen: Ach, der Tresor steht gar nicht besonders weitab, er liegt in der Nähe des Flughafens Longyearbyen. Die Architektur ist aber tatsächlich einprägsam. Für das Lager wurden drei tunnelartige Kammern 130 Meter tief in den Berg gesprengt. Auf Spitzbergen herrscht Permafrost, der Boden ist immer gefroren, deswegen beträgt die natürliche Temperatur im Inneren minus vier bis minus sechs Grad. Die Räume werden aber, wie in einer Gefriertruhe, auf minus 18 Grad gekühlt.

Wie viele Saatgutsendungen erreichen Sie im Jahr?
Im Moment öffnen wir den Tresor drei- bis viermal im Jahr. Wir bitten die Genbanken, ihre Samen zu einer bestimmten Zeit nach Oslo zu schicken. Von dort organisieren wir den Transport nach Spitzbergen. Im April erwarten wir zum Beispiel eine große Lieferung Reis-Saaten vom International Rice Research Institute auf den Philippinen.

Wissen Sie, wie viele deutsche Samenmuster gerade auf Spitzbergen lagern?
13 000. Das sind allerdings Muster, die ihren Ursprung in Deutschland haben. Die gesamte Zahl der Sendungen vom IPK (Anm. d. Red.: Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Gatersleben) ist höher.



Der Saatenbunker in Spitzbergen


Aber was hat das IPK von den Duplikaten mitten im Arktischen Ozean?
Machen Sie ein Back-up der Daten auf Ihrem Computer?

Nicht so häufig, wie ich sollte.
Genauso wie Sie ein Back-up Ihrer Daten machen sollten, macht jede gute Genbank ein Back-up ihres Saatguts. Bislang haben das aber nicht alle Genbanken auf der Welt gemacht. Mit uns haben sie dazu die Möglichkeit.

Wenn das so wichtig ist – warum hat es dann bis 2008 gedauert, ehe der Tresor eröffnet wurde?
Lange Zeit gab es in vielen Ländern Misstrauen, die eigenen Ressourcen zu teilen – die Sorge, andere könnten das Saatgut nutzen, daraus Geld machen oder es sogar patentieren lassen, war groß. Nach vielen Jahren mit Verhandlungen trat 2004 der „International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture“ in Kraft. Zum ersten Mal gab es einen rechtlichen Rahmen für den Umgang mit Saatgut, für die gemeinsame Nutzung in der Forschung oder in der Landwirtschaft.

Und als es diesen Rahmen gab …
… war es endlich möglich, einen Platz für ein globales Back-up vorzuschlagen. Norwegen bot an, das zu machen. 2008 war die Einrichtung fertig.

Dürfen Sie die Sendungen öffnen?
Nein. Wir lagern das Saatgut unter „Black Box Conditions“. Das ist wie bei einer Bank: Wenn Sie dort Juwelen in einen Tresor le- gen, dann haben nur Sie Zugang zu diesen Juwelen.

Hat schon eine Genbank auf das Back-up zugegriffen?
Nein. Aber einige der Genbanken, mit denen wir arbeiten, haben früher schon Probleme gehabt.

Welche?
Auf den Philippinen zum Beispiel gab es einen Taifun, der die Genbank beschädigte. Dieselbe Einrichtung wurde ein anderes Mal von einem Feuer heimgesucht. Auch ein Krieg bringt diese Sammlungen in Gefahr. Einer unserer größten Nutzer ist gerade eine Genbank im syrischen Aleppo. Die haben bei uns ein Backup von mehr als achtzig Prozent ihrer Muster hinterlegt.

>>> Ola Westengen über den Klimawandel, nordkoreanische Samen und darüber, wie lange die Saaten eigentlich haltbar sind.
[seitenumbruch]
Da gibt es nun diesen Ort im Eis, zwischen Nordpol und Norwegen, an dem verschlossene Boxen lagern, deren Inhalt – vielleicht – nach einer Katastrophe genutzt wird. Der Gedanke daran erzeugt ein unheimliches Gefühl. Geht es bei dem Lager wirklich nur um den praktischen Nutzen?
Der Saatguttresor hat auch einen symbolischen Wert. Die Tatsache, dass es ganz oben auf der Weltkugel einen Ort mit Samen gibt, mit denen man die Landwirtschaft neu beginnen könnte, übt einen gewissen Reiz aus. Waren Sie sich darüber im Klaren, dass Sie in Deutschland mit der IPK eine fantastische Genbank haben?

Nein.
Die machen sehr wichtige Arbeit, wenn sie forschen und die genetische Diversität bewahren. Nun mögen viele Menschen nie vom IPK gehört haben. Sie haben aber vielleicht von Spitzbergen und dem Tresor im Eis gehört. Die Lage macht es leichter, die Problematik zu verstehen.

Wie meinen Sie das?
Der Klimawandel ist eine Bedrohung für die landwirtschaftliche Produktion auf der Erde und für unsere Versorgung mit Nahrung. Mit dem Tresor können wir leichter kommunizieren, dass wir dringend genetische Variabilität brauchen, um die landwirtschaftlichen Kulturpflanzen dem Klima der Zukunft anzupassen.





Ola Westengen, 37, studierte Natural Resource Management und koordiniert heute den Betrieb des Tresors in Spitzbergen. Dort lagern derzeit mehr als 800 000 verschiedene Saatgutmuster.


Es geht also vor allem um eine Versicherung: Weil niemand das Klima der Zukunft kennt, heben Sie alle denkbaren Saatgutvarianten im Eis auf, um für künftige Anforderungen gewappnet zu sein?
Genau. Viele Pflanzen sind heute gut angepasst. Aber wir wissen, dass sich die Bedingungen ändern werden. Deshalb müssen wir Optionen konservieren.

Wie ist es, in den Kammern zu arbeiten?
Einmalig. An keinem Ort der Erde gibt es eine größere Biodiversität. Wir konservieren das natürliche und zugleich das kulturelle Erbe der Welt, unabhängig von Ländergrenzen. Im Tresor liegt zum Beispiel das Saatgut von Nordkorea neben dem von Südkorea.

Wie lange ist dieses Erbe haltbar? Die Samen halten doch nicht unendlich lange.
Das hängt von der Pflanze ab. Manche können nur wenige Jahre gelagert werden, ehe man neue ziehen und lagern muss. Andere können unter Umständen 1000 Jahre bleiben. Die Genbanken machen regelmäßig Tests zur Keimfähigkeit. Wenn ihre eigenen Saaten nicht mehr lebensfähig sind, ist es Zeit, neue zu ziehen, zu ernten und einzulagern. Der Tresor ist also keine Zeitkapsel, sondern ein dynamisches System.

Zeichnet es den Menschen aus, dass er in die Zukunft blicken und so etwas wie den Tresor anlegen kann?
Die Menschen haben Saatgut aufbewahrt, seit es Landwirtschaft gibt. Ein solches Lager ist eine fundamentale Ressource für unser Überleben.

Gegangen, um zu bleiben

$
0
0
Menschen, das sagen Psychologen gern, sind wie Stachelschweine. Sie wollen zusammenfinden, aber wenn sie einander zu nahe kommen, dann stechen sie sich. Und ihre Stacheln sind unterschiedlich lang. Die mit den längeren Stacheln können weniger gut mit Nähe umgehen als andere.

Wäre Meike ein Stachelschwein, dann hätte sie vermutlich lange Stacheln. Längere zumindest als ihr Freund Sven. „Ich brauche mehr Freiraum als er“, sagt sie. Er würde das so zwar nicht unterschreiben wollen, aber er belässt es dabei.

Meike, 25, und Sven, 31, sind seit fünf Jahren ein Paar. Nach sechs Monaten sind sie in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Es hat sich so ergeben. Meike musste aus ihrer WG raus, Sven mochte seine nicht besonders, sie verstanden sich gut und dachten: Warum eigentlich nicht? Sie fanden eine Wohnung, 60 Quadratmeter, zwei Zimmer, Küche, Bad. „Es war nicht unsere Traumwohnung, aber die Lage war super“, sagt Meike. „Ich war zufrieden“, sagt Sven. Sie richteten sich ein, größere gemeinsame Anschaffungen wie ein neues Sofa machten sie aber nicht, zu teuer, sie studierten ja beide noch. Es war eher 
ein pragmatisches, weniger ein romantisches Zusammenziehen.

Zweieinhalb Jahre haben sie zusammengewohnt. Dann zog Meike wieder aus. Meikes und Svens gemeinsames Wohnen ist zerbrochen. Aber: ihre Beziehung nicht. Das ist das Ungewöhnliche an dieser Geschichte.





Ein Scheitern des Zusammenwohnens bedeutet meist auch ein Scheitern der Beziehung. Meike und Sven beweisen, dass das nicht sein muss. Und dass vielleicht mehr Paare den Mut haben sollten zu sagen: Ich will mit dir zusammen sein, aber nicht hier, auf 60 Quadratmetern, sondern im Kopf und im Herzen.
Das Modell, als Paar keine gemeinsame Wohnung zu teilen, ist nicht neu. Man nennt es „LAT“ („Living Apart Together“). Es geht dabei nicht um Paare, die durch äußere Umstände, also zum Beispiel durch den Studienplatz, zu unterschiedlichen Wohnorten gezwungen wurden, sondern um jene, die getrennte Wohnungen am selben Ort haben. Der Anteil an LAT-Paaren ist zwischen 1992 und 2006 um 70 Prozent gestiegen. Aktuelle Zahlen gibt es nicht. Dass ein Paar in getrennten Wohnungen lebt, nachdem es schon einmal zusammengewohnt hat, so wie Meike und Sven, ist allerdings selten. „Das sind höchstens zehn Prozent aller LAT-Paare“, sagt Professor Jens B. Asendorpf, Psychologe an der HU Berlin, der solche Beziehungsmodelle erforscht.

Obwohl der Anteil an LAT-Paaren steigt, hat das Zusammenziehen gesellschaftlich eine extrem große Bedeutung. Die meisten Beziehungen beginnen in getrennten Wohnungen, im Studentenalter leben 70 Prozent der Paare nicht zusammen. Weil die meisten aber doch irgendwann zusammenziehen, nimmt der Anteil der LAT-Paare mit steigendem Alter stetig ab – bis zum 
40. Lebensjahr, da pendelt er sich bei etwa sieben Prozent ein. Entscheidend ist dabei vor allem das Alter der Frauen: Mit 40 hat sich der Kinderwunsch meist erledigt. Wer bis dahin keine Kinder hat, dem fällt es leichter, getrennt 
zu leben.

Das Zusammenziehen wird romantisiert. Deshalb wirkt Auseinanderziehen wie eine Scheidung.



Wie wichtig die erste gemeinsame Wohnung immer noch ist, erkennt man daran, wie viel Aufhebens darum gemacht wird, wenn ein Paar zusammenzieht. Jeder hat etwas dazu zu sagen, zum richtigen Zeitpunkt, zur richtigen Aufteilung des Wohnraums. Frauen- und Lifestyle-Magazine veröffentlichen regelmäßig Tests wie „Sind Sie bereit fürs Zusammenziehen?“ oder Ratgeber wie „Zusammenziehen mit der Freundin: So kann es klappen“. Buchtitel versprechen „10 Grundregeln für das Leben zu zweit“. Bis Ende des vergangenen Jahres, ganze neun Jahre lang, lief auf RTL die 
Reality-Soap „Unsere erste gemeinsame Wohnung“, weil die Menschen nicht genug bekamen von Zusammenzieh-Geschichten. Zusammenziehen wird romantisiert und symbolisch aufgeladen. Weil Heiraten als Meilenstein einer Beziehung für viele heute eine geringere Rolle spielt, aber die Gesellschaft den ultimativen symbolischen Lie-
besbeweis scheinbar nicht aufgeben will, hat das Zusammenziehen die Hochzeit ersetzt. Mit der gemeinsamen Wohnung si-
gna lisieren die Partner einander und dem Umfeld: Wir meinen es 
ernst. So wie früher mit Jawort und Ringetausch.





In dieser Gleichung wäre das Auseinanderziehen eine Art Scheidung. Eine öffentlich geschlossene Verbindung wird wieder aufgelöst. Da kann doch was nicht stimmen, denkt man.

Bei Meike und Sven stimmte auch etwas nicht. Sie hatten unterschiedliche Vorstellungen von Ordnung, Sven räumte Meike hinterher. Und Meike hatte das Gefühl, nicht mehr konzentriert lernen und arbeiten zu können. Sonst war sie immer zielstrebig und ehrgeizig, auf einmal wurde sie faul. Zumindest sah sie das so. „Das Problem war, dass ich nicht die Tür zumachen und meine Ruhe haben konnte“, sagt Meike. Sven hat versucht, eine Lösung zu finden, Meike mehr Freiraum zu geben. Er hielt sich im jeweils anderen Raum auf oder traf sich mit Freunden, wenn sie lernen musste. Doch dann zog in der WG einer Freundin die Mitbewohnerin aus, und Meike zog um. Raus aus der Paarwohnung, rein in die WG.

Das Problem lag im Zusammenwohnen, nicht in der Beziehung. Aber vor allem Sven hatte Angst, dass man das nicht voneinander trennen kann. „Ich habe das als Schritt weg von mir und weg von der Beziehung empfunden“, sagt er. Dieser Punkt der Geschichte ist auch der einzige, an dem die Versionen der beiden auseinanderklaffen.

Meike: „Wir haben immer wieder darüber gesprochen, auch darüber, dass ich ausziehen könnte. Und als dann dieses WG-Zimmer frei wurde, war das eine günstige Gelegenheit.“
Sven: „Es stand als Idee im Raum, und dann hieß es plötzlich: ‚Ich mach das.‘ Ich wurde vor vollendete Tatsachen gestellt.“
Meike: „Ich dachte, wenn man mehr räumliche Trennung hat, dann verbringt man weniger, aber wertvollere Zeit zusammen.“
Sven: „Ich habe erwartet, dass man sich durch die räumliche Trennung auch emotional distanziert.“

Meike ist in ihrer Beziehung die Person mit den sogenannten agentischen Motiven. Das sind Motive, die auf das Alleinsein zielen, zum Beispiel „Ich möchte auch mal Zeit 
für mich“ oder „Ich fühle mich eingeengt“. Je stärker diese Motive sind, das zeigen Untersuchungen, desto unzufriedener ist das Paar, selbst wenn nur ein Partner sie hat. Bei LAT-Paaren gibt es diese Verbindung zwischen agentischen Motiven und Beziehungsunzufriedenheit nicht, sie sind in der Lage, das Alleinsein-Bedürfnis zu regulieren. Das Problem ist: Wenn man das Bedürfnis erst entdeckt, wenn man schon zusammenlebt, kann die Beziehung daran zerbrechen. Weil es sich so anfühlt, als passe man nicht zusammen.

>>> Aus der gemeinsamen Wohnung auziehen - das Ende einer Beziehung?
[seitenumbruch]
Der Vergleich von Paaren, die eine Wohnung teilen, mit LAT-Paaren ergibt zwar, dass Erstere stabiler sind: Eine Trennung ist bei ihnen weniger wahrscheinlich, weil der Aufbau einer sicheren Bindung in getrennten Wohnungen schwieriger ist oder länger dauert. LAT-Paare haben dadurch oft ein geringeres „Commitment“ als zusammenlebende Paare. Das „Commitment“, das angibt, wie fest die Bindung zwischen zwei Menschen ist, haben Asendorpf und sein Team über Fragebögen ermittelt. Wer nicht mit seinem Partner zusammenlebt, sagt zum Beispiel weniger oft, dass er oder sie „der Partner fürs Leben“ ist. Trotzdem gibt es auch LAT-Beziehungen, 
in denen das gesagt wird. Und vergleicht 
man nur diese mit Paaren, die das Gleiche von sich behaupten, aber eine gemeinsame Wohnung haben, gibt es keinen Unterschied mehr: Sie alle sind etwa gleich zufrieden in ihrer Beziehung, und die Wahrscheinlichkeit einer Trennung ist gleich hoch beziehungsweise niedrig.





Wissenschaftliche Untersuchungen in den USA ergaben, dass Paare, die zusammenleben, sich auch darum weniger schnell trennen, weil das gemeinsame Wohnen Trägheit in die Beziehung bringt. Es erscheint dann viel zu kompliziert, den Hausstand aufzuteilen, die Gewohnheiten aufzugeben, neu anzufangen. Und es hätte symbolische Bedeutung – wie eine Scheidung eben. Eine Entscheidung für das Auseinanderziehen käme für viele einer Entscheidung gegen die Beziehung gleich. Im schlimmsten Fall leben also zwei zusammen und gehen sich auf die Nerven. Dabei könnte die Lösung sein: sich nicht zu trennen, sondern nur den Wohnraum. Den Mut haben, wieder auseinanderzuziehen, ohne all die Symbolik. Distanz erzwingen und so vielleicht neue Nähe finden. Wer sich sicher ist, den richtigen Partner gefunden zu haben, aber gern Zeit und Raum für sich hat, muss diese Sicherheit nicht zwingend mit einer gemeinsamen Wohnung symbolisieren. Oder gefährden.

Eine gemeinsame Wohnung bringt Trägheit in die Beziehung.



Meikes und Svens Glück war vermutlich ihr Pragmatismus. Sie haben dem Zusammenziehen nicht so viel Bedeutung beigemessen, es war keine „Hochzeit“ für sie. Und die Zeit hat gezeigt, dass das Auseinanderziehen Kleinigkeiten, aber nichts Grundlegendes verändert hat. Meike lernt wieder konzentrierter, seit sie in der WG wohnt. Und Sven, der in der alten Wohnung geblieben ist und jetzt 60 Quadratmeter ganz für sich hat, findet es entspannt, Herr über seine eigene Wohnung zu sein. Das, was sie jetzt alleine haben, gefällt ihnen gut. Die Zweisamkeit allerdings ist nicht intensiver geworden, wie Meike gehofft hatte. Aber auch die Distanz zwischen ihnen ist nicht gewachsen, wie Sven befürchtet hatte. „Sie pennt fast jede Nacht bei mir“, sagt er. „Sie hat ihre Klamotten hier, gerade sogar ihr Lernzeug – das ist ja der Witz!“

Meike wünscht sich auf jeden Fall, irgendwann noch mal mit ihrem Partner zusammenzuwohnen, vor allem wenn sie Familie hat. Angst, dass es nicht klappen könnte, hat sie nicht. Eher die Befürchtung, wieder träge zu werden. Und Sven denkt einfach nicht darüber nach: „Sie hat das Auseinanderziehen forciert, aber ich trage ihr das nicht nach.“

Bis auf Weiteres werden sie also getrennt wohnen, drei Fußminuten voneinander entfernt. Solange beide das wollen, ist das perfekt. „Letztlich geht 
es um Nähe-Distanz-Regulation“, sagt Professor Asendorpf. „Man muss die Nähe und die Distanz finden, die für beide angemessen ist. Wenn es da allerdings große Diskrepanzen gibt, ist das ein Problem. Es muss ähnlich sein. Wie in Partnerschaften vieles ähnlich sein sollte.“ Vor allem im Kopf und im Herzen. Aber nicht zwangsweise im Adressfeld auf dem Personalausweis.

Was wird nur aus uns?

$
0
0
„Stell die Flaschen doch bitte alle mit dem Etikett nach vorne, Schlampiges mögen wir hier nicht“, mahnte Lisa. Sie lehnte im Türrahmen der Büroküche und sah zu, wie ich die Colaflaschen in 
den Kühlschrank räumte. Das gehörte zu meinen Aufgaben als Praktikantin. Lisa, eine Redakteurin aus meiner Abteilung, fand auch noch viele andere demütigende Aufträge. Sie war für mich der Inbegriff eines Büro-Strombergs. Sie schikanierte mich. Obwohl ich nicht nur ihr allein unterstellt war, schritt keiner ein. Jeder wusste: Wenn Lisa keinen Praktikanten zum Schikanieren hat, sucht sie sich einen Kollegen aus.

All das ertrug ich zerknirscht. Ich wollte doch so sehr vorankommen. Ich duldete auch, dass sie irgendwann in einer Konferenz eine Geschichte vorschlug, die ich mir ausgedacht und vor allem schon recherchiert hatte. Das ganze Lob für die Idee nahm sie huldvoll entgegen. Ich schwor mir: So würde ich niemals werden. Das ist viele Jahre her.





Mein Freund Stefan arbeitet bei einer Consulting-Agentur, bei der er einen jährlichen Bonus kassiert. Die vergangenen zwei Jahre strich aber sein Kollege das Geld ein, weil er akribisch dafür gesorgt hatte, dass Stefans Name nicht in den Verträgen auftauchte. Im zweiten Jahr hat er den Kollegen darauf angesprochen. Der lachte ihn aus. Dieses Jahr sorgte Stefan dann dafür, dass die Affäre seines Kollegen mit einem anderen Kollegen herauskam. Der Chef der Agentur ist homophob. Der Arschloch-Kollege flog raus.
Und dann gibt es da noch Tina, die sich während ihres Jura-Studiums immer so darüber aufgeregt hat, dass Kommilitonen Seiten aus Büchern rissen, damit andere nicht lernen konnten. Heute ist sie selbst ein typischer Karriere-Jurist. Und gibt das offen zu: „Nur so kann ich mich in dieser Großkanzlei behaupten.“

„Ich bin mindestens ein Teilzeit-Arschloch.“



Und ich? Ich habe einige meiner hehren Ziele in den ersten Jahren Arbeitsleben irgendwie vergessen. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nie lästere, nie gehässig bin und nicht bei vielen Situationen grübeln würde, wie ich mir daraus einen Vorteil schaffen könnte. Ich bin mindestens ein Teilzeit-Arschloch.
In jeder Firma, in jeder Abteilung werden Allianzen geschlossen und wieder gebrochen. Es gibt kleine Meinungsverschiedenheiten oder richtige Fehden. Will man ein Projekt umsetzen, das einem am Herzen liegt, gibt es immer jemanden, der etwas dagegen hat. Dann ist es gut zu wissen, wer etwas gegen diesen jemand hat und wie man Druck auf ihn ausüben kann.

Noble Vorsätze junger Arbeitnehmer scheinen sich durch solche Erfahrungen langsam aufzulösen. Tim Hagemann ist Professor für Arbeitspsychologie in Bielefeld und ihn wundert das nicht: „Als Berufsanfänger beobachtet man Kollegen und passt langsam sein Verhalten, seine Einstellungen und Wertvorstellungen der Umgebung an. Ein Beispiel: Sie beobachten als neuer Mitarbeiter, dass sich bei Teamsitzungen keiner traut, offen seine Meinung auszusprechen. Sie werden das dann auch zögerlicher tun.“

Wir schauen bei den anderen ab. Und merken irgendwann, dass gar nicht alle immer loyal zu ihren Mitarbeitern sind. Sondern dass sie taktieren: Kollege A wird bei der Einladung zu einer Besprechung „vergessen“, weil man ihn vor vollendete Tatsachen stellen will. Und Kollege B hat das wichtige Dokument zur Vorbereitung erst zehn Minuten vor Beginn herumgemailt, damit keiner es genau genug lesen kann, um die Fehler zu entdecken. Wer so was immer wieder erlebt, muss schon sehr willensstark sein, um nicht irgendwann zu denken: Warum soll ich der einzige Moralperfektionist hier sein? Warum 
soll ich nicht auch mal tricksen und mir das Leben leichter machen?





Dazu kommt: Der Arbeitsmarkt für Berufsanfänger ist hart. Immer noch eiern viel zu viele ewig als Praktikanten durch Konzerne, damit die mehr billige Arbeitskräfte haben. Daran ändert auch die neue Mindestlohnregelung wenig. Nur wer hart und stark ist, nur wer durch Brillanz und Können hervorsticht, kommt voran, so die Parole. Karriere-Ratschläge wie „Sei arrogant!“ von Apple-Gründer Steve Jobs tun ihr Übriges.

Dabei ist es langfristig gar keine so gute Idee, immer nur die Ellenbogen auszufahren. „Ohne Solidarität und Unterstützung des sozialen Umfelds kommen die meisten nicht weit. Erfolgreiche Menschen sind meistens gute Netzwerker und verfügen über eine hohe soziale Kompetenz“, sagt Professor Hagemann. Ob sie diese soziale Kompetenz nutzen, um ihren Kollegen gegenüber empathisch zu sein oder um sie zu durchschauen und zum passenden Zeitpunkt auszutricksen, steht auf einem anderen Blatt. Außerdem weist er auf etwas ganz Entscheidendes hin: „Viele Studien zeigen: Erlebt man in einem Unternehmen fortwährend Ungerechtigkeit aufgrund von nicht angemessener Bezahlung, willkürlicher Personalförderungen, nicht transparenter Entscheidungen und so weiter, geht das mit Leistungseinbußen und Gesundheitsgefährdungen einher.“ Die sogenannte Gratifikationskrise: Ich werde in meinem Job nicht honoriert, dann mach ich halt blau!

Aber man kann von den Strombergs auch etwas lernen: Sie grenzen sich strikt ab von Dingen, die ihnen nicht zusagen. Das Wort „Nein“ findet in ihrem Vokabular viel mehr Platz als in dem der anderen. Ihr Wille pusht ihr Selbstbewusstsein und das ist zugleich ihr größter Trumpf. Selbstkritik ist ihnen fremd. Sympathisch? Natürlich nicht. Karriereförderlich? Meistens ja. Trotzdem ist, wie so oft, das Maßhalten wichtig. Richtig krasse Arschlöcher schaffen es nämlich nie nach oben. Mit Steve Jobs wollte auch irgendwann keiner mehr arbeiten. Erst als er gemäßigt zurückkehrte, startete Apple wieder durch.

Almost Not Famous

$
0
0
Wir kennen sie. Von der Bühne, aus dem Fernsehen, aus Zeitungsinterviews. Wir kennen sie als Sänger, Gitarristen oder Fernsehkoch - als diejenigen, die sie sind, wenn sie das tun, was sie berühmt gemacht hat. Was wir nicht kennen: die Menschen, die sie geworden wären, wenn es nicht geklappt hätte mit dem Ruhm.


Pascal Kerouche sucht diese zweite Seite bei Prominenten. Er lässt sie eine Weile in diese andere Rolle schlüpfen und fotografiert sie darin. Sie kehren dann kurz den Menschen nach außen, der sie mal werden wollten - oder der sie hätten werden müssen, wenn die Künstlerkarriere nicht gezündet hätte.


[plugin bildergalerielight Bild1="Max Mutzke erzählte während des Fotoshootings, dass er quasi in der Frauenarztpraxis seines Vaters aufgewachsen sei und tatsächlich vorhabe, diesen Beruf irgendwann noch auszuüben." Bild2="Afrob war froh, dass sein Fototermin im Gefängnis nicht allzu lang dauerte." Bild3="Miss Leema trüge ebenfalls einen weißen Kittel, würde sie ihr Geld nicht als DJ verdienen. Sie hatte sich nach dem Abi eine Frist gesetzt: Hätte sie nach einem Jahr nicht vom Auflegen leben können, hätte sie sich einen Studienplatz für Zahnmedizin gesucht." Bild4="Sänger Flo Mega hätte seine Rolle als Archäologe gern noch länger gespielt, erzählt Fotograf Pascal: Flo fummelte in der Erde rum und freute sich total, als er irgendwelche alten Feuerstellen entdeckte." Bild5="Samy Deluxe kann sein Interesse an Psychologie auch als Rapper gebrauchen: Wenn er auf Tour ist, kümmert er sich sehr ausführlich um die Stimmung und die Probleme im Team." Bild6="Fernsehkoch Tim Mälzer wollte statt Geschmacksnerven eigentlich Trommelfelle bedienen." Bild7="Kris Hünecke stand als Jugendlicher ganz oben in der deutschen Rangliste und trainierte mit Nick Bollettieri, der schon Weltklassespieler wie Andre Agassi geformt hatte."]

Kris von Revolverheld spielte in seiner Jugend ziemlich gut Tennis. Er stand im Doppel mit Tommy Haas auf dem Platz und wäre wohl Profi geworden, wenn ihm nicht eine Verletzung dazwischengekommen wäre. Nico Suave war kurz davor, als Postbote anzu-fangen, bevor die Rap-Karriere Tempo aufnahm. Afrob ist sich sicher, dass er ohne -Musikkarriere irgendwann im Gefängnis gelandet wäre.

Anfangs suchte Pascal nur einen Weg, um Künstler in anderen Kontexten zu zeigen
als auf Bühnen und in Backstage-Räumen. Irgendwann sah er bei einem Spaziergang durchs Hamburger Schanzenviertel in einem Friseursalon den Rapper Das Bo, der gerade Haare aus einem Umhang schüttelte und -dabei aussah, als würde er dort arbeiten. Tat er natürlich nicht, es waren seine eigenen Haare, die er da ausschüttelte. Aber der Anblick brachte Pascal auf die Idee zu der Fotoserie „Almost Not Famous“.


Er hat damit einen Weg gefunden, bekannte Personen in ungewöhnlichen Rollen zu zeigen. Aber seine Bilder sind nicht nur wegen dieser Kombination aus Prominenz und dem Bruch mit Gewohntem ein Hingucker, sondern auch, weil sie sich zutiefst menschlichem Verhalten auf eine neue Art annähern: den „Was wäre wenn“-Fragen, die wir uns im -Leben immer wieder stellen. Dem Grübeln darüber, wer wir jetzt wohl wären, wenn wir diese oder jene Entscheidung anders getroffen hätten. Der Frage, was wir jetzt wohl tun würden, wenn wir diesem oder jenem Menschen nicht begegnet wären. Dem Zurück-blicken auf die vielen Pläne, die irgendwann plötzlich von einem Plan A zu einem Plan B geworden sind. Die Fotos sagen uns etwas sehr Beruhigendes: nämlich, dass sich jeder solche Fragen stellt. Auch diejenigen, denen wir zujubeln, wenn sie auf der Bühne stehen.

„Monokultur funktioniert nicht“

$
0
0
jetzt.de: Kann es sein, dass du dich gern in Dinge reinfuchst?
Jan Delay: Voll. Aber nur, wenn sie mir wichtig sind.

Machst du deshalb ständig Platten mit unterschiedlicher Musikrichtung? Weil du merkst, du magst gerade Rock oder Soul – und da dann so eintauchst, dass du gleich ein Album in diesem Genre machen willst?
Das ist eher der Ehrgeiz. Und die Neugier und der Hass auf die Langeweile. Wenn ich noch eine Bahnhof-Soul-Platte gemacht hätte, hätte ich mich da nicht weniger reingesteigert. Es wäre nur langweiliger gewesen, weil ich das alles schon mal gemacht habe. Meine Band kann das, ich kann das und wir wissen das. Es gibt für mich also keinen Grund, es noch mal zu machen.





Aber es kann doch auch Spaß machen, Dinge zu tun, die man gut kann?
Mich flasht es mehr, was Neues zu tun. So halte ich mich und meine Arbeit frisch. Das ist wie in der Landwirtschaft: Monokultur funktioniert nicht, nach drei Jahren musst du einen Acker ein Jahr brachliegen lassen und dann was anderes säen, damit der Boden nicht ausgelaugt ist.

Dieser Drang, Neues zu probieren – beschränkt sich das bei dir aufs Arbeiten?
Das geht mir als Musik-Hörer und als Fan genauso. Da langweile ich mich auch irgendwann: Ich höre ein Album von einer Band, ich höre noch ein Album und beim dritten bin ich schon raus. Es langweilt mich, wenn sich nichts ändert.

Ziemlich kritisches Fan-Verhalten.
Ich habe das aber, glaube ich, mit vielen Fans gemein. Mir ist das mal aufgefallen: Wenn man sich die Pop-Geschichte anschaut, hat eigentlich nichts, was toll und neu und aufregend war, länger als drei Alben seinen Reiz behalten – die Beatles mal ausgeklammert.

Im Berufsleben ist es mittlerweile vollkommen normal, dass man alle paar Jahre was anderes macht. Wenn du aber von Soul zu Rock wechselst, horchen alle auf und wundern sich. Warum?
Na ja. Wenn Gerti Schröder von der Kasse an die Fleischtheke wechselt, interessiert das nun mal nicht so viele Leute. Musiker und Schauspieler stehen im Mittelpunkt, sind vielleicht sogar so was wie eine Marke. Da diskutiert man drüber, wenn sich was ändert. Bei Gerti Schröder reden darüber wahrscheinlich nur ihre Kollegen, die selbst gern an die Fleischtheke wollten, aber sich nicht getraut haben zu fragen.

Noch ein Unterschied: Gerti Schröder läuft nicht Gefahr, die Fleischtheken-Fans dadurch zu ärgern, dass sie plötzlich in deren Revier wildert.
Genau. Es gibt auch keine Gerti-Fans, die sich ärgern, dass sie nicht mehr bei Gerti bezahlen können. Wo die doch immer so nett war. Und an der Fleischtheke wollen sie Gerti nicht besuchen, weil sie Vegetarier sind.

In deinem Song „Scorpions-Ballade“ kritisierst du, dass die Grenzen zwischen den Genres verschwinden und jeder alles hört. Obwohl dir das doch eigentlich entgegenkommen müsste.
Ich kritisiere das nicht generell, es geht nur um die Kehrseiten. Denn eigentlich ist der Niedergang der Genregrenzen ja das, was wir uns schon als Absolute Beginner gewünscht haben. Da mussten wir uns ständig anhören, dass das, was wir machen, kein Hip-Hop sei. Heute ist das nicht mehr so, und das ist toll.

„Ich kann gar nicht Gitarre spielen, aber plötzlich musste ich mich damit befassen.“


Aber Musik ist ja auch Distinktionsmerkmal und gibt dir, wenn du jung bist, das Gefühl, 
irgendwo dazuzugehören.
Ja, dass das ein bisschen verloren geht, ist schade. Du kannst zwei Wochen Emo sein und dann zwei Wochen lang Punk. Das ist einerseits gut, aber es fehlt auch was: Eine Subkultur vermittelt einem, gerade wenn man da als junger Mensch reinkommt, eine Haltung und Ideale. Und wenn man das nur für zwei Wochen ankratzt, wird da nichts vermittelt.

Wie sehr schielst du darauf, was in dem jeweiligen Genre, auf das du dich neu einlässt, gerade angesagt ist und gut läuft?
Ich schaue sehr genau, was da schon gemacht wurde. Das resultiert aber auch aus meiner Fan-Haltung. Ich nehme mir ja keine Musikrichtung vor, die ich nicht mag. Wenn ich aber Fan bin, steigere ich mich rein: Ich höre mir da sehr viel an. Ich studiere das. Ich frage mich, was genau ich daran eigentlich so geil finde und welche Rezepte in dieser Musik angewandt werden.

Du änderst also dein Hörverhalten?
Ja, ich lege da einen Schalter um und fange an, analytisch zu hören. Als normaler Musikfan mache ich das ja nicht. Als Fan hörst du nicht analytisch, da feierst du die Musik nur. Und das ist auch gut so.
Wie wirkt sich das aus, wenn du den Schalter umlegst?
Ich merke dann auf einmal, dass ich neue Kategorien von gut und schlecht bilde. Ich habe zum Beispiel AC/DC nie sonderlich toll gefunden. Aber nachdem ich da mit meiner Analysebrille draufgeschaut habe, habe ich gemerkt, dass die das Allergrößte sind!

Wie geht’s dann weiter? Du gehst zu deiner Band und sagst: So Leute, jetzt dann mal Rock?
Im Prinzip schon. Bei der ersten Studio-Session nach der Tour haben wir ein paar Sachen ausprobiert – und die Rocksachen haben einfach funktioniert. Und dann kamen drei Jahre Arbeit: lernen, probieren, verwerfen.

>>> Verändert sich Jan Delay mit jeder neuen Musikrichtung, die er wählt?
[seitenumbruch]
Was hast du gelernt?
Dass ich viel zu wenig wusste, um das alleine einfach so zu machen. Dass ich da Hilfe brauchte. Dass wir einen zweiten Gitarristen brauchten. Einen, der uns ganz viel beibringt in dieser Musikrichtung.

Spielst du eigentlich gut Gitarre? Die ist ja immerhin das tragende Instrument, wenn man eine Rock-Platte machen will.
Ich kann gar nicht Gitarre spielen, aber plötzlich musste ich mich damit befassen: mit Verstärkern und ihren Klangunterschieden, mit Gitarrenmodellen, mit Greif- und Spieltechniken – Kram, der mir vorher scheißegal war! Ich weiß nicht, ob ich die Platte gemacht hätte, wenn ich vorher gewusst hätte, wie viel Arbeit das werden würde.

Wie sehr musst du dich verändern, wenn du in eine andere Musikrichtung wechselst?
Gar nicht. Das ist ja das Schöne. Am Ende des Tages ist meine Rockplatte gar keine Rockplatte, sondern eine Jan-Delay-Platte mit verzerrten Gitarren. „Searching For The Jan Soul Rebels“ war zwar Reggae-lastig, aber es war auch eine Jan-Delay-Platte, genauso wie die funkigeren und souligeren in erster Linie Jan-Delay-Platten sind. Das steht über allem, und das ist auch wichtig. Da darf ich mich auch nicht verändern.

Wie sehr wird man generell als Mensch von seiner Arbeit geprägt?
Das ist für mich schwer zu beurteilen, weil bei mir letzten Endes Mensch und Beruf eine Einheit sind. Für mich ist Arbeit so, als würde ich in den Hobbykeller gehen; ein Hobbykeller, in dem extrem viel und sehr ehrgeizig und verkopft trainiert wird – aber immer noch ein Hobbykeller. Deswegen kann der Job sich gar nicht über mich als Person stülpen und mich als Mensch sehr beeinflussen.

In deiner Musik klingen oft politische Meinungen durch. Wie wichtig ist es, dass man in seinem Job für das eintreten kann, was man gut und richtig findet?
Ich kenne nur einen Job, deshalb kann ich das nicht verallgemeinern. Für mich ist es sehr wichtig, eine Haltung transportieren zu können, und es gibt, glaube ich, viele Leute, denen es ähnlich geht, auch in einem „normalen“ Beruf. Die haben meistens aus eigenem Antrieb eine Entscheidung für einen Job getroffen, und nicht, weil ihre Eltern sie zu einem Studium überredet haben oder sie ferngesteuert wurden. Was nicht heißt, dass diejenigen, die so einen inneren Drang nicht haben, schlechter sind. Die sind vielleicht sogar zufriedener in ihrem Job, weil sie dieses Verlangen nicht haben. Weil sie nicht so getrieben sind, sondern einfach mit einer gewissen Ruhe und Zurückgelehntheit machen können. Schlimm ist es nur, wenn ein Verlangen da ist, aber auch eine Angst, die nicht zulässt, dass sie ausbrechen und zum Beispiel die Kasse verlassen – um noch mal auf Gerti Schröder zurückzukommen.

Zum Schluss noch ein Ausblick in die Zukunft: Hast du dir schon ein neues Genre für die nächste Platte auserkoren?
Nein. Ich weiß, dass die nächste Platte eine Rap-Platte wird, weil ich ein Beginner-Album machen will. Was danach kommt, weiß ich nicht. Aber ich werde wieder herumprobieren – und ich werde was finden.

Viewing all 6207 articles
Browse latest View live