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Ich und der King

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Als die kühle Sommernacht in den 16. August hinübergleitet, in den 37. Todestag Elvis Aaron Presleys, wird es still an der Stele. Gerade hat sich ein meinungsstarkes Ehepaar aus Bayern noch darüber beschwert, dass das in Stein gemeißelte Gesicht auf der Gedenksäule einem offenbar nicht übermäßig geschätzten Verwandten aus Rosenheim ähnlicher sehe als dem König des Rock ’n’ Roll. Zwei ältere Damen aus den Niederlanden haben ebenso zwang- wie ergebnislos um den besten Platz zur Niederlegung eines Teddybären gerungen. Doch dann, um Mitternacht, kann man auf einmal ungestört zuhören, wie der Wind knisternd durch das Feuer der Fackeln streicht. „Wir vermissen dich“, sagt eine Frau irgendwann, sie sagt das zu Elvis. Zu ihrem Mann sagt sie: „Machste noch’n Bildchen von mir und dem King? Und nicht wieder wackeln.“



Ein Elvis-Fan wartet am 16.08.2014 auf dem Europäischen Elvis-Festival in Bad Nauheim auf den Beginn einer Veranstaltung

Bad Nauheim nennt sich „Gesundheitsstadt“, aber die Menschen, die hier am Rand des Taunus, dreißig Kilometer nördlich von Frankfurt, die Linderung ihrer Leiden suchen, sind immer weniger geworden mit den Jahrzehnten. Umso stolzer verweist man heute auf all die Könige, Kaiser und Zaren, Bismarcks, Einsteins und Karl Mays, die einst in dem prunkvollen Jugendstil-Ensemble die Schnabeltasse schwangen. Man muss aber ganz nüchtern feststellen, dass an die hohen Herren und Majestäten vor Ort kein einziges Stofftier erinnert, auch kein liebevoll bemaltes, mit Zellophan überzogenes Pappherz („Forever yours, Eva“). Der König von Bad Nauheim ist zweifellos Elvis Presley, jedes Jahr huldigt ihm die Stadt an drei Tagen im August, mit 50er-Partys und Cadillac-Parade.

Dabei soll der G.I. Elvis, so die Überlieferung, doch etwas skeptisch gewesen sein, als er erfuhr, dass er seinen – nicht allzu entbehrungsreichen – Wehrdienst in Bad Nauheim verbringen würde. Welcher Ort, fragte sich der junge Mann aus Mississippi, setzt schon freiwillig das Wörtchen „bad“ vor seinen Namen? Er hat sich seine Zeit dann aber gut vertrieben in „Schlecht Nauheim“, seinem „European Home“ von 1958 bis 1960. Nirgends sonst außerhalb der USA hat Elvis so lange gelebt. Die Kurstadt darf davon träumen, ein europäisches Memphis zu werden, ein Hauptaltar im Tempel des Königs – und ein Geschäftszentrum der viele hundert Millionen Dollar schweren Elvis-Gedenkindustrie.

Die Frage ist nur, ob die Nauheimer das auch wirklich wollen. Die Elvis-Stele hat 1995 ein Steinmetz privat gespendet; die Kommune brauchte noch vier Jahre, bis sie die Wendefläche außen rum „Elvis-Presley-Platz“ taufte. Ein Elvis-Presley-Verein nahm auch erst um die gleiche Zeit seine Erinnerungsarbeit auf. Sicher, während des Festivals scheint sich die Stadt zu einschlägiger Dauerbeschallung verabredet zu haben: „Suspicious Minds“ dringt aus der Bierstube Kleiner König, „Jailhouse Rock“ aus dem Irish Pub, „Kentucky Rain“ aus dem Mega Mix Grill. Aber es ist auch nicht schwer, einen Taxifahrer zu erwischen, der sofort die Fenster hochfährt, weil er nichts von dem mehr hören will. Und nebenan in Friedberg erlaubt sich der Bürgermeister den Hinweis, Elvis habe in den Ray Barracks in seiner Stadt gedient. „In Bad Nauheim hat er halt geschlafen.“

Ein zweites Memphis? Zumindest die etwa 6000 Pilger, die zum 13. European Elvis Festival einfallen, muss man nicht zwei Mal fragen.

Zur Eröffnung haben sie sich in der gediegenen Trinkkuranlage versammelt, und wenn nicht so viele Gäste mit Petticoat und Pomade auffallen würden, könnte hier auch ein Vortrag über Schüßler-Salze beginnen. Stattdessen erklimmt Alfred Wertheimer die Bühne, er hat 1956, als sie beide blutjung waren, die vielleicht intimsten Elvis-Fotos überhaupt gemacht. In einer feinen Ausstellung im Kurhaus sind sie zu sehen, Elvis im Schlafwagen, Elvis beim Knutschen mit dem „Date of the Day“.

Er habe so viele Jobs gehabt, sagt Fotograf Wertheimer, „aber alles, was die Leute mich fragen, ist: Wie war Elvis denn nun?“ Zwei Sachen seien ihm damals gleich aufgefallen, verrät er mit äußerster Zeitzeugen-Routine. „Er hat Nähe zugelassen. Und er hat die Mädchen zum Schreien gebracht. Auch die auf den besseren Plätzen.“

Das Festival ist gut bevölkert von Leuten, deren Leben Elvis Presley in seinem hessischen Intermezzo irgendwie gestreift hat. Die Auftaktparty: Im Saal spielen Danny and the Wonderbras, auf der Terrasse kommt eine Frau mit grauen Haaren und knallgrünem Kleid ins Reden. Sie war damals jung in Bad Nauheim. Auch sie hat sich die Finger wund gewählt, als die Bravo einmal die Telefonnummer von Elvis’ Villa in der Goethestraße 14 abgedruckt hatte. „Elvis hat mich und meine Freundinnen verdorben für alle deutschen Männer unseres Alters. Wir wollten einfach nix mehr von denen.“ Aber das Problem hat sich hoffentlich irgendwann erledigt? „Ganz langsam. Half ja nix.“ Elvis selbst hat dann bei einer Party in eben jener Villa die 14-jährige Tochter eines Army-Captains kennengelernt. Priscilla hieß das Mädchen und wurde später seine Frau.

Wer ehedem nicht selbst dabei war, kann auf Nostalgie-Rundgängen die, na gut, historischen Stätten abschreiten: das Hotel Grunewald, in dem sich Elvis samt Oma und Papa eine ganze Etage mietete; das Studio G, in dem er „It’s Now or Never“ einspielte; das Gradierwerk, in dem Nauheimer Salze seine Stimme kräftigten für die weitere Weltkarriere. Im Pfälzer Hof hängt eine Karte von Elvis, „Danke schürn“ fürs gehaltvolle Abendessen. Auf dem Fan-Markt im Platanenhof kann man Elvis-Krawatten und Elvis-Frisbees erstehen, auch eine CD mit seinen privaten Tonaufnahmen aus Bad Nauheim. „Que sera“ singt er da zum Beispiel, und sein Daddy quatscht beherzt dazwischen.

Als die Vorsitzende der Elvis-Presley-Gesellschaft in der Lobby des Festival-Hotels Platz nimmt, läuft ein Lied von Helene Fischer, irgendwer hat da ganz grob nicht aufgepasst. Maria Hesterberg, rote Haare, rote Schuhe, leitet im zivilen Leben ein Bildungszentrum, hier leitet sie das Festival. Und sie legt Wert auf dessen Anspruch: „Wir haben bei den Konzerten keine bloßen Elvis-Imitatoren, wir haben Künstler mit eigener Note.“ Die Besucher kämen aus ganz Europa, nicht nur Hardcore-Fans, sondern auch normale Leute, die nicht schon vier Elvis-Krawatten und zwei Elvis-Frisbees im Schrank haben. Der Zauber des Königs, sagt Hesterberg, solle nicht wie anderswo im Kommerz ersticken.

Es ist zwei Uhr morgens an der Straße von Bad Nauheim nach Friedberg, rechts Bäume, links Büsche. Es nieselt, Dunst hängt über dem Asphalt. Mattes Scheinwerferlicht schimmert durch die Dunkelheit. Wie in Zeitlupe schwebt ein rosa Cadillac vorbei, bis die Nacht seine Rücklichter schluckt. Der Zauber von Bad Nauheim ist für einen kleinen Moment perfekt.

Tagesblog - 18. August 2014

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08:35 Uhr: Hallo ihr Lieben! Für meine gute Laune sorgte heute morgen Kasabian mit diesem Cover von Sesamstraße + Good Vibrations. Vielleicht funktioniert es bei euch ja auch.

http://www.youtube.com/watch?v=vr8a03PUZcI

Der farblose Präsident

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Der Präsident weiß, wie sich Amerikas Schwarze fühlen, er hat es ja alles selbst erlebt. Wie Weiße in ihren Autos ihre Türen verriegeln, wenn sich ein Schwarzer nähert. Wie sich die alte Frau im Fahrstuhl an ihre Handtasche klammert, wenn ein Schwarzer einsteigt. Wie Weiße in Panik geraten, wenn ihnen ein Schwarzer im Kapuzenpulli begegnet. Barack Obama hat im vergangenen Jahr davon erzählt, damals hatte die Justiz in Florida gerade einen hellhäutigen Nachbarschaftswächter freigesprochen, der den jungen, unbewaffneten Schwarzen Trayvon Martin für verdächtig hielt und erschossen hatte. Obama sagte: „Vor 35 Jahren hätte ich Trayvon Martin sein können.“



Nur ein nettes Winken? Obama tut bislang wenig für die Afroamerikaner

Als Obama vor mehr als fünf Jahren in das Weiße Haus einzog, feierten ihn die Schwarzen in den USA frenetisch. Optimisten vermuteten, es breche nun die Zeit des „post-racial America“ an, in dem Hautfarbe keine Rolle mehr spiele. Aber nicht erst die jüngsten Ereignisse in Missouri zeigen, dass diese Theorie nie mehr war als Träumerei. In Ferguson, einem Vorort von St. Louis, hat ein weißer Polizist vor gut einer Woche einen unbewaffneten, jungen schwarzen Mann erschossen. Die Umstände der Tat sind noch unklar, aber aus Sicht der Bewohner ist der Tod Michael Browns das bisher schlimmste Symptom einer kranken Gemeinde, in der vier Dutzend weiße Polizisten die mehrheitlich schwarzen Einwohner kontrollieren – oft genug mit Willkür, Schikanen, Respektlosigkeit.

Ferguson wiederum ist selbst Symptom einer US-Gesellschaft, in der die Weißen das Sagen haben, in der zwar ein schwarzer Präsident an der Spitze steht, die Schwarzen aber in allen Lebensbereichen benachteiligt sind. Der Frust ist geradezu explosiv: Leitende Polizisten erinnern jetzt daran, dass vielerorts ein Zwischenfall wie der in Ferguson reichen kann, um Unruhen auszulösen. Amerika, leicht entflammbar.

Trotzdem spricht der Präsident selten über Hautfarbe, und noch seltener verbindlich. Mitfühlende Sätze wie der über Trayvon Martin „erklären nicht viel, versprechen nicht viel und sagen uns nicht, wie es weitergeht“, bemerkte kürzlich der schwarze Rechtsprofessor Randall Kennedy, es fehle dem Präsidenten jede Agenda oder Vision. Obama verhält sich wie jemand, der den Verdacht zerstreuen möchte, seine Hautfarbe mache ihn befangen. Er sieht sich wohl selbst nicht als Präsident der Schwarzen in Amerika, sondern eben nur als Amerikas erster schwarzer Präsident.

Hautfarbe bleibt in den USA bis heute das wohl größte Reizthema. Noch immer bekennt sich mehr als die Hälfte der Amerikaner dazu, abwertend über Schwarze zu denken und zu sprechen. Der Rassismus ist nicht ausgestorben, nur subtiler als früher. Nirgends ist dies so deutlich wie in den Begegnungen schwarzer Amerikaner mit der Polizei. Hautfarbe hat Einfluss darauf, ob jemand angehalten, befragt, abgetastet, überprüft, festgenommen wird. In manchen Städten wie New York ist es eine langjährige Polizeitaktik, besonders dunkelhäutige Bürger anzuhalten und zu kontrollieren. Schwarze Amerikaner etwa rauchen nicht mehr Marihuana als weiße, aber sie werden öfter kontrolliert und überführt. Im Schnitt sitzen Schwarze vier Mal so viel im Gefängnis wie Weiße.

Auch wirtschaftlich sind die Schwarzen stark benachteiligt: Ihr Haushaltseinkommen ist deutlich niedriger als das der Weißen und ist selbst seit dem Ende der Rezession Mitte 2009 nochmals stark gesunken. Amerikas Schwarze sind überdurchschnittlich arm, sie haben Mühe, an frühkindliche Bildung zu gelangen, an die besseren Hochschulen und Arbeitsplätze. Im vergangenen Jahr sprach Obama zum 50. Jahrestag der „I have a dream“-Rede Martin Luther Kings. Er würdigte die Erfolge der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, aber er beklagte auch die wirtschaftliche Ungerechtigkeit, die Schwarz und Weiß noch immer so hartnäckig trennt. Es komme nicht so sehr darauf an, ob ein Schwarzer Millionär werden könne, sondern ob es jeder Mensch in die Mittelschicht schaffe, sagte er.

Obama relativierte damit auch seinen eigenen Aufstieg: Ein schwarzer Präsident bedeutet nicht Fortschritt für alle. Obama sind ein paar kleine Erfolge geglückt, etwa gegen die unverhältnismäßigen Haftstrafen und zur Förderung junger schwarzer Männer. Aber aus Sicht seiner eigenen Wähler plädiert er zu selten dafür, dass selbst ein unparteiischer Staat einzelne Bevölkerungsgruppen unterstützen darf und muss, wenn sie so chronisch benachteiligt sind wie die Schwarzen.

Stattdessen ist Obama zuweilen als Erzieher anderer Schwarzer aufgetreten, er hat besonders die jüngeren in die Pflicht genommen, zu Fleiß und Disziplin aufgefordert. Vor schwarzen Studenten sagte er, junge schwarze Männer müssten Verantwortung übernehmen für ihre Familien. Als junger Mann habe er selbst die Gesellschaft für seine eigenen Fehler verantwortlich gemacht. Die Geschichte von Sklaverei und Diskriminierung sei zwar belastend, „aber wir haben keine Zeit für Ausreden“.

Schon in seinem ersten Wahlkampf für das Weiße Haus rügte er andere Schwarze dafür, dass sie ihre Familien sitzen ließen und sich mit mittelmäßigen Erfolgen begnügten. Damals wie heute sehen schwarze Beobachter in diesen Worten nicht so sehr eine inhaltlich berechtigte Rüge als vielmehr politische Taktik: Obama müsse der weißen Bevölkerung und Wählerschaft eben beweisen, dass er zuverlässig sei.

Es ist nicht absehbar, dass sich die Lage für Amerikas Schwarze rasch bessert. Längst hat sogar eine Debatte darüber begonnen, ob die Schwarzen nicht eh schon genug gefördert wurden, etwa durch den bevorzugten Zugang zu Hochschulen (affirmative action), und ob dies nicht wiederum die Weißen diskriminiere und benachteilige. Der Supreme Court, das höchste Gericht im Land, scheint die affirmative action immer kritischer zu sehen und setzt ihr immer öfter Grenzen. Erst im April haben die Richter ein Gesetz aus Michigan bestätigt, das die Bevorzugung von Minderheiten an Universitäten verbietet. Sonia Sotomayor, die erste Latina auf der Richterbank, kritisierte die Entscheidung ihrer Kollegen scharf: Sie weigerten sich, die Wirklichkeit zu akzeptieren. „Hautfarbe spielt eine Rolle“, sagte sie. „Man muss die Augen öffnen für die unglücklichen Folgen jahrhundertelanger Diskriminierung.“

„Smartphones wegnehmen hilft nichts“

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SZ: Herr Professor Voß, ist jetzt eine besonders gefährliche Zeit für Jugendliche? Viele sexuelle Übergriffe finden in Ferienlagern oder bei Freizeitaktivitäten statt, viel mehr als in der Schule.

Heinz-Jürgen Voß: Besonders gefährlich würde ich das nicht nennen, auch wenn Übergriffe tatsächlich am zweithäufigsten in der Freizeit geschehen. Mir fällt in der Gesellschaft vielmehr eine Diskussion auf, die Sexualität von Jugendlichen als Problem darstellt. Dadurch nimmt man ihnen Möglichkeiten, offen über das Thema zu sprechen. Immer wenn es Heimlichkeiten gibt, entstehen auch Gelegenheiten für Mobbing oder Erpressung. Offenheit ist wichtig, um Übergriffe zu verhindern.



Sexuelles Mobbing übers Internet ist unter Jugendlichen weit verbreitet.

Nur wenn ich Sexuelles offen ansprechen kann, kann ich mich verteidigen?

Ja, das ist ein Grundprinzip der Pädagogik. Grenzüberschreitungen finden vor allem dort statt, wo das Thema tabuisiert wird. Offenheit ist Teil einer guten Sexualkultur.

Die jüngste Studie Ihres Instituts hat einen Anstieg sexueller Übergriffe unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen festgestellt. Wo liegen die Ursachen?

Die Studie bezieht sich auf ostdeutsche Jugendliche. Unter ihnen werden in Bezug auf sexuelle Übergriffe jetzt allmählich die Werte erreicht, die auch im Westen festgestellt werden. Mögliche Erklärungen müsste man genauer diskutieren. Es hängt womöglich mit einem anderen Verständnis von Gewalt zusammen, also die Frage ist, was als Gewalt und Grenzverletzung empfunden wird. Zudem gab es eine stärkere soziale Kontrolle in der DDR, was Übergriffe verhindert haben könnte. So existierten zum Beispiel soziale Dienste, es gab regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen und Hausbesuche durch Lehrer, bei denen es eine Gelegenheit gab, Übergriffe festzustellen oder darüber zu sprechen.

Wie sehen typische sexuelle Übergriffe auf Jugendliche konkret aus?

Das ist sehr vielschichtig. In den neuen Medien wie dem Internet geht es vor allem um sexuelles Mobbing. Fotos werden mit Beleidigungen ins Internet gestellt. Das müssen gar keine Nacktaufnahmen sein. Aber wenn so etwas in Foren passiert, wo sexuelle Kontakte angebahnt werden, kann dies gravierend sein. Die Jugendlichen müssen sich ja erst selbst finden. Solches Mobbing ist kein neues Phänomen, sondern ein neuer Schauplatz. Aus den Medien kennt man vor allem Pädophile, die sich im Netz herumtreiben. Die meisten Grenzverletzungen aber finden zwischen Gleichaltrigen statt, die sich ausprobieren. Sie müssen die Grenzen erst lernen.

Welche Taten geschehen in den Schulen? Ist es die Gewalt in der Schultoilette, über die es immer wieder Berichte gibt?

Darüber wird sehr viel gesprochen, wegen der Übergriffe in Internaten. Was ich für die neuen Medien gesagt habe, zeigt sich auch für die Schule. Wenn Jugendliche in einer Beziehung waren, sich trennen und dann einer der Expartner erotische Fotos weitergibt. Das ist typisch. Grapschen spielt eine Rolle, ebenso handfeste Gewalt. Eine Vergewaltigung auf der Toilette aber ist der extreme Einzelfall.

Was können Schüler tun, um sich zu schützen?

Wenn etwas passiert ist: nicht schweigen, sondern sich mitteilen und Unterstützung suchen, etwa beim Vertrauenslehrer. Teilweise gibt es an Schulen für sexuelle Themen ausgebildete Fachkräfte, ansonsten sollte man ein Notfalltelefon nutzen oder enge Freunde ansprechen, denen man vertraut.

Sie haben die Polizei jetzt bewusst gar nicht erwähnt?

Die Polizei hineinzuziehen ist ein schwieriger Schritt. Die Hemmschwelle, sie einzuschalten, ist oft hoch. Das möchten viele Schüler nicht.

Was kann die Schule tun, um sexuelle Übergriffe zu verhindern?

Entscheidend sind eine vernünftige Offenheit bei sexuellen Themen und Aufklärungsarbeit. Es sollte an jeder Schule einen Ansprechpartner für Sexualkultur geben, etwa für Fälle sexueller Gewalt aber auch für Sexualpädagogik. Hierzu müssen Lehrer pädagogisch fortgebildet werden. Sexualität muss ein Querschnittsthema werden und nicht nur in der Biologie behandelt werden. Die Literatur bietet viele Ansatzpunkte, aber auch der Geschichtsunterricht, wo man sich über die Rolle der Frau und ihrer Sexualität im Laufe der Jahrhunderte austauschen kann.

1990 gab es noch klare Unterschiede zwischen Ost und West. Ost-Jugendliche wurden offenbar weniger bedrängt als die im Westen. Inzwischen gleicht man sich auch bei den Delikten an.

Ja. Jetzt durchlaufen die Jugendlichen eine ähnliche Sozialisation, es lässt sich kein Pauschalunterschied mehr feststellen. Große Unterschiede gibt es stattdessen zu marginalisierten Gruppen, etwa bei Jugendlichen aus Migrantenfamilien, wo sich Übergriffe mit Rassismus vermischen. Zum Beispiel lesbische oder schwule Jugendliche mit Migrationshintergrund: Für mehrheitsdeutsche Jugendliche gibt es passende Beratungsangebote, für Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht. Das fängt schon bei der Werbung der Beratungsstellen an, auf der nur weiße Pärchen zu sehen sind. Und es geht weiter bei Problemen, die vor allem Migranten haben: Wenn sie von zu Hause ausziehen wollen, finden sie viel seltener eine Wohnung.

Sollte man im Umgang mit den neuen Medien und sexuellen Grenzüberschreitungen auf Verbote setzen?

Von Verboten halte ich wenig. Es gibt immer Wege, sie zu umgehen, aber sie sind auch nicht hilfreich. Die Menschen sind sexuell, sie suchen sich andere Wege. Smartphones wegnehmen hilft nichts.

Internet und Smartphones sind ja nicht nur Teufelszeug, sondern auch eine willkommene Plattform um sich auszuprobieren – sollten sich Eltern da nicht etwas entspannen?

Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Eltern sollten damit sehr entspannt umgehen. Internet und Smartphones, sogar Cybersex sind heute normal. Es muss darum gehen, die Medienkompetenz zu stärken, also den bewussten Umgang mit den Medien zu schulen. Zum Beispiel, beim Austausch erotischer Aufnahmen vorsichtig zu sein. Da können sogar strafrechtliche Konsequenzen drohen. Bei sexueller Gewalt haben wir im Kopf das Bild vom bösen Mann, der draußen die Kinder wegfängt. Die meisten Strafverfahren wegen Jugendpornografie aber gibt es gegen Jugendliche.

Büffeln trotz Bachelor

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Eigentlich wollte Matia Riemer ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln in der Regelstudienzeit durchziehen, im Sommer kommenden Jahres die Bachelorarbeit schreiben und dann im Herbst den Master beginnen. Seitdem die 22-Jährige aber weiß, dass sie für einen Platz an einer guten Uni den GMAT – einen speziellen Test für Wirtschaftswissenschaften – ablegen muss, hat sie ihren Plan verworfen. Interessenten sollten sich zwei Monate auf den Test vorbereiten, raten Experten. In Vollzeit. Also wird Riemer nach der Bachelorarbeit für ein gutes GMAT-Ergebnis büffeln – und damit die Master-Bewerbungsfristen der Unis verpassen.



Für viele Master-Studiengänge müssen die Bewerber erst einen Eignungstest bestehen.

GMAT ist ein internationaler Standardtest für die Zulassung zur Managementausbildung, „Master of Business Administration“ (MBA). Er besteht aus Logik-, Text- sowie Rechenaufgaben, findet auf Englisch statt und kostet 250 Dollar. Mittlerweile verlangen nicht nur Business Schools, sondern auch immer mehr Universitäten den GMAT für einen BWL-Masterplatz. Darunter Mannheim, Köln und München sowie die Universität Frankfurt für einen von zwei Studiengängen. Die vier Unis gehören, gemessen an der Studentenzahl im Fach BWL, zu den fünfzehn größten Hochschulen in Deutschland. Und an der Humboldt-Universität Berlin sowie in einem weiteren Studiengang der Uni Frankfurt können Bewerber ihre Chancen mit einem guten GMAT-Ergebnis verbessern.

Für einen MBA-Platz ergibt der GMAT durchaus Sinn, weil sich Absolventen unterschiedlicher Fachrichtungen bewerben können. Für einen BWL-Master kommen jedoch nur Absolventen infrage, die im Bachelor zuvor bereits viele Vorlesungen in Wirtschaft und Statistik besucht haben. „Ich studiere BWL und muss mit dem GMAT zeigen, dass ich für den Master im gleichen Fach geeignet bin?“, fragt Riemer ungläubig. „Das entwertet den Bachelor.“

Zwar gilt der sechssemestrige Bachelor als neuer Regelabschluss. Nur gut ein Viertel der Bachelorabsolventen an Unis wollen sich laut Studien aber mit dem ersten Abschluss begnügen, viele fühlen sich damit nicht gerüstet für den Arbeitsmarkt. Sie streben den Master an. Bedeutet der Trend zum GMAT, dass die Unis dem Bachelor gleichermaßen misstrauen? Die betroffenen Hochschulen antworten auf Anfrage, mit dem GMAT würden sich nationale und internationale Abschlüsse besser vergleichen lassen. Die Uni Mannheim betont, auf ihren Master würden sich viele Absolventen aus dem Ausland bewerben. Mit GMAT könne deren Potenzial besser eingeschätzt werden. Die GMAT-Punktzahl sei nicht durch lokale Notensysteme verzerrt, antwortet die Ludwig-Maximilians-Universität München.

Es könnte aber auch einen anderen Grund für die Einführung des GMAT geben: Die fünf genannten Unis belegen in Rankings oft vordere Plätze. Sie wissen um ihren elitären Ruf. Den Bachelornoten von weniger gefragten Hochschulen scheinen sie nicht zu trauen. Bachelorabschluss ist nicht gleich Bachelorabschluss, heißt es aus Mannheim. Die Uni München teilt mit, es herrsche „enorme Inhomogenität“ bei den wirtschaftswissenschaftlichen Bachelorangeboten. Die Uni Köln verweist auf den eigenen BWL Bachelor, der als schwierig gelte. Andere Hochschulen hätten eine laxere Notenvergabe. Um das auszugleichen, gebe es den GMAT. Sie verweist darauf, auch den standardisierten Test „TM Viso“ zu berücksichtigen. Das Problem hier: Keine der anderen genannten Unis akzeptiert diesen. Will sich ein Student mehrfach bewerben, braucht er den GMAT.

Heinz Reinders zweifelt an der Aussagekraft des Tests. „Er misst die Vorbereitungszeit auf den Test“, kritisiert der Bildungsforscher an der Universität Würzburg. Die Bewerber trainieren wochenlang die Struktur des GMAT. Wissen lasse sich so nur zum Teil abfragen, sagt Professor Reinders. Seiner Ansicht nach haben hiesige Universitäten wenig Erfahrung mit Zulassungstests und so ohne großes Nachdenken internationale Verfahren kopiert. „Es wäre aber wichtig zu schauen, was man für unsere Bildungslandschaft braucht.“

Reinders schlägt vor, dass sich Universitäten bei Zulassungstests stärker am eigenen Profil orientieren. „Liegt eine Hochschule in der Umgebung vieler Mittelständler und kommen viele der Absolventen dort unter, wäre es denkbar, einen Test für dieses Profil zu konzipieren.“ Dass dies bald eintritt, glaubt er nicht: „Die hohen Bewerberzahlen erlauben den Unis, den Studenten jede Art von Test vorzusetzen.“

Und so wird sich auch Matia Riemer nach dem Bachelor erst mal das Vorbereitungsmaterial für den GMAT kaufen, lernen – und auf ein gutes Ergebnis hoffen. In den Monaten danach möchte sie auch ein längeres Praktikum machen. Damit sich der Leerlauf bis Sommer 2016 wenigstens ein bisschen lohnt.

Maximal unabhängig

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Man hätte Tahliah Barnett schon vor Jahren bemerken können, als sie als Tänzerin in den Musikvideos der Popsängerin Jessie J zu sehen war. Sie nannte sich Twigs oder wurde so genannt – je nach Quelle entweder deshalb, weil ihre durchtrainierten Arme und Beine wie Äste aussahen, oder wegen ihrer knackenden Gelenke. Damals, ungefähr 2010, sangen wir Jessie Js Hits im Auto mit oder hörten sie im Kaufhaus rumpeln. Rotzige Ohrwürmer, an die wir nie wieder einen Gedanken verschwendet hätten. Würde nicht dieser Tage das grandiose Debütalbum der Sängerin Tahliah Barnett erscheinen, zur Krönung dieses Pop-Sommers.



Ihre Single "Two Weeks" schlug vor zwei Wochen richtig ein: Tahliah Barnett.

Geboren und aufgewachsen ist die Mittzwanzigerin Barnett in Cheltenham, einer ländlichen Kleinstadt gut zwei Stunden nordwestlich von London. Wer gotische Kathedralen als Kulisse für seine Harry Potter-Verfilmung benötigt, dreht hier im Landkreis Gloucestershire, wo England sehr, sehr englisch ist.

Klar, das Barnett hier weg musste. Als Teenager zieht sie nach London. Sie wird zu Twigs, tanzt für Ed Sheeran und Kylie Minogue, führt in Jessie Js Videos mit goldverkronten Zähnen unmögliche Tanzschritte und Aggro-Posen vor oder hampelt in einer Doppelrolle als Marionettenzwillingspaar über den Bildschirm.

Mit der vollkommen humor- und ironiefreien „LP1“ (Young Turks/XL/Beggars) im Ohr lässt sich über diese Vergangenheit heute nur staunen. „Is she the girl from the video?“, fragt ungläubig auch Barnett selbst, und zwar in „Video Girl“, einem der Höhepunkte des Albums. Längst hat Twigs sich in FKA twigs verwandelt (FKA steht für formerly known as, früher bekannt als), nach einem Rechtsstreit vielleicht oder einfach deshalb, weil sie nicht länger das Videomädchen sein wollte. „I can’t recognize me“, singt sie weiter.

„LP1“ ist das Ergebnis eines über zwei Jahre hinweg orchestrierten Aufstiegs, seitdem sie im Dezember 2012 ein erstes, selbstgeschriebenes und selbstproduziertes Minialbum veröffentlichte. Musikalisch hatte „EP1“ kaum mehr zu bieten als langsam vor sich hinpluckernden Elektro-R’n’B, mehr sphärisch und sediert als melodisch oder nachhaltig beeindruckend. Interessanter waren schon die reduzierten, nahezu ungeschnittenen Videoinstallationen, die die Alleskönnerin Barnett für jeden der vier Titel rund um Fragen nach der eigenen sexuellen und ethnischen Identität drehte. Bei den Aufnahmen der zweiten EP, „EP2“, lässt sie sich 2013 von dem jungen venezolanischen Produzenten Arca assistieren. Die Bässe werden tiefer, die Arrangements üppiger, zugleich konzentrierter, die Kompositionen deutlich gestrafft, auch idiosynkratischer. „Water Me“ lässt an die allerbesten Momente Portisheads denken, und wurde nicht nur deshalb im vergangenen Herbst zu einem kleinen Hit.

So richtig eingeschlagen hat vor wenigen Wochen dann aber „Two Weeks“, die erste Single-Auskopplung aus „LP1“.

Auf ihren EPs hatte Barnett von einem sehr vagen Verlangen nur gehaucht, von gelegentlichem Zorn und Schmerz. In „Two Weeks“ gibt sie alle Zurückhaltung auf, seufzt gleich zu Beginn ein unfassbares „You know“, das Beyoncé nicht selbstbewusster und Beth Gibbons nicht verzweifelter hinbekommen hätten. „Two Weeks“ ist ein derart treibender, wühlender, suchender Wurm von einem Song wie es ihn nur selten gibt und zuletzt noch allenfalls vor zwei Jahren mit Ushers „Climax“ gegeben hat. Hier geschieht einfach alles, und alles funktioniert. Und beides, so stellt sich heraus, gilt auch für das Album. Es ist der Bericht von einer langen Reise, die die Protagonistin gegen alle Widerstände und Konflikte zurücklegt, um zu sich selbst zu finden. Vielleicht zu ihrem Begehren? Ein Präludium zitiert ein Gedicht von Thomas Wyatt: „I love another, and thus I hate myself.“ Vor Schlafzimmerjazz-Bass, Kirchenorgeln und gesampelten Autoalarmanlagen singt Barnett im folgenden „Lights On” jene Zeile, die noch häufig als allzu lüstern missverstanden werden wird: „When I trust you we can do it with the lights on.“ Dabei wird hier doch nur auf Verständnis insistiert und auf wirklichem Vertrauen als Grundbedingungen jeder Nähe. Nur auf diese Weise könne Wyatts hilfloser Selbsthass überwunden werden, den so etwas Gefährliches wie die Liebe mit sich bringt.

In „Two Weeks“ singt FKA twigs dann Klartext: Grundsätzlich sei sie zu allem bereit, werde jedoch auch ohne ihr noch unentschlossenes Gegenüber zurechtkommen, „you know?“ Klar sei aber doch, dass sie ihn – oder sie – in ekstatische Zustände versetzen könne wie sonst niemand anderes. Zur Umschreibung dieser Hochgefühle greift Barnett auf jene schönen Worte zurück, mit denen Gangster Rap-Legende Eazy-E vor 20 Jahren die Möglichkeiten seines liebsten Rauschmittels pries: „Higher than a motherfucker“ werde das Du sein, wenn sie erst einmal mit ihm fertig ist.

Dann ein Rückfall. „Pendulum“, zweite Single und nächster Höhepunkt, gibt sich so unentschlossen, wie es der Titel andeutet – und das ist natürlich genau richtig so. Für den zögernd oszillierenden Beat hat Barnett „Water Me“ geplündert, um sich ein verdientes Eigenzitat zu gönnen.

Sowieso der Beat. Traf die häufig für FKA twigs bemühte Rubrik Trip-Hop in Wahrheit schon auf die EPs nur bedingt zu, durchwühlt Barnett auf ihrem Album die Überreste diesen alten Genres allenfalls auf der Suche nach ein paar brauchbaren Rhythmen. Tatsächlich ist es der Soul, den sie auf ihrem Weg dorthin verschleppt, wohin auch immer sie unterwegs ist. Mit anderen Worten: Gelegentlich deutet sich eine Nähe zu den elegischen Kollaborationen des Dubstep-Produzenten Burial mit Massive Attack an. Dann scheint die tanzbare Rotzlöffeligkeit von Tinashe durch, hier das epische Schmachten von How to Dress Well oder Mariah Carey, dort die kluge Ruhe im Neo-Soul so verschiedener Acts wie SZA oder Inc.

Eine andere Assoziation klingt fast geschmacklos, so nachvollziehbar sie auch ist: Das gesamte Album, in Titel und Inhalt vor allem „Give Up“, beschwört den Gedanken an eine gespenstische Version der jung verstorbenen Aaliyah. Deren „Try Again“ forderte vor 14 Jahren noch zum Durchhalten und Weitermachen auf. FKA twigs scheint im Kampf um sich selbst dagegen ganz kurz vor dem Ende die Kraft auszugehen: „Do we get another chance?“, heißt es im entsprechend konfusen „Give Up“, ihrer vielleicht nur zufällig schwächsten Komposition. Zum Finale jedoch die Erleichterung: Die Erzählerin reißt sich noch einmal zusammen, verwandelt mit großer Geste ihr Entsetzen über die Hilflosigkeit der eigenen Liebe in die maximale Unabhängigkeit: „I just touch myself. And say, I’ll make my own damn way.“ Ob es sich bei „Kicks“, bei diesem letzten großen Titel dieses großen Albums, aber wirklich um eine Masturbations-Hymne handelt, das sollen und werden andere beurteilen.

Woher der Hass? Das Binnen-I

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Wenn man es mal frei von jeder Ideologie betrachtet, muss man den Ästheten unter den Binnen-I-Hassern Recht geben. Die finden nämlich, dass es nicht schön aussieht, wenn man im Sinne der Gleichberechtigung statt „Ästhet“ „ÄsthetIn“ schreibt. Und das stimmt. Es stört den Lesefluss, man stolpert drüber und denkt: Oh, Druckfehler! Und es ist ja auch einfach falsch, genauso falsch wie in „BordBistro“, „MasterCard“ oder „BioBackHaus“. Innerhalb von Wörtern gibt es keine Großbuchstaben, da kann man den Duden fragen, der wird dann nicken.
 
Die Ästheten machen also spitze Münder und merken an, dass ein Text rund und flüssig sein muss, um zu wirken, und dass das Kantigmachen für irgendwelche Zwecke (in diesem Fall: Geschlechtergerechtigkeit), die nichts mit dem Thema des Textes zu tun haben, bitte unterlassen werden soll. Ihr Hass ist mehr ein Mäkeln, aber darin sind sie als treue Jünger des Sprachpflegers Bastian Sick ziemlich konsequent. Sie nerven rum, bis irgendwer explodiert. Viele Ästheten finden allerdings nur die Mittel falsch, den Zweck aber richtig und denken nach, wie die Sprache auch ohne Binnen-Buchstaben Frauen und Männer meinen kann. Ästheten und feministische Linguisten können unter Umständen gut gemeinsam an Wörtern herumschrauben.




 
Es gibt unter den Binnen-I-Hassern aber auch noch die Grobschlächtigen. Die wollen überhaupt keine geschlechtergerechte Sprache, kein „Sprecher/in“, kein „Sprecher_in“ und eben vor allem kein „SprecherIn“, das regt sie am allermeisten auf. Mit den Grobschlächtigen ist nicht gut rumschrauben an Wörtern. Die hauen lieber mit der Faust auf den Tisch und wenn dabei was kaputtgeht, umso besser. Sie haben eine Lieblingsfloskel, die sie dauernd herausbrüllen: „Wenn wir damit anfangen, dann . . .“ Die nutzen sie, um Horrorszenarien zu erdenken: „Wenn wir damit anfangen, ‚SprecherIn’ zu schreiben, dann schreiben wir bald auch ‚KleiderständerIn’ und ‚Wasserhenne’!“ Sie tun vordergründig so, als sei das ebenfalls Sprachkritik, wie bei den Ästheten. Aber eigentlich gehören sie zu denen, die sagen: „Wenn wir damit anfangen, Schwule zu verheiraten, dann dürfen bald auch Hunde heiraten!“
 
Die Grobschlächtigen haben vor allem Angst. Vor gesellschaftlichen Veränderungen jeglicher Art und zwar aus unlauteren Gründen: Sie wollen ihre Gesellschaft nicht retten oder bewahren, zu allererst wollen sie die Symbiose aus ihrem Hintern und dem bequemen Sessel nicht gefährden, weil sie die Kuhle durch jahrelanges Dasitzen geformt haben. Und Angst schlägt oft in Hass um, weil Angriff ja angeblich eine gute oder sogar die beste Verteidigung ist. Sie fürchten sich davor, überfordert zu werden, wenn sich etwas ändert, vor einer Kettenreaktion, deren Ende sie nicht absehen können. Heute das Binnen-I, morgen alle Frauen oben ohne. Heute politisch korrekte Kinderbücher, morgen nur noch schwule Söhne. Das ist so ungefähr die Logik der grobschlächtigen Binnen-I-Hasser, die auch einen kürzeren Namen haben: die Konservativen. Die übrigens gleich vormachen, wie sie sich das vorstellen: der Konservative und die Konservative. Keine Chance für ein Binnen-I.

Die Exil-Opposition

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Anastasia, 28, Journalistin


„Vor der Ukraine-Krise habe ich aus Russland für deutsche Medien berichtet. Heute will ich das nicht mehr. Ich habe keine Worte mehr übrig. Ich bin gebürtige Russin, als Kind kam ich nach Deutschland. Mit 17 zog ich nach Moskau und studierte dort. Die Stadt war voller Energie, in kreativen Kreisen wehte ein freiheitlicher Wind. Selbst als Putin wiedergewählt wurde, spürte man eine Hoffnung auf Veränderung. Ich wollte ein Bindeglied zwischen Deutschland und Russland sein. Erklären, was in meinem Land wirklich passiert.
 
Vor anderthalb Jahren schlug die Stimmung um. Blogs gelten nun als Massenmedien – fallen also unter eine strengere Gesetzgebung. Wer eine doppelte Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltserlaubnis in einem anderen Land hat, muss sich jetzt registrieren. Der russische Staat verlangt sogar Angaben, was man im Ausland beruflich macht. Auch ich falle unter dieses Gesetz.
 
Als ich gesehen habe, was nach der Revolution in der Ukraine passierte, reichte es mir. Bis vor ein paar Monaten pendelte ich noch zwischen Berlin und Moskau, zwei Wochen hier, zwei Wochen dort. Zum letzten Mal bin ich nach Russland zum Krim-Referendum geflogen, das war im März. Ich wollte etwas schreiben, und dachte dann nur – keinen Bock mehr. Mir fehlt der Antrieb, für dieses Land noch etwas zu riskieren. Jetzt lebe ich Vollzeit in Berlin. Vielleicht will ich später wieder mit meiner Arbeit ein Bindeglied zwischen Russland und Deutschland sein. Aber nicht jetzt.“
 

Viktor, 32, Informatiker


„Meine Familie kam aus dem russischen Woronesch nach Deutschland. Ich lebe schon seit 20 Jahren hier, aber früher ging es mir so wie vielen Russen hier: Ich sehnte mich nach Russland zurück, wollte dort zumindest für ein paar Jahre leben. In den letzten Monaten wurde ich davon geheilt. Momentan habe ich nicht einmal Lust, als Besucher hinzufahren.
 
Da ich russische Wurzeln habe, erwarten viele deutsche Freunde zumindest einen Kommentar dazu, was zum Beispiel auf der Krim passiert ist, nach dem Motto: „Äußere dich dazu, was deine Leute so treiben.“ Was soll ich denn dazu sagen, außer: „Hey, ich find’s auch nicht schön!“ Manchmal fühle ich mich als Stellvertreter eine Staates, für den ich mich schäme. Es gab Brüche in meinem Freundeskreis, zwischen Menschen, die finden, dass Russland sich gerade „von den Knien erhebt“ – und solchen wie mir, die die Entwicklungen kritisch sehen.

Auf Facebook und dem russischsprachigen Vkontakte wurde ich deshalb schon öfter entfreundet und habe mich selbst von Menschen verabschiedet. In den vergangenen Monaten habe ich zum ersten Mal Angst bekommen, dass unsere schöne Welt in Europa zusammenbricht. Dass doch nichts so sicher ist, wie ich denke. Was gerade in der Ukraine passiert, mag tausende Kilometer weit weg sein. Aber es geht mir unter die Haut.“
 

Lina, 31, Dolmetscherin und Übersetzerin


„Ich lebe in München, und es gibt hier momentan deutlich weniger Anfragen, Geschäftsverhandlungen zwischen Russisch und Deutsch zu dolmetschen oder Prospekte und Flyer zu übersetzen. Ich bin keine Wirtschaftsexpertin, aber ich glaube, dass sich beide Seiten gerade zurückhalten, weil die Situation unberechenbar ist: Die Deutschen reduzieren das Geschäft mit Russland, die Russen bereiten sich auf die Krise vor.
 
Seit Monaten fragen mich Kunden: „Haben Sie Angst, dass die Geschäftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland beeinträchtigt werden?“ Da ich ukrainische Wurzeln habe, fällt es mir besonders schwer, diese Frage zu beantworten. Natürlich habe ich Angst. Ich will ja meine Miete bezahlen. Die Sanktionen gegen Russland werden sich auch auf mein Geschäft niederschlagen. Aber ich fände sie richtig. Vor allem Deutschland sollte gelernt haben, dass kein Land der Welt einfach ein Stück anderes Land annektieren sollte.
 
Dabei interessiert Politik mich eigentlich gar nicht. Es geht mir um Leute, die mir nahe stehen. Geboren wurde ich in Charkow, einer ukrainischen Stadt, die 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt ist. Ich kam als Schülerin nach Deutschland, habe den größten Teil meines Lebens hier verbracht. Aber ich spüre auch in München, was gerade passiert. Die Krise hat einen langen Arm.
 
Am meisten beunruhigt mich, wie Politik den Hass zwischen Russen und Ukrainern schürt. Wenn ich Facebook aufmache, stehen mir die Haare zu Berge. Früher habe ich nicht viel darüber nachgedacht, wer von meinen Freunden Ukrainer und wer Russe wer ist. Heute spürt man das in den Kommentaren in sozialen Netzwerken.“
 

Alexei, 25, Student und Sänger


„Ursprünglich komme ich aus Dnipropetrowsk in der Ostukraine. Als ich zehn war, zog meine Familie nach Deutschland. Ich studiere Medizin, aber ich bin auch Musiker. Meistens trete ich mit ukrainischen und russischen Liedern auf. Wenn man mich früher für einen Russen hielt – und das passierte oft – habe ich’s nicht berichtigt. Ich habe damals ja selbst auf der Bühne gesagt, dass ich aus Russland komme. Jetzt sage ich: Ich bin in der Ukraine geboren.
 
Die russischsprachige Community ist gerade gespalten. Oft geht der Riss sogar durch die Familie: Meine Eltern und ich unterstützen die Bewegung, die auf dem Maidan anfing. Meine Großeltern sind aber vom alten Schlag, sie gucken russisches Staatsfernsehen. Was für mich eine Freiheitsbewegung ist, ist für sie Faschismus. Wenn wir zusammenkommen, beißen meine Eltern und ich uns auf die Zungen, um die alten Leute nicht aufzuregen.
 
Auf der Bühne sage ich aber meine Meinung, halte Ansprachen. Das deutsche Publikum fragt dann oft nach, ist aufmerksamer dafür geworden, was in der Ukraine passiert. Einmal bin ich vor russischen Zuschauern aufgetreten und habe ein pro-ukrainisches Gedicht vorgetragen. Es gab Applaus, aber nach dem Konzert kamen ein paar Leute auf mich zu und sagten, dass es nicht der richtige Ort dafür war. Einer von ihnen hat mir sogar Gewalt angedroht. Wenn ich jetzt für Auftritte gebucht werde, sagen Veranstalter auch mal: keine Politik auf der Bühne, bitte.“
 

Alexandra, 30, Übersetzerin für Englisch, Deutsch und Russisch


„Gerade spürt man eine gewisse Vorsicht in Geschäftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland. Manchmal wünschte ich, die Kunden wären noch kritischer – hier widersprechen sich meine geschäftlichen Interessen mit meinen idealistischen Vorstellungen.
 
Ich habe vorher kaum darüber nachgedacht, dass mein Geschäft so verzahnt mit der politischen Lage ist. Und wie ich persönlich dazu stehe. Das ist mir jetzt bewusst geworden. Es gibt einen moralischen Konflikt. Ich habe auch schon Anfragen abgelehnt, zum Beispiel als ich ein russisches Öl-Unternehmen repräsentieren sollte, das sehr Putin-freundlich war.
 
Ich bin sauer darüber, was gerade passiert! Ich bin in Moskau geboren und wohne in Deutschland, seit ich 13 bin. Ich habe noch Freude in Russland und der Ukraine und mache mir Sorgen um sie. Ich finde es traurig, wie Russland sich gerade verhält. Ich kann mir vorstellen nach Russland zu Besuch zu fahren – es wohnen ja wunderbare Leute da. Das Land besteht ja nicht nur aus Putin. Aber dort zu leben? Nein danke. Das Land wird von einem Diktator regiert. Und momentan wird er immer unvorhersehbarer.“


Kosmoshörer (Folge 28)

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Montag:  
Ich hab' zwei Wochen Videodreh hinter mir, ich bin Matsch auf zwei Beinen. Wir waren in Athen - in dem Viertel, in das sich die Polizei nicht hineintraut (jetzt-Leser werden es kennen) und in dem angrenzenden Park, in dem Drogensüchtige auf offener Straße das "Kokain der Armen" inhalieren. Wir waren in Istanbul, haben schwule Muslime getroffen, die Recep Tayyip Erdogan und seine AK-Partei super finden und waren auf einem Fußballspiel mit den Fußballfans von Besiktas Istanbul, der berühmten Carsi-Gruppe.   
Jetzt bin ich in Giresun, auf einer Hochzeit. Ein paar Meter von mir entfernt heiratet meine Cousine, ihre Abschiedstränen kann sie sich noch für ein paar Stunden verdrücken. Ich sitze auf einer Holzliege und wähle den Song passend zu dem, was ich knipse.  





Kendrick Lamar – Swimming Pools (Drank)

Dienstag:  
Wir fahren in die Berge. Ihr denkt jetzt an die Hütte, die ihr euch besser hättet mal vorreservieren lassen, weil "Silvester in den Alpen, gibt's was Geileres?", aber da, wo ich bin, ist das Holz noch aus dem frühen 18. Jahrhundert und wurde mit zwei bis drei gezielten Hammerschlägen aneinandergeprügelt.




(Nein, das war nicht das Haus, in dem wir geschlafen haben, sondern das für die Kühe. Die haben es tausendmal komfortabler.)

Die Berge sind so gottverlassen, dass wir die Trampelpfade selbst erstapfen müssen, die Wohnungen hingegen quillen über vor Lebewesen. Da ich aber nicht will, dass die in meinen Mund krabbeln, ziehe ich mir die Wolldecke (ein halbes Kettenhemd, rein vom Gewicht her) bis an die Oberlippe und stelle die Songs so laut, dass ich jede Bewegung auf den Bass schieben kann.  





Yung Lean – Yoshi City (Prod. Yung Gud)

Mittwoch:  
Zurück in Giresun. Ich habe, seit Montag, sechs Gigabyte an Daten verbraucht. Sechs! Und ich habe mich zurückgehalten und nicht fünf "South Park"-Folgen geguckt, sondern nur zwei. Nur "The Dark Knight", nicht auch noch "Inception". Keine "Goodfellas". Und die Telekom wollte (und will wohl immer noch) allen Ernstes nach 75 Gigabyte den Tarif drosseln! Ich dürfte dann nur knapp 13 Tage Internet haben - und das obwohl ich nicht einmal nach Lust und Laune surfe, sondern echt sparsam bin.   

Aber es ist Urlaub, ich arbeite nicht. Die E-Mail-Accounts checke ich eben nur sporadisch.   

Arcade Fire – We Exist

(Anmerkung der Redaktion: Das Video dazu, in dem Spiderman-Darsteller Andrew Garfield einen Transvestiten spielt, könnt ihr euch hier anschauen) 

Donnerstag:  
Heute werde ich zurückfliegen. Ich habe den besten Preis gebucht, also fliege ich auch dementsprechend: Vier Flughäfen innerhalb von zehn Stunden. Von Trabzon (22:50) nach Istanbul Atatürk (Ankunft 00:30). Von Istanbul Atatürk zu Istanbul Sabiha Gökcen. Der Flughafen liegt auf der anderen Seite der Stadt, ich fahre also von der europäischen in die asiatische Hälfte. Auch das sehr pragmatisch. Erst mit dem letzten Bus in Richtung Taksim (ihr wisst schon, Gezi Park), dort ein Falafel-Dürüm ohne Ayran in der Früh um halb drei, und dann nehme ich den ersten Bus zur Weiterfahrt. Ankunft in München, 8:15, ohne Schlaf, dafür mit einem Song auf Repeat.  

Drake – 305 To My City

Freitag:  
Teresa treffen. Darauf anstoßen, dass ich Teresa getroffen habe.   

http://www.youtube.com/watch?v=yQljISbquTY

Samstag:  
Ich öffne meinen RSS-Reader. Klicke auf "Alle Artikel als gelesen markieren". Yes. Fühlt sich gut an. Ich fange frisch an, schreibe die ersten E-Mails, klappe den Laptop dann aber doch zu, weil ich lieber passiv konsumieren will.    

http://www.youtube.com/watch?v=ElclIqZROK0

Sonntag:  
Ich schreibe eine E-Mail, in der ich mich entschuldige. In Istanbul wollten wir eine Transgender-Schönheitskönigin treffen.  Ich hatte auf "Vocativ" ein Interview mit ihr gelesen und fand es sehr spannend. Aber ihre Mails kamen nie an, ich schwöre. Dann alle auf einmal, von einem ihrer Kollegen, der mir jetzt für mein "restliches Berufsleben trotzdem alles Gute" wünscht. Verkacken kann ich nicht so gut.   

http://vimeo.com/83775367

Auf der nächsten Seite findest du den ausgefüllten Musikfragebogen von Hakan Tanriverdi

[seitenumbruch]Gute Musik – was ist das für dich?   
Musik, zu der ich auf dem Cross-Trainer laufen kann. 

Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?  
Ausschließlich Spotify-App.   

Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen?   
Unterwegs und auf dem Cross-Trainer. Zum Einschlafen höre ich Podcasts.

Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst?   
Nein. Kommt ganz nah dran: Tupac Shakur.

Welche Musik magst du gar nicht und warum?  
Speedmetal. Verstehe die Texte nicht.

Was war deine erste eigene Platte – und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?  
N'sync. "I want you back". Ich habe meinem Bruder Geld geklaut, die Single davon gekauft und ihm dann später zum Geburtstag geschenkt. Keine Ahnung, was dieser Song sollte. Davor hatte ich jede Menge Songs per Tape überspielt, N.W.A., Ruff Ryders, Twista (Adrenaline Rush) etc. 

http://www.youtube.com/watch?v=is6gtilerPk

Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt? 
Nein, nicht so gerne. Ich mag das Gedränge nicht. Ich mag das Gegröhle nicht. Aber Woodkid war trotzdem schön.

http://www.youtube.com/watch?v=QXjO5AjMUgo

Wie entdeckst du neue Musik und was ist deine neueste Entdeckung? 
Ich höre, was aus dem Zimmer meines WG-Mitbewohners kommt. Ich schaue, was meine Freunde so auf Spotify hören. Ich folge Musik-Blogs (immer weniger). Neueste Entdeckung – so blöd es klingt – Kendrick Lamar und Drake. 

Verrate uns einen guten Song zum... Aufwachen: 
Solange ihr aufwachen könnt wie Eric Dunn, geht auch "Barbie Girl" 

https://www.youtube.com/watch?v=DRQGkx_eYew

(ernsthaft, falls ihr den Typen nicht kennt, checkt alle seine Vine-Videos, irrer Typ.)

Tanzen:

http://vimeo.com/45701484

Traurig sein: 

http://www.youtube.com/watch?v=q5qft2MUFvY

Sport treiben: 

http://www.youtube.com/watch?v=_yjT-7PNx9A

Alle hier vorgestellten Songs, auch die aus vergangenen Folgen des Kosmoshörers, findest du in dieser Playlist auf Spotify: 
Kosmoshörer

Möchtest du auch Kosmoshörer werden und deine Musik-Gewohnheiten dokumentieren? Dann schreib eine jetzt-Botschaft an teresa-fries oder eine Mail an teresa.fries@sueddeutsche.de

Haie vs. NSA - der Bildervergleich

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Alle Informationen über die Hai-Attacken aufs Internet findest du hier.

Prominentes Opfer





So schützt man sich




Auswirkungen auf das Surfverhalten



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Als Mütze




Als Katze




Als Cartoon




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Der große Weiße




Der große Fang




Hinter Glas




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Nehmen's nicht ernst




Was sie erschnüffeln




Im Sturm

Am Gate mit P. Diddy

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Am Londoner Flughafen: Kollegin S. sitzt auf einer Bank und plötzlich läuft eine kleine Gruppe von jungen Menschen vorbei, von denen einer aussieht wie P.Diddy. "Kann gar nicht sein", glaubt sie. Dann aber bindet er sich direkt neben S. seine Schuhe. Mit goldenen Schnürsenkeln. S. erstarrt: Er ist es doch! Als einziger Passagier trägt er kein Handgepäck und beim Betreten des Flugzeuges sagt seine blonde, blendend gut aussehende Begleitung, die Stewardess solle nicht rumzicken, das sei schließlich P. Diddy. Ja, der P. Diddy. Bevor S. und ihre Freundin neben aufgeregt giggeln und dabei versuchen, selbst in den Flieger zu steigen noch beratschlagen können, was nun zu tun sei, ist P. Diddy auch schon verschwunden. In Richtung erste Klasse. 



Ist er es, oder ist er es nicht?

Bei solchen Geschichten, kann ich leider nicht mithalten. Meine Promi-Erlebnisse beschränken sich auf ein Foto mit Horst Lichter. Nicht unbedingt der Hauptgewinn. Horst Lichter ist für diejenigen, die nicht die Nachmittags-Kochshows im ZDF verfolgen ein mittelmäßig bekannter Fernsehkoch. Als er an mir und meinem Bruder vorbeilief, waren wir erstmal nur irritiert. Wir schauten ihm nur kurz nach und wollten schon weitergehen. Dann beschlossen wir, ihn doch noch um ein Foto zu bitten. Man muss nehmen, was man kriegt.  

Prominente unter uns: Wenn sie plötzlich im Alltag unvermittelt auftauchen, starrt jeder sie an: Alle wollen wissen, wie er oder sie denn jetzt in echt so ist. So übrigens auch der Kollege C., der Mats Hummels am Gärtnerplatz in München erkannte, während der gerade mit seinen Kumpels abhing. Hummels trank als einziger Wasser, ganz der Profisportler. Neugierig war C. schon, zu ihm hingegangen ist er aber nicht.  

Interessant ist auch, dass sich die Prominenten selbst fernab der TV-Kameras ganz unterschiedlich verhalten. Während der eine versucht, den roten Teppich sogar bis zur Wursttheke beim Supermarkt auszurollen, verhält sich der andere so, dass man schon genau hinsehen muss, bis man merkt, dass sich da Tatort-Größe Ulrike Folkerts gerade Putenaufschnitt einpacken lässt.

Welchen Promis bist du schon begegnet? Was hast du dann gemacht? Wie hat der Promi auf dich gewirkt? Und war er danach mehr Mensch oder eher mehr Halbgott?

Das ist aber unfair!

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Wer die Fußball-WM in Brasilien in Erinnerung hat, mag kaum glauben, dass der Mensch als faires und gerechtes Lebewesen gilt. Da wurde getreten, geschubst, gegrätscht und sogar gebissen – und hinterher mit großer Unschuldsgeste beteuert, dass nichts vorgefallen sei. Wahrscheinlich ist dieses Verhalten auf die Sozialisation als Fußballer zurückzuführen. Leugnen, Reklamieren und zur Schwalbe abheben lernen die Spieler im Sportverein. Eine neue Studie zeigt indes, dass Menschen bereits im Kindesalter einen Sinn für Objektivität und Fairness entwickeln. „Das ist ungerecht“, rufen sie, wenn sie oder andere benachteiligt werden.



Schon beim Verteilen des Rotkohls wird genau geschaut: Hat die Freundin mehr als ich?

Allerdings neigt der Mensch dazu, Unfairness begangen von Freunden oder Gleichgesinnten nicht so stark zu verurteilen wie das ungerechte Verhalten Fremder. Psychologen der Universitäten Harvard und Yale zeigen im Fachblatt PNAS (online), dass diese Parteilichkeit offenbar altersabhängig ist. Während Sechsjährige Ungerechtigkeiten in der eigenen Gruppe noch milder bewerten als die von anderen, ist ihr Gerechtigkeitssinn mit acht Jahren mit mehr Objektivität versehen. Sie gehen auch dann gegen Unfairness vor, wenn sie aus den eigenen Reihen kommt.

Die Forscher um Jillian Jordan hatten zunächst 32 Sechsjährige untersucht. Die Kinder wurden nach ihrer Lieblingsfarbe in blaue und gelbe Gruppen eingeteilt, und trugen Hüte der entsprechenden Farbe. Dann schaute jeweils ein Kind zu, wie sechs Süßigkeiten zwischen einem Mitglied der eigenen und der anderen Gruppe geteilt wurden. Empfanden die „Schiedsrichter“ die Aufteilung als fair, bekamen beide Empfänger die Naschereien. Wenn sie die Verteilung missbilligten, mussten die Schiedsrichter mit einer eigenen Süßigkeit die Ungerechtigkeit ausgleichen – Bonbons eines unfairen Aufteilers kamen weg.

Bei den Sechsjährigen zeigte sich, dass sie weniger streng gegenüber Mitgliedern der eigenen Gruppe waren, Unfairness bei anderen jedoch streng ahndeten. In einer zweiten Versuchsreihe wurden 32 Achtjährige mit dem identischen Versuch konfrontiert. Jetzt zeigte sich, dass die älteren Kinder weniger bestechlich in ihrem Urteil waren und sich von der Gruppenzugehörigkeit kaum beeinflussen ließen. „Die Sechsjährigen waren noch nachsichtig gegenüber ihresgleichen“, sagt Jordan. „Bei den Achtjährigen war hingegen deutlich zu spüren, dass sie auch dann um Gerechtigkeit bemüht waren, wenn es auf ihre eigenen Kosten ging. Sie hatten das Gefühl, dass Egoismus schlecht ist, egal ob er sich bei Mitgliedern der eigenen Gruppe zeigt oder bei Fremden.“

Bereits im Grundschulalter entwickeln Kinder offenbar so viel Empathie, dass sie andere als unfair behandelte Opfer ansehen können, egal wie fremd sie ihnen sind. Die Forscher fragen sich, ob das gezeigte Verhalten kulturspezifisch für den Westen ist oder es sich um Normen der Fairness handelt, die es überall auf dem Globus gibt. Erneut bestätigt diese Untersuchung, dass sich Mitgefühl und Gerechtigkeitssinn schon bei kleinen Kindern finden und der Mensch nicht „von Natur aus“ egoistisch ist, wie manche Ökonomen und Politiker gerne mittels biologistischer Blaupausen behaupten, um ungezügelten Wettbewerb zu rechtfertigen und Egoismus als Tugend darzustellen.

Das Gegenteil ist der Fall: Der Biologe Frans de Waal hat anhand vieler Beispiele von Mensch und Tier gezeigt, warum sich fast alle Lebewesen „im richtigen Moment solidarisch und kooperativ verhalten“.

Tagesblog - 19. August 2014

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09:32 Uhr:*** EILMELDUNG ***

Die Kollegen von der TZ melden, dass der Knall nur von einem Gewitter kam. Ich hab auch gedacht, das war ein Donnern, mich dann aber gewundert, warum es nur dieser eine sehr laute Knall war... aber gut, Rätsel gelöst!

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(Foto: dpa)

09:15 Uhr:
Ich sah vor einer Weile Elyas M'Barek an der Edeka-Wursttheke. Er kaufte Steaks. Und hinter Howard Carpendale saß ich mal im Flugzeug (ich hab später gegoogelt, wer das gewesen sein könnte. Er rief nämlich immer nur hinter den Stewardessen her, die keinen süßen Snack für ihn hatten: "Wissen Sie nicht, wer ich bin?" Und ich wusste es nicht...).
Mehr Promi-Geschichten kann ich nicht erzählen. Ich geh' dafür aber, glaube ich, auch immer zu unaufmerksam durch die Welt und ich erkenne die meisten einfach nicht. Welche habt ihr zu erzählen? Und wie verhaltet ihr euch in solchen Situationen? Sprecht ihr sie an? Fragt ihr nach einem Autogramm? Oder nach einem Selfie? Verratet es uns im Ticker!

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08:32 Uhr:
Guten Morgen, ihr Schnuffis! Ich hab euch ja schon vermisst! Mein Morgen beginnt mit einem Rätsel. In der U-Bahn und auf Twitter beschäftigt die Münchner nämlich eine Frage: Was hat heute Nacht gegen fünf Uhr so laut geknallt? Ich habs auch gehört. Und ich hör sonst nie was im Schlaf. Kein Gewitter, keine Türklingel, oft nicht mal den Wecker. Seid ihr auch wach geworden, Münchner jetzt-Leser? Und weiß wer, was das war?

Ich packe mein Portemonnaie und nehme mit . . .

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Pass, Badehose und Waschbeutel. Dazu Sandalen, Shorts und ein paar T-Shirts. Schon kann es in die Ferien gehen, oder? Seitdem es den Euro gibt, befassen sich viele Urlauber kaum noch mit der Reisekasse. Geld zu wechseln ist überflüssig, außerdem gibt es die Girocard – früher als EC-Karte bekannt – und die Kreditkarte. Fertig.



Das Sparschwein geplündert für den Urlaub - doch man sollte nicht zuviel Bares mit sich herumtragen

Nicht ganz. Denn je nach Reiseziel wird das Plastikgeld mehr oder weniger gern akzeptiert. Außerdem fallen, abhängig von Bank und Kreditkartengesellschaft, unterschiedlich hohe Gebühren an, wenn im Ausland elektronisch bezahlt oder Bares abgehoben wird. Wer dagegen nur mit Scheinen in der Tasche reist, geht ein hohes Risiko ein. Denn bei Verlust oder Diebstahl gibt es keinen Ersatz. Sowohl Banken als auch Verbraucherschützer raten daher zum Mix aus allen drei Formen, abgestimmt auf den jeweiligen Urlaubsort.

Zu viel Bargeld sollte dabei niemals im Portemonnaie stecken. Die konkrete Summe hängt von der Reisedauer, den eigenen Plänen vor Ort sowie der Akzeptanz von elektronischen Zahlungsmitteln ab. Als Faustregel sollte aber gelten, dass selbst ein Totalverlust am ersten Tag nicht den ganzen Urlaub gefährden sollte.

Wer sich vor Ort immer wieder mit Bargeld eindecken möchte, nutzt vor allem innerhalb Europas die Girocard. Ob und wie viel das Abheben und Bezahlen damit kostet, legt die Hausbank in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis fest, das meist im Internet oder der Filiale eingesehen werden kann. Innerhalb der EU sind Zusatzentgelte für die Auslandsnutzung tabu, außerhalb Europas kann dagegen zur pauschalen Gebühr für die Nutzung eines fremden Geldautomaten noch ein prozentualer Anteil vom umgesetzten Betrag kommen. Vor Reiseantritt lohnt sich daher das Studium des Kleingedruckten, um unangenehme Überraschungen auf dem nächsten Kontoauszug zu vermeiden.

Reisende sollten aber nicht nur auf die Girocard setzen. So weist die Verbraucherzentrale NRW darauf hin, dass Banken immer wieder Karten von Urlaubern wegen auffällig vieler Kontobewegungen im Ausland sperren. Auf der sicheren Seite ist dann, wer auf die Kreditkarte ausweichen kann. Allerdings kostet auch hier das Bezahlen und Abheben im Ausland oft extra.

In jedem Fall sollten sich Reisende, bevor es losgeht, auf Verlust oder Diebstahl ihrer Karten vorbereiten und Kartennummern sowie Sperr-Hotlines notieren und sicher verwahren. Niemals darf aber die PIN-Nummer aufgeschrieben werden. Sonst haben Kriminelle leichtes Spiel – und die Urlauber bleiben schlimmstenfalls auf dem Schaden sitzen. Smartphone-Besitzer können sich beim Packen und unterwegs helfen lassen: Die kostenlose App „Reise + Geld“ des Bankenverbands versammelt unter anderem Tipps für die Reisekasse, einen Wechselkursrechner sowie ein Notfallverzeichnis mit Sperr-Nummern.

Die Hausgeburt

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Der 19. August 1839, ein Montag, war ein sehr heißer Tag in Paris. Dessen ungeachtet, versammelte sich in und vor dem ehrwürdigen Sitz des Institutde France eine große Menschenmenge, um einer Sitzung beizuwohnen, zu der die Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Künste gemeinsam eingeladen hatten. Es galt, der Pariser Öffentlichkeit und der Welt ein Verfahren vorzustellen und an die Hand zu geben, mit dem es gelang, die Bilder in der Camera obscura auf Dauer zu fixieren. Noch im selben Jahr kam dafür ein Begriff auf, der sich aber nur langsam durchsetzte: Fotografie.



Warten auf den perfekten Schnappschuss - wie hier die Fotografen am Flughafen Tegel nach dem WM-Gewinn 2014

Frankreich, das sich seit der Aufklärung als die führende Wissenschaftsnation verstand, hatte sich entschlossen, „diese Erfindung freigebig der ganzen Welt schenken zu wollen“ – so der Politiker und Physiker François Arago, der diese Idee von Anfang an unterstützt hatte. Der an jenem Augusttag vor 175 Jahren gefeierte Erfinder, Louis Daguerre, machte in einer kleinen Schrift die Geheimnisse seines Verfahrens, der Daguerreotypie, publik. Auf den Umschlag dieser Broschüre ließ er keck das Pantheon setzen, den Ehrentempel der Grande Nation. Wie schrieb Karl Marx so schön kurze Zeit später: „In Frankreich genügt es, dass einer etwas sei, damit er alles sein wolle.“

Samuel Morse, der Erfinder eines anderen Übermittlungsmediums, hatte die ersten Aufnahmen Daguerres schon im März studieren dürfen; er sprach von „einer der schönsten Entdeckungen des Zeitalters“. Er konnte kaum ahnen, wie viele Zeitalter diese Entdeckung noch erleben und festhalten würde, wie lebensfähig sich das neue Medium erweisen sollte. Schon im Jahr seiner Erfindung sagte der Schriftsteller und Journalist Jules Janin voraus, es werde ein Medium „in der Hand, in der Reichweite aller“ werden. Bis hierhin hat das Lesen dieses Textes vielleicht zwei, drei Minuten gedauert. Während dieser Zeit wurden nur auf Flickr, dem größten Portal für digitale und digitalisierte Bilder, 100000 Fotografien hochgeladen. Wer wagt es, die Zahl aller zur gleichen Zeit geschossenen Bilder zu schätzen?

Wie viele große Erfindungen kam auch die Fotografie gleich mehrfach zur Welt. Die Pariser Akademie der Wissenschaften hatte sie bereits am 7. Januar 1839 vorgestellt, sie musste aber bis August warten, um das Verfahren freizugeben, weil zuerst die Frage der Entschädigung der Erfinder zu klären war. Laut Parlamentsbeschluss gingen dann als jährliche Pensionen an Daguerre 6000 sowie an Isidore Niépce 4000 Francs. Letzterer war der Sohn und Erbe von Nicéphore Niépce, dessen Experimente schon in den Zehnerjahren angefangen hatten und der sich Daguerre als Kompagnon wählte, um das Verfahren zur Anwendungsreife zu bringen. Vater Niépce aber war 1833 verstorben. Es meldete auch Hippolyte Bayard, ein Beamter des Finanzministeriums, ein Erstlingsrecht an: seine, von Daguerres und Niépces Verfahren stark abweichende Technik war in der Tat schon sehr weit gediehen, aber Bayard weigerte sich, die Geheimnisse seiner Methode offenzulegen. Daher erhielt er von Regierungsseite nur eine kleine Summe zur Anschaffung einer neuen Kamera.

Als Anfang 1839 erste Meldungen über das neue bildgebende Verfahren in die Zeitungen kamen, stellte ein englischer Forscher und Gentleman-Farmer mit Entsetzen fest, dass er schon vor Jahren eine leistungsfähige Methode der „fotogenischen“ Aufzeichnung entwickelt hatte. Henry Fox Talbot verfolgte aber immer so viele Forschungsinteressen gleichzeitig, dass er leicht den Überblick verlor. Noch im Januar 1839 zeigte er in der Royal Society in London Arbeitsproben seines Verfahrens, das sich ebenfalls stark von der Daguerreotypie unterschied: Letztere erzeugte auf versilberten Kupferplatten Unikate, während Talbot und Bayard mit Positiv und Negativ arbeiteten. Talbot nannte seine Papierbilder Kalotypien.

Einen Ursprung mit Betonung auf Sprung gab es in dieser Geschichte nicht, das sei im Hinblick auf das langsame, unsichere, oft alchemistisch genannte Trial- and-Error-Verfahren und die mindestens vier Parallelaktionen betont. Aber es gab eine Urszene oder besser ein Ursetting, ein ebenso formales wie formierendes Setting. Talbot führte vor der Royal Society 1839 aus: „Im Sommer 1835 fertigte ich mit diesem Verfahren eine große Zahl von Abbildungen meines Hauses auf dem Lande an (...) , und ich glaube, dieses Gebäude dürfte das erste sein, das sein eigenes Bild gezeichnet hat.“ Wie das ein Haus praktisch anstellt, sich selbst abzubilden, kann man nicht zeigen. Nur das fertige Bild des Hauses zeugt indirekt von diesem Prozess, aber als Ersatz mag die schöne Kalotypie einer Bildproduktion im Privathaus einstehen (Bild oben): Talbots Verwandte Emma Thomasina Dillwyn Llewelyn schaut nach ihrem Printing Frame und wie weit das Positiv wohl gediehen ist, welches das Licht durch das Negativ hindurch aufzeichnet.

Eine Heimwerkerin der Fotografie, aufgenommen von ihrem Ehemann John Dillwyn Llewelyn im Jahr 1853.
Lacock Abbey, Talbots Landsitz, ein in der Säkularisation umgewidmetes Kloster, wurde von ihm in zahlreichen Aufnahmen ein weiteres Mal „verweltlicht“, als Objekt unter dem Objektiv der Kamera. Der Ort schrieb sich noch ein zweites Mal in die Mediengeschichte ein: Er stellte die Kulisse für die Hogwarts-Zauberschule der Harry-Potter-Filme. Nicéphore Niépce, der Kompagnon von Louis Daguerre, lebte ebenfalls in einem Haus auf dem Land, bei Chalon-sur-Saône in Burgund. Er fing um 1816 an, immer wieder den Blick durch das offene Fenster seines Arbeitszimmers im Obergeschoss aufzunehmen, die Fensterflügel zurückgeschlagen, auf Hof und Nebengebäude gerichtet. Dies war also in Wirklichkeit das erste Haus, das sich selbst abbildete. Es hat sich nur eine Aufnahme aus dieser Serie erhalten, die in der Universität von Texas in Austin verwahrt wird und als älteste Fotografie gelten darf.

Daguerre fotografierte von seinem Privathaus in der Rue de Marais den Boulevard du Temple. Zwei Aufnahmen, eine um acht Uhr morgens, eine auf die Mittagsstunde datiert, setzte er als Flügel des „Münchner Triptychons“ ein, das er 1839 dem bayerischen König zum Geschenk machte. In die Mitte aber kam eine Silberplatte mit einem Stillleben, aufgenommen im Inneren, in seinem Atelier. Ein Bild im Haus, zwei Bilder vom Haus aus, eine simple Struktur: das Äußere ist außen, das Innere ist innen. (Das Stillleben ist verloren, die Stadtlandschaften sind in älteren Reproduktionen überliefert.) Bayard schließlich machte es wie mancher Beamter: Neben seiner offiziellen Tätigkeit tat er noch etwas anderes. Bayard stellte die Kamera ins Fenster seines Büros, öffnete den Verschluss und ließ sie ruhig vor sich hin arbeiten, parallel zur Schreibtischarbeit im Finanzministerium. Später fotografierte er vom Dach des Ministeriums aus: Stadtlandschaften, die im Wesentlichen aus Dächern und Kaminen bestehen. Die Kamine geben einem einen Foucaultschen Gedanken an „surveillance“, an Überwachung ein, denn der Herd diente dem Finanzkataster als primäre Erhebungsgröße.

Vier Bürger haben die Fotografie erfunden, und sie haben auf ihre Weise die Klassenziele erreicht, die der Bourgeoisie als erstrebenswert erschienen. Niépce war wie Talbot ein Particulier, ein Privatmann, der in seinem Privathaus lebte und arbeitete. Dieses französische Wort particulier fügt sich hier so passend ein, weil es über „eigen“ hinaus „Teilchen, Partikel“, aber auch „genau, umständlich“ bedeuten kann: lauter Eigenschaften, für welche die Fotografie bald berühmt wurde.

Daguerre hatte vor der Fotografie das Diorama erfunden, eine Schaubühne, in der riesige halbtransparente Leinwände in langsamem Wechsel von vorne und hinten beleuchtet wurden und so ihren Prospekten eine Tages- und eine Nachtansicht abgewannen. Daguerre war also ein Entrepreneur, Unternehmer in der Bilder- und Unterhaltungsindustrie. Die staatliche Pension machte ihm zum Privatier mit Anwesen und Park in der Nähe von Paris. Und schließlich der Bürger und Beamte Bayard: Obwohl er nie verriet, worin sein Verfahren bestand, hinderte ihn das nicht, als Sekretär der französischen Gesellschaft für Fotografie die Sache des von ihm miterfundenen Mediums organisatorisch und praktisch zu fördern. Als Vereinsmeier übernahm er eine weitere Rolle, die zum Repertoire einer bürgerlichen Existenz gehört.

Kurz nach der Erstveröffentlichung 1839 rüstete der Optiker und Bildband-Verleger Noël-Paymal Lerebours ein Team von Abenteurern aus, die die Welt auf Daguerreotypien nach Paris zurückbringen sollten. Die Fotografie verließ das Haus ihrer Hausgeburt, um auszuschwärmen und „alles unter der Sonne“ abzulichten. Und doch nahm die Fotografie aus ihrem Ursprungsort einen Auftrag mit: Zur Fotografie gehören Eigentum und Standortgebundenheit, sie ist ein Medium, das Besitz und Relationen anzeigt.
Seit dem 18.Jahrhundert sind die Besitzverhältnisse, die Erträge aus Grund und Boden, die Arten ländlicher und städtischer Bodennutzung Angriffspunkte der großen sozialen und ökonomischen Umwälzungen. Im Roman, der anderen epochalen bürgerlichen Kunstform, traktieren die Autoren genau diese Fragen und schreiben die Geschichten von Haus und Hof in immobilen Zeiten neu.

Und in der Fotografie schuf sich der proprietäre und als solcher zutiefst verunsicherte Blick des bürgerlichen Besitzindividualismus ein neues, ein zusätzliches Übungsfeld. Vielleicht könnte man mit Aristoteles von einem Beitrag zur „Oikonomia“, zur ästhetischen und gesellschaftlichen „Hauswirtschaft“, sprechen. Louis Daguerre fotografiert sowohl persönliches Gebrauchseigentum und Betriebsmittel – die Objekte, die das Stillleben des Münchner Triptychons ausmachen – als auch den Sozialraum des Grundbesitzes, des eigenen und des der anderen.

Jede Aufnahme ist standortbezogen, sie unterscheidet Hier und Dort. Und so stellt uns Fotografie unablässig die Aufgabe, Mein und Dein und Haben und Nichthaben zu unterscheiden, also Niklas Luhmanns binären Code des Eigentums zu bedienen. Und sie übt uns ein in die automatische Wahrnehmung von eigenem und fremdem Raum, von privater und öffentlicher Sphäre. So trägt Fotografie die enormen Kommunikationskosten mit, die entstehen, wenn so viele verschiedene Objekte in der Umwelt bestimmten Ansprüchen unterliegen und deswegen geschützt oder frei sind. Sie übt also und stützt, was die Rechtstheorie „everyday morality“ nennt, Alltagsmoral. So wird unser Sinn für das Zugehörige und damit das Gehörige trainiert.

Das Gelobte Land im Krieg

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Die Debatten der Welt über Israel und seine Politik wurden im Land selbst, in Israel, immer ausführlicher und penibler ausgetragen als andernorts. Außenstehende vermuten dahinter die je private und am Ende von allen geteilte Devise: Wir lassen uns doch nicht von anderen erzählen, was uns stört. So hat es etwa angesehene orthodoxe Rabbiner gegeben, die antizionistisch gegen die Staatsgründung wetterten; so gibt es weltliche Juden, die sich auf das Land Zion aus der Bibel berufen. Und es gibt Ari Shavit: Der Kolumnist der Tageszeitung Haaretz gehört zu den „liberalen Zionisten“. Er ist einer, der zu seinem Staat steht, gleichzeitig aber weiß, wie viel Elend die Gründung Israels über die Palästinenser gebracht hat.



Palästinenser fliehen vor einem israelischen Soldaten während einer Militäroffensive in Rafah 2004.

Anhand seiner eigenen Familiengeschichte, auf der Grundlage von Gesprächen mit betagten zionistischen Kämpfern und vielen anderen hat Ari Shavit die Vertreibung der Palästinenser Ende der 40er Jahre herzzereißend geschildert. „My Promised Land“ (Mein Gelobtes Land) erschien in den USA. Die deutsche Übersetzung steht noch aus. In der New York Times wurde das Buch allen empfohlen, die verstehen wollen, warum Israel und die Palästinenser miteinander verfeindet sind. Shavit beschreibt die Wurzeln des Konflikts und wie viele gute Absichten zuschanden kamen.

In den Fünfzigerjahren nahm Israel in Shavits Augen eine schlechte Wendung: Im Namen der Industrialisierung und der Landnahme habe die große alte jüdische Kultur sich selbst hintergangen: Die israelische Gesellschaft sei der „Verdrängung“ anheimgefallen: Alles Vergangene, die Geschichte der Palästinenser und die der Juden, sei verdrängt worden. „Die Tradition, Nuancen und die Ironie“ der jüdischen Kultur seien zerstört worden – fast so wie die israelischen „Bulldozer die Dörfer der Palästinenser zerstörten“.

Shavits „My Promised Land“ erschien 2013. Damals herrschte schon seit einem guten Jahr Waffenstillstand zwischen der Hamas und der israelischen Regierung. Warum die Hamas ausgerechnet am 8. Juli 2014 begann, Raketen en masse auf Israel abzufeuern, ist umstritten. Die verschiedenen Standpunkte sollten erklärt werden, um Shavits Darstellung abzurunden.

Shai Nachman, 67, ist ein führender Kopf der „Arbeiterpartei“ (Awoda), einer Art Pendant zur SPD. Die Parteigänger von Awoda sind eher Tauben als Falken, sie suchen den Ausgleich. Seit einiger Zeit aber ist Shai Nachman in Rage. Auf einmal sind in seinen Augen nicht mehr alle Menschen gleich. Da gebe es fundamentale Mentalitätsunterschiede: „Die Hamas ist anders als wir: Wir glauben an das Leben. Die glauben an den Tod.“ Das sagt Nachman anlässlich eines Besuchs in der Knesset am 28 . Juli, zu dem etliche Journalisten aus allerlei Ländern eingeladen sind. Nachman sagt auch: Die Hamas habe „1,8 Millionen Unterstützer“: Er meint damit die gesamte Bevölkerung von Gaza.

Andere israelische Fachleute aus Politik und Militär sagen, die Hamas habe mit dem Raketenhagel begonnen, weil sie seit dem Antritt der Militärregierung Sisis in Ägypten und der Schließung des ägyptischen Grenzübergangs nach Gaza so geschwächt sei, dass sie ihre Position mit Terror gegen Israel zu halten versuche. Keinesfalls wolle Israel die Hamas völlig besiegen. Das Argument dafür ist durchaus zynisch, und wer es anführt, weiß das auch: Die Hamas werde man noch brauchen, nämlich für die Bekämpfung der ultraislamistischen IS-Milizen, die kürzlich im Irak Zigtausende Jesiden vertrieben.
Was die Gefahr angeht, die die IS-Gruppe für Gaza darstellt, stimmt Abdallah Frangi im Gespräch mit der SZ den Israelis zu. Ein paar Tage vor Beginn des Krieges war der von Vorahnungen geplagte frühere Generaldelegierte der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland nach Ramallah gereist, wo er am 7. Juli als „Gouverneur“ von Gaza vereidigt wurde.

Am 8. Juli kam er in Gaza-Stadt an. Die mit der Fatah verfeindete Hamas, sagt der Fatah-Diplomat, der früher für Arafat arbeitete und jetzt für Mahmud Abbas, sei „nicht begeistert“ gewesen, als er zum Gouverneur bestellt wurde, habe das aber hingenommen. Man müsse zusammenarbeiten: „Es geht um die Menschen.“ Frangi bemüht sich, Matratzen für die Hunderttausenden Obdachlosen aufzutreiben. Er bemüht sich, den Menschen das Gefühl zu geben, dass in Gaza Staatlichkeit bewahrt werde.

Anders als viele Israelis betrachtet Frangi die Hamas nicht als eine Bande von Todessüchtigen. Wer meint, Araber seien „andere“ Menschen, wird bei der Lektüre von Shavits Buch eines Besseren belehrt: Der Hass der Palästinenser auf die Leute, die ihnen ihr Land wegnahmen, hat mit Mentalitätsunterschieden nichts zu tun; er entstammt leidvoller Erfahrung.

Frangi zufolge begann der jetzige Krieg so: Eine Gruppe, die von der Hamas nicht kontrolliert werde, hat drei israelische Kinder getötet. Daraufhin habe Israel in den palästinensischen Gebieten der Westbank äußerst demütigende Hausdurchsuchungen vorgenommen, bei denen zwölf Menschen zu Tode gekommen seien. Außerdem wurden etwa vierhundert Männer, die gegen eine israelische Geisel ausgetauscht worden waren, wieder gefangen genommen. Schließlich wurden einige Männer der Hamas in einem der Tunnel, die die Hamas von Gaza nach Israel gebaut hat, gestellt und getötet. „Und dann“, sagt Frangi über die Hamas, „sind sie zu den Raketen gerannt.“ Dagegen habe Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, nichts ausrichten können. Feuer ist stärker als das sanfte Wasser der Diplomatie, das immer seinen Weg findet, oftmals aber auch einfach versickert.

Wenn die israelische Regierung sich beklage, sie habe auf palästinensischer Seite keinen Gesprächspartner, sagt Frangi, so liege das daran, dass sie mögliche Gesprächspartner kaltstelle. „Das haben sie auch mit Arafat gemacht. Es ist zermürbend.“ – Ari Shavit sieht das anders: Dass der PLO-Chef Arafat 1993 im Vertrag von Oslo den Staat Israel anerkannte, sei überfällig gewesen; dass Israel im Gegenzug den Palästinensern das Recht auf einen Staat einräumen musste, betrachtet Shavit als ein erzwungenes Zugeständnis. Dessen ungeachtet plädiert er dafür, Israel müsse die Gebiete der Westbank, die es seit dem Krieg 1967 besetzt hält (einige wenige Siedlungen ausgenommen) verlassen.

Shavit, der liberale Zionist, ist diesbezüglich mit Abdallah Frangi, dem liberalen Palästinenser, ziemlich einig. Am Telefon sagt Frangi: „In Israel meint man, die Palästinenser sollen sich mit der Siedlungspolitik abfinden. Das wird nicht laufen.“ Wie recht Frangi mit seiner Prognose hat, zeigt Ari Shavits Buch.
In den Vierzigerjahren sei es nötig gewesen, die Palästinenser zu vertreiben. Da gab es zum Beispiel die florierende Stadt Lydda. Es gibt sie immer noch, sie liegt in der Nähe des Flughafens von Tel Aviv, heute heißt sie Lod. Die jüdischen Siedler der Vierzigerjahre hätten gewusst, schreibt Shavit, dass sie den Einwohnern ihr Land wegnahmen, sie rechneten mit Terror. Terror ausgerechnet am „internationalen Flughafen“ sei aber nicht hinnehmbar gewesen. Nachdem im Juli 1948 einige Dutzend Männer in eine Moschee Lyddas geflüchtet und dort erschossen worden waren, nachdem viele Menschen in ihren Häusern getötet worden waren, flehten die Einwohner, die Stadt verlassen zu dürfen.

Am Beispiel Lyddas beschreibt Shavit die Entwürdigung aller vertriebenen Palästinenser: Ein langer Zug setzte sich in Marsch, die Städter besaßen keine Lasttiere, sie gingen zu Fuß. Sie hatten ihre Wertsachen sowie Mehlsäcke oder andere Nahrungsmitteln mitgenommen. Nur an Wasser hatten sie, die Städter, nicht gedacht. In der Hitze des Juli liefen sie gen Gaza. Zuerst warfen sie weg, was ihnen teuer war. Dann das Essen. Dann setzten einige verzweifelte Mütter ihre schreienden Säuglinge aus. Alte Frauen, die nicht mehr laufen konnten, wurden am Rand des Wegs zum Sterben verabschiedet.

Das hat Shavit recherchiert und aufgeschrieben. Sein Fazit: „Lydda ist Teil unserer Geschichte.“ Die Wahl sei: „den Zionismus ablehnen wegen Lydda, oder im Namen des Zionismus Lydda hinnehmen“.
Gegner des liberalen Zionismus, den Shavit vertritt, sagen das Gleiche, was Friedrich II. sagte, nachdem die österreichische Kaiserin Maria Theresia mit schlechtem Gewissen Teile Polens annektiert hatte: „Sie weinte, aber sie nahm.“

Ari Shavit: My Promised Land. The Triumph and Tragedy of Israel. Random House, New York 2013. 445 Seiten, 15,30 Euro. Das Buch ist auch als E-Book erhältlich.

Wir bleiben in Kontakt

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Im neu ausgerufenen und selbst ernannten Kalifat Islamischer Staat schalten Hardcore-Islamisten Handy- und die Datennetze ab: was darüber zu empfangen ist, kann schnell haram sein, Sünde. In den Gebieten der Ukraine, in denen gekämpft wird, fallen die Netze andauernd aus, in vielen Teilen Afrikas werden sie, kaum in Betrieb genommen, wieder abgeschaltet. Der Krieg kommt, das Netz geht. Attacken mit physischer Gewalt sind fest mit Angriffen auf das Recht auf Kommunikation verbunden. Weil sich die Art, wie Menschen miteinander reden, stark verändert hat, verändern sich auch die Attacken. Um heute jemandem das Wort zu verbieten, kann es ausreichen, sein Handy vom Netz zu trennen.



Handys sind eine wertvolle Waffe in Krisengebieten geworden.

Doch im Irak zeigte sich in den vergangenen Wochen, dass es neuere Technik immer schwerer macht, die Netze zwischen den Menschen wirklich abzuschalten. Eine neue App des amerikanischen Startups Open Garden, FireChat, wurde dort auffällig oft heruntergeladen. Mit FireChat können die Nutzer chatten. Chatten? Das kann jedes halbwegs moderne Handy ohnehin, per SMS oder E-Mail, per Whatsapp oder, wer es gerne verschlüsselt mag, per Threema. Doch der Clou an FireChat ist, dass die Nutzer sich nicht registrieren müssen und, vor allem, dass die App ohne Handy-Netz funktioniert. Die Handys der Nutzer verbinden sich direkt miteinander, unabhängig davon, ob sie gerade von einem Mobilfunknetz erreicht werden oder nicht.

Möglich machen das relativ neue Funktionen in Handys, die eine unmittelbare Verbindung über Bluetooth oder Wifi aufbauen. Ersteres wird ansonsten verwendet, um zum Beispiel ein drahtloses Headset an ein Handy anzuschließen, letzteres empfängt und sendet in aller Regel Daten an einen Wifi-Router, ist also das Bauteil, das das Handy ans Internet anschließt. Doch beide Möglichkeiten lassen eben auch direkten Datenaustausch an andere Geräte zu und je mehr Geräte sich daran beteiligen, umso größer ist das Netz, dass dabei entsteht.

Solch ein Netz nennt man Mesh-Netzwerk („vermaschtes Netz“). Sein größter Vorteil ist, dass es von weiterer Infrastruktur vollkommen unabhängig ist. Die Regierung schaltet Satelliten ab oder kappt Kabel tief in der Erde? Provider filtern Nachrichten aus der Datenflut? Terroristen schalten Server ab, die das Internet am Laufen halten? Diese Art des Mesh-Netzwerks bleibt von allen Attacken unberührt. Und fällt ein Handy als Netzwerkknoten aus, zum Beispiel, weil sich der Besitzer weiter von den anderen Geräte entfernt hat, als sein Gerät funken kann, dann springt automatisch ein anderes Gerät ein. Theoretisch reicht es auch aus, dass nur ein Teilnehmer eines Mesh-Netzwerkes Zugriff auf das große Internet hat, damit alle anderen „Maschen“ ebenfalls im Web surfen können.

Doch in der Praxis dürfte ein einzelner Zugang, den sich mehrere Menschen teilen, zu langsam sein. Überhaupt sind Mesh-Netzwerke bislang noch nicht so verbreitet und stabil wie die große und dauernd gepflegte Infrastruktur des weltumspannenden Internets, doch ihre vielen Vorteile haben der App FireChat in mehreren Ländern zu großer Beliebtheit verholfen, in manchen App-Märkten ist sie bereits dabei, den Marktführer Whatsapp abzulösen.

In Deutschland und im übrigen Westen mag die App ohne Registrierung und Internetzwang ein ideales Spielzeug sein, um Menschen, die in der Nähe ein Mesh-Netzwerk bilden wollen, kennenzulernen. In Kriegsgebieten aber kann ein Mesh-Netzwerk längst Leben retten.

Den Menschen die Verbindung zu kappen, untereinander, aber auch zum Rest der Welt, kommt dem Einsatz einer mächtigen Waffe gleich. Wo nicht kommuniziert werden kann, verbreitet sich kein Wissen mehr, an seine Stelle tritt Unkenntnis, aus der Unsicherheit und Angst folgt. Menschen, denen die technischen Möglichkeiten zur Kommunikation über den unmittelbaren Nahbereich hinaus genommen wurden, können sich kaum noch organisieren. Sie sind, im Wortsinne, abgekapselt, sie haben kein Netz mehr, keines für ihre Handys und Computer und kein soziales mehr, das sie selbst auffangen könnte.

Dass die digitale Technik für ganz normale Verbraucher in solchen Krisen seit kurzem ganz neue Möglichkeiten bietet, zeigen auch die Forschungsprojekte moderner Armeen. Auch ihnen geht es darum, in Situationen gesprächsbereit zu bleiben, in denen Kommunikation notwendig, bislang aber schwierig ist.

Einem Bericht des Magazins Gizmodo zufolge wird im Pentagon daran gearbeitet, ganz normale Samsung-Handys für den Militäreinsatz aufzurüsten, unterstützt durch portable Netze, die sich schnell aufbauen lassen, wenn der Empfang zum Rest der Welt abbricht. Dabei ist die Hardware des Handys, das Gerät an sich, kaum zu verbessern. Was dem Nerd bei Bestbuy reicht, das reicht auch einem Marine im Einsatz. Es kommt dann nur auf die Software an, auf die inneren Werte der Geräte. Und die haben es künftig in sich. Das Handy wird für Soldaten wichtig. Die amerikanischen Streitkräfte arbeiten an einer eigenen App-Plattform, mit deren Hilfe verschiedene kleine Programme des Militärs auf normalen Handys installiert werden können. Eines, um im Einsatz nochmal eben die Pläne einer Mission nachzuschlagen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Eines, um die Route von Drohnen und ihren aktuellen Einsatzort herausfinden zu können. Eine, um befreundete Soldaten wissen zu lassen, welche Gegend gesichert ist und welche Gebiete noch potenziell gefährlich sind. Es gibt Programme, die Scharfschützen dabei helfen, Flugbahnen ihrer Projektile zu berechnen und solche, die Strahlendosierungen messen und ihre Gefährlichkeit bewerten. Andere Apps helfen Sanitätern und Soldaten dabei, Verletzungen zu beurteilen und versorgen, und natürlich gibt es auch eine Art von Facebook für den Fronteinsatz, eine jederzeit erweiterbare Übersicht an am Kampfeinsatz Beteiligten: Kameraden, Gegner, Zivilisten, die jeden Tag auf Patrouille begegnen. Für einige dieser Aufgaben sind derzeit noch schwere Feld-Funkgeräte notwendig. Die allermeisten gibt es gar nicht.

Alle diese Apps, die weit entwickelt, im Feld aber noch nicht im Einsatz sind, sind – wie die Digitalisierung insgesamt – blind gegenüber ihrer Verwendung. Eine Kamera kann Wunden aufnehmen, um Verletzten zu helfen, oder sie kann zu Propagandazwecken filmen. Unbestritten ist, dass zum ersten Mal auch an jenen Orten umfangreich und massenhaft kommuniziert wird, an denen bislang vor allem still gelitten wurde. Zumindest für die Nutzer der Mesh-Netzwerke im Irak und rund um die Welt, ist das eine gute Nachricht.

Uferlos

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Als Andreas Fath acht Jahre alt war, hat er mit dem Leistungsschwimmen begonnen und ist seitdem fast jeden Tag seines Lebens ins Wasser gestiegen. Er ist Deutscher Meister im Freiwasserschwimmen geworden und hält Rekorde für die Durchquerung des Bodensees. Er bezeichnet sich selbst als hydrophil und hat seine Frau beim Schwimmen kennengelernt. Er muss es als große Ungerechtkeit empfinden, dass er in einer Phase der Evolution auf die Welt gekommen ist, in der man sich nicht mehr dauerhaft im Wasser aufhält. Beruflich ist Andreas Fath selbstverständlich Abwasserforscher.



Der Chemiker Andreas Fath hat bereits 1231 Kilometer Fluss durchschwommen.

Früher sind die Menschen zum Demonstrieren nur auf die Straße gegangen, aber die Straßen sind meistens ziemlich voll, wegen all der kleinen und großen Dinge im Leben, für oder gegen die demonstriert werden muss. Also wird nun auch im Wasser weitergemacht. Gleich zwei Männer durchschwimmen dieser Tage den Rhein von seiner Quelle bis zur Mündung und haben ein paar Botschaften für die Landratten am Ufer dabei. Andreas Fath, der Professor und Abwasserforscher, sammelt Geld für ein neues Analysegerät, mit dem er das Wasser noch sauberer machen will. Ein paar Sponsoren haben schon angebissen. Die Mission von Ernst Bromeis ist nicht so klar umrissen. Er ist zwar drei Wochen vor Fath gestartet, aber sein Anliegen ist etwas untergegangen in diesen unruhigen Zeiten. „Wasserbotschafter“ und „Grenzschwimmer“, nennt sich Bromeis – vor zwei Jahren war der Schweizer selbst an seine Grenzen gestoßen und musste die Durchschwimmung des Rheins abbrechen, vor lauter Erschöpfung bei Kilometer 400. Jetzt ist er erneut unterwegs und nähert sich dem Ziel nach 1231 Kilometern Fluss. Er schwimmt für den „nachhaltigen Umgang mit dem Lebenselement Wasser und das Menschenrecht auf freien Zugang zu sauberem Wasser“.

Der Rhein war lange nicht sehr sauber, am Montag schwamm Andreas Fath an den Chemiewerken in Leverkusen vorbei, die früher ihre Abwässer ungefiltert in den Fluss gekippt haben. Mittlerweile ist der Rhein so sauber, dass es wieder Lachse gibt und man drin schwimmen kann.

Er könnte aber noch sauberer sein, glaubt Fath. An der Fachhochschule Furtwangen beschäftigt sich der Professor der Chemie damit, was heutzutage nicht von den Kläranlagen aus dem Wasser geholt werden kann: Medikamentenrückstände von Antibiotika und Antidepressiva. Drogen wie Crystal Meth und Süßstoffe aus Softdrinks. Nimmt man das alles mal zusammen, müssten im Rhein lauter schlanke, gesunde und recht glückliche Fische schwimmen. Vielleicht ist der Cocktail aber doch auch etwas viel: Immerhin liefert der Rhein das Trinkwasser für 22 Millionen Menschen. Fath sagt, er arbeite an Methoden, mit denen man die Rückstände elektrisch zersetzen kann. Für die Forschung brauche er noch ein Analysegerät, das ihm die Fachhochschule nicht bezahlen kann. Fath brauchte aber wohl auch einfach einen guten Grund, um die vorlesungsfreie Zeit im Wasser zu verbringen, anstatt mit der Familie diskutieren zu müssen, wer auf dem Campingplatz nun den Abwasch macht. Er liebe seine Frau und die drei Söhne, sagt Fath. Aber die acht bis zehn Stunden, die er täglich im Wasser verbringe, seien schon sehr schön: „Für mich ist es mentale Erholung.“ An guten Tagen kann er sich einfach treiben lassen und schafft bis zu 15 Kilometer in der Stunde. Am Anfang, am Oberrhein, war es schwieriger, der Fluss enger und gefährlicher. Da sei es eher eine Art „Bodyrafting“ gewesen, sagt Fath. Ein Kajak und ein Beiboot begleiten ihn auf einer der am dichtesten befahrenen Wasserstraßen der Welt. Fath schwimmt am Rand, was nicht ungefährlich sein kann, allein im Großraum Köln ertrinken jedes Jahr mehrere Menschen im Rhein, weil sie die Strömungen unterschätzen. Fath hat sich einen Anzug aus Neopren bauen lassen, mit kleinen Kämmerchen, die Auftrieb geben. Mit kleinen Gefäßen nimmt er jeden Tag Wasserproben, die zeigen sollen, wo der Fluss recht sauber ist und wo nicht. Zum Dank wird er dann an den Touretappen von den örtlichen Bürgermeistern mit freundlichen Worten begrüßt. Manchmal gibt es noch einen Bildband dazu. So viel sieht man ja nicht durch die Schwimmbrille.

Ernst Bromeis fehlen nur noch ein paar Kilometer bis zur Mündung in die Nordsee, er ist seit mehr als vierzig Tagen unterwegs, Fath wird noch bis zum 24. August brauchen. Hin und wieder war zu hören, beide würden eine Art Wettrennen veranstalten – in Sachen Rekord, wer als erster den Rhein durchschwamm.

Den Rekord gibt es aber schon: 1969 schwamm Klaus Pechstein durch die damals dreckige Brühe. Er war eines der wenigen lebenden Wesen im Fluss. Pechstein hatte keine Botschaft dabei, er kämpfte nicht für sauberes Wasser oder so. Manchmal stieg er am falschen Ort aus dem Wasser, manchmal rauchte er noch eine im Rhein und trank ein Bier. Er war ein bisschen lässiger als seine Nachfolger. Und schneller war er auch.

Nationalgarde soll Ferguson befrieden

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Nach einer weiteren unruhigen Nacht in der US-Stadt Ferguson hat der Gouverneur des Staats Missouri, Jay Nixon, die Nationalgarde mobilisiert, um die Ordnung wiederherzustellen. Sie ist am Montag eingetroffen. Nixon erklärte dies für nötig, weil die Ausschreitungen in Ferguson immer weiter zunähmen und immer besser organisiert seien. Die Gewalt gehe von Kriminellen aus, die weder aus der Gemeinde noch aus dem Staat stammten, und die nur anreisten, um zu randalieren und zu plündern. Damit traf Nixon eine Unterscheidung zwischen Vandalen und den Bürgern Fergusons, die auch am Sonntag wieder demonstriert hatten gegen Polizeigewalt und den Tod des 18-jährigen, angehenden Studenten Michael Brown. Er war am vorvergangenen Samstag von einem weißen Polizisten erschossen worden.



Die Demonstranten kritisieren den Tränengas-Einsatz der Polizei.

Die New York Times berichtete am Montag von den Ergebnissen einer ersten Autopsie. Demnach wurde Brown, der zum Zeitpunkt der Tat selbst unbewaffnet war, von insgesamt sechs Kugeln getroffen, vier davon am rechten Arm und zwei davon am Kopf. An der Leiche fand der Experte zunächst keine Spuren von Schießpulver, was darauf hindeutet, dass der Polizist aus größerer Entfernung geschossen hat. Allerdings könnten sich solche Spuren auf der Kleidung Browns befinden, die nicht Gegenstand der Untersuchung war.
Die Obduktion stammt von einem New Yorker Rechtsmediziner, den die Eltern des Opfers beauftragt hatten. Die örtlichen Behörden in Missouri haben die Leiche selbst untersucht. Außerdem hat Bundesjustizminister Eric Holder eine weitere Untersuchung angeordnet. Die Bundesbehörden haben eigene Ermittlungen aufgenommen, weil die Bürger Fergusons der eigenen Polizei nicht trauen und ihr unterstellen, etwas zu vertuschen.

Die Umstände der Tat sind bisher umstritten. Nach Angaben eines mit dem Opfer befreundeten Zeugen schoss der Polizist auf Brown, obwohl der die Hände gehoben hatte. Die Polizei beteuert, Brown habe den Polizisten geschlagen und versucht, ihm die Dienstwaffe zu entwenden. Die Untersuchungen dürften die Frage beantworten, ob der Polizist aus der Nähe oder aus der Ferne geschossen hat. Viele Bürger Fergusons jedenfalls verlangen, dass der Polizist wegen Mordes angeklagt und verhaftet wird. Die mehrheitlich schwarzen Bürger Fergusons sind nicht nur empört über den Tod Browns, sondern auch über systematische Schikanen der örtlichen, überwiegend weißen Polizei.

In der Nacht zum Montag ist es zu den bislang schwersten Auseinandersetzungen gekommen. Demonstranten warfen der Polizei via Twitter vor, sie habe die Menschenmenge provoziert und lange vor Beginn der Ausgangssperre um Mitternacht Tränengas gegen die Bürger eingesetzt. Dem widersprach der Polizeichef Ronald Johnson: Demonstranten und Randalierer hätten auf die Polizei geschossen, Molotow-Cocktails geworfen und Läden geplündert, sagte er, daraufhin habe die Polizei einschreiten müssen, um Leben und Eigentum zu schützen. Johnson gehört zur staatlichen Autobahnpolizei und ist seit vergangener Woche für die Sicherheit in Ferguson verantwortlich. Johnson und seine Leute haben auf Anordnung des Gouverneurs die örtliche Polizei abgelöst, nachdem diese die Demonstranten mit ihrem martialischen Auftreten provoziert hatte. Mit der Nationalgarde setzt Gouverneur Nixon nun ein weiteren Ansatz, um Ferguson zu befrieden.

Mit dem Zug durch Europa - was muss ich beachten?

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In meinem Kopf setze ich seit meiner Pubertät Interrail mit dem Gefühl absoluter Freiheit gleich. Das liegt maßgeblich an meiner Mutter, die wahnsinnig stolz darauf ist, zum ersten Interrail-Jahrgang von 1972 zu gehören. Ich habe mich verliebt in ihre Geschichten von Wegwerfunterhosen, blonden Spaniern mit blauen Augen, Fidel-Castro-Gesängen in Kneipen und Nächten am Strand. Mir war immer klar: Irgendwann will ich meine eigene Interrail-Geschichte schreiben.

Jetzt, nach Abschluss meines Studiums, war der Zeitpunkt dafür perfekt. Ich besorgte mir den Interrail-Global-Pass. Für Personen bis 25 Jahre kostet der 442 Euro. Wer älter ist, zahlt 668 Euro. Damit konnte ich einen Monat lang kreuz und quer durch 30 Länder Europas Zug fahren, so oft und so lange ich wollte. Mein Freund begleitete mich auf der Reise, wir hatten nichts geplant außer, dass wir Portugal bereisen möchten. Alles, was zwischen dort und München liegt, wollten wir spontan entdecken.

Doch schnell merkten wir, dass es ganz ungeplant doch nicht reibungsfrei geht. „Das liegt schlichtweg an der Hauptreisezeit“, sagt eine Sprecherin der Deutschen Bahn, „denn Interrailer mit dem Global-Pass reisen vorwiegend in den Sommermonaten Juni bis September, hinzu kommen Zugreisende mit anderen Tickets, da sollte man sich schon um Reservierungen kümmern“. Zugreservierungen im Süden Europas seien nicht als die Reservierungen zu verstehen, die wir in unseren deutschen Zügen haben, erklärt sie. Bei uns gönnt man sich eine Reservierung als Luxus, damit man beim Einsteigen nicht drängeln und auch nicht um einen Platz kämpfen muss. Die Portugiesen, Spanier und Franzosen behandeln ihre Züge hingegen wie Flugzeuge: Eine Reservierung ist Pflicht, wenn alle Sitzplätze reserviert wurden, - quasi boarding completed - dann lassen sie auch niemanden mehr rein. Stehplätze sind nicht zugelassen. Das gilt für fast alle Züge, ausgenommen ist nur die Regionalbahn.

Zu Beginn unserer Reise war uns das in dieser Härte nicht klar. Dieses Kapitel fehlte mir schlichtweg bei den Reiseschilderungen meiner Mama. „Gut möglich, dass es 1972 noch nicht so eng war. Während zu Zeiten ihrer Mutter 85.000 junge Leute auf Europa-Rundreise mit dem Interrail-Ticket gingen, sind es heute etwa 225.000“, erklärt die Sprecherin der Bahn. Es kam, wie es kommen musste: Der Schaffner kontrollierte unsere Tickets, die Reservierung fehlte, wir flogen aus dem Zug. Nach diesem Schock reservierten wir immer brav vorab, doch oft waren unsere Wunschzüge schon längst ausgebucht. Meistens wichen wir dann auf die nicht-reservierungspflichtige Regionalbahn aus - ein zeitintensives Vergnügen, das sich so anfühlte, als raube uns die Bimmelbahn bei jedem Halt unsere kostbare Reisezeit. Ein paar Mal gaben wir deshalb unsere Spontanität auf und buchten die Reservierung bis zu einer Woche im Voraus, so auch unsere zwei Schlafwagenplätze im Nachtzug von Lissabon nach Madrid.

Dass auf meinem Ticket ein „S“ und auf dem meines Freundes ein „H“ stand, irritierte uns nicht weiter, immerhin saßen wir in anderen Zügen öfter auf den Plätzen A und B oder B und D. Während wir gemeinsam nach unserer „S“ und „H“ Kabine suchten, stürmte ein Schaffner wild gestikulierend auf uns zu. Er rief spanische Wörter, packte meinen Freund und schleifte ihn in ein anderes Abteil. Mir gab er deutlich zu verstehen, dass ich bleiben soll, wo ich bin. Er sah mich finster an und knallte mir ein überdeutlich artikuliertes „Señora“ ins Gesicht. Da fiel der Groschen: Wenn ich eine „Señora“ bin, dann ist mein Freund ein „Hombre“, und die Spanier trennen ihre Passagiere in Nachtzügen nach Geschlechtern.

Meine Erfahrung zeigt, dass sich die Interrail-Idee von „Wenn ich hier keine Bleibe finde oder wenn es mir hier nicht gefällt, dann fahre ich eben mit dem nächsten Zug weiter“ während der Hauptsaison in Ländern wie Spanien, Frankreich oder Italien nicht immer umsetzen lässt. „Diese drei Länder werden von Interrailern aber auch am häufigsten bereist, weil man zwischen ihnen schnell hin- und herreisen kann“, sagt die Bahn-Sprecherin. Weit weniger kompliziert sei es, durch Ländern wie Slowenien oder Großbritannien zu fahren.

So anstrengend das Getuckere im jeweiligen Moment auch war, im Grunde waren es genau diese völlig ungeplanten Augenblicke, die uns wirklich Spontanität abverlangten. Durch sie sahen wir Städte, die wir nie auf dem Schirm gehabt hätten: Wir tranken in Tunes Kaffee mit einem alten Portugiesen, erkundeten ganz unverhofft das sehr hübsche Städtchen Montpellier, stapften widerwillig durch Ventimiglia und entdeckten dabei das beste Focaccia-Brot unserer Reise. 

Katharina Häringer, 26, hat am Ende 14 Stunden gebraucht, um mit diversen Regionalbahnen von Genua nach München zu kommen. Im Moment hat sie erstmal genug vom Zugfahren, generell könnte sie sich aber vorstellen, wieder mit Interrail zu reisen, nur nicht mehr in der Hauptsaison.

5 Tipps für erfolgreiche Interrail-Reisen

  1. Wähle den richtigen Pass. Ganz grob sollte man schon wissen, was man sich von der bevorstehenden Reise erwartet und je nachdem den entsprechenden Interrail-Pass kaufen. Mit dem Global-Pass kann man in einem Monat 30 Länder bereisen, es gibt aber auch Ein-Land-Pässe für nur drei Tage und viele Zwischenlösungen, die sich preislich enorm unterscheiden.

  2. Lade die Interrail-App der Deutschen Bahn auf dein Smartphone. Sie gibt Auskunft, wie man auch über Ländergrenzen hinweg am besten von A nach B kommt. Das erspart die Suche nach dem richtigen Fahrplan am Bahnhof.

  3. Überfrachte die Reise nicht, sonst wird aus ihr ganz schnell ein Gehetze. Die Expertin der Bahn empfiehlt: „Pro Stadt sollten mindestens zwei Nächte Aufenthalt eingeplant werden, bei Großstädten zwischen drei und fünf Nächte.“ Man darf nicht unterschätzen, wie viel Zeit das Zugfahren in Anspruch nimmt.

  4. Plane im Reisebudget Kosten für Reservierungen ein, denn viele Bahngesellschaften verlangen für Reservierungstickets nochmal zwischen fünf und zehn Euro zusätzlich. In Nachtzügen fallen sogar rund 30 Euro Reservierungsgebühr an. „Mit einem Global-Pass für einen Monat sind Interrailer im Schnitt an 16 Tagen unterwegs, dementsprechend sollte man knapp 100 Euro für Reservierungen einkalkulieren“, sagt die Sprecherin der Deutschen Bahn.

  5. Specke dein Gepäck ab, denn du wirst jedes Gramm auf deinem Rücken spüren. Der Weg zum Hostel kann lang sein, gerade dann, wenn man sich in einer Stadt noch nicht gut auskennt. In fast allen Hostels kann man Kleider waschen und trocknen. Und für den Notfall kommt man auch einige Tage mit „Rei in der Tube“ über die Runden.

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