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„Kampffähigkeit“ für 4000 Kurden

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Deutschland liefert den Kurden im Nordirak Panzerabwehrraketen, Panzerfäuste und Gewehre für ihren Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Das beschloss eine Ministerrunde unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (ebenfalls CDU) sagte im Anschluss an das Treffen,die Waffenlieferung reiche aus, um einen Großverband von 4000 Soldaten so auszustatten, dass sowohl der Schutz des einzelnen Soldaten gewährleistet als auch, etwa durch Funkgeräte, die „Führungsfähigkeit“ des Verbands sichergestellt sei. Außerdem wolle man durch Fahrzeuge die Mobilität des Verbands und die „Kampffähigkeit“ herstellen. Das strategische Ziel bestehe darin, dass die kurdischen Peschmerga-Kämpfer die von ihnen gehaltenen Räume verteidigen und „gegebenenfalls in begrenztem Maß“ auch verlorene Räume zurückerobern könnten.



Ab sofort schickt Deutschland tragbare Panzerabwehrwaffen in den Irak.

Die Kurden sollen 30 Startgeräte für Panzerabwehrraketen des Typs Milan mit 500 zugehörigen Lenkflugkörpern erhalten. Hinzu sollen aus Bundeswehr-Beständen unter anderem 200 mal die Panzerfaust 3 samt Munition, 10000 Handgranaten, 16000 Sturmgewehre der Typen G3 und G36, 40 Maschinengewehre sowie 8000 Pistolen vom Typ P1 kommen, jeweils mit Munition. Zudem können die Kurden mit 100 Lastwagen, einem Tanklastwagen und fünf gepanzerten Fahrzeugen des Typs Dingo ausgerüstet werden. Hinzu kommen etwa Funkgeräte, Schutzwesten, Nachtsichtgeräte und Schutzbrillen.

Die Lieferungen sollen in drei Tranchen erfolgen, wobei nach Angaben von der Leyens vor Lieferung der dritten Tranche genau überprüft werden solle, was noch gebraucht werde. Zur dritten Tranche sollen zum Beispiel 8000 Sturmgewehre vom Typ G36 und die fünf Fahrzeuge des Typs Dingo zählen. Die erste Tranche soll innerhalb des Monats September geliefert werden. Von Deutschland aus geht die Fracht zunächst in die irakische Hauptstadt Bagdad und von dort weiter nach Erbil, wo die Waffen und sonstigen Ausrüstungsgegenstände dann an die Peschmerga übergeben werden sollen. Die Ausbildung an den Milan-Abwehrraketen soll nach Aussage der Verteidigungsministerin in Deutschland erfolgen. Waffen, für die keine längere Einweisung erforderlich ist, sollen hingegen direkt den Kurden übergeben werden. In keinem Fall werde dafür ein Mandat des Bundestags notwendig sein.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nannte die IS-Kämpfer „eine tödliche Gefahr“. Es gehe um eine „existenzielle Bedrohung“ für den gesamten Staat Irak. Gelinge es nicht, die Miliz zurückzudrängen, würde dies die fragile Ordnung in der Region „bis ins Mark erschüttern“. Es drohe dann ein „Flächenbrand“, sagte Steinmeier. „Die Folgen, das liegt auf der Hand, sind nicht nur für die Nachbarschaft, sondern auch für Europa und damit Deutschland unabsehbar.“ Man dürfe „nicht abseits stehen, wenn andere versuchen, diesen Gefahren zu begegnen“, sagte Steinmeier. Er betonte, dass sich die deutsche Unterstützung nicht auf Waffenlieferungen beschränke – stattdessen setze man ebenso die humanitäre Hilfe fort. Zudem müsse die Militärhilfe in eine „politische Strategie“ eingebettet werden.

Die Grundsatzentscheidung, die Armee der kurdischen Autonomieregierung zu beliefern, war schon vor mehr als einer Woche gefallen. An diesem Montag soll über das Thema im Bundestag debattiert werden, wo Kanzlerin Merkel die Linie der Regierung darlegen will. Zudem soll es einen sogenannten Entschließungsantrag geben, mit dem sich die Fraktionen der Regierungspartner Union und SPD hinter das Handeln der Regierung stellen wollen. Der Antrag hat keine bindende Wirkung, soll aber das Parlament zumindest symbolisch einbinden. Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) nannte die Frage der Waffenlieferungen am Sonntag vor dem Treffen der Ministerrunde „eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich in meinem Leben bislang treffen musste“.

Die Angst liest mit

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Es klang bedrohlich, was russische Nachrichtenagenturen am Sonntag vorab von einem Interview meldeten, das Präsident Wladimir Putin dem staatlichen Ersten Kanal gegeben hatte. Und Bedrohungen sind umso wirksamer, wenn sie die Phantasie anregen. „Es müssen umgehend substanzielle inhaltliche Verhandlungen anfangen“, forderte Putin, „nicht zu technischen Fragen, sondern zu Fragen der politischen Organisation der Gesellschaft und der Staatlichkeit im Südosten der Ukraine.“ Fragen der Staatlichkeit? Was er damit konkret meint, überließ Putin ebenso der Vorstellungskraft seiner Anhänger und Gegner wie die Frage, welches Gebiet er im Sinn hat, wenn er von der „Südostukraine“ spricht.



Was hat Putin vor?

Seit der Annexion der Krim im März fordert Moskau eine Föderalisierung der Ukraine – vorgeblich, um den überwiegend russischsprachigen Regionen im Osten und Süden mehr Eigenständigkeit zu geben. Die Regierung in Kiew hat ihre Bereitschaft bekundet, Macht abzugeben, möchte dafür aber ordentlich legitimierte Verhandlungspartner haben, die aus den Wahlen im Oktober hervorgehen sollen. Ob „Verhandlungen über die Staatlichkeit“ nur eine andere Formulierung für die alte Forderung nach Föderalisierung ist, oder ob Putin eine weitergehende Autonomie im Sinn hat, ließ er offen. Beispiele für andere Formen gibt es in Russlands Einflussgebiet einige: Die von Moskau unterstützte De-facto-Autonomie der Region in Transnistrien; die vorgeblich eigenständigen Staaten in den von Georgien abgetrennten Regionen Abchasien und Südossetien, und nicht zuletzt das Krim-Szenario mit Anschluss an Russland.
Der Schrecken über diese Formulierung war offenbar größer, als man im Kreml erwartet hatte. Noch am Nachmittag versuchte Putins Sprecher Dmitrij Peskow zu beruhigen: Moskau habe keineswegs vor, „Neurussland“ als eigenen Staat zu etablieren. Auch über diplomatische Kanäle versicherten die Russen westlichen Regierungen, es sei nicht ihre Absicht, die Region als Staat anzuerkennen.

In seinem angeblich bereits am Freitag aufgenommenen Interview forderte Putin noch einmal, dass Kiew die von Russland geförderten Separatisten als Verhandlungspartner anerkennt. Die anstehenden Wahlen sind da aus Moskauer Sicht eher ein Problem: Alle, die an diesem Wahlkampf teilnehmen, wollten ihre Entschlossenheit demonstrieren, sagte Putin. „Alle wollen zeigen, dass sie starke Mädels und Jungs sind.“ In solch einer „sich verschärfenden politischen Situation“ könne man nicht damit rechnen, dass Politiker für den Frieden eintreten.

Umkämpft waren im Osten der Ukraine lange nur die Städte Donezk und Luhansk und das Umland, bis in der vergangenen Woche Einheiten eine dritte Front im Süden aufmachten, die nach Einschätzung Kiews und seiner Unterstützer in Europa, den USA und der Nato aus regulären russischen Soldaten bestehen. Beobachtungen von Bürgern und Journalisten vor Ort bestätigten dieses Urteil.

Doch Putin nannte weder Donezk noch Luhansk beim Namen, noch verwendete er den Begriff „Neurussland“. Die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk erkennt Moskau bisher nicht an. Die aus dem 18. Jahrhundert stammende Bezeichnung Neurussland wird in russischen rechts-imperialistischen Kreisen für die Gebiete von Luhansk über Donezk, entlang des Schwarzen Meeres bis zur Republik Moldau gebraucht. Putin hatte sich diesen Begriff erstmals in seiner jährlichen Bürgersprechstunde im russischen Fernsehen im April zu eigen gemacht, zuletzt aber nicht mehr gebraucht. Erst in einer Botschaft an die Separatisten, die der Kreml in der Nacht auf Freitag verbreitete, hatte Putin wieder von Neurussland gesprochen und die Erfolge der prorussischen Einheiten im Kampf gegen die ukrainischen Streitkräfte gelobt.

Genau das trug bei den in Brüssel versammelten Staats- und Regierungschefs zum Entsetzen bei. Der Sondergipfel war einberufen worden, um die zwei Spitzenposten Ratspräsident und Hoher Repräsentant für Außenpolitik zu besetzen, doch zum wirklich schwierigen Thema wurde wieder einmal die Ukraine. Dabei trat der zum künftigen Ratspräsidenten bestimmte polnische Ministerpräsident Donald Tusk nicht als Hardliner auf, sondern eher als Kompromisssucher. Gegenüber Russland werde man einen mutigen Standpunkt einnehmen müssen, aber keinen radikalen, sagte Tusk vor Beginn der Beratungen über neue Sanktionen. Das klang ein bisschen vage, was durchaus der Stimmungslage in Brüssel entsprach.
Die dramatische Zuspitzung der Lage im Osten der Ukraine hat in der EU vor allem eines hervorgerufen: Ratlosigkeit. Die Gespräche in Minsk und vor allem der Handschlag von Kremlchef Wladimir Putin mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko hatten Hoffnungen auf eine zumindest leichte Entspannung beflügelt. Als dann klar wurde, dass Russland mit immer mehr eigenen Soldaten in der Ukraine eingreift und Putin ein Neurussland im Osten des Nachbarlandes propagiert, war das Entsetzen umso größer. „Absolut inakzeptabel“ sei das, sagte der britische Premierminister David Cameron. Eine Antwort der EU sei nötig.

Welche Antwort sich die Ukrainer wünschen, hörten die Gipfelteilnehmer vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko persönlich: eine weitere Verschärfung der vor einigen Wochen beschlossenen Sanktionen. Auf seiner Seite hatte er vor allem die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė, die in Brüssel die Meinung vertrat, Russland habe Europa praktisch den Krieg erklärt. Zum Gipfel brachte sie die Forderung mit, die EU-Staaten zum Export von Militärgütern in die Ukraine zu ermuntern. Durchsetzen konnte sie sich damit nicht. „Ich persönlich halte für Deutschland Waffenlieferungen für nicht angezeigt“, stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel klar. Denn: „Es gibt keine militärische Lösung des Konfliktes.“ Waffenlieferungen könnten den falschen Eindruck erwecken, dass dem doch so sei.

Eine ziemlich „breite Diskussion“, wie Merkel einräumte, gab es auch zur schließlich auf den Weg gebrachten Verschärfung der Ende Juli beschlossenen Wirtschaftssanktionen. Die Sanktionen hätten bisher nichts gebracht, monierte der Tscheche Bohuslav Sobotka, ein Sozialdemokrat. In einem System wie dem russischen werde über „Beschwernisse“ eben nicht offen gesprochen, gab Merkel zu bedenken.
„Wir sind sehr nah am point of no return“, warnte Poroschenko. Schon bald könne es zu einem Krieg im großen Maßstab kommen. Eine Befürchtung war das, die von seinen europäischen Kollegen durchaus geteilt wurde. Zur Ratlosigkeit trug auch das bei.

"The Cut" feiert Premiere

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Es soll ja so etwas geben, dass sich jemand etwas in den Kopf setzt, wider alle Erfahrung und Vernunft, und dann wird die fixe Idee praktiziert, koste es, was es wolle. Im Leben geht schon der Versuch oft in die Irre. In den erzählenden Künsten haben solche Ideen größere Chancen. Das liegt zum einen daran, dass erfundene Gestalten mitsamt fixer Idee erfunden werden können, und zum anderen hat es damit zu tun, dass spätestens nach ein paar Stunden Schluss ist und alle Bewährungsproben, für die große Liebe etwa oder die finale Läuterung, in einem Nirgendwo jenseits des gefallenen Vorhangs stattfinden müssen. Eine gute Dramaturgie, prächtige Bilder, interessante Zeiten können sogar dafür sorgen, dass Leser oder Zuschauer erst eine Weile nach der Vorstellung merken, dass sie längst ins schwarze Loch der Abstraktion gefallen sind. Von drei Filmen im Wettbewerb des Filmfestivals in Venedig ist hier zu berichten, denen das leider nicht gelingt.



Eine sentimentale Abenteuergeschichte: "The Cut" von Fatih Akin.

Der erste ist „The Cut“ des Hamburger Regisseurs Fatih Akin, eine prächtige, für deutsche Verhältnisse auch teure Produktion, der ein großer Rumor vorausging. Der Film sei eine Auseinandersetzung mit dem Massenmord, hieß es, der in den Jahren 1915/16 im Osmanischen Reich an den Armeniern verübt worden sei. Aber das stimmt nicht. Die Geschichte beginnt zwar mit dem großen Schlachten, dem damals bis zu zwei Drittel der armenischen Bevölkerung des Reichs zum Opfer fielen, vor allem im Osten Anatoliens. Aber die Todesmärsche, die Lager und die Massenhinrichtungen dienen in diesem Film nur als – wenn auch ausführlich erzählter – Anlass eines ganz anderen Geschehens, nämlich der unendlich mühsamen und dann auch nur zum Teil gelingenden Zusammenführung einer Familie. „The Cut“ ist eine sentimentale Abenteuergeschichte vor geschichtlichem und vor allem sehr orientalischem Hintergrund, der sich nicht im Mindesten um historische Ableitungen, politische Auseinandersetzungen oder moralische Urteile schert. Gewiss, über den mordenden Soldaten weht der rote Halbmond. Aber sie hätten, ohne die eigentliche Intrige zu beschädigen, auch durch die Ustascha oder die Truppen des Imperators Palpatine ersetzt werden können.

Vielleicht ist die radikale Entpolitisierung der Preis dafür, überhaupt einen Publikumsfilm zu drehen, in dem der Massenmord an den Armeniern zum Gegenstand wird – zumal von einem Regisseur, der aus einer Familie türkischer Einwanderer stammt: Fatih Akin empfing schließlich, schon lange bevor der Film irgendwo zu sehen war, Drohungen türkischer Nationalisten. Aber ist der Preis nicht etwas zu hoch? Oder war es umgekehrt, so nämlich, dass das Bedürfnis, einen Publikumsfilm zu drehen, von vornherein alles intellektuelle Potenzial zum Erlöschen brachte? Über gut zehn Jahre erstreckt sich die Geschichte, in der Nazaret, der junge Schmied aus Mardin (Tahar Radim), nach dem großen Morden nach seinen beiden Töchtern sucht, und auch wenn am Ende ein paar weiße Strähnen in seine dunklen Locken geflochten sind, so behält er doch, allen Strapazen zum Trotz, dasselbe Gesicht und dieselbe Statur, und immer wieder blickt er den Zuschauer mit seinen schönen, milden, dunklen Knopfaugen an. Wenn er zu Beginn, in dem Idyll, das der Katastrophe vorausgeht, seine Kinder liebkost, so tut er das auf dem Niveau einer Vorabendserie, und wenn er auf seiner langen Reise von einem Seifenfabrikanten aufgelesen wird, dann trifft er auf einen weisen alten Mann wie aus einem orientalischen Märchen.

Es sind Bilder der Wanderschaft und Genreszenen, die diesen Film beherrschen. Immer ist Nazaret unterwegs, manchmal mit, manchmal ohne Ranzen, manchmal mit, manchmal ohne Schuhe, manchmal mit, manchmal ohne Bart. Er läuft, so weit die Füße tragen, auf sich windenden Schotterstraßen, auf Eisenbahngleisen, über Hügelrücken im Gegenlicht. Dazu spielen gelegentlich ein paar elektrische Gitarren mit viel Hall nach Motiven aus der armenischen Volksmusik. Und Aleppo sieht aus, wie man sich das historische Aleppo vorstellt, und Havanna tut das auch, und in North Dakota ist der Wilde Westen zu Hause, was sonst. Das Exotische ist hier Kolorit, und es wird nicht plausibler dadurch, dass in diesem Film alle Völker in ihren Sprachen reden dürfen, aber nur die Armenier die einzig internationale Sprache sprechen müssen: schlechtes Englisch. Das muss vielleicht so sein, denn das Herz spricht ja ebenfalls nur eine Sprache, und auch sie ist universal. Aber so kommt es, dass sich der Zuschauer schon lange vor dem finalen Wiedersehen des Eindrucks nicht erwehren kann, einem Unternehmen wider Erfahrung und Vernunft beizuwohnen, der fixen Idee eines historisch brisanten Abenteuerfilms, und die Schönheit der Landschaften mildert diese Wirkung nicht. Im Gegenteil: Spätestens bei der letzten Umarmung auf einem Friedhof in verschneiter Prärie stellt sich dringend die Frage, was die beiden Sympathieträger jetzt wohl miteinander anfangen werden.

Die fixe Idee, der zwei nicht mehr ganz junge, aber doch eher wohlhabende Damen aus der kleinen Stadt Valence im Südosten Frankreichs anhängen, ist ein Mann. Von Beruf inspiziert er Steuern, und auch sonst gäbe es, abgesehen vielleicht von einer gewissen Bereitschaft zur Empathie gegenüber Frauen, nicht viel Bemerkenswertes über ihn zu sagen. In „3 cœurs“ („3 Herzen“), einem Film des französischen Regisseurs Benoît Jacquot, verpasst eben jener Inspektor (Benoît Poelvoorde) den letzten Zug nach Paris, bleibt bis zum nächsten Morgen in der Provinz hängen und lernt auf einem langen Spaziergang durch die Nacht seine Zufallsbekanntschaft Sylvie (Charlotte Gainsbourg) kennen und schätzen. Da dies auf Gegenseitigkeit beruht, kommt es zu einer Verabredung in Paris, zu der aber der Held aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstande zu spät kommt, worauf er sich wieder in die Provinz begibt, dort aber zufällig nicht auf Sylvie trifft, sondern auf deren Schwester Sophie (Chiara Mastroianni). Und so nimmt eine Intrige ihren Lauf, in der es Zufälle hagelt wie in einer „opera buffa“ – und das alles offenbar nur, um eine nicht besonders komische, sondern eher tragische Idee zu befördern: die melodramatische Vorstellung der unbedingten (auch im Sinne von: grundlosen) Liebe, um derentwillen bürgerliche Existenzen zerstört, Kinder verlassen und Menschen fast um den Verstand gebracht werden. Doch weil dies ein französischer Film ist und der Salon keine Katastrophen duldet, sind die Folgen beherrschbar und die Darsteller sympathisch.

Die dritte fixe Idee heißt Clara. Einst, behauptet der amerikanische Regisseur David Gordon Green in seinem Film „Manglehorn“, war sie die Geliebte von A. J. Manglehorn, doch scheiterte das Verhältnis am Unvermögen des Helden, sich, wie es im Film so schön heißt, „zu öffnen“. Jetzt sind vierzig Jahre vergangen, und der alte Manglehorn betreibt passenderweise einen Schlüsseldienst in einer texanischen Kleinstadt. Die Tage gehen dahin, während der Held jeden Tag an seine verlorene Liebe schreibt, die Briefe ungeöffnet zurückbekommt und ansonsten als Misanthrop, Zyniker und Anwalt des einfachen, aber ehrlichen Lebens durch eine Welt zieht, die hauptsächlich aus armen Vororten, Imbissbuden und alten, aber moderat schrägen Figuren besteht. Selbstverständlich wird der graue Wolf von allerhand Versuchen heimgesucht, ihn wieder zu einem halbwegs guten Menschen machen – und selbstverständlich gelingt das auch: Denn die Metapher muss ja aufgelöst und das Herz des großen Schlossöffners selber aufgeschlossen werden. Das wäre nichts weiter als noch eine amerikanische, wider alle Erfahrung und Vernunft angelegte Läuterungsphantasie, wenn A.J.Manglehorn nicht einen Darsteller hätte, bei dem es fast gleichgültig ist, welchen allegorischen Blödsinn er spielt: Leicht und angenehm wäre es, Al Pacino noch viel länger zuzuschauen als nur die eineinhalb Stunden, die dieser Film währt.

Blütezeit

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Auf dem Cover prangt ein großes grünes Dollar-Zeichen, geformt aus Marihuanablüten und -blättern. Die Titelgeschichte der aktuellen High Times handelt vom Geschäft mit Gras samt Tipps für Start-up-Gründer und für die Jobsuche auf dem Marihuana-Markt. Seit der kompletten oder zumindest partiellen Legalisierung in halb Amerika erlebt er eine Goldgräberstimmung wie kein anderer.
Außerdem liefert das Monatsmagazin eine Gebrauchsanweisung zum Anbau von Marihuana in Hydrokulturen, Nachrichten über allerlei Verhaftungen und sonstige Polizeiaktionen gegen Anbauer und Konsumenten und einen Hintergrundbericht zum effizientesten Marihuanalabor der Welt. High Times ist ein Fachblatt für Kiffer, nach eigenen Angaben die „Nummer eins Nachrichtenquelle für Cannabis-Informationen und -Kultur“.



Seit Marihuana in einzelnen US-Bundesstaaten legalisiert wurde, brummt das Geschäft.

Das Novemberheft ist die Jubiläumsausgabe der High Times, die in diesem Jahr 40 wird. In einer Zeit schrumpfender Auflagen bei fast allen Zeitungen und Zeitschriften weltweit geht es High Times besser als je zuvor. Die genaue Auflage verraten die Verleger nicht, aber das Magazin mit Redaktionssitz mitten in Manhattan sei profitabel. 13 Ausgaben des Monatsmagazins kosten 29,99 Dollar. Das Heft wird immer dicker – und jede Ausgabe hat 70 bis 80 Seiten Werbung, gut zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Es werben Bonghersteller, legale Marihuanaapotheken und Hanfsamenbanken. Vor allem die Anzahl der Onlineleser steigt rasant: binnen gut einem Jahr von einer auf mehr als fünf Millionen Unique Visitors pro Monat. Bei Twitter hat das Magazin 427000 Follower, bei Facebook 3,7 Millionen Likes. Nach Verlagsangaben verdoppelten sich die Onlinewerbeerlöse in einem Jahr. „Wir sind die Marke in der Branche, der die Leute am meisten vertrauen“, sagte High-Times-Verlegerin Mary McEvoy dem Magazin Time. „Niemand kommt an unsere Integrität auch nur heran, wenn es um Informationen über Cannabis geht.“

Für die guten Zeiten bei High Times gibt es einen Grund: Die Kifferbranche boomt. Von 2002 bis 2010 ist der Marihuanakonsum in den USA um 40 Prozent gestiegen, Konsumenten gaben im Jahr 2010 zwischen 30 und 50 Milliarden Dollar dafür aus, hat das Rechercheinstitut Rand Corporation im Auftrag der US-Drogenaufsichtsbehörde ermittelt. Laut einer Studie des auf die Branche spezialisierten Marktforschers Arcview Market Research wächst der Markt für legales Kiffen von heute 1,4 Milliarden Dollar auf mehr als 10 Milliarden Dollar in fünf Jahren. Zwischen 2013 und 2014 soll die Branche um 64 Prozent wachsen. Hinzu kommen die Milliarden, die sich mit Zubehör für Kiffer oder Equipment für die Produktion erzielen lassen.
In den Bundesstaaten Washington und Colorado ist Gras nach Volksabstimmungen bereits völlig legal. Allein zum Verkaufsstart am 1. Januar haben die Kunden in Colorado mehr als eine Million Dollar ausgegeben. In 20 Staaten und in der Hauptstadt Washington D.C. darf man zumindest mit einer medizinischen Erlaubnis kiffen. Inzwischen sind 58 Prozent der Amerikaner für die Komplettfreigabe.

Die Legalisierungswelle verändert auch die Medienbranche. Die Denver Post, eine seriöse Lokalzeitung, hat inzwischen einen Marihuana-Redakteur. Und andere Onlinemedien machen High Times Konkurrenz, zum Beispiel das Start-up Leafly, das aus Seattle eine Internetplattform mit Nachrichten betreibt und eine Datenbank, in der Kiffer Geschmack und Wirkung verschiedener Marihuanasorten nachschlagen und bewerten können.

Wie viele Magazine hat sich High Times breit aufgestellt und nach Umsatzquellen jenseits des reinen Journalismus gesucht. Es gibt nicht nur das Printmagazin und die Onlineseite heraus, sondern auch Fachbücher zum Thema, Videodokumentationen und sogar eine CD mit Hip-Hop-Musik. Inzwischen verdient der Verlag auch Geld als Eventmanager, vor allem mit dem „Cannabis Cup“ genannten Festival, eine Mischung aus Branchenmesse und Kifftreff, bei dem sich Start-up-Unternehmer vorstellen können, Firmen für ihre Produkte werben und eine Jury die beste Marihuanapflanze kürt. Es gibt Musik, Comedy und Seminare zu Kochkunst mit Cannabis. Seit 1987 organisiert High Times Cannabis Cups in Amsterdam, seit vier Jahren auch in den USA – das war der Durchbruch. Inzwischen gibt es neben dem in Amsterdam auch Festivals in Seattle, Los Angeles, San Francisco und dem Örtchen Clio in Michigan. Am kommenden Wochenende findet ein Cup in Seattle statt, die Eintrittskarte für beide Tage kostet 120 Dollar. High Times erwartet mehr als 40000 Besucher. Bob Marleys Reggaeband The Wailers wird ihr Legend-Album zum Besten geben.

Gerade ist das Magazin dabei, sich noch weiter von der Medienbranche zu entfernen: Der Herausgeber Michael Kennedy hat mit Geschäftspartnern einen Private-Equity-Fonds gegründet. Bis Ende des Jahres wollen sie 300 Millionen Dollar bei Anlegern einsammeln und dieses Geld in junge Marihuanaunternehmen investieren. Die Mindesteinlage für den High Times Growth Fund liegt bei 500000 Dollar.
Es gibt zwar eine wachsende Anzahl von Start-ups in der Branche, die Hanf anbauen, E-Zigaretten oder Cannabisschlaftabletten erfinden, Haschkekse backen oder Kochkurse anbieten, allerdings tun sie sich oft schwer, an Geld zu kommen. Banken arbeiten nicht mit ihnen zusammen, oft können die Firmen nicht einmal Konten eröffnen, weil Marihuana zwar in einzelnen US-Bundesstaaten legalisiert wurde, aber noch unklar ist, ob die Drogenbehörden der Bundesregierung die Unternehmer verfolgen. „Wir sind an einem Punkt, an dem Angebot und Nachfrage steigen“, sagte Herausgeber Kennedy der Zeitschrift Businessweek. „Dem High Times Growth Fund geht es darum, den Leuten zu erlauben, damit auch ihren Lebensunterhalt zu verdienen, denn die Banken tun das ja nicht.“

Im Jubiläumsjahr erinnert das Magazin auch an seinen Gründer, den berühmt-berüchtigten Aktivisten, Untergrundjournalisten und Drogenschmuggler Tom Forçade, Herausgeber Kennedy war sein Anwalt. Forçade wollte den Amerikanern mit High Times beibringen, selbst Gras anzubauen. Wenn der Staat die Handelswege nicht kontrollieren kann, so seine Überzeugung, würde sich Marihuana so verbreiten, dass dem Staat bald nichts anderes übrigbleibe, als das Verbot aufzuheben. Forçade hat sich 1978 umgebracht. Und verpasst so nun, wie er 40 Jahre später nicht mehr allzu weit von seinem Ziel entfernt ist.

Woher der Hass? Arbeit

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Vor einigen Jahren gab es eine Fernsehwerbung für Altersvorsorge, in der Kinder auf die Frage antworteten, was sie mal werden wollen. Sie sagten vermutlich kindertypischen Kram (Feuerwehrmann, Tierärztin, Astronautin), ich erinnere mich nicht genau. Wichtig war nämlich nur der Pointen-Junge, denn der sagte: „Rentner!“





Rentner sein, das wünschen sich wirklich viele Menschen. Rentner haben etwa den gleichen Ruf wie Studenten: Angeblich tun beide Gruppen den ganzen Tag nichts, außer das Geld auszugeben, das der Staat ihnen für ihr Dasein schenkt, sie kriegen überall den Eintritt günstiger und fahren dauernd in den Urlaub, die einen mit Rucksack, die anderen mit Rollator, aber alle tiefenentspannt. Student sein bedeutet Freiheit, Rentner sein angeblich sogar noch mehr. Denn nach dem Eintritt in die Rente kommt ja nur noch Freiheit, nach dem Studium aber kommt der Beruf. Und die Menschen hassen es, zu arbeiten.

Vorneweg muss man vielleicht sagen, dass es ziemlich viele beschissene Jobs da draußen gibt. Der Hass auf die Arbeit ist aber auch unter denen verbreitet, die so privilegiert sind, dass sie es sich aussuchen können, in welchem Bereich sie ihr Geld verdienen. Die sollten eigentlich zufrieden sein, trotzdem schimpfen sie sehr viel. Wie stressig wieder alles war. Wie blöd die Kollegen sind. Es gibt einen ganzen Witzartikel-Markt rund um das seltsam negative Verhältnis der Deutschen zur Arbeit, der gleichzeitig noch ihren muffigen Büroflur-Humor abbildet: In jedem Ramschladen kann man Schilder kaufen, auf denen „Für Geld bin ich zu allem fähig, sogar zur Arbeit“ oder „Ich liebe meinen Job, es ist die Arbeit, die ich hasse“ steht. Ja wirklich, Menschen hängen sich so was ins Büro!

Der Grund dafür liegt zwischen protestantischer Arbeitsmoral und dem Dualismus von Arbeit und Freizeit, der einem schon in der Schule eingetrichtert wird. Die Arbeitsmoral sagt: Arbeit darf keinen Spaß machen, denn Geld verdienen ist im Sinne von „Das hast du dir aber auch wirklich verdient!“ gemeint. Da gehört Leiden schon dazu. Und genauso muss man sich eben auch die Freizeit verdienen, in der man tun und lassen kann, was man will und vor allem: was einem Spaß macht.

Nun könnte man ja in seinem Arbeitshass still vor sich hin brodeln, anstatt Witze darüber auf gelbe Schilder zu drucken. Aber der Hass auf die Arbeit hat eine wichtige psychologische und soziale Funktion: die Aufwertung der Freizeit. Wenn man sich nur gründlich genug ärgert, wie schlecht der Kaffee im Büro mal wieder ist und wie hoch der Aktenberg auf dem Schreibtisch, wirken Kaffee und Unordnung daheim gleich viel angenehmer. Immerhin kann man da beim Kaffeetrinken und Aufräumen eine Jogginghose tragen. Fast noch wichtiger ist aber, dass man vor den anderen nicht zu zufrieden ist mit seinem Job. Wer die Arbeit über die Freizeit stellt, der gilt als vertrockneter Typ ohne Sozialleben. Ein bisschen wie der eine Neuntklässler, der Matheunterricht mag.

Aus der Rolle fallen die Menschen in den modernen Arbeitsmodellen. Freiberufler oder Home-Office-Jobber. Die sagen ganz gerne, dass sie ihre Arbeit mögen. Vielleicht, weil bei ihnen Arbeit und Freizeit örtlich schon so nah beieinander liegen, dass der Dualismus aufgehoben wird. Außerdem können sie fast immer eine Jogginghose tragen.

Platzangst am Supermarktregal

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Mit allen Tricks sollen Kunden im Supermarkt zum Kaufen animiert werden. Wer nur eine Tüte Milch will, wird durch den ganzen Laden geführt, für die günstigen Produkte muss man sich stets bücken, während die teuren in Griffhöhe liegen, und das Regallabyrinth führt die Kunden meistens gegen den Uhrzeigersinn durch die Gänge des Marktes. Das soll dem natürlichen Linksdrall vieler Menschen entsprechen und für eine bessere Kauflaune sorgen. Das Konsumverhalten wird aber noch von einem weiteren Faktor beeinflusst, den Supermarktmanager nur bedingt steuern können: andere Menschen.



Andere Menschen beeinflussen das Konsumverhalten.

Wirtschaftswissenschaftler Michael Luck von der Universität Rostock hat Versuchspersonen in verschiedene Geschäfte begleitet, darunter Supermärkte und Bekleidungsläden. Anschließend befragte er sie zu ihrem Kaufverhalten. „Beim Einkaufen möchte man anderen Personen nicht zu nahe kommen und andere Personen sollen einem im Umkehrschluss auch nicht zu nahe kommen“, sagt Luck, der verschiedenen Verhaltensweisen beobachten konnte: Zum einen meiden viele Menschen Regale, an denen gerade andere stehen. Sie gehen weiter, obwohl sie sich das Produkt eigentlich anschauen wollten. Andere warten ab und wenden sich anderen Produkten zu, bis das Regal wieder frei ist.

„Konsumenten sind sich dessen nicht bewusst, aber der persönliche Raum spielt für sie eine große Rolle“, sagt Luck. Käufer hätten Angst, von anderen als Störer angesehen zu werden. Diese negative Bewertung wollen viele vermeiden. Aber nicht nur der Störer fühlt sich unwohl: „Wenn Käufer an einem Regal stehen und andere kommen ihnen zu nahe, beschleunigen manche ihren Einkauf. Sie nehmen einfach das Produkt, das sie gerade sehen und gehen schnell weiter.“ Luck vermutet, dass die Bekanntheit des Produkts bei diesen Schnellkäufen wichtig ist. Weitere Studien sollen zeigen, ob bedrängte Kunden in diesen Situationen häufiger zum Markenartikel greifen als zum Billigprodukt.

Fremde können zwar im Supermarkt Stress auslösen, dennoch wollen die meisten nicht ganz allein einkaufen. „In einem leeren Laden denken viele, die Qualität ist nicht gut oder der Laden schließt bald“, sagt Luck. Der Käufer fühle sich auch dann unwohl. Die optimale Anzahl von Menschen auf einer bestimmten Verkaufsfläche kann bis jetzt aber noch nicht berechnet werden.

Auf Sinnsuche

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Als die Kanzlerin vorfährt, ist der Widerstand schon längst da – fast so wie früher. Kürzlich in Lindau, an einer Mauer gegenüber der „Inselhalle“ hängen Plakate. Eines zeigt die Kanzlerin auf einem Panzer. „Merkels marktkonforme Demokratie“, so steht da zu lesen, „bedeutet Terror der Ökonomie.“ Andere Banner fordern Wirtschaftsnobelpreisträger auf, sich zu schämen für ihre neoliberalen Gedanken, wieder andere fragen: „Ist Ethik ein Fremdwort in den Wirtschaftswissenschaften?“ Wenn die globale Ökonomen-Elite sich alle paar Jahre in Lindau versammelt, zumal in Anwesenheit der Kanzlerin, dann ist die Welt für die Kapitalismuskritiker von Attac wieder wie früher. Oder fast wie früher.

Hinter den Plakaten ist die Stimmung mäßig. Lothar Höfler steht da, 70 Jahre alt, einer der Köpfe von Attac in Lindau. Vor zehn Jahren hatte sich die Gruppe dort gebildet, damals im Kampf gegen die Privatisierung eines Krankenhauses. Heute zählen die Nobelpreisträger-Treffen am Bodensee zu den seltenen Highlights. „Der erste Reiz ist weg“, sagt Löffler. „Jetzt kommt die Knochenarbeit.“ Es gebe Veranstaltungen, da kriege man mit Mühe ein Dutzend Leute zusammen. „Die Leute kriegen den Hintern nicht mehr hoch“, klagt der Aktivist.



Manche Forderungen von einst sind inzwischen Gemeingut.

Wie anders war das zu Beginn des Jahrtausends. Nach dem Liberalisierungs-Jahrzehnt der Neunziger hatte sich weltweiter Protest gegen eine zügellose Globalisierung formiert. Einen Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle hatten Demonstranten schon Ende 1999 vereitelt. In Genua machten sie im Sommer 2001 einen G-8-Gipfel zum Schauplatz des Protestes. Attac, ursprünglich gegründet zur Durchsetzung einer Finanztransaktionssteuer, wurde zu einem der entscheidenden Sprachrohre dieser Bewegung, zur Avantgarde der Kapitalismuskritik. In Deutschland wurde sie später noch befeuert durch Montagsdemos und den Widerstand gegen die Hartz-Reformen.

Und heute? „Attac ist fast gesichtslos geworden“, sagt Peter Grottian, emeritierter Politologe und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac. „Es gibt kaum noch Kampagnen, die wirklich verfangen.“ Grundsätzlich sei es schwerer geworden, Leute zum Bohren dicker Bretter zu motivieren, erst recht für soziale Belange. Mal abgesehen davon, dass manches dicke Brett schon zu Beginn des Jahrtausends überraschend schnell Löcher bekam.

Die Steuer auf Finanztransaktionen, die sich heute noch hinter dem Akronym „Attac“ verbirgt, forderte 2001 plötzlich auch die französische Regierung und kurz darauf der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Später wurde sie zu einer der bevorzugten Lehren aus der Finanzkrise. Der Kampf gegen Steueroasen, seinerzeit ein Kernanliegen der Globalisierungskritiker, steht mittlerweile auf der Tagesordnung von G-8-Gipfeln. Das letzte größere Privatisierungsvorhaben hierzulande, der Börsengang der Deutschen Bahn, ging 2008 grandios baden – nach massiven Protesten auch von Attac und unter tätiger Mithilfe der Finanzkrise.

Wo aber neue große Konflikte entstehen, etwa um umstrittene Freihandelsabkommen wie das transatlantische TTIP, ist Attac nur noch eine Stimme unter vielen neben Linkspartei und Grünen, Künstlerverbänden oder Gewerkschaften. „Trotzdem agiert Attac weiter wie eh und je“, sagt Sven Giegold, einst Mitgründer von Attac und heute Grünen-Abgeordneter im Europaparlament. „Das kann keinen neuen Aufbruch bringen.“ Attac werde sich jedenfalls nicht dadurch mehr Gehör finden, dass es lauter schreie als andere, so der Europa-Parlamentarier.

Die Konkurrenz ist mittlerweile groß, nicht selten reifte sie sogar in den eigenen Reihen. Etwa die „Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit“, die auch vielen Attac-Mitgliedern eine parteipolitische Heimat bot und später in der Linkspartei aufging. Oder die Kampagnenorganisation Campact, die Widerstand im Internet organisiert: Mit ihren Mailaktionen erreicht sie mittlerweile locker 1,4 Millionen potenzielle Unterstützer, ob gegen TTIP oder Fracking. Die Zentrale ist in jenem Ökozentrum in Verden an der Aller untergebracht, in dem einst Attac entstanden war.

Doch während Campact öffentlichen Widerstand organisiert, verzettelt sich Attac in langen inhaltlichen Diskussionen über Was und Wie und Wann. Entscheidungen fallen nur im Konsens, egal ob im Koordinierungskreis oder in der Mitgliederversammlung, dem so genannten „Ratschlag“. Besonders dynamisch macht das die Arbeit nicht. Eine Reihe von „Attacis“ will deshalb beim nächsten Ratschlag eine unabhängige Evaluierung beantragen, um eigene Schwächen aufzuspüren.

Es wäre ein neues Kapitel einer Sinnsuche, die schon seit mehr als sieben Jahren währt. Damals traten die letzten Vertreter des alten Koordinationskreises ab, viele von ihnen hatten sich in den Anfangsjahren profiliert. Bekannte Gesichter verschwanden, unbekannte übernahmen. „Das war damals eine bewusste Entscheidung“, sagt Jutta Sundermann, seit Jahren Mitglied in der Attac-Spitze. „Ob es richtig war, weiß ich nicht.“ Immerhin wachse Attac mit seinen mehr als 27000 Mitgliedern weiter, gebe es überall im Land Ortsgruppen, organisiere das Netzwerk Bildungsveranstaltungen wie die „Sommeruniversität“. Insgesamt aber sei die Arbeit mühsamer geworden. Muss sich Attac womöglich stärker professionalisieren? „Das ist eine sehr gute Frage“, sagt Sundermann.

Attac-Vordenker wie Giegold, bis 2005 selbst im „Ko-Kreis“, fordern genau das. „Entweder, die Organisation wird kapitalismuskritisch und erweitert den Gründungskonsens gegen den Neoliberalismus, oder sie professionalisiert sich, wird pragmatischer und konzentriert sich stärker auf Kampagnen, wie es viele Umweltverbände auch tun“, sagt er. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass Attac weiterdümpelt.“
In Lindau ist zumindest in jenen Nobelpreisträger-Tagen von Dümpelei nicht viel zu spüren. Am Abend lädt Attac zu einer Podiumsdiskussion, es geht drei Stunden lang um das Versagen des Kapitalismus im Allgemeinen und die Rolle der Banken im Speziellen. Der Saal ist proppenvoll.

Volle Kraft voraus

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Sieben Packungen Hähnchenschenkel, acht Kilo Zucchini, Thunfisch, zehn Dosen Mais. Zielstrebig, fast im Laufschritt steuert Kathrin Weishaupt die Regale an und schichtet alles in eine Wanne, die im Einkaufswagen hängt. Den Einkauf hat sie in diesem Monat zigmal gemacht. Sie isst von Montag bis Freitag dasselbe: acht Mahlzeiten am Tag samt Eiweiß- und Vitaminpräparaten, erlaubt sind nur wenige Alternativen. So steht es in dem Ernährungsplan, den eine Ökotrophologin speziell für Kathrin zusammengestellt hat. „Wenn ich kurz vor dem Wettkampf ein McMenu esse, kann mich das mehrere Tage zurückwerfen“, erklärt Kathrin. Sie ist 29 Jahre alt und arbeitet als Assistentin der Geschäftsführung bei einem Pharmaunternehmen. In diesem Jahr startet sie in vier internationalen Wettbewerben der Bikini-Klasse. Mit dem Ziel, danach vielleicht Profi zu werden.





„Bikini-Fitness“ ist Bodybuilding, auch wenn es nicht so wirkt. Mit den harten Schwarzenegger-Muskelbergen, die das Bild der Sportart in den 70er- und 80er-Jahren bestimmten, haben Frauen in dieser Wettbewerbsklasse heute wenig zu tun. Sie sehen einfach sportlich aus. Standen klassische Bodybuilderinnen mit ihren extrem definierten Muskeln noch unter Verdacht, „vermännlicht“ zu sein, werden Bikini-Athletinnen sogar an ihrer Weiblichkeit gemessen: „Proportion“, „Make-up“ oder „sportive, feminine Gesamterscheinung“ sind Kriterien, die über den Wettbewerbserfolg mitentscheiden. Bodybuilding, das in Deutschland immer eine Randsportart war, hat sich mit dieser Mischung aus Beauty-Contest und Muskel-Show für den Mainstream der Fitnessstudio-Besucherinnen geöffnet.

„Im Moment ist Bikini die gefragteste Klasse bei den Frauen“, sagt Erich Janner, Präsident des größten deutschen Bodybuildingverbands DBFV. Seit 2010 die ersten Wettbewerbe angeboten wurden, hat die Zahl der Teilnehmerinnen Jahr für Jahr zugenommen. Von den ungefähr 1200 aktiven Bodybuildern sind derzeit ein Viertel Frauen, die in der Bikini-Klasse starten. Der Grund für die Nachfrage seien die verhältnismäßig schnellen Erfolgserlebnisse. „Unter Umständen kann man nach einem Vierteljahr Training an Wettbewerben teilnehmen.“ Vor allem Frauen unter 23 Jahren spreche das an. Für Männer gibt es seit Kurzem das vergleichbare „Physique“.

Der „Sportpark“ in Bad Honnef, wo Kathrin an einem Freitagnachmittag trainiert, ist ein sogenanntes Gesundheitsstudio. Hier stemmen Jungs im Weltmeistertrikot ein paar Hanteln, den Herren an der Bauchmuskel-Maschine hat vermutlich der Arzt empfohlen, mal wieder etwas für ihre Form zu tun. Kathrin – 1,72 Meter groß, dunkle, zum Pferdeschwanz gebundene Haare, dezentes Make-up – steht wie eine resolute Primaballerina zwischen den Geräten und wirkt in ihren dunklen Trainingsklamotten zierlich. Eigentlich, gibt sie zu, hat sie keine große Lust auf Training. Aber es warten zwei Stunden Kraft- und Ausdauereinheiten.

Am 20. September startet Kathrin bei der WM-Qualifikation in Gießen, ein wichtiger Termin. Kathrin will Profi werden und braucht dafür gute Ergebnisse. Während Amateure meistens mit einem kleinen Pokal nach Hause gehen, warten auf die bestplatzierten Profis in amerikanischen Wettbewerben 10 000 bis 50 000 Dollar. Doch das Reglement des Weltverbands IFBB sieht vor, dass nur Kontinental- oder Weltmeister sich automatisch für die Profiliga qualifizieren. Wer ohne diese Titel antreten will, muss einen Antrag an den Verband stellen und Siege in vergleichbaren Contests vorweisen. Deshalb quält sich Kathrin. Jeden Tag bearbeitet sie einen anderen Körperteil: Arme, Schultern, Rücken, Brust. Heute auf der Tagesordnung: Pomuskel-Optimierung. Also hält Kathrin sich an Schlaufen fest, die in einen Stahlrahmen hängen. Sie baumelt in der Luft und zieht die Oberschenkel langsam nach oben und über den Kopf. Das Ganze hat etwas von frei schwebenden Sit-ups. Kathrin schafft 15 Wiederholungen und bekommt es hin, bei dieser harten Übung keine Miene zu verziehen. Aber ihre Muskeln treten jetzt deutlich hervor.

Zwischen „cable butt kickbacks“ oder „stability ball butt raises“ erzählt sie, dass sie seit zehn Jahren Kraftsport macht. Irgendwann sei es Kathrin aber zu planlos geworden, nur im Studio vor sich hin zu trainieren. „Mir bringt es mehr, wenn ich ein konkretes Ziel vor Augen habe“, sagt sie. Also sprach sie irgendwann einen Coach an, von dem sie wusste, dass er auch Bodybuilder trainiert, und fing an, auf die ersten Wettbewerbe zu gehen.




High Heels und braune Farbe auf der Haut: Auf den Fotos von ihren Wettbewerben haben ihre Kollegen Kathrin nicht erkannt

Mittlerweile legt die Bikini-Athletin Vanessa Campbell ihre Trainingseinheiten fest. Campbell lebt in Florida und arbeitet für das „Team Bombshell“, ein amerikanisches Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, das Training von Freizeitsportlerinnen und Bodybuilderinnen zu betreuen. Beraten wird in der Regel online. Kathrin ist per Zufall darauf gestoßen: „Ich habe einfach nach einem Trainer gegoogelt.“ Die Firma kam ihr gesundheitsorientierter vor als die Konkurrenz und weil Kathrin ausgebildete Fitnesstrainerin ist, traute sie sich zu, die Übungen ohne Anleitung umzusetzen. Regelmäßig mailt Kathrin nun Fotos von sich nach Florida, beschreibt, wie es ihr geht und was im Training passiert ist. 75 Euro im Monat berechnet „Team Bombshell“ für Trainings- und Ernährungspläne sowie Beratung. Für 264 Euro hat Kathrin ein Trainings-Camp im Firmenhauptquartier in Dayton besucht. Work-out am Strand in Florida, sie traf ihr Vorbild Vanessa Campbell – Kathrin klingt begeistert, wenn sie davon erzählt.

Wer will, kann Kathrins Trainingsfortschritt auch über Facebook und Instagram verfolgen. Ihre Timelines sind voll mit ihren Durchhaltesprüchen, sie postet Sixpack-Selfies und ernährungsphysiologisch korrekten Foodporn. Auf einigen Bildern ist ein muskulöses Beach Babe zu sehen, das scheinbar zu lange in der Sonne gelegen hat. Man erkennt es kaum, aber das ist sie. Es sind Wettbewerbsfotos. Arbeitskollegen, die Kathrin als dezent geschminkte Assistentin kannten, wussten erst nicht, wer die Frau auf den Fotos sein soll. Für ihre Auftritte trägt Kathrin High Heels, Extensions und einen blauen Bikini mit Glitzersteinen, der 400 Euro gekostet hat. In dieser Montur dreht sie sich dann viermal um 90 Grad, zeigt Frontal-, Seiten- und Rückenansichten für die Jury. Insgesamt steht sie vielleicht 20 Minuten auf der Bühne, zehn weitere, wenn sie ins Finale kommt.

„Es geht echt schnell für die lange Vorbereitungszeit“, sagt Kathrin zwischen zwei Schlucken blau gefärbten Wassers – Vitamine in der Trainingspause. Seit 2013 fährt sie zu internationalen Wettbewerben. Bei der letzten Weltmeisterschaft erreichte sie Platz 15, der sechste Platz beim diesjährigen World Ladies Cup in Prag ist ihre bislang beste Platzierung. „Am Anfang war ich noch am Boden zerstört, wenn ich einen schlechten Platz bekam – schließlich habe ich viel gearbeitet und auf vieles verzichtet“, sagt Kathrin. „Jetzt versuche ich, meine eigene Form als Richtwert zu nehmen.“ Zufrieden ist sie trotzdem nicht, wenn wieder mal eine Russin oder Amerikanerin den Pokal mit nach Hause nimmt.

Kathrin lässt sich beim Training von einem Unternehmen aus Florida beraten. Es heißt "Team Bombshell"

Manchmal kommen Kathrin Zweifel. Sie will nicht dauernd Angst vor einem Fehltritt haben und sich selbst kasteien. Und es nervt sie, dass Bikini eine derart teure Sportart ist, bei der ein Wettbewerbswochenende schnell tausend Euro verschlingt. Bis vor Kurzem hat ein Ergänzungsmittelhersteller, dessen Produkte Kathrin auf Messen und in sozialen Medien pushte, ihr Proteinpulver und Riegel gestellt. Doch dann löste der sein „Athleten-Team“ auf – und hinterließ Kathrin 50 Euro Extrakosten pro Monat.

Trotzdem zieht sie heute jede einzelne Wiederholung durch, die für diesen Freitag vorgesehen ist. Darum geht es ja im Bodybuilding: Willensstärke beweisen, Ziele erreichen. Der Plan gilt, auch wenn er fünf Eier für den Sonntag vorsieht. „Für mich ist das alles lecker“, sagt Kathrin. Manchmal wirkt es, als habe sie für jeden Zweifel eine Durchhalteparole parat.

Nach dem Training, im Reihenhaus, in dem Kathrin mit ihrem Freund Jörg wohnt. In der kleinen Küche leuchten die Wände altrosa, auf dem Herd brutzeln Fischfilets – Punkt sieben ihres Ernährungsplans. Kathrin sprüht den Pangasius immer wieder mit Fett ein, damit er schneller fertig wird. Kriminalhauptkommissar Jörg hat Dienstschluss und erzählt Geschichten von seinem Arbeitstag. Seit acht Jahren sind Jörg und Kathrin ein Paar. Wenn sie zu einem Wettbewerb fährt, begleitet er sie. Als „Farbbeauftragter“. Er trägt die dunkelbraune Farbe auf Kathrins Haut auf, das soll ihre Muskeldefinition im Scheinwerferlicht besser zur Geltung bringen. Er pinselt sie mit einer Malerrolle auf ihren Körper, oder sprüht sie mit einem Schaum ein und verreibt ihn dann. „Mein Freund ist mein größter Fan“, sagt Kathrin.

Ihren Eltern dagegen ist Kathrins Hobby bis heute fremd. Sie versuchen nicht, sie vom Bodybuilding abzuhalten, und sehen sich auch pflichtschuldig die Wettbewerbsfotos an, die sie ihnen zeigt. Doch sie wissen nicht, was sie davon halten sollen, wenn ihre Tochter im Bikini auf der Bühne posiert. „So etwas gibt es eben nicht in ihrem Umfeld“, gibt sich Kathrin diplomatisch. Ihre Freunde interessieren sich für die Wettbewerbe, sagt Kathrin, aber natürlich sei nicht jeder so verrückt danach wie sie. Und manche stresse es auch, wenn sie bei Essenseinladungen ihre Mahlzeiten in der Tupperdose mitbringt. Vor ein paar Tagen wollte ihre Schwiegermutter sich partout nicht davon abhalten lassen, ihr ein Abendessen mit allem drum und dran zu kochen. Aber Kathrin muss auf ihren Ernährungsplan achten. Besonders jetzt, die WM-Qualifikation rückt immer näher. „Die Leute geben sich so viel Mühe und dann habe ich ein schlechtes Gewissen deswegen“, sagt sie nachdenklich.

In der Küche kleben beschriftete Zettel an den Gewürzgläsern. Es sind kyrillische Zeichen. Mit Salz und Pfeffer übt Kathrin Russischvokabeln. Eine ihrer besten Freundinnen ist Russin, und Bikini-Wettbewerbe finden oft in Osteuropa statt. Viele Athletinnen stammen von dort, Kathrin will mitreden können. Überhaupt, schwärmt sie, sei die Atmosphäre zwischen den Bodybuildern im Weltverband – ihrer „IFBB-Family“ – einmalig solidarisch. Im „Team Bombshell“-Camp hat sie Renee kennengelernt, eine Soldatin, die auf der Militärbasis Ramstein stationiert ist. Fast täglich tauschen beide zurzeit WhatsApp-Nachrichten aus, zuletzt haben sie sogar ein Wellness-Wochenende gemacht. Das Gesprächsthema im Spa: Muskeln.

Kosmoshörer (Folge 30)

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Montag:
Der Beginn einer voraussichtlich stinknormalen Arbeitswoche. Ich habe Lust, mich ein wenig melancholisch darauf einstimmen zu lassen und entscheide mich für das selbstbetitelte Album von Postdata. Um einen zu starken Bruch zu vermeiden, wähle ich als nächstes Yuck mit „Yuck“ aus. Immer noch eher nachdenklich aber auch mit der notwendigen Leichtigkeit und ein wenig Schmutz. Ich mag Schmutz. Wer den nicht mag, dieses Video zeigt wie man ihn ab bekommt:

http://vimeo.com/16694797

Abends geht es weiter mit Explosions In The Sky. Hier fällt es mir schwer, ein Lieblingsalbum auszuwählen, ich könnte alle am Stück durchhören, ohne dass es mir langweilig wird. Für den Fall, dass es den Lesern nicht so geht, entscheide ich mich für „The Earth is not a dead cold place“. Als schönes Video kann ich „Be Comfortable, Creature„ vom Album „Take Care, Take Care, Take Care“ empfehlen:

http://vimeo.com/28743490

Dienstag:
Nachdem der Vorabend ganz wortlos endete, brauche ich heute das tolle Gemisch aus österreichischem Dialekt und schlechter englischer Aussprache, welches mir Ja, Panik bieten. Deren neuste Platte ist zwar musikalisch nicht mehr so radikal wie die Vorgänger, die Texte nehmen mich trotzdem immer noch mit.

Speedy Ortiz mit „Major Arcana“ sind dann als nächstes dran, momentan einer meiner Favoriten. Wunderbar, wie sich hier die Melodien ganz unbemerkt aus dem schiefen Krach herausschälen und sich direkt in Hirn und Herz fressen. Für Einsteiger (Textstellen wie „Spent the summer on crutches / and everybody teased“ sind doch einfach toll):

http://www.youtube.com/watch?v=lpde1wEWI6Y

Eine kurze Unterbrechung im Liedfluss erinnert mich an den Anfang von Fugazis „Waiting Room“, weshalb ich als nächstes „13 Songs“ auswähle.

http://www.youtube.com/watch?v=cMOAXm94VWo

Mittwoch: 
Eine wandelbare Band, die sich von schwer verdaulichem Noise-Rock in elektronische Gefilde entwickelt hat, sind die Liars. Deren vorletztes Album „WIXIW“ strahlt für mich trotz fehlendem Noise eine unterschwellige Bedrohung aus. In direkter alphabetischer Nachbarschaft stoße ich auf meinem iPod auf The Low Anthem und höre mir „Oh My God Charlie Darwin“ an.

Für Gänsehautmomente:
http://vimeo.com/7225514

Die Shout Out Louds mit „Howl Howl Gaff Gaff“ werden mich wohl für immer in das Gefühl der Jahre 2005 bis 2009 zurückversetzten können. Dunkler Keller, 5 Uhr morgens und die ersten geschrammelten Akkorde von „Please Please Please“ führen dazu, dass wir alle mit Grinsen im Gesicht auf die Tanzfläche rennen.  

Den Abend beende ich mit der „All Delighted People EP“ von Sufjan Stevens.

Donnerstag: 
Die repetitiven Klavierlandschaften von Lubomyr Melnyk (gemeinsam mit James Blackshaw - „The Watchers“) begleiten mich auf dem Weg zur Arbeit. Mittagspause, alleine mit Bank und Sonne, ich scrolle mich zu My Sister Grenadine (Subtitles & Paper Planes) runter. Live absolut wundervoll mit anzusehen, welche kleinen Gimmicks hier zur Geräuscherzeugung beitragen. 

http://www.youtube.com/watch?v=C5Xcd4tRFjk

Etwas aufwendiger ist dann schon das Klangbild von My Brightest Diamond („A Thousand Shark's Teeth“). Zuhause höre ich dann „The Destruction Of Small Ideas“ von 65DaysOfStatic. Nebenher wird Hausarbeit erledigt und damit begonnen, die Reisetasche für das Wochenende zu packen.  

Kurzfristig entscheide ich mich zu einem Feierabendbier mit Freundinnen, das Packen muss warten, dafür begleiten mich TV On The Radio und „Return To Cookie Mountain“ auf dem Weg.  

Aus einem Bier wurden drei, gepackt ist nichts und morgen wird es wohl stressig, wenn ich den Zug nicht verpassen möchte.

Freitag: 
Die Playlist für den heutigen Tag habe ich mir bereits am Donnerstagabend zusammengestellt. Ich bin pünktlich, aber der Zug nicht. Die Verspätung des ICE nach München ermöglicht mir die Umsetzung des ambitionierten Plans:

Waxahatchee „Cerulean Salt“
Sonic Youth „Evol“
Pavement „Crooked Rain Crooked Rain: L.A.'s Desert Origins [Disc 1]“
Willis Earl Beal „Acousmatic Sorcery“
Wild Beasts „Two Dancers“
Wintersleep „Welcome To The Night Sky“  

In München gibt es dann einen gemütlichen Abend bei Exil-Schwaben.

Samstag: 
Viel von München sehe ich nicht, da der ganze Tag mit Partyvorbereitungen vergeht. Ich werde kurzfristig gebeten, eine Playlist zusammenzustellen, die ich dann auf die Schnelle zurechtzimmere. Es gehen keine Beschwerden ein und ich kann mich zufrieden dem Augustinervorrat widmen. Ein Glück, dass das Lagerfeuer erst nach dem Ende der Feierlichkeiten durch sintflutartige Regenfälle gelöscht wird.

Eines meine Lieblingslieder lief auch:
http://vimeo.com/22990179

Sonntag: 
Der Sonntag beginnt spät und bleibt recht still. In die Pinakothek der Moderne für einen Euro ist schon eine tolle Sache. Nach einem lauschigen Regenspaziergang sitze ich jetzt hier im Zug und schreibe meinen letzten Eintrag. Anstelle von Musik habe ich mir zwei Folgen Breaking Bad vorgenommen. Krasses Staffelende von Season 4, unterlegt von Musik von Apparat.

http://www.youtube.com/watch?v=CAUrRKXml0I

Das Wochenende und auch die Woche als Kosmoshörer gehen damit zu Ende.

Auf der nächsten Seite findest du den ausgefüllten Musikfragebogen von b_last_o
[seitenumbruch]Gute Musik – was ist das für dich? 
Die Qualitätsfrage kann ich nicht so einfach beantworten. Oft sind es die kleinen Momente in einem Lied oder Bandsound, die es für mich zu etwas Besonderem machen. Das kann zum Beispiel eine bestimmte Textstelle oder Gesangs(dis)harmonie sein. Aber auch ungewöhnliche Schlagzeugpassagen und unscheinbare Melodien können für mich den Unterschied ausmachen. Gute Musik muss sich irgendwie auch ehrlich und authentisch anfühlen. 

Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale? 
Vor sechs Jahren habe ich damit begonnen, nur noch komplette Alben am Stück zu hören. Ausnahmen mache ich eigentlich fast nur beim jetzt.de-Mixtapetausch. Den Großteil davon konsumiere ich über meinen iPod. Dessen Inhalt ist jedoch größtenteils noch einmal in Form von CD oder Vinyl bei mir im Schrank. Vor ein paar Jahren habe ich deshalb in einen guten Stereo-Verstärker, CD-Player und Boxen investiert. Ein alter, günstiger DUAL-Plattenspieler hat sich als Glücksgriff erwiesen, da er mir gute Dienste leistet.

Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen? 
Auf dem Weg zur Arbeit hilft mir die Musik, gut in den Tag zu starten. Wenn ich dann abends aus dem Büro gehe und den iPod wieder einschalte, fallen Stress oder Anspannung auf einmal ab und ich habe sofort ein Lächeln im Gesicht. Leider schaffe ich es im Alltag oft nicht, auch zuhause bewusst Musik zu hören, ohne nebenher irgendetwas erledigen zu müssen.

Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst? 
Es gibt einige Bands von denen ich neue Alben ohne großes Probehören kaufe. Hier ein paar davon: Pavement, Portugal. The Man, ...And You Will Know Us by the Trail of Dead, The National, Grizzly Bear, Wintersleep, Sonic Youth, Built to Spill, Ja, Panik, Interpol, Foals, Touché Amoré

Welche Musik magst du gar nicht und warum? 
Aufgrund meiner strengen Auslegung was die Hörenswürdigkeit von Musik angeht, wurde ich einst von einer Freundin als Musiknazi bezeichnet. Das kann ich so natürlich nicht stehen lassen, da ich eigentlich für alles offen bin. (Im Fall dieser Freundin ging es jedoch um David Garrett oder Michael Bubble, da macht meine Toleranz dann eine Auszeit). Wie bereits oben genannt, muss Musik für mich authentisch sein. Wenn also dieses Gefühl ausbleibt, dann kann ich nicht viel damit anfangen. Dies ist eigentlich unabhängig von der Musikrichtung.

Was war deine erste eigene Platte – und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus? 
Die erste CD, die ich mir gewünscht habe, war von Freddy Quinn, nachdem ich einen Seefahrer-Film mit ihm gesehen hatte. Meine nachträglichen Erklärungsversuche gehen dahin, dass mir sein Frauenverschleiß in den Häfen der Welt imponierte. Von dort aus ging es dann eigentlich direkt nach einer kurzen Guns'n'Roses-Phase über Metal zu Skate-Punk. Von dort aus hat sich dann mein Interesse in alle Richtungen ausgebreitet.

Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt? 
Ich liebe Konzerte. Last.fm behauptet, dass dies meine letzten Konzerte waren:
Levin Goes Lightly
Ja, Panik
William Fitzsimmons
Cloud Control
The Notwist
Mogwai
Monochrome
Haldern Pop Festival 2014

Wie entdeckst du neue Musik und was ist deine neueste Entdeckung? 
Ich habe die Zeitschrift VISIONS abonniert, auf deren Aussagen ich mich schon relativ gut verlassen kann. Darüber hinaus gibt es in meinem Stamm-Plattenladen „Second Hand Records“ in Stuttgart oft Neues zu entdecken. Meine neuste Entdeckung habe ich auf dem Haldern gesehen. Ought aus Kanada. Die Platte werde ich mir bei nächster Gelegenheit besorgen.

http://vimeo.com/91444736

Verrate uns einen guten Song zum...   
Aufwachen:

„I got out of bed today / staring at a ghost“

http://vimeo.com/3527532

Wintersleep mit „Weighty Ghost“

Tanzen: 

http://vimeo.com/9568937

Traurig sein:    „
Sylvia, get your head out of the oven“  

http://vimeo.com/11605170

Sport treiben: 
Bowling ist ziemlich anstrengend...

http://www.youtube.com/watch?v=4ixu8gOg948

Als nächsten Kosmoshörer wünsche ich mir: 

rondoallaturca, weil er mein letzter Mixtape-Tausch-Partner war.

Alle Kosmoshörer findet ihr wie immer gesammelt hier:

Kosmoshörer

Möchtest du auch Kosmoshörer werden und deine Musik-Gewohnheiten dokumentieren? Dann schreib eine jetzt-Botschaft an teresa-fries oder eine Mail an teresa.fries@sueddeutsche.de

Bist du glücklich, wenn das Fett spritzt?

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Ich esse gerne und mag fast alles. Mein Problem ist nur, dass ich ungesundes Essen meist noch lieber mag als gesundes. Ob Schweinsbraten, Schinken oder Schmalznudeln, bei mir gilt fast immer: je fetter, desto besser. Frittiertes Essen scheint also wie geschaffen für mich zu sein. Eine Garmethode, bei der das Essen in heißem Fett gebacken wird: viel ungesünder geht’s wohl nicht – und leckerer oft auch nicht. Das gilt besonders für Gemüse. Ob Zucchini, Auberginen, oder Kartoffeln – Gemüse schmeckt frittiert oft noch ein bisschen besser.





Auf meinen Reisen durch Indien und Thailand wurde meine Vorliebe fürs Frittierte allerdings hart auf die Probe gestellt. Hier wird nicht nur Gemüse frittiert - sondern auch Heuschrecken, Kakerlaken, oder Scorpione. Allgemein gilt: Frittiert wird alles, was in die Fritteuse passt.

Allerdings ist mir aufgefallen, dass viele Sachen, die ich sonst nie probieren würde, frittiert ihre Abschreckung verlieren. Wie etwa Heuschrecken. Die schmecken frittiert nämlich eher nach fettigen Chips, als nach Insekt. Der komische Beigeschmack wird von dem Fett und Öl überdeckt. Es gibt aber auch Sachen, die gehen sogar mir zu weit. Mein Mitpraktikant erzählte mir etwa von frittierter Butter, frittierten Zuckerwürfeln und frittierten Cheeseburgern, die man angeblich in den USA finden kann. So sehr ich frittiertes Essen mag, meine Butter habe ich trotzdem gerne als ganz normalen Brotanstrich. 

[plugin imagelink link="http://cdn.foodbeast.com.s3.amazonaws.com/content/wp-content/uploads/2013/07/deep-fried-cheeseburger.png" imagesrc="http://cdn.foodbeast.com.s3.amazonaws.com/content/wp-content/uploads/2013/07/deep-fried-cheeseburger.png"] Frittierter Cheeseburger via feedbeast.com

Ich hab in Indien aber nicht nur gelernt, dass Ekliges frittiert besser schmeckt, sondern auch, dass es toll sein kann, wenn etwas nicht im Fett gebadet, sondern noch seinen ursprünglichen Geschmack hat. Was für ein Frittier-Typ bist du? Hast du’s lieber frisch und ganz ohne Fett, oder haust du alles in die Friteuse, was du im Kühlschrank findest?  

    

Kaum gekauft, schon kaputt

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Wer kenne das nicht, fragt der Autor am Anfang des Buches: „Kurz nach Ablauf der Gewährleistungspflicht eines Produkts geht es kaputt.“ Die Botschaft der Wer-kennt-das-nicht-Frage: Wir können zwar nicht beweisen, ob Absicht dahintersteckt, aber ich und du, lieber Leser, wir wissen es, weil wir es beide schon erlebt haben. Ziemlich clever dieser erste Satz, der Leser hängt gleich am Haken. Aber was ist wirklich dran an der These, dass Hersteller ihre Produkte so konstruieren, dass sie nach einer bestimmten Zeit kaputtgehen?

Mit dieser Frage beschäftigt sich Christian Kreiß in seinem Buch „Geplanter Verschleiß“. Der verschwörerische Untertitel: „Wie die Industrie uns zu immer mehr und immer schnellerem Konsum antreibt und wie wir uns dagegen wehren können“. Letzteres schildert Kreiß auf elf Seiten, auf den übrigen 190 Seiten breitet er seine These vom systematischen Betrug der Großkonzerne am Verbraucher aus – führt dafür aber kaum Beweise an. Immer wieder nennt er das 1924 aufgedeckte Kartell führender Glühlampenhersteller, die gemeinschaftlich die Lebensdauer ihrer Birnen auf 1000 Stunden begrenzt hatten. Beispiele aus der Gegenwart sind hingegen rar. Eines ist die Theorie, Apple verlangsame seine Smartphones und Tablets künstlich, um die Kunden zum Kauf der besseren Nachfolgegeräte zu animieren.



Immer wieder gehen technische Geräte kurz nach Ablauf der Gewährleistungspflicht kaputt.

Dass das Buch kaum Stichhaltiges liefert, liegt dem Autor zufolge daran, dass geplanter Verschleiß „sehr schwierig“ nachzuweisen sei, „da die Planungsunterlagen zu Produktentwicklungen interne Betriebsgeheimnisse sind“. Weil es Kreiß bei seiner Recherche offensichtlich nicht gelungen ist, an solche geheimen Unterlagen zu gelangen, muss er einräumen, „bestenfalls einigermaßen plausible Schätzungen abgeben“ zu können. Entsprechend wackelig ist seine auf Annahmen gestützte Rechnung, frühzeitiger Produkttod koste jeden Deutschen im Monat 110 Euro.

Statt Beweise zu liefern, nennt Kreiß umso mehr Gründe für seine Theorien. Die erwartbare Hauptursache: Der Profit sei den Konzernen wichtiger als das Wohl des Konsumenten. So gesehen, ist Kreiß’ Lösungsvorschlag nur konsequent: Ein neues Wirtschaftssystem ohne Wachstums- und Renditezwang müsse her. Die Frage, wie sich der Einzelne gegen den geplanten Verschleiß der Industrie wehren könne, beantwortet der Autor mit einer Handvoll Tipps: So sollten die Leute mehr teilen und tauschen und überhaupt genügsamer sein.

Den Einwand, eine Gesellschaft, in der alles billig sein muss, trage Mitschuld an der Kurzlebigkeit mancher Produkte, lässt Christian Kreiß übrigens nicht gelten. Er müsste sonst zugeben, dass die Hersteller nicht nur tricksen, weil sie es so wollen – sondern auch, weil der Verbraucher andere Prioritäten hat.

Christian Kreiß: Geplanter Verschleiß. Wie die Industrie uns zu immer mehr und immer schnellerem Konsum antreibt und wie wir uns dagegen wehren können. Europa Verlag, 2014. 240 Seiten, 18.99 Euro.

Tagesblog - 2. September

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17:42 Uhr: Und damit verschlüssel ich auch mich selbst und bin weg. Was streng genommen heißt, dass ich noch eine ganze Weile am Schreibtisch sitzen werde, aber dich nicht mehr dran teilhaben lasse.

Schönen Abend!

++++

17:30 Uhr:
Na gut, ich verrate dir ein Geheimnis: Hier steht nicht deshalb so wenig, weil ich keine Zeit hatte. Ich habe einfach nur diesen Text gelesen und weiß seither, wie man Kommunikation verschlüsselt. Weil du das nicht weißt, kannst du nix erkennen.

Deshalb: Schnell das Lexikon des guten Lebens aufrufen, lernen und zack: ist der Tagesblog voll mit der Antwort auf quasi alles. Los jetzt, hopp!





++++

15:42 Uhr:
Wow, und schon wieder zwei Stunden rum. Erklärung: Ich plane mit meinem fünften Arm gerade noch an der jetzt.de-Münchenseite vom Donnerstag mit herum. Und weil ich ja nur ein Hirn habe, um die ganzen Arme zu koordinieren, zieht sich die Kiste hier heute sehr.




Sie sind überall!

Dafür hier jetzt ein, wie ich finde, sehr toller Text darüber, dass einem die IS-Milizen sehr viel näher erscheinen als jede terroristische Vereinigung vorher. Warum? Weil sie sich da bewegen, wo wir es auch tun: in einer globalisierten, vernetzten Welt voller Katzenselfies und Nutella-Gläser.

++++

13:42 Uhr:
Bis dahin eher so:

[plugin imagelink link="https://fbcdn-sphotos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xfp1/v/t1.0-9/10444651_594648480642614_5650532339152671909_n.jpg?oh=20c2a4d328a0b8ef6c41eedd5c1eb837&oe=5467A5AA&__gda__=1416323619_8acc5255ac192df8912e56f79d331481" imagesrc="https://fbcdn-sphotos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xfp1/v/t1.0-9/10444651_594648480642614_5650532339152671909_n.jpg?oh=20c2a4d328a0b8ef6c41eedd5c1eb837&oe=5467A5AA&__gda__=1416323619_8acc5255ac192df8912e56f79d331481"]

Quelle: fbcdn-sphotos-g-a.akamaihd.net

Und natürlich JosephineKilgannon!

++++

13:38 Uhr:
Zurück vom Essen. Und schon wieder mit allen vier Armen bei der Arbeit. Wenn dieser Tag rum ist, siehst du mich nur noch so.

++++

12:00 Uhr:
Nun, auf Text wollte ich eigentlich nicht ganz verzichten. Das wäre selbst skandinavischen Möbeldesigner wohl zu viel. Aber: Es ging einfach nicht.





Dafür gibt's hier jetzt ein sehr, sehr spannendes Potrait über Farah Baker. Die 16-Jährige ist wohl die berühmteste junge Stimme Gazas auf Twitter. Und sie ist radikal. Zumindest abseits ihres Profils ...

Theresa Breuer hat sie getroffen!

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10:34 Uhr:
Mir ist Washington DC ja schon sympathisch:

[plugin imagelink link="http://urbanshit.de/bilder_urbanshit/2014/09/Cellphone-Lane-1.jpg" imagesrc="http://urbanshit.de/bilder_urbanshit/2014/09/Cellphone-Lane-1.jpg"]

Quelle: urbanshit.de

++++

9:52 Uhr:
Nachrichtenlage:

In Bayern suchen sie einen Ersatz für Christine Haderthauer. Und wie immer, wenn in Bayern Personal gesucht wird, fällt auch der Name Huber.

Das Landgericht Frankfurt hat Uber mit einer einstweiligen Verfügung deutschlandweit (1) verboten, Fahrer zu vermitteln. Vorwurf des Gerichts: "unlauteres Wettbewerbsverhalten".

Und ja: Man sollte da dringend einen Bildervergleich machen. Aber wer denn nur?

Heribert Prantl befasst sich in einem Kommentar mit Joachim Gauck, was ja immer eine spannende Kombination ist.

Und sueddeutsche.de hat die Kommentarfunktion unter den Artikeln abgeschaltet und bietet stattdessen einen neuen Debatten-Kasten.

Ich finde das super. Und ihr?

++++

9:40 Uhr:
Guten Morgen. Ich bin leider sehr im Stress. Weil sich so viel staut hier. Und wie immer, wenn sich viel staut, sind wenig Leute da. Der schlechtestmöglichen Kombination aus Urlauben und Erkältungen wegen.

Und wenn ich sage wenig, dann meine ich eigentlich, dass durch mein Zimmer gerade ein Dornenbusch geweht ist. Und ein Cowboy mit Fünf-Tage-Bart und Kippe im Mundwinkel hat das ganze auf einer Mundharmonika vertont. Im nebenzimmer sieht es nicht viel besser aus.

Ich plane deshalb heute einen Tagesblog wie ein skandinavisches Möbelstück: reduziert aufs Wesentliche. Kein Schnick-Schnack, wenig Chichi. Keine-Sockenbilder, keine Katzen, keine von innen verstellbaren Außenspiegel.

Also, Ticker: Frittieren von Dingen.

Und bitte!

Ein Standbild für die Ewigkeit

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Mit nichts als einem Glitzerbody und hochhackigen Stiefeln stand sie da auf der Bühne, die Beine breit in den Boden gestemmt. Vor ihr, unter der Bühne und hinter Bildschirmen ein Millionenpublikum. Hinter ihr, weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund, ein Wort in Großbuchstaben: „FEMINIST“ – Feministin. Beyoncé Knowles ist nach allen modernen Maßstäben – Albenverläufe, Instagram-Follower, Reichtum, Forbes-Magazin und so weiter – einer der drei, vier größten Popstars unserer Zeit. Und seit den letzten MTV Video Music Awards vergangene Woche in Inglewood, Kalifornien, wohl auch die bekannteste Feministin unserer Tage.



Sieht das nach Feministin aus? Beyoncé bei den MTV Video Music Awards

Es war eigentlich nur ein kurzer Moment zur Halbzeit ihres 16-minütigen Auftritts, aber aus dem Moment ist womöglich ein Standbild für die Ewigkeit geworden. Die MTV Awards sorgen ja seit 30 Jahren zuverlässig für so spektakuläre wie – eigentlich – blitzschnell vergessene Popmomente: Eminem beschimpft Moby (und umgekehrt). Madonna küsst Britney Spears. Miley Cyrus streckt die Zunge raus und singt mit Robin Thicke einen Song namens „Blurred Lines“, der von der scheinbar unklaren Situation handelt, wenn der Mann weiß, dass eine Frau es will, die Frau aber das Gegenteil behauptet.

Auf dieser Weltbühne verharrte Beyoncé also kurz völlig still und ließ die Stimme der nigerianisch-amerikanischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie sprechen: „Feminist (in): Die Person, die an die politische, soziale und wirtschaftliche Gleichheit der Geschlechter glaubt.“ Man könnte den Moment natürlich auch einfach für eine weitere Eskalation der Show halten – und manche Kritikerinnen haben das auch gleich getan. Umgehend stellte etwa die Twitter-Beauftragte der EMMA die kritische Frage, ob Beyoncé überhaupt Feministin sein könne.

Tatsächlich hat die Feministin Beyoncé wenig gemeinsam mit jenen wiedergeborenen Prominenten, die in schöner Regelmäßigkeit mit einer vermeintlich frischen Botschaft zum Thema an die Öffentlichkeit drängen wie zum Beispiel die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg. In Interviews spricht die Sängerin schon seit Jahren über Sexismus und Gleichberechtigung, über die große Bedeutung von Frauenfreundschaften und die besondere wirtschaftliche und sexuelle Ausbeutung schwarzer Frauen in den USA. Weil sie sich für begleitendes Bildmaterial aber gerne freizügig fotografieren lässt – und mit dem Alter (knapp 33) tatsächlich immer freizügiger und sexueller in ihrer Selbstdarstellung wird –, handelt sie sich Kritik ein. „Beyoncé, dich für GQ halbnackt fotografieren zu lassen, hilft der Sache der Frau nicht“, mahnte eine Kritikerin im Guardian im vergangenen Jahr. Ihr Hit „***Flawless“ hieß ursprünglich „Girls (Who Run The World)“ und beinhaltet nicht nur ein Sample des zitierten Adichie-Vortrags, sondern auch die nicht übermäßig frauenfreundliche Wut-Zeile „Bow down, Bitches!“ –„ Verbeugt euch, Bitches“, wofür sie sich ebenfalls Kritik einhandelte.

Tatsächlich ist es genau diese scheinbare Widersprüchlichkeit zwischen zur Schau gestellter Sexualität, überdimensionalem Ego und politischem Bewusstsein, die Beyoncé als Botschafterin der Gleichberechtigung so wichtig und attraktiv macht. Denn die Meisterleistung dieser großen Unterhaltungskünstlerin ist weder ihr perfekt kontrolliertes, bestens vermarktbares Image, noch sind es ihre musikalischen Fähigkeiten. Was Beyoncé derzeit besser als allen anderen gelingt, ist ihre Selbstinszenierung als vollständige Frau. Das ist in einer Industrie, in der für jede Frau eine ganz bestimmte Rolle vorgesehen ist – Sexgöttin oder Party-Girl, Heilige oder Teufelette – an sich schon bemerkenswert.

Ihr aktuelles Album „Beyoncé“ machte vor allem Wind, weil es musikalisch das Interessanteste war, was ihr je geglückt ist, und weil es sehr zeitgemäß lanciert wurde: Es gab keine Vorankündigung und keine Single-Auskopplung, es war plötzlich einfach da. Ungleich wichtiger ist jedoch, dass es das erste Mal seit langer, langer Zeit mitten im Mainstream Popmusik gibt, in der eine Frau ihre Sexualität so besingt, dass man es ihr abnimmt. Hier geht es nicht um Sadomaso-Phantasien oder Abstürze im Club mit Koks und Champagner, hier geht es um die sexuelle Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann, die sich schon lange kennen, und deren Beziehung sich durch eine große Veränderung – die Geburt einer Tochter – verändert. Um besoffene Erregtheit („Drunk in Love“), autoerotische Phantasien („Partition“), Eifersucht („Jealous“). Also um all das, was auch normale Menschen kennen.

Hätte Beyoncé es dabei belassen, sich nach der Geburt ihres ersten Kindes ein Sexy-Mama-Image zuzulegen, wäre das nicht der Rede wert. Doch diese Beyoncé zeigt sich als noch viel mehr: als eine Frau, die unter dem Druck zur Schönheit leidet und sich trotzdem „flawless“, makellos, findet. Als Frau, die ihren Mann liebt und ihre finanzielle Unabhängigkeit. Als Frau, die einen ziemlich begehrenswerten Hintern vor Publikum schwenkt, der ihr in der Mutterschaft aufgeht.

Anders gesagt: Feminismus besteht nicht nur darin, ständig auf Vereinbarkeitsprobleme und sexuelle Gewalt hinzuweisen. Auch die Bilder und die Worte, die für das Weibliche gefunden werden, die Erweiterung der politischen und erotischen Artikulation von Weiblichkeit gehören zum Kampf um die Gleichberechtigung. Genauso wie es dazu gehört, neue Generationen für das Projekt zu gewinnen. Und die Öffentlichkeit dazu zwingen, sich zu fragen, wie das eigentlich ist mit den Frauen und den Männern, dem Sex und der Macht. Wenn jemand dazu in der Lage ist, dann eine der größten Popkünstlerinnen der Gegenwart. Wie gut, dass sie es tut.

Gut ist nicht gut genug

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Elf Tackles und drei Sacks, das sei nicht schlecht, aber halt auch nicht überragend, sagen die Fachleute in Amerika, und im Grunde wäre das schon alles, was in dieser Sache zu sagen wäre. Es geht um die St.Louis Rams, einen Footballklub in der nordamerikanischen Profiliga NFL, und die Frage, welcher Spieler es in den Kader schafft. Einfache Sache, wenn man die statistischen Werte der Kandidaten kennt und versteht; elf Mal einen Gegner niedergerissen und drei Mal den Quarterback, passabel für einen, der für’s Niederreißen zuständig ist, nicht wahr? Aber so einfach ist die Sache nicht. Es geht in diesem Fall nicht um die statistischen Werte eines Profisportlers, nicht nur, denn es sind die Werte von Michael Sam aus Hitchcock, Texas. Des ersten Footballers, der während seiner Karriere öffentlich gemacht hat, dass er schwul ist.

Die bemerkenswerte Geschichte von Michael Sam haben sie in Amerika in den vergangenen Monaten oft erzählt, die Menschen sind wegen ihm auf die Straße gegangen, für ihn und gegen ihn, das Fernsehen war live dabei, als er in dem Moment, als die Rams ihn in der Talenteziehung Draft auswählten, seinen Freund küsste, und nun entwickelt sich in Amerika eine Art Michael-Sam-Debatte: Die Rams („Widder“) haben ihn am Wochenende aus dem Kader gestrichen, und die anderen 31 Klubs, die ihn bis Montag ablösefrei hätten verpflichten dürfen, haben ihn nicht genommen. Michael Sam hat den Cut nicht geschafft, so heißt das in der Sportsprache.



Michael Sam hat es nicht in die Profiliga NFL geschafft.

An sich ist das nichts Ungewöhnliches, im US-Sport läuft das so: Die Klubs wählen im Draft die jungen Spieler aus, die sie interessieren, dann dürfen die sich in der Vorbereitung beweisen, danach bleiben manche, manche nicht, manche bekommen woanders einen Vertrag, manche nicht. Aber bei Michael Sam ist nichts gewöhnlich, nicht mehr. Und die Frage, ob ein viele Millionen Dollar umsetzender Sportklub einen homosexuellen Spieler tatsächlich aus rein sportlichen Gründen streicht, ist eine, über die man gut debattieren kann.

Der Trainer der Rams sagt, sie haben Michael Sam im Mai im Draft – drei Monate nach Sams öffentlichem Hinweis auf seine Homosexualität – gewählt, weil er ein vielversprechender Footballer ist, und sie haben ihn nun gestrichen, weil er in der Vorbereitung zwar gut war, aber nicht besser als die, die sie auf seiner Position schon haben. Die Kritiker dieser Entscheidung sagen, die Rams und die anderen fürchten den Medienrummel, sie nehmen Sam also nur nicht, weil er aus seinem Schwulsein ein öffentliches Thema macht. Chancengleichheit, Feigheit, Marketing, das sind die Schlüsselbegriffe in dieser Debatte.

Michael Sam, 24, ist als siebtes von acht Kindern aufgewachsen, eine Schwester starb mit zwei bei einem Unfall, ein Bruder wurde mit 15 erschossen, während er in ein Haus einbrach, ein Bruder ist seit 1998 vermisst, zwei weitere Brüder sitzen im Gefängnis. Die Eltern sind geschieden, die Mutter ist Zeugin Jehovas, sie war gegen Sams Footballerkarriere, der Vater hat sich in der New York Times als „Mann-und-Frau-Typ“ beschrieben, er glaube, sagte er, der gute Deacon Jones, knochenharter Footballer der Sechziger und Siebziger, würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass es einen schwulen Footballer gibt. Man kann das Umfeld von Michael Sam als problematisch bezeichnen, und seine ganze Geschichte verbunden mit der Tatsache, dass er in einem Fernsehinterview über seine Sexualität sprach und angeblich mit Fernsehqueen Oprah Winfrey einen Vertrag für eine Reality-TV-Show geschlossen haben soll, macht ihn zu einer Figur, die interessiert, weil sie polarisiert. Man kann in ihm ein Symbol der Gleichberechtigung sehen, aber auch eines für die Vermarktungswut der storylüsternen Medien, je nach Standpunkt.

Wir brauchen einen, der die verbohrte Gesellschaft aufweckt, sagen die einen.

Wir brauchen keinen, der für Drama neben dem Platz sorgt, sagen die anderen.

Michael Sam habe manches gemeinsam mit Barack Obama, sagen die, die sich über die Sache lustig machen: zwei historische Figuren, die den Cut nicht schaffen.

Sam selbst sieht die Sache ziemlich nüchtern, zumindest öffentlich. Er danke dem Klub und der ganzen Stadt für das Vertrauen, er werde noch härter arbeiten, um es in die NFL zu schaffen, teilte er mit. Es waren Standardsätze, wie man sie schon oft gehört hat, es war das Nullachtfünfzehn-Statement eines x-beliebigen Profisportlers.

„Ich hoffe, ihr kommt euch toll vor“

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In Hollywood macht man sich aus strategischen Gründen ganz gern mal frei, allerdings legt man dabei schon Wert darauf, den Zeitpunkt und den Grad der Entblößung selbst zu bestimmen. Mehr als 100 Prominenten, fast ausschließlich Frauen, wurden beide Entscheidungen am Sonntag unfein abgenommen. Sie wurden offenbar Opfer eines großflächigen Hacker-Angriffs: Auf 4Chan, einer der Ecken im Internet, wo sich schon mal etwas ungemütliche Zeitgenossen herumtreiben, tauchten zahlreiche intime Fotos auf, unter anderem von Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence („Silver Linings“), Model Kate Upton und Sängerin Rihanna.



Hier angezogen, im Netz nackt: Jennifer Lawrence und Rihanna

Einige Betroffene dementierten die Echtheit der Bilder, andere bestätigten sie. Schauspielerin Mary E. Winstead („Final Destination 3“) twitterte: „An all jene, die sich die Fotos anschauen, die ich vor Jahren mit meinem Ehemann im Schutz unseres Zuhauses gemacht habe – ich hoffe, ihr kommt euch toll vor.“ Jennifer Lawrences Agent sprach von einer „entsetzlichen Verletzung der Privatsphäre“. Er kündigte an, rechtlich gegen jeden vorzugehen, der die „gestohlenen Bilder“ verbreite.

Die Frage ist freilich, wie die Bilder überhaupt von den Handys und Rechnern der Prominenten geklaut werden konnten. Noch lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wie der Großangriff abgelaufen ist. In den Internetforen, dort, wo sich die Experten rumtreiben, liest man immer wieder eine Erklärung: Die Schwachstelle liegt demnach wohl bei Apples Online-Speicherdienst iCloud. Dazu muss man wissen: Smartphones, Tablets oder Computer von Apple sind in der Lage, automatische Sicherungskopien anzufertigen – auch von Fotos. Diese Technik ist kein Teufelszeug. Sie kann sehr nützlich sein. Wenn man etwa mal sein Handy zertrümmert, sind nicht gleich alle Bilder weg. Sie lagern noch auf den Servern von Apple, sind somit aber auch ein potenzielles Sicherheitsrisiko.

Im aktuellen Fall ist womöglich genau das ein Problem. Am Montag wurde etwas überraschend bekannt, dass Apple bei dem iCloud-Dienst „Find my iPhone“ keine Sicherung gegen Brachialangreifer eingebaut hat. Ein solcher Schutz ist üblicherweise Standard in der Technikindustrie und soll vor Angreifern schützen, die mittels einer speziellen Software alle möglichen Passwörter ausprobieren, so lange bis zufällig das richtige dabei ist. Bei Apple gab es einen solchen Schutz bislang offensichtlich nicht, weshalb mancher Experte mutmaßte, dass sich die Angreifer über diese Lücke Zugang zu den Daten verschafft haben könnten. Im Lauf des Tages reagierte das Unternehmen ungewöhnlich schnell auf die Meldung und begann, das Problem zu beheben. Das verstärkte den Eindruck, dass die konkrete Sicherheitslücke in diesem Fall wohl entdeckt ist.

Weil die Opfer des Hacker-Angriffs so prominent sind, werden die Fotos sicher noch für Diskussionen sorgen. Es geht um eine substanzielle Herausforderung: Datenschutz im digitalen Zeitalter ist eine außerordentlich komplizierte Angelegenheit. Es genügt nicht, einfach den Vorhang zuzuziehen und die Haustüre abzuschließen. Privatsphäre heute kostet Geld, Zeit, Nerven. Wer sein Leben über Smartphones und soziale Netzwerke so unbekümmert ausbreitet, wie die Anbieter das gerne hätten, geht fast immer ein Risiko ein. Diese Erfahrung machen längst nicht nur Prominente. Es kann jeden treffen, der solche Bilder von sich vorhält und sie zu lasch schützt. Offizielle Zahlen zum Klau pikanter Daten sind rar. Allein in Japan soll es aber zwischen 2008 und 2012 zu mehr als 27 000 ähnlichen Fällen gekommen sein.

Im Englischen haben sie für das lästige Phänomen längst einen eigenen Begriff gefunden: Revenge Porn, Pornografie aus Rache, beschreibt allerdings nicht nur die Angelegenheit, dass irgendwelche Typen anzügliche Fotos ihrer verflossenen Freundinnen hochladen. Dokumentiert sind auch härtere Fälle, in denen Täter aus Frauenfeindlichkeit oder allgemeinem Menschenhass aktiv wurden. Nicht selten werden die Opfer erpresst. Es geht dann um Geldzahlungen oder die Forderung, noch mehr Nacktbilder zu senden. Kommen die Bedrohten dem nicht nach, folgt die Veröffentlichung und öffentliche Bloßstellung. Experten gehen von mindestens 3000Webseiten aus, die an der Verbreitung solcher Fotos und Videos beteiligt sind. In den Vereinigten Staaten werden deshalb auch schon erste Gerichtsprozesse geführt, die dem Treiben Einhalt gebieten sollen.

Es ist allerdings fraglich, ob dies wirklich hilft, die Täter abzuschrecken. Möglicherweise aber könnte wachsendes Problembewusstsein sogar zu einem grundsätzlichen Kulturwandel im Netz führen. Unter amerikanischen Jugendlichen erfreuen sich seit einiger Zeit Smartphone-Apps großer Beliebtheit, deren Wesensmerkmal die Vergänglichkeit und Anonymität ist. Bilder bei dem Fotodienst Snapchat verschwinden nach einiger Zeit wieder. Bei Diensten wie Whisper und Secret gehört Anonymität zum Grundprinzip. Bei Befragungen geben Nutzer immer wieder an, dass ihnen die Kommunikation genau deshalb leichter falle.

16 Jahre, radikal, 200.000 Follower

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Farah Baker

Die schrecklichste Nacht in Farah Bakers Leben sollte sie berühmt machen. Es war der 28. Juli. Geschosse aus Israel schlugen in ihrer Nachbarschaft ein. Die Decken in ihrem Haus zitterten. Farah hörte Menschen schreien. Eine Minute vor Mitternacht twitterte die 16-Jährige: „Das ist meine Nachbarschaft. Ich kann nicht aufhören zu weinen. Ich könnte heute Nacht sterben.“




Knapp 17.000 mal wurde ihr Tweet geteilt. Seither ist @Farah_Gazan zu einem der meistgefolgten Twitter-Accounts des Gaza-Streifens geworden. Und Farah weltweit bekannt.  

Wer sie besucht, merkt das. Es ist ein sonniger Nachmittag und von der Angst der damaligen Nacht ist nichts mehr zu spüren. Farah sitzt im Garten ihres Hauses. Sie lächelt und ihre Augen lächeln mit. Sie wirkt gelöst. „Endlich kann ich mich wieder frei bewegen“, sagt sie.  

50 Tage hat der Krieg mit Israel gedauert. 50 Tage, in denen sie das Haus kaum verlassen hat. Aber auch 50 Tage, in denen Farahs Anhängerschaft von wenigen Hundert auf mehr als 200.000 angewachsen ist. Menschen aus aller Welt haben ihre Nachrichten verbreitet und ihr Mut zugesprochen. „Der plötzliche Erfolg hat mich selbst überrascht“, sagt sie.  

Das Twittern hat sie 2012 begonnen. Ihre ältere Schwester hatte über den damaligen Krieg mit Israel getwittert. Farah wurde neugierig und erstellte sich selbst ein Profil. Erst sporadisch, im Verlauf des Krieges im Juli 2014 manchmal dann sogar im Minutentakt. Meistens schrieb sie nachts, wenn sie während der israelischen Angriffe nicht schlafen konnte. Sie saß dann auf dem Sofa im Wohnzimmer. „In meinem Zimmer war es zu gefährlich, weil hinter meinem Bett ein großes Fenster ist“, sagt sie. Die Druckwelle der Bomben lässt geschlossene Fenster zerbersten.  

Weil sie auf Englisch schreibt, und nicht wie viele Menschen in Gaza auf Arabisch, erreichte sie Timelines auf der ganzen Welt. Ein Junge schrieb ihr, wie er auf einer Pro-Palästina-Demonstration in London ein Schild mit der Aufschrift „Free Farah!“ getragen hat. Ein anderer Follower hat sie als moderne Anne Frank bezeichnet. Farah gefällt der Vergleich, auch wenn er erkennbar hinkt. Sie hat das Tagebuch gelesen, während die Bomben auf Gaza fielen. „Aber im Gegensatz zu ihr habe ich das Glück, dass ich noch lebe.“  

Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein ganz normaler Teenager, der davon träumt zu reisen, nach Spanien und nach Großbritannien. In ihrem Zimmer, zwischen rosafarbenem Bett und Schrank, hängt ein großes Poster vom Eiffelturm. Eines der ersten Dinge, die sie nach dem Waffenstillstand gemacht hat: Eis essen mit Freundinnen.




Und doch hat beides bereits Spuren hinterlassen – der Krieg und wohl auch die Berühmtheit: „Meine Freunde bitten mich jetzt, ihre Tweets zu teilen oder wollen Selfies mit mir machen“, sagt Farah und lacht. Ihre braunen Locken wehen leicht im Wind. Sie genießt die frische Luft, einmal nicht den ganzen Tag auf ihr Handy zu starren. Bis zum späten Nachmittag hat sie nur einen Tweet gesendet. Sie fragt sich, was ihre Follower jetzt interessieren würde. Jetzt, wo der Krieg vorbei ist. „Ich habe die ganze Zeit nur geschrieben, was ich denke und fühle“, sagt Farah.  

Was sie denkt und fühlt klingt oft auf beängstigende Weise radikal: „Ich unterstütze den bewaffneten Widerstand, auch wenn meine Waffe das Wort ist“, sagt sie beispielsweise. Bewaffneter Widerstand, das sind die Raketen der Hamas, die die Radikalislamisten tausendfach nach Israel feuern. Wie die Hamas erkennt sie das Existenzrecht Israels nicht an, und wie die meisten Jugendlichen in Gaza will sie keine Zwei-Staaten-Lösung.  

Farah kommt aus einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater ist Arzt, ihre Schwester studiert an einer renommierten Universität in London, Farah geht auf eine Privatschule. Wahrscheinlich wird auch sie eines Tages in London studieren. Farah möchte Anwältin werden und für die Rechte der Palästinenser kämpfen.   Fragt man Farah, ob sie Hamas unterstütze, blickt sie mit starrem Blick geradeaus: „Ich bin ein 16 Jahre altes Mädchen, da kann ich doch noch keine Meinung zur Politik haben.“ Es ist eine Antwort, die zeigt, dass Farah es inzwischen gewohnt ist, mit Medien umzugehen.

Sie hat dutzende Interviews gegeben, in arabischen, türkischen und englischsprachigen Medien. Deshalb lässt sich Farah auf kein politisches Gespräch über Terrorakte palästinensischer Gruppen ein. Sie weiß, wie unpopulär die Hamas im Westen ist. Deshalb bezeichnet sie Israelis nie selbst als Terroristen. Sie retweeted Nachrichten anderer Nutzer, die das tun. Dass sie den Raketenbeschuss auf Israel unterstützt, bekundet sie im privaten Gespräch, aber nicht vor ihren 200 000 Followern.

Sie weiß aber auch, dass sie ihrer Generation eine Stimme verleiht. Einer Generation, die noch nicht volljährig ist, aber schon drei Kriege überlebt hat: 2008, 2012 und 2014. „Ich will das Land zurück, das Israel 1948 von uns gestohlen hat. Wenn die Israelis wollen, können sie mit uns in Palästina leben, aber es ist unser Land.“  

Vielleicht sind radikale Ansichten unvermeidbar, wenn 16-Jährige drei Kriege erlebt haben. Aber sie zeigen, dass eine Aussöhnung zwischen Gaza und Israel mit einer weiteren traumatisierten Generation immer unwahrscheinlicher wird. Farah sagt: "Nach drei Kriegen sehe ich kein Chance auf Versöhnung zwischen meinem Volk und dem sogenannten Israel."

Sie sind überall

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Am 11. September 2001 rasten in New York zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers, fast 3000 Menschen kamen dabei ums Leben. Zwei Tage später wurde in einem Dorf im Westen Deutschlands ein Mädchen 15 Jahre alt und schrieb in ihr Tagebuch, dass dies kein so schöner Geburtstag sei und dass sie Angst habe. Vor dem Dritten Weltkrieg und dass jetzt alles ganz schlimm werden würde. Dieses Mädchen war ich.  

Wenn ich den Tagebucheintrag von damals lese, erinnere ich mich, wie ich mich gefühlt habe. Ich war erstaunt und aufgebracht und mir war bewusst, dass etwas passiert war, das die Welt verändern würde – wenn doch sogar MTV ein Schwarzbild sendete und in der Schule der Unterricht durch ein Gespräch über die Anschläge ersetzt wurde. Ich dachte wohl, diese Verwirrung über das Weltgeschehen sei Angst, ich dachte, ich müsste Angst haben. Aber: Ich hatte gar keine Angst. Zu weit weg war das alles, zu abstrakt. Hätte ich die Geschehnisse auf der Weltkarte, die mir damals als Schreibtischunterlage diente, verorten müssen, ich hätte die Kreuzchen sehr weit rechts und links von dem Punkt gesetzt, an dem ich mich befand, aber nie in meiner Nähe.  





Heute ist das anders. Heute habe ich Angst. Vor dem Weltgeschehen. Und vor allem vor den IS-Milizen im Irak und in Syrien. Das kann nun sicher nicht jeder nachvollziehen. Immerhin ist ja kein zweites 9/11 passiert. Trotzdem fürchte ich mich vor Abu Bakr al-Baghdadi mehr als ich mich jemals vor Osama bin Laden gefürchtet habe, und mehr vor dem IS als vor Al Qaida. Vor allem aus zwei Gründen.  

Zum einen, weil ich sehen kann, dass die IS-Milizen als Gruppe in Bewegung sind. Terroristen, das waren bisher diese bärtigen Typen, die sich in Gebirgen versteckt hielten und von da aus ihre perfiden Anschläge planten. Sie ließen sich undercover irgendwo ausbilden, um sich dann irgendwo anders in die Luft zu jagen. Und das meist ziemlich weit weg. Ich weiß, dass diese Sichtweise wohl etwas naiv und vermutlich auch nicht gerade empathisch ist. Dennoch habe ich mich nie persönlich bedroht gefühlt. Nicht zu Hause, nicht im Flugzeug, nicht im Ausland. Zu punktuell waren die Ereignisse.

Heute lese ich Schlagzeilen wie „ISIS-Terroristen stehen kurz vor Bagdad“ oder „IS nimmt wichtigen Militärflughafen ein“ – Begriffe, die einen Eroberungsfeldzug beschreiben, die mir sagen, dass die Terroristen übers Land rollen und die Macht ergreifen, anstatt anderswo die Macht zu torpedieren und dann wieder im Versteck zu verschwinden. Auf einer Landkarte, die online wie wild geteilt wurde, sind die Gebiete markiert, die das Kalifat umfassen soll: der Nahe Osten und weitere große Gebiete in Asien, die Türkei, ganz Nordafrika, und Teile Europas mit Spanien, dem Baltikum und Österreich. Das siehst so aus, als könnte das Kalifat bald vor meiner Hautür stehen.  

Ja, ich weiß: So weit wird es wohl nicht kommen. Immerhin operiert die Gruppe gerade in einer Region, die so zerrüttet ist, dass die dortigen Regierungen und Militärs ihr nicht viel entgegen zu setzen haben, und das wäre sicher nicht überall so. Aber, und das ist der zweite große Grund für meine Angst, vor meiner Haustür ist sie trotzdem schon. Eigentlich sogar in meinem Haus und in meiner Hosentasche.  

Denn die IS-Terroristen nutzen soziale Netzwerke und das Internet als Verbreitungs- und Propagandaplattform intensiver als andere Gruppen. Sie posten grausame Exekutionsvideos und unter Hashtags wie #AMessageFromISISToUs erscheinen Drohbotschaften wie „Wir sind in eurem Land, wir sind in euren Städten, wir sind in euren Straßen“, teilweise mit Fotos der schwarzen IS-Flagge in Chicago oder vor dem weißen Haus. Sie schüren unsere Ängste. Aber sie präsentieren sich auch genau entgegengesetzt: Es gibt Fotos von bewaffneten Terroristen, die mit kleinen Kätzchen spielen. Ein IS-Kämpfer twitterte nach Robin Williams’ Tod, wie gern er „Jumanji“ mochte. Ein anderer, wie sehr er sich über ein Snickers freut („Hätte nicht gedacht, dass ich das hier essen würde!“), wieder ein anderer lud ein Foto von Pizza hoch, die er und seine Kameraden zusammen gemacht hatten.

Gerade erst gingen die Bilder von Jungs mit Sturmgewehr über der Schulter und Nutellaglas in der Hand durchs Netz. Einer von ihnen trägt ein Tuch vor dem Gesicht, aber an den Augen kann man erkennen, wie jung er ist. Jünger als ich vermutlich. Er hat zierliche Hände, das Glas sieht darin sehr groß aus. Ein anderer trägt einen Safarihut, hat halblanges Haar und ein weiches Gesicht. Das sind keine Terroristen aus den Bergen, das sind Jungs, die da zu Hause sind, wo ich zu Hause bin – in einer globalisierten, vernetzten Welt, in der man sich Haselnussaufstrich aufs Brot schmiert. Es könnten Jungs aus der Nachbarschaft sein. Es sind Jungs aus der Nachbarschaft. Sie begegnen mir ja jeden Tag im Internet.  

Immer gab es auf der Welt Angst vor dem Fremden. Mittlerweile gibt es aber nur noch sehr wenig Fremdes. Dafür fällt das Bekannte mit einer Brutalität zusammen, die man vorher eher dem Fremden zugeschrieben hat. Und das ist viel beängstigender. Weil es so nah ist. Hätte ich die Weltkarten-Schreibtischunterlage von damals noch und müsste ich Kreuzchen darauf machen – ich wüsste nicht, wohin ich sie zeichnen sollte. Ich würde vermutlich ein besonders großes im Nahen Osten machen. Aber auch viele kleine überall sonst. In einem schlechten Moment vielleicht auch ein einziges über die ganze Karte hinweg.  

„Letztes Jahr hat Kevin sich fürs Rappen oder ein Medizinstudium interessiert, dieses Jahr für den Dschihad, nächstes Jahr vielleicht wieder für ein Studium“, schreibt Michael White, Mitherausgeber des „Guardian“, über einen Jungen aus London, der in Syrien gekämpft und mit dem abgetrennten Kopf einer seiner Feinde in einem Video geprahlt hat. Michael White hat keine Angst. Er glaubt, dass die Gruppe zu instabil, zu unorganisiert, zu wenig ideologisch gefestigt ist – und dass viele ihrer Mitglieder eigentlich zu gerne einen westlichen Lebensstil pflegen, um sich für immer auf eine islamistische Gruppe einzulassen. So kann man das natürlich auch sehen. „Werden wir in einem Jahr noch über ISIS sprechen?“, fragt White gegen Ende seines Textes. „Ich mag falsch liegen, aber ich bezweifle es. Es gibt Hoffnung.“ Und Hoffnung ist ja eine ganz gute Medizin gegen Angst.

Wie verschlüssele ich meine Kommunikation?

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Täglich verschicken und empfangen wir gefühlt Hunderte von Nachrichten: Via E-Mail, über Messengerdienste wie Whatsapp und Viber oder im Facebook-Chat. Meist schreiben wir darin ganz unbekümmert über all das, was uns bewegt: Wir tratschen über die Abenteuer der letzten Nacht, erzählen vom letzten Absturz oder lästern über den Chef. Manchmal verschicken wir auch heikle Zugangsdaten oder verraten Geheimnisse, die außer dem Empfänger niemand wissen soll. Wird schon keiner mitlesen, denken wir. Und wenn doch? Was schreibe ich schon, wofür sich andere interessieren?  

„Im Grunde sollten wir alle so viel wie möglich verschlüsseln“, sagt der Datenschützer und Computerexperte Jochim Selzer, der regelmäßig so genannte Crypto-Partys veranstaltet, um anderen Menschen beizubringen, wie genau das funktioniert. Weil derzeit noch sehr wenige Menschen ihre Nachrichten verschlüsseln, und oft nur dann, wenn sie wirklich etwas zu verbergen hätten, sei jede verschlüsselte Nachricht auffällig, sagt er.  

„Erst wenn ein gewisses Grundrauschen entsteht, fällt es potenziellen Interessenten schwer, zu wissen, wann eine Nachricht mit relevanten Informationen verschickt wird und wann nicht.“ Wer seine Kommunikation verschlüsselt, schütze also nicht nur sich selbst, sondern auch alle anderen, so Selzer.   Leider sei die Verschlüsselung der eigenen Kommunikation derzeit noch mit etwas Aufwand verbunden. Dafür gibt es zwei Gründe: „Bis vor Kurzem war Verschlüsselung nur etwas für echte Nerds. Für die ist Benutzerfreundlichkeit nicht so relevant“, erklärt er. Außerdem sei es nur bei Open-Source-Programmen möglich, dass unabhängige Experten den Quellcode untersuchen. „Das dauert immer eine Weile.“ Deshalb seien Verschlüsselungsprogramme, die schon länger auf dem Markt sind, sicherer als neue.  

E-Mails verschlüsselt man am besten mit einer sogenannten „asymmetrischen Verschlüsselungsmethode“, erklärt Selzer. Das bedeutet, dass die Methode, mit der der Sender die Mail verschlüsselt, nicht dieselbe ist, mit der sie der Empfänger wieder entschlüsselt. Dazu sind drei Open Source Programme notwendig, die man sich online kostenlos herunterladen kann: Das E-Mail-Programm „Thunderbird“, „Enigmail“, das im Add On-Menü von Thunderbird zu finden ist, und das Kryptographiesystem „GNU Privacy Guard“ (kurz GPG; hier: für Windows und für MacOS).  

„Sobald diese drei Programme installiert sind, geschehen magische Dinge“, sagt Selzer. Will heißen: Man ist in der Lage ein Schlüsselpaar zu generieren, dass aus einem öffentlichen und einem privaten Schlüssel besteht. Den öffentlichen Schlüssel verschickt man als Mailanhang. Nur mit diesem Schlüssel kann mir der Empfänger dieser Mail eine verschlüsselte Mail schicken. Um diese Mail zu lesen, ist der private Schlüssel notwendig. Um ebenfalls verschlüsselt zu antworten, muss auch der Empfänger diese Programme installiert haben.  

„Im Grunde funktioniert dieses Schlüsselpaar wie ein öffentlicher Briefkasten, den ich aufhänge“, erklärt Selzer. „Wer weiß, dass es diesen Briefkasten gibt, kann mir dort eine Nachricht hinterlassen, die nur ich lesen kann, weil nur ich in der Lage bin, den Briefkasten zu öffnen.“  

Diese Methode habe jedoch Grenzen. Verschlüsselt werde nämlich nur der Inhalt der Mail, nicht aber die Betreffzeile und die Adressen von Absender und Empfänger. „Dass jemand einem anderen eine Nachricht schickt, kann in bestimmten Fällen für Dritte genauso interessant sein, wie der Inhalt der Nachricht“, sagt Selzer. Auch wer den Inhalt von Mails nicht kennt, sieht, dass Kommunikation stattfindet. Das kann oft schön genügen.  

Wer also verhindern will, dass die eigene Kommunikation überhaupt sichtbar wird, dem rät Selzer zum anonymen Chat im so genannten Tor-Netz, ein Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten im Internet. Dort sind die Adressen kompliziert und enden meist auf .onion, also auf „Zwiebel“. Selzer empfiehlt einen Chat, der unter dieser Adresse zu erreichen ist: okj7xc6j2szr2y75.onion. Darüber hinaus kann man über Tor ganz generell anonym im Netz surfen, ohne dass jemand nachvollziehen kann, von welcher IP-Adresse aus bestimmte Seiten aufgerufen wurden.  

Auch Nachrichten auf dem Handy können verschlüsselt verschickt werden, jedoch nicht über die üblichen Dienste wie Whatsapp oder Viber. Von denen rät Selzer ab: Im Falle von Whatsapp „wegen der vielen in der Vergangenheit entdeckten Sicherheitslücken, dem nicht einsehbaren Quellcode und dem nicht gerade für übertriebenen Datenschutz bekannten Betreiber Facebook.“ Die Betreiber von Viber sprächen das Thema Verschlüsselung nicht einmal an. Sicherer seien die Programme „Textsecure“ und „Threema“, die sich ebenso wie alle anderen Messaging-Dienste als App herunterladen lassen.  

Selbst konventionelle Chats, wie beispielsweise der von Facebook, lassen sich mithilfe entsprechender Zusatzprogramme verschlüsseln. Dazu sind wieder zwei Downloads notwendig, die online als kostenlose Open Source Anwendungen zu haben sind: Der Multiprotokoll Chatclient „Pidgin“, der auf verschiedene Chat-Programme anwendbar ist, und das  Plug in „Off the Record Messaging“, kurz „OTR“, das mit „Pidgin“ zusammenarbeitet. Sind beide Programme installiert und die Gegenseite verfügt ebenfalls über diese beiden Programme, erscheint im Chatfenster ein zusätzlicher Button, um die Kommunikation zu verschlüsseln. „Jedoch ist das nur im Eins-zu-Eins-Chat möglich“, sagt Selzer. „Im Gruppenchat geht das leider noch nicht.“  
Schließlich rät Selzer dazu, die Festplatte des Computers mit einem Schlüssel zu versehen. Geht der Computer verloren, oder gerät in fremde Hände, kann niemand so leicht darauf zugreifen. „Bis vor kurzem hätte ich an dieser Stelle noch zu Truecrypt geraten“, sagt Selzer. Jedoch sei das Programm derzeit mit Vorsicht zu genießen, weil die Projektverantwortlichen unter sehr eigenartigen Umständen die Arbeit am Projekt eingestellt hätten. „Ich nutze Truecryt noch“, sagt Selzer, empfehle es aber derzeit nur unter Vorbehalt.“ Eine vergleichbare Alternative gebe es leider nicht.  

Autorin Marlene Halser, 37 Jahre, hat vor den Enthüllungen Edward Snowdens im Juni 2013 nie über die Verschlüsselung ihrer Kommunikation nachgedacht.
   

Fünf Tipps, um die eigene Kommunikation zu verschlüsseln  

1. Möglichst lange und komplizierte Passwörter verwenden und möglichst für jede Gelegenheit ein neues Passwort wählen. Wer sich diese nicht merken kann, kann sie in einer verschlüsselten Open Source Datenbank speichern, zum Beispiel mithilfe von „Keypass“.       

2. Zum Verschlüsseln von Emails „Thunderbird“, das Add-On „Enigmail“ und das Kryptographiesystem „GNU Privacy Guard“ (GPG) installieren. So viele Nachrichten wie möglich verschlüsseln, um zu verschleiern, welche Nachrichten wichtig sind und welche nicht.    

3. Im Tor Netz anonym surfen und chatten.  

4. Nachrichten nicht über Whatsapp oder Viber verschicken, sondern über Textsecure oder Threema.    

5. Den Facebook-Chat mithilfe von „Pidgin“ und dem Plug in „OTR“ verschlüsseln und die Freunde bitten, das auch zu tun.

Wie freundlich bist du zu Touristen?

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In München ist es das MVV-Netz. Mit seinen Zonen, Ringen und Streifen verwirrt es manchmal selbst Einheimische. Ein Tourist kann da also schnell den Überblick darüber verlieren, welche Fahrkarte er jetzt genau braucht. Ich weiß das, denn ich bin selbst neu in der Stadt und musste schon mehrmals jemanden um Hilfe bitten. Andere Touristenstädte haben ebenfalls ihre Tücken, etwa Paris. Dort ist es nicht schwer, sich beim Umsteigen in der U-Bahn auf dem Weg zum Gleis gegenüber in den verwinkelten Schächten zu verlaufen.

Man kann sich aber auch oberirdisch verlaufen. Beispielsweise wenn einem Google Maps auf dem Handy nicht mehr weiterhilft oder erst gar kein Stadtplan zur Hand ist. Das kann dann zu hilflosen Gesichtern führen, die in der Gegend herumschauen und insgeheim darauf hoffen, dass irgendjemand fragt: "Kann ich helfen?"




Helfen oder nicht?

Ich selbst kenne ich mich inzwischen etwas besser aus und muss Leuten nicht mehr so oft mit einem Dackelblick signalisieren, dass sie mir bitte weiterhelfen sollen. Ich könnte aber, wenn ich wollte.

Bei Besuchern aus dem Ausland kann das schwieriger werden: Zum Beispiel, wenn Einheimischer und Tourist sich nicht ausreichend verständigen können. Etwa, wenn jemand nicht gut Englisch spricht und man selbst keine andere Fremdsprache beherrscht. Oder wenn man gerade einen stressigen Tag hinter sich hatte und keine Nerven mehr hat, sich fünf Minuten hinzustellen und geduldig die S-Bahn-Verbindungen inklusive der zu beachtenden Zonen zu erklären. Manchen Menschen ist es zudem einfach unangenehm, anderen Leuten ihre Hilfe quasi aufzudrängen. Das könnte man unterschwellig schließlich als "Ohne mich schaffst du es nicht!" verstehen. Oder?

Wie ist das bei dir? Sprichst du Menschen immer sofort an, wenn du ein hilfloses Gesicht siehst? Oder läufst du einfach weiter, wenn du eh schon gestresst bist? Musstest du selbst schon mal nach dem Weg fragen oder hast du da eher Scheu? Und was meinst du: Wie spricht man jemanden in so einem Moment am besten an?

Schäuble vs. Studenten

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Die Idee war gut, und sie sprach sich schnell rum. Kaum hatte der Bundesfinanzhof (BFH) sein Urteil über die steuerliche Absetzbarkeit von Ausbildungskosten verkündet, etablierten sich die ersten Sparmodelle. Insbesondere Akademiker nutzen seitdem das großzügige Urteil, um ihr Studium steuerlich so kostengünstig wie möglich zu gestalten. Sehr zum Ärger der Finanzbehörden und sehr zum Ärger von Minister Wolfgang Schäuble (CDU).

Mit einem jetzt vorgelegten Gesetzesentwurf will der Minister Schluss mit dem steuersparenden Studium machen und das Urteil des BFH aushebeln. Doch dabei soll es nicht bleiben. Der Minister will ein weiteres BFH-Urteil kassieren, das sich positiv für den Steuerzahler auswirkt. Auch bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Betriebsfeiern soll das „Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ die großzügige Auslegung der Finanzrichter unterbinden.



Studenten: Ein neues Feindbild für den Finanzminister?

Es war ein grundlegendes Urteil, das der BFH im Februar des vergangenen Jahres in Sachen steuerlicher Absetzbarkeit von Ausbildungen verkündete. Wie bisher, so entschieden die Richter, solle man nur die zweite Ausbildung beim Fiskus als Werbungskosten anrechnen können. Für die erste Ausbildung gelte das nicht.

Neu und sehr großzügig war allerdings, was die Richter so alles unter einer ersten Ausbildung verstanden wissen wollten. Sie hielten es nicht für nötig, dass es sich bei der Erstausbildung um eine Lehre, also um ein Arbeitsverhältnis handeln muss, das eine Ausbildung zum Ziel hat. Auch eine Mindestdauer der Ausbildung wollten die Juristen nicht zum Kriterium machen und auch keine formale Abschlussprüfung. Es befinde sich in Berufsausbildung, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet.

Die angehenden Akademiker nutzen das Urteil, um sich zwischen Abitur und Studium schnell zum Taxifahrer ausbilden zu lassen. Andere bevorzugten einen etwas mondäneren Ansatz und wurden Skilehrer. Die Kosten des folgenden Studiums ließen sie sich dann beim Fiskus anschreiben, um sie später vom ersten Einkommen als Werbungskosten absetzen zu können.

Das wurde Schäubles Experten dann doch ein bisschen zu bunt. Die vom BFH getroffene Definition erschwere eine sinnvolle Abgrenzung zwischen Erst- und Zweitausbildung und führe zu nicht gewollten Ergebnissen, heißt es im Gesetzesentwurf.

Eine Erstausbildung habe stattdessen mindestens 18 Monate lang zu sein. Ferner müsse die Berufsausbildung abgeschlossen sein, um als erstmalige Berufsausbildung anerkannt zu werden. „Eine abgebrochene Berufsausbildung ist damit keine abgeschlossene Berufsausbildung“, schreiben Schäubles Leute. Kürzere Ausbildungen betrachte man künftig als „Anlernphase“ und nicht als Ausbildung.

Auch bei den Betriebsfeiern ging der BFH nach Ansicht von Schäubles Leuten zu weit. Zwar hatte das Gericht den Grundsatz bestätigt, dass die Feier-Ausgaben des Arbeitgebers als Arbeitslohn zu versteuern sind, wenn sie eine Freigrenze von 110Euro pro Person übersteigen. Doch hatten die Richter neu geregelt, wie sich diese 110 Euro zusammensetzen sollten. So sollten Ausgaben für die Begleitung nicht eingerechnet werden. Auch Dinge, die der Arbeitnehmer nicht verzehren kann, zählen für den BFH nicht – die Kosten für den Discjockey zum Beispiel oder der Mietpreis für ein Lokal. Sprich, der BFH erlaubte deutlich teurere Partys, ohne dass die Arbeitnehmer die Sause versteuern hätten müssen.

Nach Auffassung des Finanzministeriums führt dieses Urteil jedoch zu „einer unklaren und komplizierten Rechtslage“. Mit dem geplanten Gesetz soll deshalb das Urteil des BFH wieder aufgehoben werden. Betriebsfeiern seien Zuwendungen des Arbeitgebers. Ach ja, und auch die Ausgaben, die für die Party-Begleitung des Arbeitnehmers anfielen, müsse man zu den Aufwendungen zählen. Wohl um nicht als totaler Spaßverderber dazustehen, soll die Freigrenze mit demselben Gesetz von 110 auf 150 Euro angehoben werden.

Dennoch löst das Vorgehen des Ministeriums bei Steuerexperten Kritik aus. „Die Erhöhung der Freigrenze bringt herzlich wenig, wenn die Bemessungsgrundlage gleichzeitig ausgeweitet wird“, urteilt etwa der Steuerexperte der Freien Universität, Frank Hechtner. Und auch das Vorgehen gegen die steuersparenden Studenten sieht er kritisch. „Sollte die Regelung so kommen, dann bleibt sich der Gesetzgeber treu, einmal wieder die unliebsame Rechtsprechung des BFH auszuhebeln.“

Vielleicht hat Schäubles Ministerium auch deshalb die Sachsen-Wahl abgewartet, bevor es den Referentenentwurf ohne Ankündigung und ohne weiteren Kommentar auf seiner Internetseite veröffentlichte.


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