Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live

Wochenvorschau: So wird die KW 48

$
0
0
Wichtigster Tag der Woche?
Donnerstag. Da hat nämlich meine Mutter Geburtstag und Müttergeburtstage stehen natürlich ganz, ganz weit oben auf der Liste der wichtigen Tage. Oh: Und am Sonntag ist 1. Advent. Ich erwähne es mal, falls das irgendwem wichtig ist (mir nicht).

Kulturelles Highlight?
In München ist Literaturfest und es gibt viel Programm. Wie jedes Jahr ist im Gasteig Bücherschau, da kann man einfach hingehen und durchschlendern. Vielleicht gehe ich auch zur Lesung von Judith Hermann ins Literaturhaus. Und zwei schöne Sachen gibt es dann erst in KW 49, ich schreib sie trotzdem mit hier rein, weil ich rebellisch bin: eine Lesung von John Burnside und der Markt der unabhängigen Verlage im Literaturhaus.

Soundtrack?
Freitag wollte ich eigentlich zum „Wanda“-Konzert, aber aus irgendeinem Grund hat das mit der Kartenreservierung nicht geklappt, sodass wir einfach wieder gehen mussten. Doch weil man nicht grollen soll, habe ich mir vorgenommen, trotzdem die ganze Woche in „Amore“-Stimmung zu sein:

http://www.youtube.com/watch?v=xREl_68O-mw

Ja, das ist der Wanda-Superhit. Mein Lieblingslied ist aber dieses:

Wanda – Luzia

Albumneuveröffentlichung der Woche? „Russisch Roulette“ von Haftbefehl. Ich habe als braves Mädchen vom Lande ja so eine doof-kokette Schwäche für fiesen Gangter-Rap. Manchmal macht mich das einfach glücklich, ohne überhaupt irgendwas davon zu verstehen. Ich lass dann mal die Affen aus dem Zoo.

http://www.youtube.com/watch?v=XpIvxJF0nWg

Kinogang?
Ich möchte ja gerne noch „Mommy“ sehen, weil ich von dem schon so viel gehört habe, das von „großartig“ bis „überbewertet“ reicht.  

Außerdem laufen zwei spannende Dokumentarfilme an.„Reich werden im Irak“ begleitet eine Reiseunternehmerin bei ihren Investitionen im Irak und erzählt von einem Land nach dem Krieg und auf dem Weg in den Kapitalismus.  

Und „The Green Prince“ ist ein Film über Mosab Hassan Yousef, Sohnes eines Hamas-Mitbegründers, der die Seiten gewechselt und für den israelischen Geheimdienst gearbeitet hat.

http://www.youtube.com/watch?v=FclTE28oI3Y

Wochenlektüre
Ich lese gerade „Sing mir ein Lied“, das Tagebuch eines Roadtrips quer durch die USA. Das Buch ist vor allem sehr schön, weil es einen Leineneinband hat und die Autorin Astrid Rosenfeld gemeinsam mit einem Fotografen unterwegs war, dessen Fotos den Text illustrieren.
Wenn ich durch bin, will ich endlich „Es bringen“ von Verena Güntner lesen, weil das ja das neue „Tschick“ ist. Und zwischendurch muss ich dringend noch ein bisschen in „Women in Clothes“ blättern, diesem tollen, dicken, wunderschönen Buch über Frauen und Kleidung und was sie damit machen und was sie mit ihnen macht. Eine der Herausgeberinnen ist die ja sowieso ganz erstaunliche Leanne Shapton.  
So, das habe ich mir jetzt alles vorgenommen und was schaffe ich dann am Ende davon? Nix wahrscheinlich! 


Geht gut diese Woche:
Sich freuen, dass der (nach Februar) gesichtsloseste Monat des Jahres bald vorbei ist. Der November kann einfach nichts (außer Nebel).

Keine Chance hat diese Woche: 
Ein Weihnachtsmarktbesuch.

Tagesblog - 24. November 2014

$
0
0
05:06 Uhr: Was sagt man um diese Uhrzeit? "Guten Morgen"? "Gute Nacht"? Oder kann man eine gute Nacht nur wünschen, wenn man sich verabschiedet? Ist ja auch egal, jetzt ist nicht die Zeit für philosophische Diskussionen über Begrüßungs- bzw. Verabschiedungsfloskeln.

Ich begrüße euch jedenfalls zu einer neuen Ausgabe des Tagesblogs - und habe gleich ein wichtiges Anliegen. Ich brauche euch. Oder besser gesagt: eure Daumen. Die müsstet ihr heute nämlich mal ganz kräftig drücken. Weil: Chris im Urlaub, Charlotte frei, Jan, Christina und Mercedes am Montag eh nie da, ergo: wenig Menschen, viel Arbeit.

Ich habe das unangenehme Gefühl, dass heute ein ziemlich stressiger Tag wird.

[plugin imagelink link="http://i.giphy.com/jkFGHT7XLzpg4.gif" imagesrc="http://i.giphy.com/jkFGHT7XLzpg4.gif"]

Und dass wir relativ oft so vor dem Computer sitzen werden:

[plugin imagelink link="http://i.giphy.com/OI2Gj5sOgPfBC.gif" imagesrc="http://i.giphy.com/OI2Gj5sOgPfBC.gif"]

Oder so:

[plugin imagelink link="http://i.giphy.com/4ytUZzb1pRPBS.gif" imagesrc="http://i.giphy.com/4ytUZzb1pRPBS.gif"]

Und damit das nicht passiert:

[plugin imagelink link="http://www.reactiongifs.com/r/2012/11/fingers-crossed.gif" imagesrc="http://www.reactiongifs.com/r/2012/11/fingers-crossed.gif"] 

Dankeschööön!

[plugin imagelink link="http://www.reactiongifs.com/r/2012/06/rdj_thanks.gif" imagesrc="http://www.reactiongifs.com/r/2012/06/rdj_thanks.gif"] 

Gabriels stille Reserve

$
0
0
Bei klarem Wetter reicht der Blick von der Sophienhöhe bis nach Köln. Davor liegen die Äcker der fruchtbaren Jülicher Börde, hier und da stehen die monströsen Gerüste der Braunkohlebagger in Löchern so groß wie Seen. Und in der Ferne, wohin man auch schaut, die Wolkenfabriken: Niederaußem, Neurath, Frimmersdorf, Weisweiler. Einige der ältesten und einige der klimaschädlichsten Braunkohlekraftwerke der Republik – von der Sophienhöhe, einer Abraumhalde bei Aachen, hat man sie im Blick. Alle gehören dem Stromkonzern RWE. Alle sind Teil des Problems.



Wenn es nach Witschaftsminister Gabriel geht, sollen Kohlekraftwerke CO2-Emissionen einsparen.

Dieses Problem ist, je nach Sichtweise, mal 22 und mal 55 Millionen Tonnen Kohlendioxid groß. So viel sollen die Kraftwerke dazu beitragen, bis zum Jahr 2020 das deutsche Klimaziel zu erreichen. Schon jetzt ist klar: Ohne Einschnitte bei der Kohle wird das nichts. Im besten Fall landet Deutschland dann bei 35 Prozent, im schlechteren bei 32 Prozent weniger CO₂. Der Regierungsplan aber fordert minus 40Prozent bis 2020. Je nach Lücke müsste die Kohle mal mehr, mal weniger bringen.


Für diesen Montagnachmittag hat deshalb Sigmar Gabriel die Bosse der größten deutschen Stromkonzerne zu sich bestellt, per telefonischer Einladung. Der Wirtschaftsminister von der SPD will ihnen eine Idee erläutern, mit der es den ersten Kohlekraftwerken an den Kragen gehen könnte – auch solchen in Sichtweite der Sophienhöhe. Es ist ein raffinierter Plan, der die Verantwortung auf die Stromkonzerne abwälzt, dies aber per Gesetz. Gabriel versucht es, wie schon bei der Novelle des Ökostrom-Gesetzes im Januar, mit einer Überrumpelungstaktik. Bis nächste Woche Mittwoch soll der Kohleplan stehen.


Insgesamt 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid sollen die Kraftwerke nach Gabriels Plan bis 2020 einsparen, fein säuberlich verteilt auf fünf Jahre. Macht jeweils 4,4Millionen Tonnen Kohlendioxid zusätzlich für jedes Jahr zwischen 2016 und 2020. „Die Kraftwerksbetreiber können frei entscheiden, wie sie die ihnen auferlegten Minderungsbeiträge dauerhaft erbringen“, heißt es in einem Papier, das Gabriels Leute für das Treffen am Montag vorbereitet haben. Sprich: Sie können frei wählen, ob sie dafür Kraftwerke abschalten oder einfach nur drosseln. Hauptsache, am Ende haben die Unternehmen 22 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespart. „Damit wird ihnen ein Maximum an Flexibilität gewährt“, heißt es in dem Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Nur zum Vergleich: Allein die Kraftwerke rund um die Sophienhöhe stoßen im Jahr um die 80 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus.


Der Plan ist noch nicht einmal eine Kehrtwende für Sigmar Gabriel. Der SPD-Chef hatte sich zuletzt mit Verve für die Kohle eingesetzt, aber immer diverse Hintertürchen offengelassen. Zwar hatte er gewarnt, nicht gleichzeitig aus Kohle- und Atomkraftwerken auszusteigen – aber das stand nie ernsthaft zur Debatte. Und natürlich ist es auch nicht Gegenstand des Planes, den er diesen Montag präsentieren will. Auch hatte Gabriel kategorisch ausgeschlossen, Kraftwerke per Gesetz abzuschalten. Der Plan sieht das auch nicht vor, wenngleich die „freie Entscheidung“ der Konzerne genau darauf hinauslaufen dürfte. Womöglich sogar mit Rückendeckung der Kohlegewerkschaft IG BCE.


Denn zu dem Plan gehört auch eine Spezial-Perspektive für abgeschaltete Kohleblöcke – als stille Reserve des deutschen Kraftwerksparks. Genau so eine Reserve schwebt nämlich Gabriels Leuten vor; für Zeiten, in denen Ökostrom und vorhandene Kraftwerke den Bedarf nicht überall decken können. Diese Reserve solle „erst nach Abschluss aller Marktgeschäfte eingesetzt“ werden, heißt es in Papieren aus dem Ministerium. Vorgehalten würde sie von den Netzbetreibern, finanziert von den Stromkunden. Die Belegschaften der betreffenden Kraftwerke hätten so noch einen Job, denn die Kessel müssen jederzeit einsatzbereit sein. Die Bundesregierung wolle dafür sorgen, dass „die Versorgung mit fossilen Kraftwerken gesichert bleibt“, heißt es in dem Papier, und dass „der Strukturwandel sozialverträglich gestaltet wird“. Außer dem Rheinland hängt vor allem die Lausitz an der Braunkohle.


Eigentlich hätte den Strukturwandel schon Europas Emissionshandel einläuten sollen. Seit 2005 deckelt er die klimaschädlichen Ausstöße der Kraftwerke. Die künstliche Knappheit sollte dafür sorgen, dass die Emissionen einen Preis bekommen: Die besonders klimaschädliche Braunkohle wäre dadurch teurer geworden, das sauberere Gas hingegen wettbewerbsfähiger. Doch die Knappheit blieb Theorie, in Wahrheit verdirbt ein massiver Überschuss die Preise. Frühestens im nächsten Jahrzehnt wird er schwinden. So ist der Aufpreis für die Kohle lachhaft gering und ohne jede Wirkung. Die Braunkohle boomt, rund um die Sophienhöhe dampfen die Schlote.


Gabriel will die Klima-Emissionen jetzt auch zur Grundlage des 22-Millionen-Tonnen-Plans machen. Denn die zwangsweise Einsparung soll sich, anders als frühere Vorschläge, nicht mehr an Alter und CO₂-Bilanz der Kraftwerke orientieren, sondern „auf fossile Kraftwerke gleichmäßig verteilt“ werden. Damit werden zwar auf Braunkohle-Konzerne wie RWE und Vattenfall die stärksten Einschnitte zukommen. Aber auch Unternehmen wie Eon, EnBW und manches größere Stadtwerk müssen Kraftwerke drosseln – eine Vorstellung, die einigen nicht recht behagt. Das Treffen, über das zuerst der Spiegel berichtet hatte, dürfte damit zum munteren Verteilungskampf zwischen den Konzernen werden. Keiner von ihnen wollte sich dazu vor dem Gespräch äußern.


Ohnehin bleibt die Frage, ob 22 Millionen Tonnen genug sind – schließlich liegen der Zahl die optimistischsten Annahmen für den Klimaschutz zugrunde. Die Grünen-Umweltpolitikerin Bärbel Höhn wittert schon ein „peinliches Ablenkungsmanöver“. Die Umweltorganisation BUND dagegen sieht einen ersten Schritt „zum Einstieg in den Ausstieg“ aus der Kohle. Nur reichten Gabriels 22 Millionen Tonnen leider noch nicht, sagt BUND-Chef Hubert Weiger. „Da geht mehr.“

Auf den Punkt bringen

$
0
0
Es gibt Dinge, die kennt man aus Unternehmen, aus Wahlanalysen und vielleicht noch aus dem Sport. Aber sicher nicht aus dem Leben von Studenten. Dinge wie Leistungsbilanzen, Studienfortschrittsanzeigen, Prozentsäulen für Noten, nationale Erfolgsrankings, Zielvorgaben für das Semester. Und eine Antwort auf die bohrende Frage: Bin ich eigentlich gut oder doch nur Durchschnitt?



50 Prozent der Nutzer von Gradeview kommen aus Fächern wie Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften, weitere 30 Prozent sind Wirtschaftsstudenten.

Gradeview heißt das Programm, das diese Antwort liefern soll, zu Deutsch: Notenübersicht. Gradeview ist eine kostenlose Internetanwendung aus Passau. Jeder Student kann auf gradeview.de oder der passenden App seine Noten verwalten, das Studium planen und sich anonym vergleichen. Das geht mit Noten und Credit Points, aber auch mit dem Abitur, Praktika und Auslandsaufenthalten. 24000 Menschen nutzen schon die Anwendung, 4000 kommen jeden Monat dazu. Offenbar trifft Gradeview einen Nerv. „Wir wissen, was Studenten brauchen“, sagt Max Weber, „wir haben ja gerade selbst noch studiert.“ Weber ist 24 und der Erfinder von Gradeview. Die Idee kam ihm vor zwei Jahren. Damals studierte er Betriebswirtschaft in Passau. Wenn Weber laufen ging, zeichnete sein Smartphone das Höhenprofil auf. Auch für seine Aufgabenlisten hatte er eine App. Er organisierte und vermaß so ziemlich alles, was man mit Programmen organisieren und vermessen kann. Nur für seine Noten fand Weber kein Programm.

Ihn quälte die Frage eines jeden leistungsorientierten Studenten: Welche Note hat der andere? „Das ist in der Grundschule schon so, und das hat sich bis ins Studium nicht geändert“, sagt Weber. Anfang 2013 schalteten er und sein Freund Jonas Menk, 25, Gradeview frei. Nutzer erhalten sogar Angebote für Jobs und Praktika, die zu ihnen passen sollen. Dafür zahlen die Unternehmen, für Studenten ist der Dienst kostenlos – darauf setzt das Geschäftsmodell. 350 000 Noten haben die Gradeview-Nutzer schon eingetragen. Aber mal ehrlich: Will man wirklich den ständigen Vergleich?


Offenbar schon, glaubt man der Programmauswertung. Die meisten Studenten nutzen die Möglichkeit. 50 Prozent der Nutzer kommen aus Fächern wie Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften, weitere 30 Prozent sind Wirtschaftsstudenten, alles Studenten aus Fächern also, wo Zahlen die große Rolle spielen. Eine Analyse des Wissenschaftsrats aus dem Jahr 2012 ergab: Wie gut ein Uni-Abschluss ausfällt, hängt nicht nur ab von der Leistung, sondern auch vom Fach und dem Standort der Universität. So gesehen, könnte Gradeview auch irgendwann für die Transparenz von Uni-Noten sorgen. Aber es gibt auch Kritiker unter den Studenten: „So ein Vergleich“, sagt einer, „der stresst.“ Oder nennt man das dann Anreiz?


Eine Sache muss man Gradeview auf jeden Fall lassen. Die Oberfläche wirkt hoch professionell, wie der Jahresbericht einer studentischen Ich-AG: Prozentsäulen leuchten, das Durcheinander des Studiums fügt sich plötzlich in eine Ordnung, in nüchterne Tabellen und Zahlen mit zwei Stellen hinter dem Komma. Über Begriffe wie Charakter und Bildung, darüber sagt das Computerprogramm natürlich nichts. Wen allerdings das Höhenprofil seiner Laufstrecke fasziniert, der wird auch Gradeview mögen.

Immer im Dienst

$
0
0
Kaum sind sechzehn Jahre vergangen, kann auch Bild einer sich die Augen reibenden Weltöffentlichkeit melden, was Erich Schmidt-Eenboom bereits 1998 in seinem Buch „Undercover. Der BND und die deutschen Journalisten“ bekannt gemacht hat: dass ein gewisser Dr. Horst Mahnke unter dem Decknamen „Klostermann“ für den Bundesnachrichtendienst spionierte.



Sieben Spitzel sollen in der Vergangenheit bei Springer für den BND spioniert haben.

Als Auslandsaufklärung darf der BND nicht im Inland spionieren, doch das eigentliche Sakrileg scheint nach der Bild-Geschichte vom Samstag darin zu bestehen, dass Axel Springer ausgespäht wurde. Anders jedoch als die Bild-Rechercheure behaupten, taucht Mahnkes Name nicht erst 1958 in den Akten auf, sondern mindestens sieben Jahre früher. Erfreut wird am 22.März 1951 bei der Organisation Gehlen, aus der 1956 der BND wurde, in einer Notiz festgehalten: „Wir stehen seit geraumer Zeit mit Dr. Mahnke in angenehmer Zusammenarbeit.“ Die war nicht nur angenehm, sondern nützlich. Gehlens „Org.“ verfügte über genügend ehemalige SS-Leute, um alte Kameraden anzusprechen.

SS-Hauptsturmführer Mahnke, Assistent des „Gegnerforschers“ Franz Alfred Six und 1941 mit dabei im „Vorkommando Moskau“, das Bolschewisten erschießen sollte, wurde 1945 drei Jahre interniert und von den Engländern so schlimm verprügelt, dass er mit einer Geldstrafe von 400 Mark davonkam. Für die Amerikaner blieb er „ein intelligenter und fanatischer Nazi. Sollte er einmal wieder freigelassen werden, ist er eine Gefahr für die politische Entwicklung in Deutschland.“ Für den vor Kurzem verstorbenen Hans Detlev Becker, lange leitender Redakteur und Geschäftsführer beim Spiegel, galt aber der Grundsatz: „Entnazifiziert war entnazifiziert.“ Mahnke wurde Ressortleiter.


Ob Mahnke tatsächlich entnazifiziert war, ist gar nicht so sicher. Seine eigenen und die von ihm seit 1950 inspirierten Spiegel-Artikel arbeiten mit üblen antisemitischen Klischees, und auch später kategorisiert er Kollegen gern als „Halbjuden“. Mahnke wählt NPD. Beim BND rühmt man seine „vaterländische Gesinnung“, in der er mit Axel Springer übereinstimmte. Nach langem Zögern wechselte Mahnke 1960 vom Spiegel zum Springer-Verlag.


So erfreulich die Bild-Recherche ist, so peinlich wird die Personalie durch ein Dokument, das bild.de in diesem Zusammenhang veröffentlicht. Mahnke, so weiß es ein weiterer Informant, wolle „seinen Übertritt zum Springer-Verlag davon abhängig machen, dass er von Springer eine verbindliche Erklärung des Inhalts erhält, dass Springer ihn auf jeden Fall decken und halten wird, falls auch gegen ihn wegen seiner politischen Vergangenheit von irgendeiner Seite Bedenken geäußert werden“. Das „auch“ bezieht sich auf Paul Karl Schmidt, über den die Frankfurter Rundschau ein belastendes Dokument gebracht hatte. Schmidt, SS-Obersturmbannführer, hatte 1944 empfohlen, Anschlagspläne zu fingieren, um damit die Deportation der ungarischen Juden zu rechtfertigen.


Rainer Laabs, Leiter des Unternehmensarchivs bei Springer, weiß laut Bild von keinem solchen „Persilschein“, aber die schützende Hand gab es zweifellos. Mahnke wurde einer der engsten Berater Springers und zog sogar, wie sich der Historiker Hans-Peter Schwarz in einer dem Verleger sehr gewogenen Biografie ausdrückt, „eine Art Spionageapparat“ auf, mit dem er wie in alten Zeiten Freund und Feind ausspähte. Dass er als „Klostermann“ auch über Interna des Hauses an den BND berichtete, war dabei fast unvermeidlich. Erst 1968, als Mahnkes Vorleben diskutiert wurde, empfahl Springers Vertrauter Ernst Cramer, den vielseitigen Kollegen „aus der Schusslinie zu nehmen“. Mahnke wurde Hauptgeschäftsführer des Verbandes deutscher Zeitungsverleger und berichtete munter weiter an den BND. 1985 ist er gestorben.


Jedenfalls wäre es an der Zeit, die fromme Legende zu überprüfen, wonach Axel Springer zeitlebens nichts mehr bedrückt habe als der deutsche Judenmord. Das hinderte ihn nicht daran, wie der Spiegel, wie der Stern, auf rechte Kräfte zu bauen; SS kein Beschäftigungshindernis. Die Weltkriegs-Serien des erwähnten Paul Karl Schmidt, in der Springer-Illustrierten Kristall unter dem Kampfnamen Paul Carell veröffentlicht, kreierten die saubere Wehrmacht und brachten ebenso sauberes Geld ins Haus. Geschichte schrieb auch Mahnke. Drei Tage nach dem Mauerbau notierte er für seinen Chef Springer: „Wenn sich das deutsche Volk 1933 und 1945 einer Diktatur unterwarf und damit historische Schuld auf sich geladen hat, dann ist diese Schuld durch den 17. Juni und den 13. August gesühnt.“ So geht Entnazifizierung.


Oder so, wie sie Paul Carell alias Dr.Schmidt betrieb. Bis zu seinem Tod 1997 führte der „Sicherheitschef“ Springers Besuchern ein Foto vor, das ihn in Silber gefasst mit Adolf Hitler zeigte.


Noch sechs andere Quellen sollen bei Springer für den BND gesprudelt haben. 1969 ließ sich der famose Schmidt-Carell, ein regelmäßiger Besucher beim BND in Pullach, wegen seiner „sehr guten Informationslinien in den Springer-Konzern hinein“ selber als Informant empfehlen, Deckname SCHAPER.



Neuer Krach um die Frauenquote

$
0
0
In der Koalition verschärft sich der Konflikt um die gesetzliche Frauenquote. Die Union fordert weitere, teils substanzielle Änderungen an den Plänen. Zur Debatte steht nicht nur, ob die im Koalitionsvertrag vereinbarte feste Quote für 108 Großunternehmen aufgeweicht wird. Auf der Kippe steht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auch das Gebot, wonach 3500 mittelgroße Unternehmen einen Frauenanteil von 30Prozent in Führungsetagen nicht unterschreiten dürfen, wenn sie ihn einmal erreicht haben.



Streitthema Frauenquote: die CSU möchte Ausnahmen für Unternehmen durchsetzen.

Am Dienstag beschäftigt das Thema den Koalitionsausschuss. Kanzlerin Angela Merkel, die sich für die Quote ausgesprochen hat, will zuvor mit SPD-Chef Sigmar Gabriel, Familienministerin Manuela Schwesig und Justizminister Heiko Maas (beide SPD) Kompromisse ausloten.


Das Gleichstellungsgesetz, das schon in fünfter Fassung vorliegt und am 11. Dezember ins Kabinett soll, wird vor allem von der CSU bekämpft. Es sieht vor, Frauen mehr Einfluss in Unternehmen und im öffentlichen Dienst zu sichern. Für börsennotierte und mitbestimmungspflichtige Großunternehmen soll von 2016 an eine feste Frauenquote von 30 Prozent im Aufsichtsrat gelten. Ausnahmen sieht der Gesetzesentwurf nicht vor. Wird die Quote nicht erfüllt, soll der Stuhl leer bleiben.


Hier hat die Union verfassungsrechtliche Bedenken. Wie aus Regierungskreisen bekannt wurde, will sie Unternehmen in begründeten Fällen von der festen 30-Prozent-Quote befreien. Welche das sein könnten, blieb offen. Das Justizministerium soll nun die rechtlichen Einwände prüfen. Familienministerin Schwesig versicherte, an der Quote werde nicht gerüttelt, und verwies auf den Koalitionsvertrag. „Es war von Anfang an klar, dass die Widerstände gegen das Gesetz groß sind. Aber die Quote kommt“, sagte sie der SZ. „Die Widerstände zeigen, dass es insgesamt Vorbehalte gegen Frauen in der Arbeitswelt gibt – vor allem, wenn es um mehr Einfluss geht.“


Gibt die SPD bei der festen Quote nicht nach, könnte das Gesetz an anderer Stelle gelockert werden – etwa bei den 3500 Firmen, die sich von 2015 an freiwillig Ziele für eine Frauenquote geben müssen. Sanktionen bei Nichterfüllung gibt es hier nicht. Allerdings darf ein Unternehmen bei der Quote nicht mehr zurückfallen. Hat eine Firma beispielsweise 45 Prozent weibliche Führungskräfte, darf beim Ausscheiden von Frauen die 30-Prozent-Quote nicht unterschritten werden. Die Union will diese Quote auf 20 Prozent senken oder den Passus streichen. Streit gibt es auch um die höhere Zahl von Gleichstellungsbeauftragten im öffentlichen Dienst. Sie seien zu teuer.


„Wir sind zuversichtlich, dass gemeinsam eine vernünftige Lösung gefunden wird“, sagte der Sprecher der CSU-Landesgruppe Sebastian Hille. Es gehe „nicht um das Ob, sondern um das Wie“ der Quote. Aus der Opposition im Bundestag kam dagegen Kritik. Nach der „Quote light“ drohe nun die „Quote Zero“, sagte Linken-Chefin Katja Kipping: „Ich hoffe auf einen Aufstand der Frauen bei Union und SPD.“ Familienministerin und Kanzlerin stünden im Wort, sagte die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws. „Die Geduld der Frauen ist zu Ende.“

Wie viel ist zu viel?

$
0
0

Am kommenden Wochenende, am 30. November, wird das „Volk“ in der Schweiz über eine Initiative namens „Ecopop“ abstimmen. Der Name ist Programm: „Écologie“ und „population“ verbinden sich zu einem Kofferwort, weil der Ökologie wegen in Zukunft nicht mehr Menschen in der Schweiz leben sollen, als das heute der Fall ist. Auf 0,2 Prozent der vorhandenen Bevölkerung will eine gleichnamige Organisation, die sich der „Sicherung der natürlichen Grundlagen“ verschrieben hat, die jährliche Zuwanderung beschränken. Zugleich soll, mit Mitteln, die dann von der Entwicklungshilfe abgezogen werden dürften, die Familienplanung gefördert werden (SZ vom 14. November). Darüber hinaus sorgt sich die Initiative um die Zersiedlung der Landschaft, die Überfischung der Weltmeere und das Bevölkerungswachstum in der ganzen Welt. Praktisch wird sie aber nun an diesem Punkt: Nicht einmal ein Jahr, nachdem eine von Rechtspopulisten initiierte Volksabstimmung dazu führte, dass der Schweizer Staat zu einer nicht weiter bezifferten Verminderung der Einwanderung verpflichtet wurde, geht es nun um schlichten Bestandsschutz: Die acht Millionen Einwohner sollen acht Millionen bleiben – nur, dass das Argument dafür frei von allem Rassismus sein soll, weil die Ökologie an dessen Stelle getreten ist.




Widerstand gegen "Ecopop" regt sich auch in der Schweiz.

Aber wie viel ist zu viel? Ökologisch wie ästhetisch betrachtet, war die Schweiz sicherlich erträglicher, als sie, wie noch im späten neunzehnten Jahrhundert, hauptsächlich ein Agrarstaat war. Damals gab es Novartis noch nicht. Die Firma Ciba widmete sich der Seidenfärberei und kippte ihre Abwässer ungefiltert in den Rhein. Die Crédit Suisse war eine Kreditanstalt zur Finanzierung des Eisenbahnbaus. Aber das sind längst vergangene Zeiten, zu denen keiner mehr zurückkehren will. Warum eigentlich? In Monaco leben fast zwanzigtausend Menschen auf einem Quadratkilometer Boden, während es in der Schweiz zweihundert sind, und es geht ihnen gewiss nicht schlechter. Südlich der Sahara gibt es gerade einmal dreißig Menschen auf einem Quadratkilometer. Aber was bedeutet das? Warum acht Millionen – und nicht sieben oder neun? Ein erhebliches Maß von Willkür verbirgt sich in der Behauptung, ausgerechnet mit den heutigen Verhältnissen komme man so gerade noch zurecht.


Die Willkür ist so groß, weil solche Rechnereien von allen Gründen absehen, warum sich an einigen Orten sehr viele Menschen einfinden und es an anderen weniger sind. Die Schweiz etwa ist nicht nur deshalb so wohlhabend – und damit auch: so freundlich anzusehen –, weil dort so fleißige, ordentliche und ästhetisch gesonnene Bürger leben. Ein großer Teil des dort angehäuften Reichtums wird in ganzen anderen Gegenden der Welt erwirtschaftet, in kolumbianischen Bergwerken zum Beispiel, deren Erträge im Kanton Zug eingesammelt werden. Oder an irgendeinem anderen Ort der Welt, wo es Unternehmer, Spekulanten oder Politiker gibt, die ihr Geld lieber von einer sicheren, diskreten Bank verwaltet haben möchten als von heimischen Kreditinstituten. Selbstverständlich führt dieser Reichtum dazu, dass Menschen aus anderen Ländern an ihm partizipieren wollen, sei es dadurch, dass sie gut ausgebildet sind und, aus durchaus eigennützigen Motiven, beim Anhäufen helfen wollen (solche Einwanderer waren auch in der Schweiz bislang eher willkommen), sei es dadurch, dass sie sich bislang durchs Leben eher haben kämpfen müssen und nun hoffen, dass beim Ausgeben etwas für sie abfällt.


Das aussichtsreichste Mittel, mit den Mitteln des „social engineering“ zur „Sicherung der natürlichen Grundlagen der Schweiz“ beizutragen, bestünde also vermutlich darin, sie ein wenig ärmer zu machen – aber an diese Option hat die Initiative Ecopop bislang nicht gedacht, jedenfalls nicht öffentlich. Das legt nicht nur den Verdacht nahe, in den ökologischen Argumenten verberge sich womöglich eine Heuchelei, sondern erklärt auch die Sympathien, die diese Initiative mittlerweile von Wählern der SVP, der rechtspopulistischen Partei der Schweiz, erfährt. Weil sich dieser Verdacht aber so aufdrängt und weil, von den Wirtschaftsverbänden bis zu den alten Parteien, gegen Ecopop immer wieder eingewandt wird, dieses Vorhaben beschädige die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz, werden Umweltbewegte zu strengen Nationalisten – und Vaterlandsliebende zu Fundamentalisten der Ökologie. Und so verwandelt sich dieser kleine Staat in der Mitte Europas in ein höheres, gleichsam selbständiges Wesen, das aus sich heraus eigene Notwendigkeiten und Forderungen gebiert, worauf man sagen kann: „Unser Land verträgt das nicht!“


Der ökologische Fundamentalismus hat einen rationalen Kern: Die Natur tritt dem Menschen tatsächlich als etwas Selbständiges gegenüber. Sie ist, erklärt der Münchner Philosoph Elmar Treptow in seinem „Entwurf einer ökologischen Ästhetik“ (Berlin 2006), „die Voraussetzung, von der wir leben, ohne sie hervorbringen zu können“. Indessen ist die Natur nicht identisch mit der Schweiz. Auch sonst vermischen sich in der Argumentation der Initiative Ecopop beständig Politisches und Ökonomisches mit Natürlichem. Kinderreichtum etwa geht in den meisten Ländern der Dritten Welt keineswegs nur auf Religion und Verblendung zurück, sondern stellt einen Versuch von Lebensversicherung dar, das Wissen um eine hohe Sterblichkeit eingeschlossen. Und dass es so etwas wie einen Kapitalismus gibt, der die natürlichen Ressourcen auch des letzten Erdenwinkels dem Gedanken an Verwertung unterwirft, bleibt der Initiative gleich ganz verschlossen. Stattdessen erscheint die „Natur“ unter gleichsam ästhetischen Voraussetzungen: als eine Instanz, die um ihrer selbst willen geschützt werden muss und daher strenge Ignoranz erfordert.


Daher nimmt der Versuch der Initiative Ecopop, mit einer ökologischen Ästhetik ein autonomes Gebilde zu erzeugen, dessen Grenzen aus angeblich pragmatischen Gründen mit den Staatsgrenzen identisch sind, ausgesprochen bösartige Züge an. Das Programm enthält etwa einen Passus, in der sich die Initiative mit dem Argument auseinandersetzt, jeder Mensch sei mehr oder minder der Umwelt nicht zuträglich, gleichgültig, ob er nun im Senegal oder in Lausanne wohne – man könne also deshalb aus ökologischen Motiven nicht gegen Migration sein. Die Antwort lautet: „Mit der Migration in die Schweiz erhöht ...sich im Allgemeinen die reale Kaufkraft der Betroffenen stark, was sich in einem höheren Konsum und einer entsprechend höheren ökologischen Belastung äußert.“ Der arme Ausländer, lautet also der Gedankengang, möge bitte arm und Ausländer bleiben, damit der Schweizer sich weiter an der guten Luft, den grünen Wiesen und dem sauberen Wasser erfreuen kann – aus keinem anderen Grund, als dass der Schweizer eben ein Schweizer ist oder doch zumindest einer, der schon in der Schweiz wohnt und damit unter den Bestandsschutz fällt.


So sei das ja nicht gemeint, erklärt die Initiative, wenn sie auf solche Kritik stößt. Denn es sei ja allgemein bekannt, dass es auf der Welt zu viele Menschen gebe und die natürlichen Grundlagen des menschlichen Lebens zerstört würden. Irgendwo müsse man ja anfangen, doch sprächen selbst die Vereinten Nationen davon, dass in der Dritten Welt zu viele Kinder geboren würden. Paul Rechsteiner, sozialdemokratischer Abgeordneter im Ständerat, sagte deshalb zu Recht, solche Ideen klängen nach „Herrenvolk“.


Der Vorwurf ist richtig, weil die Initiative Ecopop in ihrem Versuch, die Schweiz vor der vermeintlichen Zerstörung zu retten, von den Gründen der Armut und den daraus resultierenden Wanderungen nichts wissen will – und den Armen als geborene (oder manchmal auch zugezogene) Elite gegenübertritt, die fremden Reichtum gern entgegennimmt, aber nicht im Traum daran denken will, wie er entstanden ist. Dabei könnte man das Problem, wenn es denn wirklich nur um die Rettung der natürlichen Ressourcen der Schweiz ginge, auch ganz anders lösen: dadurch nämlich, dass eine angemessen große Zahl von Schweizern in den Senegal zöge. Ihr ökologischer „Fußabdruck“ würde auf der Stelle schrumpfen.

Der Kandidat

$
0
0

Plopp macht es aus der ersten Reihe des Hörsaals. Und dann noch mal. Plopp, plopp, plopp – so wie es halt klingt, wenn Studenten Bier trinken, während sich vorne Kandidaten für das Amt ihres Hochschulpräsidenten bei ihnen vorstellen. Oder eher: Wie es klingen müsste, wenn Präsidentschaftskandidaten sich den Studenten vorstellen. Das tun sie sonst nämlich nicht. Weil die Studenten bei dieser Entscheidung eigentlich nichts mitzubestimmen haben. Deshalb steht da vorne auf der Bühne auch nur eine Person: Götz.
 
Götz Hermann „Teamarbeit“ Greiner ist 27, steht kurz vor seinem Masterabschluss und möchte Präsident der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) werden. Sein Mittelname ist sein Wahlversprechen.
 
Formal erfüllt er die Anforderungen des bayerischen Hochschulgesetzes. Dem zufolge muss ein Unipräsident nämlich einen akademischen Abschluss vorweisen können (in Götz’ Fall ein Bachelor) und mehrere Jahre Erfahrung in einer „verantwortlichen beruflichen Tätigkeit, insbesondere in Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Verwaltung oder Rechtspflege“ vorweisen können. Götz hat ein paar Jahre ein Theaterfestival geleitet. Das muss reichen.



 Götz Greiner, 27, hat einen Bachelor-Abschluss und will Präsident der Uni Erlangen werden.

Heute steht er deshalb in rotem Hemd und Anzugshose vor den rund 20 Studenten und drei Univertretern im Hörsaal und erläutert seine Visionen für die Zukunft der FAU. Götz ist der einzige Bewerber, der seine Kandidatur für den Job öffentlich gemacht hat. Die anderen Anwärter hatte die Pressestelle der Uni noch kurzfristig über den Termin informiert. Gekommen ist keiner. Also spricht Götz allein.
 
Er erzählt etwas von einem Fünf-Punkte-Plan und einem soliden finanziellen Fundament für die Uni – gerne mithilfe von Spielbanken auf dem Campus. Auch für die Verlegung der Uni ins Ausland sei er offen, sollte das kostengünstiger werden. Und dann sei da noch diese Sache mit den Geisteswissenschaften, die ja noch nie einen Kranken geheilt hätten und deshalb noch mal überdacht werden sollten. In den hinteren Reihen Geflüster. „Ein bisschen“, raunt jemand, „erinnert er mich an Martin Sonneborn.“ Sonneborn ist Vorsitzender der Satire-Partei „Die Partei“, der seit kurzem im Europa-Parlament sitzt. Das trifft es ganz gut. Denn was Götz macht, ist Realsatire. Mit dem Unterschied, dass Götz’ mehr will, als nur den Politikbetrieb entblößen.
 
Einige Stunden zuvor: Götz führt über den Campus der Universität Erlangen. Hier, in das große Schloss, da will er rein, sagt er und muss das Lachen unterdrücken. Neulich hat er das Schloss bereits medienwirksam inspiziert, bis in sein „zukünftiges Büro“ kam er allerdings nicht. Da sitzt momentan nämlich noch der aktuelle Präsident Karl-Dieter Grüske, der als Verfechter, wenn nicht gar Erfinder der Studiengebühren gilt. Und das ist aus Götz’ Sicht typisch für die FAU – eine Uni, die sich hauptsächlich um ihre Rentabilität und Kontakte zur Wirtschaft kümmert, während den Studenten in manchen Gebäuden der Putz von der Decke entgegenrieselt.


https://www.youtube.com/watch?v=rrzXtjQU9soGötz' Wahlwerbespot


  
Dass bei der Wahl des Unipräsidenten laut bayerischem Hochschulgesetz nur zwei der 20 Wahlberechtigten Studenten sind? Dass weder Kandidaten noch die Wahlempfehlung der „Findungskommission“ transparent sind? Passt für Götz gut ins Bild. An der Bibliothek hält ihn ein Student mit Pudelmütze auf: „Ey, ich hab gehört, du kandidierst?“ Götz drückt ihm Sticker mit seinem Konterfei in die Hand. Auf die Frage, wie man ihn wählen kann, muss er allerdings immer antworten: Gar nicht.
 
Um das Problem mit der studentischen Mitbestimmung anschaulicher zu machen, hat Götz zusammen mit seinem dreiköpfigen Team ein Schaubild entworfen. Es zeigt, wie sich der Universitätsrat, der in einer geheimen Wahl den Präsidenten wählt, zusammensetzt: Von den 20 Mitgliedern kommen sechs aus der Wirtschaft, darunter Manager von Siemens und Continental. Der Rest sind Professoren der FAU und anderer Hochschulen sowie zwei Verwaltungskräfte. Die rund 40 000 Studenten der FAU haben genau zwei Stimmen. Die Wahlberechtigten bekommen eine Liste, auf der nur die Kandidaten stehen, die die zuvor eingeschaltete Findungskommission akzeptiert hat. Gerüchten zufolge steht darauf nur ein Name. 

Einige fordern, er solle "erst mal der Gesellschaft was zurückgeben".
 
„In jedem Dorf wird der Bürgermeister demokratisch gewählt“, sagt Götz. „Wir Studenten sind zahlenmäßig ein ziemlich großes Dorf, trotzdem dürfen wir das nicht.“ Für eine demokratische, transparente Wahl des Unipräsidenten müsste man allerdings das bayerische Hochschulgesetz ändern – das müsste das bayerische Parlament durchwinken. Dazu wird es in absehbarer Zeit allerdings nicht kommen.
 
Also will Götz zumindest ein bisschen „frischen Wind in die Uni bringen.“ Die Leute ein wenig zum Nachdenken bringen. Dass das funktioniert, haben die vergangenen Wochen gezeigt. Nach seiner Kandidatur kamen Medienanfragen, das Netz diskutierte über ihn. Die meisten finden seine Idee lustig. Andere sehen darin eine Verhöhnung des Uni-Apparats und fordern, er solle erst mal „der Gesellschaft zurückgeben, was sie in sein Studium investiert“ habe. Und die Uni selbst? Hält sich bedeckt. Eine Pressesprecherin sagt: „Wir können uns zu dem derzeit laufenden Wahlverfahren, auch im Hinblick auf die anderen Kandidaten, nicht äußern.“ Man würde Götz’ Kandidatur allerdings „zur Kenntnis nehmen und interessiert verfolgen.“
 
Die Theologin und Professorin Johanna Haberer, bei der Götz demnächst auch seine Masterarbeit schreiben soll, spricht da offener: „So lange er mit der Kandidatur ein klares Ziel verfolgt, zum Beispiel indem er studentische Themen auf die Agenda setzt, finde ich das in Ordnung. Allerdings muss er dann auch eine gesunde Distanz dazu wahren und darf das ganze nicht nachträglich verhöhnen, zum Beispiel in dem er später seine Masterarbeit darüber schreibt.“ Die Kampagne allein für seine Abschlussarbeit zu inszenieren? Das streitet Götz ab. Ein Thema für seine Masterarbeit hat er aber noch nicht angemeldet.
 
Im Hörsaal ist Götz mit seiner Präsentation fertig. Zeit für ein paar Fragen aus dem Publikum. Wie er sich dies oder jenes denn genau vorstelle? Darauf hat Götz eine Standard-Reaktion: Erst eine lange Denkpause. Dann der Satz: „Das ist eine gute Frage.“ Dann: „Schließen Sie sich doch meinem Team an. Hier vorne liegen meine Visitenkarten.“ Alle hier wissen, dass er kommenden Freitag nicht Präsident wird, es geht nur um die Show. Am Ende stehen alle zusammen und diskutieren beim Bier, wie es nun weitergeht. Auch ein Vertreter der Uni ist da, er trägt als einziger außer Götz Sakko. Wie er das ganze fände, fragt ein Student. Antwort: „Wir haben viel darüber gelacht.“ Es klingt nicht ganz so, als würde das Problem dort ankommen, wo es soll.


Neue Poportionen

$
0
0
Vergangene Woche redeten sehr viele Menschen im Internet über die Form, Beschaffenheit und Oberflächenstruktur einer großen, nackten Kugel. Sie redeten über den Kometen Tschuri, auf dem ein paar Tage zuvor eine Raumsonde gelandet war.

Aber direkt danach folgte in den Hashtag-Listen ein Thema, dem man im Vergleich eher weniger Weltrelevanz zugetraut hätte: der große, nackte Hintern von Kim Kardashian.



Nicki, Miley, Kim - und die in diesem Jahr sehr weibliche Frage: Wer hat den Größten?


Kardashian, bekannt als Star einer Reality-TV-Serie, Rapper-Ehefrau und Besitzerin eines voluminösen Pos, fotografiert diesen gerne vor dem Spiegel für ihre mehr als 21 Millionen Instagram-Fans. Wegen dieser Fotos haben Klatschblogs das Wort „Belfie“ erfunden, die Abkürzung für „Butt Selfie“. Doch diesmal hat Kardashian ihre Rückansicht professionell fotografieren lassen, ein hippes New Yorker Magazin druckte das Bild auf seine Titelseite. Ein nackter Hintern in der Größe zweier Kürbisse. Frisch geölt.

So. Und falls jemand gerade Notizen für einen popkulturellen Jahresrückblick macht, kann er sich gerne schon mal einen Punkt notieren: Dies ist das Jahr des Hinterns, da legen wir uns jetzt schon fest. Das Kardashian-Foto war nämlich nur der letzte und bislang höchste Gipfel in einer Bergkette an Ereignissen, die sich in immer kürzeren Abständen durch das ganze Pop-Jahr gezogen haben – und alle kreisten um dasselbe Thema: den Frauenpo in seiner größten, ausladendsten Form. Den „Bubble Butt“.

Bestimmendes Thema in den US-Charts in diesem Sommer: "My big fat ass"


Im Sommer konnte man das in seltener Deutlichkeit an der Spitze der amerikanischen Musikcharts ablesen. Auf Platz drei stand die Rapperin Nicki Minaj mit dem Song „Anaconda“. Held und Hauptfigur des Songs ist „My big fat ass“. Auf Platz zwei fand sich ein Song namens „Bang Bang“, ebenfalls unter Mitwirkung von Nicki Minaj, dessen erste Zeilen lauten: „She got a body like an hourglass (. . .) She got a booty like a cadillac“. Und auf der Eins: „All About That Bass“ – die Hymne der vormals unbekannten Meghan Trainor auf die kurvige Frauenfigur. „I’m bringin’ booty back“, heißt es in dem Song unter anderem.

Nun ähneln sich die Themen von Top-5-Hits häufiger mal. Wir Menschen lassen uns ja von der Popindustrie kaum etwas lieber verkaufen als gutgelaunte Songs über Sex. Neu ist aber, dass das gesamte Siegertreppchen der Musikbranche sich mit ein und demselben Körperteil befasst. Und dann auch noch in einer ästhetischen Ausprägung, die – wenigstens in der weißen Popkultur – bislang eher ein Nischendasein fristete. Die „Sanduhrform“, der „booty“, der „fat ass“, der Bubble Butt. Diese Formen entsprachen bis vor kurzem noch einem Subgenre der Pornoindustrie und wurden in der Popmusik fast ausschließlich von afroamerikanischen Rappern gefeiert, ziemlich genau seit Sir Mix-A-Lot 1991 sein legendäres „I like big butts!“ in ein Mikrofon rief.

http://www.youtube.com/watch?v=SYyd0dvNNXU

Irgendwie aber ist der große Hintern aus der Nische in die weiße Mainstream-Popmusik gewandert und hat sich dort offenbar als Erfolgsrezept erwiesen.

Birgit Richard ist Professorin für neue Medien an der Goethe Universität Frankfurt und erforscht solche ästhetischen Paradigmenwechsel. Sie fragt beispielsweise, warum ausgerechnet der Lumberjack-Vollbart seit einiger Zeit Kennzeichen modebewusster Großstädter (Fachausdruck „Lumbersexuals“) ist. Richard beobachtet einen „allgemeinen Trend zu voluminösen weiblichen Körpern“. Nach den aufgepumpten Brüsten seien nun eben die Hinterteile an der Reihe. Das Entscheidende an so einem Wandel sei das Zusammenspiel verschiedener Medien. Eine Kombination von Musik-Clips auf Youtube, Kim Kardashians Belfies und neuer Tanzstile, die plötzlich sehr präsent sind. Dann sagt Richard den entscheidenden Namen: Miley Cyrus.

Die machte mit einem berühmten Auftritt bei den Video Music Awards 2013 das „Twerking“ bekannt – einen Tanzstil, den man kaum eleganter als mit „Arschwackeln“ übersetzen kann. Unter Afroamerikanerinnen ist er schon seit Jahrzehnten beliebt.

Miley Cyrus war bis vor kurzem ein Kinderstar. Der Twerking-Auftritt war einer von vielen gut kalkulierten Skandalen, mit denen sie sich von ihrem Disney-Channel-Image emanzipierte. Youtube quoll daraufhin über von den Heimvideos engagierter junger Frauen beim Twerken. Und die Welt war überrascht. Die am häufigsten gegoogelte Frage im Jahr 2013 – also das Rätsel, das die Menschheit im vergangenen Jahr mehr beschäftigte als zum Beispiel „Wer ist der neue Papst?“ – lautete: „Was ist Twerking?“ Seltsam? „Jedes weibliche Körperteil kann als Fragment zur Ware gemacht werden“, sagt Professorin Birgit Richard dazu. „Es braucht immer neue Anreize.“

Brüste, Beine, Bauch, vormals wichtige Kategorien im Diskurs über die Körper weiblicher Popstars, werden nebensächlicher. Der legendäre Bademodenkalender von Sports Illustrated, ein Seismograf des männlichen Geschmacks in seiner rustikaleren Form, zeigt in diesem Jahr zum ersten Mal in seiner Geschichte drei Topmodels auf dem Cover, die dem Betrachter den Hintern zuwenden.

"Whatever the black kids do, the white kids will follow", hat Bill Withers mal gesagt. Stimmt offensichtlich.



Und der Trend hat längst die Entertainment-Welt verlassen. Vergangene Woche meldete die Nachrichtenagentur AP, die amerikanische Wirtschaft bemerke die wachsende Nachfrage nach einem großen Po: Spezielle Fitnesskurse für den Hintern sind landesweit überbucht. Die Zahl der chirurgischen Po-Vergrößerungen ist seit 2012 angeblich um mehr als die Hälfte gestiegen. „Der Hintern“, verkündete schon im Spätsommer leicht verwundert die New York Times, „wird gerade Amerikas erogene Zone der Wahl.“

Dabei ist die Vorliebe ja nicht ganz neu. In der afro- und lateinamerikanischen Kultur sind große Hintern seit jeher das Schönheitsideal, das erklären dieser Tage etliche US-Psychologen. Sie leiten das sogar historisch her: Ab dem 16. Jahrhundert erlaubte die katholische Kirche Sex nur noch in der Missionarsstellung. Was wiederum in der katholischen Welt (und damit in Lateinamerika) dem weiblichen Hintern einen besonderen Reiz des Verbotenen verlieh.

Jennifer Lopez gilt als die erste Mainstream-Künstlerin, die den großen Po Ende der Neunziger als Sexsymbol etablierte. Beyoncé und Rihanna machten damit weiter. Kim Kardashian machte ihn über ihre TV-Serie außerhalb von Videoclips salonfähig, Nicki Minaj erklärte ihn mit ihrem aktuellen Albumcover quasi zum Unique Selling Point ihrer Karriere.

[plugin imagelink link="https://encrypted-tbn1.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcTfGq_BrVrFcmEAo3kYMnPJxiLU9Z0nUeTn7w9n66GGiZd_RcL1-9PrL7L8" imagesrc="https://encrypted-tbn1.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcTfGq_BrVrFcmEAo3kYMnPJxiLU9Z0nUeTn7w9n66GGiZd_RcL1-9PrL7L8"]

Zuletzt meldete sich auch Lopez nochmals zurück. Als wolle sie klarstellen, wer übrigens damals mit dem ganzen Zirkus angefangen habe, veröffentlichte sie im September ihren neuen Song. Der Song heißt, genau, „Booty“. Ging aber ein bisschen unter in der Menge an Twerking-Clips, die inzwischen sogar von der eher als bieder geltenden Taylor Swift kommen.

Was lernen wir daraus? Mit dem Bubble Butt hat ein afroamerikanisches Phänomen den weißen Pop-Mainstream übernommen. Kein unüblicher Verbreitungsweg, siehe Soul, siehe Hip-Hop, siehe House. Der Sänger Bill Withers hat das mal in den schönen Satz gepackt: „Whatever the black kids do, the white kids will follow.“

Kann man das gut finden? Aus irgendwie emanzipatorischer Sicht vielleicht sogar? Hintern werden schließlich nicht mehr auf Apfelgröße gehungert, sondern aufgeplustert, die Debatte um Size-Zero-Hosen könnte bald endgültig austrocknen. Und nicht mehr die Pimp-Rapper, sondern Frauen selbst singen heute stolz über ihren „fat ass“ und beherrschen damit die Popmusik. Mädchen, könnte man sagen, hört auf mit den Brust-OPs und esst stattdessen mehr Muffins!

Aber natürlich ist das leider Quatsch. Weil das Phänomen Bubble Butt nicht einfach die Feier des gemütlichen Sofahinterns ist, sondern eher das Gegenteil: Ein ideales Exemplar (vgl. Minaj, Kardashian 2014) vollbringt ja das physikalische Kunststück, gleichzeitig nach hinten und nach oben abzustehen und muss sich für maximale Dramatik von einer möglichst schmalen Taille absetzen. Der so genannte „brazilian butt lift“, bei dem Fett von der Hüfte in den Po verpflanzt wird, ist deshalb in den USA gerade ein Renner.

Immerhin ein Teil der Modebranche darf sich freuen. Nämlich die Handvoll Hosenhersteller, die schon seit langem eine spezielle Push-Up-Polsterung für den weiblichen Po anbieten. Zum Beispiel die Linie „YMI Wanna Betta Butt“. Dort verzeichnet man im laufenden Geschäftsjahr knapp 50 Prozent mehr Umsatz.
 

Schnell rum

$
0
0



Der erste Tag nach Bezahlung der Handy-Rechnung: In den ersten Tagen herrscht vorsichtiges Herantasten an einstmals normales Surfverhalten. Dabei verwundert immer wieder, mit welchem Irrsinnstempo das Handy plötzlich alles erledigt, jetzt, wo wieder Daten-Vollgas gegeben wird. Noch werden trotzdem alle Apps nach Gebrauch sofort geschlossen und Instagram- und Facebook-Besuche eher auf die Zeiten verschoben, in denen man Wlan-Zugriff hat. Die Erinnerung an die vergangenen Drosseltage ist noch zu frisch für Leichtsinn.





Die herrlichen Tage der Sorglosigkeit: Halloo Aaappppppps, wassup?!?! Im Bus werden Facebook, Instagram, Twitter, Jewelthief und Whatsapp gleichzeitig ausführlich bespielt und alle Texte, die auf Twitter oder Facebook empfohlen werden, online geladen und für irgendwann aufgehoben. In Momenten totaler Langeweile (Wartezimmer, öffentlicher Nahverkehr, Tagesschau) wird auch bei miserabler Netzverbindung hemmungslos gesurft, gespielt, gechattet. Fotos der eigenen Füße an das gesamte Adressbuch inklusive. Warum? Weil’s wurscht ist.





„Achtung, Sie haben 80 Prozent Ihres Highspeed-Datenvolumen bereits verbraucht“: Schluck! Noch nicht mal die Hälfte des Monats rum und schon kommt diese schulmeisterhafte SMS. Als erste Maßnahme werden sofort alle 26 Apps geschlossen, wird Facebook nur noch in Notfällen (Wartezimmer, öffentlicher Nahverkehr, Tagesschau) genutzt und keine Fotos der eigenen Füßen mehr verschickt. Diese selbstverordnete Disziplin hält bis zur nächsten U-Bahnfahrt, da sind dann plötzlich alle Regeln ungültig, weil man sich einredet: „So genau weiß ich ja eh nicht, ob wirklich Facebook der größte Datenfresser ist. Könnte ja auch sein, dass es die Wetter-App ist, die ich neulich aus Versehen über Nacht offen gelassen habe . . .“





Zwei Tage später „Ihr Highspeed-Datenvolumen ist aufgebraucht. Ab jetzt surfen Sie wie vertraglich vereinbart bis zum Sankt Nimmerleinstag mit weniger als einem Prozent der verfügbaren Geschwindigkeit“: „Unglaublich! Jetzt schon! Halsabschneider! . . . Oder ist es meine Schuld?“ Selbstekel wechselt sich mit Wut auf den Provider ab. In den ersten Tagen wird weiter stur jede App benutzt, auch wenn es nun bisweilen mehr als zehn Minuten dauert, bis das Telefon eine Route von hundert Metern berechnet hat.





Die letzten 15 Tage: Twittern und SMS schreiben. Und natürlich telefonieren (nicht wirklich), mehr geht nicht mehr. Rein nervlich. Als Benutzer schwankt man zwischen Verzweiflung, dem Gedanken, ob diese erzwungene Entschleunigung jetzt ein Segen ist und der Versuchung, sein Highspeed-Volumen für nur 2,99 Euro pro Monat heraufzusetzen. Und natürlich nimmt man sich vor, im nächsten Monat ein bisschen disziplinierter mit dem Telefon umzugehen. Schließlich kann es doch eigentlich nicht sein, dass man pro Monat mehrere GB nur durch rumdaddeln verbraucht. Oder?


Viertelkunde: Düsseldorf

$
0
0


Dieser Text ist Teil des Studentenatlas' Düsseldorf, einem gemeinsamen Projekt von jetzt.de und sueddeutsche.de. Informationen zu weiteren Städten im Studentenatlas findest du hier.

Bilk


Das bekommst du hier: ein Höchstmaß an studentischem Leben - zumindest für Düsseldorfer Verhältnisse; Heinrich-Heine-Universität und Uni-Klinik am Stadtteilrand; Wohnheime; Nähe zu Volksgarten und Südpark; jeden Samstag einen der größten Trödelmärkte Deutschlands am Aachener Platz; seit Kurzem den Veranstaltungsort Boui Boui Bilk in den Hallen einer früheren Schraubenfabrik mit (Nacht-) Flohmärkten, Modenschauen und Kunstausstellungen in Industrie-Ambiente; direkt neben den Düsseldorf Arcaden einen Imbiss-Wagen mit leckerem Gemüse-Döner; das Metropol (Brunnenstraße), eines der schönsten Filmkunstkinos der Stadt; direkt daneben: das schnuckelige Café Süße Erinnerung


Das bekommst du hier nicht: Discos, Clubs, Langeweile


Durchschnittsmiete: 9,51 €/qm (Quelle: wohnungsboerse.net; Stand: 24.11.2014)


Oberbilk


Das bekommst du hier: ein durchmischtes Viertel, in dem viele Studenten, Arbeiter und Migranten wohnen; Industriecharme - bis in die 80er war Oberbilk von der Stahl- und Eisenindustrie geprägt; hippe Ecken, bürgerliche Ecken; Marokko rund um die Ellerstraße; Heinos Geburtsort; Südpark und Volksgarten, zwei große Parks mit Seen, in denen im Sommer gegrillt, gejoggt, gelegen und gelesen wird; feinste Kater-Kost in Form der Gyros-Bombe im Oberbilker Grill, ein Mahl aus Tzatsiki, Zwiebeln, Bauernsalat, Gyros und Pommes umhüllt von frittiertem (!) Brot; leckeres Frühstück direkt gegenüber im dreiRaum; eine der besten Musik-Kneipen der Stadt: die Kassette mit ausgesuchten Konzerten, Bier des Monats und dem legendären "Kassettendeck riskant" - Überraschungsschnaps- und Bier für 3,50 Euro


Das bekommst du hier nicht: Clubs (dafür entschädigen aber die vielen Kneipen)


Durchschnittsmiete: 9,09 €/qm (Quelle: wohnungsboerse.net; Stand: 24.11.2014)


Unterbilk


Das bekommst du hier: Cafés, Bars, Kneipen, von schäbig bis chic; an vielen Stellen Gentrifizierung; Nähe zu Rhein und Medienhafen; viele Angehörige der Generation Y, die meisten aber schon berufstätig; junge Familien; gefühlt viele Grünen-Wähler; wenig Arbeitslosigkeit; Lorettostraße und Umgebung mit Szene-Gastro, Designer-Läden und zum Teil hochnäsigem Publikum; inhabergeführte Geschäfte und Second-Hand-Mode; das Regierungsviertel des Landes; freitags Bauernmarkt auf dem Friedensplätzchen - ein Ort, an dem eine wundervolle Mischung aus trinkenden Boule-Spielern, jungen Familien, Kindern mit Fußball und Studenten mit Feierabendbier vorzufinden ist


Das bekommst du hier nicht: günstige Mieten (Glückstreffer nicht ausgeschlossen); alternative Kultur


Durchschnitsmiete: 10,52 €/qm (Quelle: wohnungsboerse.net; Stand: 24.11.2014)


Friedrichstadt


Das bekommst du hier: das Bindeglied von Ober- und Unterbilk; eine hohe Bevölkerungsdichte; Bars und studentisches Leben an der Oberbilker Allee (an der Grenze zu Oberbilk); viel Verkehr, viele Singles; den Kulturverein Metzgereischnitzel in der Brause - Eintritt bei allen Veranstaltungen nur ein Lächeln; das Forum Freies Theater mit feinen Konzerten im Foyer und ebenso feinem Schauspiel, Performances und Tanz (auf der Bühne); einen Zipfel der Kö - an dem seit Kurzem ein Aldi (Süd) liegt


Das bekommst du hier nicht: Parkplätze; Ruhe; Natur


Durchschnittsmiete: 9,67 €/qm (Quelle: wohnungsboerse.net; Stand: 24.11.2014)


Altstadt


Das bekommst du hier: Leberzirrhose - hier wohnt man eigentlich nicht, hier feiert man (wenn überhaupt); wer es wagt, bekommt ein Partyareal mit dem vielsagenden Spitznamen "längste Theke der Welt"; am Wochenende inklusive negativer Begleiterscheinungen wie vollgekotzter Hauseingänge; kurze Kultur-Wege (Kom(m)ödchen, Kunstsammlung, Kunsthalle), kurze Natur-Wege (Rhein, Hofgarten) und kurze Konsum-Wege (Innenstadt, Kö, Kö-Bogen)


Das bekommst du hier nicht: Schlaf; Sympathiebekundungen für Niederländer oder Junggesellenabschiede


Durchschnittsmiete: 9,49 €/qm (Quelle: wohnungsboerse.net; Stand: 24.11.2014)


Flingern


Das bekommst du hier: zwei Stadtteile in einem: Flingern besteht aus dem Arbeiterviertel Flingern-Süd und dem Szene-Viertel Flingern-Nord; in ersterem gibt es vor allem günstige Mieten und reichlich Ausgeh-Möglichkeiten, z.B. das Zakk (Live-Musik, Kabarett und Lesungen), das Tanzhaus NRW (zeitgenössischer Tanz) oder das Capitol (Musical und Theater); weiter nördlich treffen Latte-Muttis mit Kinderwagen auf die städtische Bohème (oder die, die es gern wäre); Galerien, Bars und junge Designermode gibt es rund um die Ackerstraße; Gentrifizierung


Das bekommst du hier nicht: Natur


Durchschnittsmiete: Flingern Süd: 8,60 €/qm; Flingern Nord: 9,99 €/qm (Quelle: wohnungsboerse.net; Stand: 24.11.2014)


Oberkassel


Das bekommst du hier: den Grund aller Schickimicki-Klischees; das andere Rheinufer; die höchsten Mieten der Stadt; Altbauwohnungen; Boutiquen und gehobene Gastronomie; viele A- und B-Promis (Rudi Völler, Andreas Gursky, Gülcan Kamps); die größte Kirmes am Rhein (im Sommer)


Das bekommst du hier nicht: Studentengefühl (soll heißen: keine günstigen Mieten, keine WGs, keine Studenten-Bars)


Durchschnittsmiete: 13,33 €/qm (Quelle: wohnungsboerse.net; Stand: 24.11.2014)


Pempelfort


Das bekommst du hier: Spitzenlage zur Innenstadt und Nachbarschaft zum Rhein; die größte Einkaufsstraße außerhalb der Innenstadt (Nordstraße); viel Hochkultur (Ehrenhof,Theatermuseum); Altbauten und junge Berufstätige; insgesamt eine vielfältige Sozialstruktur; hohe Mieten; eine urbane, aber überschaubare Atmosphäre; große Bauprojekte; und natürlich: Gentrifizierung 


Das bekommst du nicht: Nähe zur Universität


Durchschnittsmiete: 11,39 €/qm (Quelle: wohnungsboerse.net; Stand: 24.11.2014)

Zwei Professoren und sieben Todesfälle

$
0
0
Viele Studenten drängen in den Hörsaal H3 am Campus Riedberg der Frankfurter Goethe-Universität. Drinnen laute Musik. Vorne auf der großen Leinwand drei schmale Männer mit schulterlangen Haaren bei einem Auftritt, der lange zurückliegt. Noch heute gelten die drei Gibb-Brüder – besser bekannt als Bee Gees – als eine der erfolgreichsten Bands der Welt mit 200 Millionen verkauften Platten. Sie machten eine beispiellose Karriere, die wie viele andere in der Geschichte des Rock’n’ Roll von Erfolgen, Krisen und Schicksalsschlägen geprägt war. Ein Phänomen, das nicht nur Fans, sondern inzwischen auch Wissenschaftler beschäftigt.



Pillen pushen oft Musikerkarrieren: ein Seniorprofessor der Uni Frankfurt hat daraus nun eine Pharmazievorlesung gemacht.

Professor Dieter Steinhilber gehört auch dazu. Er beschreibt, wie die Bee Gees als Kinder ihren ersten Auftritt mit „Lollipop“ hatten, mit den Eltern nach Australien auswanderten und dort ihren ersten Hit „Spicks and Specks“ landeten. Richtig steil bergauf ging es für die Brüder aber erst, als sie 1967 nach England zurückkehrten, in das Land der Beatles und Rolling Stones.


Dann folgt ein harter Schnitt. Professor Theo Dingermann spricht über die Schattenseiten ihres Erfolgs – und über Darmkrebs. Eine Krankheit, an der die Zwillingsbrüder Maurice und Robin Gibb gestorben sind. Denn im Hörsaal geht es nicht in erster Linie um Musik, sondern um Pharmazie. Auf der Leinwand sind Bilder von Tumoren zu sehen. Dingermann sagt, Krebs sei eine genetische Krankheit, keine Erbkrankheit. In den 80er-Jahren habe man diese sogenannten Onkogene entdeckt. Der Professor vergleicht den gesunden Menschen mit einem Bungeespringer, den doppelte Chromosomen mit zwei Seilen sichern. Ist ein Seil defekt, etwa durch Vererbung, ist der Mensch gefährdet, reißt auch das zweite Seil, ist er krank. Maurice Gibb starb ganz plötzlich 2003, sein Zwillingsbruder Robin kämpfte jahrelang mit der Krankheit, bevor auch er 2012 starb.


Die Bee Gees und ihr dreistimmiger Falsett-Gesang bleiben unvergessen. Gruppen wie Take That oder die Pet Shop Boys reichten nie an die Originale heran. Für die Studenten im Hörsaal H3 sind die Bee Gees dagegen längst Geschichte, die alten Musikvideos amüsieren sie mehr, als dass sie sie begeistern. Aber sie lernen an diesem Beispiel, wie der Krebs in den Darm kommt. Wie erbliche und exogene Faktoren die Zellen entarten lassen. Dingermann redet von Epithel, Dysplasie, Adenom, Karzinom und Metastasen. „Es gibt ein familiäres Risiko“, sagt er. Davon hatten die Gibb-Brüder damals vermutlich keine Ahnung. Immerhin, heute sind die Erkrankungen von Darmkrebs rückläufig.


Darmspiegelungen als Vorsorge, Operationen, Medikamente, Chemotherapie greifen als gängige Behandlungen. Dingermann nennt einige Medikamente mit Namen. Die Vorlesung endet mit einer Würdigung der Bee Gees, die sich selbst als eine Seele in drei Körpern beschrieben haben und die trotz ihres Saubermann-Images mit Drogen kämpften. Nicht nur sie. Viele Musiker und Künstler pushen ihre Karriere mit Alkohol, Drogen oder Tabletten.


Dingermann kennt sich damit aus. In seinem kleinen Büro im Biozentrum der Universität hängt ein großes Plakat mit den gezeichneten Konterfeis seiner Doktoranden. Es sind etliche. Der Professor hat eine Karriere als Apotheker, Professor für Biochemie und Molekularbiologie hinter sich. Nun, jenseits der Pensionsgrenze, macht er als Seniorprofessor weiter. Er erzählt, wie er auf die Idee kam, Krankheiten in seinen Weihnachtsvorlesungen am Beispiel von Musikern zu erklären. „Ich glaube, für Studenten ist das Musikformat das beste“, sagt er schließlich. Die Biografie eines interessanten Menschen präge sich eben leichter ein. Deshalb analysierte er im Wechsel mit seinem Kollegen Steinhilber die Leidensgeschichten von Michael Jackson, Joe Cocker, Elvis Presley, Freddie Mercury, Bob Marley, George Harrison, Wolfgang Niedecken und den Bee Gees.


Längst sind seine Vorlesungen weit über die Frankfurter Uni hinaus bekannt. Gerade hat Dingermann in Bonn vor Apothekern wissenschaftlich belegt, wie Wolfgang Niedecken, der Chef der Gruppe BAP, seinen Schlaganfall überlebte. Auch Schulen buchen die musikalische Aufklärungsstunde. Für die beiden Professoren eine gute Gelegenheit, ihre Botschaften zu platzieren. „Die Menschen sollten mehr Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen“, sagt Dingermann. Gegen Aids könne man sich schützen, die Risiken von Lungenkrebs und Hautkrebs mit Rauchverzicht und Sonnenschutzcremes verringern, Abhängigkeiten von Drogen und Alkohol meiden. Häufig brauche es eben nur den gesunden Menschenverstand.


Davon war der „King of Pop“ Michael Jackson offenbar weit entfernt. Er starb an einer Überdosis legaler Drogen, grob missbräuchlich eingesetzt. Unsicher und überfordert sei Jackson gewesen, auf der Flucht vor der Realität, sagt der Wissenschaftler. Das passiere nicht nur exzentrischen Stars, sondern auch normalen Bürgern. Der Einstieg sei harmlos und schleichend, der Druck des Alltags manchmal gewaltig.


Es gehe nicht um illegale Drogen wie Heroin, Kokain oder Speed, sondern um Medikamente gegen Schlafstörungen oder Depressionen. Man wisse nicht, wie die sich auf ein gesundes Gehirn langfristig auswirkten. Sogar Joe Cocker, der dank einer außergewöhnlich guten physischen Konstitution seine Exzesse überlebte und zurück ins Musikerleben fand, gebe zu, dass einiges bei ihm nicht mehr so funktioniere wie früher. Bei Dingermann schwingt viel Anerkennung mit, wenn er sagt: „Joe Cocker, das ist ein tougher Hund!“


Elvis Presley dagegen kam gegen seine Abhängigkeiten nicht an. Dabei trank er fast nie, rauchte nicht, konsumierte keine illegalen Drogen. Aber er nahm Medikamente und aß abartig viel. Sein Leibgericht waren Sandwiches mit gegrilltem Speck, Erdnussbutter und zerstampften Bananen. Er nahm stark zu, wirkte aufgedunsen und entwickelte alle Symptome des Metabolischen Syndroms, das man zu Elvis Lebzeiten noch nicht definiert hatte. Die komplexe Krankheit umschreibt einen Mix aus Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und Stoffwechselstörungen.


Wer sich bei seinen Essgewohnheiten gehen lässt, lebt gefährlich, vor allem, wenn besondere Veranlagungen vorliegen, macht Dingermann deutlich. Mehr als die Hälfte der Deutschen sei übergewichtig, ein Viertel sogar fettleibig. Ein großer Anteil der Ausprägung des Körpergewichts sei Erbanlagen geschuldet, aber besonders relevant seien Umweltbedingungen. Prävention sei ebenso wichtig.


Der Professor nimmt sich selbst nicht aus. Er hat sein eigenes Genom entschlüsseln lassen und dabei eine Veranlagung zur Altersdiabetes festgestellt. Er nahm gezielt ab, treibt viel Sport. Den Schritt der Schauspielerin Angelina Jolie, sich die Brüste abnehmen zu lassen, hält er für richtig. Sie hatte jenes Gen, das bei 80 Prozent der Betroffenen Brustkrebs im Laufe des Lebens ausbrechen lässt. Eine generelle Genom-Analyse empfiehlt er trotzdem nicht. Viele Menschen würden mit Angst auf Risiken reagieren – zu viel Furcht erzeuge Stress und schwäche das Immunsystem.


Mitte Dezember wird es im Hörsaal am Riedberg wieder laut. Einmal mehr soll es um Abhängigkeit und Sucht gehen, am Beispiel der Sängerin Amy Winehouse. Sie starb an einer Alkoholvergiftung. Man fand mehr als vier Promille Alkohol in ihrem Blut. „Die hat sich totgesoffen“, konstatiert Dingermann ohne Umschweife.



Die bessere Steuer

$
0
0
Im Herbst 2008 knickte Alan Greenspan ein. Schreckensbleich bekannte der damalige US-Notenbankchef, dass die Theorien, auf denen all seine Entscheidungen beruht hatten, nichts taugen.

Seither ist klar: Die bisherigen Patentrezepte wirken nicht. Es müssen völlig neue Lösungen her. Vorschläge, die das Bankensystem sicherer machen, die verhindern, dass erneut eine Finanzkrise ausbricht und die gesamte Wirtschaft mit in die Tiefe reißt. So manches wurde bereits auf den Weg gebracht, darunter auch die Finanztransaktionssteuer, die demnächst in elf Euro-Ländern eingeführt werden soll.




Wissenschaftler sind auf der Suche nach einer Steuer, die die Verknüpfungen der Banken untereinander risikoärmer gestaltet. Bis jetzt kann die kleinste Veränderung riesige Auswirkungen haben. 


Bis heute gibt es harte Meinungskämpfe über die Effekte dieser „Tobin Tax“. Ein Hin und Her, dem Stefan Thurner nun ein Ende bereiten möchte. Der Leiter des Instituts „Wissenschaft komplexer Systeme“ in Wien hat ihre Auswirkungen mit realen Daten simuliert. „In ihrer jetzigen Form führt sie zu Liquiditätsverlust, höheren Kreditkosten und Produktivitätseinbrüchen“, fand er und schlägt stattdessen eine andere, neue Steuer vor: die Systemic Risk Tax, die das komplexe System „Bankenmarkt“ so verändern soll, dass es sich von innen heraus selbst stabilisiert.


Zehn Jahre tüftelte der heute 45-jährige Wissenschaftler an dieser Lösung. Mit Ökonomen aus Zentralbanken in Österreich und Mexiko hatte er die Struktur des Interbankenmarktes analysiert, also aller Kredite, die Banken einander geben, und entdeckt, dass jeder Markt systemisches Risiko aufweist – eine typische Eigenschaft von Netzwerken, jener Gebilde, die überall zu finden sind, vom Ökosystem bis zum Finanzmarkt.


Erstmals ist es den Forschern gelungen zu berechnen, wie systemisches Risiko durch Vernetzung und Wechselwirkung entsteht und wie es sich ausbreitet. „Zentral ist: Jede noch so kleine Veränderung kann Auswirkungen bis in die letzten Seitenarme des Netzwerks haben“, erklärt der Physiker.


Ein Beispiel: Eine brave Landsparkasse ohne systemische Bedeutung borgt sich bei einer Zockerbank Geld. Deren systemisches Risiko ist hoch, was heißt, ein Großteil des Systems bräche zusammen, stieße dieser Bank etwas zu. Durch den Kredit „erbt“ die Kleinbank einen Teil davon. Geht sie nun bankrott, reißt sie die Zockerbank mit in den Abgrund – und mit ihr das gesamte Netzwerk. Es geht dabei also nicht darum, dass ein Kredit ausfallen könnte. Es geht um die Verknüpfung der Risiken untereinander. „Selbst winzige Rädchen können zu systemischen Katastrophen führen“, betont Thurner.


Doch wie damit umgehen? „Regulierungen wie BaselII werden dessen nicht Herr“, so der Komplexitätsforscher, der auch promovierter Ökonom ist. „Man muss das Netzwerk selbst umbauen: so, dass sich das systemische Risiko gleichmäßig darin verteilt. Das verringert drastisch die Gefahr eines Dominoeffekts.“


Klingt simpel, war aber lange unlösbar. Erst 2012 gelang es dem Physiker Stefano Battiston in Zürich, Banken mit hohem systemischen Risiko in einem Bankennetzwerk herauszufiltern. Thurner will das Netzwerk aber nicht nur abbilden, er will es gezielt umstrukturieren. Das, sagt er, schaffe seine Systemic Risk Tax.


Um sie zu bestimmen, wird, Schritt eins, das systemische Risiko jeder einzelnen Bank festgestellt. „Wir haben eine Maßzahl entwickelt, die angibt, wie hoch der Beitrag jeder Bank zum Gesamtschaden wäre, wenn der Finanzmarkt kollabiert.“ Eine Großbank könnte etwa 45 Prozent des Ausfallschadens, ein kleines Institut nur 0,2 Prozent verantworten.


In Schritt zwei „will man so viel Geld auf die Seite legen, dass ein solcher Schaden gedeckt wäre“. Dieses Geld bringt die Systemic Risk Tax herein, deren Höhe sich am systemischen Risiko der einzelnen Finanztransaktion bemisst. Sie wird mit Thurners Algorithmus von der Zentralbank errechnet und den Kreditkosten aufgeschlagen. Eine Finanztransaktion mit hohem systemischem Risiko wird hoch, eine ohne wird gar nicht besteuert. Die dafür nötigen Daten liegen vielen Zentralbanken, denen jeder Bankkredit ab einer gewissen Höhe gemeldet werden muss, bereits vor. Die Steuer müsste zudem in den Bankbilanzen aufscheinen, eine Transparenz, die Banken zur Wahl des je billigsten – und damit risikoärmsten – Angebots zwingt.


Und genau diese Wahl setzt den gewünschten Umbau des Netzwerks in Gang: Die Banken schichten um von hohen Risiken zu niedrigen Risiken. Nicht, weil sie plötzlich Gutmenschen geworden sind, sondern weil es billiger ist. Dadurch wird das System stabiler.


Doch ist es wirklich so einfach? „Es gibt keine Welt ohne Risiko!“, bezweifelt Dorothea Schäfer die Behauptung, Dominoeffekte seien dadurch nicht mehr möglich. „Die Formel“, so die Finanzmarktexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, „ist aus einer Theorie heraus geboren, die in der Finanzwirtschaft erst kurz eine Rolle spielt und deren theoretische und empirische Basis noch dünn ist. Es muss erst einmal bewiesen werden, dass die Effekte tatsächlich so eintreten.“


Thurner freilich ist überzeugt, den Beweis zu haben: Seine Gruppe entwickelte das Modell einer Zentralbank, Teil eines riesigen Simulators der Finanz- und Realwirtschaft, der unter Leitung des US-Physikers Doyne Farmer derzeit in Oxford entsteht. Ähnlich einem Flugsimulator sollen mit „Crisis“ Regulationsszenarien getestet werden. Teile wie Kreditmarkt, Preisbildung oder Zentralbank sind bereits fertig. „Damit können wir Dinge rechnen, die vor fünf Jahren undenkbar waren.“


Wie die Auswirkung der Finanztransaktionssteuer, die die Wiener in ihren Simulator speisten. „Die Tobin Tax verbessert nichts“, berichten sie. „Das systemische Risiko schrumpft nur so viel, wie das Kreditvolumen abnimmt; die Ansteckungsgefahr bleibt gleich.“ Ganz anders bei Thurners Tax: „Das Risiko sackt um Größenordnungen ab“, zeigt der Physiker seine Graphen. „Ausfälle – die es weiterhin geben wird, etwa wenn eine Firma bankrottgeht und ihre Hausbank mitreißt – sind keine Bedrohung mehr für das System.“ Auch das Kreditvolumen bleibt so hoch wie ohne Steuer. Durch die Tobin Tax sinkt es – ein unerwünschter Effekt.


Die Simulationen zeigen, dass große, risikoreiche Banken durch die neue Steuer schrumpfen, was in mancher Chefetage auf wenig Gegenliebe stoßen dürfte. Thurner plädiert deshalb für eine Übergangsphase, in der die Banken ihr Risiko umbauen könnten. Schäfer sieht hier Probleme: „Sind Großbanken betroffen, schicken die doch sofort ihre Lobbyisten los, um über die Steuer und ihre furchtbaren Konsequenzen zu reden. Abgesehen davon, dass die Formel für die Mehrheit der Entscheider nicht zu durchschauen ist, würde es das schwierig machen, Politiker davon zu überzeugen.“


Ein paar Größen der Finanzwelt, darunter George Soros oder Andy Haldane, Chefökonom der Bank of England, sind da aufgeschlossener: Sie luden die Komplexitätswissenschaftler gerade zum zweiten Mal nach London, um die Systemic Risk Tax zu diskutieren.


„Belassen wir das System, wie es ist, können wir jederzeit wieder in eine Krise schlittern“, warnt Thurner und legt die neueste Studie seiner Gruppe vor: Ihr zufolge ist das systemische Risiko in manchen Ländern heute bis zu viermal höher als vor 2008. Ein Crash würde somit das Vierfache kosten. „Die Systemic Risk Tax wurde einzig dafür entwickelt, das System zu stabilisieren. Wir sollten also ein Interesse daran haben, sie großflächig einzuführen, in einem Währungsraum oder, besser, in den USA und Europa gleichzeitig.“ In den Augen von Thurner ist ein sicherer Finanzmarkt in greifbare Nähe gerückt.



Tod eines Häftlings

$
0
0
Im „Tatort“ kam am Sonntagabend mal wieder die Rede auf „Bruchsal“. Selbstverständlich ging es, als die Stuttgarter Fernsehfahnder von der Stadt am Rand des Kraichgaus sprachen, um Schwerkriminelle mit Drogenproblemen. In Bruchsal, das weiß man, sitzen die ganz harten Jungs ein. Wie es hinter den Mauern der Justizvollzugsanstalt Bruchsal wirklich zugeht, beschäftigt nun die Politik in Baden-Württemberg. Denn am 9. August ist dort ein hochaggressiver, möglicherweise an Wahnvorstellungen leidender Gefangener an Unterernährung gestorben. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ermittelt gegen den Anstaltsleiter und eine Ärztin wegen fahrlässiger Tötung. Aber kann das die einzige Konsequenz bleiben? Der 33-jährige Häftling Rasmane K., verhungert unter den Augen von Wärtern, Medizinern, Anstaltsleitung: Das ist eine Schande für das ganze Land und wirft die Frage auf, ob in allen Gefängnissen Baden-Württembergs die Sitten derart verroht sind.



Mittlerweile ist bekannt geworden, dass in Bruchsal mindestens ein weiterer Häftling ohne Genehmigung in Einzelhaft saß.

Die Opposition aus CDU und FDP hat sich auf Justizminister Rainer Stickelberger eingeschossen. Am Montag musste der Minister im Ständigen Ausschuss des Landtags Rede und Antwort stehen, fast sechs Stunden lang. Hinterher ließ Bernhard Lasotta im Namen der CDU erkennen, seine Fraktion werde den Rücktritt von Stickelberger fordern.

Rainer Stickelberger, 63, ein Jurist, gilt über die Parteigrenzen hinweg als honoriger Mann. Er ist erst seit dem Machtwechsel 2011 im Amt und trägt bestimmt nicht die Verantwortung für alle Missstände, von denen nun täglich neu berichtet wird. Aber der Minister hat es sich wohl zu leicht gemacht, als er den Anstaltsleiter suspendierte – er hatte die Einzelhaft für Rasmane K. nicht genehmigen lassen – und ansonsten jede Verantwortung von sich wies. Der Minister hat es versäumt, sich an die Spitze der Aufklärer zu setzen. Und so fällt jetzt jede Enthüllung auf ihn selbst zurück.

Rasmane K., so viel steht fest, war als Problemfall im Justizministerium aktenkundig, ehe man ihn tot in seiner Zelle fand, bei einer Größe von 1,85 nur noch 57 Kilo schwer. Der Mann aus Burkina Faso, als Asylbewerber im Jahr 2003 nach Deutschland gekommen, saß wegen Totschlags in Haft, weil er seine Lebensgefährtin erstochen hatte. Im Frühjahr 2012 verletzte RasmaneK. im Gefängnis in Offenburg einen Justizvollzugsbeamten mit einem Kopfstoß lebensgefährlich, er wurde nach Freiburg verlegt. Weil er im Sommer 2013 erneut einen Beamten angriff, kam K. dann von Freiburg nach Bruchsal.

Rasmane K. saß in Einzelhaft, in Freiburg wie in Bruchsal. Die „unausgesetzte Absonderung“, wie das im Beamtendeutsch heißt, muss vom Justizministerium genehmigt werden, wenn sie länger als drei Monate dauert. Der Anstaltsleiter in Bruchsal beantragte sie für Rasmane K. letztmals im Dezember 2013, die Genehmigung galt für ein Vierteljahr. Darauf beruft sich Stickelberger: Seit Anfang April galt Rasmane K. laut Akten nicht mehr als Einzelhäftling. Auch habe die JVA entgegen den Vorschriften nicht berichtet, dass der Häftling nichts mehr aß. Doch Stickelbergers Kritiker halten dagegen: Das Ministerium hätte nachfragen müssen.

Bei Nachfrage hätte das Ministerium in Erfahrung bringen können, wie es um Rasmane K. stand. Wie er immer unzugänglicher wurde. Kein Duschen, kein Hofgang, kein Essen. Alles, was man ihm durch die Klappe reichte, lehnte er ab, offenbar aus Angst, vergiftet zu werden. Er ernährte sich von selbst gekauftem Müsli. Im Januar 2014 stellte ein Psychiater fest, „dass bei dem Gefangenen eine Behandlungsbedürftigkeit, aber keine Behandlungsbereitschaft“ bestehe. Man unternahm: nichts. Wirklich nur ein tragischer Einzelfall?

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass in Bruchsal mindestens ein weiterer Häftling ohne Genehmigung in Einzelhaft saß. Bekannt wurde auch, dass sich Mitarbeiter der JVA Bruchsal makabre Scherze erlaubten. Sie steckten Kollegen in gestreifte Häftlingskostüme, ketteten sie „einvernehmlich“ an eine Heizung, verklebten ihnen den Mund, beschmierten sie mit schwarzer Schuhcreme. Mehrmals rügten Gerichte in den vergangenen Jahren, dass der Anstaltsleiter generell Nackt-Untersuchungen bei Gefangenen anordnete, die die Anstalt verließen oder in die Anstalt zurückkehrten. Nacktuntersuchung samt Anus-Inspektion – das ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, er muss maßvoll eingesetzt werden. Die neueste Enthüllung: Zwei Sozialarbeiter machten sich über Häftlinge Notizen, die das Justizministerium nun als „nicht hinnehmbare Entgleisungen“ wertet. Offenbar hatten sie auch mit Rasmane K. zu tun.

Minister Stickelberger hat als Reaktion auf den Tod von Rasmane K. angekündigt, in den Gefängnissen mehr externe Psychiater zu Rate ziehen zu lassen. Auch muss das Justizministerium künftig über jede Einzelhaft abschließend unterrichtet werden. Am Montag wurde zudem bekannt, dass der Leiter der Abteilung Justizvollzug im Justizministerium seinen Posten vorzeitig räumen muss. Angeblich hatte er dem Minister Informationen vorenthalten. Das wirkte wieder, als wälze Rainer Stickelberger Verantwortung ab.

Unabhängig von der Person des Justizministers wäre es wohl an der Zeit, die Zustände in den Gefängnissen von Baden-Württemberg grundsätzlich zu untersuchen. Denn seit dem Tod von Rasmane K. gerät jede Meldung zum Skandal: Selbstmordversuche in der JVA Heimsheim, Kellerverliese in der JVA Ravensburg, Schlägereien im Jugendgefängnis Adelsheim. Das Vertrauen in den Justizvollzug hat schwer gelitten.

Ein Gen, sich zu binden

$
0
0
Es ist nicht nur eine Sache des Herzens, ob Menschen leicht eine Bindung mit anderen eingehen – auch die Gene scheinen darauf Einfluss zu nehmen. Drei chinesische Forscher wollten herausfinden, warum manche Studenten leicht einen Partner oder eine Partnerin finden, andere sich damit hingegen schwerer tun. Sie untersuchten die Erbanlagen von 579 Studentinnen und Studenten gezielt nach Unterschieden in einem Gen, das die Wirkung des Neurobotenstoffs Serotonin im Körper beeinflusst.



Die Befunde sind zuverlässig für junge Studenten, aber nicht unbedingt für Bürger aus allen sozialen Schichten, so die Forscher.

Eine Veränderung dieses Gens an nur einer Stelle in der Abfolge der Erbgutbausteine scheint bereits einen Einfluss auf das Bindungsverhalten der untersuchten Studenten zu haben. Befindet sich an dieser Stelle der Baustein Cytosin, lag die Wahrscheinlichkeit, dass die untersuchte Studentin oder der Student in einer glücklichen Paarbeziehung lebte, bei 50 Prozent. Steht stattdessen jedoch ein Guanin an dieser Stelle, lagen die Chancen für eine Partnerschaft nur bei 40 Prozent, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt Scientific Reports (online). Ein auf den ersten Blick kleiner, aber durch die verschiedenen statistischen Tests der Wissenschaftler zuverlässig belegter Effekt.


Bereits in früheren Untersuchungen hatte sich gezeigt, dass Menschen mit der Guanin-Variante eher Schwierigkeiten damit haben, Nähe zuzulassen, als solche, die den Cytosin-Baustein an dieser Stelle im Erbgut tragen. Träger des Guanin-Typs entwickeln außerdem häufiger neurotische Persönlichkeiten und psychiatrische Störungen wie zum Beispiel Depressionen. Vor diesem Hintergrund wirkt es wenig überraschend, dass die Betroffenen seltener in Paarbeziehungen stecken. Die Forscher warnen auch davor, die Ergebnisse auf die breite Bevölkerung zu übertragen.


Ihre Befunde seien zuverlässig für junge Studenten, aber nicht unbedingt für Bürger aus allen sozialen Schichten. „Unter anderen Lebensumständen könnte der genetische Beitrag zur Bindungsfähigkeit von weiteren Faktoren überdeckt werden“, schreibt das Trio. Damit meinen sie etwa das Einkommen eines möglichen Partners oder das gesellschaftliche Ansehen.




Tagesblog - 25. November 2014

$
0
0
18:10 Uhr: Ganz vergessen, mich hier abzumelden. Muss jetzt mal was arbeiten!

Peace out, people!

[plugin imagelink link="http://media3.giphy.com/media/FMYD2rNMDrKow/200.gif" imagesrc="http://media3.giphy.com/media/FMYD2rNMDrKow/200.gif"]

++++

17:36 Uhr:


Wer zuerst blinzelt, hat verloren!

[plugin imagelink link="http://i22.photobucket.com/albums/b311/b06tmm/Animations/tumblr_laskfbMMic1qe0eclo1_r2_500.gif" imagesrc="http://i22.photobucket.com/albums/b311/b06tmm/Animations/tumblr_laskfbMMic1qe0eclo1_r2_500.gif"]

++++

17:34 Uhr:
Vervierfacht ...

++++

17:12 Uhr:
Vielleicht bin ich so alt, dass mir der Tod schon in den Nacken haucht, und das Lexikon des Guten Lebens von heute packt mich deshalb so. Aber: Ich finde, es ist das beste seit Wochen: Wie organisiere ich eine Beerdigung?

Sehr tolles Protokoll ist da drinnen! Spagat zwischen Gefühl und Information - Hilfsbegriff!





++++

16:37 Uhr:


Bild mit was im Gesicht in lustig:





Bild mit was im Gesicht in traurig (und jetzt auch aufrecht):




R.I.P. Schnäuzer ...

++++

16:21 Uhr:
Will ja nicht prahlen, aber seit ich mit einem billigen Peniswitz übernommen habe, hat sich die Herzchenzahl verdreifacht ... Nimm das, Nadja Schlüter!

++++

15:51 Uhr:
Ich dachte ja, das Bild sei eine gezielte Übergabe an mich: Alt, offenbar Rückenprobleme, bisschen grumpy. Großer Penis. Vermutlich ist es aber Zufall.

++++

15:47 Uhr:
Irgendwann werde ich vermutlich eine alte Frau sein. Und mich dann hoffentlich genauso toll finden, wie ich alte Menschen manchmal toll finde. Solange schaue ich mir diese Bildergalerie an: Elderly People Who Probably Dont Realize What They're Wearing. Den Titel halte ich allerdings für Quatsch - einige wissen sicher sehr genau, was sie da tragen.
[plugin imagelink link="http://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2014/11/old-people-funny-t-shirts-5__605.jpg" imagesrc="http://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2014/11/old-people-funny-t-shirts-5__605.jpg"]
Und weil hier die Termine "Termine, Termine" rufen, übergebe ich den Tagesblog jetzt an Jakob Biazza. Seid lieb zu ihm!

++++

15:32 Uhr: Habe ich ja nie verstanden, dass die Menschen bei Düsseldorf an "Schickimicki" denken. Ich habe da viel Lebenszeit verbracht und fand es nie schickimicki. Könnte natürlich daran liegen, dass ich im noch schickeren München wohne. Aber glaube ich eigentlich nicht. Düsseldorf kennt nur keiner. Zum Glück ist die Stadt diese Woche Thema im Studentenatlas und wer diese vier schönen Protokolle gelesen hat, wird verstehen, wovon ich spreche, wenn ich sage: Düsseldorf - gute Stadt!


Schöne Menschen aus einer schönen Stadt. Schön!

++++

14:46 Uhr:
Aha, aha, man lernt ja nie aus: In machen Regionen der Schweiz gilt Hunde- und Katzenfleisch als Weihnachtdelikatesse.Gibt jetzt aber eine Petition dagegen. Und was ist mit den vielen Gänsen, mh? Ich würde ja sagen: Entweder alle Tiere essen oder halt keine.
[plugin imagelink link="http://s3-ec.buzzfed.com/static/enhanced/webdr01/2013/8/1/15/anigif_enhanced-buzz-7022-1375384070-0.gif" imagesrc="http://s3-ec.buzzfed.com/static/enhanced/webdr01/2013/8/1/15/anigif_enhanced-buzz-7022-1375384070-0.gif"] Hund mit Burger. Wieso nicht auch Burger aus Hund?

++++

13:49 Uhr:
Das NDR Kultur-Journal hat Glück, denn das NDR Kultur-Journal hat Michel Abdollahi als Außenreporter. Diesmal war er im Hamburger Nobelstadtteil Harvestehude unterwegs, in dem es bald eine Unterkunft für Flüchtlinge geben soll. Die Harvestehuder finden das nicht so gut und sagen Sachen wie: "Die laufen rum und dann entsteht Kriminalität. Was soll sonst entstehen?" Michel sagt darum Sachen wie: "Ich habe das Gefühl, dass es hier schon ohne Flüchtlinge schwer auszuhalten ist."


Michel Abdollahi in Harvestehude. Da gibt's Geld. Und bald auch Flüchtlinge.

++++

12:35 Uhr:
Nicht viel los im Blog, tut mit leid, aber ich hatte euch ja vorgewarnt.

Dafür gibt es jetzt einen neuen Text auf der Startseite:
Anne Chebu ist Moderatorin, Journalistin, Nürnbergerin und schwarz. Und weil viele Menschen ihr Leben lang ziemlich oft darüber gesprochen haben, dass sie schwarz ist, von Nachfragen über Witze bis hin zu Beleidigungen, hat sie ein Buch darüber geschrieben: "Anleitung zum Schwarz sein". Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen, was sich ändern muss und warum sie "Schwarz" mit einem großen S schreibt.

++++

11:22 Uhr:
Alles ist heute bio, sogar Drohnen! Es gibt jetzt bald welche aus Pilzen und Kompost. Gut aussehen tut die nicht gerade:
[plugin imagelink link="http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/bio-drohne-nasa-101~_v-videowebm.jpg" imagesrc="http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/bio-drohne-nasa-101~_v-videowebm.jpg"] via tagesschau.de
Soll nur für zivile Einsätze genutzt werden. Das wäre aber sonst auch arg zynisch, Menschen mit Bio-Drohnen töten.

++++

10:02 Uhr:
Jetzt haben wir gleich Konferenz, vorher gibt es aber noch einen Text: eine neue Folge "Woher der Hass?" Thema diesmal: Hannover. Ist jetzt freigegeben zum Abschuss für Hannoveraner Lokalpatrioten. Loslos!


Hannoveraner in Aktion.

++++

09:37 Uhr:
Ein paar Nachrichten:

Der Polizist, der Michael Brown erschossen hat, wird nicht angeklagt. Überall in den USA wird gegen die Entscheidung der Grand Jury protestiert, in Ferguson eskaliert die Situation.

"Unsere Mütter, unsere Väter" gewinnt einen Emmy.

Eine Umfrage hat ergeben: 83 Prozent der Menschen, die das Internet nutzen, finden, dass der Zugang zum Internet ein Menschenrecht sein sollte.

++++

09:18 Uhr:
JAKOB IST DA!

++++

09:13 Uhr:
Auweia, zu all der Einsamkeit heute dann auch noch ein grau-in-grau-Tagesticker: Wie gedenkst du der Toten? Puh.

++++

09:07 Uhr:
Guten Morgen! Nachdem Simon gestern geschrieben hat, ich sei "irgendwo im Zug auf dem Weg nach irgendwoanders in Deutschland", kommt hier die gute Nachricht: Es war ein Zug nach München! Fast direkt hinein in die jetzt-Redaktion. Die schlechte Nachricht ist: Das Büro ist immer noch leer. Gerade sogar völlig leer. Jakob kommt noch (weil der immer da ist), aber dann ist auch schon wieder Schluss. Erwartet also bitte keine allzu großen Sprünge im Tagesblog (aber wenn was ist: bin da!).

Eine Frage der Kohle

$
0
0
Der Verteilungskampf beginnt am frühen Nachmittag in Berlin. Die Sitzung mit dem Bundeswirtschaftsminister soll gleich beginnen, da trommelt Hildegard Müller noch einmal alle zusammen. Keiner solle die gemeinsame Linie der Stromkonzerne vergessen, mahnt die Chefin des Branchenverbands BDEW: Wenn Sigmar Gabriel (SPD) gleich seine Kohle-Pläne vorstellt, sollen die Unternehmen unbedingt auch die Einführung so genannter Kapazitätsmärkte einfordern, eine Art Aufschlag für den Betrieb von Kraftwerken. Doch die Strategie wird in einem kleinen Erdbeben enden.



Dauerthema in der Energiewende: Braunkohlekraftwerke.

Am Morgen schon hatte der Industrieverband BDI vorgelegt. Eilends verschickt der Verband eine Studie, die vor staatlichen Eingriffen in die Kohlekapazitäten warnt: Sie brächten dem Klima wenig, weil Emissionen nur ins Ausland verlagert würden. „Kraftwerksstilllegungen schädigen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ganz unmittelbar“, warnt BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber, „ohne Nutzen für das Klima.“


Zu der Stunde halten sich die Stromkonzerne noch alle bedeckt. Offiziell sollten sie schließlich erst am Nachmittag von Gabriels Plänen erfahren, doch die Papiere kursierten schon seit dem Wochenende. Im Kern laufen sie auf die Stilllegung einzelner Kraftwerke hinaus, dies aber nach Wahl der Stromkonzerne. Bis zum Jahr 2020 sollen sie 22 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid ausstoßen, als es nach bisherigen Prognosen der Fall gewesen wäre. Es soll helfen, die deutschen Klimaziele bis 2020 doch noch zu schaffen. Und vermutlich werden damit auch die Börsenpreise für Strom steigen.


Spätestens hier hört der Spaß auf – zumindest für Industriebetriebe, die den Strom verbrauchen. Sie fürchten höhere Preise. Den Strom-Erzeugern, den großen Konzernen RWE, Eon, Vattenfall und EnBW, könnte Gabriels Abschaltplan dagegen sogar helfen: Sie würden vielleicht etwas weniger Strom erzeugen, das aber zu einem höheren Preis. Am Ende könnte faktisch eine kollektive Beschränkung der Kapazitäten stehen, auf die sich die Betreiber anders nicht hätten verständigen können – des Kartellrechts wegen. Denn seit Jahren plagen den Markt massive Überkapazitäten. Die Folge ist ein massiver Preisverfall an der Strombörse: Wurde Strom im November 2011 noch für über 60 Euro die Megawattstunde verkauft, kostet er heute nur noch an die 40 Euro. Zunehmend belastet das die Bilanzen der Stromkonzerne.


Auch deswegen bringt Hildegard Müller an diesem Nachmittag die Kapazitätsmärkte samt Kraftwerksaufschlag ins Spiel, doch der SPD-Chef hält davon, vorsichtig gesagt, gar nichts. Gabriel habe Müller regelrecht zusammengefaltet, berichten Teilnehmer nach dem einstündigen Treffen. Ein „Hartz-IV für alte Kraftwerke“ hatte er schon früher abgelehnt. Als Bedingung für seinen Klima-Kohleplan will er den Bonus nun erst recht nicht hinnehmen. Der CDU-Frau Müller, die über beste Kontakte zur Kanzlerin verfügt, dürfte das bei dem Treffen auch deutlich geworden sein.


Doch damit ist der Konflikt erst richtig entbrannt, denn mindestens der Stromverband ist über Gabriels überfallartiges Vorgehen pikiert – und auch über den rüden Ton am Montagnachmittag. Obendrein ist nicht klar, inwieweit die Union schon in die Pläne des SPD-Ministers eingeweiht ist: Im Kanzleramt jedenfalls waren sie bis Montagmittag noch nicht eingegangen. Dabei sollen die Grundzüge schon in gut einer Woche das Kabinett passieren.


Zumindest aber die Kampflinien sind nun klar. Die Stromkonzerne etwa wollen neue Einschnitte nur dann ohne Widerstand hinnehmen, wenn ihnen keine Nachteile entstehen. „Neue Eingriffe in das Eigentum der Energiebranche wie beim beschleunigten Atomausstieg, werden wir nicht akzeptieren“, verlautet aus einem Energiekonzern. Gabriel selbst wiederum sieht darin kein Problem, schließlich könnten die Unternehmen selbst entscheiden, welche Kraftwerke sie stilllegen. „Wir werden zum Abbau von Überkapazitäten kommen“, sagt er nach dem Treffen, „das ist normal.“ Und Müller? Ihr Verband bekräftigt am Abend noch einmal, man wolle „kurzfristig, konstruktiv und ergebnisoffen“ verhandeln. Um dann, ganz diskret, noch einmal auf seine Vorschläge zum Kapazitätsmarkt hinzuweisen.

Die Spur der schwarzen Spinne

$
0
0
Seit Jahren schreibt der britische Thronfolger Prinz Charles regelmäßig Briefe an Ministerien, in denen er, wie der Palast betont, seine private Meinung zum Ausdruck bringt. Zwar sind die Briefe nicht öffentlich, doch immer wieder äußern Politiker und Journalisten den Verdacht, dass Charles Lobbyarbeit für seine Interessen betreibe. Im politischen Betrieb Londons sind die Briefe als „Schwarze-Spinnen-Vermerke“ bekannt, weil Charles eine krakelige Handschrift hat. Der Telegraph weiß überdies zu berichten, dass der Prinz einen emotionalen Stil pflege, gern Passagen unterstreiche und reichlich Ausrufezeichen in seine Texte streue.



Liegt Prinz Charles ein Anliegen am Herzen, greift er zum Stift. Das erste Mal soll ein Brief 2002 öffentlich geworden sein, der Prinz hatte sich für Farmer in Cumbria eingesesetzt.

Seit neun Jahren versucht der Guardian Einblick in 27 Briefe zu erhalten, die Charles zwischen 2004 und 2005 an sieben Ministerien geschrieben hat. Das Blatt beruft sich auf das Informationsfreiheitsgesetz und argumentiert, es sei im öffentlichen Interesse zu sehen, ob Charles Einfluss auf Entscheidungen der Ministerien genommen habe. Die Rolle als Thronfolger gebietet ihm politische Neutralität.

Die Regierung hat das Ansinnen bisher abgelehnt. Nachdem ein Gericht 2012 beschieden hatte, die Briefe müssten freigegeben werden, legte der Generalstaatsanwalt sein Veto ein. Sein Argument: Sollte durch die Veröffentlichung der Eindruck entstehen, Charles sei nicht neutral, könnte das seinem Ansehen als künftiger König und damit der Monarchie schaden. Es sei besser anzunehmen, der Prinz sei unparteiisch, als zu beweisen, dass er es nicht sei. Im März dieses Jahres entschied ein Berufungsgericht, dass das Veto unrechtmäßig sei. Dagegen hat der Generalstaatsanwalt wiederum Berufung eingelegt. Seit diesem Montag beschäftigt sich der Supreme Court mit dem Fall. Zwei Tage lang hören sieben Richter die Argumente des Guardian und die der Regierung. Dann entscheiden sie, letztinstanzlich.

Charles hat vielfältige Interessen, dazu zählen Architektur und Landwirtschaft. Besonders ausgeprägt ist sein Sinn für die Umwelt. Seinen Aston Martin ließ er so umbauen, dass dieser mit Biosprit fährt, bisweilen führt er Gespräche mit Blumen. Liegt ihm ein Thema am Herzen, greift er zum Stift. 2002 wurden erstmals Details eines Briefes bekannt. Charles hatte sich beim damaligen Premierminister Tony Blair für die Belange von Farmern in Cumbria eingesetzt. Seither gibt es in regelmäßigen Abständen Gerüchte, Charles mische sich aktiv in die Politik ein. 2009 schrieb er der königlichen Familie von Katar, die ein Bauprojekt in Chelsea finanzierte. Charles gefiel der moderne Entwurf des Architekten Richard Rodgers nicht. Rodgers verlor den Auftrag, woraufhin sich mehrere namhafte Architekten, unter ihnen Norman Foster und Zaha Hadid, in einem Brief an die Times darüber beschwerten, dass der Prinz einen „offenen und demokratischen Planungsprozess“ unterwandert habe.

Der 66 Jahre alte Charles hat sich einen Ruf als Mann mit starken Meinungen erworben. Erst vor wenigen Tagen hatten Vertraute des Prinzen gesagt, er gedenke, sich auch als König in Herzensangelegenheiten zu äußern, seine Rolle als Monarch also anders zu interpretieren als seine Mutter. ElizabethII. hat in mehr als 62 Jahren auf dem Thron größten Wert darauf gelegt, sich politisch vollkommen neutral zu verhalten.

Woher der Hass? Hannover

$
0
0
Jeder wohnt irgendwo, deswegen ist der Wohnort ein gutes Smalltalk-Thema, wenn man mal im Aufzug steckenbleibt. Man kann dann ein paar regionale Spezifika behaupten und austauschen, bis der Aufzugsmonteur kommt: In Köln, da sind alle so offen. In Berlin sind sie zwar unfreundlich, aber herrlich direkt. In Westfalen so trocken und erdig. Eigentlich gibt’s über jeden Ort was Nettes zu sagen. Außer über Hannover. Hannoveraner haben bei der Verteilung regionaler Eigenheiten Pech gehabt: Sie sind besonders langweilig. Und betreiben besonders viel Gemauschel.
 
Wer „langweiligste Stadt Deutschlands“ bei Google eintippt, bekommt von der Suchmaschine Hannover vorgeschlagen. Die Stadt hat es tatsächlich geschafft, in unserem mit Biederkeit nicht geizenden Land als besonders bieder aufzufallen. Als Beleg dafür werden gerne Christian und Bettina Wulff herangezogen. Bieder war ihr Klinkerhaus in Großburgwedel am Rande von Hannover, bieder ist Bettinas Tribal-Tattoo, bieder ist sogar noch die Trennung der beiden („Trennung, so Normcore!“).




Es ist die Mischung. Sie macht die Leute rasend.
 
Aber wenn’s nur das wäre. Wer „Abzocker“ bei der Google-Bildersuche eintippt, dem wird etwas weiter unten das Bild des Unternehmers Carsten Maschmeyer angezeigt. Maschmeyer ist mit dem Image von Hannover verflochten, weswegen die Stadt jetzt als Hort der undurchsichtigen Geschäfte und des Eine-schmutzige-Hand-wäscht-die-andere-schmutzige gilt. Maschmeyer hat sein Geld mit dem „Finanzvertriebsdienstleister“ AWD gemacht, dessen Geschäftsgebaren immer wieder kritisiert wurden. Jetzt gibt es wieder neue Vorwürfe gegen ihn. Es geht um zwei Millionen Euro, die Riester-Rente und Gerhard Schröders Autobiografie, also um dieses ganze biedere Hannover-Zeug.

Deswegen sieht man jetzt ständig Fotos von Maschmeyer mit seinem Freund Schröder in der Zeitung, so wie vor einiger Zeit ständig Fotos von Maschmeyer mit Christian Wulff zu sehen war. Irgendwie sehen die Männer auf diesen Fotos immer so aus, als würden sie gerade herummauscheln. Vielleicht liegt’s einfach am Licht in Hannover, dass man da so mauschelige Fotos macht. Weil dann auch noch Hell’s Angels in der Stadt ihr Unwesen treiben, hat sich ein böses Wort etabliert: die Maschsee-Mafia, benannt nach dem Maschsee, dem anderen Hannoveraner Wahrzeichen neben Mauschelei und Langeweile.
 
Der Fall Hannover scheint eindeutig: lebenslänglich mit anschließender Langeweileverwahrung. Dabei ist, jetzt mal unter uns, in Hamburg auch nicht viel mehr los als in Hannover. Und auch in München wird viel gemauschelt. „Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover“, hat Arno Schmidt einmal geschrieben. Warum wird Hannover also so übel genommen, was wir anderswo einfach als Normalität durchwinken?

Es ist die Mischung. Sie macht die Leute rasend. Wo Biederkeit auf Unmoral trifft, da kennt man kein Erbarmen. Denn Biederkeit brandmarkt den Aufsteiger. Der hat sich vielleicht ein Vermögen zusammengeklaubt, aber er gehört noch lange nicht dazu, ihm fehlen Geschmack, Verbindungen und das Familienwappen. Zwielichtige Geschäfte in den Villen am Starnberger See und in Blankenese – meinetwegen, was soll man in den Villen auch sonst tun. Aber in Hannover? Wie widerlich.

Wenn wir übers Ohr gehauen werden, dann wenigstens von stilsicheren Industriellen mit Sommersitz in den Hamptons, ganz viel old money und exquisitem Kunstgeschmack. Nicht von einem wie Maschmeyer, Gesicht eines Sonnenstudiobesitzers, Sohn einer alleinerziehenden Sekretärin. Dessen Verbindungen dann nicht bis ins Weiße Haus reichen, sondern nur bis zum Sektausschank auf einer Promi-Geburtstagsparty in Niedersachsen. Hinter dem Hass auf Hannover steckt vor allem ein Albtraum: Wer nicht schon reich, privilegiert und geschmackssicher geboren wurde, aber trotzdem nach oben will, der kommt nicht weiter als bis nach Hannover. Und auch dorthin nur mit fragwürdigen Mitteln.

"Seit ich mich erinnern kann, grabschen mir Leute ungefragt an den Kopf"

$
0
0
Anne, du hast einen Ratgeber für schwarze Deutsche geschrieben. Muss man denn das Schwarzsein mit Hilfe von Büchern lernen?
Anne Chebu: Um eines vorab zu klären: Ich schreibe Schwarz mit großem S, weil es hier nicht um eine Farbe, sondern um eine Identität geht. Ich begegne immer wieder Schwarzen, die sich noch nie Gedanken darüber gemacht haben – etwa weil sie isoliert auf dem Land aufgewachsen sind, ihnen der Kontakt zu anderen Schwarzen fehlte. Irgendwann kommt aber für jeden der Moment, in dem er sich fragt: Wer bin ich? Wie nenne ich mich? Was toleriere ich von anderen? Diese Menschen werden dann oft von widersprüchlichen Informationen überrollt. Etwa wenn sie gelernt haben, Namen wie „Neger“ oder „Mischling“ zu akzeptieren und dann auf andere Schwarze mit einem gesteigerten Bewusstsein für Rassismen treffen...

Hast du selbst einen solchen Schock erlebt?
Nein, meine weiße Mutter und mein schwarzer Vater haben eine politisch korrekte Sprache gepflegt und mich in einen Kindergarten mit anderen afrodeutschen Kindern geschickt. Ich hatte später aber kaum schwarze Freunde – und litt an einem schleichenden Unwohlsein. Erst als ich zu einem Treffen der Initiative Schwarzer Deutscher ging, fühlte ich mich das erste Mal wirklich sicher und zu Hause...



Anne Chebu im Kampf gegen das N-Wort und Alltagsrassismus

Weil du im Alltag ständig auf deine Hautfarbe gestoßen wirst?
Ich habe besonders die vielen Kommentare über meine Haare als rassistisch erlebt. Seit ich mich erinnern kann, grabschen mir fremde Leute ungefragt an den Kopf. In der Schule witzelten die Lehrer, der hinter mir könne nichts sehen, weil ich so viele Haare hätte. Wenn ich mich dagegen gewehrt habe, hieß es: Sei doch nicht so empfindlich! Auch deshalb habe ich das Buch geschrieben. Als Stärkung gegen die Übergriffe im Alltag.

Du schreibst allerdings in einem sehr viel versöhnlicheren Tonfall als etwa Noah Sow, deren Buch „Deutschland Schwarz-Weiß“ selbst die Wohlwollenden als Rassisten entlarvt...
Noah Sow wollte ja auch explizit Weiße konfrontieren. Während ich mir beim Schreiben vorgestellt habe, dass ich meine Leser an der Hand nehme und sie durch die sehr heterogene „schwarze Community in Deutschland“ führe.

Das klingt sehr pädagogisch. Gibt es nicht auch Themen, bei denen du wütend wirst?
Ja, etwa wenn ich an der Litfasssäule groß „Neger“ lese. Egal, ob es sich um ein Theaterstück aus den Sechziger Jahren handelt und man damals noch eine andere Sprache benutzte: Das Wort verursacht mir und den meisten Afrodeutschen körperliches Unwohlsein. Nur: Unsere Gefühle, die empfundene Diskriminierung werden meist nicht ernst genommen. Statt „interessant, das habe ich noch nicht gewusst“, hören wir immer „Ja aber, ja aber, ja aber...“ Als ob man uns erklären müsste, wann wir betroffen sein dürfen und wann nicht.

Was hältst du von HipHop-Fans, die sich unabhängig von der Hautfarbe als „Nigger“ anreden?
Schrecklich! Ich kommentiere solche Dummheiten immer – allein schon, damit das nicht auch noch der nächste Schwarze anhören muss. Ebenso kritisch sehe ich übrigens alle abwertenden Begriffe für Minderheiten, egal ob Zigeuner oder Krüppel.

Du nimmst dafür in Kauf, als politisch korrekter Spielverderber abgestempelt zu werden?
Natürlich höre ich öfter Kritik: Stell dich nicht so an. Oder: Was musst du dauernd dein Schwarzsein thematisieren? Dabei begegnen jedem schwarzen Deutschen täglich dieselben Standard-Peinlichkeiten: Man sitzt im Zug oder im Restaurant und wird angesprochen. „Woher kommst Du?“ Wenn ich antworte „aus Nürnberg“ kann ich mir sicher sein, dass das Gegenüber weiter bohrt: „Und ursprünglich? Ja aber deine Eltern?“ Wie reagierst du darauf? Das kommt auf die Person an. Wenn so eine Frage aber aus dem Off kommt, kontere ich schon mal: „Und du? Wo kommst du ursprünglich her? Bist du wirklich in Deutschland geboren? Und deine Eltern auch?“ Erst dann merken manche, wie sehr dieses Hinterherfragen nervt. Viele Afrodeutsche hören auch immer wieder: „Du sprichst aber gut deutsch“. In England und Amerika würde Schwarzen so etwas kaum passieren.

Viele Menschen assoziieren mit Schwarzen nicht nur Ausländer, sondern auch Gesangs-, Tanz- und Entertainment-Talente. Kennst du auch diese positive Diskriminierung?
In der Schule forderten mich meine weißen Klassenkameraden auf: „Tanz mal, du bist doch schwarz, du musst doch gut tanzen“. Bis zur nächsten Schul-Disco bat ich eine Freundin, mir das Tanzen beizubringen, und übte täglich stundenlang vor dem Spiegel. Ich fühlte enormen Druck, wollte ihr Bild von mir nicht enttäuschen. Dabei bin ich als geborene Fränkin auf der Tanzfläche nicht anders als die blonde Lieselotte....

Du schreibst, dass du Faschingsfeiern generell vermeidest, weil du immer wieder weiße Menschen mit schwarz angemalten Gesichtern siehst, die das auch noch mordsmäßig lustig finden. Hilft in solchen Fällen das Reden?
Ich habe schlechte Erfahrungen mit Diskutieren gemacht: Weil es oft gar nicht um mangelndes Wissen geht. Sondern um bloßes Rechthaben – bis dahin, dass mir Weiße meine Gefühle ausreden wollen. Mit denen will ich nichts zu tun haben.

Kann da Humor helfen? Der afrodeutsche Komiker Marius Jung fordert sein Publikum auf, „so oft Neger zu sagen, bis Sie selbst lachen müssen“.
Diese Art von Humor geht mir gelinde gesagt auf die Nerven. Ich hatte da mal ein Erlebnis mit einem schwarzen DJ, der das Lied „Zehn kleine Negerlein“ auflegte. Er wolle die Menschen provozieren, über Rassismus nachzudenken. Sagte er. Aber es war Samstagnacht: Alle grölten mit und ich bekam Bauchschmerzen bei diesem Freifahrtschein für das N-Wort. Ironie und Rassismus: Das geht für mich nicht zusammen. Voraussetzung dafür wäre, dass sich alle Zuhörer kritisch mit Rassismus auseinandergesetzt haben.

Du behauptest sogar, dass die feinen Nadelstiche im Alltag oft gerade von den vermeintlich Aufgeklärten kommen...
Ein Beispiel: Mit 18 Jahren besuchte ich das erste Mal eine angesagte Diskothek in Nürnberg. Der ganze Laden war mit afrikanischen Stoffen und Schnitzereien ausstaffiert. Ich war noch keine zwei Minuten drinnen – da sprach mich schon der Chef an: Du bekommst einen Job bei mir. Du passt gut zu unserer Deko. Damals nahm ich an. Ich hatte mich noch nicht mit meinem Schwarzsein beschäftigt. Aber diese Bemerkung bohrte lange in mir, ich will als Mensch, nicht als Deko gesehen werden...

Was müsste passieren, damit das Schwarzsein in Deutschland kein Spießruten-Lauf mehr ist?
Das fängt bei der Einlass-Politik vieler Clubs an: Ich bin etwa vom Türsteher des Münchner Max & Moritz, der seinen ersten Tag hatte und noch nicht die richtige Umschreibung kannte, abgewiesen worden: „Ausländer kommen hier nicht rein“. Und dann das Fernsehen: Da sollen wir Schwarze im Fernsehen möglichst nur Tanz, Mode und Sport repräsentieren. Du kannst dir kaum den Eiertanz der Bedenkenträger vorstellen, wenn es darum geht, dem Publikum eine schwarze Moderatorin in einer Nachrichtensendung zuzumuten. Und warum eigentlich sehen wir nie eine schwarze Ärztin oder Lehrerin in einer Vorabendserie, ohne dass diese zwangsläufig auch noch Kriegs-Flüchtling und genitalverstümmelt ist?

"Anleitung zum Schwarz sein" ist im Unrast Verlag erschienen.
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live




Latest Images