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Vier Minuten für eine gute Atmosphäre

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Am Anfang steht die Schocktherapie. Der Chef des Weltklimarats IPCC tritt auf, Rajendra Pachauri, er braucht nur zwei Sätze für die zentrale Botschaft. „Wir haben reichlich Beweise, dass wir unser Klima verändern“, sagt er. „Die Atmosphäre und die Ozeane haben sich erwärmt, Eis- und Schneemengen haben sich verringert, und der Meeresspiegel ist gestiegen.“ Auch der amerikanische Klimakämpfer Al Gore kommt zu Wort, ebenso der Schauspieler Leonardo DiCaprio. Schließlich tritt eine junge Mutter von den Marshall-Inseln auf, mit einem Gedicht an ihr Baby. „Mami verspricht dir“, sagt sie, „keiner verliert seine Heimat, keiner wird zum Klimaflüchtling – oder soll ich sagen: keiner sonst?“ Wenn der Stillstand in der globalen Klimapolitik nur daran gelegen hat, dass Staatenlenker den Ernst der Lage nicht verstehen, dann hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, zum Auftakt seines Sondergipfels in New York alles richtig gemacht. „Nur einer ist im Weg“, sagt Ban: „Wir.“





Und was machen „wir“? Mehr als 120 Staats- und Regierungschefs sind nach New York gekommen, sie sollen in jeweils vier Minuten vortragen, was sie zum Klimaschutz beizutragen haben. Und das sind im Schaufenster von New York zunächst große Worte. Da wäre Barack Obama, der an die Warnungen des Morgens am Mittag nahtlos anschließt. „Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels spürt“, sagt der US-Präsident. „Und wir sind die letzte, die etwas dagegen tun kann.“ Mehr noch, die USA, lange im Klimaschutz auf der Bremse, beanspruchen nun die Führung. „Wir, die USA und China, haben eine spezielle Verantwortung, zu führen“, sagt er. „Das ist, was große Staaten tun müssen.“ Konkrete Klimaziele wolle er „Anfang nächsten Jahres“ präsentieren.

Wenig später tritt der chinesische Vizepremier Zhang Gaoli ans Pult. Auch er spricht vom großen Ziel. „China ist bereit, mit anderen Staaten zusammen Verantwortung zu schultern und eine bessere Zukunft für die Menschheit zu bauen.“ Wie die Verantwortung konkret aussehen soll, will Peking bald klären. Sicher sei aber, dass China als „verantwortlicher Staat“ noch mehr tun wolle als bisher – freilich entsprechend der eigenen „Fähigkeiten“.

Schon einmal hatte Ban Ki Moon zu so einem Gipfel eingeladen, das war 2007. Damals waren 70 Staats- und Regierungschefs gekommen, auch damals waren die Worte groß. Die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen, auf der aus den Worten Taten werden sollten, scheiterte jedoch 2009 kläglich. Diesmal nun heißt das Zieldatum 2015 und die Hauptstadt Paris – dort soll ein neues Klimaabkommen entstehen, das von 2020 an gelten soll. „Die Chancen stehen diesmal besser“, sagt Christoph Bals, Klimaexperte bei Germanwatch. Und das gerade, weil die USA und China nun offensichtlich auch ein neues Klimaabkommen wollen.

Nur konkrete Zusagen will kaum einer abgeben, auch die EU macht da keine Ausnahme. José Manuel Barroso, der Chef der EU-Kommission, schließt sich allen hehren Appellen an, lobt die Fortschritte der EU, und er verspricht neue, ambitionierte Klimaziele in Europa: ein Minus von 40 Prozent bei den klimaschädlichen Emissionen, weiteres Wachstum erneuerbarer Energien, Vorgaben für die effiziente Nutzung von Energie. Zu vereinbaren wäre das alles beim EU-Gipfel im Oktober. Nur: Viele osteuropäische Staaten wollen davon bisher nichts wissen. Der Kampf kommt erst.

Auch Kanzlerin Angela Merkel war eingeladen, Ban Ki Moon hat mehrmals bei ihr nachgehakt. Merkel sprach stattdessen am Dienstag beim jährlich stattfindenden Tag der deutschen Industrie – und erwähnte das Treffen in New York mit keiner Silbe. Statt ihrer trat dort in der Nacht Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ans Mikrofon, Stunden nach den Staats- und Regierungschefs. Offenbar kam sie aber nicht mit leeren Händen: Ihrem vorab verbreiteten Redetext zufolge wollte sie auch ankündigen, überschüssige Kohlendioxid-Zertifikate aus dem internationalen Handelsregister streichen zu lassen. Solche Zertifikate fallen Staaten zu, wenn sie mehr Klimaschutz betreiben, als im Kyoto-Protokoll verabredet ist. Weil sie handelbar sind, könnten sich andere Staaten damit den Klimaschutz erkaufen, den sie selbst nicht erreicht haben. Im Falle Deutschlands könnten eine ganze Menge Zertifikate vom Markt verschwinden – schon jetzt ist das deutsche Kyoto-Ziel für 2020 übererfüllt.

Nur nach Bans Appellen klang all das am Ende noch nicht ganz. „Wir sind nicht da, um zu reden, sondern um Geschichte zu machen“, hatte er zu Beginn seines Gipfels gefordert. Doch die Geschichte muss wohl noch warten, mindestens bis 2015.

Meine Straße: Müllerstraße

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Niemand kennt seine Straße so gut wie die Menschen, die dort leben. Dehsalb bitten wir regelmäßig junge Münchner, uns ihre Straße zu zeigen. Heute:



 

Billie, 26, Barkeeperin


In der Müllerstraße wohnen Reich und Arm zusammen. Es gibt viele Sozialwohnungen. Gegenüber von meinem Fenster ist zum Beispiel eine Knacki-WG. Da leben Leute, die frisch aus dem Knast kommen und eine Wohnung suchen. Wenn ich aus meinem Fenster schaue, sehe ich oft die zutätowierten Männer auf dem Balkon mit den schönen Geranien sitzen. Das Haus nebenan ist dagegen wieder schicker Altbau. Da wohnen nur Menschen, die sich das auch leisten können. Noch teurer ist das Seven. Das war früher ein Heizkraftwerk, jetzt sind in dem Gebäude die teuersten Wohnungen der Stadt.

In meiner Straße gibt es mehrere Kindergärten. Bei mir im Hinterhof ist eine Kinderkrippe, ein paar Häuser weiter ist noch ein Kindergarten – und gleich daneben ist der Ochsengarten. Das ist der krasseste Schwulenclub in der Straße. Was ich so an Gerüchten gehört habe, ist das ein Fetisch-Laden. Da drinnen tragen die Männer angeblich entweder Leder – oder sie sind nackt. Aber ich kann als Frau nicht nachschauen, ob das stimmt. Da dürfen nämlich nur Männer rein.

Neben dem Ochsengarten gibt es noch mehrere andere Kneipen für Schwule. Der Bau ist eigentlich eine ganz normale Bar, nur dass es unten einen Dark Room gibt. Auf’s Klo zu gehen ist auch ein Erlebnis. Da kann es schon mal passieren, dass jemand gerade eine Nummer schiebt. 

Den Tätowierer Arafat gibt es schon ewig. Arafat, so heißt der Besitzer. daher der Name des Ladens. Das ist ein ziemlich wilder, aber sehr herzlicher Kerl. Der fährt hier immer mit seiner Harley Davidson durch die Straße. Ich selbst war noch nie bei ihm, kenne aber viele Leute, die sich hier haben tätowieren lassen. Der Laden ist einfach eine Institution. 

Im Bazi’s wird Schweinebraten in der Asiabox verkauft. Die Besitzer sind ein Türke und ein Perser. Und die haben einen bayerischen Schmankerl-Laden aufgemacht. Das ist irgendwie typisch für den bunten Mix in der Müllerstraße: Die Besitzer sind Moslems und verkaufen Schweinebraten.

Im Mekong Markt gehe ich ständig einkaufen. Hier gibt es Ginger Beer und andere Sachen, die du fast nirgendwo anders kriegst. Die Verkäufer sind richtig nett und freuen sich, wenn ich in den Laden komme. Die wissen auch schon immer, was ich kaufe. 

Früher war ich oft im Pimpernel unterwegs. Ein Freund von mir hat hier mit 18 Jahren eine 30-jährige abgeschleppt. So was passiert nur im Pimpernel. Alle, die davor feiern waren, treffen sich hier. Egal, ob sie vorher in der 089-Bar waren oder im Bau. Wenn das Pimpernel dann um 6 Uhr früh zumacht, zieht das Partyvolk weiter in den Sunshine Pub. Hier triffst du Schwule, Punker und Hipster. 

Seit geraumer Zeit wird das Nachtleben im Glockenbachviertel immer schicker. Das stört mich aber eigentlich nicht groß, weil ich sowieso nicht mehr oft weggehe. Ich gehe vor allem in die Arbeit und zu meinem Freund, der auch in der Müllerstraße wohnt.

Das Rikscha-Tagebuch: Warten

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Jetzt ist es passiert. Ich habe mir eine leichte Erkältung geholt. Schuld sind die fiese Kälte und der noch fiesere Regen. Neben den ganzen Betrunkenen ist das Wetter die größte Herausforderung. Der Münchner Herbst kann furchtbar wehtun, das musste ich in den vergangenen Tagen am eigenen Leib spüren. Kein Wunder, dass auf der letzten Wiesn nach einer Woche jeder zweite Rikschafahrer mindestens eine Erkältung mit sich rumgetragen hat. Mich hat es dieses Mal schon am zweiten Tag erwischt.



  

Schlimmer als der Fahrtwind ist das ständige Warten auf Kunden in der Kälte. Besonders unter der Woche ist oft gar nicht so viel los. Dann stehe ich oft länger als eine Stunde frustriert bei meiner Rikscha und träume von spendierfreudigen Russen, die mir einen 500-Euro-Schein in die Hand drücken. Manchmal denke ich auch einfach nur an mein warmes Bett. 

Die vergangenen zwei Tage ging es mir oft so. Zusammen mit anderen Rikschafahrern stand ich am Stellplatz und wartete, dass endlich etwas passiert. Das Gute am Rikschafahren ist aber, dass irgendwann immer was passiert. Dieses Mal waren es zwei Finnen, die mich aus meiner Lethargie rissen. Die wollten um ein Uhr früh unbedingt noch einmal zur Wiesn – obwohl die meisten Zelte um elf schließen.  

Ich erfüllte ihren Wunsch gerne und fuhr die beiden zur St. Pauls Kirche. Als wir ankamen, merkten sie, dass sie nur einen 500-Euro-Schein dabei hatten. Kurz hatte ich die Hoffnung, dass dieses Mal mein Traum vom Geldregen in Erfüllung gehen könnte. Sie wollten mir den Schein aber leider nicht geben. Ich musste also wieder warten und zwar auf ihren Freund, der mich bezahlen sollte. 15 Minuten später kam er endlich – und gab mir anstatt 20, gleich 50 Euro. Wegen der langen Wartezeit. Auch wenn ich wieder keine 500 Euro geschenkt bekam, hatte ich endlich genug Geld verdient, um nach Hause zu fahren und in mein warmes Bett zu schlüpfen. Ich musste dringend Kraft tanken für die Tage, an denen wieder mehr los ist. Und das Wetter wird hoffentlich auch bald wieder besser.

Folge verpasst? Das komplette Rikscha-Tagebuch kannst du hier nachlesen.

Ab wann ist Krieg?

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Der IS verübt "Terror", in der Ukraine ist gerade eine "Krise" und der "Syrien-Konflikt" dauert auch schon ewig an. Manche Menschen würden sagen, in diesen Regionen herrscht "Krieg", der laut Definition ja einen "organisierten, mit Waffen gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten bzw. zwischen sozialen Gruppen der Bevölkerung eines Staates" bezeichnet. Das Wort "Krieg" scheint allerdings der Voldemort der Jetztzeit zu sein - keiner will es verwenden.



Bestes Beispiel dafür ist ein Artikel im US-Magazin "Salon", in dem die fünf beliebtesten Euphemismen von Präsident Barack Obama für "Krieg" aufgelistet werden: Mal spricht er von einem "Kampf", dann von einem "Prozess", am allerliebsten allerdings von einem "Bemühen", dem die US-Truppen nun nachgingen, um gegen den IS zu kämpfen. Dass er dabei über kriegerische Maßnahmen gegen eine Terrorgruppe spricht, die Menschen vor laufender Kamera die Kehle durchgeschnitten und, nach eigenen Angaben, mehr als 1000 Menschen mit Waffen hingerichtet haben, wird so schöngeredet.

Manche behaupten, Euphemismen seien etwas Schlechtes, weil sie Tatsachen schönreden und ihnen so den Schrecken, aber auch die Relevanz nehmen. Wissenschaftler streiten wiederum selbst häufig über die korrekte Definition des Wortes "Krieg". Gilt der Begriff erst, wenn es in einem gewaltsamen Konfiikt in einem Jahr mehr als 1000 tote Kombattanten gab, wie David Singer und Melvin Small in ihrem „Correlates of War"-Projekt festlegen? Oder reichen auch 200 Tote? Oder hat Krieg vielleicht gar nicht so viel mit der Anzahl der Opfer zu tun, sondern viel mehr mit der Art des Konflikts und welche Gruppen daran beteiligt sind?

Was ist deine Definiton von Krieg? Und für welchen der aktuellen Konflikte gilt sie aus deiner Sicht? Oder findest du, am Ende geht's ja um die Sache und deshalb ist's egal, welchen Begriff man anstatt "Krieg" wählt?

Tagesblog - 25. September 2014

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17:18 Uhr: Wo wir heute schon mal bei "on the verge of tears" waren: Morgen erscheint das neue Album von "Element of Crime". Es trägt den schönen Titel "Lieblingsfarben und Tiere". Und Erik hat mit Sven Regener gesprochen. Übers Texten und all sowas. Lesen!

Und ich geh jetzt heim. Schönen Abend auch allen!

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17:05 Uhr:
octopussy fragt grade nach der Kettengeschichte und es ist etwas ganz, ganz Schreckliches passiert: Der Autor, der an der Reihe war, hat (trotz Erinnerung vergangene Woche) seinen Text nicht geschickt!!! Ich habe ihn noch mal erinnert, vielleicht reicht er ihn dann morgen noch nach - ansonsten muss die Fortsetzung diese Woche leider ausfallen. Überhauptm crazy, dass das bei bisher 22 Teilen noch nicht früher passiert ist. Oder auch gar nicht crazy, weil ihr alle so zuverlässige Supertypen und -typinnen seid.

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16:26 Uhr:
Hah! Jetzt hab ich zwar aus Versehen heute die John-Malkovich-Fotostrecke gepostet, obwohl sie gestern schon im Tagesblog war (s. 11:02 Uhr und 11:12 Uhr), ABER: Das Interview mit dem Fotografen war hier noch nicht. Bitteschön:
http://www.youtube.com/watch?v=MliM2mBQyOI

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14:53 Uhr:
Ich habe gelogen. Als ich eben "ein letztes Mal Wiesn für heute" versprochen habe. Weil Alexander doch Rikscha fährt und darüber Tagebuch schreibt. Jetzt gibt es Folge vier: Warum die Rikscha eigentlich wie "Wilde Maus" ist und wie dankbar Schweizer sein können.

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14:05 Uhr:
Einer meiner liebsten englischsprachigen Ausdrücke ist ja "to be on the verge of tears". Das beschreibt das Gefühl so gut, wenn man fast weinen muss: am Rand zu stehen und darum zu kämpfen, nicht runterzufallen. Grade hat Charlotte mir einen Link geschickt, der mich an diesen verge of tears bringt: Die traurigsten Spielplätze der Welt. Vor allem die Rutschen brechen mir das Herz!
Diese hier zum Beispiel: [plugin imagelink link="https://res.cloudinary.com/roadtrippers/image/upload/v1411440774/uq8a0g68vkkjvfiptqiy.jpg" imagesrc="https://res.cloudinary.com/roadtrippers/image/upload/v1411440774/uq8a0g68vkkjvfiptqiy.jpg"]
Oder diese: [plugin imagelink link="https://res.cloudinary.com/roadtrippers/image/upload/v1411440774/l013jjzlchfl8vivdqtz.jpg" imagesrc="https://res.cloudinary.com/roadtrippers/image/upload/v1411440774/l013jjzlchfl8vivdqtz.jpg"]
Oder diese: [plugin imagelink link="https://res.cloudinary.com/roadtrippers/image/upload/v1411440767/rrq6q5rlfhxv5htsq0o3.jpg" imagesrc="https://res.cloudinary.com/roadtrippers/image/upload/v1411440767/rrq6q5rlfhxv5htsq0o3.jpg"]
Steh schon nicht mehr am Rand. Bin schon runtergefallen.

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13:44 Uhr:
Auf YouTube gibt es so viele Videos, in denen jemand Musik macht. Und aus denen kann man wiederum ganz neue Musik entstehen lassen. Zum Beispiel dieses Lied, das aus verschiedenen Komponenten besteht, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten:

http://www.youtube.com/channel/UC7uoovBt-854ZO4-4tosU5g

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13:03 Uhr:
Ein letztes Mal Wiesn für heute, versprochen! Der Text von unserer heutigen München-Seite in der SZ ist nämlich gerade online gegangen. Für den hat Teresa mit vier Wiesn-Besuchern gesprochen, die ihren Weg auf der Festwiese mit einer GPS-App festgehalten haben. Wer geht wohin und warum? Und wie zur Hölle kann man zwölf Stunden (!) in einem Festzelt (!!!) bleiben?

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12:47 Uhr:
Da heute ja Katertag auf jetzt.de ist, hier eine kleine Studie, die dazu passt: Wie gut oder schlecht einem Alkohol schmeckt, das hat angeblich mit den Genen zu tun. Das haben amerikanische Forscher herausgefunden. Für ihre Studie mussten die Teilnehmer ein Getränk mit 16 Prozent Alkohol trinken (bzw. im Mund behalten und dann wieder ausspucken) und bewerten, wie bitter es schmeckt. Diese Bewertungen wurden mit der Beschaffenheit eines bestimmten Gens abgeglichen und in Zusammenhang gebracht. Als nächstes wollen die Forscher herausfinden, ob Menschen mit einer genetischen Voraussetzung dafür, dass ihnen Alkohol schmeckt, eher dazu neigen, ihn zu missbrauchen. Prost!

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12:25 Uhr:
Falls ihr mit den Diskussionen im Ticker und dem Tagesblog noch nicht genug habt, folgt diesem Link. Der führt nämlich zur Debatte zu Charlottes tollem Text über datende Eltern auf süddeutsche.de. Falls ihr es noch nicht mtibekommen habt: Es gibt auf süddeutsche.de keine Kommentarfunktion mehr, aber dafür immer wieder moderierte Debatten. Und das ist eine davon.

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12:18 Uhr:
Jetzt wird hier in den Kommentaren wieder mal nach Fotos geschrien. Immer mit der Ruhe, Kinder, hier kommen ja schon welche!


Gebackenesund Aspirin



Joanna und ihr Kind halten die Aufzugtür auf



Charlotte findet derweil dieses Wiesn-Souvenir in ihrer Tasche...

Zufrieden?

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11:36 Uhr:
Wir müssen weinen! Weil Joanna, Artdirektorin unserer Hefte, heute ihren letzten Tag hat und das traurig ist und weil sie ein Baby bekommt und das toll ist. Und weil sie uns zum Abschied was gebacken hat. Und weil sie Aspirin drumrum gestreut hat. Und weil wir Kopfweh haben. Es ist also alles schlimm und alles schön!

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11:12 Uhr:
Oooch, John Malkovich war gestern schon im Tagesblog, wurde mir grade verraten. Naja, kann man ja immer wieder angucken, ne?

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11:10 Uhr:
Liegen bleiben - eine meiner liebsten Beschäftigungen. Und damit liege (haha) ich voll im Trend, wie ich von Mercedes und Christina erfahren durfte. "Slackermädchen" gibt es nämlich grade überall, im Internet und in der Popkultur und im Alltag. Also, Freunde, lest mal schnell diesen schönen Text dazu und dann ab aufs Sofa (vorher Jogginganzughose anziehen nicht vergessen!).

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11:02 Uhr: Nachrichtenüberblickzeit!

- Mehr als 100.000 syrische Kurden sind vor dem Krieg und dem Islamismus in ihrem Heimatland in die Türkei geflohen. Christiane Schlötzer war in Suruç, der türkischen Grenzstadt, in der die Kurden Zuflucht finden, seit die Türkei am vergangenen Freitag die Grenze geöffnet hat.

- Der britische Premierminister wollte eigentlich nur Michael Bloomberg erzählen, dass die Queen "geschnurrt" habe, als sie vom Ergebnis des Schottland-Referendums erfuhr - aber leider waren Mikrofone dabei und er hat es aus Versehen der ganzen Welt erzählt. Jetzt muss er sich bei Königin Elizabeth II. entschuldigen.

- Michael Douglas wird 70. Alles Gute, ne?

- Die USA wollen den Navajo-Indianern 550 Millionen Dollar Entschädigung für ihr Stammesland zahlen.

- Und dann gibt es da noch die schöne Fotostrecke "Being everyone", in der John Malkovich berühmte Bilder berühmter Persönlichkeiten nachstellt.
[plugin imagelink link="http://i.guim.co.uk/static/w-700/h--/q-95/sys-images/Guardian/Pix/pictures/2014/9/24/1411580604312/b92a6eb4-35ee-402e-9d76-b18b6c341a0b-1020x958.jpeg" imagesrc="http://i.guim.co.uk/static/w-700/h--/q-95/sys-images/Guardian/Pix/pictures/2014/9/24/1411580604312/b92a6eb4-35ee-402e-9d76-b18b6c341a0b-1020x958.jpeg"](via The Guardian)

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09:49 Uhr:
Während wir noch wach werden, könnt ihr euch schon mal mit Wichtigem beschäftigen. Mit dem Ticker zum Beispiel. Der fragt heute: Ab wann ist etwas nicht mehr Krise oder Konflikt - ab wann ist es Krieg? Wann findest du diesen Begriff angemessen?

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09:31 Uhr:
Guten Morgen jetzt.de! Ich bin spät dran heute, tut mir leid. Aber gestern war ja Redaktions-Wiesn-Ausflug, da ist man am Tag danach immer so langsam, und dann hatte ich auch noch meine Zugangskarte im abgeschlossenen Büro vergessen und konnte eben nicht rein. Aber jetzt geht's los! Also gleich! Bald!

Bis dahin noch ein Foto vom Redaktions-Zustand kurz vorm Autoscooter:
[plugin imagelink link="http://scontent-b.cdninstagram.com/hphotos-xpa1/t51.2885-15/1168795_811789478843337_1939564543_n.jpg" imagesrc="http://scontent-b.cdninstagram.com/hphotos-xpa1/t51.2885-15/1168795_811789478843337_1939564543_n.jpg"]

Rückkehr des Lückenschleichers

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Metallkisten wurden vorbeischoben, Matthias Sammer zog einen schwarzen Lederkoffer, kleine Metallkoffer wurden vorbeigeschoben, die Spieler des SC Paderborn trugen auffällige moderne Mützen, weitere Metallkisten, weitere Metallkoffer, Xabi Alonso kam von der Dopingkontrolle, die letzten Kisten, die letzten Koffer, und Mario Götze war immer noch nicht da.

Das Nichtdasein hat Götze, 22, in seiner Karriere zu einer eigenen Kunst gemacht, mit seinen Bewegungen, mit seinen Körpertäuschungen. Dachte der Gegner zu wissen, was Götze gleich macht, war er längst an ihm vorbeigeschlichen, mit unnachahmlichen Bewegungen, die jede Bewegung des Gegenspielers verhöhnten. In den vergangenen Monaten hat Götze das Nichtdasein jedoch so verfeinert, dass manchmal nicht einmal mehr seine Mitspieler wussten, wo genau er sich gerade auf dem Platz aufhielt, er schlich und schlurfte dann über den Rasen, mit unnachahmlichen Bewegungen, die gerade so noch Bewegungen imitierten.



Der FC Bayern gewinnt gegen Paderborn

Am Dienstagabend war Götze also wieder einmal nicht da, es ging auf Mitternacht zu, doch er war entschuldigt: Dopingkontrolle. Lange nach dem letzten Metallkoffer kam er aus der Kabine, er machte erst einmal einen Witz. Götze spielte mit seinem Image als verzogener, arroganter Junge. „Nein, nein“, keine Zeit, sagte er den Journalisten. Um sich dann lachend doch Zeit zu nehmen. Götze war gut gelaunt, er sagte: „Heute hat man gesehen, dass wir wieder Spaß am Fußball hatten.“

Zuvor, beim 4:0 im Heimspiel des FCBayern gegen den SC Paderborn, hatte Götze unnachahmlich die Bewegungen eines jungen Mannes nachgeahmt, dessen Talent viele schätzen, nicht zuletzt Götze selbst. Am Dienstagabend spielte der immer noch junge Mario Götze wieder wie der sehr junge Mario Götze.

Der FC Bayern ist nach dem langen WM-Sommer, nach einem Sommer mit vielen Verletzungen, nach einem Sommer mit taktischen Umstellungen, schwerfällig in die Saison gestartet. Bei der Mannschaft, die in der vergangenen Saison zeitweise den schnellen Ballbesitzfußball zelebriert hatte, war das umso auffälliger. Dem Team fehlte die Energie, das Eingespielte, und, zumindest am Samstag eine Halbzeit lang beim 0:0 in Hamburg: die Einstellung.

Gegen Paderborn dagegen demonstrierte die Mannschaft wieder die Überlegenheit der Ballbesitz-Strategie von Trainer Pep Guardiola, vor allem in der ersten halben Stunde. Die Spieler verschoben sich geschickt, und das lag auch an den Bewegungen des Mario Götze.

Xabi Alonso strukturierte das Spiel als Chef kurz vor der Mittellinie, der Spanier war 80 Minuten lang das Metronom der Passfolgen, mit 153 Zuspielen und 167 Ballkontakten – wäre er nicht ausgewechselt worden, hätte er wohl den Liga-Rekord seines lange schon verletzten Teamkollegen Thiago (185 Ballkontakte in einem Spiel) gebrochen. Philipp Lahm positionierte sich ungewöhnlich weit vorne und ungewöhnlich weit rechts, mit vielen kurzen Pässen näherte er das Spiel an die Gefahrenzone an; das 2:0 durch Robert Lewandowski bereitete er mit so einem Kurzpass vor (13.). Mario Götze blieben somit die Tiefen der linken Seite und des Zentrums, und durch diese Tiefen schlich und sprintete er, ein Körperwackler, schon war er im Strafraum; von dort traf er zum 1:0 und zum 3:0 (8., 78.). Götze zeigte wieder die Bewegungen, die sture Passfolgen zu flinkem Kombinationsspiel veredeln.

Als Götze später bei der Dopingkontrolle feststeckte, sprachen erst einmal die anderen über ihn. Arjen Robben, der zahlreiche Torchancen mit seinen Dribblings und Flanken vorbereitet hatte (darunter das 4:0 durch Thomas Müller, 85.), sagte: „Mario ist ein ganz wichtiger Spieler für uns, das wird er in dieser Saison auch sicher zeigen.“ Sportvorstand Sammer lobte Götzes „gute Bewegungen“, er sagte: „Ich glaube, dass er Hirn und Gefühl hat, und dementsprechend tun zwei Tore immer gut.“

Da ging es natürlich wieder um Götzes Nichtdasein. Ob Götze nun endgültig beim FC Bayern angekommen sei? Sammer sagte: „Ich habe ihn jeden Tag bei uns gesehen, daher hatte ich das Gefühl, dass er schon immer bei uns da war.“

Götze selbst hat inzwischen akzeptiert, dass er mit seinen Bewegungen, seinen Nichtbewegungen, seinen Äußerungen, seinen Nichtäußerungen immer auffallen wird, er sagte zu den Diskussionen um seine Person: „Ich sehe das relativ entspannt. Ich kann nur sagen, dass ich mich hier wohl fühle, dass ich froh bin, hier zu sein.“ Er lobte die taktischen Umstellungen aus dem Sommer, die noch größere Flexibilität, von der er, der begnadete Lückenschleicher, besonders profitiere. Weil er weiß, dass er auch wieder kritisiert werden wird, sagte er noch: „Manchmal kommt ein guter Tag, manchmal kommen schlechte.“

Aber Mario Götze hat Hirn und Gefühle, er weiß, dass die guten Tage allein von seinen Bewegungen abhängen.

So klingen keine Versager

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Auweia. What goes up, must come down. Es gilt mal wieder das Entertainment-Grundgesetz Artikel 1, Absatz 1: Wer zu hoch fliegt, ist zum Abschuss freigegeben. Das zweite Album der britischen Indie-Pop-Band namens Alt-J – das ist bei Computern der Firma Apple die Tastenkombination für das Delta-Zeichen in mathematischen Gleichungen, was auch immer uns damit gesagt werden soll, bestenfalls bitte einfach: nichts – ist soeben erschienen. Es heißt „This Is All Yours“ (Infectious Music / Pias Cooperative) und wurde an einigen prominenten Orten der Popkritik nach allen Regeln der Kunst verrissen.

Eine wirklich spektakuläre Nachricht ist das natürlich noch nicht. Dafür ist die Kritik ja da. Man hat manchmal sogar eher den Eindruck, dass die Popkritik zu oft doch viel zu lieb ist und noch die letzte mäandernde musikalische Einfallslosigkeit zu einem wegweisenden Sound-Experiment erklärt oder die gerade verträumteste Schrammel-Combo zur besten Band der Welt. Wobei das im Grunde auch vollkommen in Ordnung ist. Womöglich sogar genau richtig so.



Das neue Album von Alt-J ist gar nicht so schlecht

Weil einen doch nur die Liebe durch den Tag bringt. Mit dem Hass kann man ja höchstens aus der Haut fahren und wer will da auf Dauer schon hin?

Nur im Fall von Alt-J geht die Vernichtung jetzt eben doch zu weit. Zur Erinnerung: Für ihr fabelhaftes Debüt-Album „An Awesome Wave“ bekam die Band vor nicht einmal zwei Jahren mit dem Mercury-Preis, den einzigen wirklich vertrauenswürdigen großen Pop-Preis der Welt. Völlig zu Recht. Ihre eigentümlich knarzig-näselnden Elektro-Folk-Kunstpop-Songs wie „Breezeblocks“, „Tessellate“, „Something Good“ oder „Dissolve Me“ klangen trotz Falsett-Männerchorgesangs und Xylophon-Geklöppels kein bisschen angestrengt. Und Videos wie das zu „Tessellate“ waren famose Zeichengewitter, in denen es passieren konnte, dass es plötzlich wie eine der besten Ideen überhaupt aussah, Raffaels „Schule von Athen“ mit vor Selbstbewusstsein fast platzenden, aber formvollendet gelangweilten englischen Proll-Kids als Musik-Clip zu reinszenieren. So war das. Und jetzt das.

Beim wichtigsten Online-Musikmagazin Pitchfork gab es 4.0 von zehn möglichen Punkten, was nach den Maßstäben der Seite ziemlich genau eine glatte sechs ist. Die Rezension selbst ist eine entsprechende Frechheit. Allerdings eine sehr unterhaltsame. „This Is All Yours“ sei das Peter-Prinzip als Album. Zur Erinnerung: Das Peter-Prinzip kommt aus der Management-Theorie und besagt, dass ein Mitarbeiter genau so lange befördert wird, bis er überfordert ist. Alles passe hinten und vorne nicht zusammen und so weiter. Der Spiegel wusste vergangene Woche nicht ganz so genau, was ihm missfällt, war aber auch dagegen und froh, dass es ihm andere erklären können. Ach ja, irgendwie zu seelenlos-verkünstelt schien es den Kollegen.

Und genau das soll nicht einfach so stehen bleiben. Nicht geleugnet werden kann zwar, dass „This Is All Yours“ – wie übrigens auch das jüngste Album von Metronomy, der anderen besten jüngeren britischen Indie-Band der Gegenwart – leider nicht der erhoffte große Wurf ist, ein Album des Jahres. Und ein paar Flöten-Interludes hätte man sich womöglich auch sparen können. Es ist aber doch wieder mit diesem ganz feinen Pop-Ohr zusammengebastelt, das aus tatsächlich oft ziemlich disparaten und kunstsinnigen Soundideen echte Songs herauswindet. Man höre bei „Every Other Freckle“, „Pusher“ oder „Arrival In Nara“ nur einmal eine Weile genau hin. Und dann wären da ja noch die beiden vorab veröffentlichten Songs „Left Hand Free“ und „Hunger Of The Pine“. Ersteres ist ein wirklich grandioser Indierock-Rumpler, letzteres der Soundtrack für das Finale eines Albtraums, den man gleich noch einmal träumen möchte. Echtes künstlerisches Versagen hört sich ganz anders an.

Männerfantasien

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Als Emma Watson am Wochenende bei den Vereinten Nationen ihre erste große Rede hielt als Sonderbotschafterin für Frauen, klang sie ziemlich nervös. Den Mitschnitt kann man sich im Netz anschauen (http://ow.ly/BRwua). Das Publikum war gebannt, aber wohl weniger, weil sie die feministische Revolution ausrief, sondern weil sie eben berühmt ist. Watson hielt eine sehr versöhnliche, vorsichtige Rede. Es gehe hier ja, sagte sie, zunächst einmal um die Einhaltung von Menschenrechten. Sie forderte gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit und ein selbstbestimmtes Leben für Frauen, prangerte an, dass noch in keinem Land der Erde echte Gleichberechtigung gebe, bemängelte, dass der Begriff Feminismus für viele Menschen, auch weibliche, negativ besetzt sei; und mahnte, so werde es auch bleiben, wenn Männer da nicht mitziehen. Es war der Auftakt einer Kampagne der Vereinten Nationen, der ersten ihrer Art, namens „He For She“. Watsons Rede war eher harmlos.

Sollte man meinen. Die 24-jährige Watson wurde vor einem halben Jahr als Botschafterin berufen und gilt als Hoffnungsträgerin des Feminismus, weil man natürlich glauben möchte, die ehemalige Hermine müsste jedem den Gleichheitsgedanken verkaufen können, der die Harry-Potter-Filme gesehen hat – also ziemlich vielen. Sie hat dann aber gleich zu spüren bekommen, dass es gar nicht immer sehr bequem ist, für eine Sache einzutreten. In sozialen Netzwerken gab es Todesmeldungen, aus denen Emma-Hasser versuchten, einen Trend zu machen, es tauchte eine Seite im Netz auf, auf der ihr gedroht wurde, sie sei die Nächste, deren Nacktfotos online auftauchen würden – war nicht ernst gemeint, hatte sich eine Marketingfirma ausgedacht als Protest gegen geklaute Nacktfotos von Promis. Die Firma verkündet jetzt stolz und ohne jedes Unrechtsbewusstsein 48 Millionen Klicks. Man kann daran aber ganz gut erkennen, wie ernst Watsons Rede genommen wurde: Gar nicht – kann man doch ruhig hernehmen für eine Kampagne, in der es um ganz etwas anderes geht.



UN-Sonderbotschafterin für Gleichberechtigung und Frauenrechte Watson


Wenn Watson wissen will, wie sie da ins Abseits geraten ist, müsste sie nur öfter ins Kino gehen. Egal wo auf der Welt könnte sie dort immer sehen, dass sie etwas getan hat, was nur echte Frauen machen, nicht aber die Geschöpfe für die Leinwand. Denn im Rahmen der Frauen-Woche bei der UN stellte die Schauspielerin Geena Davis am Montag auch eine Studie vor, welche die University of Southern California mit UN-Unterstützung erstellt hat. Für die wurden 120 Filme aus den USA, Australien, Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, Russland, Südkorea und Großbritannien aus demselben Zeitraum untersucht. Dabei kamen interessante Diskrepanzen heraus zwischen den erfunden Frauen und den echten. Fazit: Die Filmindustrie befördert die Diskriminierung.

Ergebnis ist unter anderem, dass das Kino offensichtlich überall auf der Welt noch den Traum von der hauptberuflichen Gattin pflegt: Nur 22, 5 Prozent der Film-Frauen haben überhaupt einen Job – in Wirklichkeit sind es knapp vierzig Prozent. Jobs mit Einfluss haben 15 Prozent der fiktiven Frauen – da nähert sich das Kino der Wirklichkeit schon eher an. Man merkt den fiktiven Frauen natürlich erst an, ob sie arbeiten, wenn sie überhaupt sprechen dürfen. In keinem der untersuchten Länder war auch nur annähernd die Hälfte der Sprechrollen weiblich. Weltführer wurde Großbritannien mit 37,9 Prozent weiblichen Sprechrollen. Deutschland liegt nach der Studie bei 35,2 Prozent, Schlusslicht ist Indien, 24 Prozent.

Auch den schwedischen Bechdel-Test für Sexismus bestehen viele Filme nicht. Da geht es um drei Fragen: Ob in einem Film eine oder mehrere Frauen vorkommen, die einen Namen haben, ob sie miteinander reden, und – oft die Totschlagsfrage – ob sie über etwas anderes reden als über Männer. Dass es Filme gibt, die diesen Test nicht bestehen, weil sie sich an ein weitgehend männliches Publikum wenden, Action- oder Horrorfilme zum Beispiel, ist ja eigentlich nicht weiter schlimm. Wenn es nur nicht so viele wären. Und die Frauenfiguren, insgesamt, nicht so hypersexualisiert: Die Studie hat auch Nacktheit und aufreizende Kleidung bewertet und kommt zu dem Schluss, dass ein Viertel aller Frauen, die auf der Leinwand auftauchen, aufreizende Kleidung trägt.

Was dann aber altersabhängig ist. Nacktheit und tiefe Ausschnitte sind bei Teenager-Figuren (13 – 20 Jahre) und erwachsenen Charakteren von 21 – 39 Jahren noch gleich verteilt. In der nächsten Altersklasse, 39 Jahre und älter, ist dann Schluss damit. Da es sich bei den meisten Drehbuchautoren, Produzenten und Regisseuren um Männer handelt, sind diese Leinwandfrauen eine Männerphantasie: Sexy, schweigsam, von keinem Job abgelenkt und am besten unter 39. All das wäre vielleicht anders, wenn eines Tages mehr Filme von Frauen geschrieben und inszeniert wären. Bis dahin ist das Kino für eine „He for She“ –Kampagne genau der richtige Ort.

Der will nicht spielen

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Im Dezember 1989 fielen Soldaten der USA mit Kampfhubschraubern in Panama ein, um die Herrschaft von General Manuel Antonio Noriega zu beenden. Der verschanzte sich tagelang in der vatikanischen Botschaft, ehe er Anfang Januar 1990 aufgab, bald danach wurde er in Miami wegen Drogenhandels und anderer Delikte zu zunächst 40 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Kurz vor seiner vorzeitigen Entlassung griffen dann 2010 die Franzosen zu: Sie ließen ihn wegen Geldwäsche nach Paris ausliefern, ehe ihn Ende 2011 die heimische Justiz zurückholte und weiter einsperrte. Der General ist nun seit bald 25 Jahren im Gefängnis, er ist inzwischen 80 Jahre alt und gebrechlich, seine Heimat ist die Haftanstalt El Renacer, auf Deutsch: die Wiedergeburt.

Und jetzt ist der Alte also wieder groß im Einsatz.

Das Videospiel „Call of Duty“, Version „Black Ops II“, zeigt den früheren Diktator als finstere Gestalt in panamaischer Tarnuniform, mit Funkgerät und Knarre. Man erkennt ihn gleich, sein Gesicht ist legendär: sein Kosename war „Cara de piña“, Ananasgesicht. Im November 2012 kam das Spiel auf den Markt und wurde zum Welterfolg – die US-Firma Activision Blizzard soll damit allein in den ersten beiden Wochen eine Milliarde Dollar umgesetzt haben. Nun klagt der echte Noriega in Los Angeles gegen die Verwendung seiner Figur. Sein Vorwurf: Er werde als „Kidnapper, Mörder und Staatsfeind“ dargestellt, um die Verkäufe in die Höhe zu treiben. Seine Anwälte verlangen für ihren Klienten eine Gewinnbeteiligung und Entschädigung.



Der frühere General und Regierungschef Panamas, Manuel Noriega (Archivbild von 1988)

In dem Action-lastigen Spiel arbeitet Noriega erst mit der CIA zusammen, verrät die Amerikaner aber dann, was ihn zu einem militärischen Ziel macht. Das ist gar nicht so daneben. Der damalige Kommandant von Panamas Nationalgarde war wie viele Bösewichte der lateinamerikanischen Vergangenheit tatsächlich ein gut bezahlter Freund von US-Geheimdienst und Pentagon. Dass er mit Kokaindealern wie dem Medellín-Kartell von Pablo Escobar noch besser verdiente und Gegner massakrierte, störte Washington zunächst wenig. Erst als seine Morde, Betrügereien und Schiebereien von Rauschgift und Waffen öffentlich wurden, ließ George Bush Senior den Tyrannen aus dem Verkehr ziehen. Seine Heimat bestrafte ihn dann unter anderem deshalb, weil er einen oppositionellen Arzt köpfte, einen Major umbrachte und ein Massaker anordnete.

Die Beschuldigten der Computerspielefirma sind nun fest entschlossen, sich gegen den General zu wehren. Sie holten dafür den Anwalt Rudolph Giuliani, einen republikanischen Hardliner – und einst Bürgermeister von New York. Er soll das Unternehmen verteidigen, damit Noriegas Vorstoß keine Schule macht. Zuletzt hatte in einem anderen Fall bereits die US-Schauspielerin Lindsay Lohan Anzeige erstattet und gegen eine Gruppe von College-Studenten eine Millionensumme erstritten.

Die Firma Activision Blizzard spricht von „historischem Aroma“, Noriegas Bekanntheit stamme aus der Politik und nicht aus „kreativer Arbeit“. Der Konzern hatte schon Castro und Kennedy im Programm, bei „Call of Duty: Black Ops II“ ist auch US-General David Petraeus dabei und ein Schiff namens USS Barack Obama. Giuliani übernimmt den Auftrag gerne. Noriega sei ein „abscheulicher Krimineller“, sagte er der Los Angeles Times. Bekäme Noriega recht, „dann könnten ja Osama Bin Ladens Verwandte ‚Zero Dark Thirty‘ (ein Thriller über die Jagd nach dem Terroristen, d.Red.) verklagen“, glaubt er.

Im Übrigen, findet Giuliani, sei Noriega im Spiel ohnehin nur eine Randfigur.

Obama: IS muss vernichtet werden

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US-Präsident Barack Obama hat die Staaten der Welt auf einen gemeinsamen Kampf gegen den Terror eingeschworen und dabei den Militäreinsatz gegen den „Islamischen Staat“ (IS) im Irak und in Syrien verteidigt. „Die USA werden mit einer breiten Koalition zusammenarbeiten, um das Netz des Todes zu zerschlagen“, sagte Obama vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Er rief alle Kämpfer, die sich dem IS angeschlossen haben, auf, „das Schlachtfeld zu verlassen, solange sie es noch können“. Die Terrorgruppe müsse „endgültig vernichtet“ werden. „Die einzige Sprache, die diese Mörder verstehen, ist die Sprache der Gewalt“, erklärte der US-Präsident.

Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete im Kampf gegen Terrormilizen am Abend einstimmig eine Resolution gegen sogenannte „ausländische Kämpfer“. Sie soll verhindern, dass Muslime nach Syrien oder in den Irak reisen, sich dem IS anschließen und in ihre Heimatländer zurückkehren, um Gewalttaten zu verüben.



Obama mit US-Außenminister Kerry und Frankreichs Präsident Hollande

Die Resolution enthält weitreichende Vorgaben an die Mitgliedstaaten der UN. So sollen die Regierungen ihre Gesetze so ändern, dass eine Reihe von Verhaltensweisen von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden kann. Etwa, ins Ausland zu reisen, um Terrorakte zu begehen oder sich dafür ausbilden zu lassen. Selbst der Versuch einer solchen Reise wäre strafbar. Illegal wäre es auch, derartige Reisen zu organisieren, zu erleichtern oder Geld dafür zu sammeln und weiterzuleiten. Obama wandte sich in New York auch direkt an die muslimische Welt. Er rief sie auf, sich eindeutig von Gewalt zu distanzieren. „Kein Kind, nirgendwo, sollte erzogen werden, andere Menschen zu hassen“, sagte er.

Kaum hatte Obama seine Rede beendet, wurde die Ermordung eines französischen Touristen bekannt, der am Sonntag von radikalen Islamisten in Algerien entführt worden war. Ein Video zeigt die Enthauptung des 55 Jahre alten Bergführers. Frankreichs Präsident François Hollande sprach von einem „feigen, grausamen, schändlichen“ Verbrechen. Hervé Gourdel sei gestorben, weil er Bürger eines Landes gewesen sei, das den Terror bekämpfe; „und weil er Teil eines Volkes ist, das die menschliche Würde gegen die Barbarei verteidigt“. Hollande versicherte, er sei auch nach dieser Tat völlig entschlossen.

Die USA und mehrere arabische Länder weiteten ihre Luftschläge gegen den IS in Syrien aus. Augenzeugen meldeten erstmals auch in Nordsyrien Luftangriffe gegen Versorgungsrouten der Extremisten, 30 Kilometer entfernt von Kobane. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, die Jets seien aus der Türkei gekommen. Regierungsvertreter in Ankara dementierten dies. Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hatte erst am Tag zuvor eine neue Haltung seines Landes angekündigt. Bisher hatte er Abstand zur Anti-IS-Allianz gehalten. Am Dienstag sagte Erdoğan aber, eine Unterstützung des Bündnisses sei möglich, „militärisch, politisch, alles“. US-Außenminister John Kerry erklärte, die Türkei sei bereits Teil der Koalition. Die Niederlande wollen sich mit Kampfjets ebenfalls beteiligen.

Die Angst im Gepäck

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Irgendwann steht da dieser weiße Eimer mit Linsensuppe. Sofort bildet sich eine Menschentraube. Kaum zwei Minuten später ist das Plastikgefäß leer, der Auflauf vorbei. Und keiner hat gedrängelt. Erstaunlich. Wie vieles in Suruç, einer kurdischen Kleinstadt mit 60000 Einwohnern – in normalen Zeiten. Aber in Suruç, einen Katzensprung entfernt von der syrischen Grenze, in der türkischen Südostprovinz Şanliurfa, ist nichts, wie es war, seit die Türkei am vergangenen Freitag die Grenze zum Bürgerkriegsnachbarn an neun Stellen geöffnet hat. Nun gibt es in Suruç wohl doppelt so viel Menschen, oder noch mehr. Keiner hat sie gezählt.

Meha Mustafa sitzt auf einem Plastikstuhl. Nicht mal der gehört ihr. „Wir sind losgelaufen, nur mit unseren Kleidern am Leib“, sagt die 40-jährige Kurdin. „Von unserem Dorf haben die Dschihadisten nichts übrig gelassen. Sogar die Türen der Häuser haben sie herausgerissen und auf ihre Wagen geladen.“ Die Plünderungen waren nicht das Schlimmste. „Das sind keine Muslime, sie töten die Menschen sogar beim Gebet“, sagt die Bäuerin über die Terroristen des „Islamischen Staats“, des IS, die auf der syrischen Seite der Grenze erst die Dörfer um die Stadt Ain al-Arab zerstört haben und dann bis auf wenige Kilometer an die Stadt selbst herangerückt sind, die die Kurden Kobane nennen.



Helfer bereiten sich an der Grenze auf die Ankunft der Flüchtlinge vor

Meha Mustafas fünf Kinder sitzen auf einem alten Teppich. Das abgewetzte Stück Stoff liegt auf der blanken Erde, in einem kleinen Park, im dem fast 1500 Flüchtlinge ausharren. Im Freien. Nur mit ein paar Decken für die Nacht. Trotz der vielen Menschen ist es still in diesem Garten eines kommunalen Kulturzentrums, bis einer den enormen Flachbildfernseher anknipst, den Bürger aus Suruç gebracht und an eine Hauswand gehängt haben. Ablenkung für die Geflüchteten.

So ist das Elend von Suruç auch ein eindrucksvoller Beweis dafür, was Solidarität unter Kurden vermag. Allerdings sorgt genau dies für Verwerfungen mit der türkischen Regierung. Auf der Hauptstraße von Suruç stehen ein halbes Dutzend Wasserwerfer mit laufenden Motoren, dazu Polizisten mit Tränengasgewehren im Anschlag. Ein paar Kilometer weiter, am Grenzzaun, wo die Landschaft nur noch ein staubiges Nichts ist, verschießen die Sicherheitskräfte jetzt täglich viele Salven Gas, das in Augen und Nase beißt.

Was da geschieht, ist nicht so einfach zu erklären. Erst küssen junge türkische Soldaten respektvoll die Hand einer kurdischen Greisin, die sich gerade durch das steinige Niemandsland in die Türkei geschleppt hat. Im nächsten Moment aber nebeln Uniformierte ganze Kurdengruppen ein, die sich aus Suruç auf den Weg an die Grenze gemacht haben, um ihre syrischen Nachbarn zu empfangen, oder um zu protestieren, weil die Grenze immer wieder geschlossen wird. Es fliegen Steine, die Polizei schießt mit Plastikmunition.

Dies ist ein Machtkampf. Im Südosten der Türkei gibt es längst Gebiete, in denen praktisch nur noch die kurdisch beherrschten Rathäuser das Sagen haben. Diese Art von Quasi-Autonomie passt der türkischen Regierung nicht. Der kurdische Zustrom verschärft den Konflikt um die Entscheidungsgewalt offensichtlich.

Zumal die immer noch als Terrororganisation verbotene Kurden-Guerilla PKK nun alle Kurden, die eine Waffe halten können, aufgerufen hat, Kobane gegen die Dschihadisten zu verteidigen. Am Montag stürmten schon ein paar Hundert Männer nach Syrien, durch den Zaun, darunter viele, die zuvor ihre Familien auf die türkische Seite in Sicherheit gebracht hatten.

„Ich würde gern kämpfen“, sagt Hasin. Aber er darf nicht, seine Familie lässt den 14-Jährigen nicht gehen. Hasins Bruder ist 16. „Der ist bei der YPG“, sagt Hasin stolz. YPG nennen die syrischen Kurden ihre Volksmiliz. „Die hat nur leichte Waffen, Kalaschnikows. Die Dschihadisten haben Panzer und Granatwerfer.“ Der Junge redet wie ein Alter, der zu viel gesehen hat.

Es gibt auch das Drama im Drama. Die Schulen im Kriegsgebiet sind geschlossen. „Schon seit drei Jahren“, sagt Fatma, eine von Meha Mustafas Töchtern. Die Mutter erzählt, dass sie erst kürzlich in Rakka, der syrischen Hochburg des IS, auf Verwandtenbesuch war. „Ich habe abgeschnittene, aufgespießte Köpfe auf der Straße gesehen.“ Die Frauen in Rakka müssten sich voll verschleiern, „nur die Augen darf man sehen“. Die IS-Männer aber nähmen sich das Recht heraus, „jeder Frau unter den Schleier zu schauen, und gefällt ihnen ein Mädchen, nehmen sie es mit“. Dass die USA am Dienstag erstmals IS-Stellungen bei Rakka bombardiert haben, findet die Kurdin gut. „Sie sollen sie schlagen, alle vernichten“, sagt sie.

Auch dem Elektriker Ahmed Bekra gefällt das. „Aber die Schläge kommen zu spät“, sagt Bekra, der 31 ist, aber wie ein 50-jähriger aussieht. Bekra und die Männer, die zwischen all den Frauen und Kindern einen kleinen Kreis bilden, tragen Fünf-Tage-Bart, Zigarettenpäckchen in der Hemdbrusttasche und wollen alle zurück nach Syrien, in den Kampf. In Turnschuhen und Sandalen. „Die Dschihadisten haben Kreuze an unsere Häuser gemalt, sie haben uns Ungläubige genannt“, erzählt ein Bauer. Dass die Kurden Sunniten sind wie die Angreifer, hat ihnen nichts genutzt. „Ihr seid Amerikaner, keine Muslime, haben sie uns gesagt.“

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fürchtet, dass aus Kobane noch mehrere 100000 Menschen in die Türkei strömen könnten. Wenn aber stimmt, was viele der Geflüchteten erzählen, dann ist Kobane bereits eine Geisterstadt. „Da sind vielleicht noch 1000 Menschen, einschließlich der YPG“, sagt Yashar Ali, ein kurdischer Politiker, der am Montag noch dort war. Aber auch wenn keine Massen mehr kämen: Die Lage in Suruç ist schon schwierig genug. Die Menschen lagern in Moscheen, Hochzeitssalons und Beerdigungshäusern. Die türkischen Kurden tragen zusammen, was sie auftreiben können: Decken, Lebensmittel, Babywindeln. Und doch fehlt es an allem. Der türkische Staat hat zwar versprochen, alle Flüchtlinge „ohne Rücksicht auf Religion oder Ethnie“ zu versorgen. Aber zuvor sollen sich alle registrieren lassen und dann in neue staatliche Lager begeben. Die müssen erst gebaut werden. Viele Kurden haben jedoch außer ihrem nackten Leben auch eine Art Urangst vor der Türkei mitgebracht. Und in diesem Gefühl werden sie von den türkischen Kurden noch bestärkt. Funktionäre der türkischen Kurdenpartei BDP in Suruç verbreiten das Gerücht, der Türkei sei es ganz recht, wenn die syrisch-kurdischen Dörfer entvölkert würden, weil sie sich vor grenzüberschreitenden kurdischen Autonomiewünschen fürchte. Der Türkei sei der IS als Nachbar gar lieber als die Kurden. Am Mittwoch fahren deshalb Hunderte Kurden an die Grenze. Sie wollen „Wache“ halten, damit kein IS-Kämpfer durch den Stacheldraht schlüpft.

Das Misstrauen speist sich aus Geschichten wie dieser: Am Dienstag gab es Fotos von einem bei den Kämpfen um Kobane schwer verletzten IS-Mann mit Namen Ammar Alo, der angeblich in einem staatlichen türkischen Krankenhaus in Şanliurfa behandelt wurde. Inzwischen ist Alo nicht mehr in der Klinik. Nachdem das Foto mit dem Mann mit dem blutverschmierten Kopfverband im Internet auftauchte, soll er eilends verlegt worden sein. Taxifahrer in Şanliurfa erzählen zudem von „auffällig vielen gut gebauten jungen Männern“, die sich vom Flughafen zu den Stadthotels fahren lassen. „Die gehen dann irgendwo über die Grenze“, vermutet ein Fahrer. Es gibt türkische Twitterer, die offen für den Dschihad werben, Islamisten-Vereine rekrutieren Kämpfer. Die Regierung hat dem Treiben auffällig lange zugeschaut.

Nun wird es offenbar auch den Politikern in Ankara unheimlich, angesichts des Gefechtslärms aus Kobane, den man auch auf der türkischen Seite der Grenze immer wieder hört. Oder der enorme Druck aus Washington hat gewirkt. Jedenfalls hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan – direkt nach den ersten amerikanischen Luftschlägen in Syrien – in New York am Rand der UN-Vollversammlung angedeutet, sein Land denke über eine Beteiligung an der Koalition der westlichen und arabischen Staaten gegen den IS nach. Es dauert danach nur wenige Stunden, bis in der Nacht zum Mittwoch Kampfflugzeuge IS-Nachschubwege nur 30 Kilometer entfernt von Kobane bombardieren. Das melden Augenzeugen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London. Die Aktivisten geben an, die Jets seien aus dem türkischen Luftraum gekommen. Letzteres wird aus Ankara dann dementiert.

Erdoğan hat sich in New York auch darüber beschwert, dass sein Land kaum Hilfe bekomme für die Versorgung von 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen, zu denen seit letzter Woche nun 140000 dazukamen. Ankara habe dafür in drei Jahren 3,5 Milliarden US-Dollar ausgegeben, aber nur 150 Millionen Dollar erhalten.

In Suruç sagt Selin Ünal, die Vertreterin des UNHCR in schlammbespritzen Jeans, man werde in den nächsten Tagen Lebensmittel und Decken aus UN-Depots in Dubai und Kopenhagen nach Şanliurfa fliegen. „Der Bedarf ist riesig.“ Aber nur 21 Prozent des Türkei-Budgets des Hilfswerks für 2014 seien bislang von der internationalen Gemeinschaft finanziert.

Wer hat eigentlich den Suppeneimer vor das Rathaus von Suruç gestellt? Keiner weiß es. Irgendeine gute Seele gewiss.

Auf all ihren Wegen

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Tom, 28, Sonntag





"Wir hatten in diesem Jahr um 14 Uhr eine Reservierung, deswegen ging es von der Hackerbrücke direkt zum Marstall. Was wir nicht wussten: Dort ist es ziemlich gediegen und erst ab 21 Uhr darf auf den Bänken getanzt werden. Also blieb ich die vier Stunden, die unsere Reservierung galt, und machte mich mit einem Kumpel dann auf den Weg dorthin, wo etwas mehr los war: zum Schützenzelt, Richtung Bavaria. Das war allerdings schon geschlossen, deshalb haben wir einen Abstecher ins Paulaner nebenan gemacht. Danach ging’s zum Schottenhamel und wir trafen wieder auf unsere Freunde. Wir haben in den Gängen getanzt und nette Leute kennengelernt. Ich blieb noch eine Weile, ich glaube bis halb elf. Danach habe ich mich durch den Regen schnell Richtung U-Bahn Theresienwiese und auf den Heimweg gemacht.

Ich war seit langem mal wieder ohne Freundin auf der Wiesn und ich muss sagen: Mein Single-Wiesn-Weg unterscheidet sich von meinem Pärchen-Wiesn-Weg. Mit einer Freundin bin ich eher mal über den Platz geschlendert, gemütlich und mit einer Tüte gebrannter Mandeln. Nicht nur, weil meine Freundin das wollte, das hab ich auch immer gerne gemacht. Aber als Single bin ich auf der Wiesn ambitionierter unterwegs. Zielgerichteter. Da gehe ich von einer Station auf direktem Weg zur nächsten, dorthin, wo was los ist. Wenn ich Hunger habe, gehe ich etwas essen. Wenn ich schießen will, gehe ich schießen. Und wenn ich Stimmung will, geht’s eben sofort ins Zelt, wie dieses Mal. Mit einem Kumpel würde ich nicht unbedingt einfach mal über die Wiesn schlendern, vor allem wenn das Wetter nicht so gut ist. Da sind die Ziele klar, das Tempo schneller, die Wege direkter."
 

Matthias, 30, Samstag





"Den frühen Weg zum Anstich haben wir uns gespart und das Ganze stattdessen beim gemütlichen Grillen zu Hause im Fernsehen geschaut. Von der Schwanthalerhöhe zur Wiesn gab’s noch ein Wegbier vom Asiaten. Allerdings wurde daraus ein Standbier, als uns die Polizei damit nicht aufs Gelände ließ. Unsere Route führte dann mit zwei Zwischenstopps – gebrannte Mandeln, Toilette – zum Armbrustschützen-Biergarten, weil wir davon ausgingen, dass die Zelte bereits voll waren. Aber selbst die Biergärten waren überfüllt – und wir hatten ein Durstproblem. Wir überlegten hin und her, was zu tun sei. Zu einem günstigen Zeitpunkt schafften wir es dann doch direkt ins Festzelt und nach ein bisschen Zick-Zack fanden wir sogar Platz an einem Tisch neben einem österreichischen Ehepaar. Der Mann war unfassbar trinkfest. Dort blieben wir, bis wir um 21.30 Uhr wieder zur U-Bahn und dann ins Filmcasino am Odeonsplatz zogen.
Im Prinzip richtet sich mein Weg auf der Wiesn danach, wo man einen Platz bekommt. Das hat Vorrang. Klar wollten wir auch mal schießen und ich hatte Lust auf den Free Fall Tower, aber bis dahin sind wir gar nicht gekommen. Und wenn man mal in einem Zelt ist, verlässt man das nicht so leichtfertig wieder. Außerdem ist der Gang über die Wiesn bei so vielen Besuchern vor allem anstrengend, stressig und nervig, finde ich. Und egal, welchen Weg man auch sonst auf dem Oktoberfest wählt, Hauptsache, man tut das auf zwei Beinen, die in einer Lederhose stecken. Die ist nicht nur superbequem und praktisch, sondern gehört auch einfach dazu. Auf die Wiesn ohne Tracht – das ist wie auf seine Konfirmation in Jogginghose zu gehen."
 

Lilli, 22, Samstag





"Mein Wiesn-Weg wird mit der Zeit wohl gemütlicher. Die letzten Jahre waren wir am ersten Samstag um fünf Uhr früh schon vor dem Zelt. Diesmal starteten wir lieber mit Weißwurst-Frühstück in der WG einer Freundin. Aber dann ging’s auf: von der Bavaria zum Kaiserschmarrn-Stand, wo ein Freund von uns arbeitet, und dann auf die Suche nach einem Filz-Herzl, auf dem ‚I mog di’ steht. Mein Exfreund hatte mir so eins bei unserem ersten gemeinsamen Wiesn-Besuch geschenkt. Ich habe es vor kurzem verloren und wollte gerne ein neues, aber das richtige war nicht zu finden. Dafür gab es Zuckerwatte – die ist wichtig – und wir machten uns auf die Suche nach einem Platz, was mit 15 Personen erst mal recht schwierig schien. Auf der Oiden Wiesn haben wir zwei Biergarten-Tische in der Sonne gefunden. Das war perfekt, wenn auch etwas ruhiger als sonst im Zelt. Gegen 19.30 Uhr haben wir uns wieder auf den Weg gemacht, waren kurz im Schottenhamel und sind dann ins Augustiner, wo wir auch sofort einen Platz gefunden haben. Und zum Schluss haben wir noch einmal bei Freunden im Käfer-Biergarten vorbeigeschaut und dann den Rückzug Richtung Goetheplatz angetreten. Natürlich mit traditionellem Stopp am Toboggan. Dahin führt mich mein Weg am Ende immer. Den Betrunkenen beim Scheitern zuzusehen, ist das letzte Highlight, wenn die Stimmung auf dem Heimweg schon etwas abnimmt.

Mein Wiesn-Weg war diesmal viel entspannter als sonst. Wir haben uns treiben lassen, immer dort vorbeigeschaut, wo Freunde von uns waren, und uns trotz großer Gruppe nie verloren. Ein paar feste Stationen aber sind einfach Tradition – wobei ich eine noch nachholen muss: eine Fahrt mit der Feuer-und-Eis-Bahn. Seit ich denken kann, bin ich dort mit meiner großen Schwester jedes Jahr gefahren."
 

Elisabeth, 27, Sonntag





"Die beste Wiesn-Begleitung ist meine Schwester. Mit ihr bin ich auch dieses Mal gestartet. Ursprünglich kommen wir aus Salzburg, gehen aber schon viele Jahre aufs Oktoberfest. Ich weiß noch genau: Das erste Mal war ein krasser Kulturschock – und wir waren völlig entrüstet, dass wir in keinem Zelt einen Platz bekommen haben, obwohl wir extra so früh aufgestanden waren. Vielleicht ist das so sehr bei mir hängengeblieben, dass das bis heute das Wichtigste für mich ist: ein Platz im Zelt. Danach richtet sich mein Weg. Nur wenn meine Eltern zu Besuch sind, drehen wir einfach mal so eine Runde. Viel typischer für mich aber ist ein Weg wie der am Sonntag: Ich wohne nördlich der Theresienwiese. Von dort sind wir um 11 Uhr aufgebrochen und erst mal über die komplette Wiesn zum anderen Ende marschiert, um noch eine Freundin von der U-Bahn abzuholen. Dann ging es die halbe Strecke wieder zurück, direkt ins Paulaner-Zelt – und erst zwölf Stunden später kam ich da wieder raus. Das jahrelange Wiesn-Training zahlt sich eben aus. Mit ein paar Pommes in der Hand ging es um 23.30 Uhr für mich wieder heim – ebenfalls ohne Umwege. 

Ich finde an der Wiesn toll, dass die Menschen so kontaktfreudig sind. Ich lerne sehr gerne neue Leute kennen und das geht meiner Meinung nach eben am besten in den Zelten. In welchem genau, ist dabei egal. Wären wir in das erste nicht mehr reingekommen, würde meine Route genauso gerade zum nächsten Zelt führen. Und nein, es geht mir nicht darum, unbedingt jemanden für den Heimweg zu finden. Den trete ich in der Regel alleine an."

Das Rikscha-Tagebuch: Wilde Maus

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Viele Leute, die bei mir mitfahren wollen, sind erschrocken, wenn sie den Preis für die Fahrt hören: „Was? 30 Euro? Da kann ich ja gleich ein Taxi nehmen!“ Sie erwarten, dass eine Rikschafahrt billiger ist als eine Fahrt mit dem Taxi – sie dauert schließlich auch länger.



  

Doch Rikschafahren in München ist – anders als in Indien – kein billiger Taxiersatz. Es ist eher ein Luxustransportmittel, mit dem man gemütlich zum Marienplatz fährt oder eine Sightseeingtour macht. Und dafür zahlt man auch einen ordentlichen Preis. Auf der Wiesn kommt allerdings noch eine andere Komponente hinzu: Die Rikscha hat sich dort inzwischen als Wiesn-Attraktion etabliert – noch dazu als einzige, die nach elf Uhr noch in Betrieb ist. Wenn die Leute aus den Zelten stürmen, werden die meisten Rikschas zu einem Fahrgeschäft auf Rädern. Sie leuchten bunt und laute Musik dröhnt aus ihren Boxen. Das Wiesn-Volk will in der Regel Action, wenn es gefahren wird. Es will schnell und mit gewagten Manövern zum Hauptbahnhof gebracht werden. Die Rikscha wird dann zu einer Art Wilden Maus auf der lauten und überfüllten Schwanthalerstraße. So hat es ein Kollege von mir treffend beschrieben.

Gestern wollte eine Gruppe von Schweizern so schnell wie möglich zum Hauptbahnhof gefahren werden. Als sie merkten, dass ich alles dafür tat, um ihren Wunsch zu erfüllen, stimmten sie alkoholgeschwängerte Loblieder auf mich an. Als wir ankamen, umarmte mich jeder von ihnen. Sie versicherten mir, dass sie die nächste Wiesn mit Sicherheit wieder Rikschafahren würden. Am Ende gaben sie mir noch ein gutes Trinkgeld.  

Solche Leute sind der Grund, warum Rikschafahren so ein lukrativer Job ist – und warum es manchmal einfach Spaß macht, Betrunkene durch die Gegend zu fahren.

Folge verpasst? Das komplette Rikscha-Tagebuch kannst du hier nachlesen.  

"Kitsch ist ein Betriebsunfall"

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jetzt.de: Du hast mal gesagt, du würdest Liedtexte eigentlich nur schreiben, um etwas zur Musik singen zu können. Viel nachdenken würdest du dabei nicht. Trotzdem gibt es nun seit Jahren dieses typische Sven-Regener-Deutsch, eine fast eigene Sprache. Gibt’s vielleicht doch einen Plan dahinter?
Sven Regener: Ich wünschte, es wäre so! Dann hätte ich es leichter. Wir haben ja immer zuerst die Musik, die machen wir zusammen, und ich muss dann die richtigen Worte finden. Mit Plänen kommt man da nicht weit, die würden einen bloß durchschaubar machen.  

Du setzt auf Schönheit durch Planlosigkeit
?
Es ist auf jeden Fall gut, unbefangen und ohne vorgeformte Absichten an die Sache heranzugehen. Jedes Lied ist neu und anders. Die Musik ist immer sehr inspirierend. Das Lied ist ja immer schon fertig, nur eben ohne Text. Aber man weiß, dass da etwas ist, dass da eine Geschichte drinsteckt. Die muss man dann eben finden.  

Viele sehen in dir vor allem einen großen Schreiber. Was macht dir mehr Spaß: das Schreiben oder das Abliefern des Geschriebenen, also der Auftritt?

Am liebsten singe ich und spiele Trompete. Es ist ja wirklich so, dass ich die Texte mache, damit ich was zu singen habe, das ist nicht kokett gemeint. Und heißt ja auch nicht, dass es irgendein Mist sein muss! Oder sein darf. Im Gegenteil! Da ist man sich selbst ein kritischer Kunde.  

Woran erkennt man einen schönen Liedtext?
Er muss gut klingen. Man muss ihn außerdem singen und singen und singen können und er darf dabei nie langweilig werden. Mehr noch: Er muss jedes Mal wieder Spaß machen. Dann ist er gelungen! Doof sind auf jeden Fall belehrende Texte, so was ist unsympathisch und natürlich auch immer flach.  

Und wie wichtig ist es dir, dass ein Text gut ankommt?
Ich gehe nur nach dem, was mir selbst gefällt. Als Band machen wir es ja mit der Musik auch so. Anders geht es nicht. Man kann in der Kunst nicht nach dem gehen, was die anderen sagen. Zumal ja auch die alte Weisheit gilt: Der eine sagt so, der andere sagt so. Nach wem soll man sich da richten?  

Wie lange sitzt du an einem Text?

Ein paar Wochen sind es schon im Durchschnitt. Ich muss oft sehr lange warten, bis eine wirklich gute Idee um die Ecke kommt. Manchmal geht es auch Ratzfatz, und so kommen dann solche Durchschnittswerte zusammen.  

Kennst du Schreibblockaden?

Eigentlich beginnt jeder neue Song mit einer Schreibblockade. Deshalb dauert das ja auch so lange. Aber Zeitnot kenne ich eigentlich nicht. Wir setzen uns unsere Deadlines ja selber, da sind die flexibel! Uns vergisst ja niemand, bloß weil es mit der neuen Platte mal ein halbes Jahr länger dauert.

Was ist dein Trick, wenn du keine Ideen hast?

Da kann man nichts machen, nur warten. Manchmal versucht man natürlich, irgendwas zusammenzuschustern, aber das wird dann doof und dann wirft man es weg und dadurch dauert alles nur noch länger. Also lieber gar nicht erst damit anfangen!  



Sven Regener (3. v. l.) und Element of Crime. Hier kannst du das Video zur Single "Lieblingsfarben und Tiere" sehen.

Wenn man die neue Platte hört, kann man dich für einen schweren Romantiker halten: „Rette mich vor mir selber, Hauptsache Liebe, und Hauptsache du“ oder „Über dir, über mir: dieselben Sterne“. Täuscht der Eindruck?
Romantik ist dann, wenn man im ganz normalen Leben das Poetische sucht. Und findet. Mal so allgemein und ein bisschen langweilig gesprochen. Ich würde mich aber da nicht als speziell Besessenen sehen. Wir haben ein Album „Romantik“ genannt und ich rufe das manchmal, durchaus ironisch gemeint, mit ravergleich himmelwärts gereckten Armen bei den Konzerten. Und sei es nur, um zu vermeiden, dass es zu andächtig wird. 

Aber als Romantiker würdest du dich schon bezeichnen?
Ja. Aber nicht mehr als meine Nachbarn auch. Oder, wie Cyman, ein Künstler aus den 80er Jahren, mal zu mir sagte, und er hatte Recht damit: „Die Leute sind doch alle irgendwie Freaks!“  

Kannst du Romantik in einem Satz definieren?
Nein, so einfach geht das leider nicht.  

Stichwort Kitsch: Wann ist der erlaubt?

Ach, Kitsch ist halt so was wie ein Betriebsunfall im Rock'n'Roll, aber wenn man nichts riskiert, dann kann man auch nichts Großes schaffen. Deshalb sollte man vor Kitsch keine Angst haben.  

Wann fandest du zum letzten Mal etwas sehr romantisch?

Das war neulich erst. Aber das würde ich niemals öffentlich erzählen!  




„Lieblingsfarben und Tiere“ von Element of Crime erscheint am Freitag.

Wie beendet man eine Freundschaft?

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Irgendwann haben wir uns einfach nicht mehr angerufen. Nicht mal mehr zum Geburtstag. Ein paar Jahre lang waren wir beste Freunde gewesen. Wir sahen uns mindestens einmal pro Woche, meistens eher vier Mal. Wir fuhren zusammen in den Urlaub. Lena war der einzige Mensch außerhalb meiner Familie, der ich etwas zu Weihnachten schenkte.  



Aber irgendwann hatten wir uns immer weniger zu sagen: Lena war nach ihrer Ausbildung aus der Stadt aufs Land und in eine Bauernhof-WG gezogen, hatte lauter Reggae-Musiker als Freunde und arbeitete in einer Booking-Agentur. Ich konnte mit nichts davon sonderlich viel anfangen. So wurde der Kontakt weniger, die Weihnachtsgeschenk-Tradition schlief ein und wir sahen uns nicht mehr ein Mal wöchentlich, sondern ein Mal jährlich. Heute könnte ich wohl nicht mehr behaupten, dass Lena und ich befreundet sind.  

Wir haben das allerdings nie ausgesprochen. Wir haben unsere Freundschaft langsam ausplätschern lassen und irgendwann war sie weg. Ich glaube, wir fanden das beide sehr in Ordnung so. Nur manchmal denke ich, dass eine so gute Freundschaft es irgendwie verdient gehabt hätte, auch richtig beendet zu werden. Als wir befreundet waren, haben wir uns alles erzählt, müssten wir also nicht auch offen über das Ende unserer Freundschaft reden?  

Wie siehst du das? Brauchen Freundschaften einen klaren Schlussstrich? Brauchen sie ihn in manchen Fällen unbedingt, in anderen nicht? Wenn ja, wie macht man in einer Freundschaft am besten Schluss? Und wenn nicht, warum bevorzugst du die Variante „stilles Ende“? Hast du schon mal eine Freundschaft offiziell beendet oder ausklingen lassen?

Tagesblog - 26. September 2014

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17:33 Uhr: Und bevor ich selbst ins Wochenende abhaue, noch ein gif, das mir Jan geschenkt hat. Ich bin immer noch ganz gerührt. Aber schaut selbst: [plugin imagelink link="http://38.media.tumblr.com/e058ef29178dd402abbe388f4414c763/tumblr_ncgv6xWQ531qj0qlso1_250.gif" imagesrc="http://38.media.tumblr.com/e058ef29178dd402abbe388f4414c763/tumblr_ncgv6xWQ531qj0qlso1_250.gif"]

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16:40 Uhr:
Bevor alle nach Hause reiten, gebe ich noch die Hausaufgaben auf.

Zum einen lest doch bitte übers Wochenende diese extrem interessante Geschichte über den Komponisten des berühmten Lieds "Strange Fruit", das zu Billy Holidays "signature song" wurde.

Außerdem möchte ich von jedem von euch am Montag eine Liste aller Begegnungen mit der Natur.
Also: haben Bäume eure schockierenden Telefonate mitangehört? [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1187-9-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1187-9-1.jpg"]
Seid ihr durchs Laub gewandelt? Habt ihr euch in Erdlöchern gesuhlt? Wurdet ihr von Blumen angegriffen? [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/wheresmytail-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/wheresmytail-1.jpg"] Ich muss all das genau wissen!
 

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16:31 Uhr:
Oh je, schon wieder sind zwei Stunden vergangen und ich kann nichts vorweisen, außer sehr viel Arbeit im Hintergrund. Und einer gewissen Grundmüdigkeit. Wäre ich eine Katze, ich säße so da:
[plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1199-13-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1199-13-1.jpg"]

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14:29 Uhr:
Ich kann's persönlich zwar nicht nachvollziehen, aber das Bild ist viel zu schön, um es nicht zu teilen: [plugin imagelink link="http://38.media.tumblr.com/e1613a106b1565e96b43d173fbc2c205/tumblr_naxilaxLyD1qaihw2o1_500.jpg" imagesrc="http://38.media.tumblr.com/e1613a106b1565e96b43d173fbc2c205/tumblr_naxilaxLyD1qaihw2o1_500.jpg"]

Von David Shrigley

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13:14 Uhr:
Bin wieder zurück aus der Kantine. Heute gab's irgendwie komisches Essen. Vor allem viel Fisch: [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/only-in-russia4-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/only-in-russia4-1.jpg"] (und jeder weiß, dass ich nichts esse, was keine Lungen hat)
Und das Trinken hat auch irgendwie anders geschmeckt, als sonst. [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1184-8-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1184-8-1.jpg"]

Aber! Voll interessant waren die Geschichten vom jetzt.de-Wiesnbesuch. An dem konnte ich dummerweise wegen Kinderkrankheiten nicht teilnehmen. Besonders schön fand ich, wie allen nach und nach Details des Abends eingefallen sind. Wie sie nach Hause gekommen sind, wie das Schnapsglas in Charlottes Tasche gelangt ist, warum Jan auf einmal zum Hau den Lukas gegangen ist und wo sie alle in die U-Bahn gestiegen sind. Letztes verbliebenes Rätsel: Woher kommt der kleine 20-Euro-Fitzel, der auf Charlottes Schreibtisch gefunden wurde. Wie gut, dass ich in meiner Freizeit als Privatdetektivin unterwegs bin. ich werde den seltsamen Fall des zerstörten 20-Euro-Scheins aufnehmen und ich werde so lange nicht ruhen, bis ich ihn gelöst habe!

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12:08 Uhr:
Was ja heute noch viel zu kurz gekommen ist in diesem Tagesblog: Bildergeschichten. Weshalb ich euch jetzt von meinen Wochenendplänen erzählen werde. Also:

Nach dem Aufstehen immer erst mal duschen, ist ja klar. [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1190-2-1-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1190-2-1-1.jpg"]

Danach nehme ich ein leichtes Frühstück zu mir. [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/971120-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/971120-1.jpg"]

Gegen 9 Uhr werde ich auf einen Kinderbasar gehen, wo ich vorhabe, für sehr wenig Geld sehr viele Klamotten für meine Kinder zu kaufen, damit sie schick aussehen, wenn man wieder der Fotograf im Kindergarten antanzt:
[plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/Awkward-Glamour-Shots10-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/Awkward-Glamour-Shots10-1.jpg"]

Abends mache ich es mir entweder bei einem Bierchen gemütlich. [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1195-22-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/picdump-1195-22-1.jpg"]

Oder ich mache mich fein und gehe auf die sogenannte "Piste". [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/Princess-in-Green-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/09/Princess-in-Green-1.jpg"]

Mal schauen. Und ihr so?

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11:38 Uhr:
Leuds! Eine neue Folge der Kettengeschichte ist online. Zur Abwechslung ist mal wieder alles ganz anders. Verrückt! Anna kann mit ihren Gedanken die Wirklichkeit steuern. Und sie fliegt zusammen mit Paul auf einem Einhorn durch die Nacht. Aber mehr sag ich nicht wegen Spoiler-Gefahr.

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10:56 Uhr:
Kaum konferiert man, schon ist wieder eine Stunde vergangen. Aber dafür haben wir wunderbare Themen im Köcher für heute. Ich schwör! Und so viele Ticker-Themen, die es nicht durch die harte Ticker-Tür geschafft haben. Eines davon stammte von mir.
Es geht darum, wie man im Erwachsenenalter mit seinen Geschwistern umgeht. Anlass war ein Video der Band, in der mein Bruder mitspielt, das ich gerade erst entdeckt habe. Und die Tatsache, dass ich immer noch so irrational-kindlich stolz bin auf ihn, obwohl wir beide schon lange erwachsen sind. Ich finde halt einfach toll, was er macht. Darf ich mal kurz zeigen? Er spielt in einer Kapelle mit, die seit Jahren stetig immer ein kleines bisschen erfolgreicher werden (jetzt nicht welt- oder gar Deutschlandberühmt, aber doch immerhin München- und Bayernberühmt). Dieses Jahr spielen sie ziemlich oft im Herzkasperlzelt auf der "Oidn Wiesn". Hier ist ein Video von einem Wiesn-Auftritt im letzten Jahr:
http://www.youtube.com/watch?v=gqnUO4ZXy3o#t=39


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9:34 Uhr:
Also los geht's mit den Themen des Tages:
- Die Türkei hat 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen, jetzt wäre es an der internationalen Staatengemeinschaft, dem Land dabei zu helfen, den Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
- Eine Jet-Pilotin der Vereinigten Arabischen Emirate fliegt Einsätze gegen IS. Eine schöne Demütigung für die Islamisten, denen von einer Frau der Hintern versohlt wird.
- Ein neues soziales Netzwerk namens ello zieht vor allem homosexuelle Nutzer von Facebook ab. Eine Analyse.
- jetzt wird der Taxi-Konkurrent Uber wohl auch in San Francisco verboten, dem Mekka aller Startups.
- Linke und Grüne wollen Edward Snowden nach Deutschland holen und ziehen jetzt vors Verfassungsgericht, um dafür zu streiten.
- Und, ganz wichtig, im Wiesn-Blog gibt es Tipps, wie man trotz des anstehenden Italiener-Wochenendes einen Platz im Wiesn-Zeit findet.

9:24 Uhr:
Bevor wir uns den harten Themen der Konferenz widmen, noch kurz ein Erklärbärvideo für coole peeps (also jetzt.de-Leser): Wie Tätowieren funktioniert (und warum es so sakrisch weh tut). Nicht erklärt: Warum Menschen sich Tattoos machen lassen.
http://www.youtube.com/watch?v=kxLoycj4pJY#t=12

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[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ch/christian-helten/text/regular/1026446.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ch/christian-helten/text/regular/1026446.jpg"]
9:13 Uhr:
Oh je, bei der Lektüre des Tickers werde ich gleich ein bisschen schwermütig. Es geht darum, wie man Freundschaften beendet. Finde ich ja ein schrecklich trauriges Thema. Und wie man es macht, weiß ich auch nicht. Ich neige aus Konfliktscheu zum Konzept "Ausschleichen".

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9:08 Uhr:
Guten Morgen, Welt! Die SZ.de-Konferenz war lang, meins Hände sind immer noch durchfrostet von der Radl-Fahrt, aber sonst ist eh alles easy. Und bei euch so? Freut ihr euch aufs Wochenende?

Recht und Sitte

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Eine ernsthafte, vorurteilsfreie Diskussion wollte der Deutsche Ethikrat über das schwierige Thema Inzest anstoßen. Doch mit Offenheit ist es so eine Sache, wenn das zu behandelnde Sujet ein Tabu berührt. Kurz nachdem der Ethikrat am Mittwoch seine Stellungnahme veröffentlicht hatte, wonach der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Geschwistern künftig nicht mehr unter Strafe gestellt werden sollte, gab es die ersten Kommentare auf der Facebook-Seite des Gremiums: „Wie krank seid ihr eigentlich????? Schämt euch und so was nennt sich Ethikrat???? Ich nenne das pervers!!!“, schrieb da jemand. „Empfehlung zum Geschwistersex??? -> Der Ethikrat gehört ins Gefängnis !!!“, ein anderer.



Der Fall von Susan und Patrik wurde 2012 vor dem EGMR behandelt


Christiane Woopen war sich darüber im Klaren, dass dieses Votum auch Widerspruch erzeugen würde. Von den Facebook-Kommentaren ist die Vorsitzende des Ethikrats, der Bundesregierung und Bundesrat in ethisch schwierigen Fragen berät, trotzdem erschüttert: „Wir hatten uns gewünscht, mehr Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung wecken zu können.“ Auch auf politischer Ebene hat die Diskussion mitunter ein kaum höheres Niveau erreicht: Das Votum des Ethikrats sei „absolut untragbar“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), der Bild: „Inzest unter Geschwistern steht nicht ohne Grund unter Strafe.“ Erbkrankheiten und Behinderungen der Kinder seien die Folge. „Der Ethikrat muss sich fragen, ob er seinem Namen und Auftrag mit diesem sittenwidrigen Vorstoß noch gerecht wird“, sagte Mayer.

Das genetische Argument gilt in Fachkreisen indes längst als obsolet. Das Risiko für Krankheit oder Behinderung ist für Kinder aus einer Inzestbeziehung zwar erhöht. Es ist aber deutlich niedriger als in Familien mit manchen Erbkrankheiten: „Einem Paar, das ein Kind mit Mukoviszidose hat, würde niemand weitere Kinder verbieten“, sagt die Medizinethikerin Woopen.

Auch die Minderheit von neun Mitgliedern des 25-köpfigen Ethikrats, die sich gegen die Straffreiheit ausgesprochen hat, distanziert sich vom genetischen Argument. „Der Ethikrat war sich darin einig, dass dieses Argument fallen gelassen werden muss“, sagt Wolfram Höfling, einer der neun, die ein abweichendes Votum unterzeichnet haben. Danach soll der „Inzestparagraf“ (§ 173 StGB) erhalten bleiben, der für Sex mit Schwester oder Bruder bis zu zwei Jahre Freiheitsentzug vorsieht. „Ich würde nicht dafür plädieren, den Paragrafen heute einzuführen, wenn es ihn nicht gäbe“, erläutert Höfling. „Aber ihn jetzt abzuschaffen, halte ich für das falsche Signal.“ Recht stabilisiere eine Gesellschaft. „Das heißt aber auch, dass die Änderung der Rechtslage zur Destabilisierung führen kann“, sagt der Staatsrechtler. Den Unterzeichnern des Minderheitenvotums gehe es um den Schutz der Familie. „Eine Rollendiffusion führt zu gestörten Kommunikationsstrukturen in Familien“, sagt Höfling. Dies gelte es zu verhindern.

Allerdings kommt es zu Fällen einvernehmlichen Inzests unter Geschwistern wohl nur, wenn diese eben nicht in einer Familie aufgewachsen sind. „Nach allem, was man heute über solche Paare weiß, haben sie sich erst als Erwachsene kennengelernt“, sagt Christiane Woopen. Vertrautheit ist ein Liebestöter, wie auch die Simpua-Ehen in Taiwan zeigen: Einander versprochene Kleinkinder wachsen dort gemeinsam im Haus des Bräutigams auf. Die Ehen bleiben häufig kinderlos.

Einvernehmlicher Geschwister-Inzest wird damit kaum ein Massenphänomen werden, selbst wenn er eines Tages womöglich straffrei bleiben wird. Die Betroffenen aber leiden erheblich – unter Gewissensbissen, aber vor allem unter der Strafandrohung, die sie erpressbar macht. „Viele Paare werden von ihrem Umfeld unter Druck gesetzt. Dabei geht es manchmal auch um Erbstreitigkeiten“, erzählt der Rechtsanwalt Endrik Wilhelm, der einen Betroffenen 2008 vor dem Bundesverfassungsgericht und 2012 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertrat. Doch beide Gerichte waren der Auffassung, der Inzestparagraf sei verfassungskonform. Den Betroffenen nützt es also wenig, wenn die Vertreter des Minderheitenvotums im Ethikrat nun vorschlagen, Staatsanwälte sollten in solchen Fällen einfach nicht tätig werden. „Es ist keine Lösung, mit der die Betroffenen zufrieden sein können“, räumt auch Wolfram Höfling ein. „In diesen tragischen Fällen, in denen Verwandte mit Anzeige drohen, wird es für die Staatsanwaltschaft tatsächlich schwer sein, nichts zu tun.“

Engel

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Tschick-Fortsetzung aus Isas Perspektive angefangen. Mach ich aber nicht. Mach ich nicht“, notiert Wolfgang Herrndorf am 19. Juni 2011 – da steckt er noch mitten in der Arbeit an dem Roman „Sand“, dem letzten Buch, das er vor seinem Tod im August 2013 abschließen konnte. Das zweifache Dementi zeigt, wie groß die Versuchung war, eine Episodenfigur aus seinem Erfolgsroman auszukoppeln und die Geschichte des „Müllmädchens“, wie es in einem frühen Entwurf zu „Tschick“ heißt, als Komplementärerzählung zu entwickeln.

Dass Herrndorf dann tatsächlich weiterschrieb an dem Text mit dem Arbeitstitel „Isa“, hatte allerdings auch sehr prosaische Gründe. Zu weit war seine Krebserkrankung bereits fortgeschritten, als dass an eine Fortsetzung größerer Projekte zu denken war. Aber der Stoff für eine kleine Road Novel schien überschaubar genug zu sein für einen Versuch: „... schreibt sich wie von selbst. Und praktisch: kein Aufbau. Man kann Szene an Szene stricken, irgendwo einbauen, irgendwo streichen, irgendwo aufhören“, heißt es in dem Blog „Arbeit und Struktur“, dem digitalen Tagebuch über das Leben mit der unheilbaren Krankheit, das Herrndorf zu führen begonnen hatte, nachdem bei ihm ein bösartiger Hirntumor diagnostiziert worden war.



"Bilder deiner großen Liebe" war Wolfgang Herrndorf letzter Roman

Die Hoffnung aber, wenigstens dieses Buch noch beenden zu können, schwand von Tag zu Tag. Herrndorfs Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. In unvollendeter Form wollte er das Manuskript jedoch nicht veröffentlichen. „Keine Fragmente aufbewahren, niemals Fragmente veröffentlichen. Niemals Germanisten ranlassen“, das hatte er sogar testamentarisch verfügt. Erst eine Woche vor seinem Tod ließ Herrndorf sich von den Freunden Marcus Gärtner und Kathrin Passig, die nun als Herausgeber fungieren, überzeugen, den unfertigen Roman trotzdem zu publizieren.

Aber als offene Baustelle, also nach Art einer kritischen Ausgabe mit Varianten und Anmerkungen, unausgeführten oder ungefügen Passagen, sollte der Text, so die nächste Kautel Herrndorfs, ebenfalls nicht erscheinen, sondern als lineare Erzählung ohne jeden „Germanistenscheiß“. Am Ende oblag es den Herausgebern zu streichen, zu redigieren, umzustellen, Varianten zusammenzuführen und eine zusammenhängende Lesefassung zu erstellen. Die offene Struktur einer Stationenreise erleichterte ihnen die Arbeit im Steinbruch. Als Buch kommt diese Fassung an diesem Freitag in den Handel, mit einem Nachwort, in dem die Entstehungsgeschichte nachzulesen ist.

Ein harmonisch geglättetes Konstrukt ist das nachgelassene Prosastück Herrndorfs zum Glück nicht geworden – Lücken im Text wurden nicht retuschiert, Brüche und Widersprüche finden sich zuhauf. Einmal heißt es, Isas Vater sei gestorben, ein anderes Mal denkt sie darüber nach, welchen Kummer sie ihm bereitet. An einer Stelle trägt sie Verbände an den Füßen, kurz darauf sind diese hochgerutscht bis zu den Schultern „wie zwei Schwanenflügel“ – aber sind hier nicht in Wahrheit Engelsflügel gemeint? Es gibt allerhand Anschlussfehler, und die Topografie wechselt genauso abrupt, wie es die Jahreszeiten tun. Teilweise aber wirkt es, als sei Disparatheit durchaus beabsichtigt, handelt es sich doch bei Isa um eine notorisch unzuverlässige Erzählerin, der Erträumtes und Erlebtes surreal verflimmern. Einmal stellt sie sich vor, wie ihr Leben weiterginge, wenn es ein Roman wäre.

Dieser Roman ist es, den wir nun lesen können, er heißt „Bilder deiner großen Liebe“ – den Titel hatte Herrndorf noch selber festgelegt – und die Bilder, die hier beschworen werden, sind Traumbilder oder das, was man ehedem „Gesichte“ nannte. Ganz nah und heutig und dabei unendlich fern erscheint einem ja dieses Mädchen mit seinen vierzehn Jahren, blutjung und uralt im selben Moment – Walter Benjamin hat diese Gleichzeitigkeit einmal als Aura definiert. Und das Possessivpronomen im Titel – man kann es auf Maik Klingenberg aus „Tschick“ beziehen, der sich sofort in Isa verliebt, und ebenso auf den Autor. Beinahe hätte Isa Maik geküsst, doch dann ließ sie nicht nur ihn, sondern beide unerlöst zurück: den pubertierenden Maik und den todkranken Wolfgang Herrndorf.

Ganz offensichtlich hat dieser sich mit Isa eine Sehnsuchtsfigur erschrieben, einen dunkel bestrahlten Schutzengel, auf den er viel projiziert. Es ist, als sollte sie ihm die Angst nehmen, ihn an ihrer Hand zum Abschied führen. Einmal heißt es: „Ich stelle mir vor, jemand sieht mich von oben, aber niemand sieht mich. Dabei liege ich so malerisch. Das glaube ich, und ich fühle mich so wohl und so tot und wie ein aufgestauter Fluss, über den in der Nacht immer wieder einmal der Wind geht.“

Vordergründig ist „Bilder deiner großen Liebe“ die Geschichte einer jugendlichen Ausreißerin – „Isa bricht aus der Klapse aus“, so skizzierte Herrndorf in einer Mail die Handlung. Aber was man dabei immer mitliest und was den Roman noch mal ganz anders beglaubigt, ist die Tragödie eines sterbenden Mannes, der nicht allein in den Tod gehen will und sich eine Begleiterin imaginiert. In einer Szene hat sich Herrndorf sogar als Figur in den Roman geschmuggelt: Er ist der Mann, dem Isa auf einem Friedhof begegnet, identifizierbar an seiner grünen Trainingsjacke.

Wie die beiden gleichaltrigen Kumpel Maik Klingenberg und der titelgebende Tschick aus Herrndorfs Weltbestseller, die in einem geklauten Lada unterwegs sind, vorgeblich in die Walachei, aber eigentlich zu sich selbst, hat sich auch Isa aufgemacht. Aus „Tschick“ wissen wir, dass Isa ihre Halbschwester besuchen will. Und dass sie sich mit Maik in Berlin verabredet hat. Isa ist den Jungs zugelaufen wie ein streunender Köter, der sich nicht abschütteln lässt. Auf einer Müllkippe war das, wo die beiden nach einem Schlauch suchten, um Benzin abzuzapfen. Isa weiß, wie man so was macht.

Ein Stück fährt sie im Lada mit, ein völlig versifftes, stinkendes Gör mit nie stillstehendem Mundwerk. „Tolle Figur, aber voll asi“, heißt es in den Worten von Tschick. Isa hat immer den schnelleren Spruch auf Lager – und den härteren sowieso. Obwohl sie nur kurz auftritt im Buch, ist Isa zu einer unvergesslichen Figur geworden, die sich ins Gedächtnis der Leser gebrannt hat. Ein Märchenwesen irgendwo zwischen Gossen- und Himmelskind, eine verwunschene Königstochter, aus Wahn und Witz gemacht, ganz aus dieser und zugleich nicht von dieser Welt. „Ich bin kein Mädchen wie andere“, sagt sie.

Isa ruft Erinnerungen wach an literarische Vorgängerinnen, von Goethes rätselhafter Mignon bis hin zu Raymond Queneaus wilder Zazie – und sind nicht die barfüßigen Kinder der deutschen Märchenromantik ebenso verlorene Figuren aus dysfunktionalen Familien? Abgedunkelter ist der Ton von „Bilder deiner großen Liebe“, langsamer der Erzählrhythmus, auch weil Isa ihren Weg zu Fuß macht. Es ist eine Wanderung durch ein Autobahn-Deutschland, das Herrndorf mythisch auflädt. Ein profanes Wunderland, halb Industrie-, halb Märchenpark, eine kaputte Seelenlandschaft natürlich. Außer ihrem Tagebuch hat Isa nichts dabei, nicht einmal Schuhe, blutende Füße sind das Stigma der Straße – es gibt noch andere biblische Anspielungen im Roman.

Wie Isa in die Psychiatrie geraten ist, erfahren wir nicht, nur dass sie eine kleptomane Phase hatte und eine überschießende Phantasie sowie einen starken Todestrieb besitzt, denn: „das Glück macht nie so glücklich wie das Unglück unglücklich.“ Zu den Himmelsmächten unterhält Isa, geboren im Sternzeichen der transzendentalen Obdachlosigkeit, eine ganz besondere Beziehung. Bei ihr aber klingt das so: Sie komme vom Planeten Trastámara und sei nur zu Besuch auf der Erde. „Isabel, Herrscherin über das Universum, die Planeten und alles“ sei ihr Name, zu Hause „in zwei Welten“, der dunklen und der anderen. Oder anders gesagt: „Ich komme aus der Scheiße, und in die Scheiße gehe ich irgendwann auch wieder. Aber zwischendurch werde ich berühmt.“ Und zwar als Moderatorin beim Fernsehen.

Als literarische Figur ist Isa bereits durch „Tschick“ berühmt geworden. Im neuen Buch vermag sie, mühelos mit einem taubstummen Kind zu sprechen, und entert den Frachter eines Binnenschiffers, der mal Bankräuber gewesen sein will. Sie mäht den Rasen bei einem Schriftsteller, und flüchtet schließlich aus dessen Haus, indem sie aus dem Fenster klettert. „Geht man durch die Tür“, sagt sie, „dann geht man in die Alltagswelt mit ihren Gewohnheiten und ihrem Schmutz. Steigt man aus dem Fenster, gelangt man in einen Raum wie in seinem eigenen Inneren.“

Und Isa bietet sich einer Jungsclique vor einem Supermarkt an, für ein paar Euro würde sie dem Anführer einen blasen. „Die Hölle bin ich“, sagt Isa und lässt sich später mitnehmen von einem Lkw-Fahrer. Bei einer Pinkelpause entdeckt sie die verdurstenden Schweine im Hänger und gibt ihnen zu trinken, während das wahre Schwein, der Fahrer, sich am Straßenrand ungehemmt einen runterholt auf seine hübsche Beifahrerin.

Und schließlich kreuzt sich ihr Weg mit dem von Maik und Tschick, wobei die Reprise ihrer Begegnung ganz lakonisch gehalten ist, sei es, weil dieses Passage noch nicht ausgearbeitet worden war, sei es, weil es hier um etwas anderes geht: um Isa und ihre Geschichte, die davon handelt, wie man sich existenziell verlaufen kann auf dieser Welt. Als die beiden schlafen, hält sie ihre Hände mit einer segnenden Geste über die Stirn von Tschick: „Lautlos geborgen und im Schutz meiner Hände und der schirmenden Nacht liegt er da.“

Herrndorf hat seinem absturzgefährdeten Engel keine kleinen symbolischen Lasten auf die schmalen Schultern geladen. Und doch stilisiert er Isa nicht zu einer kindfraulichen Prekariats-Ikone. Davor, ihre schamlose Unschuld mit verrotzter Emphase zum Inbild verklärter Weiblichkeit zu überhöhen, bewahrt ihn neben hochfeiner Komik vor allem seine Sprache. Er, der einen neuen Ton in die Gegenwartsliteratur gebracht hat, düpiert hier die bemühten Plagiatoren juveniler Rollenprosa im Schulhof-Sound, all jene, die sich das Seepferdchen-Abzeichen der Streetcredibility erschreiben wollen und doch nur durch Kitschpfützen waten. Herrndorfs Poesie ist von ganz anderer, ungekünstelter Art, pur und direkt, unendlich traurig und berückend schön. „Der Abgrund zerrt an mir“, sagt Isa einmal. „Aber ich bin stärker. Ich bin nicht verrückt...Ich bin dieselbe. Ich bin das Kind.“ Man merkt: Was dieser Autor seiner Isa souffliert, ist durch ihn hindurchgegangen oder, wie man früher gesagt hätte, „empfunden“.

„Bilder deiner großen Liebe“ gehört schon jetzt in die Reihe jener Werke der Literatur, die den Begriff des Fragments umgewertet haben. Wie Franz Kafkas unvollendete Romane oder Georg Büchners „Woyzeck“ haben sie aus dem, was vormals der Name eines Makels war, einer defizitären Form, ein eigenes literarisches Genre begründet.

In der letzten Szene spielt Isa mit einer Pistole, die sie bei einem toten Jäger im Wald gefunden hat. Sie schießt senkrecht in die Luft und sieht, wie die Kugel aufsteigt und dann wieder zu fallen beginnt, „millimetergenau zurück in den Lauf der Waffe“. Eines wusste sie schon immer, dass sie so sterben will: fallen. Am 26. August 2013 schoss sich Wolfgang Herrndorf am Berliner Hohenzollernkanal eine tödliche Kugel in den Kopf, um sein Leiden selbstbestimmt zu beenden. Seine kleine Schwester Isa hat er zurückgelassen, und die Geschichte dieser beiden, die nur zu Besuch auf der Erde waren, Wolfgang Herrndorfs Vermächtnis, sie trifft mitten ins Herz.

Wolfgang Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe. Ein unvollendeter Roman. Rowohlt Berlin 2014. 144 Seiten, 16,95 Euro. E-Book 14,99 Euro

Brutkasten des Terrors

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Zweifellos ist es mit Bedeutung aufgeladen, wenn Amerikas Präsident die Leitung des UN-Sicherheitsrats persönlich übernimmt. In mehr als sechs Jahrzehnten war das nur einmal der Fall. 2009 hatte sich Barack Obama zum ersten Mal auf den grauen Stuhl des Präsidenten des Sicherheitsrats gesetzt, damals ein Zeichen der neuen Bedeutung, die internationale Zusammenarbeit in Amerikas Außenpolitik spielen sollte. Am Mittwoch nun kam Obama erneut in den Norwegischen Saal, wo der Mächte-Rat im New Yorker UN-Hauptquartier tagt. So wollte er demonstrieren, wie wichtig der Weltmacht die Verabschiedung der von ihr eingebrachten Resolution gegen die Foreign Fighters ist, gegen die internationalen Unterstützer der Dschihadisten, die es in den vermeintlich heiligen Krieg vor allem nach Syrien und in den Irak zieht.

Über deren Zahl gibt es nur Schätzungen auf einer nach oben offenen Unsicherheitsskala. Die seriösesten Zahlen hat im Sommer wohl das Soufan Institute vorgelegt. Die New Yorker Politik-Beratungsfirma schätzte damals, dass seit Beginn des Konflikts vor drei Jahren mehr als 12000 Ausländer aus 81 Ländern nach Syrien gekommen sein dürften. Ein Viertel von ihnen stammt der Studie zufolge aus dem Westen: sehr viele aus Frankreich (mehr als 700) und Großbritannien (400), aber auch aus Deutschland (270), Australien (250), Kanada (30) oder den USA selbst (mehr als 70). Aus Russland kommen mehr als 800 Kämpfer. Die meisten der Foreign Fighters indes sind Glaubensbrüder aus dem arabischen Raum.



Seit kurzem fliegen die USA Luftangriffe gegen den IS

Die Zahlen dürften sich seither deutlich erhöht haben. Präsident Obama sprach vor dem Sicherheitsrat von mehr als 15000 ausländischen Terroristen. Der deutsche Verfassungsschutz taxiert die Zahl der Terrormigranten aus Deutschland inzwischen auf „weit“ mehr als 450. Die meisten zog es zur IS-Miliz. Neben dem Kalifen Ibrahim dürfte ein Foreign Fighter der bekannteste Mann des „Islamischen Staats“ sein: Dschihadi-John. Der junge Brite hat zwei US-Journalisten und einen britischen Nothelfer vor der Kamera enthauptet und so das Image des Kalifat-Staats als Barbarenhorde mitmodelliert.

Militärisch sind die Westler indes weniger wichtig: Die Kampferfahrungen von Figuren wie dem deutschen Rapper Denis Cuspert alias „Deso Dogg“ dürfte über Prügeleien mit Club- Türstehern und Messerstechereien unter Kleinkriminellen kaum hinausreichen. So bewachen – und ermorden – Terror-Touristen wie Dschihadi-John meist Gefangene, andere sterben als Kanonenfutter oder Selbstmordbomber wie der 21-jährige Deutsche, der sich vermutlich im Juli in Bagdad in die Luft sprengte und 54 Menschen in den Tod riss. Ihre über die sozialen Netzwerke mit großen Aufwand bekannt gemachte Anwesenheit im Kalifat erweckt aber in jedem Fall den Eindruck, der IS sei eine irgendwie attraktive politisch-religiöse Kraft selbst in nicht-islamischen Teilen der Welt. Und darauf kommt es dem „Islamischen Staat“ an.

Als Kämpfer stützt sich der Kalif neben den sunnitischen Einheimischen aus dem Irak und Syrien auf ganz andere: Bei den „Gotteskriegern“ aus den arabischen und islamischen Staaten sind die Zahlen weit höher als bei den Westlern. Die größte Gruppe ausländischer Mudschaheddin stellen angeblich die Tunesier mit mindestens 3000 Kämpfern. Dazu 2500 Saudis, 2000 Jordanier, 1500 Marokkaner und jeweils Hunderte Libanesen, Ägypter, Libyer, Türken. Auch diese Zahlen dürften deutlich zu niedrig sein: Dschihad-Aspiranten werden wegen der Geheimdienstüberwachung der Islamistenszene in ihren Heimatländern kaum noch direkt an die türkisch-syrische Grenze reisen, sondern Umwege nehmen. In der Türkei waren allein 2013 rund 1100 ausländische Dschihadisten festgenommen worden. In Ländern wie Libyen, wo fast schon Bürgerkrieg herrscht, erhebt ohnehin keiner Zahlen: Der Staat ist lahmgelegt. Bescheid wissen über die internationale Kämpferszene dort dürften am ehesten die Dschihadisten-Milizen, die in Teilen Libyens regieren.

Sehr wichtig für den IS sind auch die Kämpfer aus weiter nördlich oder östlich gelegenen Muslim-Staaten: Afghanen, Pakistaner, Bangladeschis, angeblich sogar chinesische Uiguren. Neben Zentralasiaten wie Usbeken und Tadschiken gesellen sich aus den muslimischen Teilen des Kaukasus Tschetschenen, Inguschen und Dagestaner dazu. Dass Moskaus Dienste den Überblick haben, steht zu bezweifeln. Die oft genannte Zahl von knapp 200 Tschetschenen etwa scheint angesichts der massiven Präsenz ihrer „Brigaden“ im Internet viel zu niedrig.

Wichtiger als die nackten Zahlen ist zudem, dass Araber, Afghanen, Pakistaner, Zentralasiaten und Kaukasier längst Dschihad-gestählt sind. Viele libysche Islamisten zogen während der Gaddafi-Diktatur auf Druck des Regimes in ferne Kriege, seit dem Sturz des Herrschers 2011 kämpfen sie untereinander in ihrer Heimat. Das Schießen muss ihnen jedenfalls keiner mehr beibringen. Hohes Ansehen genießen auch die Tschetschenen. Weniger, weil die Kaukasier den Islam besonders gut kennen oder verständliches Arabisch sprechen, sondern wegen ihrer Expertise: Die Tschetschenen haben zwei Kriege gegen Moskau ausgefochten. Afghanen, Pakistaner und Zentralasiaten haben ohnehin jahrelang geschossen, im Dauerkrieg am Hindukusch. Afghanistan, aber auch Bosnien sind oder waren Dschihad-Hochschulen. Viele ausländischen IS-Kämpfer haben dort „gelernt“, Netzwerke geknüpft und so den Weg ins Kalifat gefunden.

Indes ist es wohl weniger die Angst vor der militärischen Kampfkraft der Dschihad-Veteranen oder die Abscheu über die Brutalität der jungen Kopfabschneider aus dem Westen wie Dschihadi-John, die die Amerikaner dazu veranlasst hat, die Foreign Fighters per UN-Resolution international ächten zu lassen. Vielmehr dürfte es die Sorge sein, dass die internationale Migration der Dschihadisten nach Syrien „ein Brutkasten für eine neue Generation von Terroristen“ wird, wie es warnend in der Studie des Soufan Institute heißt. Eine neue Generation von Terror-Eleven, die sich nur schwer überwachen und kontrollieren lassen, weil sie Pässe befreundeter Nationen besitzen und – theoretisch zumindest – mit simplem Touristenvisum in die USA einreisen könnten. „Wenn es je eine Herausforderung in unserer vernetzten Welt gegeben hat, die nicht von einer Nation allein bewältigt werden kann,“ sagte Barack Obama denn auch bei den Vereinten Nationen, „dann ist es diese: Terroristen, die Grenzen überwinden und unsägliche Gewalt entfesseln könnten.“

Von wegen schrumpeliger Apfel

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Für die Spötter im Internet ist das neue, übergroße iPhone 6 Plus so etwas wie ein magischer Löffel. Übt man ausreichend Druck aus, verbiegt sich das Aluminiumgehäuse des Geräts und bleibt krumm – trotz gläsernem Bildschirm und oft gerühmter Apple-Qualität. Als hätte Uri Geller bei der Entwicklung geholfen. Oder Salvador Dalí, wie eine Fotomontage glauben macht, die das Smartphone formschön-surreal von einer Tischkante herabfließen lässt. Es gibt bereits Parodien auf die Werbespots im typisch pathetischen Apple-Tonfall, in denen die Biegsamkeit des bis zu 1000 Euro teuren Telefons gerühmt wird: Man könne endlich das Smartphone an die Körperform anpassen, es viel bequemer in der Hosentasche tragen. „Bend the rules“, biege die Regeln, so der knappe Slogan. Für Apple müsste das ein PR-Desaster sein. Ist es aber nicht: Zehn Millionen seiner beiden neuen iPhone-Modelle hat der Konzern am ersten Wochenende verkauft. Eine Million mehr als beim Verkaufsstart des Vorgängermodells.

Ein Widerspruch? Nur auf den ersten Blick.



Das iPhone ist alles andere als perfekt und trotzdem beliebt

Vier Jahre ist es her, dass Blogger schon einmal Abgesänge auf Apple anstimmten. Vom „Antennagate“ schrieben sie, nachdem Nutzer des neuen iPhones aus dem Mobilfunknetz flogen, weil sie es falsch in die Hand nahmen. Der Gründer und damalige Konzernchef Steve Jobs sagte nur, kein Telefon sei perfekt. Damit war keines der technischen Probleme gelöst, aber Apple hatte seinen Anhängern ein Argument geliefert, mit dem sie begründen konnten, warum sie das Gerät dennoch kaufen. So schweißte eine Panne, die Kunden woanders verschreckt hätte, sogar noch zusammen. Eine verschworene Gemeinschaft, in der die Marke nicht geschwächt, sondern gestärkt wird, so deutet es Markus Giesler, der in Kanada zu Konsumkultur forscht. „Wie bei einer Theateraufführung geht es nicht unbedingt nur darum, ob aus dem Publikum Buhrufe kommen. So lange die Leute über die Aufführung reden, wird sie nicht abgesetzt.“

Apple ist gelungen, womit nur sehr wenige reüssieren: Der Konzern hat über Jahre hinweg einen Mythos geschaffen. Von einem kleinen Rebellen, der gegen die Großen antritt, um die Welt zu verbessern oder zumindest etwas schöner zu machen. Mit iPod, iPhone und iPad hat der Konzern ganze Branchen umgewälzt – und diesen Mythos begründet. Mit dem schlichten Design, der perfekten Harmonie zwischen Hard- und Software, und, ja, auch dem zum iGott stilisierten Steve Jobs, wurde dieser Mythos gestärkt. Er macht die Marke Apple so stark – und die Kunden so treu.

Wer einmal ein iPhone gekauft hat, das zeigen Umfragen, der kauft viel häufiger wieder ein iPhone als all diejenigen, die ihr Smartphone aus der Vielzahl jener Geräte mit Googles mobiler Software Android auswählen oder öfter mal was Neues wagen. Der Mythos der Marke Apple, der von Freunden ebenso weitergetragen wird wie vom Verkäufer im Mobilfunkladen, ist stärker als jeder technische Produkttest.
Doch wie lange kann ein Konzern von diesem Mythos zehren – wenn die Qualität seiner Produkte nicht mehr stimmt?

Apple kämpft nicht nur mit dem Spott über die verbogenen iPhones, sondern auch mit einer weitaus gravierenderen Panne: Das neue Betriebssystem, iOS 8, das bereits von Millionen Menschen auf iPad und iPhone aufgespielt wurde, ist fehlerhaft. So fehlerhaft gar, dass viele Nutzer mit der neuesten Programmversion ihr Telefon nicht einmal mehr zum Telefonieren nutzen können. So fehlerhaft, dass Apple das Update nun zurückgerufen hat.

Hinzu kommt: Längst hat die Konkurrenz von Samsung, Sony, HTC und Motorola technisch zu Apple aufgeschlossen oder den Konzern in manchen technischen Details gar überholt. Die meisten angepriesenen Funktionen der neuen iPhones – auch dies wird im Netz durchaus mit Süffisanz gestreut – finden sich bereits in Android-Geräten aus dem Jahr 2012. Hinsichtlich Kundendienst, Garantieerfüllung und Kulanz im Schadensfall pflegt Apple mit sündteuren Reparaturkosten und knappen Reklamationsfristen auch eher mythisches Image als guten Service. Und doch hält Apple seinen Anteil auf dem Markt der Smartphones seit Jahren recht stabil. Dass Apples Kunden besonders treue Kunden sind, liegt nach Ansicht von Annette Zimmermann, Analystin bei Gartner, nicht zuletzt daran, dass Apple mit seinen gut aufeinander abgestimmten Geräten und dem Speicherdienst iCloud, auf den sich via Internet zugreifen lässt, eine Art goldenen Käfig geschaffen hat. „Innerhalb dieses Systems funktioniert der Austausch von Daten prima. Und dem einzelnen ist es viel zu aufwendig und zu teuer, dieses System zu verlassen“. Da nimmt man dann eben auch mal in Kauf, dass sich das iPhone in der Hosentasche verbiegt. Laut Apple beschwerten sich bisher exakt neun Nutzer über verbogene Geräte – das Modell sei ausgiebig auf Belastungsfähigkeit getestet worden, erklärte der Konzern.
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