Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live

Wie lebt es sich...in Düsseldorf?

$
0
0
Julian Janisch (27), Konzertplaner (für Zakk und Forum Freies Theater) und Musiker



Klar gibt es dieses Klischee-Düsseldorf, abgehoben und schickimicki. Das ist ein Teil der Stadt, aber wer nicht möchte, muss mit diesem Teil nichts zu tun haben. Dann gleicht dieser Kö-Lifestyle eher einer Parallelwelt. Ich bin in Düsseldorf geboren und habe schon früh das Zakk für mich entdeckt. Meine ersten Konzerte waren Kettcar und die Donots – vor 12 oder 13 Jahren.

In Düsseldorf gibt es aber schon immer extrem viele Stellen, an denen man als junger Mensch autonom sein und sich ausprobieren kann. Ich habe schnell gemerkt, dass es nicht den einen alternativen Laden gibt, sondern eher einen Pool – und dass irgendwie alle coolen Orte und Leute miteinander verknüpft sind, weil sie für eine gemeinsame Idee stehen und alle aus Leidenschaft zur Musik und Kultur handeln. Im Laufe der Jahre lernt man sich kennen, indem man mal bei den Läden der anderen vorbeischaut und ins Gespräch kommt. Alleine für Live-Musik gibt es neben dem Zakk viele kleine, gute Orte: das AK47, das Cube, das Tube, das FFT, das Damen und Herren, die Brause oder das Pitcher.

Wenn ich nicht unbedingt feiern möchte, gehe ich gern in die Flügelstraße – egal, ob Sommer oder Winter. Dort ist die Kassette, wo man gemütlich ein Bier trinken und Musik vom Plattenspieler hören kann, direkt gegenüber ist das Büdchen (Linienstraße), das Ökkes liebevoll führt. Der baut bei gutem Wetter eine schöne Ecke aus alten Möbeln vor den Laden, verkauft Cocktails und Essen zu Kioskpreisen und hängt Kunst in die Bäume.

Es gibt diese ungewöhnlichen Orte – sie müssen nur wahrgenommen werden. Ich habe aber manchmal das Gefühl, dass Studenten sich mit der Stadt nicht richtig auseinandersetzen. Düsseldorf ist eben eine Pendler-Uni und viele Studenten kommen nur zum Studieren her. Das ist schade. [seitenumbruch]Kathy Huseljic (21), Studentin (Sozialwissenschaften)



Als ich vor zwei Jahren aus der hessischen Provinz nach Düsseldorf  kam, bin ich davon ausgegangen, dass ich häufig nach Dortmund, Essen oder Köln fahren muss, um Konzerte und andere Kulturveranstaltungen zu besuchen – gerade deshalb habe ich mich gefreut, in dieses Ballungsgebiet zu ziehen. Dann habe ich aber schnell gemerkt, dass Düsseldorf selbst ein großes Angebot hat und ich gar nicht so oft in andere Städte fahren muss. Das hat mich schon überrascht.

Allerdings hatte ich auch großes Glück, dass ich tolle Leute kennengelernt habe, die mir die interessanten Läden gezeigt haben. Die Szene ist einfach arg zerstreut und auch ein wenig verschlossen nach außen. Alleine weiß man erst einmal nicht wohin, weil man Läden außerhalb der Altstadt nicht gleich findet.

In Sachen Clubs gibt es in Düsseldorf leider nicht so viel Auswahl. Wer wirklich feiern gehen will und nicht auf Schickimicki oder Ballermann steht, hat wenig Auswahl. Ein toller Club ist das Cube mitten in der Altstadt. Dort gehe ich auch hin, wenn mir die Musik mal nicht so gut gefällt – meistens ist die Musik aber großartig: Indie, Rock, Hip-Hop, auch mal Reggea oder Dubstep.  Es herrscht eine wunderbare Atmosphäre und es gibt eine große Whiskey-Auswahl, allerdings nur auf Nachfrage.

Düsseldorf-Besuchern würde ich auch immer raten, ein Programmkino zu besuchen. Eines ist das Metropol in Bilk, direkt nebenan ist die Süße Erinnerung, mein Lieblingscafé. Abends kann ich das Scotti‘s nahe der Uni sehr empfehlen – da gibt es gute Burger, die relativ preiswert sind. Und satt wird man auch. [seitenumbruch]Svenja Kaluza (25), Studentin (Germanistik)



Die Kö und Kraftwerk – das war, was ich von Düsseldorf kannte, als ich 2009 hier hingezogen bin. Jetzt weiß ich: Die Stadt hat viel mehr zu bieten, auch wenn man danach suchen muss. Mit oberflächlichem Blick wirkt schon alles sehr aufgeräumt und chic, die Subkulturen fallen einem nicht unbedingt vor die Füße. Dadurch, dass ich schon lange und an verschiedenen Orten im Nachtleben und jetzt im Cube in der Altstadt arbeite, habe ich aber viele Menschen kennengelernt. Eine Eigenart der Stadt ist, dass Kunst- und Musikszene eng miteinander verbunden sind, das finde ich spannend und es liegt sicher auch an der Kunstakademie. Deshalb gibt es viele Veranstaltungen, an denen beides, Kunst und Musik, präsentiert wird.

Schade ist, dass die alternative Szene häufig keine Unterstützung durch die Stadt erfährt und tolle Clubs wie das Foyer oder das Rotkompot deshalb geschlossen werden müssen. Aber auch, wenn man von der Altstadt erst einmal überrumpelt wird: Inmitten der Party-Touristen gibt es dort immer noch Inseln, auf denen man interessante Leute trifft und gute Musik läuft. Mein Lieblingsort sind die Treppen vor dem Club Salon des Amateurs. Wer dort ein paar Minuten sitzt, trifft einen herrlichen Querschnitt an Menschen: Künstler, Studenten, Party-Volk, Straßenmusiker. Wenn ich davon mal meine Ruhe möchte, fahre ich in den Grafenberger Wald. Man ist noch mitten in der Stadt, aber die Rehe laufen direkt vor meinen Füßen entlang. [seitenumbruch]Jan Schönrock (25), Student (Geschichte)



Das Landei kommt in die Großstadt und geht völlig unter. Das dachte ich, bevor ich hierher kam. War aber nicht so. Ursprünglich bin ich wegen des Landtags nach Düsseldorf gekommen, weil ich Politikwissenschaften im Bachelor studiert habe. Dann habe ich schnell festgestellt, dass Düsseldorf auch sonst eine spannende Stadt ist, mit vielen versteckten Nischen. Es ist nicht wie in Berlin, wo einem die Subkulturen frei Haus geliefert werden und an jeder Ecke zu sehen sind, wenn man mal durch die Stadt geht.

Ich bin sehr gern im Boui Boui Bilk, einem Veranstaltungsort in einer alten Schraubenfabrik. Da war zuletzt ein Food Festival, sonst sind häufig Straßenflohmärkte und bald ist dort alternativer Winterbasar mit Selbstgemachtem und Kunsthandwerk. Sehr intim ist das Kucheneck in einer alten Tankstelle, da gibt's nur zwei Tische, super Kuchen und der Typ, der das macht, ist auch eine Marke für sich. Auch gut: das Kwadrat in Pempelfort im 70er-Jahre-Stil und mit riesigen Fenstern. Da kann man auch sehr gut frühstücken. Der Straßenflohmarkt beim Straßenfest in der Kiefernstraße gefällt mir auch. Auf der Kö ist einmal im Jahr Bücherbummel, da verkaufen dutzende Antiquariate ihre Bücher zum kleinen Preis. Mit der Kö an sich hat das nichts zu tun. Was ich unbedingt empfehlen kann ­– auch als Dating-Möglichkeit – sind die Museen K20 und K21 der Kunstsammlung NRW mit Kunst aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Die haben eine gute Dauerausstellung, aber immer wieder auch schöne Wanderausstellungen. Am ersten Mittwoch im Monat ist der Eintritt frei, da bin ich bestimmt sieben oder acht Mal im Jahr. Natürlich nicht nur zu Dates. Um abends was trinken zu gehen, brauche ich nicht unbedingt diese Hipster-Limo-Läden. Da gehe ich gerne mal ins Brauhaus, Schumacher oder Füchschen. Die sind zwar eher bürgerlich-rustikal, aber alternativ und hip muss ja auch nicht immer sein.

Wie organisiere ich eine Beerdigung?

$
0
0
Meine Mutter hat mich mitten in der Nacht angerufen. Es war Juni. Wir legten auf und ich brauchte einen Moment, dann begriff ich: Mein Vater war gestorben. Ich rief meinen großen Bruder an, dann noch einmal meine Mutter und habe sogar noch daran gedacht, meinen schwarzen Anzug einzupacken, bevor ich mich ins Auto gesetzt habe und nach Hause gefahren bin.

Früh morgens kam ich zuhause an. Es war noch zu früh, um irgendjemanden anzurufen. Wenn man zu der Zeit anruft, wissen die ja sofort, dass was Schlimmes passiert sein muss. Also haben wir bis zu einer Uhrzeit gewartet, zu der die meisten Menschen langsam wach werden, und dann haben meine Mutter und ich die restlichen Verwandten angerufen: erst die Familie meines Vaters, dann die meiner Mutter. Dann eine Sprechstundenhilfe meines Vaters, er war Arzt. Jemand musste den Patienten absagen.

Als nächstes haben wir das Telefonbuch aufgeschlagen und nach Beerdigungsinstituten gesucht. Niemand von uns hatte sich jemals darüber Gedanken gemacht, welche Bestattungsinstitute in unserer Gegend gut sind. Warum auch? Mein Vater war 62. Wir haben willkürlich einige Institute ausgesucht und dann im Internet geschaut, welches die schönste Website hatte. Wie sollte die Beerdigung meines Vaters werden? Er hatte keine Bestattungsverfügung oder jemals gesagt, wie er beerdigt werden wollte. Das mussten wir jetzt für ihn entscheiden.

Im Beerdigungsinstitut zeigte man uns verschiedene Möglichkeiten. Wir entschieden uns für eine Einäscherung und dafür, dass mein Vater nicht auf einem Friedhof beerdigt werden sollte. Bei uns im Ort gibt es neben dem Friedhof einen Wald, in dem man Urnen beisetzen kann. Dort wollten wir meinen Vater beisetzen.

Wenn jemand stirbt, stellt ein Arzt einen Totenschein über den Verstorbenen aus, mit dem man bei der Gemeindeverwaltung eine Sterbeurkunde beantragen muss. Die Sterbeurkunde braucht man später, um zum Beispiel die Versicherung des Verstorbenen aufzulösen. Die Beantragung der Urkunde kann aber auch das Bestattungsunternehmen für einen übernehmen.

Nach dem Termin im Bestattungsinstitut sind meine Mutter und ich direkt zur Friedhofsverwaltung gefahren und haben einen Baum ausgesucht, unter dem die Urne meines Vaters begraben werden sollte. Wir haben eine große Eiche bei uns im Garten, gleich neben dem Haus. Deswegen entschieden wir uns für eine Eiche.
Danach mussten wir uns dann um den Sarg und die Urne kümmern. Auch bei einer Einäscherung braucht man einen Sarg. Das Bestattungsinstitut hatte Kataloge mit verschiedenen Modellen.

Bis zur Trauerfeier wurde mein Vater in dem Sarg in einem Raum des Bestattungsinstituts aufgebahrt, damit sich alle vom ihm verabschieden konnten. Darum und um die Überführung seines Leichnams aus dem Krankenhaus in die Räume des Bestattungsunternehmens haben sich die Bestatter gekümmert. Wir mussten nur Anziehsachen für meinen Vater aussuchen. Ich weiß noch, dass ich darauf bestanden habe, dass er einen Gürtel angezogen bekommt.

Nachdem wir einen Sarg und eine Urne ausgesucht hatten, haben wir angefangen, die Trauerfeier zu organisieren. Mein Vater war bekannt im Ort, deswegen haben wir eine große Kapelle ausgesucht. Wir sind nicht besonders religiös und haben uns anstatt für einen Pastor für einen freien Redner entschieden. In der Kapelle, die wir für die Trauerfeier haben wollten, ging das. Freie Redner sind professionelle, nichtkirchliche Redner, die die Trauerfeier leiten.

Mittlerweile wusste schon der halbe Ort, was passiert war. Wir hatten erst Angst, dass jemand anderes vor uns eine Traueranzeige in die Zeitung setzt. Von der Zeitung haben wir erfahren, dass sie in der Regel warten, bis die Familie eine Anzeige setzt und erst dann die anderen veröffentlichen. Die Traueranzeige meines Vaters haben wir aus Vorlagen des Bestattungsinstituts zusammengestellt. Darin stand, wann und wo die Trauerfeier stattfand, dass mein Vater bis zu Trauerfeier im Bestattungsinstitut aufgebahrt sein würde und dass wir es besser finden würden, wenn man für einen guten Zweck spendet, anstatt Blumen zu kaufen. Außerdem haben wir für ein Essen nach der Trauerfeier einige Tische in einem Restaurant reserviert, aber das muss man nicht machen. Die Einladungen zum Essen haben wir mit der Post verschickt. Zum Glück hatte meine Mutter einen ganz guten Überblick darüber, wen wir einladen mussten.

Als letztes haben wir uns um die Details der Trauerfeier gekümmert. Der freie Redner war bei uns und hat mit uns über meinen Vater gesprochen, über Dinge, die wir an ihm besonders gemocht und die ihn ausgemacht haben. Wir haben den Kapellenschmuck und Blumenschmuck für den Sarg ausgesucht. Und Musik. Wichtig ist auch, dass man in der Kapelle für die Beerdigung einen langen Zeitraum blockt, damit nicht gleich danach oder davor andere Menschen in den Raum müssen.

Am Tag der Beerdigung hat jeder der Trauergemeinde ein Teelicht für meinen Vater angezündet und an seinen Sarg gestellt. Neben dem freien Redner hat noch ein Bekannter meiner Eltern eine Rede gehalten. Nach der Zeremonie und den Beileidsbekundungen sind wir ins Restaurant gegangen, es gab irgendetwas Einfaches. Ich weiß nicht mehr, was es war, wahrscheinlich war es Suppe. 

Der Sarg meines Vaters ist eingeäschert worden. Seine Urne haben wir in einer zweiten, ganz kleinen Trauerfeier im Wald beigesetzt. An der Eiche. 

Nadine Wolter, 24, hat diesen Text für Andreas, 28, protokolliert und ist ihm dankbar, dass er seine Erfahrungen geteilt hat.
Wie du mit Trauer umgehst und wer dir bei der Bewältigung von Verlusten helfen kann, haben wir in einem anderen Lexikon-Text für dich aufgeschrieben.
Fünf Tipps, die dir helfen, eine Trauerfeier zu organisieren:

1. Kontrolliere, ob der Verstorbene eine Beerdigungsverfügung hat. Wenn nicht, rede mit engen Familienmitgliedern darüber, wie ihr euch die Beerdigung und Trauerfeier vorstellt und suche dann einen Bestatter.

2. Stelle sicher, dass eine Sterbeurkunde beim Standesamt ausgestellt wird. Dieses Dokument braucht man später, um den Verstorbenen von Ämtern, der Bank und Versicherungen abzumelden. Die Beantragung der Urkunde kann auch der Bestatter übernehmen.

3. Sprich mit der Friedhofsverwaltung über die Grabstelle. Ist die Leiche vom Arzt freigegeben, kannst du in der Kirche oder einer freien Kapelle einen Termin für die Beerdigung ansetzen und einen Geistlichen oder freien Redner ansprechen, der die Zeremonie abhalten soll. Viele Bestattungsinstitute haben eine Liste mit freien Rednern und können Empfehlungen aussprechen.

4. Setze eine Traueranzeige in die Zeitung, damit auch die entfernten Bekannten und Arbeitskollegen des Verstorbenen erfahren, dass er gestorben ist. Hier sollte auch erwähnt werden, wann und wo die Trauerfeier stattfindet. Wenn du nicht möchtest, dass dir auf der Trauerfeier alle ihr Beileid ausdrücken, kannst du das in der Anzeige erwähnen.

5. Kümmere dich um die Details der Trauerfeier wie den Blumenschmuck, die Rede, die Musik und ein eventuelles Essen danach. Lass dir von Familienmitgliedern oder engen Freunden helfen und gib Aufgaben ab.

Illegale erwünscht

$
0
0

jetzt.de: Worin unterscheidet sich euer Projekt von anderen Hilfen für Flüchtlinge?
Mareike:
Wir sind das erste Projekt, das sich dezidiert damit beschäftigt, geflüchtete Menschen privat unterzubringen und so ihre Wohnsituation zu verbessern. Dahinter steckt natürlich der Gedanke, geflüchtete Menschen ein Leben in der Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen und sie nicht irgendwo am Stadtrand unterzubringen.

Nun fordert euer Projekt sehr großes persönliches Engagement, man kommt den Flüchtlingen näher als wenn man jetzt nur Klamotten spendet. Wie sind bisher die Reaktionen?
Mareike:
Ich ging davon aus, dass sich in zwei Monaten vielleicht eine WG meldet und wir dann in Ruhe alle weiteren Prozesse planen können. Die Realität ist aber, dass wir bereits jetzt, nach einer Woche, knapp 80 ernsthafte Anmeldungen haben.
Jonas:
Wir wollen mit dem Projekt die breite Masse ansprechen, nicht nur Leute, die sich eh bereits für Flüchtlinge einsetzen. Deshalb haben wir im Seitennamen auch das Wort "Flüchtlinge" verwendet, auch wenn wir das privat so nicht sagen würden. Das "ling" hat so etwas verniedlichendes. Wir bevorzugen "geflüchtete Menschen" oder "Refugees". Aber "Flüchtling" ist in der Ansprache verständlicher. Was uns auch sehr überrascht hat: Eigentlich hatten wir ja Studenten im Fokus. Allerdings haben sich auch viele ältere Leute gemeldet. Oft sind es Pärchen, die auf dem Land leben, die Kinder sind bereits aus dem Haus und deshalb stehen dort Zimmer leer. Das zeigt, dass unser Projekt die breite Masse anspricht und nicht nur die Leute, die sich eh immer für Flüchtlinge einsetzen. Das ist auch ein politisches Statement, die Leute wollen helfen!


Golde (25), Jonas (31) und Mareike (27) leben und arbeiten in Berlin. Golde ist Sozialarbeiterin, Mareike hat Religion & Culture studiert, Jonas ist Kommunikationsdesigner. Anfang dieser Woche haben sie ihr gemeinsames Projekt "Flüchtlinge Willkommen" online gestellt. Bereits jetzt häufen sich die Anmeldungen.


Eure Seite funktioniert ja in Teilen wie WG-gesucht: Menschen suchen online Mitbewohner. Nur, dass am Ende dann Flüchtlinge zum Casting kommen...
Mareike:
Nicht ganz. Man gibt Informationen zu der angebotenen WG oder dem Zimmer an, wir leiten diese dann an Organisationen weiter, die vor Ort mit geflüchteten Menschen arbeiten. Die Organisationen suchen dann wiederum nach einem geeigneten Mitbewohner für die WG. Dann wird ein erstes Treffen zwischen Organisation, WG und der geflüchteten Person organisiert, bei dem man herausfindet, ob sich die zukünftigen Mitbewohner überhaupt sympathisch sind. Wir sind also eher der Matching-Point für Hilfsorganisationen und Menschen, die Wohnraum über haben. Wir entscheiden nicht, wer zusammen wohnen sollte. Außerdem helfen wir bei der Ideenfindung für die Finanzierung der Miete.

Kann es denn passieren, dass die WG die Miete für den Flüchtling mitfinanzieren muss?
Mareike:
Das Prinzip funktioniert so, dass sich die WG um die Finanzierung kümmern muss. Erst wenn das geregelt ist, zieht der Refugee ein. Wir selber finanzieren nichts, geben aber Anregungen, wie die Finanzierung bewerkstelligt werden kann - zum Beispiel über Mikrospenden oder Crowdfunding, damit haben wir schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Manche Länder, zum Beispiel Berlin, unterstützen den Auszug eines Flüchtlings aus einer Massenunterkunft auch finanziell. Außerdem haben sich bei uns mittlerweile auch viele gemeldet, die kein Zimmer zur Verfügung stellen können, andere WGs aber finanziell unterstützen wollen. Diese Leute bringen wir dann zusammen.

Was passiert, wenn man sich mit dem Mitbewohner nicht versteht? In einer WG zieht dann einer aus -  der Flüchtling muss dann zurück in die Massenunterkunft.
Jonas:
Wir versuchen natürlich, das Miteinander auf Augenhöhe zu halten, wie in einer normalen WG. Wenn man sich nicht versteht, sollte man erstmal versuchen, darüber zu sprechen und Lösungen zu finden, da bieten wir uns auch als Ansprechpartner an. Wenn es trotzdem nicht funktioniert, ist es halt leider doch nicht ganz wie in einer normalen WG. Dann wird man als Mitbewohner zweimal darüber nachdenken, die WG-Entscheidung rückgängig zu machen. Schließlich kann es bedeuten, dass der geflüchtete Mensch dann obdachlos wird oder in eine ungute Massenunterkunft kommt. Aber im schlimmsten Fall muss man diesen Schritt machen.

Verändert das Bewusstsein, was mit einem abgelehnten Flüchtling passieren kann, auch schon das Casting?
Mareike: Da kann ich sogar schon aus Erfahrung sprechen: Wir wollten im September schon einmal einen geflüchteten Menschen in unsere WG aufnehmen und sind da sehr deutsch rangegangen: Wir wollten drei Leute einladen, die jeweils eine halbe Stunde auf einen Kaffee treffen und dann den nehmen, mit dem wir uns am besten verstehen. Dann wurde uns aber klar, dass so eine Casting-Situation weitreichende Konsequenzen haben kann  - zwei schickt man so direkt wieder zurück in die Obdachlosigkeit oder die Sammelunterkunft. Dieser Gedanke, auf den Besten zu warten, ist dabei das Problem. Deshalb machen wir es jetzt so, dass wir immer nur eine Person vorstellen und man sich dann überlegt, ob man mit dieser Person wohnen könnte.
Jonas: Wenn das nicht passt, kann man immer noch eine zweite Person treffen. Allerdings wird es bei uns keine WG-Massencastings geben.

Ihr selber wollt ab Dezember jemanden aufnehmen. Ist das nicht sehr kurzfristig?
Jonas:
Das hat uns auch die Erfahrung vom ersten Casting gezeigt: Zwei Monate im Voraus zu planen funktioniert für geflüchtete Menschen nicht. Durch ihren unklaren Status können sie oft nicht einmal zwei Tage im Voraus planen. Ich weiß deshalb jetzt noch nicht, wer da Anfang Dezember einziehen wird. Wir werden uns kurz vorher erst treffen und gucken, ob das passt.

In Bayern ist die private Aufnahme von Flüchtlingen wegen der sogenannten Lagerpflicht nicht erlaubt. Wie geht ihr mit Anfragen von dort um?
Jonas:
Wir sind uns da noch nicht ganz sicher, werden vermutlich aber die WGs aus diesen Bundesländern dazu anregen, illegalisierte Personen, also Menschen ohne Papiere und Aufenthaltsstatus, aufzunehmen. Viele fragen uns, warum wir auch auf unserer Webseite dazu anregen, aber diese Menschen haben es wirklich am allernötigsten. Sie fallen durch jedes Raster, bekommen keine Unterstützung vom Staat. Wir haben das auch rechtlich nachprüfen lassen -  eine WG macht sich in keiner Weise strafbar, wenn sie eine illegalisierte Person aufnimmt. Man muss beim Abschließen eines Untermietvertrages nämlich nicht den Aufenthaltsstatus einer Person erfragen.
Mareike:
Bayern ist tatsächlich ein interessanter Fall, weil sich viele von dort bei uns melden. Es ist also klar, dass die Leute dort helfen wollen, es ihnen politisch aber unmöglich gemacht wird. Wir hoffen natürlich, dass unsere Initiative da eine weitere Debatte anstößt.

Die Kraft der Herrenrunde

$
0
0

Worüber reden Männer, wenn sie unter sich sind? Über Sport? Politik? – Über Frauen, hofft Gréta Gunnarsdóttir, Ständige Vertreterin Islands bei den UN in New York. Dort veranstaltet ihr kleines Heimatland im Januar eine besondere Konferenz zum Thema Gleichberechtigung. Ob dabei tatsächlich über Frauenrechte gesprochen wird, hat Gunnarsdóttir nicht in der Hand. Obwohl das Treffen auch ihre Idee war, darf sie nicht teilnehmen. Zur isländischen Frauen-Konferenz sind nur Männer eingeladen.




Island: Endlose Weiten und die weltweite größte Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen.

Die Herren bei den UN sollen sich mehr für Gleichberechtigung engagieren, so die Idee hinter der „Barbershop“-Konferenz. Denn meistens blieben ihre männlichen Kollegen diesen Diskussionen fern, sagt Gunnarsdóttir. Erst kürzlich war sie wieder bei einer Veranstaltung über Gewalt gegen Frauen. Wieder waren die Teilnehmerinnen unter sich. Mitte Januar soll es umgekehrt sein. „Es ist gut, wenn wir den Männern erlauben, über ihre eigene Rolle zu sprechen.“ Gunnarsdóttir will den Kollegen nicht die Schuld an dem Versäumnis geben. Die Frauen drängten bei dem Thema eben in die erste Reihe.


Nicht so bei der Barbershop-Konferenz. Sie dauert zwei Tage und zu einigen Programmpunkten, etwa dem feierlichen Abschluss, sind auch Frauen willkommen. Doch die Hauptarbeit in der zentralen Diskussionsrunde müssen die Männer alleine erledigen. Dort sollen sie vor allem über Gewalt gegen Frauen sprechen und wie man sie verhindern kann. Island möchte damit auch an die Weltfrauenkonferenz vor 20 Jahren in Peking erinnern. „Frauenrechte sind Menschenrechte“, hatte dort Hillary Clinton, damals First Lady der USA, gesagt. Daran erinnerte kürzlich die UN-Frauenbotschafterin Emma Watson. Weniger als 30 Prozent von Clintons Zuhörern seien Männer gewesen, beklagte die Schauspielerin vor UN-Vertretern: „Wie können wir eine Veränderung in der Welt erreichen, wenn nur die Hälfte der Welt eingeladen ist oder sich willkommen fühlt, am Gespräch teilzunehmen.“


Watsons Aufritt war der Auftakt zur UN-Kampagne „He for She“ für mehr Gleichberechtigung. Island ist der Musterschüler dieser Kampagne. Auf deren Webseite kann man sehen, in welchem Land wie viele Männer die Aktion unterstützen. 8055 sind es auf der kleinen Insel – fast doppelt so viele wie in Deutschland. Überhaupt: Nirgendwo ist die Kluft zwischen Männern und Frauen kleiner als in Island, wie das World Economic Forum herausfand. Es untersucht die Chancengleichheit in Job, Bildung, politischer Mitwirkung und Gesundheit.


Kein Wunder also, dass Gunnarsdóttir weiter denkt als mancher Skeptiker. Einige fanden es befremdlich, Männer in einen Raum zu setzen, damit sie dort ungestört über Frauen reden können. „Das ist ja gar nicht Fall“, sagt Gunnarsdóttir. „Wir trainieren nur die Diskussion.“ Außerdem hoffe sie, dass die Männer ein paar neue Ideen beitragen, auf die die Damen nicht gekommen sind. Ihren Namen „Barbershop“ verdankt die Konferenz bereits einem Mann. Island teilt sich die Gastgeberrolle mit Suriname, einem kleinen Land in Südamerika. Dessen UN-Vertreter Henry Mac Donald verriet Gunnarsdóttir, worüber Männer beim Herrenfriseur wirklich sprechen: Sport, Politik und Frauen eben.

Ein Traum von einer Stadt

$
0
0
Es ist höchste Zeit, dass du in die Stadt kommst, sagt der Freund zum Schriftsteller Ödön von Horváth, der noch immer im beschaulichen Murnau wohnt. „Du lebst hier am Rande der Welt.“ Nach Berlin muss er, denn in Murnau „fehlt dir die Atmosphäre der neuen Menschen“. Die konzentrierten sich in den manchmal Goldenen Zwanzigern in Berlin, lasen Zeitung im Romanischen Café und wollten Pointen sprühen wie Tucholsky, schnarrten aber dann Freikorpsenes mit Ernst Jünger, himmelten mit Brecht irgendwelche Boxer an und erreichten doch nie die Höhe und die Tiefe des grausamsten aller Großstadtromane, Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz.



In Berlin schrieb der zugereiste Horváth seine besten Stücke, auch davon erzählt der Film.

Ein Reklamerummel, ein Sprachgewitter, eine Schicksalsmaschinerie brüllt da auf den Leser ein, ein literarischer Lärm, von dem das inzwischen wiederhergestellte und erfolgreich überkronte MillionenBerlin so gern albträumen würde, wenn die vielfältigen Subventionen es nur zuließen. Schon der junge Horváth wusste, dass „das Materielle unentbehrlich ist. Und das bietet dem jungen Schriftsteller nur Berlin, von allen deutschen Städten.“ Der Viermächtestatus nach dem Krieg, die Teilung durch die Mauer ab 1961 nährte den Mythos einer kulturellen Sonderwirtschaftszone, in der es sich nicht nur prächtig leben, sondern auf mindestens weltliterarischem Niveau schreiben ließe.

Davon, von der Berliner Weltliteratur, handeln die Berlin Stories. Nach der Wende ist alles, was einen Namen hatte oder gern einen hätte, nach Berlin gezogen, wo, wie der Film mit Expertennachhilfe und ständig wechselnder Kameraperspektive blitzschnell herauspräpariert, eine „Mischung aus Anarchie und Ordnung“ herrscht. Berlin redet vielstimmig und ist bei seinem Lieblingsthema, bei Berlin. Dieses fabelhafte Berlin, von dem eben wieder der Musikkritiker der New York Times den Lieben daheim so verzückt berichten konnte, unterscheidet sich von anderen Großstädten wie Paris, London der New York. Ein französischer Autor kann sogar beitragen, dass es im langweiligen Paris keine Partyszene gebe, jedenfalls nichts mit Berlin Vergleichbares.

Dazwischen, mehr schlaf- als tatsächlich wandelnd: Touristen aus aller Welt, dieses unvergleichliche Berlin erforschend – die Handykamera auf plastinierte Ruinen gerichtet, die Handvoll vom Senat bezahlten Punks, die Weltzeituhr am Alex, wo sich einst die Schubiaks und Biberkopfs mit ihren Miezes herumtrieben. Wie Wundergläubige wollen sie den Mythos berühren, der aus den Zwanzigern überliefert wird, und der sich bereits überlebt hatte, als 1933 die Nazis an die Macht kamen und anfingen, die Juden zu vertreiben und zu verfolgen. Das alte Berlin, das viel zu rasch in der Industrialisierung zusammenglomerierte brutale Berlin Döblins, auch das heimliche Berlin Franz Hessels, ach, es ist durch solch raunende Beschwörungen dieser Vergangenheit doch nicht wieder zu erwecken. Die Wahrheit sagt der französische Autor: „Ich glaube, es ist weniger Döblin, was die Leute nach Berlin bringt, sondern Easyjet.“

So sind diese Berlin Stories unvermeidlich ein Klaglibell auf einen Stadtmythos, in dem „Geschichte verschwindet und durch Design ersetzt“ wird. Dennoch leistet der Mythos von der Literaturhauptstadt der Realität bis heute hartnäckigen Widerstand. Berlin sei auch zwischen 1961 und 1989 kein Zentrum der deutschen Literatur gewesen, sagt Claudius Seidl von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Damals entstand eine von der CIA und dem (inzwischen zwangsvereinigten) SFB gesponserte Literatur, allen wohl und niemand weh, aber noch heute bestens beleumdet. Der weltläufige Hans Magnus Enzensberger spürte im Solarplexus das Nahen der Revolution, kam aus Norwegen zurück und kaufte sich ein Haus in Friedenau, langweilte sich aber dann doch so sehr, dass er sich eine Frau aus Russland holen musste. Friedenau war ein Dorf mit einer einzigen Kneipe, in der sich Grass und Uwe Johnson um die Wette betranken. Aber seltsam: Johnsons großes Großstadt-Epos Jahrestage erstreckt sich, unter Vermeidung Berlins, von Mecklenburg nach New York und dort auf die Weiden von Staten Island. Und Grass? Der Autor des kaschubischen Barockromans Die Blechtrommel verkam zum mitregierenden Bürgermeister von Berlin. Manchmal habe man sich, um den anderen nicht beim Kunstmachen zu stören, ein Manuskript unter der Tür durchgeschoben, hat der Komponist Hans Werner Henze erzählt. „Da gab es einen Zusammenklang, der von großer Produktivität war.“ Vielleicht stimmt das sogar.

Vor 25 Jahren dann der Mauerfall, die Reisefreiheit, und wieder zog alles nach Berlin, ließ sich vor Mauerresten fotografieren und stürmte allnächtlich mit einem Mundvorrat hilfreicher Pillen ins Berghain, aber was hat das neue Berlin für die Literatur gebracht? Ulrich Plenzdorf und Sven Regener werden zitiert, Nellja Veremej (Berlin liegt im Osten) ist die aktuelle Nachfolgerin Döblins, aber was ist das ge-gen Lutz Seilers metropolenfernen Kruso?

Der Schriftsteller Ulrich Peltzer will trotzdem das weiterhin Unfertige gefeiert haben, doch auch den Filmautoren Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier wird klar, dass dieser vermutlich weltweit am gründlichsten subventionierte Land-strich nicht notwendig den großen Metropolenroman hervorbringt.

In Berlin schrieb der zugereiste Horváth dann seine besten Stücke, die Italienische Nacht (angesiedelt in einer bayrischen Kleinstadt) und die einmalig bösartigen Geschichten aus dem Wiener Wald. Der Monsterroman Berlin Alexanderplatz wird heute leider überhaupt nicht mehr gelesen. Rainer Werner Fassbinders Verfilmung, die zweite insgesamt, entstand – wo auch sonst? – bei der Bavaria in Geiselgasteig im schönen Isartal. Die lärmenden Busse fahren durch die Bergmannstraße, benannt nach Ingmar Bergman, der im gleichen Studio den Berlin-Film Das Schlangenei drehte. Dort toben die Straßenkämpfe, dort lebt die Mieze, und in einer Ecke war auch die Kneipe aufgebaut, in der Günter Lamprecht als Biberkopf sich immer mit seinem Verhängnis traf, mit Gottfried John. Berlin ist, falls sich das noch nicht herumgesprochen haben sollte, seit je nur eine Studioproduktion.

Berlin Stories, Arte, 21.45 Uhr.

Franziskus: Europa ist krank

$
0
0
Papst Franziskus hat die Europäer dazu ermahnt, die Würde des Menschen wieder ins Zentrum ihrer Politik zu stellen. Vor dem Europaparlament in Straßburg sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche, es sei die Stunde gekommen, ein Europa aufzubauen, „das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person“. Europa laufe Gefahr, allmählich seine Seele und auch jenen humanistischen Geist zu verlieren, den es so sehr liebe. Das sei verheerend, denn ein Europa, das auf den Menschen schaue, das seine Würde verteidige und schütze, sei ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit.



Papst Franziskus macht sich Sorgen um Europa.

Der Papst war für vier Stunden nach Straßburg gekommen, um zuerst das Europaparlament mit seinen 751 Abgeordneten aus den EU-Staaten zu besuchen und dann den Europarat, in dem 47 Staaten des Kontinents vertreten sind. Zuletzt hatte vor mehr als 25 Jahren Papst Johannes Paul II. im Oktober 1988 die europäischen Institutionen besucht; damals war Europa noch zwischen Ost und West geteilt.


Franziskus beklagte in beiden Reden, dass Europa krank, müde und pessimistisch geworden sei. Man gewinne den Eindruck „der Alterung, die Impression eines Europas, das Großmutter und nicht mehr fruchtbar und lebendig ist“, sagte er vor dem EU-Parlament; die großen Ideale hätten ihre Anziehungskraft verloren „zugunsten von bürokratischen Verwaltungsapparaten“. Im Europarat redete er vom „Bild eines verletzten Europas“, das Krisen „nicht mehr mit der früheren Lebenskraft und Energie zu bewältigen“ vermöge.


Eindringlich wandte er sich gegen die zunehmende „Selbstverliebtheit“ der Europäer. Eine der meistverbreiteten Krankheiten sei die Einsamkeit. „Das wird speziell sichtbar bei den alten Menschen, die oft ihrem Schicksal überlassen sind, wie auch bei den Jugendlichen, die keine Bezugspunkte und keine Zukunftschancen haben“, sagte der aus Argentinien stammende Papst. Aber auch bei den vielen Armen in Europa und „im verlorenen Blick der Migranten, die hierhergekommen sind, auf der Suche nach einer besseren Zukunft“, sei die Einsamkeit unübersehbar.


Dabei sei der Mensch von seiner Natur her ein Beziehungswesen. Heute aber bestehe die Gefahr, dass er „zu einem bloßen Räderwerk in einem Mechanismus herabgewürdigt“ werde, „der ihn nach dem Maß eines zu gebrauchenden Konsumgutes behandelt“. Wenn dann das Leben „nicht mehr zweckdienlich“ sei, werde es „ohne viel Bedenken ausgesondert“. Dies treffe Kranke im Endstadium, verlassene Alte ohne Pflege oder „Kinder, die vor der Geburt getötet werden“. Zu den wichtigsten Faktoren, die diesen Egoismus in Europa fördern, zählt der Papst auch die „dramatischen“ Konsequenzen der Wirtschaftskrise. „Welche Würde soll jemals einer finden, der keine Nahrung oder das Allernotwendigste zum Leben hat und – schlimmer noch – dem die Arbeit fehlt, die ihm Würde verleiht?“, fragte der Papst.


Aus der Sicht des Papstes trägt die politische Klasse an diesen Entwicklungen eine Mitschuld. Ihre Debatten würden von technischen und wirtschaftlichen Fragen beherrscht, „auf Kosten einer authentischen anthropologischen Orientierung“. Zunehmend werde die Kraft der Demokratie durch die Überbewertung des freien Marktes geschwächt. „Die Wirklichkeit der Demokratien am Leben zu erhalten, ist eine Herausforderung dieses geschichtlichen Moments“, sagte Franziskus. Er appellierte an die europäischen Staaten, eine gemeinsame und solidarische Flüchtlingspolitik zu verfolgen. „Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird“, sagte er. „Die Kähne, die täglich an den Küsten Europas landen, sind gefüllt mit Männern und Frauen, die Annahme und Hilfe benötigen.“


Im Europarat ging der Papst auch auf die Spannungen in Osteuropa ein. Ohne den Ukraine-Konflikt zu erwähnen, äußerte er sein Bedauern darüber, dass der Friede in Europa „leider“ noch oft verletzt werde. „Wie viel Schmerz und wie viele Tote gibt es noch auf diesem Kontinent, der den Frieden herbeisehnt und doch leicht den Versuchungen von einst verfällt!“, sagte er. Konflikte dürften nicht beschönigt werden, man müsse sich ihnen stellen.


Gegen Mittag war der Papst von nahezu allen Abgeordneten des Parlaments mit einer Ovation verabschiedet worden, sogar von Abgeordneten der Linken. „Sie geben Orientierung in Zeiten der Orientierungslosigkeit“, sagte Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Im Vorfeld hatte es auch Kritik von einigen Abgeordneten am geplanten Auftritt des Papstes gegeben: Dieser vertrage sich nicht mit der Trennung von Staat und Kirche, argumentierten sie.


Auf dem Rückflug aus Straßburg äußerte sich der Papst auch zur Bekämpfung des islamistischen Terrors. Er schließe Gespräche mit der Organisation „Islamischer Staat“ nicht von vornherein völlig aus, wenn dadurch größeres Leid vermieden werden kann. „Ich gehe immer davon aus, dass man nie aufgeben soll. Vielleicht kann man in der Tat keinen Dialog führen, aber dennoch darf man nie die Tür zum Gespräch verschließen.“ Allerdings sollten einzelne Staaten nicht ohne „internationalen Konsens“ gegen Terroristen vorgehen. Sonst drohe „eine Art Anarchie auf hohem Niveau“.

Fehler in eigener Sache

$
0
0
Anthony Noto hat einen Plan. Das dürfte die Investoren von Twitter glücklich stimmen, weil es gewiss nicht schadet, wenn der Finanzchef eines Unternehmens einen Plan hat. Allerdings hat Noto ganz offensichtlich keine Ahnung. Natürlich ist der 46-Jährige ein herausragender Kaufmann, er hat bei Goldman Sachs und der Football-Profiliga NFL gearbeitet.



Noto wollte eine private Nachricht schicken, sie lautete: „Ich denke noch immer, dass wir sie kaufen sollten. Er ist für 15. oder 16. Dezember in Deinem Terminplan eingetragen – wir werden ihm das verkaufen müssen. Ich habe einen Plan.“

Allerdings scheint er keine Ahnung zu haben von der Funktionsweise des Kurznachrichtendienstes, für den er seit Juli arbeitet. Dabei ist die denkbar einfach: Der Nutzer kann private Nachrichten verschicken oder er kann seine Gedanken öffentlich verbreiten. Viel mehr Möglichkeiten gibt es bei Twitter nun wirklich nicht. Vielleicht noch ein Foto anfügen, einen Link oder einen Hashtag, das war’s dann aber auch.

Noto wollte also eine private Nachricht schicken, sie lautete: „Ich denke noch immer, dass wir sie kaufen sollten. Er ist für 15. oder 16. Dezember in Deinem Terminplan eingetragen – wir werden ihm das verkaufen müssen. Ich habe einen Plan.“ Allerdings klappte das nicht so, wie Noto sich das vorgestellt hatte, der Eintrag war für jeden zu sehen.

Er wurde mittlerweile gelöscht, ein Unternehmenssprecher bestätigte lediglich, dass Noto diese Worte verfasst, aber eben gerne privat gesendet hätte. Es ist nicht bekannt, für wen diese Nachricht bestimmt war und welches Unternehmen Noto denn gerne kaufen würde. Es gibt nun Spekulationen, dass es sich dabei um Mic handeln könnte – eine Nachrichtenseite, die sich an die sogenannte Generation Yrichtet, das sind die in den 80er- und 90er-Jahren Geborenen. Doch darum geht es überhaupt nicht.

Es geht auch nicht darum, dass Noto ein Fehler unterlaufen ist, für den es mittlerweile einen eigenen Begriff gibt. „DM Fail“ heißt das, wenn eine private Nachricht („Direct Message“) an die Öffentlichkeit gelangt und dadurch für den Absender peinlich wird. Es gibt Sportler und Schauspieler, die soziale Netzwerke gerne dazu nutzen, mit paarungswilligen Fans in Kontakt zu treten – und dann behaupten, dass ihr Zugang gehackt wurde, wenn sie beim Fremdgeh-Versuch oder dem Flirten mit Minderjährigen erwischt werden. Es gibt Investoren, die sich über ihre Konkurrenten ausheulen. Es gibt Promis, die ihre Werbepartner beschimpfen. Und natürlich gibt es den amerikanischen Politiker Anthony Weiner, der im Mai 2011 unter dem Pseudonym „Carlos Danger“ freizügige Bilder nicht nur an interessierte Frauen verschickte, sondern an alle seiner damals 56000 Follower.

Pikant wird Notos Eintrag dadurch, dass Twitter-Botschaften bisweilen den ohnehin nervösen Markt noch weiter verunsichern und falsche Nachrichten bereits Aktien ins Wackeln gebracht haben; und dadurch, dass sich Unternehmenschef Dick Costolo seit der Bekanntgabe der ernüchternden Quartalszahlen darum bemüht, den Investoren – und eigentlich der ganzen Welt – zu erklären, wie einfach Twitter zu nutzen sei. Das wird natürlich nicht gerade einfacher, wenn sich offensichtlich nicht einmal ranghohe Mitarbeiter auskennen. Ein Fail im eigenen Haus, was für ein Image-Desaster!

Doch, und das ist das wahrlich Interessante an der Geschichte: Die Investoren reagierten auf diesen Patzer von Noto so gelassen wie eine Kuh beim Graskauen. Überhaupt kein Stress, das ist die Botschaft der Investoren an Noto, kann ja mal passieren, bleibt mal alle locker.

Es ist die beruhigende Gewissheit, dass solche Pannen nicht nur dem gemeinen Nutzer unterlaufen, sondern eben auch dem vermeintlichen Profi. Die Gelassenheit ist auch eine Bestätigung der These, dass es Investoren nicht wirklich erschüttert, wenn Manager einen Plan und keine Ahnung haben.

Mitmachen statt nur surfen

$
0
0
In diesem Land gibt es mehr Handys als Einwohner: Im Schnitt nutzt jeder Deutsche, vom Säugling bis zum Greis, 1,4 Sim-Karten. Neue Kunden kann nur gewinnen, wer den Rivalen Kunden abluchst. Deshalb galt es als ausgemachte Sache, dass die Auktion von freiwerdenden und neu zu vergebenden Frequenzen im Frühjahr drei Manager unter sich ausmachen – nämlich die Chefs der drei etablierten Mobilfunkanbieter Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica Deutschland, bislang vor allem unter der Marke O2 bekannt, seit kurzem auch Eigner von E-Plus.



Eine Firma will den Mobilfunkmarkt mit Bürgerbeteiligung aufmischen - es gibt aber viele Bedenken.

Doch nun tritt ausgerechnet ein unbekanntes Unternehmen an, um in diesem schwierigen Geschäft mitzumischen: Liquid Broadband baut dabei auf den Idealismus einer Sharing Economy. Und darauf, dass es der Staat ernst meint mit seinem Bekenntnis zum Wettbewerb, der im Gesetz niedergeschrieben ist. An diesem Mittwoch endet die Frist, in der die Anbieter den ersten Entwurf der Bundesnetzagentur zur Versteigerung der Funkfrequenzen kommentieren dürfen. Danach wird sich zeigen, ob auch Liquid Broadband bei dieser Auktion eine Chance hat. Hinter der Frankfurter Firma stehen nach eigener Aussage einige in der Branche erfahrene deutsche Mittelständler.


Die Idee des neuen Anbieters: Jeder Bürger soll mitmachen und so ein offenes Netz bauen, in dem nicht die Großen vorgeben, auf welche Angebote der Kunde zugreifen kann – und auf welche nicht.


Die Technik, so Firmenchefin Beate Rickert, haben die an dem Unternehmen beteiligten Investoren selbst entwickelt. Sie steckt in Boxen, die etwa so groß wie ein herkömmlicher Router sind und zum Beispiel auf der Fensterbank aufgestellt werden können. Die Box soll in diesem Bürgernetz auch so etwas sein wie der Funkmast in den herkömmlichen Mobilfunknetzen. Die Sendeleistung reiche aus, um den Handyempfang im Umkreis von bis zu 500 Metern zu sichern. Das schaffe kleine Funkzellen, die schnellere Übertragungsraten ermöglichen als die weitaus größeren Funkzellen in herkömmlichen Netzen. Dort sind nämlich zu Spitzenzeiten so viele Menschen mit ihrem Smartphone unterwegs, dass die Übertragung stockt – und beispielsweise das Youtube-Video ruckelt.


„Wir etablieren ein eigenes vollwertiges Mobilfunknetz und greifen nicht auf vorhandene DSL-Anschlüsse anderer Anbieter zurück. Wir sind nämlich keine Schmarotzer“, betont Rickert. Neben den kleinen Boxen, die jeder Bürger installieren kann, will das Unternehmen auch selbst Funkstationen errichten – und dabei vor allem mit Kommunen im ländlichen Raum kooperieren. Das dortige Interesse, eine solche Box etwa auf dem Dach der Gemeindeverwaltung aufzustellen und so am Netz mitzubauen, sei groß. „Diese wollen nämlich möglichst zügig und kostengünstig Zugang zu schnellem Internet. Statt sich bei der Telekom in die Warteschlange zu stellen, bieten wir ihnen die Möglichkeit, sich an der Versorgung zu beteiligen.“


Ob die Sache aufgeht, ist zunächst davon abhängig, ob Liquid Broadband bei der Versteigerung der Frequenzen zum Zuge kommt. Das Mindestgebot für einen Block der wertvollen Frequenzen im Bereich von 700 Megahertz liegt bei 75 Millionen Euro. Es sieht derzeit nicht so aus, als ob sich Länder und Bund noch dazu durchringen, einen Teil des Funkspektrums für einen Neueinsteiger zu reservieren – so wie dies bei ähnlichen Auktionen etwa in den Niederlanden gemacht wurde. Schließlich ist die Versteigerung der Frequenzen auch eine gute Gelegenheit für den Staat, mal wieder ein bisschen Geld einzunehmen. Und in der Branche zweifeln viele, dass die Taschen von Liquid Broadband dafür tief genug sind. „Das Telekommunikationsgesetz schreibt bei einer Versteigerung ausdrücklich vor, die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen zu berücksichtigen“, betont Rickert. „Dies ist bislang leider unterblieben.“ Sollten alle Appelle verhallen, wolle man auch mit rechtlichen Mitteln gegen die Bedingungen der Auktion vorgehen.


Es gibt in der Mobilfunktechnik, so sagt Telekomexperte Roman Friedrich von der Beratungsgesellschaft Strategy &, so etwas wie die Gnade der späten Geburt. „Wer heute startet, der hat einen gewissen Innovationsvorsprung. Ein Netz zu bauen, das geht heute deutlich effizienter, als noch vor einigen Jahren. So kann ein Anbieter die Kosten senken – und zwar bei deutlich besserer Leistung.“ Skeptischer ist dagegen Torsten Gerpott, Professor für Telekommunikationswirtschaft der Universität Duisburg-Essen: „Ein solches Bürgernetz hat sich über eine so große Fläche und mit so vielen Kunden, wie sie in Deutschland zu bedienen wären, noch nicht bewährt“. In jedem Winkel der Republik guten Empfang zu haben, ist für viele Kunden enorm wichtig bei der Auswahl ihres Anbieters – selbst dann, wenn die Menschen gar nicht oft unterwegs sind.


Der Neuling wird auch noch andere Hürden überwinden müssen: Einen Kunden, der sich hierzulande daran gewöhnt hat, zum Mobilfunkvertrag ein schickes Smartphone spendiert zu bekommen, davon zu überzeugen, den Anbieter zu wechseln, ist äußerst aufwendig. Auch Sicherheitsbedenken könnten ihn zurückhalten.


Liquid Broadband will all jene, die mit einer eigenen Box beitragen, das Netz immer engmaschiger zu knüpfen, belohnen: Kunden sollen kostenlos oder zum symbolischen Preis von fünf Euro mobil surfen und telefonieren können – so der derzeitige Plan. Und Rickert zeigt sich überzeugt, dass die Deutschen nicht nur auf den Preis achten. „Für die Verbraucher sind die hohen Mauern, die die etablierten Anbieter um ihre Vorgärten gezogen haben, mittelfristig äußerst problematisch. Sie verhindern nämlich den Preis- und Innovationswettbewerb.“ Im Bürgernetz sollen deshalb, so betont sie, auch kleine Anbieter von Filmportalen, Telemedizin oder gänzlich neuen Diensten eine Plattform bekommen, die es nicht über die hohen Hürden der großen Mobilfunkanbieter schaffen.




Tagesblog - 26. November 2014

$
0
0
19:00 Uhr: Jetzt ist Schluss hier, ihr lieben Leser! Ich sage Tschüss mit einem letzten Text für heute. Anlässlich der Frauenquote haben wir mal zusammengetragen, wie man sich stilistisch auf den Einzug in einen Aufsichtsrat vorbereiten muss.

Ein Style-Guide in sieben Punkten!





Bis morgen!

+++

17:40 Uhr:
Kann es sein, dass Mädchen auf Instagram verhältnismäßig häufig bestimmte Motive in Verbindung mit bestimmten (unzusammenhängenden) Bildunterschriften posten?

Dieser Blog
hat die gängigsten Bild-Wort-Kombinationen gesammelt - und sie dankenswerterweise von Männern nachspielen lassen. Hier ist der "Look at my ass while I pretend to refer to something else":

[plugin imagelink link="http://wittyandpretty.com/wp-content/uploads/2014/11/IMG_8017.png" imagesrc="http://wittyandpretty.com/wp-content/uploads/2014/11/IMG_8017.png"]

+++

17:00 Uhr:
Weil ich eben mit Biazza übers Schreibtischeck darüber diskutierte: Wie findet ihr überhaupt den neuen Song bzw. das neue Video von Beyoncé?

http://www.youtube.com/watch?v=k4YRWT_Aldo

Ich find ja: "Stark" bzw. "saustark".

Biazza sagt: "Gut" bzw. "blöd. Weil: Ein Popstar sollte keine Unterhosen tragen, die aussehen, als wär ne Bremsspur drin."

Hm?


+++

15:30 Uhr:
Falls ihr grad 'n paar coole Tunes auf die Ohren braucht, wie wir Jugendredakteure sagen: Klickt doch mal hier, da gibt's eine Playlist mit den besten Songs aus allen Wes-Anderson-Filmen. 

Läuft bei dir, würd ich sagen!

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/dCwnt.gif" imagesrc="http://i.imgur.com/dCwnt.gif"] 

+++

15:00 Uhr:


### HOMESTORY ###

Hey Freunde! Bald ist Weihnachten! Und weil die Kollegin, die quer gegenüber im Raum sitzt, neulich in Bremen war für eine Geschichte, hat sie Werder-Nikoläuse mitgebracht.



 

Das Foto ist von heute Morgen. Die gefräßigen Praktikanten haben sie inzwischen schon ratzeputz weggeschmatzt. 


+++

13:00 Uhr:
Wo ich gerade voll vom Essen zurückwanke, schickt mir Nadja einen Comic rüber. Von Katz&Goldt. Darin kommt auch ein trauriger Aboverkäufer der SZ vor. Und der unsterbliche Satz:

"Herrengedeck is the German word for a lot of traditional fun."

[plugin imagelink link="http://www.katzundgoldt.de/zutatenarchiv/w_pub_crawl.jpg" imagesrc="http://www.katzundgoldt.de/zutatenarchiv/w_pub_crawl.jpg"]

+++

11:55 Uhr:
Der versprochene neue Text erscheint im XXL-Bundle mit dem Studentenatlas über Düsseldorf: 12 Fakten, die man über Düsseldorf wissen sollte.

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ka/kathrin-hollmer/text/regular/1030242.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ka/kathrin-hollmer/text/regular/1030242.jpg"]

Ich als halber Kölner hab da natürlich aus Prinzip nicht draufgeklickt. Habe mir aber sagen lassen, dass man dort interessante Dinge lernt! Zum Beispiel, dass es in Düsseldorf das einzige "Japantown" Deutschlands gibt.

+++

11:00 Uhr:
Folks, hier bin ich wieder. Konferenz heute etwas länger. Es ging um den Kleiderstil von Aufsichtsräten. Und um Heavy Metal in Kairo. Macht euch auf was gefasst.

Gleich gibt's auf jetzt.de neuen Lesecontent, wir basteln unter Hochdruck dran. Bis dahin: Ein fabelhafter Linktipp von the-wrong-girl: Witze, die sich Kinder erzählen. Zum Beispiel den:

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/goooz9w.jpg" imagesrc="http://i.imgur.com/goooz9w.jpg"]

Oder den:
[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/Xic4MHo.jpg" imagesrc="http://i.imgur.com/Xic4MHo.jpg"]

Hihi. Erinnert mich an diesen Typen:

[plugin imagelink link="http://www.surfacetoair.com/blog/wp-content/uploads/2011/07/Picture-65.png" imagesrc="http://www.surfacetoair.com/blog/wp-content/uploads/2011/07/Picture-65.png"]

(Ist nicht von einem Kind, sondern von einem Nominierten für den Turner-Preis.)

+++

9:21 Uhr:
So. Hinter mir bollert die Heizung, draußen wabert eine graues Süppchen um die Fenster. Zeit für ein paar News? Gerne:

- CDU-Minister Gröhe ist weichgeklopft: Die "Pille danach" wird nun doch rezeptfrei 

[plugin imagelink link="http://media2.giphy.com/media/xr1sZJlXEoJpu/200.gif" imagesrc="http://media2.giphy.com/media/xr1sZJlXEoJpu/200.gif"]

- Die große Koalition hat sich geeinigt: Auch die Frauenquote kommt. 30 Prozent in Aufsichtsräten großer Unternehmen.

[plugin imagelink link="http://media1.giphy.com/media/kIPm2lqDsfNAs/200.gif" imagesrc="http://media1.giphy.com/media/kIPm2lqDsfNAs/200.gif"]

- Tina Turner wird heute 75.

[plugin imagelink link="http://media1.giphy.com/media/KalMQ4AF51Jtu/200.gif" imagesrc="http://media1.giphy.com/media/KalMQ4AF51Jtu/200.gif"]

+++

9:00 Uhr:
Guten Morgen, Friendos! Ich bin gleich bei euch. Einstweilen ein überlegenswerter Gedanke aus meiner Instagram-Timeline:

[plugin imagelink link="http://www.whatevo.com/media/posts/love-is-like-a-fart.jpg" imagesrc="http://www.whatevo.com/media/posts/love-is-like-a-fart.jpg"]

Düsseldorf verstehen

$
0
0


Dieser Text ist Teil des Studentenatlas' Düsseldorf, einem gemeinsamen Projekt von jetzt.de und sueddeutsche.de. Informationen zu weiteren Städten im Studentenatlas findest du hier.


  • Düsseldorf hat das einzige Japantown Deutschlands. 

  • In Düsseldorf trinkt man Altbier. 

  • Für Radfahrer ist es gut, in einer Stadt zu leben, die nicht so riesig ist. 

  • Die Königsallee ist auch nur eine Straße. 

  • „Wer ist Düsseldorf?“ – „Ich bin Düsseldorf“ (Farid Bang) 

  • Düsseldorf hat die längste Theke der Welt – mehr als 300 Kneipen, Clubs und Restaurants auf einem halben Quadratkilometer.

  • Die Toten Hosen und Fortuna sind hier eine Religion. 

  • In Düsseldorf gibt es viele Werbeagenturen, das neue Stadtlogo ist deshalb aber nicht besonders schön – es ist ein Emoticon, heißt smiling D (:D) und sieht so aus: :Düsseldorf 

  • Die Feindschaft zwischen Düsseldorf und Köln ist nur Folklore. 

  • Im Brauhaus heißt der Kellner Köbes. 

  • Karneval ist ein Grund zu saufen. 

  • Der Burger-Boom greift auch in Düsseldorf um sich. Das Space Burger gibt’s aber schon seit 1997 (heute in der Altstadt und in Pempelfort).

Wie wir uns erinnern

$
0
0


"Stell dir vor, der Mauerfall würde sich heute ereignen. Wie sähe das wohl aus? Wie würden wir die Umstürze festhalten? Und hätten die Bilder andere Inhalte oder einen anderen Zugang als damals?" Das haben wir uns vor ein paar Wochen hier gefragt - und deshalb mit Flickr ein Fotoalbum gestartet. Auftrag dort: Zeigt uns euer Bild der Wiedervereinigung seit 1989.

Knapp 700 Fotos sind zusammengekommen. Von der Mauer, von Grenzposten. Vom Alltag und von Kunst. Einige davon sind historisch, viele zeigen die Gedenkfeiern anlässlich des 25-jährigen Jubiläums. Wie sich die Darstellung im Vergleich zu früher verändert hat, und wie wir uns entsprechend heutzutage an historische und aktuelle Ereignisse erinnern, das haben wir noch mal Christine Lohmeier gefragt. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU München und Vertretungsprofessorin an der Universität Bremen.





jetzt.de: Frau Lohmeier, eines fällt schon beim ersten Durchschauen der Bilder auf: Es gibt quasi keine Selfies.
Christine Lohmeier:  Es geht sogar noch weiter. Es sind insgesamt sehr wenig Leute auf den Fotos zu sehen. Die einfachen Snapshots fehlen quasi komplett.

Können Sie sich das erklären?
Es fiele mir schwer, daraus ein generalisiertes Statement zu ziehen. Ich vermute eher, dass diese Art der Fotocommunity eine bestimmte Klientel anzieht: Menschen, die ein Faible für Fotografie haben und deshalb einen gewissen Anspruch an ihre Bilder.

Das würde auch erklären, warum viele der Bilder sehr professionell wirken.
Ich würde sogar sagen: Ein großer Teil geht in Richtung Kunst. Und zwar im doppelten Sinne: Es ist sehr viel Kunst als Objekt auf den Bildern zu sehen. Viele der Bilder haben aber auch selbst einen künstlerischen Anspruch.




Foto: Hagens World
 
Man bemerkt außerdem einen Bruch: Am Anfang finden sich noch viele verschiedene Themen auf den Fotos. Dann kam die Gedenkfeier zum Jubiläum. Ab da dominieren Bilder, auf denen die Feierlichkeiten und die Kunstinstallation mit den weißen Ballons zu sehen sind.
Stimmt. Man kann daran erkennen, welche Bedeutung Kunst für das kollektive Erinnern spielen kann. Bei aussagekräftigen Bildern ist eben nicht nur entscheidend, was man auf ihnen sieht. Es geht um mehr als das Objekt, das man fotografiert hat.




Foto: Andreas Jeckstadt

Nämlich?
Um Emotionen oder Erinnerung, die mitschwingen. Und um die Verquickung von Zeit und Ort. Es scheint in vielen Bildern eine bestimmte Stimmung durch: Die Lichterkette hat eine gewisse Feierlichkeit. Gleichzeitig hat sie aber auch eine sehr bedächtige Atmosphäre. Da geht es weniger darum, explizit die Lichtinstallation abzubilden – sondern eben die Stimmung des Tages. Und des Ortes zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Geht es auch darum festzuhalten, wo wir waren? Wer sehr viel fotografiert, dokumentiert damit ja auch, was er wo wann gemacht hat. Verorten wir uns damit stärker als früher selbst?
Das kann sehr gut sein, ja. Erinnerungen sind ein Teil unserer Identität. Fotos auch. Inzwischen vermutlich noch mehr als früher. Weil sie oft sagen: Ich war da, ich interessiere mich für solche Dinge. Vielleicht auch: Das ist ein Teil meiner Geschichte. Es gibt zum Beispiel ein Bild, da hat jemand eine Pioniersuniform fotografiert – das sticht sehr raus. Keine Ahnung, ob das seine eigene war oder ob er sie nur irgendwo gesehen hat. Aber in beiden Fällen ist es Teil einer Identität. Entweder, weil man es selbst mitgemacht hat, oder weil man sich davon abgrenzt. Die Auseinandersetzung, die durch die Fotos stattfindet, prägt sehr, wie wir uns selber sehen und verstehen.

Offenbar brauchen wir Jubiläen und Gedenkfeiern dafür aber auch noch.
Solche offiziellen Veranstaltungen regen immer noch zum Erinnern an, klar. Und auch zum Überdenken der eigenen Geschichte. Wenn ein 20-Jähriger auf einem solchen Event steht, erlebt er ein vielleicht ein rauschendes Fest. Oder eine schöne Kunstinstallation. Es schwingt aber trotzdem das Gefühl der Geschichte und der historischen Ereignisse mit. Das ergibt eine Überlappung von verschiedenen Erinnerungen – zum Teil aus dem biografischen Erleben, zum Teil aus dem Geschichtsunterreicht, aus Büchern oder den Medien. Das kommt dann in der eigenen Erinnerungswelt zusammen.

Und welchen Einfluss hat es, wenn er das dann in sozialen Netzwerken teilt?  Erinnern wir uns durch die Art, wie wir unser Leben dokumentieren, inzwischen anders? Detaillierter? Oder lagern wir es nur auf Festplatten aus?
(lacht) Wir tragen unsere Erinnerungen schon noch mit uns. Aber es gibt Studien, die sagen, dass Menschen, die viel fotografieren, sich erst mal weniger erinnern können.




Foto: Iavor Naydenov

Dafür können sie sich Details immer wieder in Erinnerung rufen.
Ja, aber die tatsächliche Erinnerungsarbeit entsteht erst darüber, dass wir die Bilder verwerten. Indem wir sie zum Beispiel irgendwo hochladen und mit anderen teilen. Es bringt mir nichts, wenn die Fotos nur auf einer Festplatte liegen, auf der sie niemand mehr anschaut.

Ist denn das Nachbearbeiten auch schon eine Form der Auseinandersetzung und des Erinnerns?
Der künstlerische Anspruch spielt da schon eine größere Rolle. Aber klar: Ich mache mir damit Gedanken darüber, was ich der Nachwelt wie hinterlassen möchte beziehungsweise, was ich einer Community wie präsentieren möchte. Der Aspekt, der für mich auf den Bildern vielleicht am besten herauskam, ist aber, dass Erinnern nicht chronologisch passiert.
 
Wir erinnern uns ungeordnet?
Na ja. Wir erinnern uns nicht chronologisch. Es gibt eher Assoziationen, zwischen denen wir gedanklich hin und her springen. Die Lichterketten in den Gedenkfeiern können Erinnerungen auslösen zur Vergangenheit. Das Nicht-Chronologische des Erinnerns, und auch das Überlappen von verschiedenen Zeiten, die sich durchmischen in unserer Erinnerung, das bildet die Sammlung sehr gut ab.

Gut kombiniert!

$
0
0

1. Runde Brillengläser!



Klares Must-have. Denn Hornbrillen tragen nur Yuppies und Alexander Dobrindt.




Herbert Hainer (FC Bayern München) macht vor, wie man's trägt: randlos und oval.




Joachim Milberg (BMW) kombiniert sie gekonnt mit schwarzem Obersteg.





Klaus-Peter Müller (Commerzbank) trägt dazu Silberbügel - super Match mit der Haarfarbe!

2. Der Schnauzbart



Falls du dir bisher deinen Damenbart geblichen oder mit Wachs entfernt hast - spar dir das in Zukunft. Der Schnurrbart, oder "Schnauz", wie man unter Aufsichtsräten salopp sagt, verkörpert super die sog. "Erdung", die ab sofort immer wichtiger wird.




Dieter Zetsche (RWE Power) trägt ein weißes Modell.




Manfred Bischoff (Daimler) mag es etwas dunkler - und er kann das tragen!




Auch Joe Kaeser (Daimler) lässt sich gelegentlich mit Schnauz blicken.




Herbert Hainer (FC Bayern München) hat ihn ebenfalls lange getragen.

3. Vergiss alle Moderegeln!



Die Gesetze der Modewelt, wie sie dir bisher möglicherweise Stütze und Ankerleine war, verlieren mit Eintritt in die Teppichetage ihre Relevanz. Hier gilt: Nichts muss, alles kann!




Geht absolut klar: Kürbiskrawatten (Joachim Faber, Deutsche Börse).





Ein Evergreen: Streifen zu Streifen, hier getragen von Michael Vassiliadis (BASF).

4. Das fiese Lachen



Eines muss dir ab sofort klar sein: Mit zurückhaltendem Lächeln machst du dir jetzt keine Freunde mehr.




Der Klassiker: Gerhard Schröder (Nord Stream AG) setzte den Trend schon in den Neunzigern.




Hat gut Lachen: Manfred Schneider (Linde, RWE). Hahaha!




Jep, das muss so ungefähr die Zielflughöhe sein.

5. Lässig stehen



Die Hand in der Hosentasche, das leicht angewinkelte Bein: Ein Aufsichtsrat muss Haltung beweisen. Und zwar immer eine betont lockere - auch du, Frau, wenn du mitspielen willst!




Leger in Weiß: Martin Winterkorn (Audi).





Gewagt, aber mit Stil durchgezogen: Dieter Zetsche (RWE) ohne Sakko und mit offenem obersten Knopf.





Ferdinand Piëch (Volkswagen) kombiniert die Hose im Baggy-Look mit einer Hand in der Tasche.

6. Gerne mal Grübeln!


Die Zeiten des stahlharten Mannes sind vorbei - sogar du als Frau darfst dich hin und wieder mal nachdenklich geben.




Jürgen Fitschen (Metro AG) zieht dabei den Mund zum Duckface - kein Must, aber kann man machen!




Sogar Joe Kaeser (Daimler) vertraut inzwischen auf die Mutter-Maria-Andachtspose. Trau auch du dich!


7. Das Merkel-Foto


Du bist ganz oben angekommen, da darfst du dich auch mal mit der anderen großen Frau da oben zeigen.




Klaus-Peter Müller (Commerzbank), rechts im Bild, zeigt hier den klassischen Stehgrinser.




Für Fortgeschrittene: Der Sitz mit spiegelverkehrtem Beinüberschlag, hier gezeigt von Werner Wenning (Bayer).




Gerhard Schröder toppt die Disziplin - und photobombt sein eigenes Merkel-Foto! Well played, Gerd!

Streichelkonzert

$
0
0

Das Cello ist eines der formschönsten Instrumente überhaupt, sein warmer Klang geht vom Ohr direkt ins Herz. Vorausgesetzt, es wird nicht von einem Anfänger traktiert, dann kann es sich leicht in ein Folter-Instrument verwandeln. Aber wer zum Beispiel Edward Elgars Cello-Konzert in e-Moll hört, gespielt von Sol Gabetta, der bekommt eine Ahnung davon, dass die Menschheit vielleicht doch nicht so schlecht sein kann, wie es immer heißt.




Apocalyptica fiedeln den Soundtrack zum nächsten "Angry Birds".

Was aber ist Schräges passiert, wenn Hardrock-Fans, Computerspieler und andere Nerds plötzlich auf Twitter und Facebook über Cello-Klänge fachsimpeln? Und sich erstaunlicherweise auch noch einig sind, dass dieses Streichinstrument „echt supergeil“ klingt? In einem Videoclip, der bei Youtube schon mehrere Hunderttausend Mal abgerufen wurde, sind drei langhaarige Musiker zu sehen, die ihre Cellos im Stil von Metallica traktieren, dazu flattern wütende bunte Vögel herum, die mit Schleudern auf Verstecke von Schweinen katapultiert werden.


„Apocalyptica erobern neue Gebiete!“ jubelt das Fachblatt Metal-Hammer, „sie steuern jetzt einen Song für ein Video-Spiel bei, das für diese Musikrichtung eher überraschend ist.“ Die Cello-Hardrockband hat die Musik für die neueste Ausgabe des Spiele-Hits „Angry Birds“ geschrieben. Was sich zunächst total bizarr anhört, passt beim genauen Hinhören bestens. Die Band kommt aus Finnland, das Spiel kommt aus Finnland, die neue Episode spielt in Finnland und heißt „On Finn Ice“ – eine finntastische Kombination.


Die erste Version von Angry Birds wurde 2009 veröffentlicht und hat seitdem viele Millionen Fans gefunden. Alle paar Monate bringt das finnische Entwicklerstudio Rovio Entertainment neue Varianten und Levels auf den Markt, es gibt Star Wars-Versionen, eine Serie von Autorennen, mehrere Weltraum-Episoden. Auch das Merchandising läuft wie von selbst. Die Vögel sind auf T-Shirts und Süßigkeiten zu sehen, sie sind Helden einer TV-Serie und sollen 2016 auch als Kinofilm groß herauskommen.


Zu den finnischen Federtieren passen Apocalyptica auch deshalb, weil sie ähnlich unkonventionell in der Unterhaltungsbranche unterwegs sind. Sie katapultierten sich selbst hinein. Die Cello-Schüler spielten vor 20 Jahren aus Spaß ein paar Metallica-Titel ein, mittlerweile füllen sie Hallen und planen eine US-Tournee. Sie treten regelmäßig beim Hardrock-Festival in Wacken auf, aber auch mit dem MDR-Sinfonieorchester zum Richard-Wagner-Festjahr. Sie arbeiteten unter anderem mit Nina Hagen zusammen, mit Franky Perez, dem Sänger von Slashs Solo-Band – und mit Rammstein-Sänger Till Lindemann, der auf einem Apocalyptica-Album David Bowies Titel „Helden“ schreit.


Musik in Videospielen ist als Gestaltungselement längst so wichtig wie in Spielfilmen. Hans Zimmer komponierte den Soundtrack zum Ballerspiel „Modern Warfare 2“, Angelo Badalamenti für „Fahrenheit“, Michael Giacchino, der für die Filmmusik von „Ratatouille“ einen Grammy erhielt und die Fernsehserie „Lost“ vertonte, schrieb auch die Musik für den Ego-Shooter „Call of Duty“. Gegen diese gewaltigen Sound-Cluster hören sich die Heavy-Metal-Cellos von Apocalyptica geradezu niedlich und ohrenstreichelnd an.

Mehr Marihuana wagen

$
0
0
Hubert Wimber ist 65 Jahre alt, Polizeipräsident von Münster und wurde jüngst vom Innenministerium in eine Arbeitsgruppe berufen, welche die Auswirkungen des demografischen Wandels für die Polizei untersuchen soll. Die Ergebnisse stehen noch aus, man kann aber jetzt schon sagen, dass sie nicht so viel Auswirkungen haben werden wie der demografische Wandel des Herrn Wimber. Der geht nämlich im Mai 2015 in Rente und wird dann gleich im Anschluss Gründungs-Präsident der deutschen Sektion von Law Enforcement against Prohibition (Leap), eines Vereins, in dem sich Richter, Staatsanwälte, Politiker und Polizisten für die Legalisierung von Marihuana einsetzen. In den USA hat die Organisation bereits 15000 Mitglieder und einen Anteil an der Legalisierung von Marihuana in Bundesstaaten wie Colorado und Oregon.

Eigentlich sollte die deutsche Sektion schon im Oktober in Berlin gegründet werden, eine Pressekonferenz wurde bereits einberufen. Aber Wimber musste kurzfristig absagen – wozu er selbst öffentlich allerdings keine Stellung nahm.




Macht der Polizei viel Arbeit: Cannabis und seine Konsumenten.

Sein oberster Dienstherr, das Düsseldorfer Innenministerium, teilte damals auf Anfrage mit, es gebe da ein „organisatorisches Problem“. Das klang so, als habe sich der Polizeipräsident mal eben im Terminkalender vertan. So sollte es wohl in der Öffentlichkeit ankommen. „Wir begrüßen, dass er von dieser Aufgabe Abstand genommen hat, aber ein Verbot wurde nicht ausgesprochen“, behauptete das Ministerium ein anderes Mal.


Es klang ziemlich seltsam, so als habe sich Wimber mit seinem Cannabis-Engagement einfach mal in der Tür geirrt. Dabei spricht sich der Polizeipräsident mit grünem Parteibuch seit Jahren dafür aus, Konsumenten mit geringen Mengen Marihuana nicht mehr weiter zu verfolgen.


Bisher müssen die Polizisten immer noch eine Strafanzeige stellen, die dann von der Staatsanwaltschaft meist eingestellt wird, in Nordrhein-Westfalen bei einer Menge bis zu zehn Gramm. Nach Berechnungen der Fraktion der Piraten im Landtag sind allein im bevölkerungsreichsten Bundesland 500 Beamte nur damit beschäftigt, Rauschgiftdelikte aufzunehmen, die in der Regel fallengelassen werden. Warum die Leute also nicht gleich laufen lassen, frage sich auch der Polizeipräsident. Solche Thesen hört man aber in der Landesregierung nicht gern, und verbot Wimber das Engagement im Verein, wie Innenminister Ralf Jäger (SPD) nun doch im Innenausschuss zugeben musste. Das gelte auch für alle übrigen „öffentlichen Handlungen und Erklärungen“ in dem Kontext, solange er Polizeipräsident und somit Repräsentant des Landes sei. Frank Tempel , drogenpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag und einer der Mitgründer von Leap, sprach von einem „politischen Maulkorb“, der die Gründung des Vereins nicht aufhalten werde. Unterstützung bekommt er von der Deutschen Polizeigewerkschaft: Deren Vorsitzender Rainer Wendt sagte dem Magazin Focus, „es wäre besser, den Konsum geringer Mengen von Cannabis nicht mehr verfolgen zu müssen – um sinnlose Bürokratie zu vermeiden.“ Die Polizei brauche aktuell in Zeiten knapper Kassen „mehr denn je die Kraft“, ihre Kernaufgaben zu erfüllen.

Mann gegen Muff

$
0
0
Anfangs sei er noch realistisch gewesen, sagt Robert Biedroń: „Ein Schwuler mit grünen Ideen. Wer soll mich in diesem katholischen Land wählen?“ Dann kam der erste Wahlgang der polnischen Kommunalwahlen. 20 Prozent der Stimmen in der 90000-Einwohner-Stadt Słupsk gingen an Biedroń. Am Sonntag wird er in der Stichwahl gegen Zbigniew Konwiński antreten, der in der ersten Runde auf 29Prozent kam. Biedroń könnte Polens erster schwuler Bürgermeister werden.



In diesem September zeichnete das Magazin Polityka Biedroń als Politiker des Jahres aus: „Für seinen Fleiß und seinen Einsatz.“

Wie ein Gewinner fühlt er sich schon jetzt. Als sich der Politiker 2002 outete, sagte Ewa Kopacz, damals Parlamentsabgeordnete und jetzt Premierministerin in Warschau, dass Biedroń sich durch seine Offenheit geschadet habe – und bezeichnete ihn als unwählbar. Doch Polen ist längst nicht mehr das europäische Rückhaltebecken der Erzkonservativen. 2011 zog Biedroń als erster offen schwuler Abgeordneter ins Parlament ein; gemeinsam mit der transsexuellen Aktivistin Anna Grodzka. In diesem September zeichnete das Magazin Polityka Biedroń als Politiker des Jahres aus: „Für seinen Fleiß und seinen Einsatz.“

Biedroń selbst beschreibt den Wandel in seinem Land am liebsten mit einer Anekdote aus seinem Wahlkampf, den er als Einzelkämpfer mit eigener Liste führte. Der 42-Jährige besuchte ein Fußballspiel der Regionalliga. Er lächelnd und grau meliert, die Fans pöbelnd und irritiert. „Schwuchtel!“, grölte der Rang. Nach der Wahl kam einer der Fans zu ihm. „Wir haben Sie gewählt“, sagt der Pöbler, „weil Sie Eier in der Hose haben.“

Seit er vor drei Jahren ins Parlament eingezogen ist, wurde der promovierte Politikwissenschaftler Biedroń viermal zusammengeschlagen – das letzte Mal im Sommer 2013 nach dem Christopher-Street-Day in Warschau. Eine Politikerin der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit des früheren Regierungschefs Jarosław Kaczyński, empfahl den Bürgern in Słupsk sogar, lieber gar nicht zu wählen, bevor sie ihre Stimme Biedroń geben, der „gegen die Kirche kämpft“. Der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, sieht die traditionelle Familie bedroht, weil das öffentliche Fernsehen Werbespots gegen Homophobie zeigt: „Das hat mit der Stärkung christlicher Werte nichts zu tun.“

Nun haben ausgerechnet die Bürger der nordpolnischen Provinzstadt Słupsk den prominentesten Vorkämpfer der Homosexuellenbewegung im Land unterstützt. Und so kann sich der Teil Polens zeigen, der hinter dem Getöse der Nationalkonservativen oft verschwindet. Für diejenigen Polen, die in einem liberalen Europa keine Bedrohung, sondern eine Chance sehen, ist Robert Biedroń ein Hoffnungsträger. Er ist Atheist, war Mitarbeiter des Europarats, referiert auf internationalen Konferenzen zu Schwulen- und Lesbenrechten. Ein Erfolgstyp.

Und genau diesen Erfolg verspricht er den Menschen in Słupsk. Er sehe sich „als Manager, der mit neuen Ideen von außen kommt“. Er will die Stadt zum Zentrum erneuerbarer Energien machen und aus dem Schatten des nahen Gdynia herausführen, gern mit europäischen Fördermitteln. Den Wahlkreis Słupsk hat sich Biedroń vor drei Jahren ausgesucht. Eine unterschätzte Stadt für einen anfangs unterschätzten Politiker.


Spitzel ohne Themen

$
0
0
Drüben zum Beispiel, in den anderen Räumen der Redaktion. Da arbeitet gerade eine Kollegin, die betroffen ist von der Entdeckung, dass die liebe linke Mitstreiterin Iris Schneider gar nicht die liebe linke Mitstreiterin Iris Schneider war, sondern die verdeckte Ermittlerin Iris P. von der Hamburger Polizei. Werner Pomrehn war kurz drüben, da hat er sie gefragt, ob sie dazukommen wolle zum Interview, um zu erzählen davon, wie sich das anfühlt, wenn man sich klarmachen muss, dass eine Person des Vertrauens in Wirklichkeit ein Spitzel war. Aber die Kollegin wollte nicht. „Das kam zu plötzlich.“ Pomrehn lächelt verständnisvoll.



Die Rote Flora in Hamburg, hier hat der Sender FSK seine Räume hat.

Es ist ein Abend im Alltag des Freien Sender Kombinats (FSK), des Radios der linken autonomen Szene rund um das Hamburger Subkultur- und Widerspruchszentrum Rote Flora. Die Redaktion ist in ihre Arbeit vertieft. Hinter Studiofenstern sitzen Leute mit Kopfhörern. Das Magazin „Musik aus China“ befindet sich gerade in der Aufnahme, und in einem der Büros setzen die Autoren die letzten Schnitte an einer Sendung der Reihe „Kaffeehausdilettant*n“ zum Thema Bewältigung der Nazi-Vergangenheit am Beispiel des Nachkriegsstreits zwischen dem Nazi-Propaganda-Regisseur Veit Harlan und dem Publizisten Erich Lüth. Alles ist wie immer. Und doch kann der Redakteur Pomrehn bestätigen, dass sich die Gedanken hier in diesen Tagen nicht nur ums Tagwerk drehen. Sondern auch um die verdeckte Ermittlerin P., welche die linke Szene nach langen Recherchen selbst enttarnt hat und die ein Politikum geworden ist.

Vergangene Woche antwortete der Hamburger Senat auf Kleine Anfragen der Bürgerschaftsfraktionen von Linken und Grünen zu dem Thema. Und zwar „viel zu ausweichend“, wie Antje Möller, die innenpolitische Sprecherin der Grünen, findet. Weitere Antworten stehen aus. Im Dezember befasst sich der Innenausschuss mit der Angelegenheit. Zu klären ist, ob der Staatsschutz mit seinen Ermittlungen gegen das durchaus militante Zentrum Rote Flora zu weit gegangen ist bei der Terrorismus-Vorsorge. Und das FSK spielt dabei eine besondere Rolle. Denn während ihres Einsatzes zwischen 2000 und 2006 schloss Iris P. nach Angaben der Flora-Aktivisten nicht nur Freundschaften, saß in Plenarsitzungen und hatte Liebesbeziehungen. Sie engagierte sich auch als Redaktionsmitglied des FSK-Programms „Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen“.

Im Raum steht also nicht nur die Frage, ob es moralisch vertretbar war, dass Iris P. in ihrer Rolle Liebesbeziehungen hatte. Sondern auch, ob die Polizei gegen die Pressefreiheit verstoßen hat. Im FSK haben sie deshalb jetzt in zweierlei Hinsicht mit der Aufarbeitung zu tun: Die Betroffenen müssen damit klarkommen, dass sie eine falsche Frau in ihr Herz geschlossen haben. Und sie sondieren ihre Rechte. „Wir sind dabei, mit unseren AnwältInnen alle rechtlichen Wege zu prüfen“, sagt Pomrehn. Es ist fast so, als wäre Iris Schneider nach acht Jahren wieder da. „Seit drei Wochen führe ich am Tag zwei, drei Gespräche zu dem Thema“, sagt Pomrehn, „man wacht morgens damit auf und schläft abends damit ein, weil einem ganz viel durch den Kopf geht zum Thema Vertrauen.

Vertrauen in den Staat gibt es bei den linken Autonomen im Grunde ohnehin nicht. Pomrehn sagt, er sei schon als 15-jähriger Jugendzentrums-Aktivist vom Verfassungsschutz bespitzelt worden. Er berichtet von Observationen und Polizeigewalt gegen Außenreporter, weil die Beamten bei Demonstrationen keinen Unterschied machten zwischen Protestierenden und Berichterstattern. Aber durch einen Einsatz wie den von Iris P. wird die Stimmung nicht versöhnlicher. Pomrehn sieht ihn als Symptom eines Rechtsrucks in der Hamburger Regierungspolitik, den der Wahlerfolg des rechtskonservativen Parteigründers Ronald Schill 2001 nach sich zog.

Tatsächlich ist der umstrittene Schill einer von fünf Innensenatoren gewesen, die während des sechsjährigen Einsatzes der verdeckten Ermittlerin P. im Amt waren. Gerade zu Zeiten, als Schills Partei Rechtsstaatlicher Offensive mit CDU und FDP die Senatskoalition bildete, gab es viele linke Proteste, über welche das FSK berichtete. Da ergibt es Sinn, dass Iris P. sich als Flora-Aktivistin nicht nur in der queer-feministischen Szene engagierte, sondern auch in dem journalistischen Projekt FSK. Sie nahm an Konferenzen teil. Sie war eingebunden in die Berichterstattung, etwa über die Räumung des Wagenplatzes Wendebecken durch die Polizei. Und sie gehörte auch zum Redaktionsteam, als der nicht angezeigte Mitschnitt eines Interviews mit der Polizeipressestelle die Polizei 2003 zu einer Razzia beim FSK veranlasste; das Bundesverfassungsgericht wertete die Durchsuchung Jahre später als Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit.

Wenn Werner Pomrehn von Iris P. erzählt und von dem Staat, der hinter ihr steht, klingt er nicht sehr zornig. In seine bedächtigen Reden verirrt sich manchmal ein spöttischer Unterton, aber im Grunde strahlt er die Aura eines gelassenen Zweiflers aus, der sich mit der Wirtschaftsgesellschaft nicht mehr anfreunden kann. Früher hat er sich seine ehrenamtliche Redakteursstelle im FSK durch einen Halbtagsjob finanziert. Heute ist er Rentner und betrachtet die Dinge durch die Brille seiner Erfahrung. Iris P. sieht er im Rückblick als eine Agentin, die ihre Rolle im FSK eher mäßig spielte. „Ich habe keine Erinnerung daran, dass sie eigene Themen hatte“, sagt er. „Es war immer das Gefühl da, es geht mehr um den Anschluss an die Gruppen.“

Wenn es stimmt, was die linke Szene sagt, gehörte es zum Prinzip der Ermittlerin P., sich Freunde zu machen und sich dann von diesen Freunden in andere Kreise einführen zu lassen. So kam sie auch ins FSK. Eines Tages wurde sie vorgestellt, und weil das FSK sich als Bürgerradio versteht, in dem im Grunde jeder mitmachen kann, hinterfragte sie zunächst niemand. Sie konnte widerstandslos eintauchen ins FSK-System der Meinungen und Themenerkundungen – was die Frage aufwirft, ob diese Offenheit sich nicht ändern muss nach der Erfahrung mit der falschen Iris. Werner Pomrehn findet: nein. „Damit würde ein Spitzelsystem ja eines seiner Ziele erreichen“, sagt er. „Zu den Zielen gehört, die Betroffenen dazu zu bringen, verschlossen zu werden, die Lebensfreude zu verlieren und nicht mehr mit Neugier auf andere Menschen zuzugehen.“ Die FSK-Leute brauchen ihre Offenheit, sonst können sie nicht mehr Journalisten sein.



Tagesblog - 27. November

$
0
0
9:50 Uhr: Die Nachrichten halten auch viel zum Erzürnen und Grübeln bereit:

Der Hungerstreik der Flüchtlinge am Münchner Sendlinger-Tor-Platz wurde beendet. Mit guten Worten und schon auch Gewalt.

In den USA schießen die Polizisten schneller als ihr Schatten.

Und dazu vielleicht ein kleines Think-Piece, ob, und wenn ja wie, Obama als erster schwarzer Präsident auch der Präsident der Schwarzen sein kann/will/muss.

Kalt ist es auch:





+++

9:11 Uhr:
Morgen. Das hat es gestern nicht mehr in den Tagesblog geschafft:

Die Internetseite Flüchtlinge Willkommen vermittelt Asylsuchenden WGs, die sie aufnehmen wollen. Charlotte hat mit dem noch sehr jungen Projekt geredet ...





... und ich bin, als ich's gelesen habe, sehr ins Grübeln gekommen: Könnte ich das? Mir fremde Menschen in meiner Wohnung aufnehmen? Um ehrlich zu sein: Ich fürchte nicht. Mich stört's schon, wenn zu oft Freunde die Couch blockieren. Aber ich will das gleich mal als Klein-Ticker hier weitergeben:

Könntest du? Und was würdest du tun, wenn du merkst: Holy Shit, wir verstehen uns überhaupt nicht? Haut mal rein und ich bin gleich wieder da.

Rassistische Missklänge

$
0
0
Weil er in einem neuen Lied Araber als „Abschaum“ beschimpft, hat ihm Präsident Reuven Rivlin höchstselbst den Stuhl vor die Tür gesetzt. Ein für Sonntag geplanter Auftritt Benayouns bei einer Zeremonie in der Präsidenten-Residenz wurde kurzerhand abgesagt. Nun diskutiert das Land darüber, was man sagen und singen darf in Zeiten des Terrors und was nicht.



Benayoun selbst, der in einem früheren Lied auch schon einmal US-Präsident Barack Obama als „Hussein aus Amerika“ verspottet hatte, zeigt keinerlei Anzeichen des Einlenkens.

„Ahmed liebt Israel“, lautet der Titel des Lieds, das Benayoun am Sonntag auf seiner Facebook-Seite präsentierte. Binnen weniger Stunden wurde es mehr als 100000 Mal angeklickt. Es geht darin um einen fiktiven arabischen Jugendlichen und seine mörderischen Pläne. „Heute bin ich gemäßigt und lächle, morgen werde ich in den Himmel fliegen und einen Juden oder zwei in die Hölle schicken“, heißt es. Den Anlass zu diesen Zeilen bot dem Sänger der blutige Anschlag auf eine Jerusalemer Synagoge – doch genau vor diesem Hintergrund wollte das Präsidentenamt die Wogen nicht noch höher schlagen lassen. „Benayoun ist ein anerkannter und außergewöhnlicher Künstler“, schreibt der Generaldirektor des Präsidialamts, „doch seine Aussagen helfen, gelinde gesagt, in dieser konflikt- und spannungsreichen Zeit nicht dabei, die Lage auf den Straßen zu beruhigen.“ Deshalb sei der Sänger nun „nicht mehr willkommen in der Präsidenten-Residenz“.

Präsident Rivlin, der sich seit seinem Amtsantritt im Sommer nach Kräften gegen den Rassismus in Israels Gesellschaft stemmt, löste mit dieser Ausladung eine stürmische Debatte aus. Seniorenminister Uri Orbach von der Siedlerpartei „Jüdisches Heim“, der zu den Veranstaltern der Zeremonie am Sonntag zählt, klagte lautstark über einen Anschlag auf Benayouns Redefreiheit. Aus Protest sagte er nun seine Teilnahme an der eigenen Party ab. Justizministerin Tzipi Livni dagegen lobte Rivlin für eine „mutige“ Entscheidung, und Abgeordnete der linken Meretz-Partei forderten, den Sänger wegen Volksverhetzung anzuklagen.

Benayoun selbst, der in einem früheren Lied auch schon einmal US-Präsident Barack Obama als „Hussein aus Amerika“ verspottet hatte, zeigt keinerlei Anzeichen des Einlenkens. In einem Interview des Armeeradios lehnte er eine Entschuldigung brüsk ab, auf seiner Facebook-Seite wird von einer „Hexenjagd“ gesprochen. Er wolle keinesfalls zur Gewalt aufrufen, aber er werde sich auch nicht den Mund verbieten lassen. „Amir“, so heißt es dort, „wird weiter über die Liebe zu seinem Land und für das freie und demokratische israelische Volk singen.“

Fahrgeschäft

$
0
0
Die Schicht als Chauffeur beginnt mit einem illegalen Wendemanöver. Es ist 21.09 Uhr am Samstagabend, meine ersten Fahrgäste warten auf der anderen Straßenseite. Ich muss irgendwo umdrehen. Darf ich hier zwar nicht, aber die Anfahrt hat länger gedauert als vorgesehen und ich bin ein ehrgeiziger Chauffeur. Ich fahre einen U-Turn über die durchgezogene Linie, ein Taxi heult hupend vorbei. Fängt ja gut an.
 
Rechts neben dem Lenkrad steckt ein Smartphone in einer Halterung, das mir das Ziel anzeigt: Auf der Uber-App ist der Stadtplan von München zu sehen, darauf ein schwarzes Auto und eine Figur. Da wo die Figur ist, muss ich hin. Aber eigentlich muss ich gar nichts. Laut dem Vertrag, den ich ein paar Tage vorher unterschrieben habe, bin ich ein normaler Autobesitzer "auf der Suche nach Mitfahrern". Die "Mitfahrer" dürfen mir eine "freiwillige Servicepauschale" zahlen, wenn ich sie mitnehme. Ist natürlich Unsinn, der Preis ist sehr genau festgelegt: 75 Cent pro Kilometer plus ein Euro Starttarif. Aber Juristen haben das so formuliert, damit das Geschäftsmodell von Uber deutschem Recht entspricht. Fragt sich nur: Kann sich das als Fahrer lohnen?



Sauberes Auto, gepflegte Kleidung: Uber achtet darauf, dass sich seine Fahrer zuvorkommend verhalten.

 
Meine ersten Gäste steigen vor dem Goldenen Hahn aus, ich melde die Fahrt mit einem Fingerwischen übers Display als beendet und vergebe eine Bewertung (fünf Sterne – nette Jungs, die mir mein Wendemanöver nicht krumm genommen haben). Bei Uber bewerten sich alle gegenseitig, also die Fahrer auch ihre Gäste. Ich bin wieder bereit. Zwei Minuten darauf piept das Handy. Der nächste Auftrag liegt auf dem Stadtplan ganz schön weit links. Es geht raus nach Moosach. Geschätzte Ankunftszeit laut App in neun Minuten. Klingt wie eine mittelschwere Mission bei GTA V.
 
Der Fahrgast in Moosach: ein 22-Jähriger mit Lederjacke und Lackstiefeletten und seine pelzbekragte Freundin. Reiseziel: P1.
 
Sie: "Ah. Mist, ich muss noch zur Bank."
 
Er: "Easy. Die Andern sind schon da, da wartet safe schon ein Flascherl auf uns."
 
Sie: "Wie die alten Pädos! Schön mit Flasche in der Ecke. Safe!"
 
Er: "Ich sag nur: Hinterzimmer, Shotgun!"
 
Das P1 hat sogar am Eingang zum Parkplatz einen Türsteher. Er beugt sich zum Fenster herab und sieht am Innenspiegel den Duftbaum mit dem Firmenlogo baumeln, den ich bei der Einweisung bekommen habe. "Uber, oder?" Er winkt mich durch, gütig lächelnd.
 
Überhaupt freuen sich alle, die mich heute sehen. Kein einziger Gast ist pampig oder unfreundlich, weder die Nüchternen noch die Besoffenen. Taxifahrer erzählen da ja ganz andere Dinge – von herrischen Fahrgästen, von unverschämten Lümmeln, die am Radio rumdrehen und am Ende Rabatt wollen, weil sich der Fahrer angeblich verfahren hätte. Die Freundlichkeit liegt wohl auch daran, dass mit mir heute jeder Geld spart. Und zwar richtig viel: In München kostet Uber im Schnitt halb so viel wie ein Taxi. In Berlin, Hamburg und Düsseldorf sogar noch weniger – dort darf die Firma nach Gerichtsurteilen nicht mehr verlangen als 35 Cent pro Kilometer. Das ist der Richtwert für Mitfahrgelegenheiten. Sind die Leute bei dem Preis noch freundlicher? Kaum vorzustellen.
 


Aufträge bekommt man über eine App.


Auch sonst klingt auf den ersten Blick alles dufte: Die Arbeit ist völlig selbstbestimmt, ich muss mich als Fahrer nach keinem Dienstplan richten, einfach über die App einloggen, sobald ich Zeit habe, schon schickt sie mich zum nächstliegenden Fahrgast. Dass Uber mit seinem Geschäftsmodell laut ADAC Sicherheitsrichtlinien unterläuft, weil die Fahrer weder eine ausreichende Versicherung, noch einen Personenbeförderungsschein brauchen? Interessiert von meinen Fahrgästen kaum jemanden.
 
Die Registrierung als Fahrer läuft so: Man meldet sich auf der Webseite an. Man lädt eine Kopie des Führerscheins und eine des Ausweises hoch. Dann noch einen Auszug des Registers in Flensburg (bitte nicht mehr als drei Punkte) und ein polizeiliches Führungszeugnis (bitte ohne Eintrag). Dann darf man zur Einführung.
 
Uber ist ein Start-up aus dem Silicon Valley, und genau so sieht das Büro in München auch aus. Riesenfenster, Riesenkühlschrank, Riesencouch. Zur Einweisung gibt es Schnittlauchbrezen und Limo. Der nette Mitarbeiter mit Uber-Käppi klappt den Laptop auf, klickt sich durch eine Powerpoint-Präsentation und erklärt die wichtigsten Regeln: Halte dein Auto sauber. Halte dich selbst sauber (trag möglichst ein Hemd). Biete den Kunden am besten Wasserflaschen an (kriegst du ganz billig im Supermarkt). Ruf die Kunden nur an, wenn du dich krass verspätest (nervt die Kunden sonst nur). Der nächste Punkt ist dem Mitarbeiter mit dem Käppi ein bisschen unangenehm, aber er steht halt nun mal auch da: Bei sexueller Belästigung eines Fahrgasts bist du sofort raus.

Klingt insgesamt machbar.

Mitternacht. Ich fahre Luis, um die 30, von seiner Wohnung in der Innenstadt in ein Holiday Inn in Sendling. Was will er da? Er riecht gut und wirkt ein bisschen nervös, hat er vielleicht ein Date? Ich würde gern fragen, aber ist das nach den rigiden Regeln vielleicht schon sexuelle Belästigung? Taxifahrer, die regelmäßig Menschen durch die Nacht fahren ohne neugierige Fragen zu stellen, müssen Selbstbeherrschungsmonster sein.
 
Luis erzählt, er sei oft in London und benutze Uber seit einem Jahr. In London sei Taxifahrer ein Beruf, für den man eine dreijährige Ausbildung braucht. "Und trotzdem finden die Fahrer ihren Weg nur mit Navi!" Für ihn ist Taxifahrer ein todgeweihter Beruf, "wie Reiseverkehrskaufmann", sagt er, "wer bucht denn heute noch einen Flug im Reisebüro?"
 
Kurzer Wirtschaftsgrundkurs: Uber hat ein "disruptives" Geschäftsmodell. Das heißt, man zerstört mit Innovationen alte Geschäftsmodelle. Und ist stolz darauf. Was Amazon mit dem Einzelhandel macht und Airbnb mit dem Hotelgewerbe, das macht Uber mit der Taxibranche: Es reißt mit Kampfpreisen Marktanteile an sich. Und wie auch Amazon und Airbnb ist es dabei irre erfolgreich: Es nutzt neue Technologien, um Kunden das gewünschte Produkt billiger anzubieten als jeder etablierte Konkurrent.

Alle teilen alles und brauchen weniger Ressourcen? Kritiker bezweifeln das.



Dass es dabei mühsam erkämpfte Normen der Branche (Mindestlöhne, Arbeitsschutz, Sozialabgaben) umgeht, merken die Kunden kaum. Sie sehen nur die tollen Preise und hören, wie die alte Branche jammert und sich beschwert wie ein Großvater, der nicht gemerkt hat, dass der Krieg vorbei ist. Im Sommer streikten Taxifahrer in ganz Europa gegen die Billigkonkurrenz – Uber bedankte sich für die Gratiswerbung und verkündete Nutzerzahlen, die um 700 Prozent gestiegen waren. Viele Kunden sind automatisch auf der Seite der Neuen, der vermeintlichen Underdogs mit den schön designten Websites und den schneidigen CEOs. Das macht den Kampf so ungleich.
 
Zurück auf der Straße. Zwischen ein und zwei Uhr nachts hält die Polizei überall Autos an. Die Sonnenstraße ist wie ein Riesenslalom zwischen stehenden Streifenwagen und Menschen, die in Röhrchen blasen. Eine weiße Stretchlimousine mit Fürstenfeldbrucker Kennzeichen und von innen beschlagenen Scheiben kreuzt zum dritten Mal meinen Weg. Der Fahrer guckt ausdruckslos. Das Pokerface der Nachtfahrer.
 
Am Isartor hole ich Emily ab, Anfang 30, kommt gerade von einem Abend bei Freunden. Sie kennt sich zufällig mit Dingen wie Uber aus, sogar ziemlich gut, denn ihre Firma investiert in Start-ups. Sie erzählt, wie Uber gerade den Nahverkehr in den USA auf den Kopf stellt. Ihre amerikanischen Freunde lassen neuerdings ihr Auto zu Hause stehen, um mit Uber zu fahren. Ist billiger als Benzin plus Parkgebühren.
 


Unser Autor am Anfang der Nachtschicht. Insgesamt fährt er 170 Kilometer durch München.


Das ist der große Vorteil der Share Economy, der ja auch die Idee von Airbnb so schön klingen lässt: Alle teilen alles, ob Autos oder Wohnungen. So brauchen alle am Ende weniger Ressourcen. Klingt verdammt gut. Aber Kritiker sagen, dass dadurch Wohnraum oder Mobilität nicht mehr für alle zugänglich ist.
 
Emily sagt, sie ist heute nicht mit der Tram gefahren, weil sie da zehn Minuten in der Kälte hätte warten müssen. Das Uber-Taxi war in drei Minuten da. "Schon lustig", sagt sie und guckt aus dem Fenster, "dachten wir nicht alle mal, dass wir so umweltfreundlich sind?"
 
Fast jeder in dieser Nacht erzählt von sich aus über sein Verhältnis zu Uber. Und jeder hat eine persönliche Geschichte.
 
Zum Beispiel Caitlin, Ende 20. Schauspielerin aus Chicago, für ein amerikanisches Weihnachtsstück in Deutschland unterwegs. Wenn sie daheim wenig Auftritte hat, fährt sie selbst Taxi, sagt sie. Aber nicht für Uber, sondern dessen amerikanischen Konkurrenten Lyft. Gleiches Geschäftsmodell, "aber du musst kein so schickes Auto haben". Sie sagt, sie komme damit – und mit Babysitten – ganz okay über die Runden.

Niemand gibt einem Uber-Fahrer Trinkgeld. Außer Leute aus Moosach. 


 
Dann steigen Benno, Anfang 40, und zwei leicht lallende Frauen ein. Vom Sendlinger Tor heim nach Moosach, bitte. Es ist drei Uhr, inzwischen sind acht von zehn Autos auf der Sonnenstraße Taxis. Auch Bennos Vater ist Taxifahrer, in Pasing. Und da fährt er mit der bösen Konkurrenz? "Is’ halt saubillig", sagt Benno und lacht. "Lang gibt’s euch ja eh nicht mehr! Und keine Sorge, die Taxler wehren sich schon."
 
Zumindest mit Letzterem hat er recht: Das Landgericht Frankfurt hat kürzlich zwei Uber-Fahrern verboten, Fahrgäste mitzunehmen. Taxiunternehmer waren inkognito mitgefahren und hatten die Fahrer angezeigt. Wenn sie noch mal erwischt werden, droht ihnen ein Ordnungsgeld von je 250 000 Euro. Die Taxiunternehmer hoffen, dass solche Urteile andere Fahrer abschrecken. Dass Uber seinen Fahrern die Strafe erstattet, ist unwahrscheinlich: Im Vertrag verpflichtet sich jeder Fahrer, das Unternehmen "für alle Ansprüche (. . .) zu entschädigen". Egal ob für einen Unfall oder eine Geldbuße. Uber sieht sich als neutraler Vermittler.
 
Es ist kurz vor vier, ich fahre noch ein Pärchen nach Hause und lerne: Niemand gibt einem Uber-Fahrer Trinkgeld. Außer Leute aus Moosach. Benno vorhin fünf, das Paar jetzt zwei Euro. Ich bin gut gelaunt und die Straßen sind so frei, als wäre München heimlich evakuiert worden. Also fahre ich noch einen allerletzten Auftrag. Ella, Anfang 20, will aus dem Crown’s Club nach Hause zum Hohenzollernplatz. "Hast du Durst?", fragt sie und holt zwei Dosen aus ihrer Handtasche. "Der Bellini ist für mich, der Hugo für dich." Ich denke kurz an die 250 000 Euro, auf die mich heute glücklicherweise niemand verklagt hat. Dann stoßen wir an und ich steuere einhändig die leere Leopoldstraße hinauf.
 
Epilog: Am Montag kommt dann die Abrechnung. 13 Fahrten in sieben Stunden. Umsatz: 95,30 Euro. Davon behält Uber 22,90 Euro für die Vermittlung. Bleiben mir gut 72 Euro. Nicht schlecht, findet der nette Uber-Mitarbeiter, der mich eingewiesen hat. Aber offenbar denkt er, dass mein Auto nichts kostet. Wie viel es tatsächlich ist, das listet der ADAC in einer Datenbank sehr detailliert auf.
 
Mein VW Touran, Baujahr 2011, kostet mit Benzin, Betriebskosten und Wertverlust 53 Cent pro gefahrenen Kilometer – wenn ich ihn, wie der durchschnittliche Deutsche, nach vier Jahren weiterverkaufe. Mit allen An- und Rückfahrten bin ich 170 Kilometer gefahren. Macht laut ADAC 90 Euro Ausgaben. Mit Uber verdiene ich aber logischerweise nur, wenn ein Fahrgast im Auto sitzt – in meiner Schicht auf 75 Kilometern. Ich habe also, selbst wenn ich das Trinkgeld noch miteinrechne, für sieben Stunden Arbeit elf Euro draufgezahlt. Wenigstens war der Hugo umsonst.

Wenn München eine Songzeile wäre, dann ...

$
0
0
Vergleiche sind wichtig. Durch Vergleiche merken wir, wer wir sind und wo wir stehen. Das gilt auch für Städte. Deshalb bitten wir zu passenden Anlässen wie Festivals Menschen, unsere Stadt mit etwas zu vergleichen, mit dem sie sich gut auskennen. Anlass diesmal: das Puls-Festival. Am Samstag, 29. November, kommen vom Münchner Digitalsender sehr sorgsam kuratierte Bands wie Bonaparte, Trümmer, Shawn The Savage Kid oder Adulescens. Das Festival ist ausverkauft. Wer keine Karten hat, kann das Ganze aber im Radio, Fernsehen oder im Live-Stream auf sz.de verfolgen. Oder weiterlesen und Karten gewinnen. Diesmal haben wir Künstler, die auf dem Puls-Festival spielen, gefragt:




 

Wenn München eine Songzeile wäre, dann . . .



. . . würde jede andere Zeile des Songs versuchen, zu widersprechen. (Blackout Problem)
 
. . . wäre es schwierig mir einen Reim darauf zu machen. (Shawn The Savage Kid)
 
„Wo wir sind ist immer Libertatia!“ (Ja, Panik)
 
. . . wäre sie in tiefstem Isarpreußisch geschrieben. (BBou)
 
. . . hätte sie Blumentopf geschrieben. (Adulescens)
 
„Well, I went to the party and started to dance all night – I’ve got to dance, dance, dance.“ (Trümmer)
 
Und was sagst du? Schreib uns eine Mail an muenchen@jetzt.de (Betreff Puls) und komplettiere den Satz „Wenn München eine Songzeile wäre, dann . . .“! Für die zwei besten Zeilen gibt es je zwei Gästelistenplätze. Wenn ihr gewonnen habt, geben wir euch bis Freitag, 15 Uhr, bescheid.
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live




Latest Images