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Ein Tag im Leben eines Wikipedia-Wächters

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Die erste Löschung geschieht kurz nach Mitternacht: Der Eintrag des Sängers Nasri Atweh überlebt ganze 62 Sekunden, dann ist er weg. Begründung: „Seiteninhalt war Unsinn“. Kann man nachvollziehen, der Eintrag bestand aus drei Worten: „ER IST HEISS!“  

Mehr als 60 Artikelversuchen wird es im Verlaufe des Tages ähnlich ergehen. Sie werden diskussionslos gelöscht. Auch von mir.  



Aus allen Löchern kommt die Irrelevanz. Und irgendjemand muss sie beseitigen.

Als Wikipedia-Administrator habe ich die Aufgabe, Unsinn aus dem Enzyklopädie-Projekt herauszuhalten. Auch 13 Jahre nach seinem Start scheint die Mitarbeit bei Wikipedia für viele da draußen immer noch eine mysteriöse Aufgabe zu sein. Vor etwa zwei Wochen hatte der jetzt.de-Autor Friedemann Karig mit einem übertrieben selbstbeweihräuchernden Wikipedia-Eintrag über sich selbst die „Selbstheilungskräfte“ des Enzyklopädie-Projekts getestet und einen Artikel darüber verfasst. Kurz nachdem seine Erkenntnisse auf jetzt.de und in der Süddeutschen Zeitung publiziert wurden, bekam er den Zorn der aufgebrachten Wikipedia-Administration zu spüren. Wenig später wurde sein Wikipedia-Eintrag gelöscht.  

Für Einsteiger und Außenstehende ist die Wikipedia also immer noch eine Black Box: Wenn man versucht, etwas beizutragen, reagiert das System auf eine schwer vorhersehbare Weise. Und das oft mit für den Neuling unbefriedigendem Ausgang: Die Kommentarspalten zu Wikipedia-Einträgen sind in der Regel voll von frustrierten Äußerungen, in denen über die Willkürherrschaft der dortigen Administratoren geklagt wird. Alles würde gelöscht, geblockt und gesperrt. Friedemann hatte die Eingangskontrolle der Wikipedia die „härteste Tür des Internets“ genannt. Grund genug, noch mal genauer zu erklären, was ich und die anderen Administratoren da eigentlich machen. Womit wir tagtäglich konfrontiert sind.  

Deshalb schaue ich mir an einem Montag im August genauer an, was alles in die Wikipedia gestellt wird und was damit passiert. Jeden Tag kommen rund 300 neue Artikel zu den mehr als 1.700.000 bestehenden hinzu, Dutzende werden gelöscht. Kurz nach dem Aufstehen schaue ich mir erstmal bei den Neuen Artikeln an, was die Nacht nach der Löschung des „heißen“ Sängers Nasri Atweh noch gebracht hat. Einige Benutzer waren ziemlich produktiv: Einer hat innerhalb weniger Minuten fünf Übersichtsseiten zu militärischen Einheiten verfasst. Ein anderer steuerte kurz darauf ähnlich schnell fünf Artikel zu Folgen der Filmreihe „Bloch“ mit dem verstorbenen Dieter Pfaff bei. Anschließend kamen einige Bürgermeister von New York und Washington dazu, deren politische Karrieren größtenteils im 19. Jahrhundert endeten. Beim Durchklicken kommt es mir so vor, als könne es jetzt wirklich nicht mehr lange dauern, bis wir fertig sind mit der Enzyklopädie.  

Zu Schulzeiten kommt etwa ab 8 Uhr für gewöhnlich ziemlich viel Unsinn rein. Heute ist es weniger, zum Glück sind gerade Sommerferien, sonst wäre es sicher mehr. Aber dennoch: Gegen 9 Uhr erfahre ich, dass eine gewisse Ellie W. 1788 geboren wurde und erste russische Präsidentin war. Obwohl ich sonst alles glaube, was in der Wikipedia steht, bin ich in dem Fall misstrauisch und konsultiere die Suchmaschine meines Vertrauens. Die weiß davon nichts. Als ich den Artikel löschen will, ist er von einem Kollegen schon entfernt worden, der im Gegensatz zu mir wohl schon seinen ersten Kaffee hatte.  

Es werden immer mehr Artikel eingestellt. Ich erfahre zum ersten Mal von den „Wetu Telu“, einer religiösen Gemeinschaft auf der indonesischen Insel Lombok, und von einem mauretanischen Fußballverein, der seine größten Erfolge in den späten Siebzigerjahren feierte. Dazwischen: Tastaturtests, teils nur zwei Zeichen lang, ausführliche Beleidigungen, das Wort „PENIS“ und Artikelversuche auf Englisch, Portugiesisch und Griechisch. Bei Letzteren handelt es sich um eindeutige Fälle, über eine Löschung muss nicht diskutiert werden. Kaum einer dieser Einträge bleibt länger als drei Minuten. Es erinnert ein bisschen an „Whac-A-Mole“, das Spiel, in dem Maulwürfe aus Löchern hervorkommen und mit einem Hammer zurück in die Löcher geprügelt werden müssen. Nur dass hier eben mehrere Leute mit einem Hammer in der Hand lauern: Sobald ich auf einen Unsinnseintrag aufmerksam geworden bin und das Lösch-Interface aufrufe, ist mir ein anderer Administrator schon zuvor gekommen und ich sehe die Meldung „Die Seite oder Datei konnte nicht gelöscht werden. Möglicherweise wurde sie bereits von jemand anderem gelöscht.“  

Im weiteren Verlauf des Vormittags werden immer mehr längere Texte eingestellt, die offensichtlich eine Firma, ein Produkt oder eine Person anpreisen. Der ungeschickteste davon beginnt mit den Worten „HERZLICH WILLKOMMEN AUF DER OFFIZIELEN SEITE DES WORLD SONG CONTESTES!“ Doch bei manchen ist das Eigenlob auch weniger eindeutig, ebenso die Relevanz. Da ist etwa das 2010 eröffnete Hotel im Frankfurter Bahnhofsviertel, ein Schweizer Hersteller von Wasserrutschen, ein Lets-Play-YouTube-Kanal mit insgesamt 400 Aufrufen und eine kürzlich gegründete Rockband aus Geretsried, die gerade einen Bassisten sucht. Dabei muss sie allerdings ohne die Hilfe der Wikipedia auskommen, der Eintrag ist schnell wieder weg. Bei den Wasserrutschen überlege ich noch. Doch während ich einen Löschantrag formulieren will, hat eine Kollegin bereits das Urteil gesprochen: Auch dieser Artikel ist schon gelöscht.  

Der normale Weg für eine Löschung bei Wikipedia geht eigentlich über eine Diskussion, die mehrere Tage oder manchmal auch Wochen läuft und an deren Ende entschieden wird, ob ein Artikel bleiben darf oder nicht. Nur in eindeutigen Fällen soll direkt gelöscht werden. In der entsprechenden Richtlinie heißt es, dass das beispielsweise bei „zweifelsfreier Irrelevanz“ gemacht werden darf. Ab wann man von zweifelsfreier Irrelevanz sprechen kann, ist dabei umstritten. Die Grenze hat sich in den vergangenen Jahren aber immer weiter verschoben. Bei der Kontrolle neuer Artikel trifft in diesem System außerdem niemals der behutsamste Kontrolleur die Entscheidungen – sondern der schnellste. Das Löschen eines Artikels braucht keine zwei Sekunden, das Formulieren eines Löschantrags dafür deutlich mehr. Und diesem folgt dann auch noch eine lange, oft anstrengende Debatte. Die Versuchung ist also groß, den Prozess abzukürzen. Bei dem Wasserrutschen-Hersteller sollte ich jetzt eigentlich Einspruch erheben. Ich kann mir schwer vorstellen, dass der so eindeutig irrelevant ist, dass man noch nicht mal drüber reden braucht.  

Andererseits: Will ich mich wirklich für einen Text einsetzen, den mit hoher Wahrscheinlichkeit der Marketingreferent oder die PR-Managerin geschrieben hat, um das Unternehmen bekannter zu machen? Alle werbenden Formulierungen müssten erstmal von ehrenamtlichen Mitarbeitern rausgejätet, die Richtigkeit der Angaben überprüft werden. Das Recherchieren seriöser Informationen, die nicht direkt aus der Pressestelle des Unternehmens stammen, dürfte sich schwierig gestalten.

Die Wikipedia ist in der öffentlichen Wahrnehmung die zentrale Wissensressource geworden. Diese Bedeutung macht sie zum willkommenen Ziel für Marketing- und PR-Leute. Kein Wunder, dass die Eingangskontrolleure neuen Autoren mittlerweile mit einem Selbstverständnis entgegen treten, das an die Nachtwache aus „Game of Thrones“ erinnert. Sie reagieren gereizt, wenn sie den Eindruck haben, auf ihrem Rücken würden sich andere profilieren. Entsprechend böse wurde Friedemann Karig von einigen Benutzern angegangen, die sich als „Versuchskaninchen“ missbraucht fühlten.  

Das Ganze ist eine Art Teufelskreis: Mit der Zunahme von mehr oder weniger PR-getriebenen Artikeln  wurde die Geduld der Administratoren zunehmend auf die Probe gestellt. Einer ganzen Reihe von Benutzern, die früher extrem aktiv mitarbeiteten und neue Artikel entweder verbesserten oder zur Löschung vorschlugen, ist darüber die Lust vergangen: Sie haben sich neue Hobbys gesucht. So gibt es seit einiger Zeit mehr ehemalige als aktive Administratoren in der Wikipedia – obwohl dieses „Amt“ eigentlich auf Lebenszeit verliehen wird. Durch diesen Trend steigt wiederum die Arbeitsbelastung der Übriggebliebenen, was sicherlich nicht zu einem entspannteren Klima führt, weder für Neulinge noch für alteingesessene Benutzer.  

Mir selber ist das Kontrollieren neuer Artikel mittlerweile meistens auch zu anstrengend – zumal andere Benutzer, teils von Computer-Scripten unterstützt, das eh schneller erledigen. Allerdings gibt es auch genug anderes zu tun. Nach wie vor existieren riesige Lücken zu Artikelgegenständen, die eindeutig fehlen. Ob bei Kolibri-Arten, bulgarischen Kabinettsmitgliedern oder NFL-Profis - in all diesen Bereichen wird niemand dazwischenfunken, wenn man einen halbwegs seriös verfassten Beitrag einstellt.

"Am Ende ist doch eigentlich alles Pop"

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Vor drei Jahren zog Georg auf Lieder, Musiker mit bolivianischen Wurzeln, von Hamburg nach Berlin, mitsamt seiner Musik und seinem Humor. Als Bühne nahm er sich ein paar Quadratmeter unter der Weltzeituhr am Alexanderplatz, Publikum war, wer stehenblieb. Dieses Jahr sind die Bühnen größer und heißen „Rock am Ring“ und „Rock im Park“. Am 22. August ist Georg auf Lieders Debütalbum „Alexanderplatz“ bei Universal Music erschienen. Ein Gespräch über Popmusik, nach Hause fahren und bewusste Entscheidungen.  

jetzt.de: Der Name deines Debütalbums „Alexanderplatz“ ist ein Verweis auf deine Straßenmusikerzeit. Wieso hast du dich vor drei Jahren dazu entschieden, von Hamburg nach Berlin zu ziehen und dort Straßenmusik zu machen? 
Georg auf Lieder: Es war eine Zeit des totalen Umbruchs für mich. Ich bin nach Berlin gezogen, um meine Musik voran zu bringen. Dabei wusste ich noch nicht, wie das passieren soll – aber, dass es passieren muss. Ich war total abgebrannt, habe zwei, drei Wochen Wasser mit Haferflocken und Zwiebeln gegessen und es Zwiebelsuppe genannt. Also habe ich angefangen, Straßenmusik zu machen, was erstaunlich gut lief. Ich habe nur eigene Songs gespielt und angefangen CDs zu verkaufen und dann konnte ich auf einmal von meinen Songs meine Miete bezahlen und meinen Kühlschrank füllen.  

Ein Mit-dem-Rücken-zur-Wand-Werdegang also. So was will man hören.

(lacht) Ja. Hinzu kommt, dass ich die Leute mit meinen eigenen Songs erreichen konnte. Es ist ja oft so: Als Musiker schreibt man Songs, die zeigt man mal Freunden und macht höchstens bei so komischen Contests mit, aber weiter wächst das nie. Durch die Straßenmusik hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass es läuft. Die ersten Male habe ich mich am Alexanderplatz mit meiner Gitarre aufgebaut, bin dann aber wieder nach Hause gefahren, weil ich mich nicht getraut habe. Das kostete wirklich Überwindung, denn du machst dich echt nackig, wenn du keine Coverversionen von Songs spielst, die jeder kennt und mag. Aber wenn du einen guten Tag hast, dann bleiben um die hundert Leute stehen, um dir zuzuhören.

Wäre es nicht einfacher gewesen, Coverversionen zu spielen?

Klar, aber ich wollte ja nicht, dass die Leute mir einen Euro schenken, weil ich Songs spiele, die sie kennen und sich daheim immer anhören. Ich wollte, dass sie sehen, was ich mache – dass sich ein Typ da hinstellt und seine eigenen Sachen spielt, die jeder versteht, aber keiner kennt.  



Georg auf Lieder war schon und ist noch vieles - Punkrockmusiker, Straßenmusiker, Popmusiker, Schulabbrecher, Geschichtenerzähler, Mann mit Humor.

Gestern Straßenmusik, heute Plattenvertrag. Dein Album erscheint bei Universal Music. Wie ist das passiert?

Ich hatte letztes Jahr das unwahrscheinliche Glück, dass ein paar Labels gleichzeitig mit mir zusammenarbeiten wollten. Dementsprechend konnte ich sehr früh klar machen und damit verhandeln, dass ich nur das machen will, worauf ich Bock habe. Und dann habe ich mich für das Label entschieden, dass mir am meisten das zugesichert hat, was ich wollte, und das am stärksten interessiert war – das war dann Universal.  

Wie sind die auf dich aufmerksam geworden?

Ich wurde 2012 auf dem Alexanderplatz von einem Kumpel meines Managers angesprochen, durch den wir uns dann kennenlernten. Er hatte gerade frisch angefangen, Künstler zu managen. Wir haben uns zusammengetan, hochgearbeitet, beide den Arsch aufgerissen und einfach jede Möglichkeit genutzt, irgendwo vorzuspielen. Bei einem Showcase in Hamburg auf dem Reeperbahnfestival waren dann plötzlich Produzenten, Labels, Verlagsleute, alle da. Das war echt absurd – und danach kam das große Kennenlernen. Dabei war es wichtig, einen Verbündeten dabei zu haben, der die Musikindustrie und die Medienwelt durchschaut und verstanden hat.  

Deine Auftritte leben von deiner Entertainerqualitäten und den amüsanten bis schönen Geschichten, die du zu den Songs erzählst. Ist das geplant oder sprudelt das spontan aus dir raus?

Prinzipiell gibt es immer eine Geschichte zum Song, in der ich etwas mit Menschen erlebt habe. Und ich erzähle diese Geschichte vorher oft, damit die Leute ein Gefühl für den Song bekommen. Teilweise gehe ich auf die Bühne und weiß nicht mal, welche Songs ich spielen werde, denn ich versuche damit anzufangen, was gerade auf und vor der Bühne passiert. Ich finde auf der Bühne zu stehen, ist wie eine fremde, neue Küche zu betreten. Man kommt rein und hat ganz viele Zutaten, grundlegend kann man kochen, aber man weiß noch nicht, was. Ich mag das und ich glaube die Leute auch, wenn sie merken, dass ich meine Konzerte nicht bloß runterrattere, sondern wirklich da bin, mir den Arsch abspiele und Mühe gebe.  

Du sagst immer, du machst deutsche Popmusik. Du hast aber eine musikalische Vergangenheit der eher härteren Gangart.

Ich komme aus wirklichem Geballer, Punkrock und solche Sachen, und war eigentlich nur Gitarrist. Sich aber nur mit dickem E-Gitarren-Geschrammel auf den Alex zu stellen – ich weiß ja nicht. Durch die Akustikgitarre hat es sich zum Pop entwickelt. Das fühlt sich für mich aber ganz natürlich an. Und machen wir uns nichts vor, diese ganze verkappte Genrespaltung – am Ende ist doch eigentlich alles Pop!  

Du hast sehr früh alles auf eine Karte gesetzt, dich für die Musik und für viel Unsicherheit entschieden. Ziemlich konsequent.

Ich habe mit 17 die Schule abgebrochen, weil ich Rockstar werden wollte (lacht). Ich habe in einer Band gespielt – zwar den Großteil der Songs geschrieben, aber nur Gitarre gespielt, nicht gesungen – und in diese Band habe ich alles reingesteckt. Viel geprobt, Konzerte gespielt, geschrieben, mich mit einem Management zusammen getan, es gab erstes Interesse von Labels und so weiter. Diese Band hat sich dann leider aufgelöst und ich stand vor einem riesen Loch. Das ist jetzt neun Jahre her und diese ganzen Erfahrungen musste ich machen –  dass sich meine Band aufgelöst hat und ich nicht wusste, wo ich hin soll und warum ich mich so verloren fühle. Das war richtig so. Dann habe ich angefangen, selbst zu singen. Und ich war überhaupt kein Sänger.  

Aber du machst ja anscheinend ganz gut, was du da machst.

(lacht) Ja, es wurde ja besser. Es ist für mich aber immer noch absurd, dass ich mittlerweile Sänger bin und nicht mehr Punkrockgitarrist.

Ziemlich beste Feinde

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Nico Rosberg ist am Montagabend in Hamburg gewesen. Blaues Jackett, weißes Einstecktuch – so nahm er einen Preis entgegen, den sich ein Sport-Magazin extra für ihn ausgedacht hatte. Zuvor hatte der 29-Jährige an der Außenalster noch einen anderen Auftritt absolviert. Grauer Sweater, graue Wolken, im Hintergrund Ausflugsschiffchen auf dem grauen Wasser: „Definitiv mein schwerster Video-Blog bisher“, gab Rosberg zu. Weil er es sich zur Gewohnheit gemacht hat, die Geschehnisse bei jedem Grand Prix in wackeligen Youtube-Videos zu kommentieren, kam er aus der Nummer aber nicht raus. Gar nichts zu sagen, das hätte nach dem Großen Preis von Belgien feige gewirkt.



Ein Gutes hat der Kampf von Rosberg und Hamilton: Egal wer gewinnt, in jedem Fall gewinnt Mercedes.

In Spa hatte Rosberg mit seinem Frontflügel den Hinterreifen seines Mercedes-Kollegen Lewis Hamilton aufgeschlitzt, was den natürlich schäumen ließ. Aus der Nachbesprechung mit Rosberg, Teamchef Toto Wolff und Technikchef Paddy Lowe lief der Brite schnurstracks zu den heimischen Journalisten, vor denen er gerne Hof hält und behauptete: Rosberg habe zugegeben, die Kollision, die das Team um einen Doppelerfolg gebracht hatte, absichtlich nicht verhindert zu haben. Eine Version, die Rosberg so nicht stehen lassen will.

2:09 Minuten dauert seine Videobotschaft in der deutschen Version, die englische ist mit 1:42 ein wenig prägnanter. Die meiste Zeit fährt Rosberg verbale Ausweichmanöver: „Wir hatten ein sehr gutes Gespräch nach dem Rennen, ein wichtiges Gespräch.“ – „Was wir im Moment definitiv als Vorteil haben, ist unsere Teamführung, die ist sehr, sehr wichtig in diesen Momenten.“ – „Habe langfristig ein sehr, sehr gutes Gefühl.“ An zwei Stellen aber hält er so entschieden dagegen wie am Sonntag in der Schikane Les Combes. Er habe mitbekommen, wie Hamilton die Diskussion im Meeting nach dem Rennen dargestellt habe. „Ich sehe die Darstellung sehr, sehr anders“, so Rosberg. In Klartext übersetzt heißt das nichts anderes als: Hamilton lügt. Und noch einen nicht unwesentlichen Vorwurf erhebt Rosberg in Richtung des Rivalen. Es sei „wichtig“, findet Rosberg, „dass wir das intern halten, solche Diskussionen.“ Die Reibereien umgehend in die Öffentlichkeit zu tragen, war bisher tatsächlich ein No-No.

Rosberg wurde in Spa Zweiter hinter dem Red-Bull-Fahrer Daniel Ricciardo. Hamilton fiel aus. Vor dem 13. Saisonrennen am 7. September in Monza führen die beiden die WM-Wertung immer noch mit großem Vorsprung an. Doch der Vorfall hat gezeigt, wie schnell die Gegner aufholen können, wenn sich die Favoriten selbst im Weg stehen. Und: Fürs Saisonfinale Ende November in Abu Dhabi sind doppelte Punkte ausgelobt. Auf den letzten Metern könnte Ricciardo, der nach dem dritten Sieg nun schon bis auf 35 Punkte an Hamilton heranrückt ist, so doch noch gefährlich werden. Dieses Szenario beschert dem Gegeneinander der beiden Mercedes-Fahrer, das seit dem ersten Testtag dieses Jahres wogt, eine ganz neue Brisanz. „Es werden sicher noch Gespräche kommen“, ahnt Rosberg, „wir müssen schauen, wie wir weiter verfahren.“ Teamchef Toto Wolff stellte in Belgien neue Regeln für ein geregeltes Miteinander in Aussicht. Wie die aber aussehen sollen, ist noch unklar.

Bei der Deutung des Vorfalls in Umlauf zwei auf dem Circuit Spa-Francorchamps ist inzwischen ein Streit der Regelgelehrten entbrannt. Rosberg-Treue verweisen auf einen Passus, der 2012 ins Reglement aufgenommen wurde und der besagt, dass der Vordermann eine Wagenbreite Platz lassen muss, wenn irgendein Teil eines anderen Autos neben ihm ist. Hamilton wiederum argumentiert: Auf der Strecke zählten Usancen mehr als Buchstaben. „Ihr könnt Fernando Alonso oder jeden anderen Fahrer fragen“, forderte er die Reporter in Spa auf, „sie werden alle sagen: So lange ein Auto nicht eine halbe Wagenlänge neben dir ist, gehört die Ideallinie dir.“

Als Kronzeuge wird von Hamilton Sebastian Vettel angeführt: Der Titelverteidiger versuchte in der ersten Runde, Hamilton an der gleichen Stelle zu überholen, sah, dass er nicht vorbeikommen würde – und steckte zurück. „Er wusste, was zu tun war“, so Hamilton, der sogar noch weitergeht: Nach dem Manöver sei er sich nicht mehr sicher, ob er Nico Rosberg überhaupt noch vertrauen könne. „Wenn du da draußen bist, musst du dich darauf verlassen können, dass die Leute ihren Kopf benutzen“, sagt Hamilton und – dem Drama nie ganz abgeneigt: Nach Rosbergs Auftritt in der Nachbesprechung wisse er wirklich nicht, „wie ich das nächste Rennen angehen soll“. In anderen Worten: Der Teamkollege sei für ihn nur noch bedingt zurechnungsfähig.

Lügner! Kopfloser! Dafür, dass die beiden sich zu Saisonbeginn noch als Freunde bezeichneten, hat sich ihre Beziehung erstaunlich entwickelt. Und Teamchef Wolff schwant bereits, dass noch einiges kommen könnte: „In der zweiten Saisonhälfte wird der Kampf intensiver.“

Tagesblog - 27. August 2014

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(Foto: Juri Gottschall)

18:12 Uhr:
Und gleich nochmal was zum Neidischwerden: Mercedes ist eine Nacht lang mit dem Fahrrad durch München gefahren. Wunderschön war das!

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17:35 Uhr: Das Schaf gefällt euch auch nicht? Dann bin ich ja schon ein bisschen beleidigt... und versuche es nochmal mit etwas Relevanterem: Vier Amerikaner entwickeln einen Nagellack, der seine Farbe ändert, wenn man seinen Finger in einen Drink mit k.o.-Tropfen tunkt. Crazy Shit, sag ich da! Aber ob ich das noch trinken würde, auch wenn sich die Farbe nicht ändert, weiß ich ja nicht...

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16:55 Uhr:
Und ich gehe auch mit gutem Beispiel voran und poste das hier. Ich kritzle immer Schafe. Ich kann sonst auch gar nichts zeichnen. Und nicht mal das, jaja. Und ich schreibe immer statt Schlaf Schaf. Das hängt mit Sicherheit zusammen!





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16:46 Uhr: ... und ich sehe, dass im Label Kritzelkunst ja schon ein bisschen was zu finden ist.
Zum Beispiel diese schöne Kritzelei von chocolatecat. Aber sonst noch nicht so viel. Was ist da los?

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16:19 Uhr: Endlich ein paar Minuten um durch die Usertexte zu stöbern! Auch wegen des Fotos ist mir dieser schöne Text von ein_oxymoron aufgefallen. Sie tröstet sich über das nahende, endgültige Sommerende hinweg. Denn: Immerhin ist ein gutes Pilzjahr!

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(Foto: Crowdspondent)

15:50 Uhr:
Ich bin mal wieder ziemlich neidisch auf Steffi und Lisa. Die haben für ihre Kolumne dieses Mal eine Nacht in einer Höhle verbracht. Es ist jetzt nicht so, dass ich schon immer davon träume, mal in einer Höhle zu schlafen. Aber wenn ich mir das so überlege, dann würde ich das schon gern mal machen...

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14:44 Uhr:
"Full House" wird fortgesetzt! Ich bin, ein bisschen zumindest, denn zum Serienstart 1987 war ich noch nicht auf der Welt, mit der Serie aufgewachsen und hab deswegen gleich mal rumgejubelt, aber jetzt bin ich mir gar nicht sicher, wie ich das finden soll...

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[plugin imagelink link="http://www.interview.de/wp-content/uploads/2014/08/2.jpg" imagesrc="http://www.interview.de/wp-content/uploads/2014/08/2.jpg"] (Quelle)

14:02 Uhr:
Ja, es ist kalt draußen, aber ich wünsch mir grad ganz arg so einen Pool, aber ohne optische Täuschung und nicht für Smalltalk, sondern für Konferenzen.

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13:39 Uhr:
Zurück aus der Mittagspause. Ich war heut mutig und hab das "pikante Gurkencurry mit frischem Koriander und Basmatireis" probiert. War nicht pikant und auch generell eher so mittelmäßig. Ein Foto bekommt ihr trotzdem:





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12:23 Uhr:
Zara hat gerade ziemlichen Ärger. Wegen des Shirts da oben. Woran denkt ihr bei diesen "Design"? Bei Zara verbindet man das mit einem Sheriff. Die meisten allerdings mit der Kleidung, wie sie KZ-Häftlinge trugen. Christina hat für die SZ-de-Kollegen die Geschichte hinter dem T-Shirt aufgeschrieben.

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12:05 Uhr: Für alle, aber vor allem für jbo007, ein Auszug aus der Speisekarte von heute.

Hauptgerichte

Pikantes Gurkencurry mit frischem Koriander und Basamtireis
Gratinierter Ziegenkäse mit Kräuterhonig auf Zucchinigemüsesalat und würzigem Apfelchutney, dazu ein Beilagensalat
Leberkäse mit hausgemachtem Kartoffelsalat und knuspriger Bäckerbreze Frisch gebackene Pizza "Bruschetta" mit Mozzarella, frischem Rucola, marinierten Tomatenwürfel und Parmesan Agnesi Penne mit Zucchinisauce, Parmaschinken und gehobeltem Parmesan Hausgemachte Dim Sum mit Garnelen und Hühnchen gefüllt auf Glasnudel-Mangosalat, dazu Yuzudressing

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11:31 Uhr: Große Diskussion im Redaktionszimmer. Was bedeutet für euch:

"Frisch gebackene Pizza "Bruschetta" mit Mozzarella, frischem Rucola, marinierten Tomatenwürfel (sic!) und Parmesan"

Ist das ne richtige Pizza? Oder mehr so was Pizzabrotartiges? Steht so im Speiseplan aus dem Intranet. Wir können sonst nicht beruhigt arbeiten!

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11:15 Uhr:
Euch ist vielleicht schon aufgefallen, dass es hier etwas leise ist. Das liegt daran, dass die Redaktion ziemlich leer ist. Charlotte zum Beispiel ist diese Woche in Kiew. Und hat gestern schon die Bolognese in der Kantine verpasst! Viel wichtiger aber: Sie schreibt von dort aus Tagebuch - und zwar ein sehr lesenswertes! Die zweite Folge ist jetzt online.Unbedingt lesen!

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10:44 Uhr: Und Konferenz Nummer zwei ist auch vorbei. Gestern gings bei uns ja um die Angst vor Hunden, es sieht so aus, als bräuchten wir bald ein Lexikon zum Thema Angst vor Kühen. Die greifen - angeblich! - immer mehr Wanderer an. Ich kann mir das ja nicht vorstellen. Ich meine:

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09:48 Uhr: In der SZ.de-Konferenz gings heute natürlich auch um die Ukraine, Wowi und Ebola - da wird heute ein Patient in Hamburg erwartet.

Wild debattiert wurde allerdings über diese Themen:

* In Las Vegas hat eine Neunjährige ihren Schießlehrer (ja, ein Schießlehrer für eine Neunjährige!) mit einer Uzi (ja, mit einer Uzi!) erschossen.
* Das Model Roosmarijn de Kok hat Schokoriegel und Fischöl aus einem Biosupermarkt geklaut und steht jetzt vor Gericht.
* In den USA ist es jetzt chic, sich Kochsalzlösung in die Brüste spritzen zu lassen, damit man zum Beispiel am Wochenende größere Brüste hat. Zum Weggehen, für den Strand. Ihr kennt das. Ursprünglich war das Ganze dafür gedacht, dass sich Frauen, die sich die Brüste vergrößern lassen möchten, vorher "testen" können, ob sie das überhaupt gut finden.
* Achja. Und Heino. Heino soll DSDS-Jurymitglied werden!

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09:33 Uhr: So, die Salzkrümel und sonstigen Frühstücksreste sind weggeräumt. Gleich geht's weiter mit den News!

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(Foto:afp)

08:35 Uhr:
Guten Morgen, ihr Lieben! Ich muss gleich wieder los, in die Konferenz von SZ.de, davor noch schnell ein Hinweis auf unseren Ticker: Darin geht's um Kultur im Urlaub, zum Beispiel die kilometerlange Schlange vor dem Louvre. Ich stand zuletzt in der ebenfalls kilometerlangen Schlange vor den Vatikanischen Museen und hab mich auch gefragt, ob die alle wirklich an den dort ausgestellten Dingen interessiert sind. Oder ob sie einfach den Punkt "Vatikanische Museen" auf ihrer Rom-to-do-Liste abhaken wollten. Ich war wirklich interessiert! Sonst wären die 16 Euro Eintritt auch zu teuer gewesen!
Bis gleich!

Das Youtube für Computer-Spieler

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Twitch ist bald Teil von Youtube, das galt in der Tech-Branche eigentlich schon als so gut wie abgemacht. Meldungen über den bevorstehenden Abschluss der Verhandlungen waren so zahlreich wie glaubwürdig. Doch nun kauft Amazon für 970 Millionen Dollar das Portal, auf dem live im Video zu sehen ist, wie Nutzer am Computer spielen.



Twitch auf der Gamescon diesen Jahresn: Jetzt gehört das Unternehmen zu Amazon

Warum aber kamen Google und Twitch am Ende doch nicht zusammen? Am Geld lag es nicht: Der finanzielle Part des Deals soll, so wird es kolportiert, mehr oder weniger identisch gewesen sein. Google-Kreise steckten allerdings dem Magazin Forbes, dass der Internetkonzern kartellrechtliche Probleme fürchtete. Das wäre aber bei allen größeren Youtube-Zukäufen der Fall.

Das Portal The Information vermutet einen anderen Grund hinter dem geplatzten Deal. Nämlich, dass Twitch nicht im Google-Universum versinken wollte. Amazon soll dem Start-up anders als Google weitgehende Unabhängigkeit zugesichert haben. Wenn man Googles Ruf als Start-up-Absorbiermaschine kennt, klingt das schon wahrscheinlicher.

Was aber bekommt Amazon nun für die größte Investition in der Geschichte des Konzerns? 55 Millionen Nutzer pro Monat, mehr als eine Million davon sind sogenannte Uploader. Sie erstellen also Inhalte für die Seite und laden sie hoch. Es gibt ein Abo-Modell namens Twitch Turbo, die Finanzdaten sind aber nicht bekannt. Twitch ist eigenen Angaben zufolge der viertgrößte Bandbreiten-Verbraucher in den USA nach Netflix, Youtube und Apple. Der Dienst wird sicherlich von Amazons Cloudserver-Expertise profitieren. Amazon ist ja schon länger nicht bloß ein Online-Versender, sondern auch ein großer Anbieter für Cloud-Dienste, also Rechenleistung und Speicherplatz im Netz. Das beantwortet aber noch nicht die Frage, was Amazon mit dem Portal anfangen möchte.

Wenn Computerspieler zusammenkommen, füllen sie Stadien – und zwar solche, die für Großereignisse gebaut wurden. So wird das Finale der Spielereihe „League of Legends“ in jenem Stadion stattfinden, in dem 2002 das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Es steht in Seoul und bietet Platz für 66000 Menschen. Wer nicht nach Südkorea kommen will, kann sich das Event über einen Livestream anschauen. Im vergangenen Jahr schauten 32 Millionen Menschen zu – über Twitch.

Auf Youtube gehören sogenannte „Letsplays“ zu den populärsten Kanälen. Man schaut Spielern dabei zu, wie sie sich durch ein Spiel arbeiten und es dabei kommentieren. Mit zu den erfolgreichsten Spielern gehört Felix Kjellberg, sein Nutzername lautet „Pewdiepie“. Kjellberg verdient laut Wall Street Journal vier Millionen Dollar pro Jahr alleine durch Werbeeinnahmen. Youtube setzt dabei vor allem auf Videos, die bereits abgeschlossene Spiele zeigen. Bei Twitch dagegen können die Zuschauer live dabei sein. Das hat den Vorteil, dass die Nutzer in Echtzeit mitdiskutieren können und näher am Spiel sind.

Twitch alleine auf Games-Gucken zu reduzieren, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Das Team gilt als äußerst talentiert; durch das außergewöhnliche Community-Management ist die Plattform längst zu einem beachtlichen sozialen Videonetzwerk geworden. Wie ernst die Macher den Dialog mit den Kunden nehmen, zeigte sich schon am Montag: In einer öffentlichen Fragestunde beantworteten Firmenchef Emmett Shear und Amazon-Games-Chef Mike Frazzini per Videoübertragung Fragen der Nutzer. Und wer Spiele streamt, kann am Ende alle möglichen Live-Übertragungen ins Netz einspeisen – die Twitch-Vorgängerplattform Justin.TV war genau darauf ausgelegt. Auch das könnte durchaus eine Option sein für Amazon.

Während der Vorstellung des jüngsten Quartalsberichts betonte das Amazon-Management, noch mehr in Bewegtbilder zu investieren, um bessere Serien zu produzieren. Der Konzern unterhält gleichzeitig ein Videospiel-Studio und kaufte vor einem halben Jahr das Gaming-Studio Double Helix Games. Da passt der Kauf von Twitch gut ins Bild. Die Klammer dafür ist Amazons Abo-Dienst Prime, der eine kaufkräftige, junge Zielgruppe an die Plattform binden könnte, um im Idealfall Umsätze und Kundendaten zu generieren.
Am Wochenende berichtete das Wall Street Journal, dass Amazon an einem Anzeigennetzwerk ähnlich dem von Google arbeite. Da Amazon die Vorlieben seiner Kunden gut kennt, könnte das Google durchaus Konkurrenz machen. Mit Twitch hat die Firma nun einen Ausspielkanal für lukrative, personalisierte Videoanzeigen.

Hohe Umsätze, niedrige Gewinne – und zuletzt sogar Verluste: Trotz des überwiegenden Vertrauens in die Strategie von Firmengründer Jeff Bezos macht Amazon der Wall Street langsam Sorgen. Seit Anfang 2014 ist der Aktienkurs um fast 20 Prozent gesunken, nachdem es jahrelang mehr oder weniger nur aufwärts ging. Aber Amazon nimmt mit neuen Investitionen und der nun vollzogenen Übernahme absehbar höhere Verluste und damit einen sinkenden Aktienkurs in Kauf, um Angebot und Geschäftsmodell zu verbreitern.

Mit Grippe gegen Ebola-Virus

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Es muss ein mulmiges Gefühl sein, den Tod aus dem Eisfach zu holen. Ihn langsam zu erwärmen und dann auf seine Opfer loszulassen. Das Ebolavirus tötet seinen Wirt fast immer, auch im Labor. Mit dem Erreger zu arbeiten ist jedenfalls nichts für schwache Nerven. Umso mehr dürften sich Forscher vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg gefreut haben, als sie die Proben eines Stamms von 1976 aufgetaut hatten: Sie infizierten Versuchstiere mit dem tödlichen Keim und gaben den Tieren dann ein neuartiges Grippemittel, um eine mögliche Wirkung zu prüfen. Und siehe da: Alle Mäuse überlebten.




Auch in Biankouma ist die Angst vor dem Ebola-Virus mittlerweile enorm.

Das Hamburger Team um den Virologen Stephan Günther hat diesen Erfolg bereits im Februar publiziert. Zunächst fand die Arbeit wenig Beachtung, doch jetzt könnte der Mäuseversuch zur großen Hoffnung im Kampf gegen die fortschreitende Ebolaepidemie in Westafrika geraten. Japan hat am Montag angeboten, das Grippemedikament an die betroffenen Länder zu liefern. Der Wirkstoff namens Favipiravir, kurz auch T-705 genannt, ist im Gegensatz zu allen derzeit diskutierten Mitteln wie dem Antikörperpräparat ZMapp kein experimentelles Medikament, sondern für die Behandlung von Grippe-Patienten in Japan zugelassen. Die Wirksamkeit geht auf einen universellen Mechanismus zurück, der nicht nur bei Grippeviren, sondern bei einer ganzen Reihe von viralen Erregern vorkommt. Die meisten dieser Keime sind gar nicht miteinander verwandt. Allen gemein ist aber, dass ihr Erbgut aus einem sogenannten segmentierten Einzelstrang von Ribonukleinsäure (RNA) besteht.

Auch Ebola ist ein solches Virus. Wenn es sich vermehrt, muss es mithilfe eines speziellen Enzyms zahllose Kopien seiner RNA anfertigen. Obwohl der genaue Vorgang noch nicht völlig geklärt ist, sabotiert das Medikament T-705 vermutlich genau diese Vervielfältigung, indem es sich als falscher Baustein in die Kopiermaschine einschleust und sie blockiert. Ribonukleinsäuren kommen zwar auch in tierischen und natürlich auch in Zellen des Menschen vor. Das Mittel entert aber gezielt nur das Enzym des Virus, nicht die RNA-Fabriken des infizierten Organismus’. Entsprechend wenige Nebenwirkungen treten während der Therapie beim Menschen auf. Offen wäre jedoch, ob die Arznei im Menschen wirkt. In den Mäusen der Hamburger Forschergruppe war die Blockade des Virus immerhin zu 100 Prozent erfolgreich, und das relativ lange nach der Ansteckung, sogar noch auf dem Höhepunkt der Infektion.

Käme es zu einer Behandlung von Ebolakranken mit der Arznei, dann wäre dies zumindest kein Fall von „compassionate use“, also mitfühlendem Gebrauch in höchster Not, wie bei ZMapp. Es liefe eher auf einen „off-label use“ hinaus, der üblich ist, wenn Wirkstoffe zwar an Menschen geprüft und zugelassen sind, aber gegen ein anderes Leiden als vorgesehen zum Einsatz kommen. Sollte sich die Wirksamkeit von T-705 beim Menschen bestätigen, wäre das Mittel fraglos die beste Option.

Zumal es in großen Mengen erhältlich ist. Die Vorräte der experimentellen Medikamente dagegen sind teils erschöpft, zudem ist ZMapp wohl kaum das erhoffte Zaubermittel – von vier Patienten starben zwei, das entspricht der Überlebensrate unbehandelter Infizierter während der aktuellen Epidemie. Und für die aufwendige Therapie mit menschlichen Antikörpern aus dem Blut von Überlebenden fehlt es an Spendern. Es wird also kaum eine Alternative zum Angebot der Japaner geben. Die WHO muss es nur noch annehmen.

Tödliche Dosis

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Wenn es nur um Schmerzen ginge, unerträgliche freilich, aber eben doch einfach nur Schmerzen – dann hätte Gian Domenico Borasio sich die Reise nach München sparen können. Weil sich die ganze Diskussion erübrigen würde: „Schmerzen können wir lindern“, sagt Borasio, Palliativmediziner an der Uniklinik in Lausanne. Viel häufiger hätten Schwerkranke aber andere Gründe, ihr Leben beenden zu wollen: Kontrolle über das eigene Sterben wünschten sie sich, einen Tod in Würde. Und darum sitzt Borasio nun mit drei Kollegen in der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo er bis vor wenigen Jahren noch selbst gearbeitet hat, und stellt seinen Gesetzesvorschlag zum „assistierten Suizid“ vor.



Ein neuer Entwurf soll ein Sterben in Würde möglich machen.

Im Herbst soll der Bundestag entscheiden, wie Sterbehilfe künftig geregelt wird. Die Vorschläge gehen weit auseinander: CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte ein völliges Verbot gefordert, Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat einen restriktiven Gesetzentwurf angekündigt. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und andere fordern eine Liberalisierung. Wie es ausgeht, ist völlig offen – Fraktionszwang besteht nicht, die Abgeordneten sollen nur ihr Gewissen befragen.

Nun schalten sich auch die Wissenschaftler in die Diskussion ein. Neben Borasio waren an dem Vorschlag und seiner knapp 100-seitigen Begründung die Medizinethiker Ralf Jox und Urban Wiesing und der Heidelberger Medizinrechtler Jochen Taupitz beteiligt. „Wir wollen Rechtssicherheit, das ist für Juristen nun einmal wichtig“, sagt dieser. Die aber kann man auf vielerlei Weise schaffen, per Verbot oder per Liberalisierung. Taupitz und seine Kollegen haben sich für eine eher restriktive Lösung entschieden: Die Beihilfe zum Suizid soll grundsätzlich unter Strafe gestellt werden, nur Angehörige und Nahestehende sollen davon ausgenommen sein. Und Ärzte – aber nur, wenn der Patient an einer Krankheit leidet, die unheilbar ist und in absehbarer Zeit zum Tode führt.

Damit würde das Gesetz in mancher Hinsicht sogar strenger: Bislang ist es nicht verboten, beim Suizid zu helfen. Allerdings könnten Angehörige oder Ärzte theoretisch wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden. Fraglich ist auch, ob das Betäubungsmittelgesetz Ärzten erlaubt, eine tödliche Dosis Gift zu verschreiben. Und die Berufsordnung schließt Sterbehilfe aus. Allerdings haben nicht alle Landesärztekammern diese Regelung übernommen.

Mit ihrem Vorschlag wollen die Wissenschaftler Klarheit schaffen und Ärzte unterstützen, die sich für Suizidbeihilfe entscheiden. Für sie soll es Vorgaben geben: Sie müssen den Patienten über seine Aussichten ebenso aufklären wie über mögliche Behandlungen, etwa mit Schmerzmitteln. Ein zweiter Arzt muss den Patienten untersuchen und in einem Gutachten bestätigen, dass dieser sich freiwillig und überlegt für den Tod entscheidet und tatsächlich tödlich krank ist. Und nach dem Aufklärungsgespräch soll der Patient noch einmal zehn Tage Bedenkzeit haben.

Mit alldem wollen die Forscher möglichst viele der aus ihrer Sicht tragischen Suizide verhindern: die aus einer Depression heraus, die man hätte behandeln können. Die, an denen eine schlechte Schmerztherapie schuld ist. Die unüberlegten, die ein Leben zu früh beenden. Die unter Druck von anderen. Unnötige Suizide also, wie die Wissenschaftler sie etwa in den Niederlanden vermuten, wo Tötung auf Verlangen erlaubt ist. Oder vereinzelt selbst in der Schweiz, wo die Sterbehilfe-Organisationen Exit und Dignitas auch gesunde Menschen begleiten dürfen. In beiden Ländern haben die Fälle zugenommen, in denen Menschen auf eigenen Wunsch in den Tod geholfen wurde. Stattdessen haben sich die Wissenschaftler den US-Bundesstaat Oregon zum Vorbild genommen, wo seit 17 Jahren eine ähnliche Regelung gilt wie ihr Vorschlag. Dort seien die Zahlen relativ konstant geblieben. „Wir sollten uns nicht in die Tasche lügen“, sagt Co-Autor Ralf Jox, Medizinethiker in München. „Es gibt mehr assistierten Suizid als wir meinen, aber im Geheimen. Ein Verbot würde das Problem nur verschärfen.“

Auf Kritik können sich die vier Wissenschaftler dennoch gefasst machen – und zwar aus beiden Richtungen. Schließlich wollen sie nur sterbenskranken Menschen ärztliche Hilfe in den Tod gewähren. Wer aus anderen Gründen nicht weiterleben will, sei es aus Lebensmüdigkeit im Alter oder weil er die schwere Behinderung nach einem Unfall nicht erträgt, dem bliebe sie verwehrt.

Aber auch aus der anderen Richtung kommt Protest: „Nach der Berufsordnung haben Ärztinnen und Ärzte die Aufgabe, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern sowie Sterbenden Beistand zu leisten“, teilt Frank Ulrich Montgomery kühl mit, Präsident der Bundesärztekammer. „Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist hingegen keine ärztliche Aufgabe.“ Auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, ist wenig begeistert: „Wenn der Gesetzentwurf Realität würde, dann wird die Suizidbeihilfe zum Regelangebot des Arztes. Das kann nicht die Vision der Ärzte in Deutschland sein.“ Stattdessen sollte lieber die Palliativmedizin ausgebaut werden, um Sterbende besser zu versorgen.

Das allerdings fordern auch die vier Wissenschaftler, nur meinen sie, dass es nicht reicht. Weil manche Patienten trotzdem sagen werden: Ich will nicht mehr.

Kurz nach dem Ur-Ball

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Was würde passieren, wenn man versucht, einen Baseball zu treffen, der mit Beinahe-Lichtgeschwindigkeit heranfliegt? Man stirbt. Denn der Ball rast so schnell durch die Luft, dass er sie zerteilt und dadurch eine Kernfusion auslöst. Binnen 30 Nanosekunden wird alles im Radius von einer Meile weggewalzt. Übrig bleibt ein Feuersturm.

Das sagt zumindest Randall Munroe, der die Einzelheiten ausgerechnet und aufgeschrieben hat. „Ich mag Fragen, die realistisch genug sind, dass man sie wissenschaftlich beantworten kann“, sagt er, „aber verrückt genug, dass es noch niemand versucht hat.“



Was würde passieren, wenn der Ball in Beinahe-Lichtgeschwindigkeit heranfliegt?

Munroe, 30, ist Comic-Autor und einer der Menschen, für die das Wort „Nerd“ erfunden wurde. In einem seiner Comics ist er auf den Boden gestürzt, um ihn herum liegen Bücher und Menschen beschimpfen ihn. Seine Antwort an die Menschen: „Ihr macht Witze über mich, aber eines Tages werde ich mich im Internet über euch lustig machen.“ Dieser eine Tag kam vor acht Jahren. Und das Lustigmachen läuft so gut, dass der studierte Physiker dafür eine Karriere bei der Nasa aufgegeben hat.

Die Comics von Munroe sind zu finden auf der Seite „xkcd.com“ – der Titel hat keine Bedeutung – sie gehören zum Besten, was das Internet zu bieten hat. Es gibt jedoch eine Einschränkung, die sich darin zeigt, dass Munroe kürzlich den Hugo-Award gewonnen hat, einen renommierten Science-Fiction-Preis. Oder dass ein Asteroid nach ihm benannt ist. Um seine Witze zu verstehen, muss man ein Minimal-Interesse an Technik haben. Denn das ist die Ausgangsbasis für viele Situationen, die Munroe für seine Pointen nutzt.

Wie viele Leser Munroe hat, weiß er nicht. Er sagt, das sei ihm egal: „Der Systemadministrator weiß Bescheid, glaube ich.“ 2008 hatte er schon 80 Millionen Seitenabrufe pro Monat. Dass Munroe noch mehr Leser gewinnen könnte, wurde ihm klar, als er einen Kurs an der Elite-Universität MIT gehalten hat. „Ich wollte mit den Studenten über Energie reden. Das hat sie gelangweilt. Erst als ich erklärt habe, wie viel Energie man aufbringen müsste, um ein Flugzeug aus der ‚Star Wars‘-Reihe zu bewegen, haben sie mitgemacht.“

Aus dieser Frage ist eine eigene Seite entstanden, sie heißt „What if?“. Die Besucher stellen so viele Fragen, dass Munroe Mitarbeiter braucht, um sich die interessantesten herauszupicken. Die Frage mit dem Baseball ist eine davon. Eine andere ist: Was würde passieren, wenn alle Menschen sich gleichzeitig an einem Ort der Welt treffen und springen würden? Die Antwort: Nichts – aber danach beginnt das Massensterben, weil es ein infrastrukturelles Desaster ist, alle Menschen der Welt wieder nach Hause bringen zu wollen. Anfang September wird eine Auswahl dieser Fragen unter dem Titel „What If? Was wäre wenn?“ als Buch erscheinen.

Munroes Erfolg liegt darin begründet, dass er alle Voraussetzungen erfüllt, die für eine erfolgreiche digitale Kommunikation nötig sind: Er macht Witze. Zusammen mit lustigen Videos gehören Witze zu den Inhalten, die am schnellsten viral verbreitet werden. Da er Nerd-Witze macht, wird er von einem Publikum wahrgenommen, das selber netzaffin ist. Also von Menschen, die wissen, wie man digitale Mundpropaganda macht. Das erhöht seine Sichtbarkeit. Es entsteht ein Geschäftsmodell. Wenn Munroe redet, hören ihm mittlerweile eine Million Menschen zu; so oft wurde das Video seiner Rede auf der TED-Konferenz aufgerufen. Spätestens dort wurde klar, dass auch Google ein Fan von ihm ist. Eine der Fragen, die Munroe beantworten wollte, lautete: Wenn alle digitalen Informationen der Welt auf Lochkarten gespeichert würden, wie groß wären die Rechenzentren von Google? Die Antwort von Munroe: Das gesamte Gebiet von Neuengland im Nordosten der USA wäre bedeckt, und das fünf Kilometer hoch.

Die Reaktion von Google kam dann per Post: Es war eine altertümlich anmutende Lochkarte. Munroe liest sie aus und entdeckt, dass ihn die Mitarbeiter vor Rätsel stellen. Löst Munroe eins, kommt das nächste. Bis irgendwann das typische Statement von Google zu lesen ist: Kein Kommentar.

Munroe beantwortet eine Frage pro Woche. Pro Antwort benötigt er etwa 24 Stunden. Auch Leser schicken ihm ihre Antworten. Für Munroe sind solche Rückmeldungen wichtig, da er so erfährt, ob er mit seiner eigenen Antwort richtig lag. In der Baseball-Frage lag er daneben. Das erfuhr er, weil Teilchenphysiker seine Rechnung gesehen und den Baseballflug auf ihren Computer simuliert haben. Das Ergebnis war zwar falsch, aber der Fehler dann auch wieder vernachlässigbar. Der Unterschied betrug lediglich Nanosekunden.
Aus Randall Munroes Buch „What if? Was wäre wenn?“, das in Kürze erscheint, bringt das SZ-Magazin am 29. August einen mehrseitigen Vorabdruck

Söldner sind frei

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Das war genau mein Ding, freute sich der Regisseur James Gunn in vielen Interviews der letzten Wochen zu seinem Überraschungserfolg „Guardians of the Galaxy“. Alles drin: Aliens, Weltraumoper, Marvel- Superhelden, Popmusik, Raccoons . . . Über die Mythologie der Waschbären in der amerikanischen Folklore ist hierzulande nur wenig bekannt, bei Karl May, erinnern wir uns vage, war ab und zu die Rede davon. Ich hab Raccoonfiguren gesammelt, erklärt James Gunn, seit meiner Jugendzeit.



Ein radikaler Bruch mit der Superhelden-Tradition: "Guardians of the Galaxy".

Rocket Raccoon heißt einer seiner Helden, der Gewitzteste der fünf Guardians of the Galaxy, eine Waschbärvisage mit dem unvermeidlichen Zug zum Grimmigen und Fiesen. Bradley Cooper spricht ihn im Original, der Irre aus den Hangover-Filmen und dem „Silver Linings Playbook“. Die anderen Guardians zeichnen sich eher physisch aus, durch gedrungenen bis massiven Körperbau oder bei der Frau, Zoe Saldana, durch grüne Haut. Der Anführer ist Peter Quill, dessen Heimatplanet die Erde ist und der gern als „Star-Lord“ auftritt. Das Publikum liebt diese Bande, bei der es derb und kantig, urwüchsig und dreckig zugeht. Am vorigen Wochenende sind die „Guardians“ – nachdem andere erdverbundene Helden wie Stallones „Expendables“ oder die Perversen des neuen „Sin City“-Films von Frank Miller und Robert Rodriguez beim Filmstart auf die Schnauze fielen – zurück an die Spitze des US-Kinocharts gedrungen, sie haben inzwischen an die 500 Millionen Dollar weltweit eingespielt und „Thor“ und „Captain America“ hinter sich gelassen.

Es ist ein radikaler Bruch mit der Superhelden-Tradition des letzten Jahrzehnts, eine kräftige Portion Corned-Beef nach Jahren gutbürgerlicher Küche. Und ein bewusster Affront gegen Regisseure wie Sam Raimi, Christopher Nolan oder Joss Whedon, unter denen das bewährte Genre eine Sophistication erreicht hatte (und eine Sentimentalisierung), die ihm immer größeren Raum in den Feuilletons einbrachte. Super- und Spider-Man, Captain America, der Hulk und Thor sind inzwischen die Top-Melancholiker des amerikanischen Kinos, cry-babies. Enervierend, wie Spidey sein Trauma rumschleppt, er sei schuldig am Tod seines Onkels. Wie Superman sich zurücksehnt ins heimatliche Kansas, ins Haus der Pflegeeltern, wo die Wäsche flattert im Wind.

Die „Guardians“ fangen an mit einer klassischen Spielbergsequenz. Ein kleiner Junge in einem Krankenhausgang, der Vater holt ihn ins Zimmer, wo die Mutter liegt im letzten Stadium, sie nimmt Abschied vom Sohn und gibt ihm ein Mixtape in die Hand, darauf unter anderem „I Want You Back“ von Jackson 5. Der Junge, es ist Peter Quill, läuft raus aus dem Zimmer, ins Freie hinaus, und dort vor dem Krankenhaus erscheint ein Raumschiff über ihm, das ihn in sich zieht. Jahre später sehen wir ihn dann selbst als skrupellosen Freibeuter, der Kapitän, der ihn entführte, ist ihm ein prachtvoller Vater geworden – Michael Rooker, dessen Gesicht hier nicht nur herrlich ledrig ist wie immer, sondern auch noch tiefblau! – und manchmal hört Peter bei seiner Arbeit auf einem Walkman die Musik der Mutter.

Was James Gunn vom Kino erwartet und was er dem Kino zu geben bereit ist, weiß man aus seinen Filmen „Slither“ und „Super“, und auch auf der Website „PG Porn“, die er mit seinen Brüdern kreiert hat und die in Minigeschichten all das Aufregende zeigt, was Porno zu bieten hat – also alles, bevor es dann blöderweise zum Sex kommt. Bei James Gunn ist es gar nicht appetitlich, wenn schleimige Weltraumwesen in die Bewohner einer Kleinstadt eindringen („Slither“) oder wenn ein kleiner Versager sich schwertut bei der Erfüllung des göttlichen Auftrags, ein rächender Superman zu werden („Super“).

Für die Guardians geht es nun um den Orb, einen magischen mächtigen Stein, der im richtigen Kontext ganze Welten zerstören kann und dem deshalb Gut (Glenn Close) wie Böse (Lee Pace, Josh Brolin) hinterher sind. Die galaktischen Krisengebiete sehen finster und barbarisch aus, die Gefilde der Guten sind dagegen schrecklich licht und erinnern an Calatrava. James Gunn zeigt die Superhelden als das, was sie sind, keine edelgesinnten Weltenretter, sondern Söldner, denen durchaus die eigenen Interessen sehr wichtig sind. Keine wehleidigen Kleinbürger wie die Herren Parker und Kent oder der Tüftelmilliardär Tony Stark , keine kostümierten Artusritter wie die „Avengers“. Sondern knorrige Proleten, über weite Strecken unsentimental und unsensibel, um Respektabilität nicht sonderlich bemüht, ihr derbes Outfit sieht aus wie richtige Arbeiterkluft. Und einer von ihnen ist ein wandelnder Baum, gesprochen von Vin Diesel, dem Proll der „Fast & Furios“-Serie.

Proletarisch hat das Kino begonnen, und dass es erst mal ein paar Jahrzehnte sprachlos blieb und ohne die Möglichkeit verbaler Subtilitäten, hat damals seinen Erfolg ausgemacht im multikulturellen Amerika Anfang des 20.Jahrhunderts. Mit D. W. Griffith, dem alten Südstaatler, und seinem Gespür für Formen und Zeremoniell, ist dann auch das Kino bürgerlich geworden, zum Erzählmedium veredelt. Und hat dann, mit seiner Kapitalisierung, wenn es sich Geschichten der Armut und des Proletariats widmete, oft nur Travestien des Reichtums geschaffen. Mit den Guardians geht James Gunn direkt an die Wurzeln zurück, die anarchischen Tumulte der Slapstickzeit. In einem Gefängnis haben die fünf sich zusammengetan, das an einen Basar erinnert, eine unaufhörliche Zirkulation der Gemeinheiten, Beschimpfungen, Anmachen, Vergewaltigungen.

Der Söldner ist eine fröhliche Variante des Underdogs, utopisch in einem Amerika, das seine Soldaten ausbeutet, in halbherzig geführte Kriege schickt und nach der Heimkehr verdrängen möchte. Die Guardian-Söldner sind frei, und in dieser Freiheit steckt schon wieder ein bisschen Sophistication. Sein Raumschiff, gibt der Star-Lord zu, schaut doch irgendwie aus wie ein Jackson Pollock-Gemälde.

Guardians of the Galaxy, USA 2014 – Regie: James Gunn. Buch: Gunn, Nicole Perlman. Kamera: Ben Davis. Mit: Chris Pratt, Zoe Saldana, Lee Pace, Dave Batista. Glenn Close. Walt Disney, 121 Minuten.

Blau und gelb - wie Europa?

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Für jetzt.de ist Charlotte eine Woche lang mit deutschen Studenten in Kiew unterwegs. Sie will sehen, was von den Protesten geblieben ist, wissen, wie der Staat vorhat, sich neu zu organisieren, und von den Menschen selbst erfahren, wie es ihnen geht. Die Antworten, die sie findet, schreibt sie täglich für euch auf. Die bisherigen Folgen könnt ihr hier nachlesen.

Tag 2
Blaue Jeans, gelbes T-Shirt. Ich hatte dieses Outift ganz zufällig gewählt, ich schwörs. Trotzdem kam natürlich von allen der Spruch „Hast du das jetzt extra für Kiew mitgenommen?“ Blau und gelb sind nämlich die Farben der ukrainischen Flagge – und die Stadt ist voll mit ihr. Blau für den Himmel, gelb für die Kornfelder. Die Flagge hat in Kiew seit diesem Jahr mit seinen vielen Kämpfen und Protesten eine neue Bedeutung bekommen. Wer sie zeigt, bekennt sich zur Ukraine als souveräner, unabhängiger Staat, der mehr ist als ein verlängerter Arm Russlands. Viele Menschen in Kiew sagen, sie hätten noch nie so viele ukrainische Flaggen am Nationalfeiertag gesehen wie vergangenen Sonntag.



Viktoriias Fliege

Viktoriia trägt ihre kleine blau-gelbe Fliege unentwegt seit dem Wochenende. „Ich setze damit ein Zeichen“ sagt die Studentin in sehr sicherem Deutsch. Gemeinsam mit einigen Kommilitonen zeigt sie uns heute die staatliche Taras-Schewtschenko-Universität, spricht über ihren Studiengang „Internationale Beziehungen“ und die Perspektiven von jungen Leuten in der Ukraine. Was direkt auffällt: Alle Studenten hier sind pro Europa. „Auch von den Professoren hat sich bei uns keiner pro Russland geäußert, wenn überhaupt waren einige neutral“, erzählt ihr Kommilitone Vasyl, ebenfalls in perfektem Deutsch, und lässt dabei seine Zahnspange blitzen. Weil es gefährlich wäre? „Nein, wir haben ja Meinungsfreiheit. Aber Europa bietet uns viel mehr Möglichkeiten“, sagt Vasyl. Er selbst hat bereits viele europäische Länder bereist, träumt von einem Masterstudium in Leipzig. Aber das ist, wie so ziemlich alles was mit der Ukraine und der EU zu tun hat, sehr kompliziert: Die Ukraine hat als Nicht-EU-Land kein Erasmusabkommen. Wer ins Ausland will, braucht ein Visum, das nicht immer oder für weniger als ein Semester erteilt wird. „Internationale Beziehungen“ ohne internationales Studium, sozusagen. Dabei ist die Schewtschenko-Universität nach Aussage der Studenten die renommierteste des Landes und der Studiengang „Internationale Beziehungen“ nur den besten Schülern vorbehalten. Das Studium gilt als Grundstein für eine Karriere im Auswärtigen Dienst, viele Absolventen würden aber auch bei internationalen Unternehmen oder in der Landesverwaltung arbeiten, erzählt Viktoriia.





Während wir in dem holzvertäfelten Hörsaal sitzen und uns Powerpoint-Präsentationen angucken, treffen sich in Minsk der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und Wladimir Putin. Erst am Dienstag hat Poroschenko das ukrainische Parlament aufgelöst und damit, wie bei seinem Amtsantritt versprochen, den Weg für Neuwahlen freigemacht. Vasyl zeigt uns eine Folie des Sicherheitsratsüber die Veränderungen des Frontenverlaufs in der Ost-Ukraine, die Botschaft ist eindeutig: Wir haben das Problem mit unserer Armee im Griff. Parallel kursieren allerdings Meldungen über einen zweiten russischen Hilfskonvoi, in der südöstlichen Küstenstadt Nowoasowsk soll es Hunderte Tote nach Kämpfen zwischen ukrainischen Soldaten und russischen Separatisten gegeben haben und ein russischer Panzer hat „aus Versehen“ die ukrainische Grenze überquert. Während wir in Kiew in einer holzvertäfelten Blase sitzen, ist im Ostteil des Landes Krieg. Ich beginne mich zu fragen, wie viel die zukünftigen Jobs der Kiewer Studenten noch mit unserer romantischen Vorstellung eines „Diplomaten“ zu tun haben werden.





Trotzdem wirken Vasyl, Viktoriia und ihre Mitstudenten hoffnungsvoll. Eine Kommilitonin zeigt Bilder von einer studentischen Menschenkette bei den Maidan-Protesten, eine andere sagt mit viel Pathos auf Deutsch: „Wir Studenten haben den Euromaidan vorangetrieben und werden gemeinsam einen neuen demokratischen Staat aufbauen!“. Nur deshalb habe sie sich für den Studiengang „Internationale Beziehungen“ entschieden – weil sie etwas verändern möchte. Nach dem Vortrag erzählen viele Studenten von ihren Erlebnissen beim Euromaidan anlässlich Janukowitschs Weigerung, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben. Manche waren als Helfer dort, haben Lebensmittel und Medikamente organisiert, andere haben dort campiert. In der Uni habe man dann statt „Guten Morgen“ auf einmal„Freiheit für die Ukraine“ als Begrüßung gerufen.





Auf dem Weg zum Ukraine Crisis Media Center, das direkt am Maidan liegt und aus seiner Sicht versucht, Journalisten neutrale Informationen zu dem Konflikt bereitzustellen, unterhalte ich mich weiter mit Viktoriia. Sie erzählt, dass sie für ihren Master nach München kommen möchte, einen Zulassungsbescheid hat sie bereits erhalten. „Allerdings für den Bachelor, ich verstehe nicht warum!“, sagt sie. Bei der Beratungshotline der LMU ginge niemand ans Telefon, auch auf ihre Mails würde niemand reagieren. Wir tauschen Adressen aus, ich biete ihr an, die Post für sie mitzunehmen und persönlich nochmal nachzufragen. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, wie wir den Ukrainern wirklich helfen können – in dem wir ihnen ein Stückchen des Weges entgegenkommen.

Über Nacht in der Höhle

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„Um noch mal auf die Legalität dieses Unterfangens zurückzukommen…“, sagt Johannes, als wir eigentlich schon mittendrin sind im Unterfangen. Vor einer Viertelstunde hat er uns zwei Wanderrucksäcke auf den Rücken geschnallt. Es dämmert, und wir stapfen auf einem Feldweg in den Wald. Wir sind auf dem Weg zu unserer heutigen Schlafstätte: einer Höhle.  

Johannes hat uns den Vorschlag selbst gemacht. Er ging mit Steffi zur Schule und hat früher regelmäßig in Höhlen übernachtet. Das sei so halblegal, meint er jetzt. „Biwakieren ist in Deutschland erlaubt.“ Biwakieren, das ist laut der Definition des Deutschen Alpenvereins „Übernachten ohne Zelt unter freiem Himmel oder in einem Iglu“. Ob Höhlenschlafen darunter fällt ist nicht endgültig geklärt. Johannes hat als Jugendlicher oft mit Freunden auf Trekkingtouren in einer der etwa 1000 Höhlen in der Fränkischen Schweiz übernachtet. Mittlerweile ist er 26, hat den Bauernhof seines Vaters übernommen und ist Papa einer kleinen Tochter. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für Höhlenabenteuer. Heute Morgen ist er um vier Uhr aufgestanden, um Schweine zu verkaufen.  

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Wir hören die Tropfen von der Decke herunterfallen, als wir unsere Schlafstätte erreichen. Der Eingang ist nur ein kleines Loch in der Felswand, alleine hätten wir ihn wohl übersehen. Aber wir sehen sowieso nicht viel, weil es schon so dunkel ist. Nur die Sterne, denn die Höhle ist zum Wald hin geöffnet, wie ein Balkon. Wir finden aber den Teil weiter hinten viel spannender. Da, wo es dunkel und eng wird.  

Johannes setzt uns zwei Stirnlampen auf: „Ich habe leider nur zwei Helme. Ihr müsst alleine durch die Höhle kriechen. Ich bleibe hier vorne. Da rechts ist ein kleiner Gang, da passt ihr auf jeden Fall durch.“ Der Untergrund ist glitschig; wir haben Mühe, nicht auszurutschen, als wir die steilen Steinhügel hochklettern. Wenn wir nach oben leuchten, funkelt es uns silbrig-weiß entgegen. Eine Spinne, die gemeinsam mit ihrem Schatten an der Decke entlang klettert, macht daraus eine Miniatur-Märchenwelt.  

Wir entdecken die schmale Öffnung, die Johannes meinte. Da sollen wir reinpassen? Steffi kriecht mit dem Oberkörper zuerst in die Ritze, rein in die Dunkelheit. Was, wenn sie nicht mehr rauskommt? „Ist da drin schon mal jemand gestorben?“, ruft Lisa Johannes zu. Nicht, dass er wüsste. Letztens sei hier in der Nähe aber jemand in einer Höhle stecken geblieben. Der Rettungsdienst war erst mal hilflos. Aber vier Tage Minimalversorgung mit Wasser und Brot und der Typ wurde so dünn, dass sie ihn herausziehen konnten.  

Auf so eine Diät haben wir überhaupt keinen Bock. Außerdem haben wir noch die Geschichte von der Riesending-Höhle im Kopf, aus der im Juni ein Forscher mit Riesentamtam befreit werden mussten. Deshalb kriechen wir zwar beide nacheinander in den Mini-Gang, aber nur so weit, wie wir es mit unseren Körpermaßen vereinbaren können. Wir schieben unsere Körper über spitze Steine. Es fühlt sich beklemmend an, da drin zu stecken. Um uns herum ist nur Gestein. Dann robben wir rückwärts zurück. Und direkt in den nächsten Tunnel. Der ist breiter, hier können wir uns sogar nebeneinander setzen. Uns fällt ein, dass Johannes uns empfohlen hat, im Inneren der Höhle die Lampen für ein paar Minuten auszuschalten. „Dann seht ihr die totale Finsternis.“ Er hat Recht. Der schwärzeste und stillste Moment unseres Lebens. Ein großes Nichts.  

Als wir zurückkommen, hat Johannes ein paar Kerzen angezündet und eine fränkische Vesper - Brot, Wurst und Bier - für uns vorbereitet. Vorne in der Höhle steht eine Bank, sehr praktisch. In 15 verschiedenen Höhlen hat er schon geschlafen, erzählt er uns. Am liebsten kriecht er durch 30 Meter lange Höhlengänge, ohne zu wissen, wo er landen wird. Oder findet Öffnungen zu Hohlräumen, in denen seit Tausenden Jahren glitzernde Tropfsteine unberührt wachsen können. Schon mit acht Jahren war er Höhlenfan. Damals hat er in einer saarländischen Höhle, nahe dem Zuhause seiner Großeltern, Führungen gegeben. Als er uns davon erzählt, rutscht er direkt in den Höhlenguide-Stil: „Die meisten Höhlen in Deutschland sind Sekundärhöhlen. Sie entstehen, wenn Grundwasser Gesteinsschichten über lange Zeit aushöhlt.“ Einmal führte Johannes Armin von der „Sendung mit der Maus“ durch die Höhle. „Armin hat mir hinterher sogar einen Dankesbrief mit Foto geschickt, weil er meine Führung so cool fand.“ Wir freuen uns, wir mochten Armin immer.  

Dann breiten wir unsere Schlafsäcke auf dem Höhlenboden aus. Über uns an der Decke krabbeln Spinnen, und es tropft. Gemütlich fühlt es sich trotzdem an, im Höhlenbett. Nur eben viel zu kalt. Irgendwas quietscht. Fledermäuse? Die gibts hier eigentlich nur im Herbst, sagt Johannes. Von Oktober bis April soll man übrigens besser nicht in Höhlen gehen, meint er dann. Zumindest nicht, wenn man ein Mensch ist, denn dann stört man den Winterschlaf der Tiere.  

Wir bauen die Tropfen in unsere Träume ein. Plötzlich steht Johannes mit zwei bunten Plastikbechern vor uns. „Sorry, aber wir müssen jetzt frühstücken. Ich bin heute noch zu einer Taufe eingeladen.“ Es ist acht Uhr morgens. Den Kaffee hat Johannes mit einem mitgebrachten Gaskocher gekocht. „Für den hab ich gestern noch schnell eine Platte geschweißt, die fehlte nämlich.“  

Wir sammeln unseren Müll ein. Dabei entdeckt Johannes ein paar Schnapsflaschen. Die haben wohl die Leute dagelassen, die als letzte hier gewesen sind. „Sauerei!“ sagt Johannes. „So entstehen Waldbrände. Die Sonne scheint auf Glasscherben, die brennen durch, der Wald brennt.“ Das habe er in Australien gelernt. Johannes war schon gefühlt überall auf der Welt. Früher  war er eine Art Vagabund. Pakistan, Nepal, Marokko. Dann brauchte sein Vater einen Nachfolger für den Bauernhof. Und Johannes wurde häuslich. „Aber in der Höhle sollte ich trotzdem wieder öfter übernachten. Sobald meine Tochter alt genug ist, um mitzukommen.“

Wo und was sollen die Crowdspondent-Reporterinnen in den nächsten Wochen recherchieren? An welchen ungewöhnlichen Orten könnten und sollten sie dabei übernachten? Schickt sie schlafen! Hier in den Kommentaren oder per jetzt-Botschaft, oder per Facebook, Twitter oder crowdspondent.de

Schon vorbei?

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Kurz vor Mitternacht. In den Hinterhöfen der Maxvorstadt waren bis 22 Uhr Abendflohmärkte. Eine türkische Familie räumt in ihrer Hauseinfahrt langsam die Bleche und Teller zusammen, vor jedem zweiten Hofeingang Pappkisten, auf denen „Zu verschenken“ steht: Bücher, alte Klamotten, Werbe-Käppis, alte CD-Ständer, zerbrochene Kleiderbügel. Grüppchen von Freunden mit Helles-Flaschen in den Händen laufen die Straßen hinunter, in Sandalen und Flipflops, sie beugen sich über die Kisten, ziehen etwas heraus, lachen und lassen es doch wieder fallen.

Es ist eine dieser Sommernächte, in der die Luft ein bisschen vibriert und man sich, egal wie müde man vorhin noch war, plötzlich durchs reine Atmen angetrunken fühlt. Solche Nächte sind eigentlich keine richtigen Nächte, sie sind nachtblaue Ferientage. Es geht eine Leichtigkeit, ein frohes Glucksen durch die Straßen, das jeden ansteckt. Ein Nachtleben, das sich nicht auf Feierbananen und Wodkarutschen und Jugend beschränkt. Auch die Alten sind draußen. Alle sind draußen. Weil niemand schon nach Hause gehen möchte.

Es sind diese Nächte, in denen es passieren kann, dass man auf dem Rad einfach immer weiter fährt: immer noch eine Runde, immer noch einmal links statt rechts. Einfach den langsam auskühlenden Asphalt rauf- und runterrollen. Denn nichts ist mehr anstrengend. Ich will das geplant machen: eine ganze Nacht auf dem Fahrrad durch München.



Eine Nacht, in der man einfach immer weiter fährt.

Hinter der Alten Pinakothek, da, wo sie tagsüber oft Fußball spielen und wo jetzt irgendein Künstler Heuballen aus bunten Plastikstrohhalmen hingestellt hat, liegen und sitzen auf jedem Ballen Menschen. Man sieht nur dunkle Umrisse von Köpfen und Armen und mal ein in die Höhe ragendes Bein. Weiter hinten unter den Kastanien an der Arcisstraße flackert ein kleines Teelichter- und Kerzenmeer auf dem Boden. Drumherum sitzen Leute wie an einer Sommertafel im eigenen Garten.

Auf dem Königsplatz Überbleibsel des Open-Air-Kinos, Absperrzäune, geschlossene Crêpes-Buden, in Reihen aufgestellte Plastikstühle, auf denen aber in der Dunkelheit niemand sitzt. Nur ein einsamer Security-Mann, der aufpasst, dass keiner von den Weintrinkern auf den Stufen vor Glyptothek und Antikensammlung auf blöde Ideen kommt.

Irgendwann mal stehenbleiben an der Wittelsbacherbrücke. Zwei Mädchen in flatternden Röcken und mit nackten Füßen in Sandalen kommen über die Brücke gerannt und rufen zwei Jungs am Taxistand zu: „Ey, ihr depperten Bierlätsch’n, wartet gefälligst!“ Ein langhaariger Typ fährt auf einem Beachcruiser-Rad vorbei. „Bing Bing“ ruft er, statt zu klingeln.

Auf der anderen Seite der Isar, in der Au, weht der Chlorgeruch aus dem Schyrenbad herüber. Kalt und feucht ist die Luft hier. Fast halb zwei. Im griechischen Lokal Lucullus sind die Stühle schon hochgestellt, aber ein paar Freunde sitzen noch vor der Tür und trinken ihr Bier aus. Über die Eisenbahnbrücke kurz vorm Hans-Mielich-Platz donnert ein Zug. Ein Handwerker in einer weißen Malerlatzhose geht über den Gehweg. Meter dahinter ein altes Paar, ein Mann stützt seine gebrechlich wirkende Frau. Ganz langsam. Einen Fuß vor den anderen.

Reichenbachbrücke. Es wird wieder lebhafter. Scherben knirschen unter den Reifen, Dreck, Uringestank. Kleine Feuerstellen säumen das Isarufer. Um den Gärtnerplatz dreht ein Typ auf einem riesigen weißen Motorrad seine Runden. Und immer noch eine. Hinten drauf ein Radio. Ich weiß nicht, wo ich abbiegen soll. Also steige ich ab und gucke eine Weile über den Platz. Hier wollte ich eigentlich nicht landen. Ich bin hier nie, es ist nicht mein Viertel. Zu überlaufen. Die Leute sitzen am Gärtnerplatz in ihrem Müll herum. Es ist kurz vor drei.

Dann sprechen mich plötzlich Monaco Franze und Manni Kopfeck an. Beziehungsweise In-Echt-Versionen der beiden: „Aha, hallo, wohin des Weges? Du, wir sind ganz harmlos. Mit uns kannst du was erleben. Wir wollen einfach nur Leute kennenlernen. Das ist unser Viertel hier. Was magst du machen? Noch an Drink?“

Ich sei stocknüchtern, sage ich, und dass ich auf dem Fahrrad durch die Nacht fahre. Ein Glas Rotwein am Straßenrand würde ich schon trinken, aber dann müsse ich weiter.

„Aha, ja gut, und wo? Wir wohnen da vorn in der Klenzestraße.“

Ich erkläre noch mal, dass ich es lieber auf der Straße trinken würde.

„Bei uns kann dir nichts passieren“, sagt Manni in seiner ganzen Mannihaftigkeit. „Wir sind gute Menschen. Das hier“, er zeigt auf den mich angrinsenden Monaco, „das ist der Stenz vom Glockenbach, wirklich wahr.“ Und Monaco bietet gleich an, einen Rotwein und Gläser zu holen aus seiner Wohnung. Wir gehen die Klenzestraße runter. „Hier, das Klenze 17, das ist unsere Stammkneipe. Und hier, da gibt es den besten Kaffee der Stadt. Da treffen wir uns alle“, sagt Monaco. „Morgens, und zwar jeden Morgen, vor der Arbeit, mit fünf anderen Freunden“, sagt Manni. „Wir haben uns alle dort beim Kaffeeholen kennengelernt. Immer um sieben Uhr früh. Zusammen sein, bevor der Tag anfängt. Sich verbünden, egal, was kommt. Und wer mal nicht kommt, der wird per SMS erinnert. Seit wir das machen, geh ich morgens nicht mehr joggen oder schwimmen.“
 
Vor Monacos Haus bleiben wir stehen. Er schließt einen sauberen, renovierten Hauseingang auf – es sieht aus wie ein Apartmenthaus, matte, graue Oberflächen – und kommt einige Zeit später mit drei großen, dünnglasigen, klirrenden Weingläsern in der einen und einem Rotwein von 2005 in der anderen Hand wieder herunter. „Wo wollen wir denn sitzen?“ Keine Straßenecke sagt uns zu. „Ah, da schau her, im Déjà bu brennt noch Licht!“ Eine französische Weinbar, sie hat schon geschlossen. Aber Nicolas, der Besitzer, einer seiner Freunde und eine Kellnerin sitzen noch um den Holztisch am Eingang herum. Sie grinsen müde, aber herzlich, und dann sitzen wir da plötzlich, Monaco stellt die Gläser auf den Holztisch, das Licht ist warm und der Rotwein, den er aufmacht, ist schwer und trocken und geht sofort in den Kopf.
 
Auf einmal wird nur noch französisch geredet. Zwischendurch mal italienisch. Und englisch. Themen egal. Ich versuche ein paar Mal zu erklären, was ich hier mache, aber es verläuft sich im Sande. Das Gespräch, eher die Worte, nehmen ihre eigenen Wege. Das Mädchen neben mir, nennen wir sie Marianne, spricht auch nur französisch, obwohl sie Deutsch kann. Sie lächelt herzlich. Und so cool. Ich mag sie sofort. So vergeht eine gefühlte Stunde. Der Stenz stenzt ein bisschen von gegenüber und der Manni neben mir erklärt was und stenzt auch, auf seine gutmütige, harmlose Art. Und wir lachen.
 
Und dann plötzlich sagt Monaco: „Je vais au lit.“ Und Manni auch. „Oui, je vais au lit aussi.“ Und ich muss sowieso weiter.

Aber Nicolas sagt: „Komm mit ins Paradiso, da gehen wir jetzt noch hin.“ Ich protestiere. Ich säße doch schon viel zu lange mit ihnen rum. Und dass ich sie nur hinbrächte. Es ist halb vier. Vor dem Paradiso steht ein alter Mann, und als die anderen reingehen, sagt er: „Du willst ja wohl nicht gehen. Du wirst ja wohl jetzt da reingehen.“ Wir gucken einander eine Weile lang an. Irgendwie mag ich ihn, den alten Mann. „Na geht doch“, sagt er.
 
Nicolas steht schon hinter der Bar. Er nimmt mir meine Tasche ab und stopft sie in ein Regal. Es stehen ungewöhnlich viele Leute mit ihm hinter der Bar, auch Gäste. Sie stehen dort wie auf einer Privatparty und mixen sich einfach selbst ihre Drinks. Keinen scheint zu interessieren, wer Barkeeper ist und wer Gast. Nicolas reicht mir einen Wodka Tonic. Marianne und der andere Franzose tanzen auf den blinkenden Vierecken am Boden. Marianne geht bald nach Mexiko. Für ein paar Wochen. Sie hat jemanden kennengelernt, der sie dorthin eingeladen hat. Sie kennt ihn nicht so gut und weiß nicht, ob dieser Jemand vielleicht etwas erwartet, aber sie fährt trotzdem. „It’s this once in a lifetime thing, I think. I will go and see what happens.“ Nicolas kommt auch auf die Tanzfläche. „Ich muss bald los“, sage ich. „Mist“, sage ich auch. Es sei ja wirklich nett hier, aber ich müsse doch eigentlich Radfahren. Nicolas lehnt sich zu mir und sagt: „So ist das Leben. Ich wollte Pilot werden. Und jetzt? Jetzt bin ich Nachtlebentyp und habe eine Bar.“ Nicolas hat in Paris und Zürich gearbeitet. Irgendwann hörte er, dass München die perfekte Mischung aus Paris und Zürich sein solle. Er zog her, ohne lange zu grübeln, und eröffnete eine Bar. Er sei schon stolz, sagt er, aber manchmal habe er auch überhaupt keinen Bock mehr. „Irgendwie verkommt man ja auch ein bisschen dabei.“

Irgendwann ist mein Wodka Tonic leer, und ich breche auf. Als ich vor die Tür trete, ist der Asphalt fleckig und blau – es ist schon hell. Und ich war überhaupt nicht in Haidhausen, ich war gar nicht in der ganzen Stadt. Ich wollte alles, ich wollte jeden Aspekt der Münchner Nacht. Und auf einmal ist es morgens. Ob es einem am Ende des Lebens auch so geht? Ich wollte doch so viel und dann hat es nur für einige wenige Dinge gereicht, weil es plötzlich schon so spät war? Ich will wenigstens die Isar noch mal sehen. Es ist ja nicht nur die Nacht so kurz. Es ist ja auch so mit dem Sommer: Nie kriege ich ihn richtig zu fassen. Wann war ich schon richtig an der Isar in den vergangenen Wochen? Zwei, drei flüchtige Male ohne Baden. Und jetzt ist er bald vorbei, der Sommer.

Ich bleibe mitten auf der Reichenbachbrücke stehen. Unten baden zwei Jungs, nackt. Einige Meter weiter wälzt sich ein knutschendes Pärchen am Ufer. Sehr viel Müll und Scherben dazwischen. Ich fahre zum Ufer runter. Obdachlosenlager, unter den Decken bewegt sich mal ein Fuß, mal ein Arm, viele schlafen paarweise unter einer Decke.
 
Wieder auf der Brücke bleibe ich noch ein letztes Mal stehen. Gerade will ich weiterfahren, da sehe ich die beiden Jungs, die gerade noch badeten, wie sie, wieder angezogen, auf das mittlerweile eingeschlafene Knutschepärchen am Ufer zugehen. Die Taschen der beiden Schlafenden liegen gut zwei Meter von ihnen entfernt. Die Jungs schleichen sich hin und ich denke: Oh nein, bitte nicht. Sie greifen zwischen die Taschen, nehmen ein Feuerzeug, das dort liegt, zünden sich ihre Zigaretten an. Dann nehmen sie doch die Taschen, jeder eine, und: tragen sie zu dem schlafenden Pärchen.

Und während all das passiert, wird es immer heller. Ich fahre durch die Fraunhoferstraße, auf die Sonnenstraße und biege in die Schwanthalerstraße ab, dann in die Schillerstraße. Ein Typ auf einer schwarzen Ducati kommt mir entgegen. Er fixiert mich, nickt mir enthusiastisch zu. Ich ignoriere ihn und fahre vorbei. Er dreht um und fährt neben mir entlang. Dann höre ich, wie er meinen Namen ruft. Ich bleibe stehen. Er bleibt auch stehen und klappt das Visier hoch. „Hey, Mercedes, it’s me, it’s Nicolas from Déjà bu.“ Es ist halb sieben. „Wanna have breakfast with me?“, fragt er. „Nein“, sage ich. „Ich frühstücke erst, wenn ich geschlafen habe.“ „Ok! See you one day at Déjà bu!“ Dann klappt er sein Visier runter, dreht um und fährt davon.
 
Am Königsplatz sitzt noch immer der Sicherheitsmann auf den Stuhlreihen. Ich fahre, fahre, fahre weiter, schneller, in der Hoffnung, irgendwie noch Zeit aufzuholen, bevor die Nacht vorbei ist. Aber die Nacht ist längst vorbei. In der Theresienstraße, zwischen den Pinakotheken, machen die ersten alten Herren ihre Morgenspaziergänge. Einer nickt mir grüßend zu. Ein älteres Paar setzt sich auf eine Bank vor der Alten Pinakothek, er legt seinen Arm um sie und sie lässt ihren grauen Kopf auf seine Schulter sinken. In einem Fenster sitzen sich ein Mann und eine Frau gegenüber. Er raucht, ascht auf die Straße, langsam, sie trinkt aus einem Weinglas und guckt ihn mit halbgeöffneten Augen an, sie reden nicht. Einige Fenster weiter eine ältere Frau, sie lehnt auf dem Fensterbrett, sie ist allein.
 
Im Brotraum in der Herzogstraße duftet es nach frischem Brot. Eigentlich ist noch zu, aber die Türen stehen trotzdem offen. Im Ofen bäckt etwas, daneben wird Teig geknetet. Wärme schlägt mir entgegen, herrlich knusprige, hefewürzige Wärme. Ich kaufe Brot. Ich habe es nicht ganz passend, der Bäcker noch kein Wechselgeld. Es ist okay, er gibt mir das Brot auch so. Mit der warmen Tüte in der Hand fahre ich nach Hause. Vor meiner Haustür sind die Flohmarktkisten leergeklaubt. Nur ein Kleiderbügel liegt noch da. Sogar den Karton hat jemand mitgenommen. Der Tag hat begonnen. Als ich die Haustür aufschließe, beginnt es zu regnen.

Bremst du die Labertaschen?

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Wir saßen als kleine Pimpfe in der Schule und hörten immer wieder von den Tauchgängen von Herrn K., unserem Biolehrer. Praktisch in jeder Stunde wurde unser Wissen über die heimischen Seen mit allerhand Informationen angereichert: „Tja, und wenn man am Heidesee unterwegs ist, dann kann man da schon mal auch einen Streber oder einen Zingel sehen. Und wenn ich dann immer mit meiner kompletten Taucherausrüstung...habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich in meiner Freizeit gern tauche?“ Und dann kamen teils wirklich unterhaltsame Storys über seine Erlebnisse in den Tiefen der heimischen Gewässer. In der sechsten Klasse fand ich ihn noch irrsinnig witzig und glaubte, er hätte auch gut sein Geld als Stand-up-Comedian verdienen können. Ich war damals vielleicht aber auch einfach noch sehr leicht zu begeistern.  





Denn in der zehnten Klasse bekamen wir Herrn K. wieder. Und ich merkte, dass die Geschichten immer noch die gleichen waren. Er musste vier Jahre lang immer diese Geschichten erzählt haben und wiederholte sich zusätzlich mit den Themen aus seinem Leben alle zwei bis drei Stunden. Es war teilweise kaum auszuhalten. Aber die Chuzpe sich einfach mal zu melden und freundlich „Die Story hatten wir die letzten Monate schon, möchten Sie mal was anderes erzählen?“ zu fragen, das traute sich eben auch keiner. Vielleicht auch deswegen, weil sein Geschichten-Budget schon ohnehin einigermaßen strapaziert war. Wir schwiegen also alle brav.  

Übrigens genauso brav wie so mancher Enkel, der die immer wiederkehrenden Geschichten von Oma und Opa beim gemeinsamen Familienessen erträgt. „Habe ich eigentlich schon mal erzählt, wie das war, als ich den Opa damals in Ägypten kennengelernt habe?“, fragt die Oma. Das ist dann der Moment, in dem man eigentlich einhaken könnte: „Ja, die letzten elf Jahre immer wieder!“ Tut man aber nicht. Weil die natürliche Oma-Opa-Autorität irgendwie ungebrochen bleiben soll. Und weil in ihren Augen schon die Vorfreude schimmert, nochmal in den Erinnerungen schwelgen zu können. Also guckt man nur interessiert und sagt: nichts.  

Das führt dazu, dass man die Geschichte über die Ägypten-Romanze bald synchron mitsprechen oder – wie ich – genauestens über die Taucherfahrungen des ehemaligen Biolehrers referieren kann. Es ist immer ein Dilemma und die Frage stellt sich immer wieder: Sagt man was oder hält man die Klappe? Denn wenn doch eingewendet wird, dass die Geschichte oder der Witz eben schon lange bekannt ist, dann läuft man Gefahr, dass die Enttäuschung plötzlich riesig ist – und unterstellt schon fast, dass der Geschichtenerzähler senil wird. Und will man das wirklich?   Wie handhabst du das: Weist du Menschen darauf hin, dass die Geschichte schon uralt ist? Welche Reaktionen hast du bekommen, wenn du doch mal darauf hingewiesen hast? Und willst du selbst darauf hingewiesen werden, wenn du etwas zum x-ten Mal erzählst – oder ist das zu peinlich?

Der Kampf mit dem Leopard

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Bäuerin Kamla Devi kann es selbst noch nicht fassen. Sie hat den Kampf überlebt. Die Inderin liegt verletzt im Krankenhaus, während ihre Geschichte die Nation verblüfft. Die 56-Jährige aus dem Bundesstaat Uttarakhand hat einen Leoparden getötet. Und das, ohne auch nur einen Gewehrschuss abgefeuert zu haben.



Kaum zu sehen, doch die Gefahr ist umso größer: Ein Leopard, hier im Yale-Nationalpark

Nachbarn verneigen sich vor ihrem Mut. In der Klinik versorgen die Ärzte die Bisswunden, ihre Brüche werden geschient. Nur Beil und Sichel trug die Frau bei sich, als sie vormittags aufs Feld ging. Aber was sind schon solche Werkzeuge gegen die Schnelligkeit und Kraft einer Raubkatze, die noch dazu das Überraschungsmoment auf ihrer Seite hat? Die Frau dachte, sie müsse sterben. Doch sie kämpfte. Nach einer knappen halben Stunde hatte sie den Leoparden besiegt.

Warum griff das scheue Tier an? Witterte es leichte Beute? Oder wollte es ein Junges schützen? Der Fall ist nicht leicht aufzuklären. „Aber wir sehen das häufiger, dass sich Menschen und Leoparden in Indien in die Quere kommen“, sagt Avinash Bhaskar von der Wildlife Protection Society in Delhi.

Das hat zum einen damit zu tun, dass der Mensch immer weiter in die Wälder vordringt und die Lebensräume großer Wildtiere beschneidet. Doch im Fall der Leoparden, die in Indien unter Schutz stehen, ist der Konflikt damit allein nicht erklärt. Denn anders als Löwe und Tiger ist „Panthera pardus fusca“ ein sehr anpassungsfähiges Tier. Die Katze hat sich längst daran gewöhnt, ganz nahe bei menschlichen Behausungen zu leben.

Meistens merken das die Leute gar nicht, so still und leise lauert der Jäger nachts seiner Beute auf, zum Beispiel streunenden Hunden. Experten wissen aber auch, dass Leoparden sogenannte opportunistische Jäger sind. Das heißt, dass sie auch mal ein Kind oder einen schwach erscheinenden Menschen attackieren, wenn sich Gelegenheit dazu bietet. Das Verhältnis zwischen Leopard und Mensch sei noch wenig erforscht, schreibt die Ökologin Vidya Athreya: „Wir wissen mehr über den Mond als über Leoparden, die unter uns Menschen leben.“

Aber der Streit wird heftiger. In manchen Dörfern beherrschte er zuletzt sogar den Wahlkampf 2013, weil Leoparden immer wieder Kinder töteten und die Familien ohnmächtig in ihrer Trauer allein gelassen wurden. Besonders erbost sind sie dort, wo der Staat Strom und Straßen verspricht, aber nachts doch alles dunkel geblieben ist. In der Finsternis schlagen Raubkatzen leichter zu als anderswo.

Selten gehen die Geschichten mit den Leoparden so aus wie die des Sechstklässlers Priyanshu und seiner kleinen Schwester Priyanka. Eines Morgens, im Jahr 2009, gingen sie zur Schule, als ein Leopard das Mädchen ansprang. Sein Bruder versuchte, das Tier zu packen, da ließ die Katze vom Mädchen ab und attackierte den Jungen. Den Kindern half schließlich nur die Hupe des nahenden Schulbusses, die den Angreifer in die Flucht schlug.

Dem Jungen verlieh Indiens Präsident die Tapferkeitsmedaille. Auch die Bäuerin, die jetzt in der Klinik liegt, soll für den Orden vorgeschlagen werden. Bis es so weit ist, will sie der Premier von Uttarakhand schon mal mit Geld belohnen. 1200 Euro soll sie bekommen für diesen Kampf auf Leben und Tod.

Ebola-Virus wird in Hamburg behandelt

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Die Bilder haben durchaus etwas Dramatisches. Ein grau angestrichenes Flugzeug landet am Mittwochvormittag in Hamburg, der Isolations-Rettungswagen der Feuerwehr steht schon bereit. Menschen in weißen Anzügen geleiten einen geschwächten Mann die Gangway hinunter, der ebenfalls in einem Anzug steckt, aber immerhin kann er selbst gehen. Ein gutes Zeichen ist das für die Hamburger Ärzte, ein Hoffnungsschimmer, dass der Mann überleben könnte.



Der afrikanische Patient: Ein Ebola-Infizierter ist in Hamburg gelandet

Mit Polizeieskorte fährt der Konvoi ins Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Der Patient, der in dem Spezialgefährt liegt, ist Arzt, ein Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation WHO. Der Senegalese kämpfte in Sierra Leone gegen die Ebola-Epidemie und hat sich dabei selbst mit dem meist tödlichen Virus angesteckt. Am Wochenende bat die WHO die Hamburger um Hilfe, binnen vier Stunden erklärten sich Klinik und Behörden bereit, den Arzt aufzunehmen.

In der Uniklinik wird er in der abgeschotteten Isolierstation nun von Stefan Schmiedel und seinem Team behandelt, dem Leiter der Tropenmedizin. „Er ist in einem Zustand, der hoffen lässt, dass er von unseren therapeutischen Optionen profitieren kann“, sagt Schmiedel. Er redet vorsichtig über seinen Patienten, denn der hat gebeten, die ärztliche Schweigepflicht zu wahren. Ein wenig sagt Schmiedel dann doch: Er will dem Infizierten zunächst keines der neuen, noch ungetesteten Medikamente geben. Erst einmal setzt er auf „einfache Maßnahmen“, auf Fiebersenkung oder Flüssigkeitsmanagement. „Wir glauben, dass diese Maßnahmen die Sterblichkeit senken können“, sagt Schmiedel. Wie lange die Behandlung dauert, weiß keiner. Die Krankheit kann bis zu 90 Prozent der Betroffenen töten, im Zuge der aktuellen Epidemie sterben etwa 55 Prozent.

Für eine Behandlung bietet Hamburg sicher bessere Voraussetzungen als die westafrikanischen Kliniken. Die Isolierstation des UKE ist eine von neun über die Republik verteilten Hochsicherheitseinrichtungen, die für hochinfektiöse Erreger wie das Ebolavirus ausgelegt sind. Für die Bevölkerung besteht den Ärzten zufolge keinerlei Gefahr. In der Station herrscht ein permanenter Unterdruck, damit keine Luft entweicht. Aufwendige Technik filtert die Luft und soll jede Übertragung verhindern. In den Anzügen der Pfleger und Ärzte wiederum herrscht Überdruck. Sie können die Station nur über ein komplexes Schleusensystem betreten und verlassen, das ihre Schutzanzüge desinfiziert.

„Die Behandlung findet räumlich und personell absolut getrennt vom Regelbetrieb statt“, versichert ein Sprecher der Gesundheitsbehörde. Das Ebola-Virus wird nur über direkten Kontakt mit Patienten und ihren Körperflüssigkeiten übertragen, nicht über die Luft. Das Risiko einer Ansteckung besteht in Hamburg also allenfalls für die Mitarbeiter der Seuchenstation, die unmittelbar in Kontakt mit dem Infizierten kommen.
Es gibt noch einen Grund, warum die Hamburger gelassen bleiben können: Das Ebola-Virus ist in der Stadt kein Unbekannter. Tatsächlich ist es schon lange da.

Am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin wird an dem Erreger geforscht, auch, um wirksame Medikamente gegen Ebola zu finden. Dafür verfügt das Institut seit vielen Jahren über Proben des Virus. Sämtliche Arbeiten mit diesem und anderen gefährlichen Keimen finden in einem Hochsicherheitslabor statt. „Im Wesentlichen ist dieses Laboratorium genauso aufgebaut wie die Isolierstation am UKE“, sagt Sprecherin Jessica Tiedke. Eine Gefahr für die Bevölkerung bestehe nicht.

An der Behandlung des WHO-Mitarbeiters sind die Tropenmediziner des Bernhard-Nocht-Instituts nicht direkt beteiligt, sie werden aber die Diagnostik übernehmen, also Blutproben des Erkrankten untersuchen. Von diesen Tests hängt sowohl die Behandlung als auch die Prognose des Patienten ab.

Sollten die einfachen Maßnahmen nicht ausreichen, gebe es weitere Optionen, sagt Stefan Schmiedel, der behandelnde Arzt. Dann könnten auch die Hamburger Mediziner zu den neuen, größtenteils unerprobten Medikamenten greifen. Eines dieser Mittel, den Antikörpermix ZMapp, haben bereits mehrere Patienten in den USA, Spanien und Großbritannien erhalten. Ob es hilft, ist jedoch strittig. Eine Alternative könnte auch ein Grippemittel sein, das in Tierversuchen bereits gegen Ebola wirkte.

Systematischer Kindes-Missbrauch

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Emma war 13, als sie zum ersten Mal vergewaltigt wurde. Danach, sagt sie, wurde sie jede Woche vergewaltigt, bis sie 15 Jahre alt war. Ihre Eltern konnten das nicht verhindern, weil sie von den Tätern bedroht wurden. Die Polizei von Rotherham, einer Stadt mit circa 250 000 Einwohnern im Norden Englands, nahm die Vorwürfe des Mädchens nicht ernst.



Ein junges Mädchen läuft an der Hand seiner Mutter über die Straßen von Rotherham

Emma ist heute 24 Jahre alt und heißt nicht Emma, sie will ihre Identität geheim halten, weil sie sich noch immer vor den Tätern von damals fürchtet. Sie hat unter Pseudonym mit der BBC gesprochen, nachdem nun eine unabhängige Untersuchung zu dem schockierenden Schluss gekommen ist, dass in Rotherham zwischen 1997 und 2013 Hunderte Kinder systematisch missbraucht und gequält wurden und niemand hinschauen konnte oder wollte.

„Niemand kennt das wahre Ausmaß der sexuellen Ausbeutung von Kindern in Rotherham“, sagte die Professorin Alexis Jay, die die Untersuchung geleitet hat, „aber unsere konservative Schätzung ist, dass zwischen 1997 und 2013 ungefähr 1400 Kinder missbraucht worden sind.“ Die Untersuchung war 2010 vom Stadtrat in Auftrag gegeben worden, nachdem fünf Männer mit pakistanischen Wurzeln wegen vielfachen Kindesmissbrauchs zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren.

Der Stadtratsvorsitzende Roger Stone trat nach Veröffentlichung der Untersuchung mit sofortiger Wirkung zurück. Mehrere führende Politiker forderten am Mittwoch in London, dass weitere Mitarbeiter der Behörden und der Polizei in Rotherham zurücktreten müssten.

Dem Untersuchungsbericht zufolge gingen die Täter überaus brutal vor. Sie übergossen Kinder mit Benzin und drohten, sie bei lebendigem Leib verbrennen. Sie schlugen Kinder und brachten sie in andere Städte in Nordengland, wo sie zum Sex gezwungen wurden. Elfjährige Mädchen wurden von mehreren Männern vergewaltigt, andere Kinder wurden zum Zusehen genötigt. „Es ist schwer zu beschreiben, welch entsetzlichem Missbrauch die Kinder ausgesetzt waren“, sagte Alexis Jay.

Ebenso erschreckend wie das Ausmaß der Verbrechen ist die Tatsache, dass die Behörden nicht eingriffen, obwohl sie zumindest hätten ahnen müssen, was da in ihrer Stadt vor sich ging. Der Untersuchung von Professorin Jay zufolge lag das unter anderem auch daran, dass sie Sorge hatten, als Rassisten bezeichnet zu werden, weil die Täter von Opfern als „asiatische Männer“ beschrieben worden sind.

Zwischen 2002 und 2006 gab es schon einmal drei Untersuchungen in Rotherham, nachdem vermehrt Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs eingegangen waren. Die Untersuchungen hätten laut Jay „in ihrer Beschreibung der Situation in Rotherham nicht klarer sein können“. Dennoch passierte nichts. Die Ergebnisse der ersten Untersuchung seien vertuscht worden, weil Polizeibeamte sie einfach nicht hätten glauben wollen. Die zweite und die dritte Untersuchung hätten die Behörden schlicht ignoriert.

Emma, die zwei Jahre lang regelmäßig vergewaltigt wurde, erzählt, dass sie damals zur Polizei gegangen sei. Sie habe eigens die Kleidung aufbewahrt, die sie trug, während sie missbraucht wurde, in der Hoffnung, die Polizei könne die Täter anhand von Spuren an der Kleidung überführen. Aber die Polizei habe die Kleidungsstücke „verloren“ und ihr gesagt, es stehe ihr Wort gegen das der Männer – und dass der Fall wohl nicht einmal vor Gericht kommen würde. Ihre Eltern seien von den Tätern bedroht worden und hätten sich machtlos gefühlt, da die Polizei nicht eingegriffen habe. Ein weiteres Opfer erzählte, die Täter hätten sich unantastbar gefühlt, weil die Behörden sie wider besseres Wissen gewähren ließen.

Jason Harwin, der für Rotherham zuständige Bezirkspolizeichef, hat sich bei den Opfern entschuldigt. Er formulierte, die Opfer der sexuellen Ausbeutung hätten „nicht das Niveau an Service erhalten, das sie von der örtlichen Polizei erwarten können “. Die Polizei von South Yorkshire habe ihre Herangehensweise an Fälle dieser Art grundlegend geändert und zuletzt einige Täter festgenommen, die zu Haftstrafen verurteilt worden seien. Harwin sagte: „Ich verstehe allerdings, dass unsere jüngsten Erfolge den Schmerz derer, die wir im Stich gelassen haben, nicht lindern werden.“ Ob der Untersuchungsbericht von Professorin Jay zu weiteren strafrechtlichen Verfolgungen führt, ist noch unklar.

Reine Euphorie

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Da treibt Kate Bush in den Weiten des Meeres. Das Blinklicht ihrer orangen Rettungsweste pulsiert, doch der Pilot des Helikopters hat es nicht erspähen können. Eine atlantikgroße Verzweiflung erfasst sie und sie schreit: „Let me live, let me live!“

Aber natürlich bleibt Kate Bush jetzt am Leben! Sie ist ja als Live-Künstlerin gerade erst wieder auferstanden. Nach 35 Jahren. Als Solo-Star stand sie tatsächlich das letzte Mal am 14. Mai 1979 auf der Bühne. Damals – das ehrwürdige Eventim Apollo in London hieß noch Hammersmith Odeon – spielte sie ihr letztes Konzert ihrer bislang einzigen Tour.



Ein Fan wartet auf den ersten Auftritt von Kate Bush seit 35 Jahren.

Fünf Jahre vergingen danach, zehn Jahre, zwanzig. Kate Bush dachte in dieser Zeit immer wieder über große Auftritte nach, aber Zeit, Konzept und Machbarkeit passten nie zusammen. Kate Bush ist Perfektionistin. Im Jahre 2002 kam sie dann plötzlich auf die Bühne der Royal Festival-Hall am Themse-Ufer – als Gast ihres Entdeckers und maßgeblichen Förderers, des PinkFloyd-Gitarristen David Gilmour. Zusammen sangen die beiden eine atemberaubend zarte Version des epischen Pink-Floyd-Songs „Comfortably Numb“. Gilmour gab ihr ein Küsschen, und weg war sie wieder. Menschen, die damals in London dabei waren, bekommen heute noch feuchte Augen.

Und als dann im vergangenen März bekannt wurde, dass es im August und September 22 Shows im Eventim Apollo geben soll – unter dem Titel „Before The Dawn“ –, da schien es, als schnappte das gesamte Vereinigte Königreich nach Luft vor Aufregung. Und in vier Sekunden, wenn überhaupt, waren alle Konzerte ausverkauft. Man muss wissen: In Großbritannien ist Kate Bush im Grunde eine Nationalheilige, das weibliche Äquivalent zu David Bowie, Faszinosum kraft eines so kapriziösen wie einflussreichen Schaffens und eines geheimnisvollen Wesens. Auch Bowie starb übrigens im Apollo, genauer: sein berühmtes Alter Ego Ziggy Stardust. Sechs Jahre vor Kate Bush.

Dass in dem Moment, in dem Kate Bush dann am Dienstagabend endlich wieder die Bühne des Apollos betrat, reine Euphorie herrschte, war also zu erwarten. Schon eher eine Überraschung war, dass sie die siebenköpfige Band erst mal „Lily“ brettern ließ. „Lily“ ist nicht unbedingt einer ihrer besten Songs, aber sicher ihr härtester. Alles klar. 3500 Menschen im Apollo sollten spüren, dass Kate Bush zurück ist. Und sie spürten es.

Danach geraten besonders „Hounds Of Love“ und das wuchtig perkussionierte „Running Up That Hill“ spektakulär. Den typisch gellenden Kate-Bush-Sopran gibt es nicht mehr. Aber ihre Stimme ist eindrucksvoll gereift, und Ton um Ton trifft sie präzise. In einen schwarzen Fransenmantel gehüllt und an den Füßen nur mit Strumpfsocken bekleidet, wandelt sie bedächtig-würdevoll über die Bühne. Von der alten, ballerinahaften Geschmeidigkeit ist kaum noch etwas zu sehen. Als inzwischen 56-jährige Frau muss sie sich dafür allerdings ganz sicher nicht rechtfertigen. Nach „King Of The Mountain“, das mit raunenden Keyboards und krächzender Gitarre erfreulich unbedächtig vorgetragen wird, geht der Vorhang zu.
Und gleich wieder auf: In bläulichem Licht erblickt man das Gerippe eines Schiffes, Fisch-Skelette schleichen umher. Bald wird sie um ihr Leben singen, treibend auf dem Meer. Und der Verdacht erhärtet sich: Kate Bush nimmt sich nun den zweiten Akt des Konzept-Albums „Hounds Of Love“ vor, genannt „The Ninth Wave“. Es ist eine Suite aus sieben Stücken und es geht um eine Nacht, die eine Schiffbrüchige auf dem offenen Meer verbringt. Was in ihr alle möglichen Gemütszustände auslöst, von der Sinnlichkeit des ruhigen Dahintreibens bis zu blanker Panik.

Es überfliegt dann ein Helikopter ohrenbetäubend den Schauplatz. Und bald sitzt in einem windschiefen Wohnzimmer Bushs 16-jähriger Sohn Bertie vor dem Fernseher. Mutter Kate, in Gedanken ganz nah und doch so lost at sea, quengelt dazu wunderschön „Watching You Without Me“. Das symbolträchtige Element Wasser nutzt die Phantastikerin Bush dabei für eine Tour de Force der Gefühle.

Nach einer zwanzigminütigen Pause geht es weiter. Nun wendet sie sich „A Sky Of Honey“ zu, der zweiten Albumhälfte von „Aerial“. Und man findet sich im 19. Jahrhundert wieder: Bertie verkörpert nun einen Maler, der den Himmel auf einer übergroßen Leinwand abbildet. Papierflieger und eine Holzpuppe kommen ins Spiel. Alsbald wird sie so frei sein wie die Vögel, die man als Video-Projektion sehen kann. Und wenn man etwas kritisieren wollte, dann vielleicht, dass dieser 45-minütige Akt des Konzertes dramaturgische Schwächen hat. Man muss sich einlassen auf die ruhige Stimmung, die Launen des Himmels, diesen Raum der Freiheit, der natürlich eine perfekte Allegorie für die selbstbestimmte Künstlerin Kate Bush ist.

18 Monate wurde all das vorbereitet, unter anderem mit dem renommierten britischen Theaterregisseur Adrian Noble. Und es hat sich gelohnt. Denn es gelang ein echtes Kunststück: eine große Pop-Oper, bei der die ungewöhnlich opulente optische Inszenierung kein albernes Eigenleben führt, sondern einfach nur die Schönheit und Eigenwilligkeit dieser Popmusik noch etwas heller strahlen lässt.


Tagesblog - 28. August 2014

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17:49 Uhr: So, Leuts, ich muss mich jetzt verabschieden, nachdem ich so rumgejammert habe - ist ja peinlich! Jedenfalls möchte ich an dieser Stelle schon Werbung für den morgigen Ticker machen. In dem kommt nämlich das schöne und mir bislang unbekannte Wort "Turnis" vor. Scharf! Ich wünsche allerseits viel Feierabend!

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17:28 Uhr:
Juhuuuuuu! Der 19. Teil unserer Kettengeschichte ist online. Es geht wieder mal zu wie bei Hempels unterm Sofa. Der aktuelle Teil wurde übrigens von JosephineKilgannon verfasst.




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16:53 Uhr:
Aus Anlass der Vermählung des wichtigsten Paares aller Zeiten wurde übrigens von mehreren Presse-Agenturen eine Eilmeldung rausgeschickt. Zum Vergleich: normalerweise gibt es Eilmeldungen bei Kriegen, Entführungen, Todesfällen. Aus diesem Anlass wollen wir mal auf den tollen Tumblr dasistkeineeilmeldung hinweisen.

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16:28 Uhr:
Leute, ich muss jetzt mal was sagen. Die Tatsache, dass ich meinen Tagesblog gefühlt immer für mich selbst schreibe, macht mich ein bisschen traurig. Ich fühle mich gerade so wie Danny McBride in Eastbound & Down  [plugin imagelink link="http://33.media.tumblr.com/4f546c6ba979840cc89c6a30b0c5887b/tumblr_mxgz2tNV0S1qzvt32o1_500.gif" imagesrc="http://33.media.tumblr.com/4f546c6ba979840cc89c6a30b0c5887b/tumblr_mxgz2tNV0S1qzvt32o1_500.gif"]

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16:16 Uhr:
Kennt jemand von euch dieses Gefühl? Ich frage für einen Freund.
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15:32 Uhr:
Diese News hätte mich vor fünf Jahren wahrscheinlich schon ein bisschen interessiert: Brangelina haben einen Ring on it geputtet und sind jetzt verheiratet. Gratulation und so.

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15:25 Uhr:
Na, das hat ja gar nicht soooo lange gedauert. Das Koffein ist wieder in meinem Kreislauf drinne und wir können uns wichtigeren Dingen zuwenden. Der Topsexliste zum Beispiel, in der wir von einer Kunst-Fick-Aktion erfahren, die ungefähr so anstrengend klingt wie die Besteigung eines Achttausenders.




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14:55 Uhr:
So, ich gehe kurz mal in die Cafeteria, um ein Getränk zu trinken. Wenn ihr mich sucht, ich stehe ungefähr so an der Theke: [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/08/lolso-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/08/lolso-1.jpg"]

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14:40 Uhr:
Es ist Donnerstag, das heißt: Zeit für die Schaufensterkritik von juri-gottschall. Diesmal: TMI aus der Alten- und Krankenpflege
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13:57 Uhr:
Oh Mann! Bei der Lektüre von diesem Text von jetzt-Userin VersperLynd musste ich sehr oft sehr heftig nicken. Sie erzählt von den Gedanken, die man sich so macht (oder vielmehr: machen muss), wenn man auch mit Anfang 30 noch Single ist, weil man die ganze Zeit von der näheren und ferneren Bekanntschaft ständig mit dem Thema konfrontiert wird.

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13:49 Uhr:
Wie bitte? Also. Heute überschlagen sich ja mal wieder die Ereignisse. Gerade erfahre ich, dass das Ungetüm Hello Kitty gar keine Katze ist. Sondern ein Mädchen namens Kitty. Nun gut, dann sei es eben so.

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13:14 Uhr:
Ey Leuts! Das wollte ich schon lange mal sagen. Also:
Ey Leuts! Das bin ich, beziehungsweise Tracy Jordan von "30 Rock", der mir mal wieder die Worte aus dem Mund nimmt.
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13:05 Uhr:
Voll die nette Kunst eines phillipinischen Künstlers: Der hat für seine Reihe Mag+Art Zeitschriftencover in klassische Gemälde hineingepasst. Und das Ergebnis ist wirklich.... nett.
[plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/08/140902106v8-2-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/08/1409021068-2-1.jpg"]

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12:53 Uhr:
So, ich habe jetzt mehrmals tief durchgeatmet, einmal beim Technik-Support angerufen, ein gesundes Essen gegessen und jetzt geht es schon langsam wieder. Und von dem berühmten Surf-Dude aus der Redaktion christian-helten kommt jetzt ein Video, bei dem man (was für uns digital natives ja extrem viel veflangt ist) ein bisschen Geduld braucht. Aber es lohnt sich! (ein bisschen)
http://www.youtube.com/watch?v=ZPO1zpDqQ8I

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11:36 Uhr:
Was einen ja echt an der Menschheit zweifel lässt: wenn man an einen fremden Rechner muss, um weiterarbeiten zu können und dann feststellt, dass die Person, der der Rechner normalerweise gehört, alles total anderes eingestellt hat. Und zwar so, dass man an der geistigen Gesundheit dieser Person zweifeln muss. Aber hahahahaha, sonst ist hier alles okay, falls ihr euch fragt....

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10:52 Uhr:
Endlich ein neuer Text: Der dritte Teil von Charlottes Tagebuch aus Kiew. Sie hat junge Vertreter des Protests getroffen und mit ihnen über die Korruption in der Ukraine gesprochen. [plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ch/charlotte-haunhorst/text/regular/1024767.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ch/charlotte-haunhorst/text/regular/1024767.jpg"] 

10:41 Uhr:
Leute, es gab gerade eine lange Konferenz, außerdem hat jetzt.de ziemlich gelahmt und überhaupt: der Kaffee wirkt nicht mehr.
http://vimeo.com/11873080

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9:27 Uhr:
Jetzt noch die wichtigsten Meldungen aus der sz.de-Konferenz, wo ich heute voll berufsjugendlich auf dem Boden sitzen musste (ich bin aber auch voll berufsjugendlichmäßig zu spät gekommen, darf mich also gar nicht beklagen):
+ Es gab eine längere Diskussion darüber, ob man auf Bilder von Geiseln zeigen soll. Und wenn ja, ob man sie verpixeln sollte. Denn das Zurschaustellen von Geiseln widerspricht den Genfer Konventionen.
+ Thema werden auch die sechs Bundeswehrsoldaten, die den Vormarsch der IS vermutlich im Alleingang verhindern sollen.
+ Am Sonntag wird in Sachsen gewählt. Interessant dabei wird vor allem das Abschneiden der kleinen Parteien: AfD, NPD, FDP
+ Ein 15-jähriger Norweger hat gerade sein Länderspiel-Debut gegeben. Für Fußball-Verweigerer wie mich sei dazu gesagt: das ist verdammt jung.
+ Und heute erscheint eine Studie zum Thema "Arbeitsbedingungen an Krankenhäusern".


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9:17 Uhr:
Ich hab ja gesagt: Heute geht's sowas von ab. Und zwar mit diesem Bild. Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang diese Kombination erstellt wurde. Und ehrlich gesagt: ich will es gar nicht wissen. Hauptsache Chinakohl und Tom Hanks.
[plugin imagelink link="https://fbcdn-sphotos-f-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xpa1/v/t1.0-9/10348175_337537686422146_3049592332079445484_n.jpg?oh=7225063cb4b01c22fec7dd9fcd98d47d&oe=547A3188&__gda__=1415543088_73f2b61920bf8606e3bc8744fd3696e3" imagesrc="https://fbcdn-sphotos-f-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xpa1/v/t1.0-9/10348175_337537686422146_3049592332079445484_n.jpg?oh=7225063cb4b01c22fec7dd9fcd98d47d&oe=547A3188&__gda__=1415543088_73f2b61920bf8606e3bc8744fd3696e3"]

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9:11 Uhr:
Also los geht's. Und zwar mit dem Ticker. Bitte sofort mitteilen: Wie bremst du Leute, die dir immer wieder die selbe Story vom Pferd erzählen. Ich persönlich werde ja immer gleich ganz sauer, wenn mir jemand die gleiche Geschichte zweimal erzählt. Auch irgendwie doof.

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9:08 Uhr:
Kinder des Lichts! Ich begrüße euch zu diesem rollercoaster called "Tagesblog" und möchte euch schon jetzt auf ein Füllhorn an wundersamen Themen vorbereiten. Naja, eigentlich ist alles normal, ich bin nur ein wenig aufgewühlt von einer in Rekordzeit absolvierten Radl-Fahrt ins Büro und einem sehr starken Kaffee. Bis gleich! 


Die Männer des Sommers

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Die einen nannten ihn den schwarzen Panther. Die anderen nannten ihn die schwarze Spinne. Wieder andere nannten ihn dagegen: den schwarzen Kraken. Es waren die Zeiten, in denen Fußballspiele in schwarz-weißen Fernsehbildern übertragen wurden. Und es waren die Zeiten, in denen ein Torwart mit einem schwarzen Trikot wie Lew Iwanowitsch Jaschin wegen seiner überragenden Reflexe gefeiert wurde. Zu Beginn der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gab es keinen besseren Torhüter als den Russen, 1960 wurde er mit der UdSSR Europameister, dreimal wurde er zum besten Torhüter der UdSSR gewählt, und einmal, 1963, zu Europas Fußballer des Jahres. Als erster Torhüter. Und als bislang einziger.
51 Jahre später gibt es da einen Torwart, der gerne textilmarkerfarbene Trikots trägt, und zu dessen Spiel nicht mehr nur Reflexe zählen. Einen Torwart, der gute Chancen hat, jetzt aufzurücken in eine Ahnengalerie, in der sich Lew Jaschin bislang recht einsam den Bällen hinterherwirft.



Der Sommer von zwei Individualisten des FC Bayern: Arjen Robben und Manuel Neuer.

An diesem Donnerstag steht Manuel Neuer im Grimaldi Forum von Monaco im Finale der Wahl zum besten europäischen Fußballer der vergangenen Saison. Es wäre eine bemerkenswerte Auszeichnung. Doch die Frage ist sogleich, ob es tatsächlich noch ein Titel in der Tradition des schwarzen Panthers ist.

Der Markt der internationalen Auszeichnungen für Fußballer ist etwas verwirrend geworden. Früher war das einfach: Von 1956 bis 2009 wählten europäische Journalisten Europas Fußballer des Jahres; von 1991 an ließ der Weltverband Fifa Nationaltrainer und -kapitäne den Weltfußballer wählen. Die beiden Ehrungen sind 2010 verschmolzen zum „Ballon d’Or“. Aber weil die Uefa eine Lücke auf dem europäischen Markt für Auszeichnungen entdeckte, vergibt sie seitdem den „Best Player Europe Award“: den Titel für den besten Fußballer der vergangenen Saison, bestimmt von europäischen Sportjournalisten.

Diese wählten im vergangenen Sommer Franck Ribéry, Neuers Mitspieler beim FCBayern, zum besten Spieler der Saison. Den „Ballon d’Or“ erhielt dagegen im Januar Cristiano Ronaldo. Der Angreifer von Real Madrid steht auch an diesem Donnerstag unter den letzten drei Kandidaten, aus denen 54 Journalisten per Knopfdruck ihren Sieger bestimmen. Der dritte Kandidat ist der Niederländer Arjen Robben. Noch ein Münchner Mitspieler von Neuer.

Die Wahl wird also geprägt vom FC Bayern, zumal Thomas Müller als Vierter und Philipp Lahm als Fünfter in der ersten Runde nur knapp am Finale vorbeigewählt wurden. Es ist ja auch der Sommer der Münchner, mit sieben Weltmeistern (inklusive dem inzwischen zum Ronaldo-Klub Real gewechselten Toni Kroos) sowie neun Spielern im WM-Halbfinale (neben Robben noch der Brasilianer Dante). Ein Sommer, der sich anschließt an drei Spielzeiten, in denen der FC Bayern stets das Halbfinale der Champions League erreicht hat; zweimal stand er auch im Finale, einmal verließ er es als Sieger. Ein Sommer, an dessen Ende der Klub am Donnerstag zudem erfahren wird, welche Gegner ihm für die Champions-League-Vorrunde zugelost werden.

Es war jedoch vor allem der Sommer von zwei Individualisten. Von Arjen Robben, der bei der WM in Brasilien mit seinem Antritt und seinem Spielwitz beeindruckte – für den FC-Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge war Robben „der mit Abstand beste Feldspieler der WM“. Der niederländische Angreifer dribbelte unermüdlich, vorbei an Spaniern, Chilenen, Australiern, Mexikanern, Costa Ricanern. Bis er auf die Argentinier traf. An denen er nicht mehr vorbei dribbelte. Weswegen es für Robben eine Saison ohne internationalen Titel geblieben ist.

Und es war der Sommer von Manuel Neuer. Auch der Torwart war ohne internationalen Titel zur WM gereist, nach fünf Gegentoren in den Halbfinal-Spielen gegen Real. In Brasilien definierte er jedoch das Torwartspiel so modern wie niemand zuvor. Neuers Verständnis vom Torwartspiel endet nicht an den Grenzen des Strafraums, das bewies er mit seinen Ausflügen im Achtelfinale gegen Algerien. Immer wieder sprintete er Ball und Gegnern entgegen, immer wieder war er schneller. Zugleich bewahrte er in seinen grünen und blauen Trikots die Werte der Jaschin’schen Schule, etwa im Viertelfinale gegen Frankreich, als er einen Schuss von Karim Benzema mit einem Reflex parierte. Routiniert wehrte Neuer, Deutschlands Fußballer des Jahres, auch die Aufregung vor der Wahl ab. Er sagte, er freue sich auf ein „tolles Duell“. Er sagte, dass die Auszeichnung „etwas ganz Besonderes“ sei. Er sagte, dass sie „für die Ewigkeit“ hält.
Spätestens, wenn es um die Ewigkeit geht, geht es aber auch um Cristiano Ronaldo. Zumindest aus Sicht von Cristiano Ronaldo. Der Portugiese hat zwar eine unauffällige, von Oberschenkelproblemen geprägte WM gespielt, nach der Vorrunde war er ausgeschieden. Dennoch hat er gute Chancen bei der Wahl, nach einer sehr auffälligen Saison, mit 17 Toren in elf Champions-League-Spielen, das letzte zum 4:1- Endstand im Finale gegen Atlético Madrid. Zur Wahl stehen also: zwei Männer des Sommers und ein Mann des Jahres.
Bei den Frauen ist die Wahl nicht ganz so verzwickt. Zur Auswahl stehen die deutschen Nationalspielerinnen Nadine Keßler und Martina Müller sowie die Schwedin Nilla Fischer. Alle drei haben in der vergangenen Saison sehr auffällig gespielt, und weil alle drei für den VfL Wolfsburg spielen, haben sie auch alle drei zusammen im Mai die Champions League gewonnen.

Endsieb

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Zu den Grundgesetzen des deutschen Fernsehens gehört eigentlich die Regel, dass RTL an jedem Donnerstagabend mindestens einen Totalschaden zu vermelden hat. Lange Zeit konnte man jede Woche die Uhren danach stellen: Um 20Uhr beginnt die Tagesschau im Ersten, 15 Minuten später bei RTL Alarm für Cobra11 – und oft schon um 20.17 Uhr scherbelt es das dann das erste Mal. Berstende Wassertonnen, schlitternde Gebrauchtwagen, querliegende Laster. Man versteht diese Unfälle nie, aber darum geht es auch nicht.



Was wäre wenn? Jan Böhmermann sucht auf RTL eine Antowort.

Eine Weile schon mogelt sich RTL aber mit Wiederholungen durch den Donnerstag, von dieser Woche an bestreitet es den Abend mit einem komplett neuen Programmschema. Die heute Jungen sollen nun mit Casting (Rising Star, 20.15 Uhr), Dating (Adam sucht Eva, 22.25 Uhr) und Comedy erreicht werden. Des lustigen Schluss dieses Dreiklangs sollen vier Nachwuchskräfte intonieren, deren Namen die umsorgte Zielgruppe zumindest schon einmal gehört haben dürfte: Palina Rojinski, Katrin Bauerfeind, und zwei Jans, nachnämlich Köppen und Böhmermann. Sie suchen in vier Folgen immer wieder andere Antworten auf jene Frage, die dem Format auch seinen Namen gibt: Was wäre wenn?

Die Idee ist in ihrem Wesen nicht ganz frisch, auch ihre Ziehväter kann die Sendung kaum verbergen. Was wäre wenn? orientiert sich sichtbar an den Filmbeiträgen Martin Sonneborns für die heute-show und auch an klassischem Mutprobenfernsehen, wie es vor allem Joko und Klaas in den vergangenen Jahren so hingebungsvoll gepflegt haben. Das sieht dann so aus: Katrin Bauerfeind fragt sich, was wäre, wenn sie am Drive-in bei McDonald’s einfach mal Quatschbestellungen aufgeben würde. Sie ordert also „Branchensaft“, einen „Hamburger jovial TS“, dazu „Mauspressing“ – sie bekommt kaum Nachfragen, immer gefüllte Tüten. Jan Köppen fragt sich, was wäre, wenn er als Ahnungsloser durch eine Kunstausstellung führen würde. Er steht also vor einem Bild und behauptet, „ganz viel Vaginales“ darin zu erkennen. Palina Rojinski fragt sich, wie schnell Handwerker im richtigen Leben auf bekannte Reizwörter aus Gossenpornos anspringen. Sie steht also in einer Küche und sagt „mein Rohr tropft wie verrückt“ – im Nebenraum kommentiert Conny Dachs, der vermutlich bekannteste Rohrverleger des deutschen Lustfilms. Und Jan Böhmermann fragt sich, was wäre, wenn er mit eher „traditioneller Gesichtsbehaarung“ durch die Straßen zöge. Er landet schließlich in einem Küchenfachgeschäft, er erkundigt sich nach einem „Endsieb“ und löchert die Verkäuferin auch mit Fragen zu dessen Qualität: „Sieb kaputt oder Sieb heil?“

Unfair wäre es nun, wenn man diese Ideen allein auf ihren Plagiatsgehalt prüfen wollte, einige Parallelen sind dennoch zu nennen. Bauerfeinds wortverdrehte Burgerbestellung erinnert an „Kentucky schreit ficken“ aus RTLs Samstag Nacht, Köppens Ausflug ins Museum scheint sehr deutlich von Hape Kerkelings „Hurz“ inspiriert worden zu sein, Böhmermanns Feldversuch mit falschem Bärtlein hat man gar mehrmals gesehen. Rojinskis Handwerkerei geht wiederum deswegen nicht ganz auf, weil die zitierten Originale ja gerade wegen ihrer Ernsthaftigkeit so lustig sind, dass man sie praktisch nicht wertsteigernd parodieren kann.
Richtig ist, dass Was wäre wenn? durchaus gute Momente hat. Es funktionieren die sabotierten Interviews mit Rechtsaußen-Politikern, in denen Jan Böhmermann wahlweise Nazi-Bingo oder Nazi-Activity spielt. Bei letzterem etwa gelingt es ihm, getragen von respektabler Schamlosigkeit, einen Vertreter der Republikaner an der sehr langen Nase herumzuführen. „Von Schröder erfundene Sozialreform, das letzte Wort war richtig“, täuscht Böhmermann Erinnerungslücken vor. „Hartz-IV-Schmarotzer!“, freut sich der Mann von den Republikanern. Es glückt ebenso der Versuch, ein weiteres Mal in den McDrive zu fahren und am Schalter für die Bestellannahme den McDonald’s-Mitarbeiter mit einem von Burger King in gleicher Funktion telefonisch zu verbinden. Wäre das Leben nicht echt und gäbe es eine Matrix, sie wäre an dieser Stelle in einer Weise explodiert, wie man sich das selbst im Produktionsbüro von Cobra 11 nicht vorstellen kann.
Oft gerät der Fernsehspieleabend der Vier aber an Grenzen, das liegt nicht nur an den leider sehr merklich aus dem Skript gelernten Moderationen. In Summe bleiben Einspieler und Studioszenen leider eine Lenor-Version von lustig, sie sind zu weichgespült. Wie zuletzt bei dem von ihm mitentwickelten WDR-Format Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von..., scheint Jan Böhmermann auch hier eine Konzessionsentscheidung getroffen zu haben: Der Nachteil, nicht frei und radikal walten zu können wie sonst, steht auf der einen Seite dieser Rechnung, die hohe Aufmerksamkeit, die RTL verspricht, auf der anderen.

Ob dieses Versprechen des alten Fernsehens überhaupt noch gilt, stellen Rojinski und Böhmermann übrigens selbst in Frage. Weil die Leute nicht mehr zum Fernsehen kämen, müsse das Fernsehen zu ihnen kommen, sagt Böhmermann vor einem Beitrag. Dann klingelt er auch schon an der Tür eines Ahnungslosen und will diesen glauben machen, er hätte sich für ein Format angemeldet: „Hallo Herr Sager, RTL-Frauentausch, es ist so weit.“ Dem nächsten wird eine Ausreiseabsicht mit Hilfe der Sendung Auf und davon unterstellt. Es müsse jetzt schnell gehen, und, „Du brauchst ja auch gar nicht so viel für den Iran“.

„Was wäre wenn?“, RTL, 23.20 Uhr
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