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Wie entferne ich Links bei Google?

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Alles fing mit der Klage eines Spaniers an. Wenn er seinen Namen googelte, fand er Hinweise auf eine Zwangsversteigerung seines Hauses, die 15 Jahre zurücklag. Weil er aber nicht mehr als Schuldner mit schlechter Zahlungsmoral im Internet zu finden sein wollte, verklagte er die Zeitung, die den Artikel über ihn veröffentlich hatte – ohne Erfolg.  

Daraufhin beschwerte sich der Mann bei der Datenschutzbehörde seines Landes. Die erwirkte, dass der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt wurde. Spanien bekam Recht: Die Richter entschieden, dass der Link aus der Trefferliste entfernt werden muss – auch wenn der Artikel weiter online bleibt. Ein Präzedenzfall, auf dessen Grundlage nun das „Recht auf Vergessenwerden“ basiert.  

Das bedeutet auch weiterhin nicht, dass man Blogs oder Newsportale automatisch zwingen kann, unliebsame Texte über einen zu löschen. „Nicht die Inhalte werden aus dem Internet entfernt, sondern nur der entsprechende Link aus der Suchliste“, betont Klaas Flechsig, Pressesprecher von Google Deutschland. „Es kann also lediglich die Auffindbarmachung durch Google angefochten werden.“ Und auch nur dann, wenn dieser Link den Klarnamen einer Person enthält.  

Ein Beispiel: Hat Manuela Musterfrau bei Google beantragt, dass ein Link entfernt wird, und Google hat diesem Antrag stattgegeben, wird die Suche nach „Manuela Musterfrau“ und „Erbschleicherin“ zwar die betreffende URL nicht mehr anzeigen. Sucht man aber stattdessen beispielsweise nach „Erbschleicherin“, „Prozess“ und „München“, bekommt man den Link, um den es geht, womöglich trotzdem angezeigt – denn der entsprechende Eintrag im Netz ist nach wie vor vorhanden. Und auch der Link ist streng genommen nicht verschwunden. Er taucht nur nicht mehr in der Trefferliste auf.  

Google selbst ist von der eigenen neuen Rolle wenig begeistert. „Das Urteil ist nicht sehr klar“, erklärt Pressesprecher Flechsig. Es enthält lediglich zwei Rahmenbedingungen: Es muss eine „angemessene Zeit“ seit dem betreffenden Ereignis verstrichen sein. Und die Informationen dürfen nicht im „Interesse der Öffentlichkeit“ stehen. Was das genau bedeutet, weiß derzeit niemand so genau.  

„Wir sitzen zwischen den Stühlen“, schildert Flechsig das Dilemma seines Unternehmens: „Auf der einen Seite steht das Recht auf freie Meinungsäußerung durch den Webmaster. Auf der anderen Seite das Recht auf Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen. Egal, wie wir entscheiden, einen verärgern wir.“  

Weil Google aber nicht auf Dauer als privates Unternehmen juristische Entscheidungen treffen will, hat der Konzern einen Expertenbeirat etabliert, der nun bis 2015 Richtlinien entwickeln soll, wie mit dem Recht auf Vergessenwerden umzugehen ist. 

Bis es soweit ist, entscheidet der Konzern über jeden Antrag individuell. „So etwas lässt sich nicht algorithmisch machen“, sagt Flechsig. Deshalb hat Google nun juristisch gebildetes Personal eingestellt, um die Anträge abzuarbeiten.  

Wer einen Antrag stellen möchte, kann das ganz einfach online tun. In dieses Formular muss man Name und E-Mailadresse, sowie die URL der betreffenden Seite eintragen.  

„Zur Identifikation der Person brauchen wir außerdem ein eingescanntes Dokument, dass den Namen der Person, die die Entfernung beantragt, enthält“, sagt Flechsig. Das kann beispielsweise eine Bahncard oder ein Führerschein sein. Gescannte Personalausweise darf Google aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zur Prüfung heranziehen.  

Wie lange die Prüfung dauert, sei von Fall zu Fall verschieden, sagt Flechsig. Eine Chance haben Anträge aber nur dann, wenn der Antragsteller keine „Person des öffentlichen Lebens“ ist. Prominente haben es also laut dem Google-Sprecher schwerer als Privatpersonen, Links aus der Trefferliste der Suchmaschine entfernen zu lassen.  

Marlene Halser, 37, ist unschlüssig, was sie von der neuen Regelung halten soll. Was passiert zum Beispiel, wenn dadurch kritische Berichterstattung verschleiert wird, also beispielsweise ein Bild-Reporter seine Links zum Bildblog
entfernen lassen kann?
 

Fünf Tipps, die man beachten muss, wenn man Links bei Google entfernen lassen will:


1.
Das Internet vergisst nichts. Daran ändert auch das neue „Recht auf Vergessenwerden“ nichts. Es besteht lediglich die Möglichkeit, Links aus der Trefferlister einer Suchmaschine entfernen zu lassen. Der Eintrag selbst bleibt vorhanden, ebenso wie der Link, der nun nicht mehr angezeigt wird.

2.
Der entsprechende Antrag bei Google kann nur online mithilfe dieses Formulars gestellt werden.

3. Im Formular müssen Namen, Email-Adresse, sowie die URL der betreffenden Seite angegeben werden. Außerdem muss man anhand eines Dokuments, das den eigenen Namen enthält (Bahncard, Führerschein) die eigene Identität nachweisen. Ein eingescannter Personalausweis geht aus Datenschutzgründen nicht.

4. Der Antrag hat nur dann eine Chance, wenn der Link den Klarnamen des Antragsstellers enthält.

5. Derzeit tagt ein Expertenbeirat, der das „Recht auf Vergessenwerden“ präzisieren soll. Die Ergebnisse dieses Expertenbeirats werden im Frühjahr 2015 erwartet.

Das Blog ist die neue Zeitung

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Angestrichen:  
Twenty years ago this week, a software developer in California ushered in a new era in how we communicate. His name is Dave Winer and on 7 October 1994 he published his first blog post.

Wo steht das?  
Auf der Website des Guardian. In der Tech-Kolumne „The Networker“ schreibt John Naughton über den Verfasser des ersten Blog-Eintrags.  

Worum geht es?
 
Zunächst um Dave Winer. Jenen Mann also, dem man das erste Blog zuschreibt. Genauer: Um dessen Bedeutung für das Internet. Die, so Naughton, könne nämlich nicht hoch genug eingeschätzt werden. Winer habe neben dem Blog schließlich auch noch Kommunikationstools wie den Podcast und die RSS erfunden. Dinge, die die Verfügbarkeit von Informationen vereinfacht und beschleunigt haben.  

Deswegen sollte man den 59-jährigen Blogger und Entwickler zu den wichtigsten Internet-Persönlichkeiten zählen. Naughton nennt ihn etwa in einer Reihe mit Tim Berners-Lee, der die Idee für ein weltweites Kommunikationsnetz hatte - und somit das WWW an sich erfunden hat.  





Dass nur wenige den Namen Dave Winer kennen, oder gar wissen, wofür er steht, könnte aber auch daran liegen, dass der Stellenwert von Blogs an sich nicht mehr so hoch ist, wie er einmal war. Einst die neueste (und vor allem umstrittenste) Publikationsform im Netz, sei der Hype laut Naughton weitergezogen.

Was lernen wir daraus?
 
Blogs hätten ihre anfängliche Coolness verloren, schreibt Naughton. An ihre Stelle sind kleinere, hippere Formaten getreten: 140 Zeichen bei Twitter oder ein schnelles Foto auf Snapchat – wir betreiben „microblogging“. Und das, wieder Naughton, sei nur ein temporäres Phänomen. Den Formaten werde es genauso ergehen wie den Blogs. Sie werden auch bald wieder out sein. Und hier wird es nun interessant.

Denn der romantische Ton, den Naughton in seine Hymne auf die Blogosphäre legt, sagt noch mehr als seine Worte: Denn wenn wir uns abgewendet haben von den flüchtigen Durchlaufmedien, schreibt er, werden die guten alten Blogs auf uns warten, mit den wirklich interessanten Inhalten. Wir werden zurückkehren - zu fundierten Diskussionen, zusammenhängenden Texten und klugen Gedanken. Blog-Bashing wird ein Ende haben, weil wir uns nach Qualität und Erlösung von schnell zwischen Kaffeemaschine und Klogang hingeworfenen Kurznachrichten sehnen werden.  

Aber Moment! Hat man nicht genau das am Anfang auch über Zeitungen gesagt?! Im Vergleich zu denen galten Blogs als hingeschmiert. Keiner wird das lesen. Bald sind die eh wieder weg und wir werden wieder im Ohrensessel riesenformatige Zeitungen lesen. Es ist die gleiche Nostalgie, mit der man beim Aufkommen der ersten Blogs über die Zeitung gesprochen hat. Nur auf gedrucktem Papier könne man noch die wirklich großen Geschichten erzählen, gut recherchiert von kompetenten Menschen. Damals waren die Nostalgiker Zeitungsmacher und Zeitungsleser, denen das neue Format wohl noch suspekt war -oder dessen Potential sie nicht erkannt hatten.  

Dann wurden Blogs hoch spezialisiert. Professioneller. Wir lesen sie jeden Tag und sprechen ihnen zumindest zu Teilen eine hohe Kompetenz zu, indem was sie tun. Sie kamen im Mainstream an - und scheinen dort, so lässt sich der Text im Guardian zumindest lesen, nun langsam zu altern. Die Intervalle werden da immer kürzer. Die Logik bleibt dieselbe: Sobald man etwas in Gefahr sieht, erinnert man sich der Vorteile und will es gar nicht mehr missen.

Ausgesperrt!

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Der Freitagabend ist meistens ein guter Abend, denn er bedeutet: Endlich wieder Wahlfreiheit! Man kann ein Bier trinken, mit Freunden kochen, ein Bad nehmen oder einfach nur stundenlang Serien gucken - schön! Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man die eigene Wohnung betreten kann.

Vergangenen Sommer hatte ich einen besonders guten Abendplan: Ich wollte nur schnell die Einkäufe nach Hause bringen, mich umziehen und dann noch mit dem Rad in die Stadt fahren - schließlich war es draußen noch warm.


Hast du auch schonmal so deprimiert im Hausflur gesessen?

Blöd nur, dass ich an der Haustür feststellte, dass sie verschlossen war - und der Schlüssel noch auf dem Schreibtisch in der Arbeit lag. Dorthin und wieder zurück brauchte ich mindestens 45 Minuten. Bis meine Mitbewohner wiederkämen, würde auch noch mindestens eine Stunde vergehen. Das wäre alles nicht so schlimm gewesen, hätte in meiner Einkaufstasche nicht das wertvollste der Welt auf mich gewartet: Eine Familienpackung Snickers-Eis (bedeutet fünf plus zwei Riegel)! Snickers-Eis ist aus meiner Sicht so ziemlich das beste Eis der Welt (nein, ich habe keinen Werbevertrag mit Mars). Bis ich einen Schlüssel hätte, wäre es dahin gewesen. Es gab nur eine Variante, dieses Unglück zu verhindern...

Eine Stunde später fand mein Mitbewohner mich zusammengekrümmt mit schokoverschmiertem Mund vor der Haustür vor. Drei Eisriegel hatte ich vernichtet, beim vierten hatte ich kapituliert. Ich war so unglücklich über den Verlust, dass ich an diesem Abend nicht mehr ausging, sondern mich mit Bauchschmerzen ins Bett legte.

Was sind deine Geschichten vom Ausgeschlossen-sein? Standest du schonmal nur mit Handtuch bekleidet im Hausflur? Hast einen Schlüsseldienst gerufen und danach festgestellt, dass der Schlüssel die ganze Zeit in deiner Tasche war? Oder hast du vielleicht schon mal SEK-mäßig eine Tür eingetreten?

Tagesblog am 15. Oktober 2014

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11:37 Uhr: Ich habe bereits sieben Minuten Verspätung bei einer Besprechung. Trotzdem sei noch sehr fix dieser Text empfohlen: Bekenntnisse eines Serien-Verweigerers.




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11:03 Uhr:
Man gibt Lehrern ja ungern recht. Aber der typische Schülersatz „Kommaregeln sind doch sooo egal“ lässt sich leider eindeutig widerlegen. Ich habe heute diesen Text hier gelesen. Er beweist: Ein Kommafehler kann Millionen kosten. So geschehen im Fall eines US-Gesetzes aus dem 19. Jahrhundert. Es ging um Zölle für Importe. In der ersten Version waren Ausnahmeregelungen für diese Zölle festgeschrieben. Für "Fruit plants, tropical and semi-tropical for the purpose of propagation or cultivation" musste bei der Einfuhr in die USA nichts bezahlt werden. Dann baute irgendjemand – wer, fand man nie heraus – ein Komma zwischen die Wörtchen „Fruit“ und „Plants“ ein.
Das bedeutete, dass plötzlich auch alle Früchte von Zöllen befreit waren. Mindereinnahmen für den Staat: Zwei Millionen Dollar und immerhin 1,3 Prozent aller Zolleinnahmen.
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9:50 Uhr:
So, kurzer Blick in die Nachrichten:

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9:10 Uhr:
Aber mein Ärger ist noch nichts verglichen mit dem von Kollegin Charles Haunhorst. Die kann heute erst viel später zur Arbeit erscheinen, weil zum zweiten Mal innerhalb einer Woche ihr Türschloss hinüber war und zerstört werden musste. Jetzt macht sie Wachhund-Homeoffice, bis der Handwerker ihr ein neues eingebaut hat.  

Deshalb: Bitte hier entlang zum Tickerüber Aussperr-Missgeschicke. Meines kommt auch gleich...


(Foto: zettberlin-photocase.de)

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8:53 Uhr:
Guten Morgen, Tagesblog-Crowd! Ich starte leicht genervt in den Tag, weil ich gerade im Stau stand. Habe aus Angst vor dem Bahnstreik-Mittwoch und aus Mangel an Bock auf Durch-den-Regen-Radeln das Auto genommen und war dabei wohl nicht der einzige.

Die Kraft des ganz großen Herzens

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Die Schönheit, aber auch die ganze Verwundbarkeit dieses Films – vielleicht offenbart sie sich ja bereits in dieser Kranichszene. Ein kurzer, eigentlich ganz unschuldiger Moment zu Beginn. Alle Gräuel und alles Leid liegen noch in der Zukunft.

Da geht also der Kupferschmied Nazaret in seiner Heimatstadt Mardin, im östlichen Anatolien, mit seinen beiden Töchtern durch eine Gasse. Er läuft in der Mitte, hat die Arme um sie gelegt. Ein Moment des Friedens. Dann zeigt er zum Himmel, wo gerade ein Kranich vorbeizieht. „Wer einen Kranich sieht, begibt sich auf eine lange Reise“, sagt Nazaret, und seine Töchter nicken aufgeregt.

Auf den ersten Blick wirkt das alles etwas sehr idealisiert: Bildhübsche Zwillinge mit dunklen Zöpfen, züchtigen Schürzen und einer hoffnungsvollen Zukunft, wie die Schulbücher in ihren Armen zeigen sollen. Nazaret wiederum ist das Idealbild eines liebenden Vaters, voller Geschichten und Träume, im Herzen vielleicht selbst noch ein Kind.

Aber kann man „The Cut“ daraus schon einen Vorwurf machen? Sehr bald wird dieser Mann seine Frau verlieren, auf die denkbar grausamste Weise, seine Töchter werden ihm entrissen werden, er wird durch die halbe Welt irren, um nach ihnen zu suchen. Die Szene wirkt wie eine vorweggenommene, schon halb vergoldete Erinnerung. In ein paar Tagen wird sie das Einzige sein, was er noch hat.



Fatih Akin: neues Epos über den Völkermord an den Armeniern

Und dann ist da natürlich diese Direktheit. Nazaret wird ja wirklich auf eine sehr lange Reise gehen, und seine Töchter, getrennt von ihm, auch. Er wird beinahe ermordet werden, mehrfach, er wird durch Wüsten taumeln, tausendfachen Tod und unendliches Elend sehen, er wird ruhelos durch die Straßen von Aleppo wandern, über die Boulevards von Havanna und die Highways von Minneapolis. Und zwischendurch wird es sich anfühlen, als käme er wohl nie an ein Ziel.

Aber darf das große Thema gleich zu Beginn so umstandslos symbolisch benannt werden? Die cleveren Filmautoren der Gegenwart würden das wohl als Schwachpunkt betrachten – und unbedingt vermeiden. Fatih Akin und Mardik Martin, sein armenischer Co-Autor, der in seiner Karriere schon alle Höhen und Tiefen Hollywoods gesehen hat, wissen das natürlich. Aber sie entscheiden sich hier ganz bewusst für eine Naivität, wie sie die alten Filme Hollywoods manchmal haben. John Ford zum Beispiel, in der unvergleichlichen Größe seines irischen Herzens, hatte mit solcher Direktheit nie ein Problem.

Und doch, in die Welt von John Ford kann keiner zurück. Heute wirkt das so, als böte der Film, um größtmögliche Zustimmung heischend, um die Blicke der Zuschauer gewissermaßen zu entwaffnen, erst einmal seine entblößte Kehle dar, wie ein unterwürfiges Tier.

Und auf einmal begreift man, wie viel sich Fatih Akin hier wirklich aufgeladen hat. Es geht ja um nicht weniger als um die versuchte Auslöschung eines Volkes, den Genozid an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916, begangen von den Türken, aber gewissermaßen unter den Augen des verbündeten Deutschen Kaiserreichs. Und es geht um einen Regisseur, der seine Wurzeln im Volk der Täter hat, aber die Perspektive der Opfer einnimmt.

Nicht nur ist dieser Film, mit Drehorten von Jordanien über Malta und Kuba bis Kanada, der bei Weitem aufwendigste und breitwandigste in Fatih Akins bisher so glücklicher, von weltweiter Aufmerksamkeit befeuerter Karriere. Er will auch ein Statement des persönlichen Muts sein: Da traut sich einer, nicht nur eine Menge Geld, sondern auch ein ganz heikles Thema anzupacken. Und riskiert den Hass zumindest von Teilen seines Publikums – erste Drohungen türkischer Nationalisten gab es bereits vor der Premiere.

Aber auch dieser Plan ist natürlich nicht nur mutig und unschuldig. Er ist genauso eine kalkulierte Fortführung des Fatih-Akin-Mythos: Da ist er also wieder, der Mann mit dem großen Herzen, das die ganze Welt umschließt – „Corazón International“ hieß lange seine Produktionsfirma; da schlägt er also wieder zu, der unfehlbare Instinktmensch, der, wenn es sein muss, auch „Gegen die Wand“ fährt – so der Titel seines immer noch berühmtesten Films. Nur: Bisher musste dann immer die Wand schauen, wo sie dann bleibt. Nicht er.

Die Erwartungen, die auf diesem Film lasten, sind also zuallererst seine eigenen. Da reichte ihm dann auch die eher lauwarme Reaktion von den Machern des Cannes-Festival schon mal nicht. Akin zog den Film lieber wieder zurück, zugunsten einer großen Wettbewerbspremiere im September in Venedig. Die bösen Kritiken, die er dort zum Teil bekommen hat (siehe auch SZ vom 01.09.), sieht er nun selbst als totale Niederlage.

Zur Abwechselung sollte man hier also sagen, dass dem Film auch viel gelingt. Was eindrückliche Szenen und unvergessliche Momente betrifft, sind Fatih Akins Instinkte völlig intakt. Die Größe und Weite in seinen Bildern, für die er um die halbe Welt gereist ist, ist absolut spürbar, da war jeder Aufwand, jede logistische Zitterpartie gerechtfertigt. Und dass sich diese Welt dem gebrochenen Blick eines Mannes zeigt, der ihre Schönheit gar nicht mehr wahrnehmen kann, macht sie sogar eher noch faszinierender. Es ist auch berührend, wie sehr Tahar Rahim, Akins französischer Hauptdarsteller für die Rolle des Nazaret, sich rückhaltlos in die Hände seines Regisseurs begibt. Als die Massaker an den Armeniern beginnen, wird Nazaret in die Kehle gestochen – sein Peiniger bringt es nicht über sich, ihn zu töten. Aber Nazaret verliert seine Stimme.

Und so muss Tahar Rahim alles mit seinen Gesten und mit seinen unglaublichen dunklen Augen machen. Entsetzen, Trauer, Abstumpfung, Hass, aber auch Hoffnung und Vergebung leuchten darin, und einmal, als er Charlie Chaplins „The Kid“ an eine Lehmmauer projiziert sieht, darf er sich im Lachen sogar selbst vergessen.

Rahim spielt genau die Unschuld, die Kindlichkeit, die absolute Durchlässigkeit der Emotionen, die Fatih Akin von ihm verlangt. Würde er die Entscheidungen seines Regisseurs auch nur für eine Sekunde in Zweifel ziehen, müsste seine ganze Performance zusammenbrechen. Aber er tut es nicht. Allein dieses Vertrauen hat etwas Bewegendes. Darin lieg hier sein persönlicher Triumph.

All das ist mehr als genug, um „The Cut“ viele Zuschauer zu wünschen. Und doch kann man die Frage natürlich nicht ausblenden, was er mit dem gewaltigen politischen Thema macht, das anzupacken hier ja versprochen wurde. Zunächst einmal kann man nicht behaupten, dass der Film angesichts der realen Grausamkeiten des Völkermords etwas auslassen würde – beinahe wie in einem historischen Katalog werden alle Aspekte gezeigt: Todesmärsche, Vergewaltigungen, Massenexekutionen, tausendfacher Hungertod, Zwangskonvertierung der armenischen Christen zum Islam, der Verkauf ihrer Kinder an Beduinen, das Schicksal der Frauen in den Bordellen, all das kommt vor. Selbst deutsche Stimmen sind kurz zu hören, Kolonialoffiziere mit Tropenhelmen, stellvertretend für die Mitschuld des Kaiserreichs. Und zweifellos hat Akin enormen Aufwand betrieben, um das alles möglichst historisch genau zu rekonstruieren.

Wie sehr es hier allerdings auf die Feinheiten ankommt, zeigte sich exemplarisch in Venedig, als der Korrespondent der türkischen Tageszeitung Hürriyet Fatih Akins Vater vor den Schreibblock bekam. Enver Akin bekannte nicht nur freimütig, ein Anhänger und früher sogar Aktivist der rechtsextremen MHP, der „Partei der Nationalistischen Bewegung“ zu sein – also exakt aus dem Lager, das den Völkermord leugnet. Er erklärte auch, er finde den Film gut – weil nur Verbrechen von irregulären Horden gezeigt würden, keineswegs ein „systematisches Massaker“.

„The Cut“ erlaubt es den Verdrängern der Geschichte also, weiter zu verdrängen. Das muss man in aller Klarheit festhalten. Besonders deutlich wird das in einer späteren Szene, als auch irische Gleisbauarbeiten in den USA plötzlich als irreguläre Horde gezeigt werden, als Vergewaltiger und Mörder. Männer, die sich wie Tiere aufführen, gibt es einfach überall, heißt das dann wohl – was in diesem Kontext wirklich jede politische Aussage entwertet.

Ist das nur wieder Naivität? Oder verfolgt Fatih Akin tatsächlich die Strategie, schlichtweg alle Herzen für die Identifikation zu gewinnen – vom armenischen Opfer bis zu den türkischen Nationalisten? Sein unbeirrbar instinktsicheres Kino, das traumwandlerisch auf allen Fallstricken zu balancieren schien, kommt hier jedenfalls an ein Ende.

Nach „The Cut“ wird Akin sich völlig neu erfinden müssen – klarer werden, härter, bewusster, weniger von dem Bedürfnis getrieben, von allen geliebt zu werden. Und doch: Es sind ja gerade solche Niederlagen, aus denen große Filmemacher am Ende erst hervorgehen.

The Cut, D/F/PL 2014 – Regie: Fatih Akin. Buch: Akin, Mardik Martin. Kamera: Rainer Klausmann. Mit Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram Khoury, Hindi Zahra. Verleih: Pandora, 139 Minuten.

Angst im Akkord

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Unter welchen erbärmlichen Bedingungen Menschen in den Textilfabriken in Bangladesch arbeiten, interessierte lange Zeit kaum jemand. Dann starben Ende April 2013 bei einem Fabrikeinsturz 1127 Menschen, mehr als 2400 wurden verletzt. Gewerkschaften und Konsumentengruppen machten Druck. Die Bekleidungshersteller, die in Bangladesch fertigen lassen – und das sind fast alle Modefirmen der Welt – reagierten mit der Gründung zweier Vereinigungen, die die Arbeitssicherheit und die von Gebäuden ihrer Lieferanten prüfen sollten. Bangladesch ist hinter China zweitgrößten Textilexporteur.

Europäische Firmen wie H&M, Adidas, Benetton oder Aldi riefen ein Bündnis ins Leben, den „Bangladesh Accord on Fire and Building Safety“, dem mittlerweile 189 Firmen angehören. Jetzt wurden die geplanten Inspektionen durchgeführt, die Ergebnisse sind erschreckend.



Vor eineinhalb Jahren stürzte die Textilfabrik im Rana-Plaza-Gebäude ein

„Wir haben in allen Fabriken Sicherheitsmängel gefunden“, sagte Braid Loewen, Chefinspektor beim „Bangladesh Accord“. Es gebe mehr als 80000 Sicherheitsmängel in 1106 inspizierten Fabriken, teilte das Bündnis am Dienstag mit. Dazu zählen Baumängel oder fehlende Feuerschutzeinrichtungen. Bereits im Juli hatte die von amerikanischen Unternehmen wie Walmart oder Gap dominierte Vereinigung The Alliance for Bangladesh Worker Safety (26 Firmenmitglieder) ihre Inspektionen in 587 Fabriken abgeschlossen.

In mehr als 40 Fabriken sind die Sicherheitsmängel so groß, dass Inspektoren einer der beiden Organisationen eine vorübergehende Schließung empfohlen haben. Die Entscheidung trifft jedoch eine nationale Behörden. Sie hat bislang weniger als die Hälfte dieser Fabriken geschlossen. Beispielhaft ist der Streit um die Stärke und Belastbarkeit des Betons, mit dem Gebäude vor dem Jahr 2005 gebaut wurden. Kontrolleure des Accord schätzen dessen Tragkraft geringer ein als die Berater der staatlichen Stellen von der Hochschule für Ingenieurwesen und Technologie in Bangladesch.

Ob die Kontrollen die Sicherheit für die vier Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie des Landes verbessern, hängt von der Umsetzung der Empfehlungen ab. Inspektionen seien der einfache Part, nun komme der harte Teil, sagte Ian Spaulding, Berater bei der Alliance. Die entscheidende Frage ist, ob die Fabrikbesitzer mitziehen. Das Bündnis veranschlagt die notwendigen Investitionen für die Behebung der Mängel auf durchschnittlich 250000 Dollar je Fabrik. Laut Accord können die Kosten bei einzelne Fabriken sogar bei einer Million Dollar liegen.

Die Vereinigung der bengalischen Textilexporteure hat schon Alarm geschlagen, weil sie befürchtet, dass die Kosten die Zahl der Textilfabriken in Bangladesch reduzieren könnte. Die Textilfabrikanten sind jedoch mächtig in Bangladesch, zumal viele Fabrikbesitzer selbst in der Politik tätig sind. Kritiker sprechen von einer „Kultur der Verantwortungslosigkeit“, was die Arbeitsbedingungen im Land anbelangt. Ins Bild passt die schleppenden Überprüfung von 1500 Fabriken, die nicht direkt für Accord- oder Alliancemitglieder produzieren. Sie will der Staat kontrollieren. Bisher haben die Behörden jedoch erst 400 von ihnen kontrolliert.

Verständlicherweise fürchten westliche Modefirmen und Händler die öffentliche Diskussion und mögliche Imageschäden. Sie wollen vor allem verhindern, dass eingestürzte oder ausgebrannte Fabriken oder Kinderarbeit mit ihren Produkten in Verbindung gebracht werden – sie verderben den Konsumenten die Kauflaune, schädigen das Geschäft. Daher machen die Hersteller bei beiden Themen Druck. Ganz anders sieht es dagegen beim Thema Mindestlohn aus: Selbst engagierte Firmen wollen ausreichende Löhne erst dann zahlen, wenn sie insgesamt in einem Land gelten. Das begründen die Unternehmen mit der Marktlogik: Einzelne Hersteller würden meist für mehrere Kunden produzieren, da könnten keine unterschiedlichen Löhne in der gleichen Fabrik gezahlt werden.

Tatsächlich reichen in vielen Ländern die gesetzlichen Mindestlöhne jedoch kaum zum Überleben aus, gerade auch in der Textilindustrie, in der alleine in Asien rund 15 Millionen Menschen arbeiten. Umstritten ist allerdings, wie hoch ein existenzsichernder Mindestlohn tatsächlich sein könnte. Nach Ansicht von Asia Floor Wage, einem Bündnis asiatischer Gewerkschaften und NGOs, müsste der gesetzliche Mindestlohn in Bangladesch verfünffacht werden. Umgelegt auf die Kosten für ein einzelnes Kleidungsstück wären selbst dies nur Mehrkosten von einigen Cent.

Das Thema existenzsichernder Löhne könnte sich auch als ein Knackpunkt bei dem von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) angestoßenen Bündnis für nachhaltige Textilien. Einzelheiten zum Aktionsplan will der Minister an diesem Donnerstag in Berlin verkünden. Schon jetzt droht dem Bündnis ein Fehlstart. Wichtige Verbände wie der Handelsverband HDE und Textil und Mode werden den Plan wohl nicht unterzeichnen. In Krefeld kündigten Aktivisten für diesen Mittwoch Proteste gegen die Eröffnung einer Filiale der Billig-Textilkette Primark an.

Ab in die Wüste

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Grüner Park, weiße klassizistische Villa: Die Sonne über Rom war längst untergegangen, als am Montagabend hoch oben auf dem Monte Mario Emissäre von 18 verbliebenen Gesellschaftern der Wüstenstrom-Planungsgesellschaft Dii gegen eine ganze andere Dämmerung kämpften. Doch nach zehnstündigen Verhandlungen auf dem für die Zukunft der Initiative entscheidenden Jahrestreffen war ein paar Minuten vor zwölf endgültig klar: Die vor fünf Jahren mit großen Hoffnungen gestartete Desertec Industrial Initiative ist in ihrer heutigen Form am Ende.

Von den einst 50 Unternehmen, die sich als Gesellschafter oder zahlende Partner an der Initiative beteiligt hatten, wollen nur drei aus der bis Ende des Jahres befristeten Organisation eine Dauereinrichtung machen. Auch Gründungsmitglieder wie der Rückversicherer Munich Re und die Deutsche Bank kehren dem Projekt den Rücken. Nur ein kleiner Teil der Dii soll als Beratungsfirma überleben. Betrieben wird die künftig von dem Essener RWE-Konzern, dem saudischen Stromversorger Acwa Power und dem chinesischen Netzbetreiber und Staatskonzern State Grid.



Das Projekt Desertec war mit großen Hoffnungen verbunden.

Der Entscheidung ging eine zähe Hängepartie voraus. Seit Monaten konnten sich die beteiligten Firmen nicht über ein Zukunftskonzept und ihren Etat von rund zwei Millionen Euro einigen. Auch beim entscheidenden Treffen in Italiens Hauptstadt waren zu wenige Gesellschafter bereit, aus der auf fünf Jahre befristeten Organisation eine Dauereinrichtung in bisheriger Größenordnung zu machen. So verlautete es aus Kreisen der Gesellschafter. Damit muss die Dii-Zentrale mit Sitz in Münchner Stadtteil Schwabing Ende 2014 voraussichtlich schließen. Die Verträge der Mitarbeiter laufen dann aus.

Gemessen an den gewaltigen Hoffnungen zu Beginn des Projekts 2009, ist das Aus der Gesellschaft in ihrer heutigen Form eine herbe Schlappe für die Gründer.

Die Initiative galt als eines der ehrgeizigsten Erneuerbare-Energien-Projekte überhaupt. Bis 2050 sahen Machbarkeitsstudien den möglichen Bau Hunderter Öko-Kraftwerke in Nordafrika und dem Nahen Osten vor. Mit viel Pathos hatten sich die Gründungskonzerne beim Start dem Klimaschutz und der wirtschaftlichen Entwicklung Nordafrikas und des Nahen Ostens verschrieben. Davon indes wurde bislang wenig eingelöst. Der Energiebedarf der Region wächst rasant. Er wird sich in den kommenden zwanzig Jahren verfünffachen. Auch der Kampf gegen die Erderwärmung steht nach wie vor erst am Anfang. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte das Projekt noch zu Beginn wegen der breiten Ziele gelobt, der damalige Siemens-Chef Peter Löscher sah die Mission gar in einer Reihe mit der Mondlandung.

Für einen Teil der Gesellschaft folgt nun jedoch der Absturz. Höchstens zehn der einst 30 Dii-Mitarbeiter sollen künftig Länder der arabischen Region beim Aufbau grüner Energien beraten. Die Hoffnung: So würde wenigstens die aufgebaute Expertise zu den besten Standorten für Wind- und Solarkraftwerke und den technischen wie politischen Voraussetzungen für die Realisierung der Vision erhalten.

Die Dii galt zuletzt als wichtigster internationaler Fürsprecher der Wirtschaft für Erneuerbare Energien in Nordafrika und dem Nahen Osten. Sie hatte sich zu einer Art Denkfabrik entwickelt, die in der Region das Interesse am Aufbau grüner Kraftwerke weckte, politischer Vorarbeiten etwa für Einspeisetarife leistete und bei der Lokalisierung guter Standorte half. Mehrere Organisationen hoben am Dienstag die Verdienste der Dii hervor. Die fünf Jahre seien nicht umsonst gewesen, urteilt etwa der Club of Rome. Die Gesellschaft habe Projekte angestoßen und wichtige Erkenntnisse zum Thema erneuerbare in den Wüstenregionen gewonnen. Die Dii selbst verwies auf die ersten Wind- und Solaranlagen in der Region. „Erneuerbare Energien haben vor fünf Jahren im Nahen Osten und Nordafrika kaum eine Rolle gespielt“, sagte Geschäftsführer Paul van Son. „Das ist heute völlig anders. Rund 70 Projekte sind inzwischen realisiert oder in der Umsetzung.“

Auf der Jahreskonferenz der Desertec-Initiative in Rom wurde am Dienstag aber auch deutlich, wie sehr die vom arabischen Frühling, Umstürzen, Terror und Bürgerkriegen verunsicherte Region weiter auf die schleppende Zusammenarbeit mit Europa in Energiefragen hofft. Marokko etwa hat sich zum Ziel gesetzt, mit 42 Prozent Erneuerbare Energien 2020 noch die deutschen Wendeziele zu übertreffen und würde einen Teil des Stroms gerne exportieren. „Wir brauchen dabei die Kooperation mit Europa“, sagt Zohra Ettaik, Abteilungsleiterin für Erneuerbare Energien im marokkanischen Energieministerium.

Die deutsche Politik will die Energiepartnerschaft nicht abschreiben – trotz aller Rückschläge. „Wir gehen davon aus, dass die Region Nordafrika und Naher Osten in einigen Jahren Teil unseres Energiesystems wird“, sagt Thorsten Herdan vom Wirtschaftsministerium. „Vielleicht sogar zu einem ziemlich wichtigen.“

Ein Land in Geiselhaft

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Buenos Aires – Nun war da auch noch diese Geschichte vom Totentanz. Und dann kam das Feuer. Mexikanische Studenten zündeten am Montag (Ortszeit) mehrere Büros des Regierungspalastes von Chilpancingo an. In der Hauptstadt des umkämpften Bundesstaates Guerrero und in mehreren anderen Orten gingen die Brandstifter sowie Tausende friedliche, aber ähnlich zornige Demonstranten auf die Barrikaden. Nach dem mysteriösen Verschwinden von 43 Lehramtsbewerbern aus der Provinzstadt Iguala, das weltweit Schlagzeilen gemacht hatte, forderten die Protestler den Rücktritt des Gouverneurs. Und sie verlangten, dass dieser derzeit gruseligste Kriminalfall im Drogenkrieg von Mexiko endlich aufgeklärt wird. Und dass man die Opfer endlich findet.



Verzweiflung: Noch immer fehlt von vielen der Vermissten in Iguana jede Spur. 

Optimisten hoffen noch immer, dass wenigstens einige der Vermissten am Leben sind, doch die Wahrscheinlichkeit sinkt täglich. Am 26. September hatten Gemeindepolizisten die angehenden Pädagogen der ländlichen Schule von Ayotzinapa bei Protesten verschleppt. Die Kidnapper stehen in Verdacht, eng mit dem regionalen Rauschgiftkartell Guerreros Unidos zusammenzuarbeiten. Diese Mafia dealt, entführt, besticht, erpresst. 22 beschuldigte Polizeibeamte wurden mittlerweile verhaftet, als möglicher Rädelsführer gilt der Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca Velázquez. Von ihm fehlt bislang ebenfalls jede Spur, aber die eidesstattlichen Zeugenaussagen, die ihn belasten, klingen wie Szenenbeschreibungen aus Horrorfilmen.

Es heißt, der Lokalpolitiker Abarca habe im vergangenen Jahr im Beisein des Polizeichefs von Iguala einen Rivalen erschossen, den Söldner für ihn gekidnappt hatten. Der Mann habe zuvor sein eigenes Grab schaufeln müssen, der Täter habe in der einen Hand seinen Revolver gehalten und in der anderen Hand ein Bier. Das erzählte ein Überlebender dieses mutmaßlichen Verbrechens. Zwei Schwager des Bürgermeisters Albarca wiederum seien mit dem berüchtigten Drogenkartell Beltrán-Leyva verbandelt gewesen, ehe sie ermordet wurden. Aus Teilen der Bande der Beltrán-Leyva wiederum ging das nun verdächtigte Kartell der Guerreros Unidos hervor. Gemeinsam mit seiner Frau habe José Luis Abarca Velázquez auf einer Party getanzt, während die 43 Studenten in Iguala von Uniformierten gejagt, beschossen, festgenommen und am Ende wohl umgebracht wurden.

Zuletzt tauchten am Rande von Iguala mehrere Massengräber mit bisher offenbar 28 verkohlten und noch nicht identifizierten Leichen auf. Aber laut unbestätigten Gerüchten haben die entstellten Körper nichts mit den Gesuchten zu tun. Deren Angehörige und Sympathisanten sind schockiert. Wie können in dem Industriestaat Mexiko südlich der USA 43 Zivilisten im Alter von 18 bis 23 Jahren einfach so verschwinden? Insgesamt wird in Mexiko mittlerweile nach mehr als 20000 Menschen gefahndet. „Lebend wurden sie mitgenommen, lebend wollen wir sie zurück“, lautet ein Motto der Kundgebungen – ähnlich wie einst während der Zeit der Militärdiktaturen in Argentinien und Chile. Mexiko ist eine Demokratie, doch die Affäre belastet auch den Präsidenten Enrique Peña Nieto. Denn das tödliche Rätsel von Iguala zeigt, dass in Gegenden wie Guerrero Kriminelle herrschen, gemeinsam mit Vertretern des Staates.

Am Anfang ist das Wort

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Ein Erdbeben, wie es nun heißt, ist es nicht, was gerade im Vatikan geschieht. Die katholische Kirche wird weiter sagen, schwule und lesbische Partnerschaften dürften nicht gleichberechtigt mit der heterosexuellen Ehe sein. Sie wird nicht an dem Verbot künstlicher Verhütungsmittel rütteln, das Papst Paul VI., der an diesem Wochenende selig gesprochen wird, 1968 in der Enzyklika „Humanae Vitae“ verkündet hat. Man kann schnell vieles finden, was sich nicht bewegt und nicht bewegen wird in der größten Glaubensgemeinschaft der Welt. Und doch ist der Zwischenbericht der Familiensynode in Rom bemerkenswert, in dem die Synodenleitung die Debatte der ersten Woche zusammenfasst. Er hat das Potenzial, ein Erdbeben auszulösen – zumindest in der katholischen Kirche. Er hat das Potenzial, mehr als 40 Jahre Starre zu beenden.



Papst Franziskus wagt Reformen in der katholischen Kirche.

Es hat sich in dem Dokument nicht nur die Sprache geändert, mit der die Bischöfe von jenen Formen des Zusammenlebens reden, die sie noch im Vorbereitungsdokument der Synode als defizitär beschrieben. Homosexuelle könnten „die christliche Gemeinschaft bereichern“ – das hat man so noch nicht in einem Diskussionspapier aus dem Vatikan gelesen. Im Grunde ist das zwar ein selbstverständlicher Satz, aber in einer Kirche, die Schwulen bislang mit Ausgrenzung und Angst begegnet, ändert diese Sprache auch die Wirklichkeit.

Das Synodenpapier geht aber noch weiter: Es versucht, eine theologische Grundlage dafür zu finden, wie die katholische Kirche künftig Lebensformen außerhalb der traditionellen Ehe definiert. Sie nimmt sich dafür ein 50 Jahre altes Vorbild: Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil galt die Regel, dass es außerhalb der katholischen Kirche kein Heil gebe. Das Konzil dagegen erklärte, dass zwar nur in der katholischen Kirche die Heilszusage Gottes vollständig verwirklicht sei, das Heil aber auch in anderen Glaubensformen zu finden sei. Kurz: Auch Evangelische, Muslime und Juden können in den Himmel kommen.

Diese Gradualität schlägt nun das Redaktionsteam um den ungarischen Kardinal Peter Erdö für die Bewertung verschiedener Lebensformen vor: Vollständig ist das Heil nur in der katholischen Ehe und Familie zu Hause. Doch auch in den anderen Formen kann es Wirklichkeit sein, bei unverheirateten Eltern, Geschiedenen, die wieder heiraten, einem schwulen oder lesbischen Paar, das füreinander sorgt und Kinder erzieht. Ob sich solche Paare nun als Abglanz-Form der katholischen Ehe definiert sehen wollen, bleibt dahingestellt. Doch für die Kirche wäre das ein Schritt, nicht weniger bedeutend als der vor mehr als 50 Jahren: Das Heil wohnt auch außerhalb der sakramentalen Ehe. Für viele Katholiken, die sich bisher als irregulär lebend definiert sahen, könnte dies die Versöhnung mit ihrer Kirche bedeuten.

Allerdings ist die Formulierung in der Synode umkämpft, wo die Bischöfe nun in Kleingruppen beraten. Es gibt nicht wenige, die das für den Ausverkauf der Wahrheit halten. Es gibt, vor allem in Afrika und Osteuropa, Bischöfe, die erschrocken sind über die freundlichen Worte gegenüber Homosexuellen. Sie fürchten den Zorn vieler Gläubiger und Schwierigkeiten mit Regierungen, von denen viele eine brutale Anti-Schwulen-Politik betreiben.

Es kann also noch bis zum Beratungsende am Wochenende das Dokument verharmlost werden. Doch ganz ist es von den Gegnern jeder Änderung nicht mehr vom Tisch zu bekommen. Das ist eine Überraschung. Die Kirche bewegt sich doch. Sie hat die Chance, sich mit den Menschen auf den Weg zu machen, hinauszugehen ins Offene, das ihr so lange Angst machte. Sie sollte sich trauen, dies zu tun. Dann dürfte sie merken, wie viele Familien, Paare, Lebensgemeinschaften es gar nicht so schlecht finden, dass da jemand mit ihnen geht.

Gutes tun und darüber sprechen

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Charkiw – Sergej Botschkowskij muss nicht lang nachdenken, die Zahl kennt er ganz genau: 105652. So viele Flüchtlinge habe man bisher allein in Charkiw untergebracht, sagt der Chef des ukrainischen Katastrophenschutzes, sie flohen vor dem Bürgerkrieg. „Wir hatten überhaupt keine Erfahrung mit so einer Situation, alles war neu“, sagt er. 105652 Flüchtlinge – und der Winter kommt erst. Zum Glück sei da ein ganz neuer Patriotismus entflammt, sagt Botschkowskij, ein kleiner Mann mit kurz geschorenem Haar in einer reich dekorierten Katastrophenschutz-Uniform. „Die Bevölkerung hilft gerne.“ Und nicht einmal nur die der Ukraine.

Am Dienstag ist Gerd Müller angerückt, der Entwicklungsminister aus Deutschland, oder, wie Müller selbst gerne sagt, „vom Nachbarn des Nachbarn“. Es gehe darum, den Flüchtlingen für den Winter eine Perspektive zu bieten, sagt der CSU-Mann. „Darum haben wir uns entschieden, zu helfen.“ Manchmal klingt es fast so, als wolle Müller am liebsten selbst die Feldbetten zusammenschrauben. „Wir müssen anpacken, und den Menschen helfen“ solche Sachen sagt der Nachbar vom Nachbarn in der Ukraine. Denn um Symbole, um Bilder, geht es auch hier, kein Zweifel.



Entwicklungsminister Müller (CSU)

Dass nämlich ein Mitglied der Bundesregierung gleich höchstpersönlich eine Hilfslieferung in Empfang nimmt, passiert eher selten. Diese Lieferung aber ist auch eine Art Gegenentwurf zum umstrittenen weißen Hilfskonvoi, den Moskau im Spätsommer auf den Weg gebracht hatte. Es soll der Beweis sein, dass auch der Westen im äußersten Osten der Ukraine hilft, und zwar „nicht nur mit Mehlsäcken“, wie Müller sagt. Insgesamt 200 Lastwagen mit Hilfsgütern schickt der Bund in die Ostukraine, mit Pullovern und Generatoren, Wasserkochern und Kühlschränken, medizinischem Gerät. Und mit Wohncontainern.

Einer davon ist für Valerij Kalinin und seine Familie. Im Sommer kamen sie aus Donezk, mit Zügen, Bussen, Hauptsache weg. „Um unsere Kinder zu retten, mussten wir fliehen“, sagt er. Ob das Haus noch heil ist, weiß er nicht. Jetzt steht er auf einem planierten Platz am Rande der Millionenstadt Charkiw. Im Hintergrund rollen Walzen den Boden platt, während nebenan ein Kran einen offenen Container auf Schotterboden absetzt. Die Luft ist für einen Oktobertag überraschend mild, die Sonne scheint. An die 400 Flüchtlinge sollen in den deutschen Containern einmal wohnen, auch die Familie aus Donezk darf einziehen. Und seit Müllers Besuch hält sie sogar das entsprechende Dokument in Händen, abgefasst in bestem Behördendeutsch: Ein Zertifikat über „das Recht der Familie Kalinin auf erstrangige Ansiedlung zwecks zeitweiliger Wohnsitznahme.“ Die Ikea-Schränke in der Küche sind schon vorinstalliert, nur die Wasserleitungen fehlen noch. Bis Dezember müssen die Kalinins noch wie Dutzende andere in einem Therapie-Zentrum wohnen, eine der bisherigen Behelfsunterkünfte. Und ja, eine „zeitweilige Wohnsitznahme“ strebt auch Kalinin an, die Familie will gern zurück. „Wir hoffen“, sagt er.

Tausende Flüchtlinge sind derzeit provisorisch untergebracht, doch viele dieser Unterkünfte werden bald nicht mehr taugen. Sie leben in Sanatorien oder Datschen, aber die werden im Winter nicht beheizt. Schon Ende dieser Woche sacken die Temperaturen ab, dann ist es mit dem milden Herbst vorbei. Ohnehin wird die Heiztemperatur in diesem Winter auf 16 Grad begrenzt – um die Gasvorräte zu schonen. Bislang sind insgesamt 370.000 Flüchtlinge offiziell gemeldet, Botschkowskijs 105.652 sind nur ein Teil davon. Wenn der Winter kommt, dürften die Zahlen ansteigen. „Dann kommen die Kälteflüchtlinge“, sagt Andrej Waskowycz, Chef der Caritas in der Ukraine. „Der Winter wird unerträglich, wenn wir keine Lösungen finden.“ Die Caritas selbst hat eine: ein spärliches Flüchtlingsheim für 15 Familien aus Gegenden wie Lugansk und Donezk. Zehn, elf Betten sind hier in einem Zimmer untergebracht, in der Ecke steht ein Fernseher auf einem Kühlschrank. Vor allem aber gibt es eine Heizung, unter dem Fenster. Zu den Latrinen jedoch müssen die Bewohner auch bei minus 20 Grad über den Hof. Vor allem für die Älteren ist das Leben hier hart. Und ein Ende der Krise ist nicht in Sicht, ungeachtet des Waffenstillstands.

Entsprechend groß ist das Interesse an der Hilfe aus Deutschland. Beim Besuch in Charkiw begleitet Müller eine Traube an Kameras, wie sie ein deutscher Entwicklungsminister so gut wie nie erlebt. „Herr Minister, was schickt Deutschland noch?“, fragt eine ukrainische Fernsehfrau. Müller wiegelt ab – das müsse er mit den Bürgermeistern besprechen. So wie auch diese Lieferung, die zum Großteil in fünf Städte verteilt wird, darunter auch in die einst so umkämpften Städte Slowjansk und Mariupol. Allein das Tempo gilt vielen Beteiligten heute als unschlagbar. Ende August hatte Merkel bei einem Besuch in Kiew insgesamt 25 Millionen Euro Soforthilfe versprochen, drei Wochen später begannen die Absprachen mit den Bürgermeistern vor Ort. In nur sieben Stunden winkten polnische und ukrainische Zöllner einen deutschen Konvoi mit 112 Lastwagen durch. Für eine EU-Außengrenze ist das Rekord. Und auch Katastrophenschützer Botschkowskij würde derlei Aktionen gerne wiederholen. „Der Bedarf ist riesengroß“, sagt er. „Auch von anderen Ländern.“

In einem Vorort von Kiew wird derweil weiter verladen, bisher ist nur ein Bruchteil der Hilfe auf dem Weg in die Ostukraine. Gabelstapler sausen umher, sie heben Matratzen, Feldbetten, Mikrowellen in die Lastwagen. „Wenn alles richtig gut läuft“, sagt Holger Neuweger von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), „sind bis Anfang November in allen fünf Städten Hilfslieferungen angekommen.“ Bis Mitte Januar soll die Operation abgeschlossen sein. Klitzekleine Ironie der Hilfsaktion: Im Eifer des Gefechts kauften die Helfer auch im Heimatland derer ein, die diese Hilfe erst nötig machten. Die Kühlschränke, Marke Beko, sind Made in Russia.

Die Angst vor Walter White

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Vor vier Jahren habe ich meinen ersten Text für jetzt.de geschrieben, es ging es um „Mein Leben ohne Fernseher“. Damals war das noch einigermaßen bemerkenswert, nicht umsonst bekam ich während der Schulzeit den Spitznamen „Mensch ohne Fernseher“ verpasst.  

Heute wäre wohl eher das Gegenteil etwas Besonderes: In meinem Freundeskreis fristen Fernseher ein ähnliches Nischendasein wie Plattenspieler. Falls die Wohnung tatsächlich noch keine mattscheibenbefreite Zone ist, dann nur, weil kleine Laptop-Monitore den DVD-Genuss stark einschränken. Für das große Kino der gefeierten US-amerikanischen Serien braucht es große Bildschirme.  





Aber auch hier bin ich nicht auf der Höhe der Zeit: Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine US-Serie gesehen. Keine einzige Minute einer einzigen Episode.  

Vermutlich ist das eine Spätfolge meiner fernsehlosen Jugend: Während vor ein paar Jahren alle Welt von „Breaking Bad“ oder „The Wire“ schwärmte, war ich erst einmal damit beschäftigt, mich an den „Tatort“ heranzutasten.  

Die erste Folge, die ich gesehen habe – das grandiose „Nie wieder frei sein“ Ende 2010 – hat mich dermaßen angefixt, dass ich mir vorgenommen habe , das mir unbekannte „Tatort-Universum“ zu erschließen. Mittlerweile  finde ich es schön, mich gelegentlich für anderthalb Stunden berieseln zu lassen und mich von meiner Twitter-Timeline in meinem Ärger über das häufig banale Geschehen auf dem Bildschirm bestätigen zu lassen.  

Ich kann die Melodie des Vorspanns mitpfeifen, habe Vorlieben (Dortmund, München, Wien, Frankfurt) und Abneigungen (Konstanz) entwickelt, kenne die Befindlichkeiten und Beziehungskrisen der meisten Ermittler – und habe dabei vollkommen verpasst, dass ich damit ein paar Jahre oder Jahrzehnte zu spät dran bin. Ich habe meine Zeit in anachronistischen Ballast investiert.  

So fühlt es sich zumindest oft an. Gegen Walter White verblasst der vermeintlich vielschichtige Charakter eines Peter Fabers. Wenn meine Freunde intellektuelle Diskussion über die Gesellschaftskritik in „Breaking Bad“ führen oder das Feuilleton die zweite Staffel von „House of Cards“ feiert, fühle ich mich ausgeschlossen. Ich habe es vor langer Zeit versäumt, auf den Serienzug aufzuspringen, und jetzt zuckele ich in der Pferdekutsche vor mich hin, während der True-Detective-ICE vor mir davonbraust.  

Je länger ich warte, desto unmöglicher scheint es mir, jemals Eintritt in den erlauchten Kreis der serienbesehenen Cineasten zu finden. Zwar könnte ich alleine auf Grundlage der Meta-Diskurse, die ich gehört und gelesen habe, die Handlung mancher Staffeln nacherzählen (so wie es fünf jetzt.de-Autoren letztes Jahr getan haben), doch für mehr fehlt mir das Hintergrundwissen.  

Je länger die Liste der Serien wird, die man unbedingt gesehen haben muss, je mehr Freunde mir mehr oder weniger hilfreiche Tipps geben, womit ich anfangen könnte, desto höher erscheint mir die Hürde, mich einfach auf die Couch zu setzen und in Jogginghose meinen Initiationsritus zu begehen.  

Die endlose Auswahl an potentiellen Einstiegsserien verunsichert mich, die Größe dieser mir so fremden Welt schreckt mich ab. Ich habe inzwischen verstanden, was der Unterschied zwischen Episoden und Staffeln ist – aber mir sieben Staffeln „Mad Men“ à 13 Episoden anschauen? Für mich ist das eine ähnliche Herausforderung, wie mich an einen Wälzer wie „Krieg und Frieden“ oder „Die Buddenbrocks“ heranzutrauen.  

Außerdem, und das ist vermutlich der wichtigste Grund für meine Abstinenz, habe ich Angst, süchtig zu werden. Ich weiß genau, wie sehr mich episodenhafte Geschichten in den Bann ziehen. Wenn mich das erste Buch einer mehrbändigen Reihe gepackt hat, muss ich den Rest sofort im Anschluss lesen. Wenn ich ein gutes Hörbuch entdeckt habe, betreibe ich Binge-Listening bis zur letzten Minute.  

Und wenn ich, so meine Befürchtung, erstmal in die Parallelwelt einer US-Serie eingetaucht bin, dann kann ich meine nächsten drei Wochenenden vermutlich schon mal im Voraus blocken und mich auf lange Tage und Nächte auf dem Sofa einstellen. Psychologen wollen herausgefunden haben, dass Serien-Junkies auf Entzug ähnlich reagieren wie Heroinsüchtige. Soziologen versuchen, die Faszination Fernsehserie zu erklären. Psychologen vergleichen unser Verhältnis zu den Serienhelden mit Freundschaften und nennen das „parasoziale Beziehungen“. Es gibt sogar eine interdisziplinäre Forschungsgruppe, die den gesellschaftlichen Stellenwert von Serien in der westlichen Welt ergründen möchte.  

Diese Angst vor der Abhängigkeit war bislang zu groß. Bislang. Denn vor ein paar Wochen habe ich meinen inneren Widerstand aufgegeben. Nach viel gutem Zureden und stundenlangen Beratungsgesprächen habe ich mich entschieden, diesen Winter mit „House of Cards“ anzufangen. Das entscheidende Argument: Zwei Staffeln sind einigermaßen übersichtlich – sobald ich richtig süchtig bin, ist es auch schon wieder vorbei, allzu viel Zeit kann dabei nicht draufgehen.  

Ich habe schon immer nach einem Grund gesucht, mich auf den November zu freuen – jetzt habe ich endlich einen: Der schlechte Wetterbericht kann kommen!

"Plötzlich stand überall: 'Megan Fox: Ich bin eine Transe.'"

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jetzt.de: Du hast dich schon sehr früh für Comics und Zeichentrickserien interessiert. Hat dein Mitwirken an Filmen wie „Transformers“ oder „Teenage Mutant Ninja Turtles“ eine besondere Bedeutung für dich?
Megan Fox: Das sind die Art Filme, die ich mir selbst am liebsten im Kino ansehe. Wenn ich also die Chance bekomme, in einem davon mitzuspielen – umso besser! Und von den Turtles war ich als Kind bereits Fan. Ich kann mich noch erinnern, dass ich ungefähr fünf Jahre alt war, als ich mir mit meiner zwölf Jahre älteren Schwester „Turtles II – Das Geheimnis des Ooze“ angesehen habe.  





Du hast schon häufig action-geladene Rollen gespielt und hast mal angemerkt, dass du eine aggressive Persönlichkeit hättest. Liegt darin deine Rollenwahl begründet?

Ich selbst würde mich gar nicht als aggressiv bezeichnen, aber ich werde von anderen Menschen häufig so wahrgenommen. Ich habe eben keine Angst vor Konfrontation. Das hat aber nichts mit Aggression zu tun, sondern mit Selbstbewusstsein.  

Im Film geht es aber nicht nur um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, sondern auch um die Beziehung zwischen vier Geschwistern. Deine eigene Schwester hast du eben bereits erwähnt. Wie ist das Verhältnis zu ihr?
Wir verstehen uns super. Sie wohnt mittlerweile auch in Los Angeles, ganz bei uns in der Nähe, sodass wir uns häufig sehen. Sie hilft mir viel mit meinen Babys. Sie hat selbst zwei Jungs, die ich abgöttisch liebe und mit denen ich gerne Zeit verbringe. Für mich ist meine Schwester eher eine Mutterfigur. Das liegt zum einen natürlich an dem großen Altersunterschied, zum anderen war sie immer zu Hause, während unsere Mutter gearbeitet hat. Daher hat meine Schwester eine ganze Menge zu meiner Erziehung beigetragen. Ich muss allerdings sagen: Wir haben sehr unterschiedliche Auffassungen vom Leben.  

Also streitet ihr viel?

Nein, aber wir diskutieren viel!  

Fragst du sie um Rat in Sachen Kindererziehung?

Eher weniger, denn auch da haben wir sehr unterschiedliche Ansichten. Meine Schwester ist relativ streng, während ich wohl eher der Typ Künstler- oder Hippie-Mutter bin.  

Stimmt es eigentlich, dass du als Kind in der Schule nicht sonderlich beliebt warst?

Ja, leider. Als ich in der sechsten Klasse war, sind wir nach Florida gezogen, wo ich auf eine neue Schule gekommen bin. Dort gab es etwa 2000 Schüler, aber Freunde gefunden habe ich dort nicht. Ich habe allerdings immer Aufmerksamkeit generiert, wenn auch nicht immer positive. Das muss wohl mit meinem Karma zu tun gehabt haben.  

Heute wirst du dafür von vielen Menschen vergöttert...

Klar, und das ist schön – auf eine bizarre Art und Weise. Aber für beides gilt ja: die Leute kennen mich nicht. Auf welcher Grundlage beruht also ihre Sympathie oder Abneigung mir gegenüber? Aber ich verstehe natürlich, dass es eine komische Form von Vertrautheit erzeugt, wenn dich die Leute in ihrem Zuhause im TV sehen.  

Wie gehst du damit um?

Das größte Problem liegt vor allem darin, dass ich mit den Menschen ja nie direkt kommuniziere, sämtliche Infos über mich kommen von den Medien, ich kann nur versuchen, stets nett und freundlich zu sein. Ich bin also davon abhängig, richtig verstanden zu werden. Wenn ich aber einen Scherz oder eine ironische Bemerkung mache, wird das häufig in einen falschen Kontext gesetzt und schon stehe ich als Idiot da.  

Ein Beispiel bitte!

Vor ein paar Tagen habe ich eine Pressekonferenz zum Turtles-Film gegeben. Dort wurde ich gefragt, ob ich auch der Meinung sei, Michael Bay hätte mit seinen Filmen das Seelenheil der Kinder auf dem Gewissen. Daraufhin habe ich geantwortet, die Leute sollen sich den Film erst mal ansehen und danach ein Urteil fällen. Und dann habe ich noch lachend hinzugefügt: „Wenn der Film ihnen dann nicht zusagt: Fuck off!“ Ich habe das wirklich ganz süß formuliert, sodass für jeden klar gewesen sein muss, dass es als Witz gemeint war. Aber keine zehn Minuten später konnte man online bereits überall die Headline lesen: „Megan Fox sagt ihren Fans: Fuck off!“  

Du sagtest deshalb auch mal, dass du in Interviews eigentlich keine Witze mehr machen könntest, weil der Humor bei der Verschriftlichung oft flöten geht.

Ja, absolut. Denn das gibt Journalisten den Raum, das Gesagte wörtlich zu nehmen und dadurch dramatisch klingen zu lassen. Klar, ich könnte über Facebook permanent Richtigstellungen raushauen, aber ganz ehrlich: Das wäre ein Kampf gegen Windmühlen.  

Witze machst du trotzdem. Auf dem roten Teppich hast du einem Reporter mal gesagt, du wärst eine Transe...
Ja, das stimmt. (lacht) Ich habe mich darüber lustig gemacht, dass sich Frauen auf dem roten Teppich häufig unsicher fühlen und habe so etwas gesagt wie: „Ich bin wohl eher ein Typ.“ Daraufhin gab es einen Schlagabtausch über Transsexualität. Der Interviewer hat das auch eindeutig als Gag verstanden, aber die Leute drum herum wohl nicht. Plötzlich stand überall: „Megan Fox: Ich bin eine Transe.“  

Freust du dich eigentlich schon darauf, wenn du deinen Kindern die Filme zeigen kannst, in denen sie sehen, wie ihre Mutter die Welt rettet?

Absolut! Je cooler sie mich finden, desto größer die Chancen, dass sie Zeit mit mir verbringen wollen. Deswegen ja auch diese Rollen in Actionfilmen: Da können sie ja gar nicht anders, als mich für die coolste Mum der Welt zu halten! (lacht) Ich liebe sie einfach abgrundtief und möchte sie für immer um mich haben.

Du hast auch einen 12-jährigen Stiefsohn, Kassius, der Sohn deines Ehemanns Brian Austin Green. Was hält der von deinen Weltretterfähigkeiten?
„Teenage Mutant Ninja Turtles“ hat er sich zusammen mit Brian angesehen und fand ihn super. Aber für ihn ist der Umgang mit mir ein bisschen schwierig, weil ich zu Hause eine Mutterfigur für ihn bin, er in der Schule aber ständig mit meinem Celebrity-Status konfrontiert wird.  

Inwiefern?
Vor Jahren, da muss Kassius etwa acht gewesen sein, wurde er von einem Mitschüler gefragt: „Kassius, wo ist Megan Fox?“ Und er dann: „Bei uns zu Hause.“ Woraufhin das andere Kind meinte: „Nee, stimmt gar nicht. Meine Mum hat gesagt, sie ist bei Shia LaBeouf“ – was, nebenbei, nie der Fall war. Mittags kam Kassius dann ganz geknickt nach Hause, weil er auf dem Schulhof die ganze Zeit deshalb gepisackt wurde – von diesem Kind, dessen Mutter offensichtlich nichts Besseres zu tun halte, als falsche Boulevardzeitungsinhalte mit ihrem Sohn zu diskutieren. Er hat es also nicht ganz leicht und das tut mir leid. Er muss für sich noch den richtigen Weg finden, damit umzugehen.  

Du machst für den Film gerade viel Promotion. Wie handhabst du das mit deinen Kindern?

Die sind zum Glück noch so jung, dass ich sie ohne Probleme überall hin mitnehmen kann, aber auch für sie ist das hart. Die sind total gejetlaggt und schlafen am Tag 16 bis 18 Stunden, weil das so anstrengend für sie ist. Aber ich könnte diese Termine nicht machen, wenn ich sie nicht um mich hätte. Ich würde mir ständig Sorgen machen, dass es ihnen nicht gut geht.  

Das war alles einfacher, als du noch keine Kinder hattest, oder?

Ja, natürlich. Aber bei diesen Promo-Terminen geht es ja noch. Wenn ich meine Kinder kurz sehen will, ist das kein Ding. Beim Filmdreh: Keine Chance! Da kennen die nichts.

Schaumstopp!

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Neulich, in einer Küche bei Freunden: „Ich hasse Küchengeräte“, sagte die Freundin, „aber das hier für den Milchschaum ist echt sinnvoll, das musste sein!“ Neulich, in einer anderen Küche, bei anderen Freunden: „Willst du Milchschaum?“, fragte die Freundin, „Das geht jetzt ganz leicht, seit wir dieses Gerät haben!“ Neulich, in  meiner Küche, mit Besuch einer Freundin auf der Durchreise: „Ich mache mir noch einen Kaffee für die Fahrt“, sagte die Freundin, „guck mal, das Gerät habe ich mir gegönnt, das macht so guten Schaum!“ Als ich nach diesen drei Situationen einem Bekannten auf einer Party sagte, alle hätten auf einmal „diese Milchschaumgeräte“, sagte er: „Ja, ich auch, die sind super!“ Und dann war ich mir sicher mit einem Gedanken, der vorher nur eine Ahnung war: Das mit dem Milchschaum hat irgendwie überhand genommen. Die Schaum-Perfektionierung ist über die Stränge geschlagen.  



Jaja, ihr könnt auch Herzchen in den Schaum machen, ist klar...

Milchschaum, das ist schon so ein Ding unserer Generation. Erst gab es ihn nur im Café, da haben wir ihn in der Oberstufe in unserer Mittagspause vom Latte Macchiato runtergelöffelt. Als ich von Zuhause auszog, fand er gerade Eingang in die WG-Küchen. Erst wurde in den Druck-Kaffeekannen geschäumt, dann kaufte man extra Milchkannen mit Pumpe, um zu schäumen. Beides klappte nur so mittelgut, meistens wandte man viel Kraft auf, um danach lauwarme Milch mit ein paar Bläschen drin in den Kaffee zu gießen. Dann kam die Zeit der Stab-Schäumer. Die Studenten kauften sie bei Tchibo und Kaufhof, schwärmten davon, wie viel Spaß es mache, sie zu benutzen, philosophierten über den besten Fettgehalt und die richtige Temperatur der Milch, lobten sich gegenseitig, wenn sie guten Schaum kreiert hatten (gut = möglichst fest), und schimpften darüber, wie schnell die Batterien leer gingen. Und seit Neustem tauchen nun also diese Milchschaumgeräte in den Küchen der Studenten und Gerade-der-Uni-Entwachsenen auf. Geräte, dir zuvor nur auf den Anrichten besser verdienender Eltern standen, die es jetzt aber auch in günstiger gibt, sodass die Freundinnen sagen: „Hat nur 30 Euro gekostet!“ Man nennt sie „Induktions-Milchaufschäumer“. Das habe ich auf www.milchschaum.net nachgelesen. Dort lernt man, was Milchschaum genau ist und welche Möglichkeiten es gibt, ihn „perfekt zuzubereiten“, wenn „man sich ein Leben ohne Cappuccino, Latte Macchiato oder Caffe Latte gar nicht mehr vorstellen kann“.  

[plugin imagelink link="http://ecx.images-amazon.com/images/I/4119uEwSb7L.jpg" imagesrc="http://ecx.images-amazon.com/images/I/4119uEwSb7L.jpg"]Für alle, die sich nichts drunter vorstellen können: Das ist ein Induktionsmilchschäumer. (Quelle)

Irgendwann zwischen Oberstufen-Mittagspause und Induktions-Milchaufschäumer für Zuhause sind alle Menschen um mich herum zu kleinen Baristas geworden. Mir macht das ein bisschen Angst, weil ich glaube, dass es etwas mit Fotogenität zu tun hat. Mit dem schönen Schein. Er sieht gut aus, der Schaum. Mit ihm wehen immer ein cremiger Hauch französischer Cafés und das Gefühl von kalten Wintertagen, die man dort zweisam plaudernd in Vintage-Sesseln verbringt, durch den Raum. Weil es heute so wichtig ist, dass auch das Zuhause diesen Café-Hauch und dieses Sessel-Gefühl hat, und sich die Menschen am wohlsten fühlen, wenn sie am eigenen Küchentisch so aussehen, dass man sie gleich abfotografieren könnte, musste der Milchschaum auch in unsere Küchen kommen. Damit man dort in einer besonders schönen Hausanzug-Hose lässig auf dem Stuhl sitzen, ein Bein anziehen und die Hände locker um eine große Tasse legen kann, die von einer weißen Haube aus Schaum gekrönt wird. Damit davon jemand ein Foto macht oder man wenigstens das Gefühl hat: Würde jetzt jemand ein Foto machen, dann sähe mein Leben sehr schön und genießerisch aus. Die Instagram-Timeline ist voll mit Fotos, auf denen jemand so oder ähnlich dasitzt, oder mit solchen, die mit #coffeediary gekennzeichnet werden. Darauf sieht man schönste Milchschäume aus der Vogelperspektive in schönsten Tassen neben schönsten Magazinen oder Büchern auf schönsten Massivholztischen. Milchschaum, das ist auch immer ein Symbol für: sich Zeit nehmen. Genießen. Sich ins gute, schöne Leben oder ein gutes Buch vertiefen. Nicht den Kaffee schnell runterkippen, sondern erstmal in Ruhe ein bisschen Schaum löffeln und sich beim ersten Schluck die Oberlippe auf eine ganz niedliche Art bemilchschäumen.  

Dabei sprechen ja, wenn man mal ehrlich ist, auch genug Gründe gegen Milchschaum. Erstens bleibt er in den Coffee-to-go-Bechern immer so unschön als Bodensatz zurück, den man ohne Löffel nie erreicht. Zweitens sind die wirklich coolen Säue immer die, die „Kaffe, schwarz“ bestellen. Und drittens ist Milchschaum nach allem hübschen Aussehen eigentlich immer eine Enttäuschung, wenn man ihn probiert. Dann schmeckt er halt zu Dreivierteln nach Milch und zu einem Viertel nach Luft. Das kann man auch haben, wenn man erst ein Glas Milch trinkt und dann atmet.  

Man verstehe mich nicht falsch: Jeder darf so viel Milch schäumen, wie er will. Und ich bestelle im Café selbst immer die Kaffee-Variante mit Schaum. Trotzdem möchte ich vorsichtig anmerken, dass es vielleicht Zeit wird, weniger Wirbel um die Milch (und in der Milch) zu machen, bevor es lächerlich wird. Milchschaum ist keine Wissenschaft und auch kein Accessoire. Ich finde, man sollte immer stutzig werden, wenn so etwas herrlich nutzloses wie Milchschaum auf einmal mit Geräten gemacht wird, die das Präfix „Induktions-“ haben. 

Einfrieren von Eizellen: Ja oder nein?

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Facebook und Apple wollen, dass mehr Frauen bei ihnen arbeiten. Bisher sind um die 70 Prozent der Beschäftigten dieser Unternehmen Männer. Das entspricht der Situation in vielen IT-Konzernen. Daher kamen beide Firmen jetzt auf eine besondere Idee: Sie übernehmen die Kosten, wenn Mitarbeiterinnen ihre Eizellen einfrieren lassen wollen.  



Nein, der blaue Handschuh ist keine Anspielung auf den blauen Facebook-Daumen.

Der Gedanke dahinter: Das Einfrieren ermöglicht es denen, die sich auf ihre Karriere konzentrieren möchten, die Familienplanung aufzuschieben. Deshalb übernehmen Apple und Facebook bis zu 20.000 Dollar (15.800 Euro) für die Entnahme der Eizellen und für ihre Aufbewahrung, bei der jährlich Kosten anfallen.  

Befürworter sehen darin einen Beitrag dazu, diese sogenannte Kryokonservierung zu enttabuisieren. Außerdem gebe es eine Nachfrage danach, auf die die Unternehmen nur reagieren würden. Zudem gebe es von beiden beim Thema Familie sowieso auch anderweitig finanzielle Unterstützung, etwa für Adoptionen. Frauen seien durch das Angebot jedenfalls nicht mehr von ihrer biologischen Uhr abhängig.  

Kritiker bemängeln die bisher niedrige Erfolgsquote der Maßnahme und erwarten zusätzlichen Druck auf Mitarbeiterinnen, die bereits früh auf natürlichem Wege ein Kind bekommen wollen. Außerdem werde das Problem der allgemeinen Chancengleichheit im Beruf dadurch nicht gelöst. Frauen würden beispielsweise immer noch weniger Geld als ihre männlichen Kollegen verdienen.  

Was hältst du von der Möglichkeit, die eigenen Eizellen einfrieren zu lassen? Ist das ein sinnvolles Angebot oder Schwachsinn? Ein Schritt in Richtung Emanzipation oder in Richtung überzogener Karrierebesessenheit?

Tagesblog am 16. Oktober 2014

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11:26 Uhr:
Juhuu, ein neuer Text! Und was für ein toller. Auf unserer aktuellen München-Seite hat sich der Fotograf Conny Mirbach Orte in der Stadt ausgesucht, an denen berühmte Filme und Fernsehserien gedreht wurden. Ist natürlich nicht ganz originell, aber trotzdem sehr, sehr sehenswert.


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[plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/10/funny-book-hangover-definition-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/10/funny-book-hangover-definition-1.jpg"]
10:55 Uhr:
Genau dieses Syndrom habe ich! Nachdem ich den total schrecklichen Thriller "Gone Girl" gelesen habe, weiß ich gar nicht, was ich jetzt lesen soll. Hat jemand einen Vorschlag? Ich sag mal, was ich brauche: Etwas eher pulpiges, was man gut mit halber Hirnkraft in 30-Minuten-Intervallen lesen kann. Gerne mit Liebe, ungerne wieder ein Thriller (meine Nerven)...

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10:51 Uhr:
Wer von euch hat schon wieder an der Uhr gedreht? Hmmmm?
Entschuldigt, dass ich so lange weg war. Wir hatten in der Konferenz eine sehr ausführliche Diskussion zum Thema "Prokrastination". Darf man das haben oder nicht? Ich bin dafür, andere dagegen. Wie halt immer im Leben.
Gleich geht es hier mit "freshem Content" weiter Wie der Internet-Mensch des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu sagen pflegte: stay tuned...

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9:08 Uhr:
Hallooooooo da bin ich wieder.  Bei sueddeutsche.de sind heute folgende Themen wichtig:

- weiterhin die Situation der Flüchtlinge in Bayern. Ich möchte in diesem Fall ausdrücklich für die Texte auf sz.de zu dem Thema werben. Über Flüchtlingskinder, über die Quartierssuche in München, und darüber, wie man helfen kann.  

- die Ebola-Angst in den USA, wo sich eine zweite Krankenschwester aus Texas mit dem Virus angesteckt hat (und vorher noch mit dem Flugzeug quer durchs Land geflogen ist).

- außerdem im Laufe des Tages: Ikea nimmt das lebenslange Rückgaberecht wieder zurück, über die Panikmache der konservativen US-Fernsehsender beim Thema Ebola und: deutsche Rockerbanden wollen gegen IS in den Krieg ziehen.

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8:27 Uhr:
Guten Morgen, liebe Freunde, Freundinnen, Bekannte, Informanten. Heute bin ich extrem früh dran, weil ich so viel tun muss: Tagesblog schreiben, Internet archivieren, Mittagessen, Kaffee trinken, telefonieren, Gedanken machen, selbige aufschreiben, etc... Egal. Gut für den Tagesblog, wenn er mal ein bisschen früher in den Tag starten kann.

Wir fangen gleich mal an mit den privaten Befindlichkeiten: gar nicht mal so schlecht, außer einer hartnäckigen Erkältung. Gut geschlafen, zu früh aufgewacht, zu viele Kinder-Reste gefrühstückt. Und bei euch/dir so?

Im Ticker wird heute die große Eizellen-Einfrier-Debatte geführt. Findest du es gut, dass Facebook und Apple ihren weiblichen Angestellten das Einfrieren ihrer Eizellen bezahlen? Mein Gedanke dazu hat etwas mit meiner persönlichen Erfahrung als mittelalt-junge Mutter zu tun:

Ich glaube, wenn ich meine Kinder mit Anfang Zwanzig und nicht mit Anfang Dreißig bekommen hätte, hätte ich viele Dinge leichter weggesteckt und mir über gewisse Dinge weniger Gedanken gemacht. Den Schlafmangel zum Beispiel, oder die richtige Erziehung. Wenn ich mir vorstelle, dass sich die Elternschaft noch über die natürlichen Grenzen hinauszieht, man also mit Anfang Vierzig anfängt, Kinder zu bekommen, dann glaube ich, dass man echt starke Nerven braucht. Haben bestimmt viele. Vielleicht nicht alle. So. Fertig.
Jetzt muss ich in die SZ.de-Konferenz.
See you on the other side.


Fahnenflucht an die Front

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Dass Soldaten nicht zum Dienst erscheinen, kommt immer wieder mal vor – auch wenn die sogenannte eigenmächtige Abwesenheit ein schweres Vergehen ist. Wer „vorsätzlich oder fahrlässig“ länger als drei Tage abwesend ist, muss laut Wehrstrafgesetz mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Und wer versucht, sich dauerhaft dem Dienst zu entziehen, wird sogar wegen Fahnenflucht belangt – dem Gesetz nach zu ahnden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Einen solchen Verdacht auf Fahnenflucht gibt es derzeit bei den Fallschirmjägern im niedersächsischen Seedorf – und zwar einen mit brisantem Hintergrund.

Dort war ein Hauptgefreiter zunächst für zwei Wochen krankgeschrieben – kzH nennt man das bei der Bundeswehr, krank zu Hause. Danach sei er „nicht zum Dienst erschienen“, heißt es in einer internen Meldung über den Vorgang, der seit Tagen Aufregung in der Truppe erzeugt. „Mit ihm fehlt seine Gefechtsausrüstung“, so steht es weiter in der Meldung. „Ermittlungen haben ergeben, dass er sich wahrscheinlich in die Ukraine abgesetzt hat, um dort die pro-russischen Separatisten zu unterstützen.“



Laut UN hat der Konflikt um die Ukraine bereits 3600 Todesopfer gefordert.

Ein fahnenflüchtiger Fallschirmjäger der Bundeswehr kämpft in der Ostukraine? Tatsächlich lässt die Herkunft des deutschen Staatsbürgers einige Rückschlüsse auf mögliche Motive zu: Nach Angaben aus Militärkreisen kam er 1991 im Gebiet der zerfallenden Sowjetunion zur Welt. Da braucht es nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, was den Mann an die Front getrieben haben könnte. Und es deutet einiges darauf hin, dass er es sogar dorthin geschafft hat – jedenfalls heißt es in der Meldung über den Vorgang: „Nach Aussage eines Zeugen“, der mit dem Fallschirmjäger über den beliebten Kurznachrichtendienst „WhatsApp“ Verbindung gehabt habe, „befand sich der Soldat bereits in Gefechten in der Ukraine“.

Fallschirmjäger haben innerhalb der Bundeswehr einen besonderen Status. Sie begreifen sich selbst als Elitetruppe, und das mit einigem Recht: Ihre Ausbildung ist besonders hart, dafür gilt ihre Kampfkraft als besonders hoch, und eine gehörige Portion Draufgängertum gehört sowieso dazu. Nicht umsonst werden Fallschirmjäger auch eingesetzt, wenn deutsche Staatsbürger im Ausland in Sicherheit gebracht werden müssen. Sollte sich der verschwundene Soldat also tatsächlich den Separatisten angeschlossen haben, dürfte denen nun ein bestens ausgebildeter Kämpfer zur Verfügung stehen – zumal der Mann aus Seedorf bereits vor zwei Jahren in die Bundeswehr eingetreten ist, also einige Erfahrung hat. Damals hatte er sich für vier Jahre verpflichtet.

Eine Schusswaffe allerdings habe er nicht mitgenommen, wird in Militärkreisen versichert– jedenfalls keine der Bundeswehr. Das wäre auch schwer möglich gewesen, schließlich werden die nicht zu Hause aufbewahrt. Versuche, mit dem Soldaten oder seinen Angehörigen Verbindung aufzunehmen, seien „erfolglos“ geblieben, heißt es in der internen Meldung zu dem Vorgang. Offiziell will sich die Bundeswehr nicht weiter äußern und verweist darauf, dass es hier um laufende Ermittlungen gehe. Wobei sich die Möglichkeiten, mehr über den Abtrünnigen herauszufinden, derzeit in engen Grenzen halten dürften.

Leben nach Zahlen

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München – Der 6. Mai 2077, auf welchen Wochentag wird dieses Datum bloß fallen? Und war der 12. Oktober 1600 ein Montag oder doch eher ein Donnerstag? Egal wie absurd die Frage ist, das Internet hat eigentlich immer eine Antwort. Granth Thakkar auch. Zumindest, wenn es um Zahlen geht.

Für 52 Kalenderberechnungen brauchte er eine Minute, nebenbei multiplizierte er 19836637 mit 19575203 und zog die Wurzeln aus 640646 und 473342. Ganz ohne Internet und Taschenrechner, beinahe fehlerfrei und in kürzester Zeit. Stift und Papier waren erlaubt; aber nur, um das Ergebnis aufzuschreiben. Und dann, nach zwei Tagen voller Zahlen, wurde Granth Thakkar in Dresden Weltmeister im Kopfrechnen. Mit 13 Jahren.



Weltmeister im Kopfrechnen: Granth Thakkar

Kaum war die Nachricht in der Welt, saß Thakkar auch schon wieder im Flieger nach Indien. Ein Telefongespräch? Unmöglich, schreibt seine Kopfrechnen-Trainerin per E-Mail zurück, Thakkar habe zu tun, in seiner katholischen Schule würden wichtige Prüfungen abgehalten. Ein paar knappe Antworten schickt sie dann doch. Die 26-Jährige, sie heißt Gwendolen Noronha, dürfte ihn ja besonders gut kennen, üben die beiden doch an normalen Tagen fünf Stunden Kopfrechnen, vor Wettkämpfen können es auch schon mal ein paar Stunden mehr werden. Thakkars Welt sei eine Welt aus Zahlen; am allerliebsten beschäftige er sich aber mit Wurzelziehen. Und am allerallerliebsten seien ihm Quadratwurzeln. In dieser Disziplin hält er auch den Weltrekord.

Thakkar, der auf Facebook entweder vor roten Autos oder hinter goldenen Pokalen posiert, wohnt in Vapi, einer kleinen indischen Stadt, 170 Kilometer nördlich der Riesenstadt Mumbai, mit seiner Mutter, einer Hausfrau, und seinem Vater, der in einem Regierungsbüro arbeitet. Geschwister hat er nicht. Wie er der Mathematik verfiel? Seine Trainerin sagt: Früher, vor drei Jahren, habe Thakkar Mathematik überhaupt nicht gemocht. Bis sie kam. Heute sei er ihr bester Schüler, auch im regulären Schulunterricht habe er nur Einser.
Klar, ein Fach gebe es schon, das ihm nicht gefalle: Geschichte. Stellt sich die Frage, was so ein Zahlenkind sonst noch macht, ja: Ist da überhaupt Raum für sonst noch was? Doch: Thakkar mag Schach und Karate. Wie sich das für einen Jungen anfühle, so erfolgreich zu sein? „Er ist noch zu jung, um alles zu verstehen.“ Und was er mal werden wolle? Ganz klar: Astronaut.

Thakkar, der bereits mehrere Weltrekorde in unterschiedlichen Disziplinen holte, gewann bei seinem zweiwöchigen Deutschlandaufenthalt übrigens nicht nur einen Titel: Am vorvergangenen Wochenende bekam er die Goldmedaille bei der Junior-Weltmeisterschaft im Kopfrechnen in Bielefeld, am vergangenen Sonntag trat er in Dresden gegen 40 Teilnehmer aus 18 Ländern an, unter ihnen allein zehn Inder. Der älteste Teilnehmer: 80 Jahre alt. Der jüngste Teilnehmer: ein zehnjähriger Inder. Seinen Erfolg kommentierte Thakkar recht nüchtern: „Ich bin natürlich stolz. Aber mit der Zeit wird das irgendwie normal.“

So normal wie die Wochentage jahrhundertealter Daten einfach so herunterzubeten, mühelos. Übrigens: Der 6. Mai wird 2077 auf einen Donnerstag fallen. Genauso wie der 12. Oktober 1600 ein Donnerstag war.

Karriere zuerst, Kinder später

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Berlin – Im Kampf um Top-Talente bieten die Konzerne Facebook und Apple Frauen in den USA jetzt eine ungewöhnliche Karrierehilfe an: Die Unternehmen bezahlen das Einfrieren von Eizellen, damit die Frauen ihren Kinderwunsch aufschieben und sich ganz ihrer Arbeit widmen. In Deutschland können sich mit einer solchen Sozialleistung weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften anfreunden. Dies ergab eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung.



Apple möchte sich aktiv in die Familienplanung von Mitarbeiterinnen einmischen - mit Prämien für eingefrorenen Eizellen.

Apple, der iPhone-Konzern, erstattet nach eigenen Angaben von 2015 an den Beschäftigten bis zu 20000 Dollar (15800 Euro) fürs Einfrieren und Lagern der Eizellen. In den Vereinigten Staaten kostet das Verfahren etwa 10000 Dollar plus 500 Dollar im Jahr für das Aufbewahren. Das Online-Netzwerk Facebook hat bereits begonnen, die Kosten zu übernehmen. Das Unternehmen sei damit auf die Wünsche der Mitarbeiter eingegangen, sagte ein Firmensprecher. Beide Konzerne wiesen darauf hin, dass die neue Offerte nur Teil eines Gesamtprogrammes sei, um Familien zu unterstützen. Bei Facebook bekommen Mitarbeiter zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes vier Monate bezahlten Urlaub.

In den USA wird das Einfrieren von Eizellen zunehmend beliebter. Es gilt als Mittel, um zumindest für ein paar Jahre an der biologischen Uhr der Frau zu drehen. Die Technologiekonzerne aus dem kalifornischen Silicon Valley waren in die Kritik geraten, weil bei ihnen in den Führungsetagen Frauen unterrepräsentiert sind.

In Deutschland ist das Einfrieren von eigenen Eizellen erlaubt. Die Krankenkassen übernehmen ohne medizinischen Grund aber nicht die Kosten für die Behandlung. Bislang sind auch keine Unternehmen bekannt, die dies tun. „Die deutschen Arbeitgeber mischen sich nicht in die Familienplanung von Arbeitnehmern ein“, sagte ein Sprecher der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Ein Kinderwunsch sei „eine persönliche Entscheidung, auf die der Arbeitgeber keinen Einfluss nimmt“. Es bleibe aber das Ziel der Betriebe, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch familienfreundliche Angebote zu erleichtern.

Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, sagte: „Geht’s noch? Familienpolitik sieht für uns anders aus.“ Man brauche keine Unternehmen, die ihren Mitarbeiterinnen die Entscheidung für oder gegen Kinder „schwer machen und vorgaukeln, sie könne auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden“. Nötig seien Arbeitgeber, die mit flexiblen Arbeitszeitmodellen den Mut erhöhen, eine Familie zu gründen.

Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, Mitglied der Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz und im Deutschen Ethikrat, sagte, ohne sich zu den US-Unternehmen direkt äußern zu wollen: Eine Gesellschaft mit humanem Antlitz müsse Frauen „einen Zeitpunkt zur Geburt eines Kindes ermöglichen, an dem die Natur das auch vorgesehen hat. Alle anderen Risiken und medizinischen Belastungen werden auf dem Rücken junger Frauen ausgetragen und dienen nur dem Ziel der arbeitsmarkttechnischen und ökonomischen Maximierung der Gewinne.“

Der Beirat

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Der Raum erinnert an einen Gerichtssaal, ob Zufall oder nicht. Es gibt eine Art Jury, die sich hier Beirat nennt. Acht Menschen gehören ihr an, sie sitzen in der Mitte und blicken in den Saal. Zu ihrer Rechten und Linken sitzen je vier Menschen, die machen Vorschläge und Einwürfe. In der Mitte des langen Tisches sitzt Eric Schmidt. Der Chef von Google ist im Grunde der Beiratsvorsitzende. Er erteilt das Wort und achtet darauf, dass alle ihre Zeitlimits für Wortbeiträge einhalten.

Schmidt ist ein hellwacher Vorsitzender. Nach stundenlanger Debatte zeigt er, anders als die Kollegen, keine Müdigkeit. Dazu kommt sein sanfter Humor, mit dem es ihm gelingt, kritische Fragen zu seinen Gunsten zu beantworten. Das sind wohl Eigenschaften, die ihn zum Chef eines Konzerns gemacht haben, dessen Produkte so innovativ, so verbreitet sind, dass sie die Art, wie wir leben und denken, verändern.



Goggle-Chef Eric Schmidt diskutierte mit Politiker und Experten über die Zukunft des Internet.

Gesprochen wird an diesem Dienstag in der Berliner Kalkscheune über die Vergangenheit, es geht aber in Wahrheit um die Zukunft. Um die Zukunft aller Menschen in der westlichen Welt und über ihre Grenzen hinaus. Kleiner geht es nicht, wenn Google am Tisch Platz nimmt. Verhandelt wird nämlich über das „Recht auf Vergessen“, was ein irreführender Titel ist. Eigentlich müsste es heißen „Das Recht, Google zu zwingen, einen Link zu entfernen.“

Zur Erinnerung: Am 13. Mai hat der Europäische Gerichtshof (EuGh) Google dazu verpflichtet, auf Wunsch von Bürgern Links aus der Google-Suche zu entfernen. Konkret bedeutet das, dass ein Bürger, der seinen Namen googelt und dabei auf eine Webseite stößt, auf der er zum Gespött gemacht oder scharf kritisiert wird, Google dazu bewegen kann, den Link auf diese Webseite nicht mehr anzuzeigen, wenn er oder andere nach seinem Namen suchen. Dahinter steckt die Überlegung, dass das, was im Netz nicht gefunden werden kann, im Grunde im Netz nicht existiert.

Der Anspruch, nicht erinnert zu werden, ist eine nicht ganz gewöhnliche Idee in der Geschichte. Bislang lebte die Menschheit eher umgekehrt: Herostrat setzte den Tempel der Artemis in Ephesos in Brand, um nicht vergessen zu werden. Die Zeiten haben sich geändert, seit Google das Netz regelmäßig durchsucht und alle Informationen allen Nutzern zur Verfügung stellt. Theoretisch für immer. Aus diesem Urteil, das für ganz Europa Gültigkeit besitzt und dem sich auch andere Suchmaschinen als Google unterwerfen müssen, ergeben sich so viele Probleme, dass Google den Beirat ernannt hat, der sich nun auf Reisen durch Europa in insgesamt sieben Sitzungen einen Überblick über geltende Rechtslagen und die Meinungen von Internet-, Datenschutz-, Rechts- und Verbraucherschutzexperten verschafft.

In das reisende Gremium berufen ist zum Beispiel Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die ehemalige Justizministerin (FDP), die sich mit der Verweigerung der Vorratsdatenspeicherung dauerhaft Meriten als Datenschützerin erworben hat. Sie sitzt zwischen Schmidt und Peggy Valcke, einer belgischen Jura-Professorin. Neben Valcke sitzt Jimmy Wales, einer der Gründer der Wikipedia. Ebenfalls gehören zum Gremium Frank La Rue, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit, Ethik-Professor Luciano Floridi und Le Monde-Chefin Sylvie Kauffmann.

Während sie alle reisen und beraten, wird bereits gelöscht, denn Urteil ist Urteil. Bislang sind bei Google 146000 Löschanträge eingangen, je nach Land winkt Google 53 bis 57 Prozent der Anträge durch.

Der Konzern hat eine Internetseite eingerichtet, auf der jeder einen Antrag stellen kann. Kommt es zur Löschung, wird jeweils der Seitenbetreiber informiert. Der sich, wenn er einen kritischen Artikel über seinen Chef im Hasenzüchterverein veröffentlicht hat, der plötzlich aus der Google-Suche fliegt, natürlich an zwei Fingern abzählen kann, dass Google auf Betreiben des Hasenzüchtervereinschefs aktiv geworden ist. Was wird er also machen? Er wird einen Artikel darüber veröffentlichen, dass der Hasenzüchtervereinschef nicht nur kritisiert gehört, sondern auch noch jemand ist, der Kritik unterbindet.

Wem ist damit gedient? Wie soll und kann dieses Urteil jemals in einen funktionierenden, zufriedenstellenden Ablauf übersetzt werden. Die Probleme, die im Rahmen dieser Reise gelöst werden müssen, sind ethischer, technischer und juristischer Natur. Weil solche Fragen andauernd im Netz auftauchen, ist der Beirat auch eine Art Lackmus-Test. Kann man mit einem solchen Verfahren die Fragen der digitalen Zukunft klären? Nach nur wenigen Minuten wachsen diese Fragen am Dienstag wie ein Schneeball, der sich zur Lawine entwickelt. Es wird über Grundsätze der Mediengesellschaft debattiert: Wann ist eine Person eine private Person und wann ist sie eine öffentliche Person? Welche Informationen sind im Netz von öffentlichem Interesse? Wo endet die Meinungsfreiheit? Verändert sich der Anspruch darauf, einen bestimmten Text veröffentlichten zu dürfen, über einen Zeitraum hinweg? Wenn Google löschen soll, sollen dann nur europäische Varianten der Suche, wie google.de und google.fr betroffen sein, oder auch google.com?

So komplex ist die Fragelawine, dass Moritz Karg von der Hamburger Datenschutzbehörde und für die Google-Aufsicht zuständig, auf eine sehr detaillierte Nachfrage von Leutheusser-Schnarrenberger mit Lachen reagiert: „Meine Güte“, sagt Karg, „ich komme mir vor wie beim ersten juristischen Staatsexamen.“ Die Fragestellerin lächelt nachsichtig. „Vor allem, wenn einen die ehemalige Justizministerin abfragt“, setzt Karg nach. Jetzt lacht der ganze Saal.

Am Ende rollt die Fragenlawine ins Tal, sie mündet in der großen Frage: Wie wollen wir im digitalen Zeitalter leben?

Ja, wie? Bemerkenswert ist, dass am Dienstag zu jedem Detail aufs überzeugendste diametral entgegengesetzte Meinungen vertreten werden. Die acht Experten sind sich nicht einig. Ulf Buermeyer, ein brillanter Jurist mit Technikverständnis, sagt, die Situation könne die Pressefreiheit sogar erhöhen, denn wenn künftig Gerichte bedenken würden, dass Informationen irgendwann wieder gelöscht würden, würden sie möglicherweise liberaler über Berichterstattung urteilen als bislang.

Man tritt nun einen Schritt zurück und schaut sich um. Eric Schmidt mit der lachsfarbenen Krawatte, Leutheusser-Schnarrenberger, Valcke, Wales . . . Die Kopfhörerkabel wehen leicht im Zug der Raumluft, für die Beiratsmitglieder, die kein Deutsch verstehen, wird simultan übersetzt. Auf dem Boden erinnern drei große Bildschirme an die laufende Redezeit. Was ist das hier eigentlich für eine Veranstaltung?

Gerade spricht Matthias Spielkamp, er spricht im Namen von Reporter ohne Grenzen. Als Botschafter der guten Sache, der Verbreitung von Journalismus, ist Spielkamp radikal. Er widerspricht der Verbraucherschützerin Michaela Zinke, die vor ihm sprach, und die nicht unglücklich darüber war, dass Bürger eine Chance haben, ihre Vergangenheit wenn nicht aus dem Netz, doch wenigstens aus der Google-Suche zu bekommen. Buermeyer wird dafür in wenigen Minuten Spielkamp widersprechen und so weiter und so fort.

Spielkamp ist ein Gegner des Löschprinzips, er hat Angst, dass Löschwünsche irgendwann von der chinesischen oder syrischen Regierung kommen. Er redet, bis von seiner Redezeit nur noch eine Sekunde übrig geblieben ist, am Ende ist es ein Satz, der besonders hängen bleibt: „Wir sind unglücklich“, sagt Spielkamp, „dass ein privater Konzern diese Abwägungen treffen muss.“ Diese Kritik am EuGh-Urteil, mit dem der Schlamassel begann, wiederholen so oder so ähnlich fast alle Experten.

Die Situation ist nicht Googles Schuld, der Konzern wurde in die Rolle des Zukunft-Verhandlers gezwungen, er macht das Beste daraus, wie es so seine Art ist, auch für sich selbst. Und für die Gesellschaft? Tatsache ist: Kaum ein Bundestagsabgeordneter könnte so intelligent übers Netz debattieren wie die Beiratsmitglieder und ihre Experten. Und das ist leider das allergrößte Problem.

Guter Ausschnitt!

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In München benutzen sie weniger Special-Effects. Die großen Explosionen und die Superhelden fehlen. Das nimmt dem Ganzen etwas Wumms, aber das ist egal. München funktioniert ja auch sonst nicht auf Blockbuster-Niveau. München funktioniert stiller, kleiner. Eh klar. Deshalb hat uns gereizt, herauszufinden, ob das hier auch funktioniert, als wir die Arbeiten des kanadischen Fotografen Christopher Moloney entdeckt haben. Moloney bereist Drehorte auf der ganzen Welt, um Realität und Filmszenerien eins werden zu lassen. Dafür hält er Fotos berühmter Momente aus Filmen und Serien so geschickt vor den Originalschauplatz, dass Bild und Umgebung kantengenau ineinander übergehen.

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Das Original von Christopher Moloney. Quelle: http://philmfotos.tumblr.com
 
Spiderman, der auf dem New Yorker Times Square gegen den Grünen Kobold kämpft, Audrey Hepburn vor dem Schaufenster von Tiffany oder eine ganze Reihe von Szenen – von Federico Fellinis „Das süße Leben“ über Woody Allens „To Rome With Love“ bis hin zur Comic-Serie „Family Guy“ –, die vor dem Trevi-Brunnen in Rom spielen: Immer bricht das Fiktive, das so sorgsam Choreografierte, das zeitlich auch oft weit Zurückliegende ins Jetzt und in die Wirklichkeit ein. Die Orte laden sich mit einer wunderbaren Magie auf. Sie geben preis, was an ihnen schon alles passiert ist. Und wie das damals aussah.
 
Auch auf den Bildern, die Conny Mirbach für uns gemacht hat. Wenn Gustl Bayrhammer am Geländer des Kabelsteg lehnt, im Hintergrund die Lukaskirche, und sich mit dem Pumuckl unterhält, dann bringt das nicht nur Kindheitserinnerungen in eine sonst vertraute Umgebung. Es transportiert auch noch etwas in die Realität zurück, das von dort zuerst ins Wohnzimmer getragen worden war. Genau wie beim Picknick in der Trambahn aus dem Film „Shoppen“, bei Monaco Franze vor der Buchhandlung Lentner oder bei Gerhard Polt mit Leberkässemmel-grimmigem Gesicht vorm Richard-Strauß-Brunnen in der Neuhauser Straße. Und bitte:




Serie:„Monaco Franze – Der ewige Stenz“
Folge 1:„Ein bissel was geht immer“
Location: Buchhandlung Lentner, Weinstraße (Marienplatz)




Serie:„Meister Eder und sein Pumuckl“
Folge:„Der rätselhafte Hund“
Location: Kabelsteg (zwischen Praterinsel und Zellstraße)




Film:„Herr Ober!“
Location: Richard-Strauss-Brunnen, Neuhauser Straße




Serie:„Irgendwie und Sowieso“
Folge:„Manhattan“
Location: Hochstraße (gegenüber der Hacker-Pschorr Brauerei)




Serie:„München 7 – Heiter bis tödlich“
Folge:„Frauenlos“
Location: Burgstraße




Film:„Shoppen“
Location: Trambahn 19, Maximilianstraße




Film:„Shoppen“
Location: Münchner Staatsoper




Serie:„Kommissar Freytag“
Location: Eigentlich für den Hessischen Rundfunk produzierte Krimi Serie, bei der zum ersten Mal im Deutschen Fernsehen ein und der selbe Kommissar in jeder Folge auftrat. Die Stadt, in der es spielt wird niemals genannt, aber einige Drehorte befinden sich in München, wie zum Beispiel dieser Treppenaufgang am Max-Weber-Platz.
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