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Bäckerkram und Bahnkonflikt

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Diese Woche stand im Zeichen des alles überstrahlenden Brezentests. Außerdem: Ein Alltagsduell im Zug und ein ABC der WG-Gegenstände. Der Wochenrückblick

Der große Brezentest
Von wegen Sommerloch: Bei jetzt.de werden auch im August die ganz großen Themen verhandelt. Ein sechsköpfiges Rechercheteam hat sich auf die Suche nach der besten Breze von München gemacht. Die Testergebnisse sind leider ziemlich ernüchternd.

Windjacke vs. Wirtschaftsteil
Die einen möchten auf dem Arbeitsweg noch schnell ihre Exceltabelle fertig bearbeiten, die anderen sind mit Funktionskleidung und hart gekochten Eiern auf dem Weg ins Freizeitvergnügen: Pendler und Ausflügler passen nicht zusammen. Eine neue Folge des Alltagsduells

“Freunde habe ich nur im Internet”
Wegen einer schweren Krankheit kann Pascal nur selten vor die Tür gehen. Mit einer mutigen Twitter-Botschaft hat er jetzt versucht, Freunde zu finden. Die Reaktionen haben ihn überwältigt. Ein Interview

Stadt, Land, Zwischendrin
Wo willst du später mal leben? Auf ewig in der zentralen Stadtwohnung, oder doch irgendwann draußen im Grünen? Drei Menschen erzählen, wie sie sich entschieden haben.

Schimmlige Joghurtgläser und geklaute Straßenschilder
Du meinst, deine WG ist besonders? Stimmt nicht, da liegt genau der gleiche Krempel herum wie überall anders auch. Wir haben die typischen Dinge einer Wohngemeinschaft in unserem ABC festgehalten.


So tun, als würde man sein Instrument spielen
In der zweiten Folge seines Tourtagebuchs denkt Keno Langbein von Moop Mama über Bandfotos nach und warum die alle so schrecklich aussehen.

Die politische Wochenlage
Der Bürgerkrieg in Syrien dominiert weiterhin die Nachrichtenlage. Großbritannien und Deutschland haben sich diese Woche gegen einen Kampfeinsatz entschieden, die USA und Frankreich denken aber weiterhin über ein Eingreifen auf Grund der mutmaßlichen Giftgas-Attacken nach.

Video der Woche
Eine 14-Jährige diskutiert zwei Medienprofis im kanadischen Fernsehen beim komplexen Thema Genfood an die Wand. Immer neue Versuche der Moderatoren, die junge Aktivistin als naives, fremdgesteuertes Mädchen darzustellen, scheitern an deren gekonnten Antworten mit Sätzen wie “I’m not anti-science, but I am for responsible science and ethic progress.”
http://www.youtube.com/watch?v=HIXER_yZUBg

Von der Rätselhaftigkeit der Welt

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Zehn Platten hat die Berliner Sängerin und Liedermacherin Dota Kehr bereits veröffentlicht. Ihr neues Album "Wo soll ich suchen", das am 30. August auf ihrem eigenen Label Kleingeldprinzessin erscheint, ist bereits das elfte ihrer Karriere.

jetzt.de: „Wo soll ich suchen?" lautet der Titel deines neuen Albums. Da stellt sich unweigerlich die Anschlussfrage: Wonach denn eigentlich?
Dota Kehr: Genau darum geht es – dass wir Menschen im Leben häufig auf der Suche sind, aber oft gar nicht so genau wissen wonach. Der Titel reflektiert die Rätselhaftigkeit der Welt.

Befindest du dich gerade in einer Phase der Suche?
Ja, immer. Es gibt doch nichts Langweiligeres als Leute, die angekommen sind und bequem werden. Gerade als Künstler ist es wichtig, auf der Suche zu sein. Wie soll sonst etwas Neues entstehen?

Du bist 1979 geboren, befindest dich also in einem Alter, in dem viele Gleichaltrige sich wohl als angekommen bezeichnen würden. Merkst du das in deinem Umfeld?
Klar. Da kommt dann die größere Wohnung oder das Haus, da kommen Kinder, die Hochzeit.

Die Leute werden also langweiliger?
Das würde ich so nicht sagen, ich möchte ja nicht meinen Freundeskreis beleidigen. Aber eigentlich: ja (lacht).

Für viele Leute ist das vollkommen okay, die vermissen ja nichts. Zumindest behaupten das viele von ihnen.
Ja, kann schon sein. Aber als Künstler kann man es sich nicht erlauben anzukommen – ohne deshalb kategorisch eine neue Wohnung, Kinder oder Hochzeiten ausschließen zu wollen. Aber man muss sich und seine Kreativität schützen. Ich hoffe daher sehr, auch mit 60 noch auf der Suche zu sein - zumindest nach der perfekten Ausdrucksform und dem besten Lied, das ich schreiben kann.

Hattest du schon mal das Gefühl, das perfekte Lied geschrieben zu haben?
Ja, das gab es – bei „Sommer" vom neuen Album zum Beispiel. Man sieht die Bilder im Kopf, wenn man den Text hört. Die Worte verschmelzen in dem Song mit der Musik zu einer perfekten Einheit. Aber so eine Einschätzung ist nie von Dauer. Und das ist gut so, sonst würde wohl auch der Antrieb zum Weitermachen fehlen.

Wie schwierig ist es, ein neues Lied zu schreiben, wenn man gerade ein perfektes zustande gebracht hat?
Ein gutes Lied zu schreiben ist nie leicht. Vieles landet direkt in der Tonne.

Wird es denn über die Jahre weniger Papiermüll, weil du generell besser geworden bist?
Nein, im Gegenteil: es wird mehr, weil es immer schwerer wird sich selbst zu toppen. Einen Text, den ich vor zehn Jahren vielleicht noch durchgewunken hätte, würde ich heute wegschmeißen. Die eigenen Ansprüche wachsen, zumal man über viele Dinge bereits geschrieben hat.

http://www.youtube.com/watch?v=7gZRZhwS6AI

Du hast als Kleingeldprinzessin angefangen und führst den Namen mittlerweile mit deinem Label fort. Auch den deutschen Kleinkunstpreis hast du erhalten. Das Kleine scheint bei dir demnach eine große Rolle zu spielen – denn auch textlich sind es bei dir oft die kleinen Dinge, die einen Song groß werden lassen. Ist Größe überschätzt?
Oft ist sie das, ja. Beim Texten zum Beispiel. Nimm lauter große Worte wie Liebe, Sehnsucht, Schmerz, Leid und Glück – dann wird es ein ganz schlechter Text. Ich versuche eher, aus kleinen Beobachtungen große Bilder zu bauen. Wenn ich so etwas sage wie „da ist noch Platz auf dem Handtuch", hat man sofort eine Szene vor Augen die viel stärker ist als ein plakatives „Ich liebe dich".

Das klingt sehr handwerklich. Gibt es so etwas wie „goldene Texter-Regeln", die du dir über die Jahre erarbeitet hast?
Klar. Ein Text muss immer auf einer wahren Beobachtung beruhen, muss originell formuliert sein und einen guten Sprachklang und –rhythmus haben. Manchmal muss man natürlich auch Kompromisse eingehen und sich zwischen Klang und Inhalt entscheiden. Es ist aber wichtig, dass man die Texte nicht nur an ihrem Inhalt misst, denn die Form macht die Kunst. Wenn der Inhalt stimmt, aber die Reime schlecht sind, ist auch die gute Aussage nichts wert.

In „Du musst dich nicht messen" singst du über die Monotonie des Arbeitnehmertums, die Ellenbogengesellschaft und den Irrsinn des Ganzen. Gab es einen konkreten Auslöser für den Song?
Ja, ich habe mich mit dem Prinzip des bedingungslosen Grundeinkommens auseinandergesetzt, wollte aber eigentlich ein Liebeslied schreiben. Das Resultat daraus ist dieser Song.

Das Prinzip des bedingungslosen Grundeinkommens als Ausgangspunkt für ein Liebeslied – das klingt nach dem Gegenteil von dem, was viele Menschen unter Romantik verstehen.
Ja, mag sein. Aber viele Menschen haben auch falsche Vorstellungen davon.

Du hast mal gesagt, ein Song bräuchte immer einen emotionalen Bezug. Wo kommt der her, wenn man über das bedingungslose Grundeinkommen schreibt?
Die Aussage des Songs ist heruntergebrochen ja die, dass man nichts leisten muss, um etwas wert zu sein. Die heutige Leistungsgesellschaft versucht dir jedoch das Gegenteil weißzumachen. Dass dieser Mechanismus in zwischenmenschlichen Beziehungen außer Kraft gesetzt wird, sollte zwar selbstverständlich sein, aber das ist es nicht, weil die kapitalistische Verwertungslogik auch aufs Private übergreift. Und aus solchen Überlegungen heraus kommt dann der emotionale Bezug.

Du hast ein abgeschlossenes Medizinstudium. Gibt es Parallelen zwischen Musik und Medizin? Die Medizin macht genauso viele Menschen krank wie sie gesund macht, die Musik macht die Leute aber im Zweifelsfall nur gesund. Mit Musik richtet man keinen Schaden an. Wenn du mich eine Stunde lang mit David Garret oder David Guetta quälst, nehme ich definitiv Schaden. Na gut, beziehen wir es auf meine Musik. Damit versuche ich, keinen Schaden anzurichten. Und wenn es einem leicht fällt, auswendig zu lernen, ist das ebenfalls sowohl in der Musik als auch in der Medizin von Vorteil.

Das Album „Wo soll ich suchen" von Dota erscheint am 30. August über Kleingeldprinzessin Records/Broken Silence. 

Der Sonntag mit: Christiane Seidel

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Kein Tag in der Woche ist so frei wie der Sonntag. Für jetzt.de dokumentieren interessante Menschen ab sofort diesen Tag in Bildern. Diesmal: Christiane Seidel, berühmt vor allem für ihre Rolle in der HBO-Serie Boardwalk Empire.

Christiane Seidel, hat sowohl deutsch-dänische als auch US-amerikanische Wurzeln, lebt seit 2006 in New York City und liebt an ihrem Job genau das, was manchmal auch das schwierigste ist: „Kein Tag und Job gleicht dem anderen. Das Tolle daran: Ich darf Dinge tun, für die man sonst hinter Gittern landet“. Sigrid, die Rolle, die sie in der preisgekrönten HBO Serie „Boardwalk Empire“ spielt, brennt beispielsweise Aquavit, bringt Menschen mit einem Fleischklopfer um und umgibt sich mit Gangster-Ikonen.

Im echten Leben gehört der Montag zu ihren liebsten Wochentagen – doch, wirklich. „Vor allem der morgige: Es ist die Woche der Premiere der vierten Staffel von „Boardwalk Empire“. Premiere hin oder her, auch sonst habe der Montag viel Potential, weil sich schnell viel verändern und entwickeln kann. Außerdem seien Samstage bei ihr hoch im Kurs: „Oft ist gerade der mein offizieller Sonntag, da letzterer meist recht vollgepackt ist.

Lange geschlafen. Guter Start!




Soll ja so gesund sein, morgens warmes Wasser mit Zitrone zu trinken. Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Klappt nicht immer, aber da fällt mir der Wein vom Vorabend ein und ich gebe nach.




Die Produktion meines Supershakes. Trotz überwiegend grüner und brauner Zutaten durchaus lecker und sogar vegan.




Wurde von meiner Managerin beauftragt, mich regelmäßig um meinen Twitter-Account zu kümmern. Also, dann kümmere ich mich mal ein bisschen.




Arbeite im Schauspielunterricht momentan an Neil Simons wunderbarem Stück "Chapter Two". Skriptanalyse.




Unterwegs zu den Schwiegereltern. Super Sommerwetter.




Kombucha - obsessed!




Auf dem Rückweg gen Manhattan über die Williamsburg Bridge. Dieser Blick wird einfach nie alt.




Schöne Williamsburg Bridge




Visite in der Muckibude im West Village








Ampel!




Was Schönes für die Ohren hilft der Motivation




Die neuen Citibikes sind genial




Radel crosstown vom West Village zum East Village




Die wöchentliche Schauspielklasse. Die Schauspielkollegen hier sind allesamt sowas von talentiert.




Mein Coach Karl - the best! Nicht vom sanften Lächeln täuschen lassen.




Nach vier intensiven Stunden ruft die Bar auf der legendären St. Marks Straße. Die Absteige hier gehört mittlerweile zum Post-Unterrichts-Ritual. Die Getränke sind billig...




Und wenn das nicht Grund genug ist!




Heimweg






Home sweet Home


Familienbande

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Pauline und Til sind Cousin und Cousine - und ein Liebespaar. Die Geschichte ihrer Beziehung ist auch die Geschichte eines Kampfes gegen Vorurteile.

Tief in der Nacht bebt die Erde. Gläser klirren, Blumenvasen wackeln, eine Tür knallt zu. Pauline und Til blicken einander erschrocken an. „War das ein Zeichen?“, geht es Til durch den Kopf. Er hat soeben zum ersten Mal Pauline geküsst, im Atelier seines Vaters. Das schönste, spannendste Mädchen, das ihm bisher begegnet ist. Und dann, ausgerechnet in dem Moment, in dem sich ihre Lippen berührten, kam das Erdbeben. „Das ist bestimmt ein Zeichen“, denkt er. Aber vielleicht kein gutes. Pauline ist seine Cousine.





Fünf Tage ist es her, dass sie sich wiedergesehen haben, zum ersten Mal seit sie vor 20 Jahren im selben Sandkasten spielten. Für ein Familienfest in einer Kleinstadt in Baden-Württemberg ist Til aus Berlin, Pauline aus Paris angereist. Sie sitzt mit der Familie auf der Terrasse, Til kommt nach Hause. Als er in ihr Gesicht sieht, wird ihm heiß, schnell dreht er ihr den Rücken zu: „Ich mach mal schnell Kaffee.“ Durchatmen. Was ist da eben passiert? Er hat plötzlich einen ganz trockenen Mund bekommen, nur ein „Good to see you“ hat er herausgebracht. Auch Pauline ist verwirrt. Dieser blonde Lockenkopf gefällt ihr, sein fein geschnittenes Gesicht, sein Lachen. Kann man sich etwa in einen Verwandten verlieben und die ganze Familie – Onkel und Tanten, Eltern, die zahlreichen Geschwister – sitzt am Kaffeetisch und schaut zu?

Til und Pauline, beide Mitte 20, sind füreinander wie Fremde: Sie sprechen noch nicht mal dieselbe Sprache. Vor mehr als 30 Jahren ist Paulines Vater nach Frankreich ausgewandert, seither hat er die Familie seiner Schwester, Tils Mutter, nur selten gesehen. Doch jetzt haben Pauline und ihre Eltern Urlaub genommen, sie bleiben fünf Tage in Deutschland, um bei den Vorbereitungen für das Fest zu helfen. In der Zeit zwischen dem ersten Treffen beim Kaffee und dem Kuss, bei dem die Erde bebt, zeigt Til Pauline sein Elternhaus, die Stadt, die Weinberge in der Umgebung. Fast jede Minute verbringen sie zusammen, schlafen wenig, wollen die kurze Zeit nutzen. Sie reden über Musik, Kunst, Bücher, lachen viel, zeichnen gemeinsam in Paulines Skizzenbuch. Einmal berühren sich ihre Hände für eine Sekunde, es fühlt sich an wie tausend Nadelstiche. Und ständig geht ihnen durch den Kopf: „Wir dürfen das nicht.“

Das nächste Familientreffen wird zum Versteckspiel.


Am Tag nach dem Erdbeben, 5,6 auf der Richterskala, das stärkste in der Region seit mehr als zehn Jahren, fährt Pauline mit ihren Eltern wieder nach Frankreich. Til bleibt zurück im Gefühlschaos. Seine kleine Schwester merkt, dass sich zwischen den beiden mehr als nur Freundschaft entwickelt hat. Als sie eine Anspielung macht, winkt er ab: „Quatsch, das geht ja gar nicht.“ Er weiß, dass es doch geht. Und wie seltsam es sich anfühlt. Klar, früher haben Cousins ihre Cousinen geheiratet, in Adelskreisen oder in orientalischen Familien tun sie es noch heute. Es ist nicht verboten, das weiß er. Aber was würde die Familie sagen? Außerdem hat er seit Jahren eine Freundin. Auch der ältere Bruder hat die Annäherungen beobachtet.

„Du bist doch nicht etwa in sie verliebt?“
„Und wenn doch?“
„Es würde Mama das Herz brechen.“
„Sie würde es verstehen.“
„Da bin ich mir nicht sicher.“
„Wir werden sehen.“
„Du bist verrückt.“
„Vielleicht.“

Til bekommt sie nicht aus dem Kopf. Mit Pauline hat er sich zum ersten Mal „ganz“ gefühlt, vollständig. Er, der Künstler, der Poet der Familie, oft bewundert, manchmal belächelt. „Plötzlich war jemand da, der genauso war wie ich, mit dem ich all meine Gedanken teilen konnte“, sagt er. Er will dieses Mädchen wieder sehen. Til fährt nach Berlin und beendet seine Beziehung.

Auch Pauline kann den Kuss nicht vergessen. Im Auto der Eltern auf der Fahrt nach Paris will sie am liebsten weinen und lachen zugleich. Wohin gehören die Gefühle für Til? War das nur eine Laune, ein kleines, harmloses Abenteuer? Sie muss herausfinden, was zwischen ihnen ist – sonst wird sie vielleicht die größte Chance ihres Lebens verpassen. Zurück in ihrer WG bucht sie für ihn ein Ticket von Berlin nach Paris. Er soll zu ihr kommen. Sie will herausfinden, wie es sich anfühlt, mit ihm zusammen zu sein, ohne die ganze Familie um sie herum. Wenige Tage später steht Til vor der Tür.

Aus Tagen werden Wochen, aus dem seltsamen Gefühl wird Liebe, aus Cousin und Cousine ein Paar. Til zieht zu ihr in die WG, er kann auch von Paris aus an seiner Abschlussarbeit für die Filmhochschule arbeiten. Wenn seine Mutter anruft, sagt er, er sei für ein Projekt in Paris. Auch Pauline spricht mit ihren Eltern nicht darüber, dass Til nun bei ihr wohnt. Je ernster es ihr mit ihm wird, desto seltener meldet sie sich. Das nächste Familientreffen wird zum Versteckspiel. Sie küssen sich heimlich. Danach bricht Pauline den Kontakt zu ihren Eltern ganz ab. Keine Anrufe, keine Mails. Sie hat Angst vor Fragen, will am Telefon nicht lügen.

Schließlich schreibt sie einen Brief. Ein Bekenntnis zu Til, eine Beichte vor den Eltern. Wenig später hört sie auf ihrer Mailbox die Stimme ihres Vaters. „Wir sind überhaupt nicht böse“, sagt er. Er freue sich, habe jetzt wieder eine direkte Verbindung zu seiner Familie, mit der er so lange fast nichts zu tun hatte. Die Mutter reagiert kühl, sie ist skeptisch, ob die Beziehung halten wird. „Was ist, wenn es mal wieder nur eine kurze Romanze ist?“, fragt sie. „Was werden dann die Verwandten sagen?“ Paulines Bruder drückt seine Meinung drastisch aus: „Vergiss es“, sagt er. „Er sieht dir sogar ähnlich.“ Pauline nimmt die Reaktionen ziemlich gelassen, sie hat im Kopf alle möglichen Reaktionen durchgespielt. „Ihr werdet schon sehen“, sagt sie, ein bisschen trotzig. So sicher war sie sich einer Liebe noch nie.

Auch Til will seine Eltern nicht länger anlügen. Er fährt zu ihnen und erzählt ihnen alles. „Ich habe ihnen erklärt, dass es im Leben darum geht, glücklich zu sein – und dass mich Pauline glücklich macht.“ Er hat Glück, seine Eltern verstehen ihn. Doch in der Kleinstadt macht die Nachricht schnell die Runde. Inzest, das ist ein großes Wort, darüber reden die Leute. Das sei doch bestimmt nicht erlaubt, auf jeden Fall aber „nicht mehr normal“, gefährlich.

Dabei sind Sex und Heirat zwischen Cousin und Cousine als Verwandtschaftsbeziehung dritten Grades in Deutschland legal. Noch bis ins 19. Jahrhundert war in Westeuropa die Heirat innerhalb einer Familie durchaus üblich. So heiratete etwa Kaiser Franz Joseph seine Cousine Sissi, und Elsa Einstein ihren Vetter Albert. Sogar der berühmte Evolutionsbiologe Charles Darwin war mit seiner Cousine ersten Grades vermählt. Trotzdem komisch, finden auch Tils Freunde. „Das kannst du auf keinen Fall machen!“, ist ein Satz, den Til oft gehört hat. Auch von seinem besten Freund. „Doch, das kann ich auf jeden Fall“, antwortet er und denkt: „Lass sie reden.“

In der Kleinstadt macht die Nachricht schnell die Runde. Inzest, darüber reden die Leute.


Jemand schreibt auf Paulines YouTube-Account einen Kommentar unter ein selbst gedrehtes Video, auf dem sie in verschieden lustigen Posen zu sehen ist. „Hey, wie geht's deinem Cousin? Vor 50 Jahren wäre man für das, was ihr macht, gehängt worden“, stand dort. Er muss Pauline gegoogelt haben, nachdem er von den beiden gehört hatte, offenbar spricht sich eine solche Beziehung auch im Freundeskreis und darüber hinaus herum. Til hat dem anonymen Schreiber geantwortet, ruhig und sachlich. Aber innerlich brodelte er. Warum mischen sich Leute in seine privaten Angelegenheiten ein? Er bekam nur eine noch gehässigere Nachricht zurück. Til glaubt, die große Ablehnung rühre daher, dass viele Leute sich so eine Beziehung für sich selbst nicht vorstellen können. „Ihr könnt ja niemals Kinder haben“, sagen die Leute oft. Auch Paulines Vater, ein Arzt, erwähnt das Risiko von Fehlbildungen, das bei Cousin-Cousine-Verbindungen mit fünf Prozent doppelt so hoch liegt wie bei nicht miteinander Verwandten.

Die beiden können dieses Argument nicht nachvollziehen. „Wer sucht sich denn seinen Partner aus, weil er mit ihm direkt ein Kind machen will?“ fragt Til. Auch er klingt trotzig. „Es mag ja sein, dass man sich den Partner normalerweise unbewusst so aussucht, dass man sich mit ihm gut fortpflanzen kann. In dem Fall ist es aber ein gutes Gefühl zu wissen, dass da noch etwas anderes ist, was Menschen zusammenbringt. Etwas anderes als der pure Fortpflanzungsdrang.“

Pauline hat Deutsch gelernt, nach ein paar Monaten ihre Stelle als Produktionsassistentin in Paris gekündigt und ist mit Til nach Berlin gezogen. Dort führte sie eine Weile eine kleine Galerie. Seit wenigen Wochen wohnen die beiden wieder in Paris, in einem Zweizimmer-Apartment bei Montmartre. Im Gang stehen Gemälde, auf riesigen Schreibtischen liegen Filmkameras, Fotoapparate; es gibt einen Schnittplatz für Videos. Hier leben und arbeiten sie als freie Filmemacher und Künstler, seit vier Jahren sind sie jetzt schon ein Paar. Mehr als eine Romanze.

Sie tragen Lederjacken, auf ihren Köpfen sitzen kleine zipfelige Wollmützen, bei ihr auf dem Kurzhaarschnitt, bei ihm auf der frisch rasierten Glatze. Auf Paulines T-Shirt steht ein Spruch: „Legalize Gay“. Es ist ein Zeichen der Solidarität. Sie verachtet die konservativen Franzosen, die seit Monaten zu Hunderttausenden gegen die Homo-Ehe auf die Straße gehen. „Jeder soll doch lieben, wen er will“, sagt sie. Eigentlich müsste auf dem T-Shirt ein anderer Spruch stehen: „Legalize Love“. Til und Pauline wissen, wie es ist, sich für seine Liebe rechtfertigen zu müssen.

Die Wahlkolumne (12): Klingelstreich

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Die Grünen und die SPD setzen im Wahlkampf auf Klinkenputzen. Aber will man sich von einem sprechenden Wahlplakat vollquatschen lassen?




Die CDU, die FDP und die Linke stellen sich vor allem mit Infoständen auf Marktplätze oder halten Kundgebungen ab. Die SPD macht geschlossen Haustürwahlkampf, ebenso die Grünen. Dazu klingeln Helfer und Kandidaten und versuchen, potenzielle Wähler in drei Minuten zu überzeugen, ihre Partei zu wählen. Über das Für und Wider solcher Klingelstreiche zerbrachen sich unsere Leser zuletzt die Köpfe in einer Diskussion im Tagesticker auf jetzt.de. Der Tenor war im Großen und Ganzen: Keiner hat Bock, sich in wenigen Minuten von einem sprechenden Wahlplakat volllabern zu lassen. Sehe ich ähnlich. Ich öffne auch grundsätzlich nicht die Türe, wenn es ohne Anmeldung klingelt (GEZ, Zeugen Jehovas, mein bekiffter Nachbar). Nun habe ich aber kürzlich in dieser Kolumne großspurig angekündigt, dass ich vielleicht mit den kleinen Parteien liebäugeln würde. Und habe mir deshalb jetzt die Grünen extra an die Haustüre bestellt. Da fehlt dann zwar der Überraschungseffekt, die Situation ist aber trotzdem nicht total gestellt: Das kann nämlich jeder machen. Ein bisschen wie Call-a-Pizza, allerdings ohne genau zu wissen, wann die Pizza kommt. Eine Uhrzeit kann man nämlich nicht festlegen, aber zumindest erfahren, wann die Wahlkämpfer im Viertel unterwegs sind.

Montagabend steht dann Katharina vor der Tür, grüne Landtagskandidatin, blond, wasserfarbenblaue Augen, Grübchen. Und Georg, Grünen-Mitglied ohne Kandidatur-Wünsche, schon etwas älter, viele Sommersprossen, ausgesprochen megahöflich. Kurz reden wir an der Tür, dann bitte ich die beiden hinein. Wollen sie nicht, dürfen sie nicht. Ich insistiere, ich will ja mehr wissen. Warum soll ich die Grünen wählen? Überhaupt: Jetzt, wo sie da sind, sollen sie mir mal ihr Steuerkonzept erklären. Ich finde nämlich, dass ich wirklich mehr als genug Steuern zahle. Katharina ist gut vorbereitet, erklärt mir, dass die Grünen einen höheren Steuersatz ab 80 000 Euro Jahreseinkommen wollen. Und dann soll auch nur das Geld on top höher versteuert werden. Sprich: Bei 80 001 Euro zahlt man nur für den einen Euro mehr. Klingt sinnig. Gefühlt liegt in München nämlich das Wohlstandseinkommen nicht schon bei den 60 000 Euro, die die SPD angepeilt hat. Ja, ich weiß, das ist in anderen deutschen Städten anders, aber in dieser Sekunde an meiner Haustüre geht's ja erstmal um das Hier. Ob das deutschlandmoralisch kompatibel ist oder nicht, sei erst mal dahingestellt. Ich verdiene jedenfalls weder 80 noch 60 Tausender im Jahr, aber ich finde auch nicht, dass man die fleißigen Leute bestrafen muss. Stammtischparole? Maybe.

Katharina und Georg klingeln übrigens nicht zufällig. Sie gehen extra in Stadtteile, deren Bürger wahlmüde und sowieso rot-grün-affin sind. Um diese Viertel herauszufinden, haben sie sich die Wahlbeteiligungen der vergangenen Wahlen sehr eingehend angesehen. Abgewiesen werden sie übrigens selten, die meisten Leute haben Lust, über Politik zu reden. Entspricht irgendwie gar nicht dem Tenor aus dem Tagesticker, das überrascht mich. Im Gegenteil: Die Leute sind laut Katharina und Georg sogar eher froh, wenn sie mal face to face mit jemandem „von denen“ sprechen; mal ihren ganzen Frust über fehlende Kitas, überfälliges Anwohnerparken, zu teure Mieten oder administrativen Ämterwahnsinn auskotzen können. Ein bisschen wie ein Therapiegespräch. Ich ertappe mich selbst dabei, wie ich eine hanebüchene Ämteranekdote zum Besten gebe. Livecoach Katharina nickt: „Ja, das wollen die Grünen definitiv vereinfachen!“ Außerdem möchte sie klarstellen, dass die Grünen keine Partei der Verbote sind, wie erst kürzlich bei der Veggie-Day-Diskussion wieder angeführt, sondern dass sie lediglich erreichen wollen, dass die Leute nachdenken. Im besten Fall auch umdenken. Und die Energiewende ist ihr sehr wichtig. Mir auch. Aber ist das finanzierbar? I doubt it. Und gut, dass es die dritte Startbahn am Münchner Flughafen nicht gibt.

Ich fühle mich wie frisch von der Bekloppten-Couch: befreit!


Ha! Mein Thema! Ich war für die dritte Startbahn, weil ich glaube, dass München den Flughafen ausbauen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Katharina sagt, die Flüge würden zurückgehen, weil die Flugzeuge größer werden und mehr Menschen reinpassen. Außerdem muss es ja wohl keine Verbindung zwischen Nürnberg und München geben. Ich verstehe die Leute aus Nürnberg aber total, die lieber mit dem Flugzeug kommen und umsteigen, wenn sie nach New York wollen, als mit dem Zug und der S-Bahn erst nach München zu gondeln. Letztere braucht nämlich viel zu lange vom Hauptbahnhof, weil sie an jedem Löwenzahn hält. Die S-Bahn ist aber wiederum Bundessache, sagt Katharina. . .

So geht das eine Weile, dann verabschieden sich die Zwei. Als ich die Tür hinter ihnen schließe, fühle ich mich wirklich wie frisch von der Bekloppten-Couch: befreit. Die Diskussion hat gut getan. Mich haben zwei Menschen besucht, die mir das Gefühl gegeben haben, etwas verändern zu wollen. Und denen völlig klar ist, dass sie erstmal keine Mehrheiten bekommen werden. Aber sie nehmen ihre Opposition sehr ernst, sind bereit für Umwelt und soziale Fixpunkte zu kämpfen. Nicht auf diese oberlehrerhafte Art wie die Linke, auch nicht so schnöselig pseudotolerant wie die FDP. Selbst wenn ich nicht mit allem übereinstimme: Die Grünen geben mir das Gefühl, zumindest mal auf Missstände aufmerksam machen zu können. Als ich am nächsten Tag zwei Pferdejacken-Muttis in ihren SUVs miteinander um einen Parkplatz vor dem Bio-Supermarkt streiten sehe, finde ich das 80 000-Euro-Limit noch besser als zuvor.

Zürich, Dinos und Kehlmann

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Wo sollte man diese Woche unbedingt hingehen? Welchen Film sehen und was auf keinen Fall verpassen? jetzt-Mitarbeiter planen ihre Woche. Diesmal mit einem Zürich-Trip, Wahlfieber und einem Buch mit offenem Ende.

Wichtigster Tag der Woche: Der Samstag. Da hat eine gute Freundin von mir Geburtstag und ich bin ziemlich gespannt, wie sie unser im Urlaub auf einem Markt erworbenes Geschenk wohl findet. Gleichzeitig werde ich aber wohl nach Zürich zu einer anderen Freundin fahren. Zürich ist für mich immer der Inbegriff der Filmkulisse – ein Teil von mir rechnet jederzeit damit, dass die Berge einfach wegklappen und man sich doch in einem dreckigen Filmstudio befindet. So lange das nicht passiert, werden wir allerdings weiter Macarons bei Sprüngli essen und den Franken-Wechselkurs ignorieren.

Wochenlektüre: Ich habe im Urlaub „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ vom israelischen Autor David Grossmann gelesen - und jetzt kommt der Spoiler! Ich war unfassbar enttäuscht vom offenen Ende. In dem Buch geht es darum, wie eine Frau Angst hat, ihr Sohn könne im Krieg gefallen sein, wobei dem Sohn des Buchautors eben genau das passiert ist beim Schreiben. Irgendwie hatte ich deshalb gedacht, er würde einen auf keinen Fall mit der Auflösung der Geschichte in der Luft hängen lassen. Was Neues wollte ich seitdem noch nicht anfangen. Der neue Kehlmann liegt aber bereit.



Zürich könnte sich jederzeit als Pappkulisse entlarven

Politisch interessiert mich: Natürlich die Wahlen! Ich werde dieses Jahr zum ersten Mal in Bayern wählen, vorher war ich ja immer noch in Niedersachsen gemeldet. Das fühlt sich total skurril an, weil CSU oder „Freie Wähler“ für mich vorher immer Parteien von „euch da unten“ waren, also sehr weit weg. Nun könnte ich theoretisch selber mein Kreuz bei ihnen setzen...

Soundtrack der Woche: Die jetzt-Redaktion spaltet sich in Thees Uhlmann Fans und -Hasser. Ich stehe definitiv auf ersterer Seite, habe mir das Album brav vorbestellt und werde es nun den Rest der Woche hören und Jakob Biazza mit meinen Lieblingszitaten daraus erfreuen.

Geht diese Woche gut: Ein letztes Mal Bier draußen in der Sonne.

Geht diese Woche gar nicht: Geschlossene Schuhe. Noch einmal Sommer, bitte! Finstere Schnürschuhe werden die Wochen drauf noch oft genug ausgepackt werden müssen.

Kinogang? Ich war gefühlt seit Monaten nicht mehr im Kino. Neulich bin ich allerdings im Nachtprogramm bei "Jurassic Park" hängengeblieben, was mich ziemlich nostalgisch machte. Als der Film 1993 lief, hatte mein Bruder die entsprechenden Gummidinos dazu, die dann in brutaler Co-Existenz mit meinen Barbies lebten. Ab und zu wurde dementsprechend mal eine von ihnen vom T-Rex gerissen. Allein aus dieser Nostalgie heraus würde ich mir wenn tatsächlich Jurassic Park 3D im Kino ansehen.

http://www.youtube.com/watch?v=mXBhOAPiaDo

Mein Leben mit Ron

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Massenaustritte, interne Streitigkeiten, autoritärer Führungsstil - Scientology steckt in der Krise. Ein Buch, das jetzt erstmals in Deutschland erscheint, wagt einen Blick ins Innere der Sekte

Es ist das Jahr 1975, in dem Paul Haggis Scientologe wird. In seiner Heimatstadt London, Ontario, ist er gerade auf dem Weg zum Plattenladen, als er einen 'langhaarigen jungen Mann mit durchdringendem Blick und einem sonderbar eindringlichen Auftreten' trifft. Der Fremde reicht ihm ein Buch. Der Autor: L.Ron Hubbard. Haggis liest die Schriften des Sektengründers, belegt Kurse. Er zieht nach Hollywood, wird erfolgreicher Drehbuchautor ('Million Dollar Baby', 'Crash') und Regisseur. Er bleibt Scientology treu. 35 Jahre lang.




Drehbuchautor und Regisseur Paul Haggis

Wie es die Sekte von ihren Mitgliedern verlangt, setzt sich auch Haggis in all den Jahren nie mit kritischen Berichten über Scientology auseinander, verfolgt nicht die Vorwürfe, die Abtrünnige gegen die Organisation erheben. 2008 streitet Kalifornien erbittert über ein Verbot homosexueller Ehen, Scientologen schlagen sich auf die Seite der Befürworter dieses Verbots, der 'Proposition 8'. Das seit jeher schwierige Verhältnis der Kirche zu Homosexualität wird offenbar. Haggis, Vater zweier lesbischer Töchter, fordert von der Organisation eine klare Haltung für die Homo-Ehe - und wird enttäuscht. Was für Außenstehende wie eine Randnotiz wirken könnte - angesichts all der Praktiken, die der Sekte zur Last gelegt werden -, ist für Haggis der Auslöser, die Lehren Scientologys in Zweifel zu ziehen. Er beginnt zu recherchieren, nachzufragen, zu kritisieren. Und schreibt schließlich dem Scientology-Sprecher Thomas Davis einen Brief. 'Ich schäme mich, so lange gewartet zu haben, bis ich handelte. Hiermit kündige ich meine Mitgliedschaft in der Scientology-Kirche.'

Vier Jahre später erscheint die Geschichte von Haggis" Entfremdung jetzt auf Deutsch, aufgeschrieben von Lawrence Wright, Pulitzer-Preis-gekröntem Autor und Journalist beim New Yorker. 'Im Gefängnis des Glaubens' erzählt davon, wie Haggis des Ideologiegebäudes gewahr wird, das ihn umgibt. Das zwar keine Gitterstäbe hat, aber wie ein Gefängnis nach strengen, absoluten Regeln funktioniert und die Menschen von der Welt jenseits der Mauern trennt.

Anhand der Biografie des Oscar-Preisträgers Haggis zeichnet Wright die Historie der Scientology-Sekte bis ins Detail nach. Das Buch wird von Scientology als verleumderisch, als voller 'Fehler, unfundierter Aussagen und schlicht falscher Fakten' verurteilt. Wright sprach mit mehr als 200 aktuellen und ehemaligen Mitgliedern der Organisation, allein die Quellennachweise füllen 60 Seiten. 'Mein Ziel war nicht, eine Enthüllungsgeschichte zu schreiben, das hätte keinen Sinn gemacht', sagt Wright im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. 'Scientology hatte sowieso schon einen miserablen Ruf. Mein Ziel war es lediglich, zu verstehen, was Leute in die Kirche zieht und wie sie davon profitieren.' Nichtsdestotrotz kommt Wright zu dem Schluss, dass die Sekte in einer 'veritablen Krise steckt', die sie 'zu Fall bringen wird', wenn die Organisation nicht auf die massive Kritik reagiere.

Bezeichnend für diese Krise ist die Geschichte von Paul Haggis: Eines ihrer bekanntesten Mitglieder verlässt die Sekte nach Jahrzehnten. Das zeigt, wie schwierig eine Beziehung geworden ist, die Scientology einst den Erfolg garantierte. Die zwischen der Organisation und Hollywood.

'In den USA etablierte sich mehr und mehr eine Star-Kultur', sagt Autor Wright. Der Sektengründer wollte vom Glamour der Leinwandstars, von der Anziehungskraft der Prominenz profitieren, gezielt warb er im Showgeschäft Fürsprecher für seine Organisation an, als Testimonials. 'Das war ein Geniestreich', sagt Wright. 'Was später viele Werbekampagnen taten, nahm er vorweg. Das machte Scientology in den Anfangsjahren so ansprechend und schick.' 1969 eröffnete in Hollywood das erste Celebrity Center, ein Gemeindezentrum für Filmstars.

Die enge Bindung der Sekte an die Bling-Bling-Hauptstadt dürfte zum Teil auch Hubbards eigenen Ambitionen im Filmgeschäft geschuldet sein. 'Er schrieb nicht nur ungezählte Drehbücher für Schulungsfilme von Scientology, sondern glaubte weiterhin, Hollywood erobern zu können', heißt es in Wrights Buch. Bei dieser Eroberung helfen sollten ihm Ende der 1970er Jahre - der erste Star-Wars-Film war gerade in den Kinos angelaufen - ein Skript mit dem Titel 'Revolt in the Stars' und ein Mann namens Milton Katselas. Hubbards Filmprojekt scheiterte. Doch Katselas, Schauspiellehrer und selbst recht weit oben auf der Scientology-Erleuchtungsleiter, wurde zu einem der 'wichtigsten Lieferanten neuer Scientology-Rekruten'. Prominente Mitglieder wie Kelly Preston, Schauspielerin und Ehefrau von John Travolta, Nancy Cartwright (die Stimme von Bart Simson) und 'King of Queens'-Darstellerin Leah Remini soll Katselas zu Scientology gebracht haben.

Bisher haben sich prominente Mitglieder so heimlich von Scientology distanziert, wie sie sich der Kirche oft auch angenähert hatten. Doch nun verlassen erste berühmte Scientologen die Sekte mit einem Knall. Menschen, die lange Zeit glaubten, ihr Erfolg, ihr Ruhm hänge auch mit den Hubbard-Programmen zur Selbstoptimierung zusammen. Menschen wie Paul Haggis. Wie Jason Beghe, der 2007 als erster Prominenter öffentlich mit Scientology brach. Wie Leah Remini. Die Schauspielerin sorgte zuletzt für Aufsehen, als sie nach ihrem Austritt energisch Aufklärung über das Schicksal von Shelly Miscavige forderte. Die Frau von David Miscavige, der nach Hubbards Tod 1986 die Führung der Sekte übernahm, soll seit Jahren gegen ihren Willen festgehalten werden. Scientology hat dies immer wieder dementiert.

'Die Kirche hat immer Prominente als Megafon benutzt, um der Welt ihre Botschaft zu verkünden', sagt Wright. Aber jetzt, da Prominente die Sekte verlassen, hat sich das Megafon umgedreht.' Doch nicht nur die Schauspieler, die sie verlassen, schaden der Organisation. Sondern auch manche, die bleiben. 'Immer wenn jemand wie John Travolta einen Skandal hat, wird das mit der Kirche in Verbindung gebracht', sagt der New Yorker Journalist Tony Ortega am Telefon. Ortega berichtet seit fast 20 Jahren über Scientology. Täglich postet er Artikel und Dokumente auf seinem Blog. Er zweifelt nicht daran, dass sich Scientology 'in der schwersten Krise seiner Geschichte' befindet.

'All das findet vor dem Hintergrund eines Massenexodus" statt. Seit zehn Jahren verlassen Langzeitmitglieder und Führungskräfte der höchsten Ebene die Kirche', sagt Ortega. Menschen wie Marty Rathbun, jahrelang Nummer zwei in der Hierarchie. Wie der frühere Sektensprecher Mike Rinder. Wie die hochrangige und hochgeschätzte Funktionärin Debbie Cook oder Jenna Miscavige Hill, die Nichte des Sektenchefs.

Nicht alle von ihnen zweifeln plötzlich an der Lehre, der sie so viele Jahre enthusiastisch angehangen haben. Doch alle zweifeln an David Miscavige. Autoritärer Führungsstil, drakonische Strafen bei Ungehorsam, massive psychische und körperliche Misshandlung. Die Liste der Vorwürfe, die ehemalige Mitglieder gegen den 53-Jährigen erheben - und die Scientology immer wieder zurückweist -, ist lang. Die aktuelle Krise der Organisation ist auch die Krise von Miscavige.

Was wird nun also aus Scientology? Vielleicht ist es ein bisschen wie mit ihrem berühmtesten Anhänger, Tom Cruise. Schon häufiger wurde das Ende seiner Karriere prophezeit - doch allein seine beiden letzten Filme 'Jack Reacher' und 'Oblivion' spielten mehr als 400 Millionen Dollar ein. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass auch Scientology die gegenwärtige Krise überdauern könnte. So gibt es keinerlei Hinweise auf eine interne Opposition gegen Miscavige, seine Macht im Innern jenes Gefängnisses, das Wrights Buch seinen Titel gab, scheint ungebrochen. Und auch von außen droht keine nennenswerte Gefahr. Zwar gibt es Ex-Mitglieder wie Marty Rathbun, die als 'freie Scientologen' eine neue Hubbard-Organisation aufbauen könnten. Doch die Bewegung dieser 'Independents' ist ihrerseits zerstritten.

In den USA wird Religionsfreiheit viel mehr im Sinne eines Pluralismus der Glaubensgemeinschaften und ihrer Institutionen begriffen als in Europa. Auf dieses Grundrecht berufen sich die vielen Prominenten, die Scientology noch immer öffentlich verteidigen. Wie die Schauspielerin Kirstie Alley. Und auf dieses Recht pochen auch die umtriebigen Juristen der Kirche. 'Scientology verfügt über eine Reihe sehr talentierter Anwälte', sagt Buchautor Wright. Er muss es wissen, denn er hatte mit diesen bereits während der Recherchen zu seinem Buch zu tun. Und als es fertig war, wurde in Großbritannien von einer Veröffentlichung abgesehen. Um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Auch in Kanada ist es nicht erschienen.

Vor allem aber hat Scientology Geld. Viel Geld. Mehr als eine Milliarde Dollar in liquiden Mitteln, sagen Wright und Ortega. 'Die größte Herausforderung für Miscavige', sagt Ortega, 'ist es, die Leute bei der Stange zu halten, die Schecks über Millionen Dollar ausstellen können.' Solange ihm das gelingt, wird Scientology weiter funktionieren. Und die Schecks kommen offenbar noch: Nach fast 15 Jahren Bauzeit soll am 6. Oktober die neue Scientology-Zentrale in Clearwater eröffnet werden. Für das siebenstöckige Gebäude soll die Sekte mehr als 140 Millionen Dollar an Spenden eingenommen haben.

Lauter Rassisten im Schrank

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David Goodharts Buch 'The British Dream' und die Debatte um die Immigration in England

Der britische Premier David Cameron hat es derzeit nicht leicht. Außenpolitisch muss er sich von der Labour-Opposition und Rebellen in der eigenen Partei einen Militäreinsatz in Syrien verbieten lassen. Innenpolitisch treibt ihn die rechtspopulistische 'UK Independence Party' (Ukip) vor sich her. Und das, obwohl sie alles dafür tut, einer Beurteilung des damaligen konservativen Oppositionsführers Cameron von 2006 gerecht zu werden, Ukip rekrutiere sich vornehmlich aus 'fruitcakes and closet racists' - Verrückten und heimlichen Rassisten.




Ukip Parteichef Nigel Farage

Der Ausstieg aus der EU ist das eine große Ukip-Thema. Das andere ist Einwanderung - oder, wie Farage ausnahmslos formuliert, die 'ungebremste Einwanderung'. Tatsächlich aber berichten britische Politiker jeder Couleur: nicht die Wirtschaft, nicht militärische Interventionen in Nahost, nein, die Immigration sei bei ihren Wählern das meistdiskutierte Thema. Cameron hat hartes Durchgreifen signalisiert. Seine 'Immigration Bill', die er kommenden Monat vorlegen will, sieht unter anderem vor, dass Vermieter und Arbeitgeber künftig Rechenschaft über den Visa-Status ihrer Mieter und Angestellten ablegen müssen. Kriminelle Ausländer sollen leichter abgeschoben werden können. Der Gesetzesentwurf will auch den Zugang von Einwanderern zu Gesundheitsversorgung, Rechtshilfe und Arbeitslosengeld einschränken.

Immer noch gibt es jedoch viele, die finden, die Pläne der Regierung gingen nicht weit genug. Einer davon ist David Goodhart. Seine jüngst in der Times veröffentlichten Forderungen lauten: Ausbildungsplätze seien für britische Lehrlinge zu reservieren. Auch sollten alle EU-Länder, deren Beschäftigungsquote unter 75 Prozent des europäischen Durchschnitts liege, vom gesamteuropäischen Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. So werde der 'Export von Arbeitslosigkeit' verhindert.

David Goodhart ist alles andere als ein gestandener Rechtspopulist. Er rechnet sich selbst der 'linksliberalen Nord-Londoner Elite' zu, war früher Korrespondent der Financial Times und ist jetzt Leiter des nominell linksliberalen Thinktanks 'Demos'. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, dass er derzeit als einer der entschiedensten Gegner britischer Immigrationspolitik auftritt. Sein im April erschienenes Buch 'The British Dream' (Atlantic Books) ist eine Abrechnung mit dem seiner Meinung nach gescheiterten britischen Einwanderungsmodell nach dem Zweiten Weltkrieg. Der große Skandal, der Sarrazin-Effekt blieb jedoch aus, weil 'The British Dream' insgesamt ein ausgewogeneres Buch ist als 'Deutschland schafft sich ab'. Aber es lohnt sich, vor der Verabschiedung der 'Immigration Bill' noch einmal einen Blick auf Goodharts Thesen zu werfen, wenn man den Rechtsruck verstehen will, der sich in der britischen Einwanderungs-Debatte vollzogen hat.

Grob gesprochen, behandelt 'The British Dream' drei Themenkomplexe: Den destabilisierenden Einfluss von Einwanderung auf die sozialstaatliche Solidarität, den nach Goodharts Ansicht katastrophalen gesamtgesellschaftlichen Effekt des sogenannten 'Laisser-faire-Multikulturalismus', sowie die zutiefst unterschiedliche Wahrnehmung der Effekte von Immigration bei den 'Eliten' einerseits und beim 'Mann auf der Straße' andererseits.

'Das wirkliche Versagen in der Nachkriegszeit', so David Goodhart, 'war es, den Zustrom nicht deutlicher zugunsten bereits existierender Bürger zu kontrollieren, diese Bürger nicht genügend auf etwas so Existenzielles wie Einwanderung im großen Stil vorzubereiten und den Neuankömmlingen kein klares, selbstbewusstes Angebot zu machen, um ihre Loyalität und Integration zu sichern.' Das Ergebnis: 'Innerhalb von weniger als sechzig Jahren wurde aus einem ziemlich homogenen Land im Herzen eines multiethnischen Imperiums ein multiethnisches Land, nur ohne Imperium.'

Das schlechte Gewissen wegen eben dieser imperialen Vergangenheit sowie eine tief verwurzelte britische 'Leben und Leben lassen'-Gesinnung hat nach Goodharts Ansicht zum ungezügelten Zuzug beigetragen. In London und Städten wie Bradford ist die weiße britische Bevölkerung mittlerweile in der Minderheit. Goodhart beklagt die Entwicklung von lokalen Parallelgesellschaften, in denen beispielsweise die Clanpolitik von Einwanderern aus Bangladesch eine weitaus größere Rolle spiele als irgendeine Parteizugehörigkeit. Bei all dem ist er peinlich darum bemüht, Einwanderer nicht zu dämonisieren.

Dennoch greift er zu Verallgemeinerungen. So unterteilt er die Immigrantengruppen in erfolgreiche - 'indische Hindus, Sikhs, manche Schwarzafrikaner, Chinesen' - und erfolglose - 'Pakistanis, Bangladeschis, Türken, Somalis und Afrokariben'. Welche Fallstricke solche Generalisierungen mit sich bringen, lässt sich an einem kleinen Beispiel ablesen: Die Herrenschneiderei, eines der letzten Aushängeschilder britischen Handwerks, würde ohne türkische Facharbeiter unter einem massiven Nachwuchsmangel leiden. Nicht etwa, weil es keine Ausbildungsplätze gäbe, sondern weil der britische Nachwuchs fehlt. Wenn Goodhart sich also die Forderung des Labour-Vorsitzenden Gordon Brown nach 'britischen Jobs für britische Bürger' zu eigen macht, übersieht er, dass manche Ausbildungsstellen, die er für einheimische Jugendliche reservieren möchte, keiner haben will. Der TV-Koch Jamie Oliver hat gerade in einem Interview erklärt, viele Briten seien den harten Arbeitsbedingungen einer professionellen Küche anscheinend nicht mehr gewachsen. Ohne Immigranten aus Osteuropa, so Oliver 'müssten alle meine Restaurants morgen schließen. Es gäbe keine Briten, die sie ersetzen könnten'.

Goodhart baut ferner einen Popanz auf, wenn er sagt, man müsse endlich aufhören, zu denken, es sei 'unbritisch, über Britishness' zu sprechen. Briten sei es peinlich, über Patriotismus zu sprechen. In Wirklichkeit stand aber die Thematisierung von Britishness deshalb lange gar nicht zur Debatte, weil man sie - mehr oder weniger deckungsgleich mit Englishness - als Selbstverständlichkeit angesehen hatte.

Richtig ist sicherlich, dass dadurch, dass man in Großbritannien keine Notwendigkeit sah, Einwanderer an das neue Land zu binden, auch keine Gründe zu einer herkunftsübergreifenden Identifikation entstanden. Doch das Understatement, das Unbehagen am öffentlichen Pathos, die Goodhart als Integrationshindernis diagnostiziert, ist ja nur die Seite eins britischen Nationalismus: Die andere ist eine Selbstwahrnehmung, die so ziemlich alles, was in Großbritannien erdacht und gemacht wird, zum 'Besten der Welt' erhebt: Ganz gleich ob Militär, Verkehrssicherheit, Fußball oder Käse, man ist stets erstaunlich rasch und ganz ohne Understatement mit diesem Prädikat bei der Hand.

Dieses Selbstlob ist auch eine Form der Selbstvergewisserung, an der sich speziell die Engländer abarbeiten. Waliser und Schotten können sich zumindest auf ihre keltischen Wurzeln besinnen und von der ehemalige Hegemonialmacht England abgrenzen. Nicht zufällig ist Ukip, auch wenn sie das Vereinigte Königreich im Namen trägt, kein gesamtbritisches, sondern ein englisches Phänomen. Parteichef Nigel Farage musste im Mai einen Besuch in Edinburgh abbrechen, nachdem er von wütenden Demonstranten beschimpft und attackiert worden war.

Das Problem mit der Immigration ist also nicht zuletzt ein Problem mit der britischen (sprich: englischen) Selbstwahrnehmung. David Goodhart ist der Ansicht, 'einer der Gründe dafür, dass speziell die Engländer ein so unbehagliches Verhältnis zu ihrem Patriotismus' hätten, sei, dass die 'historische Dominanz ihres Landes - sowohl innerhalb Britanniens als auch global - nicht recht in ein egalitäreres Zeitalter' passe. Dabei gebe es doch, fügt er beruhigend hinzu, 'einen Unterschied zwischen Überlegenheit und Besonderheit'. Doch mit jedem neuen Immigranten nimmt die Angst zu, diese 'specialness', diesen trotzig behaupteten Sonderstatus, zu vermindern. Und ihn schließlich zu verlieren, weil man ihn mit vielen Fremden teilen muss.

'Es geht darum, wer wir sind'

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US-Präsident Obama sucht für einen Angriff auf Syrien die Zustimmung von Parlament und Volk

Auch in unruhigen Zeiten pflegt der amerikanische Präsident Barack Obama seine Rituale. Eines davon ist es, aus dem Weißen Haus ins Freie zu treten und mit seinem Stabschef Denis McDonough im Garten spazieren zu gehen. Am Freitagnachmittag hatte die kleine Runde über den südlichen Rasen, mit Aussicht auf den Obelisken, mehr Bedeutung als sonst. Obama hatte eine Entscheidung getroffen über Krieg und Frieden, und sie lautete anders, als viele erwartet hatten. Der Präsident überraschte erst McDonough, dann sein Kabinett, dann sein Land und die Welt.




Barack Obama und Stabschef Denis McDonough

Zehn Tage lang hatten er und sein Kabinett nach einer Antwort gesucht auf den mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien. US-Außenminister John Kerry, ein besonnener Politiker und brillanter Redner, klang so, als würde er am liebsten selbst die erste Raketensalve abfeuern. Das Töten mit Chemiewaffen sei eine 'moralische Obszönität', zürnte er. Er bekannte sich dazu, kriegsmüde zu sein, wie alle Amerikaner, er mahnte aber, diese Müdigkeit könne man sich jetzt nicht leisten. Er sagte, die USA hätten genug Beweise gegen das Assad-Regime gesammelt, es sei also egal, was die Inspektoren der Vereinten Nationen bei ihren Erkundungen am Rande von Damaskus herausgefunden hätten.

So einsam und wild entschlossen klang die US-Regierung zuletzt im Jahr 2003, als Präsident George W. Bush in den Irak einmarschieren wollte. Der Ton und die Worte schienen auch jetzt wieder unmissverständlich zu sein: Beinahe alle Beobachter rechneten damit, dass Obama am Wochenende angreifen würde. Doch beim Spaziergang am Freitag sagte Obama, dass er vor einem Angriff das Parlament in die Pflicht nehmen wolle. Erstens sollten sich die Abgeordneten und Senatoren auf dem Kapitolshügel, die ihm so oft wahlweise Schwäche oder Rücksichtslosigkeit vorwerfen, eindeutig festlegen. Zweitens brauchte Obama - ganz schlicht - ein paar Verbündete, wenigstens zu Hause.

Beim Angriff in Libyen 2011 waren der UN-Sicherheitsrat und die Arabische Liga auf seiner Seite, da hatte er dann auf den Kongress verzichtet. Am Ende der vergangenen Woche hingegen hatte Obama niemanden für einen Angriff gewinnen können, nicht die UN, nicht die Araber, nicht die Nato, nicht einmal die Briten. Gut, er hatte Frankreich - das sogenannte alte Europa, und auch davon nur ein bisschen. Es war für die ganze Welt offensichtlich: Obama fehlte die Legitimation.

Erstens war sein Plan, Syrien mit ein paar Marschflugkörpern für den Giftgaseinsatz zu bestrafen und von weiteren Missetaten abzuschrecken, völkerrechtlich praktisch nicht zu rechtfertigen, weil die UN zwar eine Schutzverantwortung kennen, diese aber über den Sicherheitsrat führt. Zweitens war nicht klar, ob der Plan wirklich durchdacht war. Er änderte nichts am Bürgerkrieg. Und was würde passieren, wenn Syriens Präsident Assad nach dem Tomahawk-Beschuss abermals den Giftschrank öffnen lassen würde? Drittens hatten die meisten Beobachter den Eindruck, dass Obamas Motiv nicht so sehr die Sorge um Syrien war, sondern die eigene Glaubwürdigkeit zu retten, nachdem er sich im August 2012 mit improvisierten Bemerkungen über eine 'rote Linie' stärker festgelegt hatte, als er es wollte. Obama, so schien es zuletzt, musste mehr oder weniger aus Versehen einen Kleinkrieg führen, von dem er selbst nicht überzeugt war.

Ob der Angriff vertagt oder gestrichen ist, hängt nun vom Parlament ab. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Senat zustimmt, aber es könnte zumindest aus heutiger Sicht sein, dass das Repräsentantenhaus Nein sagt. In beiden Parteien finden sich Gegner neuer Militärabenteuer - linke Friedensaktivisten, rechte Isolationisten. In der einflussreichen rechten Tea-Party-Fraktion ist der libertäre Gedanke äußerst populär, sich aus fremden Konflikten ganz herauszuhalten. Selbst die Falken könnten gegen Obamas Plan stimmen, weil er ihnen zu beschränkt ist - aus ihrer Sicht sollten die USA stattdessen mit massiven Luftschlägen das Assad-Regime stürzen.

Interventionisten und Neokonservative haben in Washington zuletzt stark an Einfluss verloren. Die verheerende Invasion im Irak wird ihnen in beiden politischen Lagern noch immer übel genommen. Seit der Finanzkrise messen die Amerikaner Politik außerdem noch stärker daran, was sie kostet. Im Herbst steht ein erbitterter Streit zwischen Präsident und Kongress über das Budget bevor, er könnte sogar mit der Zahlungsunfähigkeit der Regierung enden. Zwar dürften die Kosten für einen - wie Obama es nennt - 'maßgeschneiderten Angriff' überschaubar sein. Doch im Militär und im Parlament fragen sich viele: Was passiert, wenn die USA so richtig in den Bürgerkrieg hineingezogen werden?

Obama hat die Entscheidung über Angriff oder Nicht-Angriff für existenziell erklärt. Im Rosengarten sagte er am Samstag: 'Es geht darum, wer wir sind.' Es geht freilich auch darum, wer Obama ist. Natürlich hat Amerika ihn als Gegenentwurf zu George W. Bush gewählt, ihm den Auftrag erteilt, besonnener, friedlicher, multilateraler zu sein als sein Vorgänger.

Doch Obama ist es zuwider, mit Etiketten versehen zu werden. Sein Verhältnis zur Gewalt ist ambivalent, aber er hat Gewalt immer angewandt, wenn er es für richtig hielt - gegen Al-Qaida-Chef Osama bin Laden, gegen Terror-Verdächtige, gegen Libyen. Als ihm Ende 2009 - nach nur wenigen Monaten im Amt - der Friedens-Nobelpreis verliehen wurde, erschien Obama mit einer nüchternen Botschaft in Oslo: Ich bin Oberbefehlshaber, nicht Friedensaktivist. 'Ich glaube, dass Gewalt gerechtfertigt sein kann aus humanitären Gründen, wie einst auf dem Balkan', sagte er. 'Tatenlosigkeit zerrt an unserem Gewissen und kann eine spätere Intervention noch kostspieliger machen.'

Es entspricht auch durchaus Obamas Überzeugung, die 'rote Linie' beim Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu ziehen. Er hat früh in seiner Amtszeit für eine Welt ohne Atomwaffen geworben, und wie viele Völkerrechtler ist er der Meinung, dass bestimmte Verbrechen besonders geahndet werden müssen, weil sie schlicht nicht mehr als zivilisiert durchgehen können. Um solche Untaten zu ahnden, haben etliche Länder allerdings den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geschaffen, nicht aber die Institution amerikanischer Vergeltungsschläge.

Wie der Kongress auch entscheidet - die Drohkulisse Obamas bleibt erst einmal stehen. Die US-Zerstörer kreuzen im Mittelmeer, und der Präsident hat am Wochenende bekräftigt, dass er sich rechtlich befugt sehe, notfalls auch ohne das Parlament anzugreifen. Sollten Amerikas Spione von einer bevorstehenden Giftgasattacke in Syrien erfahren, könnte Obama in starke Versuchung geraten, doch noch ein eigenmächtiges Zeichen zu setzen.

Steinbrück vs. Merkel: Wer hat das TV-Duell gewonnen?

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Unions-Kanzlerin oder SPD-Herausforderer: Wer hat für dich am Sonntagabend das TV-Duell gewonnen? Und was bedeutet das für dich? Und wie fandest du eigentlich die Moderatoren?




Die Umfragen sind ambivalent: In der ARD-Blitzumfrage nach dem TV-Duell lag Peer Steinbrück knapp vorne: für 49 Prozent war er überzeugender - für 44 Prozent war es Angela Merkel (CDU). Noch deutlicher sei das Ergebnis demnach bei den unentschiedenen Wählern: 52 Prozent für den SPD-Kandidaten, 36 für Merkel. Allerdings konnte auch die Kanzlerin in einigen Feldern deutlich vor ihrem Herausforderer punkten. So nahmen die Zuschauer sie als sympathischer (52 zu 32 Prozent für Merkel), glaubwürdiger (45 zu 41) und kompetenter (47 zu 40) wahr. Bei Steinbrück entdeckten sie dafür mehr Angriffslust (88 zu fünf Prozent für den SPD-Mann), größere Verständlichkeit (44 zu 40 Prozent) und bessere Argumente (48 zu 38).

Das ZDF hingegen sieht die Kanzlerin als Siegerin: 40 Prozent sagen dort, sie habe sich besser geschlagen. Für Steinbrück stimmten nur 33 Prozent. Vor allem bei Glaubwürdigkeit (40 zu 31 Prozent) und Sympathie (43 zu 26 Prozent) gewann Merkel. Ergebnisse sind das freilich, die sich bei genauerer Betrachtung wenigstens in Teilen überschneiden und auch ausschließen. 

Wie ist das Duell also bei dir angekommen? Wer hat deiner Meinung nach die bessere Figur gemacht? Und was bedeutet das für dich? Beeinflusst es deine Wahlentscheidung noch? Oder hast du dich längst festgelegt? Findest du Personen überhaupt entscheidend oder interessieren dich in unserer Parlamentarischen Demokratie ohnehin nur Parteien?

Oder war die ganze Veranstaltung für dich gleich derart langeilig, dass du dich mehr mit dem eilig gegründeten Twitter-Account von Merkels vermeintlicher Deutschlandkette (@schlandkette) befasst hast – die gar keine Deutschlandkette ist, weil die Farben in der falschen Reihenfolge sind? Und wenigstens als Randaspekt: Wie hat sich deiner Meinung nach der im Vorfeld schwer diskutierte Stefan Raab gemacht? War er eine Bereicherung für die Diskussion(s-Kultur)? Oder nur anstrengend?

Sonntagsfrühstück mit Garnelenspieß

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Gegessen wird immer, aber jeder macht es anders. In der Kolumne Kosmoskoch dokumentieren jetzt-User und jetzt-Redakteure jeweils eine Woche lang, was am Abend bei ihnen auf den Tisch kommt, und schreiben auf, warum. Heute: jetzt-Userin sonnenbluemle

Diese Woche hat sich jetzt-Userin sonnenbluemle die Mütze des Kosmoskochs aufgesetzt.

Montag:  



Am Montag gibt es mittags Obstsalat aus Mango, zweierlei Trauben, Kiwi, Banane und Apfel, vermischt mit Naturjoghurt, Vanillezucker und Minze.  




Abends ist Besuch da. Es gibt mein derzeit absolutes Lieblingsessen: Süßkartoffel-Auberginen-Curry mit ganz ganz viel Koriander und Basmatireis. Zu trinken gibt es Mineralwasser mit Minze, Zitrone, Limette und selbstgemachtem Holunderblütensirup.    

Dienstag:



Heute gibt es Lasagne – aber nicht mit Hackfleisch, sondern mit Soja-Schnetzel. Die gibt’s im Drogeriemarkt und sind echt lecker, optisch sieht es genauso aus wie Hackfleischlasagne. Das Essen dieses Gerichtes hat mir heute einiges an Mut abverlangt, da ich wusste, irgendwo in meiner Lasagne schlummert eine richtig fiese, scharfe, kleine Monsterchilischote, die ich beim Herstellen der „Sojanese“ vergessen habe rauszufischen. Zu trinken gibt es Mineralwasser.  

Mittwoch:



Besuch aus der schwäbischen Provinz führt zu einem Shoppingtag in der großen Stadt. Zum Mittagessen treffen wir uns und es gibt Klebereis mit Mango und Mangolassi. Sehr sehr lecker.




Abends gibt es dann nur noch gemischten Salat mit Feta und Äpfeln und Baguette. Die Tomaten sind die letzten, die ich auf dem Balkon geerntet habe. Die haben sich neben Kopfsalat und Kohlrabi ganz wohl gefühlt und wurden täglich von mir gehegt und gepflegt. Zu trinken gibt es Mineralwasser.    

Donnerstag:



Heute gibt es Fleischküchle aus Rinderhack mit Kroketten und Karotten-Lauch-Kohlrabi-Zucchini-Gemüse und zu trinken Orangen-Karottensaft-Schorle, weil ich beide Säfte für das Gemüse brauchte.    

Freitag:



Heute gibt es bunte Spirelli mit Tomaten-Blattspinat-Soße und Parmesan. Der Tomatensalat, den es dazu gab, wurde leider nicht fotografiert und schmeckte viel mehr nach Knoblauch, als er sollte. Aber da der Freitagabend eh zu Hause verbracht wurde, war es egal.  

Samstag:



Nachmittags treffe ich mich mit einer Freundin zum Kniffeln auf meinem Balkon. Davor müssen wir aber dringend zu „I love Leo“, um Frozen Yoghurt zu essen. Meiner ist der mit Blaubeeren, Schoko Crossies und Himbeeren (ja, da gehen Himbeeren in Verbindung mit Milchprodukten, weil sie nicht vermanscht sind). Dazu gibt es einen Milchkaffee.




Abends gibt es Fisch mit Bratkartoffeln und wieder Spinat. Gestern Blattspinat und heute Rahmspinat. Lecker. Es wurde auf dem Balkon gespeist und zu trinken gab es eine Guaven-Schorle. Guavensaft gab es im Supermarkt und hat verlangt, dass ich ihn kaufe, aber ich musste feststellen, dass Guaven- und Lychee-Schorle für mich beim Asiaten beheimatet sein müssen und da schmecken sie auch gut.  

Sonntag:



Nachdem viel zu lange geschlafen wird, kein Brot im Haus ist, des Bäckers Sonntagsöffnungszeit schon vorbei ist und eh schon Mittag ist, entscheiden wir uns für Salat aus Tomaten und Gurken mit Garnelenspießen und Vollkorntoastbrot. Dazu gibt es Orangensaft-Schorle. Der Frühstückskaffee wurde aber nicht ausgelassen, sondern vorher mit ganz viel Milch und einem Schokokeks getrunken.




Zum Wochenendausklang gibt es dann abends grüne Tagliatelle mit Lauch-Pfifferling-Sahnesoße und einem rosagebratenen Schweinefilet. Dazu gibt es Mineralwasser. 

Auf der nächsten Seite liest dusonnenbluemles Antworten auf den Fragebogen zur Kochwoche.


Welchen Stellenwert hat Essen in deinem Leben?
Es ist mir schon wichtig. Wenn ich abends nach dem Studieren und Arbeiten heimkomme, dann ist Kochen Entspannung und Feierabendeinläuten. Es macht mir (meistens) Spaß.

Was ist dir beim Essen und Einkaufen besonders wichtig?
Beim Essen ist mir wichtig, dass es schmeckt und gesund ist. Beim Einkaufen achte ich als Studentin natürlich auf den Preis, aber auch auf Frische. Fleisch kaufe ich deswegen nur beim Metzger und Gemüse und Obst immer reif beim griechischen Gemüsehändler ums Eck.

Erinnerst du dich, wann du zum ersten Mal für dich selbst gekocht hast und wer dir das Kochen beigebracht hat? 
Das erste Mal hab ich mit acht Jahren überbackene Toasts für die ganze Familie gemacht. Mit Tomatensalat. Da war ich total stolz drauf. Beigebracht hat mir das Kochen meine Mutter. Heute jedoch wird bei jeglicher Kochfrage meine Oma kontaktiert.

Was war dein Lieblingsessen als Kind?
Kartoffel-Karotten-Suppe mit Apfelnudeln bei der einen Oma und Fleischküchle mit Kartoffel-Gurken-Salat bei der anderen Oma.

Was ist dein aktuelles Lieblingsessen?
Hm, das ist schwierig. Linsen gehen immer und asiatisch. Aber am liebsten mag ich zur Zeit Currys jeglicher Art. Und Tomatensalat geht immer: morgens, mittags und abends.

Was magst du gar nicht?
Stangensellerie, Himbeeren in Verbindung mit Milchprodukten – pur hingegen gerne. Und meine absoluten Todfeinde: Oliven.

Mittags warm und abends kalt oder andersrum? 
Meistens abends warm. Während des Semesters einmal die Woche mittags warm, aber sehr ungern.

Wo isst du am liebsten, am Tisch oder auf dem Sofa?
In Ermangelung eines Sofas in meiner Studentenbude immer am Tisch.
 
Was trinkst du zum Essen? 
Meistens Wasser mit viel Kohlensäure. Ab und zu mal Schorle.

Wie oft gehst du auswärts essen und hast du ein Lieblingsrestaurant? 
Auswärtsessen geh ich meistens montagmittags mit einem Freund, aber da gerade Ferien sind, sehen wir uns da nicht regelmäßig, und unser Stammvietnamese hat gerade auch wegen Umbau geschlossen – deswegen gibt es kein Montagsbild davon. Gerne gehe ich auch Sushiessen. Oder mhmmm, was auch immer geht: Münchner Schnitzel im Görreshof. Fantastisch. Mit Bratkartoffeln und extra Bratensoße.

Was isst du, wenn es schnell gehen muss? 
Pellkartoffeln mit Kräuterquark, Salat oder einfach ein Brot.

Was war das aufwändigste Gericht deines Lebens? 
Oh, das war das Dankesessen für meine beiden Umzugshelfer: Es gab Glasnudelsalat mit selbstgemachten Frühlingsrollen, dann gebratene Nudeln mit zweierlei Fleisch und Garnelen und dann Kokospanacotta auf Maracujaspiegel. Zu trinken selbstgemachtes Mangolassi. Einzeln auch aufwändig, aber in meiner Miniküche mit nur zwei Herdplatten und keinem Arbeitsplattenplatz echt eine Herausforderung.

Hast du ein Standard-Gericht, wenn Eltern oder Freunde zu Besuch kommen? 
Es variiert schon sehr, aber meistens gibt es irgendeine Lasagne (Gemüse-, Linsen-, Lachs-Spinat- oder klassisch) und Salat, gebratene Nudeln oder ein Curry.

Welchen jetzt-User oder -Redakteur möchtest du als Kosmoskoch sehen? 
Es gibt einige, aber ich glaube, der Kochplan von Serfafahm, der sich selbst als Bratkartoffelgott bezeichnet, würde mich interessieren. Oder den Herren mit den vielen Bohnen, Gisamaluke, ich glaube, der kocht richtig richtig gut.

"Papa, warum hat die nackte Frau keinen Kopf?"

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Heute wurde in Berlin von der Organisation "Pinkstinks" eine Petition "gegen sexuelle Verfügbarkeit in Außenwerbung" an den deutschen Werberat überreicht. Am Sonntag trafen sich die Aktivistinnen vor dem Brandenburger Tor zur Demonstration. Ein Ortsbesuch.

„Wann jeht das denn hier jetz' weiter?“, fragt die ältere Dame und schaut frustriert auf den Flyer in ihrer Hand, als sei er das aktuelle Theaterprogramm. Die Demo zum Weltfriedenstag gegen einen US-Einsatz in Syrien ist mittlerweile durch das Brandenburger Tor gezogen, ein paar Meter weiter fordern andere Demonstranten mehr Aufmerksamkeit für den Irak. „Pinkstinks. Gegen sexuelle Verfügbarkeit in der Außenwerbung: Kinderschutz jetzt!“ steht auf dem Flyer der Dame, darauf ist eine großbrüstige und -lippige Frau abgebildet, die so aussieht, als wolle sie gleich an einer Axe-Deodose lutschen.

Ein paar Meter weiter, mitten auf dem Pariser Platz, hämmern derweil Handwerker im leichten Nieselregen eine Bühne zusammen. Wegen der Vorgängerdemos hat sich der Zeitplan für die weltweit erste Demonstration gegen sexualisierte Werbung verschoben, dabei stehen bereits einige hundert Aktivisten vor dem Brandenburger Tor. „I'm not a fucking Barbie“ steht auf einem Jutebeutel, andere Plakate werben mit dem Hashtag #ichkaufdasnicht dafür, keine Produkte mehr zu konsumieren, die sexistisch beworben werden.



Zwischen den Demonstranten schlängelt sich Stevie Schmiedel in ihrem knallgelben Regenmantel hindurch. Stevie ist die Gründerin von „Pinkstinks“ und Organisatorin der Demo. „Der Name ist natürlich eine Provokation. Es geht uns überhaupt nicht darum, Pink als Farbe zu verbieten. Pink ist eine tolle Farbe“, sagt Stevie und zeigt auf das rosa Kleid unter ihrem Regenmantel. „Aber Pink darf halt nicht immer zu Geschlechterklischees führen. Jeder muss frei entscheiden dürfen, was er tragen will, wie er leben will - ohne äußere Zwänge“, sagt Stevie. Insbesondere in der Werbung wird allerdings aus ihrer Sicht ein ganz anderes Bild propagiert. „Da sind Frauen immer diejenigen, die begehren begehrt zu werden. Die sich also offenherzig anziehen, superschlank sind und erotisch gucken. Männer begehren hingegen. Die werden nicht unterwürdig dargestellt“ Ihre Beispiele kennt man von den Plakatwänden jeder beliebigen Stadt: Während Heidi Klum ihre Sendung „Germany's Next Topmodel“ nur in eine Deutschlandflagge gehüllt bewarb, regelt in der Axe-Werbung "ein Astronaut den Verkehr". Beschwerden über derart sexistische Werbung nimmt der Werberat, das moralische Gremium für Werbung in Deutschland, aus Sicht von Stevie allerdings nicht ernst genug: „Meistens wird dann argumentiert, das Ganze sei doch klar ironisch gemeint. Mit einem Augenzwinkern“, erklärt Stevie. Und hier setzt ihre Idee an: Mit Unterstützung anderer Gruppen wie „Terre des femmes“, den Aktivistinnen von #aufschrei und vielen weiteren hat sie eine Petition ins Leben gerufen, die den deutschen Werberat auffordert, auch Kinder als Konsumenten von Werbung anzuerkennen. Denn selbst wenn Plakate oder Spots von Erwachsenen vielleicht noch wohlwollend als ironisch abgehakt werden – wie sollen Kinder, deren Fähigkeit Ironie zu erkennen frühstens mit der Schule einsetzt, das verstehen?



Der Journalist Nils Pickert kennt dieses Problem aus seinem Alltag. Er steht am Rande der Demo, trägt Turnschuhe und einen pinken Schal mit silbernen Streifen. Seine achtjährige Tochter hat ihn neulich gefragt, warum auf einem Werbeplakat eine nackte Frau ohne Kopf abgebildet war. „Wie erklärt man das?“, fragt Nils und guckt ratlos. Es ginge ihm überhaupt nicht darum, Frauen erotische Kleidung verbieten wollen. „Jeder soll sich anziehen wie er möchte! Aber wenn Frauen offensichtlich herabwürdigend dargestellt werden, muss es doch Grenzen geben“, sagt Nils. Dass er tatsächlich sonst ein eher aufgeschlossener Typ ist, hat er bereits 2012 bewiesen. Damals erschien von ihm ein anrührender Artikel in der Frauenzeitschrift Emma, in dem er erzählt, dass sein kleiner Sohn gerne Kleider und Röcke trägt – und wie er als Vater damit schließlich auch angefangen hat, damit das Kind sich mit seiner Haltung nicht abgelehnt fühlt. Seine Tochter will nun einen knappen Bikini haben, wie die Frauen aus der Werbung. „Für sie ist es nicht mehr cool, dass sie das bronzene Schwimmabzeichen hat oder sich traut, vom Dreimeterbrett zu springen. Und klar, sie kann auch so einen Bikini tragen, wenn sie das möchte. Aber müssen wir Frauen wirklich so in ihrer Rolle limitieren?“, fragt Nils. Deshalb engagiert auch er sich bei Pinkstinks. Eine Juristin erarbeitet dort gerade, wie die zukünftigen Grenzen der Werbung aussehen sollen, möglichst ohne dass direkt jemand „Zensur!“ ruft. Ein schwieriges Unterfangen. Denn ab wann ein Mensch nur erotisch dargestellt- oder bereits herabgewürdigt wird, ist immer wieder ein Streitthema.
Das merkt auch der Werberat: Nach Aussage von Pinkstinks betreffen die Hälfte der Beschwerden beim Werberat Sexismus, öffentlich gerügt werden deshalb jährlich aber nur eine gute handvoll Kampagnen. Diese werden dann zwar meistens sofort gestoppt, aber ähnlich wie beim Presserat hat eine Rüge keine rechtlichen Verpflichtungen. „So haben die Werber den Sexismus-Springteufel weiterhin ständig in der Tasche – nackte Frauen sind halt effektiver als angezogene, um etwas zu bewerben“, sagt Nils. Das aus der Werbeindustrie vorgetragene Argument, man sei auf einem guten Weg, die Werbung sei früher doch viel sexistischer gewesen, bügelt Nils ab: „Das ist doch, wie wenn man in Deutschland nicht sagen dürfte, dass einem kalt ist – nur weil am Nordpol noch mehr Menschen frieren.“

Mittlerweile ist die Bühne auf dem Pariser Platz fertig aufgebaut. Am Ton hakt es noch, also ruft Stevie Schmiedel durch ein Megafon der Menge zu. Sie lobt die bisherigen Erfolge von Pinkstinks – unter anderem hatten ihre Aktionen dazu geführt, dass Ferrero das „Mädchen Überraschungsei“ nicht mehr mit halbnackten Feen bewirbt, die Bahn änderte ihren Slogan „Vati ist der Beste und Mutti die Schönste“ in „Vati ist der Beste und Mutti ist die Beste“. Tausend Menschen hatten sich via Facebook zu der Demo angemeldet, 400 sind auch gekommen. Mitglieder der Linksjugend verteilen Butterkekse auf denen „Riots not diets“ steht, andere verschenken Urinellas, damit auch Mädchen im Stehen pinkeln können. Dazwischen stehen vor allem junge Frauen zwischen 18 und 30, viele mit Kindern. Um die geht es hier ja auch hauptsächlich. Stevie spricht auf der Bühne von durch die Werbung vermittelten falschen Schönheitsidealen, laut einer WHO-Studie finden sich 53 Prozent der 16- bis 17-jährigen Mädchen zu dick oder hässlich – dabei ist die Hälfte von ihnen normalgewichtig. Danach gibt es Musik, die feministische Rapperin Sookee, Bernadette La Hengst und Dirk von Lowtzow von Tocotronic kommen zu Wort. Miriam und Georg stehen im Publikum und wippen zur Musik. Beide sind Anfang 20, von der Demo haben sie über Freunde gehört. Ob das alles allerdings wirklich was bringt, bezweifeln beide. "Es kann natürlich nicht angehen, dass Frauen in der Werbung immer kochen oder T-Shirts tragen sollen, auf denen "In Mathe bin ich Deko" steht. Und die Demo ist da ein guter Anfang. Aber ob sich wegen einer Petition wirklich was ändert?", sagt Miriam. Unterschrieben haben sie trotzdem.



Am Montagmorgen überreichen die Aktivistinnen von Pinkstinks ihre Petition an den deutschen Werberat. Knapp 16.000 Unterschriften haben sie zusammenbekommen. In der anschließenden Pressemitteilung schreibt der Werberat: "Der intensive Dialog darüber, was für die Gesellschaft sexistische Werbung ist und was nicht, ist dem Werberat überaus wichtig. Auch beim Austausch der Meinungen dazu gilt: Vielfalt ist schön. Doch einseitige Interpretationen und das Ausblenden von vielleicht unerwünschten Fakten helfen nicht weiter." Des Weiteren sehe auch keine Partei aus dem Bundestag Anlass für das Verbot geschlechterdiskriminierender Werbung. Es klingt ein bisschen so, als sollten Miriam und Georg Recht behalten.

Dirk, der Duck

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Der Berliner Journalist Walter W. Wacht lässt in seinem Tumblr "This Duck is Tocotronic" Donald und Dagobert Duck Tocotronic-Texte zitieren. Ein riesen Spaß!

In Entenhausen gab’s zuletzt ein paar neue Gags - geschrieben von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, gesprochen von Donald, Dagobert und Co.. Der Berliner Journalist Walter W. Wacht hat sich den Spaß gemacht, die Sprechblasen der berühmten Comicreihe mit Songtexten auszufüllen. Herausgekommen ist „This Duck is Tocotronic“, ein Tumblr, der auch bei zitierter Rockband für Freude sorgt.
Ein Gespräch über Dirk und Donald und was passiert, wenn Pop-Kultur auf Pop-Kultur trifft.


jetzt.de: Walter, verrat es uns: Was haben Donald Duck und Dirk von Lowtzow gemeinsam?
Walter W. Wacht: Trotz ihres schon fortgeschrittenen Alters sind beide jugendlich geblieben, sind sehr humorvoll und können wunderbar über sich selbst lachen. Und: man kann mit beiden sehr gut leiden! Bei Tocotronic auf Textebene, bei Donald Duck durch sein dauerhaftes Pech und seinen Jähzorn.  

Tatsächlich ist Donald Duck eine glücklose, von Frust und Wut befallene Ente. Auch da siehst du Ähnlichkeiten?
Dirk von Lowtzow ist natürlich nicht so sehr vom Pech verfolgt wie Donald Duck – aus Tocotronic ist ja doch mehr geworden als das, wofür die Band sich damals zusammengefunden hat. Mittlerweile haben Tocotronic sogar schon zwei Generationen von Jugendlichen dauerhaft begleitet. Es läuft also gut für Dirk, soweit ich das von außen beurteilen kann. Im Gegensatz zu Donald.  



Dagobert spricht Tocotronic.

Und umgekehrt? Traust du Donald genauso viel Selbstreflexion, Schlauheit und Gesellschaftskenntnis zu wie Dirk?
Ja! Was natürlich auch an der Erneuerungskraft der Autoren liegt. Die Macher von traditionsreichen Comicreihen versuchen ja immer wieder, diese neu zu erfinden, um auch für die kommenden Generationen relevant zu sein. Und im Fall des Entenhausen-Kosmos’ glückt das meiner Ansicht nach besonders gut. Dort telefoniert man ja schon länger nicht mehr mit der Wählscheibe, sondern mit dem Handy, und Computer gibt es auch überall.  

Du hast nun nicht nur Dirk und Donald, sondern die ganze Band Tocotronic mit Donalds Entenhausen vereint, hast den Enten quasi die Rocklyrics in den Schnabel gelegt. Was war anfänglich dein Antrieb bei dieser Arbeit? Was wolltest du damit erreichen?

Ich hatte das Beispiel von den Peanuts und The Smiths gesehen und gedacht: Super, das wird die nächsten vier, fünf Tage total viel Spaß machen! Darüber werden viele reden, denn da trifft Pop-Kultur auf Pop-Kultur. Pop-kultureller geht es ja fast nicht. Mir war klar, dass das weitere Blüten tragen würde. Im Fall von Tocotronic war bekannt, dass sie große Fans von Entenhausen sind. Irgendwer würde diese beiden Welten also schon zusammenführen, dachte ich. Hat aber niemand getan. Also habe ich es selbst in die Hand genommen.  

Und wen wolltest du damit bespaßen? Pop-Theoretiker?
"Spex"-Leser? Tocotronic-Anhänger? Kinder?
Erstmal wollte ich das für mich selbst machen. Ich habe ja am Anfang auch nicht mehr gemacht als einen Link getwittert. Ich wollte damit nicht unbedingt etwas erreichen. Ich habe das einfach mal auf Reisen geschickt, und erfreulicherweise hat es einigen gefallen. Eine feste Zielgruppe hatte ich dabei nicht im Kopf. Ich dachte mir, dass es vielleicht zu Tocotronic durchdringen könnte, und die Band sich bestenfalls darüber freut.  



Walter W. Wacht

Hat sie auch: „So glücklich waren wir noch nie – schnatter“, schrieben Tocotronic vor einer Woche auf ihrer Facebook-Seite. Haben sich Dirk und Co. auch noch mal persönlich bei dir bedankt?
Nein, das nicht. Ich habe ihnen den Link ja auch nicht persönlich zugeschickt. Aber man kennt sich durch die Arbeit und über Freunde, und irgendwann wird man sich zufällig am Tresen treffen und noch mal darüber sprechen.  

Warum hörst du jetzt eigentlich mit dem Tocotronic-Entenhausen wieder auf? Lief doch gut!

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einerseits habe ich niemanden um Erlaubnis gebeten, und es hätte passieren können, dass vom Egmont Ehapa Verlag eine Forderung kommt, also Kosten entstehen – was glücklicherweise bisher nicht passiert ist. Und auch von Seiten Tocotronic oder deren Verlag hätte etwas kommen können. Der zweite Grund ist, dass so ein Tumblr in der Regel nur eine kurze Lebensdauer hat und man das Ganze nicht künstlich ausweiten sollte. Man muss so etwas nicht im Tagesrhythmus raushausen. Irgendwann hat es jeder verstanden, und es wird darüber nur noch gegähnt. Solche Dinge nutzen sich einfach sehr schnell ab.  

Gibt es denn mögliche Nachfolgecomics? Vielleicht Casper als Spiderman? Oder Tomte als Simpsons?

Wenn da eine gute Idee ist, die Sinn macht, könnte man so was schon noch mal machen.  

Was könnte so eine gute Idee sein?

Wenn ich zum Beispiel einen Pop-Musiker finden würde, der sich wahnsinnig gut mit Janosch verbinden ließe. Letztlich muss man aber ehrlich sagen, dass das Thema Comics und Popmusik auch fast schon wieder durch ist. Jetzt noch mal zu variieren – das würde ich erstmal nicht machen. Aber das kann gerne jemand anderes übernehmen.

Die SPD schöpft wieder Hoffnung

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Mit seinem Auftritt beim TV-Duell gibt Kanzlerkandidat Steinbrück den Sozialdemokraten verlorenen Offensivgeist zurück. CSU-Chef Seehofer trotzt der Kanzlerin - er hält an seinen Maut-Plänen fest



Steinbrück wagt wieder zu hoffen

Berlin - In der SPD keimt nach dem TV-Disput zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Peer Steinbrück vorsichtige Hoffnung auf einen rot-grünen Wahlerfolg am 22. September. Namhafte SPD-Politiker, die das Rennen in den vergangenen Wochen schon verloren gegeben und bestenfalls eine neue große Koalition prophezeit hatten, halten eine Ablösung Merkels zumindest wieder für denkbar. Steinbrück habe bei seinem Auftritt Kampfgeist bewiesen und auch Unentschiedene für sich einnehmen können, hieß es.

Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der seine Partei erst vor zwei Wochen vor Resignation und Depression im Wahlkampf gewarnt hatte, wertete den Auftritt als ermunterndes Zeichen. Erwartungsgemäß erklärte er Steinbrück zum Sieger der Diskussion, die von gut 17 Millionen Zuschauern verfolgt wurde. Mit dem Duell wachse die Bereitschaft, am 22. September abzustimmen. "Und das ist gut für SPD und Grüne", fügte er hinzu.

Mit einem öffentlichen Auftritt wollen die Spitzen von SPD und Grünen in Bund und Ländern am Donnerstag erneut versuchen, die öffentliche Stimmung zu drehen. Steinbrück und die beiden Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin, wollen zusammen mit den Ministerpräsidenten der rot-grün regierten Bundesländer unterstreichen, dass gemeinsame bundespolitische Pläne mithilfe der Mehrheit im Bundesrat schnell durchgesetzt werden können. Das von Rot-Rot geführte Brandenburg nimmt an dieser Aktion nicht teil, aber auch nicht das allein von der SPD regierte Hamburg. Offenkundig wollen SPD und Grüne mit der Aussparung Brandenburgs eine neue Debatte über eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Bund verhindern.

Am Montag zeigte sich aber auch die Union zufrieden über den Verlauf des Duells. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verwies darauf, dass drei Umfrage-Institute Angela Merkel zur Siegerin gekürt hätten, aber nur eines Steinbrück. Die Kanzlerin habe "mit einem Dreiklang aus Kompetenz, sympathischem Auftreten und Glaubwürdigkeit punkten" können, sagte Gröhe. Allerdings ist in der Union ein neuer Streit über die Pkw-Maut für Ausländer entbrannt. Merkel hatte diese im TV-Duell strikt abgelehnt und damit die CSU brüskiert. CSU-Chef Horst Seehofer hatte erklärt, er werde einen Koalitionsvertrag in Berlin nur unterschreiben, wenn die Maut darin festgeschrieben werde. Am Rande eines Auftritts beim Gillamoos-Volksfest in Abensberg sagte Seehofer am Montag: "Wer mit mir Streit haben will, kann das haben - auch in Berlin." Der Ministerpräsident kündigte an, trotz Merkels Äußerung weiter für die Maut kämpfen zu wollen. Alle, die jetzt sagten, Maut, das gehe nicht, würden bald erleben: "Am Schluss ist sie doch da."

Der SPD-Landesvorsitzende Florian Pronold freute sich dagegen über Merkels Feststellung. Er nannte Seehofer einen "kastrierten Kater". Noch nie sei ein bayerischer Ministerpräsident von der Bundeskanzlerin so vorgeführt worden wie Horst Seehofer.

Als wären sie im Chatroom

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Der ultimative Stubenhocker-Film, für eine Generation, die nicht mehr rausgeht zum Knutschen: "Chroniken der Unterwelt - City of Bones"



Clary Fray (Lily Collins) in einer Szene des Kinofilms "Chroniken der Unterwelt - City Of Bones"

In einem hippen New Yorker Underground-Club hat die junge Clary einen besonders niedlichen Burschen ausgespäht, mit wilden blonden Haaren unter der schwarzen Kapuze und geheimnisvollen Tätowierungen. Doch plötzlich reißt der hübsche Indie-Rocker ein riesiges Schwert aus seinem Mantel und rammt es einem anderen Besucher in den Bauch - woraufhin dieser verpufft. Definitiv verliebenswert für Clary, denn ein gewöhnliches Teenagerleben sollen andere führen.

Mürbe gemacht von fünf "Twilight"-Filmen könnte man meinen, dem Genre des Teen-Movies und seinen Blümchensexfantasien sei aktuell nichts mehr hinzuzufügen. Doch "Chroniken der Unterwelt - City of Bones", die Adaption des ersten Teils von Cassandra Clares "Unterwelt"-Romanen - es lauern sechs weitere - , hat das Zeug zum ultimativen Stubenhocker-Film, für eine Generation, die lieber daheim vor dem Computer hocken bleibt als draußen zu knutschen. Coming of Age ohne Körperflüssigkeiten.

Die Verschränkung so ziemlich aller Erfolgsrezepte zeitgenössischer archaischer Jugendkultur, von Harry Potter über "Die Tribute von Panem" bis zur "Twilight"-Reihe, liegt in diesem Fall in der Natur der Sache. Denn Autorin Clare hat, bevor sie selbst zur Bestsellerautorin und Kollegin von J.K. Rowling, Suzanne Collins und Stephenie Meyer wurde, im Internet Storys veröffentlicht, die in den Universen der von ihr verehrten Vorbilder spielen, was mit abertausenden Klicks belohnt wurde. Das nennt sich nicht mehr Plagiat, sondern "Fan Fiction". Danach begann Clare ihre eigenen Bücher zu schreiben, als Hochglanz-Mashup dieser Zauberwelten, mit einem gnadenlos jungfräulichen Ethos.

Zum Kern der "City of Bones"-Story gehört die unvermeidliche Dreiecksgeschichte: Die 15-jährige Clary (Lily Collins) kann sich nicht zwischen ihrem besten Freund, einem Brooklyn-Hipster, und dem Indie-Rocker aus dem Club, der als Schattenjäger die Menschen vor Dämonen beschützt, entscheiden. Neben der Verlagerung vom Hinterland in die Großstadt hat "City of Bones" der "Twilight"-Versuchsanordnung aber eine noch krudere Vorstellung von Erotik voraus. Denn während die "Twilight"-Lover zumindest zu Berührungen nördlich des Gürtels bereit waren, pickt sich Regisseur Harald Zwart, der zuletzt das "Karate Kid" reanimierte, die Stellen aus Clares dicker Buchvorlage heraus, die echtes Fummeln durch Cybersex ersetzen.

Große Verwirrung herrscht zwischen den jungen Liebenden (zu denen, das hat in der Fangemeinde zu besonderer Begeisterung geführt, auch ein schwuler Dämonenjäger gehört), weil sich alle nur noch mit Nicknames anreden als wären sie im Chatroom. Noch abstruser ist aber ein Portal, das aussieht wie ein umgekippter Whirlpool und Berührungen auf digitale Distanz ermöglicht. So streicht der Rocker seiner Clary mit viel Sicherheitsabstand sanft durchs Haar, indem er seinen tätowierten Arm in das wasserblaue Portal steckt.

Solche Geschichten sind natürlich ein bisschen die Rache dafür, dass das Kino in seinem ersten Jahrhundert gerade beim Coming of Age hauptsächlich Männerfantasien bedient hat - auch wenn es hin und wieder ein paar eindrucksvolle Mädchen-Märchen gegeben hat, Louis Malles "Black Moon" zum Beispiel oder zuletzt Park Chan-wooks "Stoker". So aber muss das männliche Heldenpersonal jetzt damit zurechtkommen, dass die Ansprüche der jungen Mädchen beständig wachsen und es nicht mehr ausreicht, ein tätowierter Rocker zu sein, nein, man muss schon auch Zugang zur Unterwelt haben und ein einfühlsamer Liebhaber sein.

Mit etwas mehr Selbstironie hätte "City of Bones" eine tolle Groteske über die Leiden des modernen Mannes zwischen seinen Wurzeln als Wildschweinjäger und dem neuen Profil als sensibler Rundumdienstleister sein können. Doch die archaischen Teen-Fantasien kennen kein Pardon. Wenn zum Schluss doch noch ein echter keuscher Kuss erfolgt, inszeniert Harald Zwart das vollkommen keimfrei: unter der Sprinkleranlage eines verwunschenen Gartens, neben einem Flügel, an dem der Rocker das Mädchen nach einem harten Vampirkillertag mit dem Spiel einer Bach-Sonate bezirzt hat.

The Mortal Instruments: City of Bones, USA/Deutschland 2013 - Regie: Harald Zwart. Buch: Jessica Postigo nach dem Roman von Cassandra Clare. Kamera: Geir Hartly Andreassen. Mit: Lily Collins, Jamie Campbell Bower, Robert Sheehan, Jonathan Rhys Meyers. Constantin, 130 Minuten.

Merkel geht auf Distanz zu Obama

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Kanzlerin vermeidet in der Syrien-Krise Unterstützung für einen Militärschlag und will Moskau zum Umdenken bewegen



Vorahnung oder Zufall? Bereits am 19. Juni 2013 bei ihrem Treffen in Berlin klafft eine Lücke zwischen Angela Merkel und Barack Obama

Berlin - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht in der Syrien-Politik auf Distanz zu US-Präsident Barack Obama. Ihr Sprecher Steffen Seibert lehnte es am Montag ab, die von Obama von "Freunden" eingeforderte öffentliche Unterstützung für ein militärisches Eingreifen in Syrien zu äußern. Man nehme zur Kenntnis, dass in den USA ein parlamentarischer Prozess eingeleitet worden sei, sagte er lediglich. "Dadurch entsteht Zeit. Diese Zeit sollte genutzt werden, die internationale Gemeinschaft zu einer gemeinsamen Haltung gegen das Regime in Syrien zu bringen", bekräftigte Seibert.

Zu Beginn der vergangenen Woche hatte die Bundesregierung noch signalisiert, dass westliche Verbündete im Falle einer militärischen Antwort auf den Giftgasangriff mit zahlreichen Toten und Verletzten auf politische Unterstützung zählen können. Verändert hat sich die Lage nach der Ablehnung eines Militäreinsatzes durch das britische Parlament und durch die Ankündigung Obamas, die Billigung des erst vom 9. September an wieder tagenden US-Kongresses einholen zu wollen.

In der Bundesregierung hatte man ursprünglich einen Militärschlag in diesen Tagen für wahrscheinlich gehalten. Auf die scharfe Wende in der amerikanischen Syrien-Politik reagiert Merkel nun, indem sie - abgesehen vom bekannten Nein zu einer deutschen Beteiligung - jegliche Positionierung vermeidet und auf eine Einigung im UN-Sicherheitsrat drängt. Den Vorwurf, dies sei auch dem Wahlkampf geschuldet, wies Seibert zurück.

Merkel will das Thema Syrien auch am Rande des bevorstehenden G-20-Gipfels in St. Petersburg ansprechen. Russlands Präsident Wladimir Putin setzte diese Frage allerdings nicht auf die offizielle Tagesordnung. Sie sehe Anzeichen für ein Umdenken in Moskau, sagte Merkel dessen ungeachtet vor der Unionsfraktion. So habe Russland die Waffenlieferungen an Syrien zunächst gestoppt. Bilaterale Begegnungen Merkels mit Putin und Obama waren zunächst nicht vorgesehen.

Zwischen den USA und Russland soll es demnächst Gespräche auf Parlamentarierebene über Syrien geben. Präsident Putin unterstützte bei einem Treffen mit den Spitzen von Kongress und Duma das Vorhaben. 'Es gibt keinen anderen Weg als einen direkten offenen Dialog mit Argumenten, mit Wiedergabe der Positionen', sagte der Präsident. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton lud US-Außenminister John Kerry zu einem Treffen der EU-Außenminister Ende der Woche nach Vilnius ein. Dabei soll die Lage in Syrien im Mittelpunkt stehen.

Die britische Regierung bekräftigte, dass es keine zweite parlamentarische Abstimmung über eine Beteiligung an möglichen Militäraktionen gegen Syrien geben werde. Das Unterhaus hatte vergangene Woche einen Antrag von Premierminister David Cameron abgelehnt. Der französische Präsident François Hollande will Strafmaßnahmen gegen Syrien "mittragen", aber auch in Paris steht eine Parlamentsdebatte zum Thema Syrien noch bevor.

Ich sehe was, was Du siehst!

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Zahlreiche Firmen entwickeln intelligente Brillen und Uhren - mit dem Ziel, damit Handys zu ersetzen. Auf dem Schlachtfeld mag so eine Software nützlich sein. Doch für jemanden, der gerade beim Vorstellungsgespräch sitzt, ist es eher eine Schreckensvision.

Im Film "Terminator 2" marschiert Arnold Schwarzenegger als Roboter-Krieger aus der Zukunft nackt in eine Bar und sieht sich um. Sogleich teilt ihm seine visuelle Software mit, dass sich eine auf dem Parkplatz abgestellte Harley Davidson als Fortbewegungsmittel eignen könnte und dass ihm die Klamotten eines Billard spielenden Rockers gar wunderbar passen würden.

Nicht wenige Kinobesucher dachten sich damals im Jahr 1991: Wie cool wäre es, ein Gerät zu besitzen, das einem Wesen aus Fleisch und Blut diese Fähigkeiten verleiht?

Im Jahr 2010 entwickelte die Firma APX Labs für das amerikanische Militär eine Brille mit dem Namen "Terminator Vision" - sie erlaubt Soldaten, während eines Einsatzes in einer Menschenmenge Gesichter zu erkennen oder Fotos zu verschicken, ohne die Hand von der Waffe nehmen zu müssen. Es gab auch das Produkt "MedSight", mit dem Mediziner auf dem Schlachtfeld freihändig Zugang zu Patientendaten hatten. Nun, drei Jahre später, versuchen zahlreiche Unternehmen, so genannte "Smart Glasses" für den Massenmarkt zu entwickeln. "Etwa 80 Prozent der Hardwarekomponenten von Smart Glasses unterscheiden sich nicht besonders von dem, was in einem Smartphone steckt", sagt John Martellaro, einer der Gründer von APX Labs.


Ob der den Bart wohl trägt, weil er die Google-Brille nicht hübsch findet? Jedenfalls kann er damit Sachen tun, die früher nur Schwarzenegger im Terminator-Film konnte.

Die intelligenten Brillen werden entwickelt, um Mobiltelefone zu ersetzen.


Er deutet damit an: Die intelligenten Brillen werden entwickelt, um Mobiltelefone zu ersetzen. So sehr Smartphones zu einem kaum noch wegzudenkenden Alltagsgegenstand geworden sind, haben die Geräte doch zwei gravierende Nachteile: Sie müssen zum einen irgendwo verstaut werden - in der Hosen- oder Handtasche etwa - und sind somit nicht sofort einsatzbereit und nur schwierig permanent zu verwenden. Zum anderen sind Smartphones heutzutage aufgrund der hohen Bildschirmdiagonale bisweilen so groß wie Tischtennisschläger, für die Bedienung braucht man nicht selten beide Hände.

Aus diesem Grund arbeiten derzeit etwa 30 Unternehmen wie Epson, Google, die japanische Firma Telepathy oder ReaconJet aus Kanada an intelligenten Brillen. Bei Apple hält sich seit Monaten das Gerücht, das Unternehmen könne bald eine Uhr vorstellen. "Ich glaube, dass das Handgelenk interessant ist", sagte Apple-Chef Tim Cook im Mai. Sein Ansatz: "Ich trage eine Brille, weil ich muss. Das Handgelenk dagegen ist natürlich."

Auch Samsung arbeitet an so genannten "Smart Watches", Pebble Technology sammelte im vergangenen Jahr per Crowdfunding mehr als zehn Millionen US-Dollar ein und verschickte im Januar die ersten Pebble-Uhren. Sony wird in den kommenden Tagen bereits die zweite Generation seiner Smart Watch auf den Markt bringen. Es scheint also nur mehr um die Frage zu gehen, ob "The Next Big Thing", das nächste große Ding, auf die Nase gesteckt oder um das Handgelenk geschnallt wird. Es wird ganz offensichtlich auf jeden Fall ein Produkt sein, das ständig am Körper getragen wird.

Die Unternehmen überlegen derzeit, wie sie die Menschen von einer intelligenten Uhr oder Brille überzeugen können. Beide Produkte sollen nach Einschätzungen von Experten in der Preiskategorie von High-End-Smartphones liegen. Epson etwa hielt am vergangenen Wochenende im südkalifornischen Long Beach eine Konferenz für Entwickler ab. "Jetzt ist die perfekte Zeit für Entwickler, auf der ersten Welle dieser neuen Technologie zu schwimmen", sagt Eric Mizufuka, Produktmanager für neue Märkte beim amerikanischen Unternehmen.

Bei den präsentierten Ideen vermischen sich Realität und Virtualität, ein virtueller Küchenchef etwa zeigt einem während des Kochens, wie ein Stück Fleisch mariniert werden muss. Eine Applikation von Studenten der University of Southern California lässt Sportler beim Training gegen sich selbst antreten: Ein Jogger, der die gleiche Strecke mehrmals absolviert, tritt quasi gegen das eigene Sportler-Ich von gestern an und kann versuchen, seine Bestzeit zu verbessern.

Ein Fußballer kann mit diesem Programm seinen Bewegungsablauf beim Schießen analysieren oder überprüfen, ob er während einer Partie auch immer den richtigen Abschnitt des Spielfeldes im Auge hatte. Amerikanische Profiklubs verwenden diese Technologie im Training, um ihren Akteure zu erklären, wohin sie in bestimmten Situationen während des Spiels zu sehen haben.

"Wir legen zunächst einmal den Fokus auf den Arbeitsplatz", sagt Mizufuka über das Epson-Produkt Moverio. Chirurgen, Techniker oder auch Gabelstapler-Fahrer sollen durch die Brille nützliche Informationen bekommen und gleichzeitig mit beiden Händen weiterarbeiten können.

Googles "Glass" dagegen ist für den Massenmarkt ausgelegt, das Projekt "Fortaleza" von Microsoft - das nicht offiziell vom Unternehmen bestätigt wurde - soll eine Erweiterung für den Computerspielmarkt sein. Samsung hat für Oktober zu einer Konferenz in San Francisco eingeladen, auf der Entwickler ihre Ideen vorstellen dürfen, zudem hat das südkoreanische Unternehmen für den 4. September eine Produktvorstellung angekündigt. Apple könnte am 10. September in Cupertino nicht nur ein neues Handy vorstellen, sondern womöglich auch eine Uhr. Immerhin hat das Unternehmen in Japan bereits den Begriff "iWatch" registriert.

Das Caesars Palace in Las Vegas hat das Tragen intelligenter Brillen bereits verboten.


Intelligente Uhren und Brillen klingen derzeit immer noch futuristisch, vor allem aber wirken sie wie der Alptraum eines jeden Datenschützers. Der britische Internet-Kritiker Andrew Keen sagt etwa: "Das könnte das Ende von Privatsphäre sein, wie wir sie kennen. Weder George Orwell noch Alfred Hitchcock hätten sich in ihren fürchterlichsten Dystopien Google Glass ausdenken können." Zwar versuchen die Unternehmen, diese Bedenken zu zerstreuen, doch ist die Furcht vieler immer noch, dass es bald heißen könnte: Ich sehe das, was Du siehst!

Genau das nämlich gibt es schon. APX Labs, die derzeit auch an Software für kommerzielle Smart Glasses arbeiten, entwickelte für das amerikanische Militär das Produkt RADAR. "Zum ersten Mal konnten Befehlshaber in der Einsatzzentrale sehen, was der Soldat erlebt und waren so in der Lage, ihm bei der Mission zu helfen", sagt Martellaro von APX Labs. Auf dem Schlachtfeld mag so eine Software freilich nützlich sein. Für einen Menschen, der gerade bei der ersten Verabredung oder beim Vorstellungsgespräch sitzt, ist es dagegen eher eine Schreckensvision, dass da noch jemand zusehen und zuhören könnte.

Das Caesars Palace in Las Vegas hat das Tragen intelligenter Brillen bereits verboten. Im Bundesstaat Nevada ist es untersagt, Computer oder Aufnahmegeräte in Casinos zu verwenden. Auch Smartphones sind an Pokertischen verboten. Bei allen Bedenken zeigen die Produktvorstellungen und die vielen Konferenzen für Entwickler, dass die prägenden Unternehmen daran glauben, dass Uhren und Brillen das nächste revolutionäre Produkt sein werden - und dass die Menschen in einigen Jahren vom Handy so nostalgisch schwärmen, wie sie heutzutage von Schallplatten, Telefonen mit Wählscheibe oder Terminator-Filmen erzählen.

Mensch, ändere dich

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Wer sich schwer tut, sich eine Marotte abzugewöhnen, sollte am besten an einer wissenschaftlichen Studie teilnehmen. Denn Verhalten lässt sich durch Beobachtung wunderbar steuern


Die Menschen sind bockig. Auf Veränderungen reagieren sie mit Widerwillen, wenn nicht gar mit blankem Zorn. Was lässt sich gegen diese störrischen Wesen unternehmen, wenn ihr Verhalten dennoch erfolgreich in eine Richtung bugsiert werden soll? Aus der aktuellen Studie eines Teams um den Sozialwissenschaftler Daniel Schwartz von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, lässt sich folgende Empfehlung ableiten: Teilen Sie den Starrköpfen mit, dass ihr Verhalten für eine wissenschaftliche Studie untersucht und beobachtet wird (PNAS, online).

Das klingt abstrakt und schwer umzusetzen, ist allerdings weniger abwegig als es scheint. Die Wissenschaftler schrieben zufällig ausgewählte Kunden eines Energieversorgers an, die binnen vier Wochen fünf Postkarten erhielten. Darauf wurde den Verbrauchern mitgeteilt, dass sie ausgewählt wurden, um an einer einmonatigen Untersuchung teilzunehmen, die sich ihrem Stromverbrauch widmen würde. Auf den Postkarten war keine Rede davon, dass es um die Einsparung von Energie oder um andere konkrete Ziele ginge - es wurde lediglich darauf hingewiesen, dass der Energieverbrauch im Fokus stehe. Als die Forscher den tatsächlichen Stromverbrauch der Studienteilnehmer mit dem einer gleich großen aber ahnungslosen Kontrollgruppe verglichen, zeigte sich ein kleiner, aber klarer Unterschied: Die Haushalte, die vermeintlich an der Studie teilnahmen, hatten ihren Energieverbrauch um durchschnittlich 2,7 Prozent reduziert.



Strom sparen ist schwierig. Es sei denn, jemand beobachtet, wie viel man auf dem Zähler hat.

Die Probanden hatten ihr Verhalten offenbar so verändert, wie sie es für sozial erwünscht hielten. In anschließenden Befragungen gaben viele auch an, dass das Ziel der Studie die Untersuchung von Strategien zur Energieeinsparung gewesen sei. In vorauseilendem Gehorsam passten sie ihren Energieverbrauch also entsprechend an. Einige Wochen nach Ende der Studie überprüften Schwartz und seine Kollegen übrigens abermals den Stromverbrauch der Haushalte in den beiden Gruppen. Der Energieverbrauch hatte sich wieder angeglichen. Wenn niemand kontrolliert, so mögen die Teilnehmer gedacht haben, ist auch kein Wohlverhalten mehr nötig.

Die Forscher werten ihre Ergebnisse als lupenreinen Hawthorne-Effekt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich der Umstand, dass eine Studie häufig genau jenen Parameter verändert, der untersucht werden soll - schlicht, weil sich die Probanden besonderer Aufmerksamkeit bewusst sind, sich beobachtet fühlen oder besonders eifrig mitarbeiten wollen. Benannt ist der Effekt nach einer Fabrik der Western Electric Company im amerikanischen Ort Hawthorne. Dort wurde in den 1920er-Jahren untersucht, wie sich künstliche Beleuchtung auf die Produktivität der Arbeiter auswirkte. Offenbar veränderte das bloße Wissen um den Versuch das Verhalten der Arbeiter bereits in die gewünschte Richtung.

Auch wenn das Ergebnis des ursprünglichen Versuches umstritten ist, existieren längst zahlreiche Belege für den Hawthorne-Effekt. Relevant ist er insbesondere bei der Untersuchung medizinischer Therapien. Denn meist bewirkt die Aufmerksamkeit durch einen Arzt oder die Fokussierung auf das eigene Befinden eine für den Patienten deutlich spürbare Veränderung.

Politisches Kabarett im Sportausschuss

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Bundesinnenminister Friedrich beehrt den Sportausschuss mit einem Besuch. Bei der Debatte zur Dopingstudie spielt Doping aber nur eine Nebenrolle

Hans-Peter Friedrich, der Bundesinnenminister von der CSU kommt auch nicht alle Tage im Sportausschuss des Bundestages vorbei. Zur mit Spannung erwarteten Debatte über die Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" hält er es aber doch für angebracht, sich persönlich um sein sonst eher stiefmütterlich behandeltes Unterressort "Sportpolitik" zu kümmern. Schließlich sieht sich sein Ministerium mit einem zentralen Vorwurf der Wissenschaftler konfrontiert, wonach die Bundesrepublik, erstens, über Jahrzehnte hinweg "anwendungsorientierte Dopingforschung" gefördert habe und, zweitens, bis heute einer ernsthaften Aufarbeitung dieser Geschichte im Wege stehe. Die Parlamentarier, jedenfalls ein Teil von ihnen, wünschen sich diesbezüglich dringend Aufklärung aus dem Hause Friedrich. Um es vorweg zu nehmen: Dieser Wunsch wurde am Montag enttäuscht.



Die Vorsitzende des Sportausschusses, Dagmar Freitag (l, SPD) und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) unterhalten sich vor Beginn der Sportausschuss-Sitzung.

Die öffentliche Sitzung beginnt um 9 Uhr. Friedrich erklärt, er müsse um 10.30 Uhr wieder los. Es wird dann erst einmal eine Weile um die kostbare Zeit des Innenministers gestritten. Als Friedrich sein Mikro anstellt, hat er noch 75 Minuten übrig, um Licht in die dunkle deutschen Dopingvergangenheit zu bringen. Dann mal los! Der Minister beginnt mit dem Satz: "Ich möchte zunächst einmal im Namen der Bundesregierung erklären, dass wir Thomas Bach alles Gute wünschen." Damit sind dann auch schon die Prioritäten für den Rest der Veranstaltung gesetzt.

Thomas Bach war natürlich auch eingeladen. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) lässt sich aber entschuldigen. Er ist bereits in Buenos Aires, wo er um sein Lebenswerk, den IOC-Thron, kämpft. Erstaunlich ist dabei, dass der ursprünglich diskutierte Sitzungstermin am 29. August auf Antrag der Regierungskoalition genau so weit nach hinten verlegt wurde, dass Bach nicht mehr teilnehmen konnte. Leider. Klaus Riegert, der scheidende Sportsprecher der CDU wird später in erstaunlicher Offenheit einräumen: "Wir haben in den nächsten Tagen ja ein wichtiges Datum, deshalb sind wir nicht so ganz unvoreingenommen, wie das vielleicht angezeigt wäre." Es bleibt offen, ob mit dem Wort "wir" wir Deutsche, wir Patrioten oder wir Unterstützer von Thomas Bach gemeint sind.

Zurück zum Innenminister. Dessen Redezeit wird nun auf Antrag der Union in Zeitkontingente zerstückelt. Die Grünen dürfen den Sportminister demnach exakt acht Minuten lang befragen. Die Linke bekommt neun Minuten, die FDP elf, die SPD 18, die CDU 29. Ein Kanzlerduell ist dagegen ein lebendiger Gesprächskreis.

Die Union braucht von ihren 29 Minuten nur 15, Fragen zur Dopingstudie stellt sie nicht, der Rest der Zeit verfällt.

Die Linke nennt dieses Verfahren "eine Farce". Die Grünen sprechen von einem "Geschäftsführungstrick", um die Redezeit der Opposition zu begrenzen. Der SPD-Sportsprecher Martin Gerster sagt: "Mir scheint, dass Schwarz-Gelb Angst vor der Debatte über diese Studie hat." Friedrich scheint vergnügt seine Zeit abzusitzen.

Zur Erinnerung: Es soll hier eigentlich eine Sondersitzung zur einem der größten sportpolitischen Forschungsprojekte in der Geschichte Deutschlands abgehalten werden. Es könnte um die Frage gehen, weshalb diese mit Bundesmitteln geförderte Studie nicht zu Ende geführt wurde, weshalb der Abschlussbericht im Jahr 1990 abbricht, weshalb die ganze Zeit um Formalitäten gestritten wird und nicht um Inhalte, weshalb keine politischen Konsequenzen gezogen werden. Stattdessen wird nach dem Urteil zahlreicher geladener Experten ein "politisches Kabarett" aufgeführt. Ines Geipel, die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins spricht von einer "Verwaltung des Desasters".

Vor allem der CDU-Mann Riegert tritt dabei nach allgemeinem Eindruck wie ein Pressesprecher von BMI und DOSB auf. Zur Idee der Redezeit-Vergabe nach Fraktionsstärke erklärt er: "Wir haben uns heute erlaubt, die richtigen Proportionen herzustellen." Riegert sagt auch: "Meine Kollegen meckern, dass wir in fast jeder Sitzung über Doping reden." Die Sitzung von Montag können die Kollegen kaum gemeint haben, denn da wird allenfalls darüber gestritten, wie man über Doping reden sollte. Innenminister Friedrich verlässt den Saal um 10.56 Uhr. Auf inhaltliche Details der Studie ist er bis dahin nicht eingegangen, wobei er bezüglich der Dopingforschung einräumt, "dass offenkundig aus heutiger Sicht von Staatswegen nicht so gegengehalten wurde, wie man das heute machen würde". Er könne allerdings keine abschließende Bewertung abgeben, ob es ein systemisches oder systematisches Doping in Westdeutschland gegeben habe. Das und noch vieles andere will Friedrich in einem Expertengespräch klären lassen, nach der Wahl. Im Übrigen verweist er darauf, stets den historischen Kontext zu betrachten. Kalter Krieg und so. Zumal Anabolika in den Siebzigern in keinem Sportverband verboten gewesen seien. Die Autoren der Studie um den Berliner Historiker Giselher Spitzer verweisen in diesem Zusammenhang auf ihre Studie.

Ein paar Inhalte werden nach Friedrichs Abschied dann doch noch behandelt: Erstens: Die Nationale Anti-Doping-Agentur geht rechtlich gegen die Behauptung der Berliner Forschungsgruppe vor, sie, die Nada, habe wissenschaftlich relevante Akten zurückgehalten. Spitzer sagt: "Vor dem Prozess habe ich keine Angst." Zweitens: Ein Antrag der Grünen, der unter anderem die Forderung enthält, einen neuen Forschungsauftrag für den Zeitraum nach 1990 zu vergeben, wird mit den Stimmen der Koalition abgelehnt. Drittens: Die FDP wehrt sich gegen den Verdacht, ihr Ehrenvorsitzender Hans-Dietrich Genscher habe in seiner Zeit als Innenminister Doping eher geduldet als bekämpft. Und zwar wehrt sich der FDP-Sportsprecher Joachim Günther so: "Damals ging es um den Sieg um jeden Preis. Alle waren begeistert, wenn Athleten mit Medaillen nach Hause kamen. Das wollte keiner stoppen. Damals wusste man gar nicht, was Doping ist."

Es sind, wie gesagt, auch ein paar Experten da, darunter die Studien-Autoren der HU-Berlin und der Uni Münster. Die aber sitzen zunächst stundenlang herum und bekommen am Ende fünf Minuten, um ein Statement runterzurattern.Das Schlusswort hat dann natürlich Klaus Riegert für die CDU: "Kein weiteren Fragen, obwohl ich eigentlich noch 8:30 Minuten im Kässchen hätte." 

Endlich wieder Kürbis! Oder?

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Von September bis November ist Kürbiszeit. Das heißt: In Kantinen, auf dem Wochenmarkt und nicht einmal bei Starbucks (zumindest in den USA) kommt man dem orangefarbenen Gewächs noch aus. Gut so?

Jetzt ist sie also wieder da, die Zeit, in der ich mindestens vier verschiedene Kürbissuppen von Schwester, Freundinnen und Bekannten probieren muss (O-Ton: "Die bekehrt dich Kürbismuffel bestimmt!"). Die Wochen, in denen in der Gemüsebeilage in der Kantine fast täglich diese orangefarbenen, immer viel zu harten Würfelchen liegen. Die Tage, an denen ich an jeder Ecke in der Stadt "Hokkaido" lese, in mindestens fünf verschiedenen orthographischen Varianten.



Kürbisse sind manchmal sogar Stoff für Ausstellungen. Noch bis Anfang November kann man eine in Ludwigsburg besuchen.

Grundsätzlich mag ich Saisongemüse sehr und es ist ja auch vernünftig, Obst und Gemüse saisonal einzukaufen und zu essen, aber das mit dem Kürbis und mir, das wird nichts mehr. Vor allem kann ich mir keinen in meinem Kaffee vorstellen. In den USA ist genau das so etwas wie eine Tradition geworden. Der "Pumpkin Spice Latte" von Starbucks feiert gerade seinen zehnten Geburtstag und mit ihm läuten jedes Jahr viele Amerikaner feierlich den Herbst ein, wie man auf Twitter unter dem Hashtag #PSL nachlesen kann. Dabei wäre der Kürbis-Latte beinahe nur Illusion geblieben: In der Testreihe, die die Kaffeekette vor zehn Jahren mit geplanten Produkten durchgeführt hat, hat der Kürbis-Kaffee ziemlich schlecht abgeschnitten. Vielleicht waren die Chefs einfach überzeugte Kürbis-Fans.

Wie ist das bei dir? Freust du dich auf die Kürbiszeit oder hast du auch schon Angst davor? Wäre der "Pumpkin Spice Latte" etwas für dich oder hast du ihn sogar schon mal probiert? Wie hältst du es allgemein mit saisonalem Obst und Gemüse? Isst du im Frühjahr wochenlang jeden Tag Spargel und im Sommer einen Monat lang täglich etwas mit Erdbeeren?
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