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Nerven aus Gold

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Die Menschen in Hollywood, das ist an dieser Stelle gut zu wissen, befinden sich in einem permanenten Gemütszustand der Aufregung. Sie sind excited über Filme, das Wetter, Grünkohlsalat. Wahrscheinlich wären sie auch aufgeregt, wenn man ihnen die Uhrzeit mitteilt. Aufgeregt sein klingt nach Geschenke auspacken an Weihnachten. Nervös sein dagegen gilt als verpönt in dieser Stadt, weil dabei immer die Angst vor dem Scheitern mitschwingt. Nervosität klingt nach praktischer Führerscheinprüfung.



Die Gage von Robin Williams war zu hoch, um eine zweite Spielzeit der Serie "The Crazy Ones" zu rechtfertigen, hört man aus Branchenkreisen.

Es ist deshalb durchaus bemerkenswert, dass die Schauspielerin Halle Berry sagt: „Ich war bei dieser Premiere nervöser als bei jeder anderen in meinem Leben. Ich konnte kaum atmen, es war ein schlimmer Abend für mich.“ An diesem Abend wurde im California Science Center die erste Folge der Serie Extant gezeigt, die seit dieser Woche auf dem amerikanischen Kabelsender CBS zu sehen ist. Berry spielt darin eine Astronautin, die nach einem einjährigen Aufenthalt im Weltall feststellt, dass sie schwanger ist. „Ich wünsche mir, dass Extant ein großer Erfolg wird“, sagte Berry, 47. Ihre Nervosität scheint unbegründet: Da produziert ein Oscar-prämierter Regisseur (Steven Spielberg) eine aufwendige Serie mit einer Oscar-prämierten Schauspielerin (Berry) in der Hauptrolle – was soll dabei schon herauskommen als ein weiteres Nugget im goldenen Zeitalter des Fernsehens?

Die Nervosität Berrys ist womöglich damit zu begründen, dass die Menschen in Hollywood nicht nur gern über ihre Aufregung sprechen, sondern auch beinahe ausschließlich über Erfolge – wie ein Goldschürfer, der bei Erzählungen abends im Saloon die vielen dreckigen Kieselsteine verschweigt, die da neben den Goldstücken im Sieb lagen. Sie berichten lieber über die außerordentlichen Erfahrungen der etablierten Kinodarsteller auf dem kleinen Bildschirm. Von Matthew McConaugheys grandioser Leistung in der noch grandioseren HBO-Serie True Detective etwa, von Kevin Spacey im Netflix-Politthriller House of Cards, von Claire Danes in Homeland.

„Es braucht für einen Schauspieler heutzutage keinen Mut mehr, eine Fernsehrolle anzunehmen“, behauptet John Landgraf. Der Chef des Senders FX hat kürzlich Denis Leary für die Serie Sex & Drugs & Rock & Roll verpflichtet, zuvor schon Glenn Close (The Shield und Damages) und Jessica Lange (American Horror Story). Doch ist das wirklich so? Muss ein etablierter Schauspieler derzeit nur mit dem Finger schnippen, eine Rolle im Fernsehen annehmen – und anschließend sowohl üppige als auch regelmäßige Gehaltsschecks sowie zahlreiche Auszeichnungen entgegennehmen? Nein, so ist es nicht – und es gibt zahlreiche Beispiele für Misserfolge: Vegas (mit Dennis Quaid), Luck (Dustin Hoffman), House of Lies (Don Cheadle), Harry’s Law (Kathy Bates), The Michael J. Fox Show (Michael J. Fox).

Prägend für diese Misserfolge ist die Komödie The Crazy Ones, sie verdeutlicht all die Probleme, Risiken und Nebenwirkungen bei der Verpflichtung etablierter Kinostars für Fernsehrollen. Knapp 19 Millionen Menschen wollten die erste Folge sehen, natürlich half die Popularität von Hauptdarsteller Robin Williams bei der Vermarktung der ersten Episoden. Es folgte jedoch ein schreckliches Scheitern, das nicht wie bei einer Kinoproduktion ein Wochenende lang dauerte, sondern über 21 Folgen ging. Statt auf witzige Drehbücher verließen sich die Produzenten allein auf Williams’ komödiantisches Talent. Dieser Zuschnitt, diese Konzentration kann funktionieren – wenn auch der Rest passt wie etwa in Blacklist mit James Spader oder The Newsroom mit Jeff Daniels. The Crazy Ones dagegen befanden die Zuschauer für zu eindimensional, die Quoten sanken ähnlich wie bei The Michael J. Fox Show, von der der Sender NBC nach der Olympia-Pause nicht einmal mehr die bereits produzierten Folgen ausstrahlte.

Die Einschaltquoten waren jedoch nicht der Grund für das Ende von The Crazy Ones, am Ende sahen immerhin noch sechs Millionen Menschen zu. Aus Branchenkreisen ist zu hören, dass die Gehälter von Williams (165000 US-Dollar pro Folge) und seiner Kollegin Sarah Michelle Gellar (etwa 90000 pro Folge) zu hoch und die Annehmlichkeiten wie Unterbringung und Freiflüge zu teuer gewesen seien, um eine zweite Spielzeit zu rechtfertigen. Bekannte Kinostars fordern aufgrund ihrer Popularität nun einmal bereits zu Beginn einer Produktion üppige Gehälter und andere Gefälligkeiten.

Berry etwa kassiert bei Extant nicht nur mehr als 100000 Dollar pro Folge, die Produktion wurde trotz zahlreicher Angebote und Vergünstigungen aus anderen Bundesstaaten in Los Angeles belassen, damit Berry nach der Arbeit schneller wieder bei ihren Kindern sein kann. Zum Vergleich: Jon Hamm bekam in der ersten Spielzeit von Mad Men 20000 Dollar pro Folge, erst mit dem immensen Erfolg wurde sein Gehalt auf mittlerweile 250000 Dollar pro Episode angehoben. Produzent Matthew Weiner hat im Fluss nach Gold gesucht – und erst nach erfolgreicher Schürfung musste er mit seinen Angestellten teilen.

Zudem sind Kinostars einflussreich genug, in den kreativen Prozess einzugreifen. Bei The Crazy Ones heißt es aus dem Umfeld der Serie, dass Williams nicht unbeteiligt daran gewesen sein soll, dass am Ende jeder Folge Versprecher und Pannen gezeigt wurden. Es war jedoch weniger eine witzige Zugabe als vielmehr eine lieblose Aneinanderreihung von Williams’ Gesichtsmuskel-Verrenkungen, für die sich selbst am Set kaum jemand hatte begeistern können.

Aus diesem Grund zögern zahlreiche Sender mittlerweile, populäre Kinostars zu verpflichten, nur um Galionsfiguren für eine Serie zu haben. Keli Lee, beim Sender ABC verantwortlich für die Rollenbesetzung, sagt: „Beim Fernsehen geht es nach wie vor darum, neue Stars zu erschaffen.“ Also Bryan Cranston (Breaking Bad) oder Taylor Schilling (Orange Is The New Black). Auch die Schauspieler selbst sind vorsichtiger geworden, sie sind sich des Risikos wohl bewusst, das ein Engagement bei einer Serie mit sich bringt: Sie binden sich nicht nur für mehrere Monate oder bisweilen Jahre an ein Projekt – sie tun es mitunter, ohne zu wissen, worauf sie sich einlassen. Matthew McConaughey etwa hatte bei True Detective unterschrieben, obwohl Autor Nic Pizzolatto gerade einmal zwei Folgen geschrieben hatte. Nun hat Pizzolatto die erste Episode der zweiten Staffel an Agenturen verteilt und sucht, je nach Gerüchtequelle, einen oder mehrere Hauptdarsteller. Bleibt die Frage: Welcher Schauspieler ist bereit, auf McConaughey zu folgen – ohne überhaupt zu wissen, wie die Rolle genau aussehen wird?

Der Druck auf die Schauspieler ist bisweilen gewaltig, im Fall von Extant etwa erklärte CBS-Präsidentin Nina Tassler, „sehr hohe Erwartungen“ zu haben und damit zu rechnen, dass die Serie mindestens so erfolgreich sei wie Under the Dome im vergangenen Sommer. Die Adaption des Stephen-King-Buches sahen durchschnittlich knapp 14 Millionen Menschen pro Folge. 14 Millionen Zuschauer als Grenze zwischen Erfolg und Flop – da kann man durchaus mal nervös sein.

Der große Frust mit Mitte 30

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Angestrichen:  
"People in their late 20s to early 40s tend to report lower levels of job satisfaction and higher levels of emotional exhaustion than other age groups."

Wo steht das? 
Im Wissenschaftsblog des New York Magazine, Science of Us.

Worum geht es?

30 zu werden ist eigentlich ziemlich toll: Die größten Dummheiten hat man hinter sich und der soziale Druck nimmt extrem ab, weil man erkannt hat, dass man sich nur mit Menschen abgeben sollte, die einem gut tun. Man hat im Idealfall die Selbstfindungsphase abgeschlossen und ist endgültig erwachsen. Die Ehrfurcht vor den Erwachsenen hat sich in Luft aufgelöst, weil man jetzt aus eigener Erfahrung weiß, wie wenig diese Leute wirklich drauf haben.



Allerdings kann es in diesem Alter auch ziemlich stressig werden:
Viele Menschen erleben in den Jahren zwischen 30 und 40 einige der größten Meilensteine ihres Lebens: Sie finden einen Partner fürs Leben (oder zumindest für etwas ziemlich Ernstes), sie bekommen Kinder und sie stellen die Weichen im Job. Nicht umsonst werden die Jahre zwischen 30 und 40 „die Rush-Hour des Lebens“ genannt. Und weil Frauen das biologische Manko einer eingeschränkten Fruchtbarkeit haben, sind sie von dieser „Rush Hour“ noch mehr betroffen, als Männer. Und das ist ganz schön anstrengend.  
Angesichts dieser stressigen Situation kann man schon mal schlechte Laune bekommen. Jetzt wurde von der Wissenschaft offiziell bestätigt, dass die Zeit zwischen 30 und 40 ziemlich nervt. Genauer gesagt: Die Arbeit. Es gibt tatsächlich einen direkten Zusammenhang zwischen dem Alter und der Zufriedenheit im Job. Und die nimmt massiv ab, sobald man 30 wird.  

Für die Unzufriedenheit der 30-jährigen gibt es vor allem zwei Gründe:  
Zum einen geht uns in dieser Periode die Zeit aus. Wer kleine Kinder hat und einen Job, der hat kaum mehr Zeit für etwas anderes. Die meisten schaffen es gerade noch so, ihre wichtigsten Sozialkontakte zu pflegen, aber das war es dann auch schon. Im Gegensatz zu Berufsanfängern: Die sind ganz wild darauf, ihr soziales und berufliches Netzwerk auszubauen und pflegen ihre Kontakte sehr, was sich auch auf ihre Zufriedenheit auswirkt. Wer aber vor lauter Verpflichtungen im privaten und beruflichen Umfeld permanent von einem schlechten Gewissen geplagt ist, der bringt kaum noch Energie dafür auf, sein berufliches Netzwerk weiter auszubauen.  

Zum anderen werden in dieser Zeit auch die entscheidenden Schritte zum beruflichen Aufstieg getan. Und es ist der Stimmung nicht besonders förderlich, wenn man sich mit seinen Kollegen um die wenigen Karriere-Posten keilen muss. In ihren Untersuchungen gaben die Forscher an, dass in dieser Zeitspanne die Menschen ganz besonders darunter leiden, keinerlei Unterstützung von ihren Kollegen zu bekommen.  
Diese Untersuchungsergebnisse gehen durch sämtliche Arbeitsschichten: Unabhängig von Geschlecht, Ausbildungsgrad und Job herrscht zwischen 30 und 40 der große Frust.  

Das sind keine besonders rosigen Aussichten. Doch die gute Nachricht ist: Ab vierzig werden wir wieder glücklicher mit unserer Arbeit und mit 50 erreichen wir sogar den Peak unserer Job-Zufriedenheit.

Mit Klobürste und Bohrmaschine

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Schon seit einiger Zeit wird für den Tiefbahnhof Stuttgart21 an vielen Orten der Stadt gebuddelt, „Zwischenangriff“ nennen die Fachleute diese kleinen Baustellen. Man könnte also sagen: Am Donnerstag begann im Gewerbegebiet Fasanenhof so etwas wie der Großangriff.



Der frisch getaufte Fliedertunnel soll der drittlängste in ganz Deutschland werden.

Man versammelte sich dort feierlich zur Taufe des Fildertunnels, des mit 9,5 Kilometern längsten Tunnels des Projekts und eines Tages wohl drittlängsten in ganz Deutschland. Er heißt nach den Fildern, der Ebene vor den Toren Stuttgarts, und soll den neuen Bahnhof mit dem Flughafen verbinden. Tülay Schmid, die Gattin des Vizeministerpräsidenten Nils Schmid von der SPD, hat die Patenschaft für die Röhren übernommen; eine Ehre, um die sich Gerlinde Kretschmann, die Ehefrau des grünen Regierungschefs Winfried Kretschmann, leidlich elegant gedrückt hatte. Per Knopfdruck sollte Tülay Schmid die 120 Meter lange, 2000 Tonnen schwere Herrenknecht-Bohrmaschine in Betrieb nehmen. Es klappte, wie so manches bei Stuttgart 21, erst im zweiten Anlauf.

Und doch scheint es jetzt allen Ernstes voranzugehen bei einem der berüchtigtsten Großprojekte der Republik. Bisher hatten es Grünen-Politiker unter fast unmenschlichen Anstrengungen vermieden, sich auf S-21-Baustellen zu zeigen. Man fürchtete fast, dem grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn würden die Bezirksvorsteher ausgehen, die er als Vertretung schicken konnte. Am Donnerstagmorgen aber war Kuhn da. Bahn-Chef Rüdiger Grube lobte die Stadt für die verbesserte Zusammenarbeit, im Gegenzug erklärte Kuhn das bekanntlich in einem Talkessel gelegene Stuttgart zur „Tunnelhauptstadt Deutschlands“.
Nicht ganz so gute Laune hatten die Parkschützer dabei, die immer noch jeden Montag demonstrieren und rund um die Uhr Mahnwache am Bahnhof halten. „Eure Taufe stinkt zum Himmel“ lautete diesmal ihr Motto – die Teilnehmer waren aufgefordert, „Klobürsten fürs Weihwasser“ mitzubringen. Matthias von Herrmann, der ewige Sprecher der Parkschützer, sagte: „Das Einzige, was die Bahn kann, sind Abriss, Zerstörung und große Tamtam-Showveranstaltungen.“ Der Stuttgarter Tiefbahnhof, davon sind die Projektgegner überzeugt, kann immer noch scheitern.

In der Tat bleiben Unwägbarkeiten. Das Brandschutz-Konzept ist noch nicht genehmigt, der ICE-Halt am Flughafen noch nicht planfestgestellt, das Abpumpen größerer Mengen Grundwasser noch nicht erlaubt. Neben dem Juchtenkäfer haben Mauereidechsen auf dem Baugrund Stellung bezogen. Die einen halten all das für völlig normal; die anderen für skandalös. „Wir werden diesen Bahnhof bauen“, hat Bahn-Vorstand Volker Kefer dieser Tage noch einmal mitgeteilt, nur zur Sicherheit.

Gute Nacht, Deutschland

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Es wird Zeit, dass diese WM endlich endet. Sie hat schon viele mitteleuropäische Familien an den Rand des Wahnsinns gebracht. Eltern wollen, dass ihre Kinder schlafen gehen, aber die wollen noch die Verlängerung sehen. Pädagogen poltern, sie müssten wegen der permanenten Übermüdung ihrer Schüler Proben verschieben, obwohl das vom Bildungsministerium gar nicht vorgesehen sei. Alle leiden unter Schlafmangel. Wann ist endlich Schluss?



Gut gemeinte Ratschläge vor der WM können nicht immer umgesetzt werden.

Was gab es nicht alles für gut gemeinte Ratschläge – vor der WM. „Sinnvoll ist es, längere Fernsehabende mit den Lehrern des Kindes und Eltern von Klassenkameraden abzustimmen“, riet die Initiative Schau hin! – „Eine Alternative kann es sein, später eine Aufzeichnung gemeinsam anzusehen.“
Eine Aufzeichnung. In einer Zeit, in der jede Schulklasse schon während des Spiels jedes Foul whatsappen muss.

Weiter riet die unter anderem vom Familienministerium ins Leben gerufene Initiative: In einer Pause zwischen Abpfiff und dem Zu-Bett-Gehen habe das Kind „idealerweise noch einmal Gelegenheit, sich körperlich zu betätigen und Emotionen abzubauen.“ Um Mitternacht? Wenn schon um sechs Uhr der Wecker wieder klingelt?

Natürlich wusste auch Medien-Psychologe Michael Thiel in Bild Rat: „Gemeinsames Fußballgucken tut der Familie gut, auch mal zu dieser Zeit.“ Aber weiß dieser Mann wirklich, wie es in einer Familie zugeht, in der die Älteren vielleicht noch gucken dürfen, die Jüngeren aber nicht?

Irgendwie wäre man ja gerne so locker wie Isolde Huchtmann-Schmedes vom evangelischen Kindergarten Talita Kumi in Barrien bei Bremen. Laut der Syker Kreiszeitung nutzte Frau Huchtmann-Schmedes die WM, um die ihr anvertrauten Fahnen aller teilnehmenden Staaten malen zu lassen. Denn: „Es steckt so viel kreative Energie in den Kindern.“ In einer Grundschule in Georgsmarienhütte lernten die Schüler sogar einen brasilianischen Tanz – aus aktuellem Anlass. Zumindest damals, als die Kinder noch ausgeschlafen waren.

Mittlerweile schaut der Nachwuchs müde und verheult aus der Wäsche wie der Sohn von Arjen Robben nach den verunglückten Elfmetern der Niederländer gegen Argentinien. Das war etwa um 0.44Uhr MEZ. Als verschlafene Brüder auch noch in Deutschland vor den Kisten saßen.

„Lass uns ä Hund kaufe!“, ließ Moritz Rinke in einem fiktiven Brief den kinderlosen Jogi Löw an dessen Frau schreiben (in der FAZ): „Ich will ä Hund mit dir habe (...) Dann jogge ich als Weltmeischte durch de Schwarzwald, die Leut winke mir zu, und hinter mir her läuft Belo Horizonte!“ Vielleicht hätte man das damals auch sagen sollen, kurz nach der Hochzeit. Ich will ä Hund mit dir habe. Ach was. Ist nur ein Witz.
Für deutsche Eltern jedenfalls ist derzeit das hier Realität: Väter und Mütter können sich nicht aufs Spiel konzentrieren, weil ihr Nachwuchs auch nach Zwölf noch chipsbröselnd neben ihnen auf dem Sofa sitzt und sich zum hundertsten Mal die Abseitsregelung erklären lässt, während sich Spieler in die Schulter beißen, Wirbel brechen oder – wie Manuel Neuer – offenkundig sauer sind, weil es am Ende dann doch kein 7:0, sondern nur ein schlappes 7:1 gegen Brasilien geworden ist. Der arme Neuer. Die armen Brasilianer.
„Die armen Brasilianer, die armen Brasilianer. Wieso redet ihr eigentlich immer nur von den armen Brasilianern?“, kritisiert nun – absolut zu Recht – der Nachwuchs. „Könntet ihr euch auch mal mit den Deutschen freuen?“ Indes: Hätte man den vom Fernsehen gezeigten heulenden, bebrillten brasilianischen Jungen gerade wirklich völlig unkommentiert lassen sollen? Und wo sind eigentlich gerade Medien-Psychologe Thiel und Kindergärtnerin Huchtmann-Schmedes, die einem jetzt helfen könnten? Wahrscheinlich kurz mal mit dem Hund raus.

Auf keinen Fall dürfe man die Gefühle der Kinder herunterspielen, rät man bei der medienpädagogischen Initiative Schau hin! Eltern müssten die jungen Fans während der intensiven Fußballzeit im Blick behalten. Es gelte zu prüfen, ob ein Kind die Situation verkrafte oder ob es beispielsweise sein Verhalten stark ändere. Habe man den Eindruck, der ganze WM-Trubel werde für das Kind zu viel, so solle man klare Grenzen setzen.

„Du gehst jetzt ins Bett.“

„Jetzt schon? Es ist doch erst Halbzeit!“

„Ja, aber es steht 5:0. Da ändert sich nix mehr. Der Sieger steht schon fest.“

„Ich will aber noch mit meiner Fußballtröte raus. Die hab ich mir extra gekauft.“

„Es ist gleich Mitternacht. Und morgen schreibst du Mathe. Vielleicht zumindest.“

„Aber wann darf ich denn mit meiner Tröte raus?“

Während der WM in Südafrika 2010 gab es Eltern, die sich über Vuvuzelas im Biergarten beklagten. Oder über zu strenge Schiedsrichter. Was waren das für Zeiten!

Wahrscheinlich macht man als Erziehungsberechtigter diesmal wirklich alles falsch. Andererseits: War doch ’ne tolle Idee, sich sofort nach dem Sieg gegen Frankreich (Spielende: kurz vor 20 Uhr! Sommerwetter! Wochenende!) mit der Familie sofort auf die Fanmeile zu stürzen. Um ihm mal ganz nah zu sein, diesem nationalen Rausch. Nur hätte man dort wahrscheinlich nicht ständig von Love-Parade-Katastrophen reden sollen, von der Unbeherrschtheit der Masse (gerade infolge von Alkohol) sowie möglichen Fluchtwegen durch die Seitenstraßen. Der Nachwuchs jedenfalls wollte bald wieder nach Hause.

Nach drei Wochen WM fühlt sich der deutsche Erziehungsberechtigte nun wie der Schweriner Weinverkäufer, der fünf Prozent Rabatt pro deutsches Tor versprochen hatte. Nach dem 7:1 war auch er am Ende. Da hängte er ein Schild in die Tür. „Wegen Krankheit geschlossen.“

Selfies aus dem Bombenkeller

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Seit dem 12. Juni fliegen wieder Rakten zwischen Israel und Palästina. 585 kamen bisher aus dem Gazastreifen, zum Teil bis nach Tel Aviv, das berichtet das israelische Außenministerium. Als Reaktion hat Israel bereits über 600 Ziele in Gaza bombardiert, es gab mindestens 88 Tote.

Im Zuge der WM droht es unterzugehen, dass der Nahostkonflikt wieder zum Krieg anzuschwellen droht. Denn seit Ende Juni drei israelische Jugendliche ermordet im Westjordanland gefunden wurden und im Gegenzug ein palästinensischer Jugendlicher von extremistischen Juden bei lebendigem Leib verbrannt wurde, sind sämtliche Friedensambitionen vorbei. Da half es auch nicht, dass die Familien der Ermordeten einander kondolierten und zum Frieden aufriefen.

Israel bereitet jetzt eine Bodenoffensive vor, möglicherweise soll der Gazastreifen erneut besetzt werden. Der Einsatz soll sich offiziell vor allem gegen die radikal-islamische Hamas wenden, die seit 2007 im Gazastreifen regiert und Israel als Staat nicht anerkennt. Aber auch Zivilisten sind von diesen Einsätzen betroffen - bei der letzten Bodenoffensive 2012 gab es UN-Angaben zufolge 73 verletzte Zivilisten auf palästinensischer und 23 auf israelischer Seite.

In Deutschland ist es nur schwer vorstellbar, wie in so einer Situation noch Normalität herrschen soll. Das Raketenabwehrsystem "Iron Dome" verhindert zwar, dass viele der oftmals unpräzise geschossenen Raketen aus Gaza in den israelischen Städten ankommen, trotzdem ist dort momentan fast täglich Bombenalarm. Die Arbeit wird unterbrochen, Sommerferiencamps geräumt und nachts kann kaum jemand durchschlafen. Trotzdem ist Normalität genau das, was viele Israelis nun demonstieren: Unter den Hashtags #shelterselfie versammeln sie auf Twitter und Facebook Selbstportraits aus ihren Bombenkellern. Die Message der Facebookgruppen ist deutlich: "Israel, send us your selfies taken in the bomb shelter. Make the best of a bad situation. Upload your photos to show the world that we're strong and hanging in." steht als Beschreibung dabei. Es geht darum, Stärke zu demonstrieren, sich den Alltag nicht vom erneuten Krieg vermiesen zu lassen. Und vielleicht auch ein bisschen darum, sich von all dem Schrecken mithilfe der sozialen Medien abzulenken.

[plugin imagelink link="https://scontent-a-fra.xx.fbcdn.net/hphotos-xpa1/t1.0-9/10518655_10152499620159318_4291506504616163515_n.jpg" imagesrc="https://scontent-a-fra.xx.fbcdn.net/hphotos-xpa1/t1.0-9/10518655_10152499620159318_4291506504616163515_n.jpg"] via Stuart Schrader / BOMB SHELTER SELFIES

[plugin imagelink link="https://scontent-a-fra.xx.fbcdn.net/hphotos-xpa1/t31.0-8/10450095_10154266304355276_3075147753753749781_o.jpg" imagesrc="https://scontent-a-fra.xx.fbcdn.net/hphotos-xpa1/t31.0-8/10450095_10154266304355276_3075147753753749781_o.jpg"] "As long as our internet is working, we're still strong"
via Josh Weinstein / Bomb shelter selfies

[plugin imagelink link="https://fbcdn-sphotos-d-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xfp1/t1.0-9/10550993_10154313661770394_2066712460150551956_n.jpg" imagesrc="https://fbcdn-sphotos-d-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xfp1/t1.0-9/10550993_10154313661770394_2066712460150551956_n.jpg"] "So I was about to post my selfie and I realized that I went to the shelter without a head-covering so I've edited my pic a bit..."
via Naava Pasternak Swirskys / BOMB SHELTER SELFIES

Auch der Instagram Bildfluss wird durch die Bombenangriffe nicht gestoppt. Nach dem Motto "Wenn schon Krieg, dann zumindest mit schönem Filter" werden dort vor allem durch den Iron Dome zerstörte Raketen fotografiert. Oftmals mit dem Hashtag #Prayforpeace, aber auch mit #fuckhamas versehen.
[plugin imagelink link="http://scontent-b.cdninstagram.com/hphotos-xfp1/t51.2885-15/10549617_1436724589939222_641389498_n.jpg" imagesrc="http://scontent-b.cdninstagram.com/hphotos-xfp1/t51.2885-15/10549617_1436724589939222_641389498_n.jpg"] via Shiri Rokach / Instagram

[plugin imagelink link="http://scontent-b.cdninstagram.com/hphotos-xpa1/t51.2885-15/10538714_708066049229720_1099151387_n.jpg" imagesrc="http://scontent-b.cdninstagram.com/hphotos-xpa1/t51.2885-15/10538714_708066049229720_1099151387_n.jpg"] via azbej / Instagram

All diese Bilder zeigen, dass das Leben trotz permanenten Bombeneinschlägen weitergehen muss. Eine ganz andere Sache wird durch sie jedoch überblendet: Dass es diese Bilder eben nicht aus Gaza gibt. Dort fotografiert sich keiner im Bombenkeller. Unter den Hashtags "#prayforgaza und #gazaonmymind werden zwar gute Wünsche und Solidaritätsbekundungen gezeigt, die Bilder dort zeigen allerdings keine Selfies. Stattdessen sieht man Raketen, die kein Iron Dome aufhält und die einschlagen und tote oder verletzte Kinder. Ob es sich bei diesen Bildern um Propagandamaterial zeigt, das eigentlich aus Syrien stammt, ist nur schwer überprüfbar. Die Lust, jetzt ein Selfie zu machen, vergeht einem dabei trotzdem.


"Man muss alles wie Werbung hinterfragen"

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Vergangene Woche wurde viel über ein Video aus Kreuzberg diskutiert, das auf den ersten Blick Polizeigewalt am Görlitzer Park zeigt. Ein Mann wird von der Polizei, nachdem er sich einer Ausweiskontrolle verweigert hat, auf den Boden und gegen einen Poller gedrückt. Die Situation eskaliert, am Ende rücken zahlreiche Polizisten an, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Der Mann liegt die ganze Zeit wehrlos am Boden, eventuell wird er sogar mit einem Schlagstock in die Hoden geschlagen.  
http://vimeo.com/100057283
Kurz darauf veröffentlichte die taz ein zweites Video, das die Situation aus einem anderen Winkel zeigt und dort weiterläuft, wo das andere Video geschnitten wurde. Die Polizei wurde bespuckt und beim Einsatz von Passanten bedroht, die Berliner CDU spricht im Bezug auf das erste Video nun von einem "linken Propagandafilm".
http://vimeo.com/100232807
Aber wer sagt denn nun die Wahrheit?

Dr. Jürgen Reiche ist Fachmann für Bildmanipulation, er hat zwei Ausstellungen zu dem Thema erstellt und leitet das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Haben Sie das Video vom Görlitzer Park gesehen?
Nein, aber ich habe in den Zeitungen darüber gelesen. Seit ich mich mit dem Thema Bildmanipulation befasse, müssen solche Bilder und Filme für mich automatisch kritisch hinterfragt werden. Ich war selber nicht dabei und kann deshalb nicht beurteilen, was wahr ist. Bei Berichten, die solche Filme dann in irgendeine bestimmte Richtung deuten wollen, werde ich aber natürlich hellhörig.  

Der Film wurde oft als Beweis für unverhältnismäßige Polizeigewalt angeführt. Andere führten wiederum an, der Film sei geschnitten und die Vorgeschichte weggelassen...
Ich bin mittlerweile bei jedem Video und Bild skeptisch, weil sie alle mit bestimmten Interessen verbunden sind. Sei es von den Personen, die sie aufnehmen, ins Netz stellen oder weiterverbreiten. Ob der Film dann geschnitten ist oder nicht, ist eigentlich egal. Man kann ja auch schon manipulieren, in dem man nur einen bestimmten Moment oder eine bestimmte Perspektive auswählt.  

Aber müsste die Authentizität von Bildern in einer Zeit, in der jeder alles fotografiert, filmt und ins Internet lädt, nicht auch leichter überprüfbar sein? Ist die Welt nicht transparenter geworden?

Ich glaube nicht, dass sie durch das Internet transparenter geworden ist. Sie hat nur viel mehr Bilder ins Portfolio genommen. Das Thema ist heute populärer denn je, weil wir in einer Welt leben, in der wir sehr stark über Bilder kommunizieren. Bilder geben uns Orientierung, ihre Sprache ist international. Und slbst wenn wir die Augen schließen denken wir in Bildern. Gleichzeitig ersaufen wir aber auch in der Bilderflut. Wer will sich da noch orientieren? Deshalb habe ich die These, dass wir uns gründlich informieren und mit einem kritischen Blick ausstatten müssen.  

Theoretisch müsste das Internet dafür ja optimal sein, schließlich hat man dort zahlreiche Quellen. Faktisch werden dort allerdings auch immer die gleichen falschen Meldungen und Bilder geteilt.
Im Internet wird mit Bildern oft ein Hype erzeugt und letztendlich ist das Internet auch ein Markt, der bedient werden will. Da gibt es gelenkte Interessen. Manchmal von Gruppen oder Personen, manchmal ist es auch einfach nur ein Jux. Man muss also auch im Internet alle Quellen und Interessen hinterfragen ähnlich wie bei der Werbung. Die haben wir uns ja auch angewöhnt, sie kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig kaufen wir aber natürlich trotzdem alles, was sie uns anbietet. Vielleicht ist es auch einmal Zeit, das Publikum anzugehen. Vielleicht sollte jeder selber mal kritisch hinterfragen, ob er die Wahrheit überhaupt hören will. Vielleicht lieben wir den Hype, Thrill oder die Legendenbildung, haben Angst vor Langeweile und mögen Klischees? 



Dr. Jürgen Reiche

Sie haben die Ausstellung X für U Bilder die lügen kuratiert, die zahlreiche solcher manipulierten Bilder und Filme zeigt. Viele der dort präsentierten Beispiele stammen aus Kriegen. Sind Bilder eine beliebte Kriegswaffe?
Ja, denn im Krieg werden wir mit Bildern konfrontiert, die wir glauben sollen, da wir uns vor Ort ja keinen eigenen Eindruck machen können. Im Irakkrieg haben solche manipulierten Bilder unter anderem zu einem Kriegseinsatz geführt. Von dort wurde eine Ölverschmutzung gezeigt, die es so nie gegeben hat. Es wurde behauptet, die Soldaten Saddam Husseins hätten in Kuwait Kinder aus Brutkästen genommen und getötet, eine Krankenschwester hat das unter Tränen vor dem US-Komitee für Menschenrechte ausgesagt. Dann kam allerdings raus, dass sie eigentlich die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war und eine PR-Agentur für diese Lüge bezahlt wurde. Andersrum hat auch Saddam Hussein gefälschte Bilder publiziert. Bilder. die ein zerbombtes Krankenhaus zeigen. Da weiß keiner, aus welcher Quelle die Bilder stammten und ob das wirklich die Amerikaner waren. Das alles sind gewaltige Dimensionen, die politisches Handeln nach sich ziehen. Bismarck hat schon gesagt, dass nie so viel gelogen wird, wie vor der Wahl, beim Angeln und während des Krieges. Winston Churchill hielt die Lüge sogar für einen ganz wesentlichen Teil der Kriegsführung. Aber auch andere Militärs, wie die Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen, sagen offen, dass Propaganda und falsche Bilder ganz legitime Mittel im Kampf sind.

Inwiefern zieht sich Bildmanipulation durch die Geschichte?
Bildmanipulation gibt es schon lange. Das Pressebild ist eine Erfindung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und bereits bei der Berichterstattung über den Krimkrieg 1853 gab es manipulierte Bilder. Im 20. Jahrhundert hat sich die Technik dann stark verbessert. In der Stalin-Ära wurden Personen, die getötet wurden, nachträglich aus Bildern verbannt. Das führte soweit, dass man sogar aus Zeitungen in Archiven diese Personen nachträglich ausschnitt. Alexander Dubček, Reformer aus der Tschechoslowakei, wurde aus einem Bild rausmanipuliert, bei dem man dann leider vergaß, die Schuhe wegzuretuschieren. Die Schuhspitzen waren dann immer noch im Bild. Der technische Fortschritt schreitet unaufhaltsam voran. Bei Forrest Gump schüttelt Tom Hanks bereits die Hand von John F. Kennedy, der zu diesem Zeitpunkt schon lange tot ist. Und heute können ganze Bildserien manipuliert werden, Schnitte werden kaum noch erkannt, Menschen werden aus Bildern raus- und in andere Szenen reinmontiert, ohne dass wir es merken. Auch ein Kameramann, der entscheidet "diese Szene lasse ich drin und diese nehme ich weg" manipuliert. Da wären wir dann wieder beim Görlitzer Park. Man kann über so etwas nur urteilen, wenn man alle Informationen zu einem Bild oder Film hat.  

Aber ist das denn überhaupt möglich alle Informationen zu einem Bild zu haben?

Wir denken schon länger darüber nach, was man fordern müsste um Bilder als echt zu deklarieren. Ein Wasserzeichen? Ein Archiv, in dem echte Bilder dokumentiert werden? Aber es gibt nun mal keine echten Bilder im Sinne von Abbildung der Wirklichkeit. Dieser Illusion darf man sich nicht hingeben. Also kann ich nur raten, sich aus mehreren Quellen zu informieren, um der Wahrheit näher zu kommen. Die ganze Wahrheit werden wir aber nie erfahren.

Wir haben verstanden: KW 28

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Das Internet findet ja immer dann ganz zu sich selbst, wenn es nostalgisch wird. Eines der schönsten Beispiele der letzten Zeit: Ein Archiv der “Video Vixen” - das waren die jungen Frauen, die in den Musikvideos der 1980er und 1990er Jahren aufgetreten sind. Bevorzugt mit stark toupierten Haaren und rosagrellem Lippenstift. 

Wenn man einen Freund hat, der so einen Textüber einen schreibt, dann hat man eigentlich alles im Leben erreicht.

Praktikanten, die strumpfsockert durchs Büro schlurfen, “weil es so gemütlich ist”, sind nicht nur sehr drollig, sondern auch ein Zeichen dafür, dass man kein Arbeitgeber ist, vor dem sich alle fürchten müssen.

Entgegen anderslautender Meinungen muss man sich nicht schämen, wenn man sich nicht für Fußball interessiert.





Wenn man auf einmal interessiert die Beipackzettel seiner Tabletten liest, dann ist man entweder ohne Lektüre auf einer einsamen Insel gelandet. Oder man wird schon ganz schön erwachsen.

Es müsste eine Hotline geben, bei der man anrufen kann, wenn man einen krassen Traum hatte. Dann müsste man nicht immer seine armen Mitmenschen mit elend langen Nacherzählungen quälen.

Wenn Immobilienmakler eine Stadt untereinander aufteilen, nennen sie das “filetieren”.

Der beste Special-Effect des Sommers: Einsetzender Sommerregen, der genau so lange dauert, dass man danach in zehn Minuten auf dem Fahrrad wieder trocken ist.

Trüffelgeruch an den Fingern ist schlimmer als Knoblauchgeruch an den Fingern. Und noch schlimmer ist nur eine Kombination aus beidem.

Wer sich für die Musik von Kanye West, Slayer, Jay-Z, Metallica oder Shakira interessiert: Dieser langbärtige Mann hat deren größte Hits produziert. Rick Rubin hat der BBC das erste lange TV-Interview gegeben.

Fußball kann gleichzeitig schön und grausam sein. #BRAGER

Der Liveticker von 11 Freunde ist das Beste, was der Sportmedienlandschaft seit langem passiert ist.

Katrin Müller-Hohenstein ist das Gegenteil davon.

Wenn man an einem Tag sich zweimal fast auf dem Rad zu Tode fährt, sollte man einen Helm kaufen. Also dieses Mal wirklich.

Und die Mädels stehen halt doch auf Edward Snowden

Über Skype ist Liebeskummertrösten noch hundertmal furchtbarer als im echten Leben.

Michi Buchinger ist Österreichs bester Youtuber (und das sagen wir nicht, weil er vielleicht der einzige ist) 

Unternehmen zahlen Geld dafür, dass ihre Waffen in Ballerspielen auftauchen.

Jungs, warum schämt ihr euch beim Umziehen?

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Die Mädchenfrage:




Neulich war ich am See. 28 Grad Lufttemperatur, kühles Wasser, mitgebrachtes Radler, unter den Anwesenden Jungs und Mädchen. Nach dem Baden lag ich, gemächlich vor mich hin trockenend, auf meinem Arielle-Handtuch herum, als sich die ersten von euch erhoben, um sich umzuziehen. Am See gibt es für gewöhnlich keine Umkleiden, also nahmt ihr die Sache an Ort und Stelle in Angriff. Da fiel es mir plötzlich auf. Ihr, die sonst so freizügigen Arsch-aus-dem-Autofenster-Halter oder nackt-um-den-Springbrunnen-Renner werdet, wenn es ums stille An- oder Ausziehen eurer Badehose in der Öffentlichkeit geht, plötzlich zu Klemmis. 

Ein bisschen ähnelt das Hosen-Dilemma jedes Mal einer Komödie. Die Handlung: Junge will von seiner Boxershorts in die Badeshorts oder wieder in die Alltagsshorts wechseln. Meistens am abgelegenen See mit überschaubarer Zuschauerzahl, manchmal aber auch im Englischen Garten oder auf der hintersten Liegewiese im Freibad, weit weg von den Umkleidekabinen. Auf jeden Fall soll ihm dabei bloß niemand „was weggucken“, wie unsere Mütter das nennen würden. Höhepunkt des Stücks: Junge schwingt ein viel zu knappes Handtuch um die Hüften und schlüpft umständlich aus der Boxershorts. Jetzt sieht es aus, als würde er einen hässlichen Rock mit Beinschlitz tragen – was aber nicht weiter schlimm ist, weil der eh gleich darauf runter fällt. Dann folgt ein panisches in-die-Hocke-Schnellen. Unbeholfene Verrenkungen. Zwischendurch verstohlene Blicke zu den drei vermeintlichen Zuschauern, die eh nicht hinsehen. Und das mit einem Unbehagen, das alle spüren können.    

Ihr leidet also unter Nacktscham, und seht dabei aus wie alberne, pubertierende Mädchen. Wobei wir Mädchen uns niemals so anstellen würden. Zugegebenermaßen sind wir in dieser Hinsicht auch privilegiert: weil wir die Zwei-Stufen-Taktik anwenden können, um in den Bikini zu schlüpfen. Erst das Oberteil wechseln, dann das Höschen unterm langen Top tauschen.  

Als Erklärung lasse ich das aber nicht durchgehen. Schließlich zieht ihr, wie gesagt, sonst auch gern blank, ja, es gehört gewissermaßen zu eurer toller-Typ-Werdung, die eigene Nacktheit mehr als einmal in der Öffentlichkeit präsentiert zu haben. An dieser Stelle könnte ich stundenlang abschweifen zu Geschichten über nackte Jungs-Hintern auf Gruppenfotos vor der norwegischen Pampa oder beim Abi-Ball.

Viel interessanter ist aber die Schlussfolgerung, dass euch das Nacktsein im öffentlichen Raum offensichtlich nicht grundsätzlich unangenehm ist. Erst beim Hosenwechsel geniert ihr euch, obwohl Umziehen doch viel natürlicher ist als nackt durch Wasserfontänen zu rennen. Woher kommt das Hosen-Dilemma? Bitte, liebe Jungs, erklärt uns die Umziehscham.     

Auf der nächsten Seite: die Jungsantwort von christian-helten
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Die Jungsantwort von christian-helten:



Bevor ich jetzt hier die, haha, Hosen runterlasse und dir Einblick in unsere innerste Gefühlswelt beim Umziehen im Freibad gebe, will ich erst mal mit ein paar technischen Fakten aus der Welt der Textilfabrikatur, Grundlagen der männlichen Umziehtechnik und den daraus folgenden Komplikationen beginnen. Sorry, aber das muss sein.  

Dazu ruft euch jetzt bitte mal eine Jungsbadehose vor euer inneres Auge. Möglichst keinen von diesen knappen Profischwimmer-Schlüppern, sondern eine in Richtung Boardshort, wie die meisten von uns sie tragen. So eine Badehose ist beim Umziehen schwerer zu handhaben als eure Bikini-Nichtse. Ihr setzt euch auf ein Handtuch, schlagt es über eure Knie, hebt kurz und kaum merklich euren Po und befördert mit einer fast schon eleganten Bewegung euer Bikini-Unterteil an die dafür vorgesehenen Stelle, fertig. Wir dagegen fummeln die Badehose unter dem Handtuch an die richtige Stelle, da ist mehr Stoff und weniger Stretch, es muss gezogen und gezerrt werden, wo ihr nur zuppelt. Besonders schlimm ist das, wenn das Handtuch etwas zu kurz ist. Wir fühlen uns dann wie im Krankenhaus, wenn man eines dieser hinten offenen Hemdchen tragen muss – eine Situation, die in der ganzen Männerwelt einzig einer gut findet: Til Schweiger, wenn er mal wieder an einem Drehbuch für seinen Hintern schreibt.  

Bei euch hält alles sofort, weil da viel weniger ist, was halten muss. Unsere Badehose bleibt nur so wacker an Ort und Stelle, weil sie oben festgebunden ist. Wir sind sehr froh darüber, denn die Badehose ist im Sommer unser bester Freund – und mit dem will man durch dick und dünn gehen, ohne Angst haben zu müssen, dass er bei einer leichten Adria-Welle gleich die Flucht ergreift. Aber: Eine Schleife verkompliziert das Anziehen der Hose enorm. Denn unter dem Handtuch ein Schleife knüpfen, das geht nicht. Wir sind also noch halb nackt, wenn wir das Handtuch wegnehmen. Dann ist noch nichts geknotet oder sonst irgendwie gesichert, die Hose hängt auf Halbmast, das ist eine höchst fragile Angelegenheit. Wir müssen jetzt noch das Schnürchen durch Löcher friemeln, vielleicht auch Druckknöpfe schließen, und dabei dem Hosenrutsch vorbeugen, indem wir entweder ganz unnatürlich breitbeinig dastehen oder die Hose zwecks Knotvorgang so hochziehen wie sonst nur Obelix oder Steve Urkel. Besonders würdevoll und Arschbombe-vom-Zehner-mäßig ist beides nicht. Deshalb versuchen wir diese Situation so schnell wie möglich hinter uns zu bringen und zappeln da vielleicht auch ein bisschen mehr als dringend notwendig wäre.  

Der nächste feine, aber bedeutende Unterschied ist die von dir bereits angesprochene Zweistufen-Taktik. Ihr seid beim Umziehen im Gegensatz zu uns immer nur halb nackt, entweder oben oder unten. Wir hingegen stünden gleich komplett textilbefreit auf der Wiese, wenn das Handtuch nicht wäre.  

Soviel zur Technik. Die Umziehscham hat aber auch, da hast du recht, Ursprünge in unserer Einstellung zu Nacktheit in nicht gänzlich privatem Umfeld. Ja, der in die Kamera gehaltene entblößte Hintern gehört in jede Jungsbiografie, und wenn zum Beispiel Alkohol und die Euphorie einer Abifeier ins Spiel kommen, taucht da auch noch einiges mehr an Nacktalbernheiten auf – Stichwort Pimmelpropeller. Nur: Bei diesen Aktionen ist immer sehr viel Ironie im Spiel. Wir begeben uns freiwillig in die Unentblößtheit, idealerweise in Situationen, in denen sie wie in deinem Beispiel mit den Wasserfontänen zu einer Aufwertung beiträgt und uns cooler macht – weil sie Verwegenheit und Mut zum Tabubruch beweisen oder zumindest Humor und Durchgeknalltheit.  

Auf der Freibadwiese beim Umziehen ist aber nichts davon der Fall. Neben gebräunten Bodybuilder-Körpern und Familien mit Schwimmflügelkindern, inmitten von Sonnenöl- und Pommesgeruch ist ein blanker Hintern nicht verwegen, man kann keine Rock’n’Roll-Nummer draus machen. Da ist er einfach nur die Stelle an unserem Körper, die ganz offensichtlich nie Sonne abbekommt.

Der Sonntag mit Mario Rodwald

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Steckbrief

Name:
Mario Rodwald
Spitzname: Variiert von Land zu Land, von "Super Mario" über "Rotze" bis "máquina"
Alter: 22
Geburtsort/Wohnort: Geboren in Rendsburg, wohnhaft in der Welt und zu Hause immer noch in Schleswig-Holstein
So erkläre ich meinen Job meiner Oma: Ich brauche meiner Oma meinen Job nicht zu erklären. Sie verfolgt alles ganz genau im Internet und kommt mich oft besuchen, wenn ich einen Stop der EM oder WM daheim auf der Nordsee habe. Wenn ich in der Welt unterwegs bin, schreiben wir oft Emails.
Mein liebster Wochentag: Mein Leben richtet sich nach dem Wind, nicht nach den Wochentagen. Ich versuche immer die besten Bedingungen zu erwischen um meinen Sport zu pushen, alles andere kommt danach. Mir meinen Tag frei einteilen zu können ist eine meiner größten Freiheiten. Aber mein Lieblingstag ist wohl Freitag, da haben die Geschäfte noch geöffnet und alle Menschen sind gestoked, weil morgen Wochenende ist.
Aktuelle Projekte:

http://vimeo.com/98883109

Als ich vor vier Jahren mein Abitur gemacht  habe, träumte ich vom Europameistertitel. Letztes Jahr habe ich ihn bereits zum zweiten Mal geholt,  jetzt konzentriere ich mich auf den Worldcup. Über den Winter in Kapstadt haben sich einige weitere Ideen in meinem Kopf angesammelt: zum Beispiel eine DVD oder ein paar Episoden zu filmen. Mehr dazu hier.

Der Sonntag

9:28 Uhr





Diesen Sonntag kommt die Tide relativ früh und die Lagune ist am Vormittag besonders voll. Ich versuche meinen Tag mit Dehnen oder Yoga zu starten, das passiert natürlich nicht immer... aber wenn, dann wird es ein glücklicher Tag!

10:14 Uhr





Die letzte Woche habe ich mit meinem Papa und meiner Schwester in einem Camper gewohnt. Seit ich mich erinnern kann, sind wir mit unser Familie an den Stränden Europas unterwegs. Im 21. Jahrhundert haben natürlich alle weniger Zeit und so kommt es immer seltener vor, dass wir alle zusammen einen Trip machen.

10:44 Uhr






Über die letzten Jahre habe ich viele interessante Menschen kennengelernt. Jedes Mal wird mir hinterher klar, wie oft uns unsere Vorurteile davon abhalten, einfach mal auf jemanden zu zu gehen. Hier mein Papa, der zufällig einen alten Schulfreund mit seinem großen Mobil getroffen hat.

10:45 Uhr





Meine Schwester liebt Hunde genauso wie ich. Meist kennen wir schon nach wenigen Stunden alle Vierbeiner des Parkplatzes.

11:30 Uhr





Meine Schwester macht sich auf zur Lagune. Hier unten in der Straße von Gibraltar ändert sich der Wind sehr schnell und so nehmen wir meist einen kleineren Kite mit, falls die Brise auffrischt.

11:46 Uhr





Hierfür lebe ich. Wenn ich abends einschlafe, denke ich an die Tricks, die ich am Tag gestanden habe und träume von denen, die morgen kommen werden.

11:53 Uhr





Heute habe ich einen Fotografen dabei und schieße ein paar Sequenzen für das KITE Magazin. Zu meinem „Job“ gehört es, auch später jedes einzelne Bild zu analysieren und für die Leser die Knotenpunkte zu beschreiben. Oft filmen wir uns gegenseitig, um unsere Tricks nachher zu analysieren oder um einfach eine Idee umzusetzen, wie zum Beispiel letztes Jahr in Brasilien:

http://vimeo.com/52472377

12:36 Uhr





Mein Arbeitsplatz und meine Kollegen. Ganz vorne im Selfie ist die neunfache Weltmeisterin Gisela Pulido, dahinter die Nummer 1 Christophe Tack. Abgesehen davon, dass wir sehr gute Freunde sind, versuche ich immer mit den Besten zu trainieren.

Wie der Sonntagnachmittag von Mario Rodwald aussieht, liest du auf der nächsten Seite.

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14:14 Uhr





Papa macht sich heute auf den Heimweg und wir trinken noch einen Caffé Latte zusammen. Mein Papa ist seit 35 Jahren verrückt nach Wassersport und hat unter anderem einen Deutschen Meister Titel geholt. Er weiß genau, wie ich mich vor Worldcups fühle und häufig gibt er mir die entscheidenden Tipps. Nach dem Abschied beschließe ich Mama anzurufen, die dieses Mal zu viel zu tun hatte um die ganze Zeit in Spanien zu bleiben. Meine Mum ist voller Energie und unterstützt mich wo sie kann... und sie kann ziemlich viel.

14:43 Uhr





Nach der Session ist vor der Session. Ich bringe mein ganzes Know-How ins „Research&Developement“ von North Kitebaording ein und reise oft mit einer Hand voll Prototypen durch die Welt.

16:30 Uhr





Meine Schwester macht sich auf zum Studieren nach Wien und ich fahre mit meinem Freund Christophe Tack nach Gibraltar. Es ist ja Sonntag. Zeit, aus dem Alltag auszubrechen.

17:23 Uhr





 „Don´t count the days. Make the days count.“ Muhammed Ali

20:12 Uhr





Als Sportler versuche ich eine ausgewogene Ernährung zu finden, was bei den Reisen nicht ganz einfach ist. Manchmal bin ich in Dakhla, Western Sahara – dort gibt es fast keine Früche und ich bin auf meine Nahrungsergänzungsmittel von Nutrilite angewiesen. Heute gibt es aber noch einmal ordentlich Gemüse.

23:12 Uhr

Tagebucheintrag: Totally made today count. Sweet dreams.

KW 29 oder: das Leben nach der WM

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Wichtigster Tag der Woche: Gleich Montag, da beginnt nämlich das Leben nach der WM. Egal ob Sieg oder Niederlage, es werden allmählich die Deutschland-Gimmicks aus den Straßen und die Fußballbrote aus den Bäckereiregalen verschwinden und es wird dann eine postzeremonielle Erschöpfung einkehren, die mir immer sehr gut gefällt. Außerdem freue ich mich drauf, am Montag für das Userlabel Kochwoche aufzuschreiben, was ich die Woche über esse. Habe ich zwar für das Redaktionslabel Kosmoskoch auch schon mal getan, aber das macht nichts, meine Leidenschaft für kulinarische Genüsse ist unendlich.

Kulturelles Highlight: Bereits am Freitagabend fand die Eröffnung der Jahresausstellung der Akademie der Bildenden Künste in München statt und sie läuft noch bis zum Sonntag, den 20.7. Wie jedes Jahr werde ich mehrere Male hingehen, mal allein, mal mit Freunden, mal abends und mal irgendwann mittendrin, wenn es nicht so überfüllt ist.

Soundtrack: Anna Calvi hat gerade, am 11. Juli, ihre neue Platte "Strange Weather" herausgebracht, auf der sie allerdings 'nur' covert. Nach dem ersten Hören des gleichnnamigen Songs (unten im Video) bin ich noch nicht ganz überzeugt. Aber ich brauche für so etwas ohnehin etwas länger. Mein Lieblingslied von Calvi ist bisher immernoch "Desire".

http://www.youtube.com/watch?v=tYK3uiK-q6w

Wochenlektüre: Gerade habe ich mein Bücherregal neu sortiert. Eine zutiefst befriedigende Angelegenheit, die ich jedem nur empfehlen kann. Dieses Mal habe ich nach "Gelesen" (obere Regalbretter) und "Nicht gelesen" (untere Regalbretter) sortiert. Drei der vielen noch ungelesene Bücher, bei denen ich den starken Impuls verspürte, sie endlich und auf der Stelle anzufangen, waren: „Stoner“ von John Williams, „Erfolg“ von Lion Feuchtwanger und „Franny und Zoe“ von Jerome Salinger.

Kinogang? Normalerweise fällt mir zu dieser Rubrik nur wenig ein, weil mich die meisten aktuellen Kinostarts nur so mittel interessieren und ich weder selbst halbherzig ins Kino gehe, noch anderen gern halbherzige Empfehlungen ausspreche. Das ist diese Woche endlich mal anders. Selten laufen soviele vielversprechende Filme gleichzeitig an.

1. „Die Karte meiner Träume“. Der neue Film von Regisseur Jean-Pierre Jeunet („Die fabelhafte Welt der Amélie“). Eine in Geschmacksfragen sehr betraubare Freundin von mir hat ihn auf dem Filmfest gesehen und war begeistert, also werde ich ihn mir auch ansehen.

http://www.youtube.com/watch?v=v9eTIiq6pSk&feature=kp

2. „Verführt und verlassen“. Ein Film, beziehungsweise eher eine Art Doku über den Prozess der Filmfinanzierung auf Hollywood-Niveau, mit Alec Baldwin, Martin Scorcese, Francis Ford Coppola, viel Luxusblingbling, Szene-Interna und, damit kriegt man euch, das weiß ich: Ryan Gosling-Geheimnissen.

http://www.youtube.com/watch?v=XkpRQeUxrKQ

3. „Art’s home is my Kassel.“ Eine Doku über Kassel, die, entschuldigung, unvergleichlich hässliche wie provinzielle nordhessische Stadt, in der alle fünf Jahre die internationale bedeutendste Messe für zeitgenössische Kunst stattfindet. Was diese Veranstaltung mit der Stadt anstellt, wer sie vorher und nachher ist und wie es denen so geht, die in dieser Stadt leben, das haben die Filmemacherinnen Katrin und Susanne Heinz untersucht. Möchte ich unbedingt sehen.

http://www.youtube.com/watch?v=w_OeDCF-AWM

4. „Begegnungen nach Mitternacht“. Ein junges Paar und ihr transvestitisches Dienstmädchen laden Fremde zu einer erotischen Party ein. Bevor es ans Rummachen geht, erzählen sich die Gäste von ihrem Leben. Klingt erstmal gar nicht so verkehrt, finde ich, ein bisschen wie Kubrick und Ozon zusammen. Leider habe ich beim Trailer-Gucken aber das Gefühl, dass das nicht viel mehr als ein ganz schlimm anstrengender, kunsthochschulmäßig eitler Transgender-Porno ist. Aber wenn sogar "Le Monde" ihn hochlobt, vielleicht vebirgt er ja doch irgendetwas Tiefgründigeres, Poetisches, mit dem ich jetzt noch nicht rechne?

http://www.youtube.com/watch?v=TcsRZwtq7pM

(Falls es eine Enttäuschung wird, setze ich noch auf "Ferner Schöner Schein".)

Geht gut diese Woche: Eine Liste schreiben mit allem, was man mit der vielen Zeit, die einem die Semesterferien bescheren, Gutes anfangen könnte. Sich das Beste aussuchen und loslegen.

Geht gar nicht: Erkältungsviren.

Was bleibt dir in Erinnerung?

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Man bräuchte jetzt den Helten noch etwas dringender als sonst. Der kann das: die unglaublichen Emotionen, die der Fußball mit sich bringt – die Freude, der Hass, die Euphorie, der Taumel, die bodenlose Enttäuschung –, in Worte übersetzen. Nach dem 7:1 gegen Brasilien hat er das ja ganz wunderbar gemacht. Er ist Fan. Taktik versteht er auch. Ich nicht. Ich bin ungeeignet, das hier zu schreiben. Aber wir sind unterbesetzt. Einer muss es tun. Ich tue mir wenigstens mit dem Aufstehen leichter – ich habe gestern nicht sehr gefeiert.  





Eigentlich wollte ich mich also rausmogeln aus der Nummer. Ich wollte nur eine Frage schreiben:  

Wie fühlt es sich für dich heute an?  


Das ist ja, dachte ich, die einzig relevante Frage, die am Tag nach einer Fußball WM stehen kann. Welche Emotionen sind da gerade? Aber dann bin ich zu früh aufgewacht und habe gemerkt, dass selbst bei mir, dem Semi-Fußball-und-überhaupt-nicht-Nationalwettkampf-Fan, so viele Szenen im Kopf aufblitzen. Wenige vom Jubel und dem ganzen Pokal-Geschwenke. Ich sehe Dinge, die drumherum passiert sind:  

Die wenigstens für mich ungewohnte Masse an weinenden Menschen in diesem Jahr – Spieler, Fans, Trainer. Der kleine brasilianische Junge mit der Brille und dem Cola-Becher, dessen Tränen beim 7:1 sie so oft gezeigt haben.  

Wie die Frau, die ich gut kenne, jedes Mal fast mitgeweint hat, wenn die Bilder wieder kamen.  

Wie dieselbe Frau nach dem Finale auf ihrem Fahrrad laut klingelnd nach Hause fuhr und sich jedes Mal so herrlich kindlich freute, wenn ihr jemand auf ihr Gebimmel hin zujubelte.  

Die geschminkten Fahnen-und-Bier-Schnwenker kurz vor unserer Wohnung, die mit umfassend erhabener Widerlichkeit blökten: "Wir werden sogar mit Schwuchteln Weltmeister!"

Die beinahe schon frappierende Coolness, die Manuel Neuer während des Turniers entwickelt hat (oder hatte er die schon immer?).  

Der Blick – oder vielmehr der Nicht-Blick – den Christoph Kramer hatte, als man ihn mehr vom Feld trug als dass er lief. Und den er den restlichen Abend auch nicht mehr loswurde.  

Lothar Matthäus wie er im Stadion steht und das vielleicht einsamste Selfie des Turniers machte.  

Das unwahrscheinlich laute Pfeifkonzert, das aufbrandete, als Sepp Blatter ins Bild kam.  

Die Frage, wie er das aushält?  

Die Beobachtung, dass ihm trotzdem jeder Nationalspieler die Hand schüttelte.  

Die vornehme, faire Zurückhaltung – vielleicht sogar Gehemmtheit? – mit der Joachim Löw feierte, die ich extrem sympathisch finde.  

Um das also abzuschließen: Was bleibt für dich von der WM 2014 in Erinnerung? Auf dem Platz. Drumherum. Bolz es raus!

Massenflucht im Gazastreifen

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Tel Aviv – Im Gazastreifen haben sich Tausende Menschen auf die Flucht gemacht. Die israelische Armee hatte zuvor die Bewohner im nördlichen Teil des palästinensischen Gebiets durch abgeworfene Flugblätter, SMS und automatisierte Anrufe eindringlich zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert, weil „Angriffe in bisher nicht gekanntem Ausmaß“ bevorstünden. Das ganze Wochenende über wurden die Kämpfe auf beiden Seiten mit zunehmender Wucht fortgeführt. Angesichts des Blutvergießens – auf palästinensischer Seite starben inzwischen 165 Menschen, mehr als tausend wurden einheimischen Rettungskräften zufolge verletzt – bemüht sich die internationale Gemeinschaft mit vereinten Kräften um eine Waffenruhe.



Gaza Stadt: Zwei Männer inspizieren die Zerstörung nach einem Bombenangriff der isralischen Luftwaffe.

Aus der 40000 Einwohner zählenden Stadt Beit Lahija knapp hinter der Grenze zum Gazastreifen zogen die Menschen mit hochbepackten Autos oder Eselskarren in Richtung Süden, um dort einen sicheren Unterschlupf zu finden. Die UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge, hat mehrere Einrichtungen für Schutz Suchende in Gaza-Stadt geöffnet. Israel plant in der nördlichen Region massive Schläge gegen Raketenabschuss-Einrichtungen der Hamas, die dort im Schutz von Wohngebieten versteckt sind. Die Hamas-Führung rief die Bevölkerung auf, trotz der israelischen Drohungen in ihren Häusern zu bleiben. Zuvor hatte ein Sprecher der Hamas auch jene Palästinenser als Vorbilder gelobt, die kurz vor einem israelischen Angriff auf die Dächer ihrer Häuser gestiegen waren.

Unklar blieb zunächst, ob der nun angekündigte verstärkte israelische Einsatz im nördlichen Gazastreifen allein aus der Luft oder auch von israelischen Bodentruppen geführt wird, die inzwischen in großer Zahl an der Grenze zusammengezogen wurden. In der Nacht zum Sonntag war es zum ersten begrenzten Bodeneinsatz im Gazastreifen seit 2009 gekommen, als eine Eliteeinheit der Marine eine Raketenstellung der Hamas angriff. Bei anschließenden Feuergefechten wurden vier israelische Soldaten leicht verletzt.

Die Hamas zeigt bislang noch kein Anzeichen von Schwäche. In weiten Teilen Israels schrillten auch am Sonntag wieder die Alarmsirenen, am Samstagabend ebenso wie am Sonntagnachmittag wurden Raketen über dem Stadtgebiet von Tel Aviv vom Abwehrsystem „Iron Dome“ abgefangen. Zusätzliche Unruhe verbreiteten zwei Raketen, die von Libanon aus auf den Norden Israels abgefeuert wurden, ohne allerdings Schaden anzurichten.

Nach einer Schockstarre kommt die internationale Krisendiplomatie ins Rollen. Der UN-Sicherheitsrat rief beide Seiten einstimmig zu einer Waffenruhe auf. Der Sonderbeauftragte des Nahost-Quartetts, Tony Blair, erinnerte an die Existenz seines Postens mit einer Reise nach Ägypten, um die dortige Führung zu einer Vermittlungsmission zu drängen. Auch die Arabische Liga will sich diesen Montag in Kairo mit dem Konflikt befassen. In Wien berieten die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands am Rande der Atom-Gespräche mit Iran über den Krieg zwischen Israel und der Hamas.

Als erster aus diesem Kreis wird der deutsche Chefdiplomat Frank-Walter Steinmeier am Montag und Dienstag in der Region erwartet. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo kommt zudem am Montag die Arabische Liga zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. In New York beraten die Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen bei einer Sondersitzung über eine Schlichtung. Und im Namen des EU-Ratsvorsitzes will auch die italienische Außenministerin Federica Mogherini Krisengespräche in der Region führen. Allen internationalen Anstrengungen zum Trotz zeigten sich bislang weder die Israelis noch die Hamas zu einer Waffenruhe bereit. Seite7

Mit links zum vierten Stern

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Rio de Janeiro – Noch sieben Minuten. Die Beine waren längst müde, nach 113 intensiven, körperlichen, ruppigen Minuten. Und dann bekam André Schürrle an der linken Seitenlinie den Ball, dribbelte, am ersten Argentinier vorbei, er hatte auf einmal wieder Kraft, am zweiten Argentinier vorbei, blickte nach oben. Und hatte die Ruhe für eine präzise Flanke mit dem linken Fuß, in den Strafraum hinein. Dort stand Mario Götze, nahm den Ball mit der Brust an, lässig, schoss mit links, überlegt. Am argentinischen Torwart Sergio Romero vorbei. In den Winkel. Ins Tor.



Bastian Schweinsteiger feiert das 1:0 gegen Argentinien mit Träner Joachim Löw.

Schürrles Dribbling, Schürrles linker Fuß, Götzes Brust, Götzes linker Fuß. Tor. Ein schönes Tor. Ein historisches Tor.

Zehn Minuten später rannte Schürrle, rannten alle deutschen Spieler auf Götze zu, drückten ihn auf den Rasen. Sie lachten. Sie weinten. Sie jubelten über das Tor. Sie jubelten über ein Tor im WM-Finale, das sie zu Weltmeistern gemacht hatte. Sie wussten, was nun kommen würde: Kapitän Philipp Lahm auf der Tribüne mit dem WM-Pokal. Und dann alle zurück auf den Rasen. Weiterjubeln. „Ich weiß nicht, wie wir feiern werden“, sagte Torwart Manuel Neuer, „aber wir werden mit einem Grinsen aufstehen.“

Es war der Rasen, den Bundestrainer Joachim Löw vor dem Spiel ganz ruhig betreten hatte, einen Becher Kaffee in der einen Hand, ein paar rausgerupfte Grashalme in der anderen. Er hatte einen Plan im Kopf, er vertraute den elf Spielern aus dem Halbfinale gegen Brasilien. Dann musste Löw ein erstes Mal seinen Plan ändern. Und stellte um. Sami Khedira fiel aus, Wadenprobleme. Ihn ersetzte Christoph Kramer.

Auf dem Rasen, den Löw getestet hatte, begann die Partie. Das WM-Finale. Eine intensive, körperliche, teilweise ruppige Partie. Eine Partie, in der nach 90 Minuten kein Tor gefallen war. In der die Spielerbeine müde wurden. Und dann rannte Schürrle, nahm Götze den Ball an, schoss mit links. Und die deutsche Auswahl hatte gegen Argentinien 1:0 nach Verlängerung gewonnen. Löw und seine Spieler, sie waren nun: Weltmeister. „Was wir geleistet haben und wie wir geackert haben, das ist unglaublich“, sagte Lahm, „die Mannschaft ist ruhig und geduldig geblieben, weil wir wussten, dass wir hinten raus mehr Körner haben.“
Ein historischer Tag. Auf den sie sich beim DFB gründlich vorbereitet hatten, mit der Routine des Alltags. 9 Uhr Aufstehen, Frühstück bis 9.30Uhr, Anschwitzen, Mittagessen um halb eins, um fünf vor zwei Teamsitzung, anschließend Abfahrt ins Stadion, ins Maracanã.

Auch auf die Argentinier hatten sie sich gründlich vorbereitet, auf diese zähe Mannschaft. Auf dem von Löw getesteten Rasen warteten auf die deutschen Spieler elf Männer, die ruppig spielten, körperlich, manchmal listig, manchmal fies. Elf Männer, die es Löws Mannschaft nicht ansatzweise so einfach machten wie die Brasilianer im Halbfinale.

Die Argentinier überließen der deutschen Auswahl zunächst großzügig den Ball, sie zogen sich in die eigene Hälfte zurück, verdichteten 15 Meter vor dem eigenen Strafraum mit zwei Viererketten die Räume. Löws Spieler passten sich den Ball zu, an der Mittellinie sicher. Doch je enger die Räume wurden, umso eher unterlief ihnen ein Fehlpass. Dann konterten die Argentinier. In der vierten Minute testeten die deutschen Spieler einen ihren Freistoßtricks, zu sechst standen sie um den Ball herum. Toni Kroos schoss den Ball in die Mauer. Ein schneller argentinischer Gegenangriff. Gonzalo Higuaín verfehlte das Tor aus spitzem Winkel.

Die größte Chance der ersten Halbzeit hatten ebenfalls die Argentinier. Kroos köpfte den Ball zurück zu Torwart Manuel Neuer, er übersah jedoch Higuaín, der sich nur drehen musste, er stand nun 18 Meter frei vor Neuer. Doch statt weiter zu laufen, schoss er sofort. Am Tor vorbei.

Und die deutsche Auswahl? Passte sich die Bälle zu, ruhig, manchmal zu ruhig. Sie erspielte sich kaum Möglichkeiten, immer wieder drängten die robusten argentinischen Defensivspieler sie vom Tor weg. Dann konterten die Argentinier. In der 30.Minute jubelte Higuaín, allerdings nicht lange, er stand im Abseits.

Eine Minute später änderte Löw seinen Plan. Und stellte um. Ausgerechnet Kramer musste nach einem Bodycheck gegen den Kopf ausgewechselt werden, Verdacht auf eine Gehirnerschütterung. Kramer war benommen, der Blick weit weg vom Rasen in Rio. Ihn ersetzte André Schürrle.

Eine Auswechslung, die für etwas mehr Gefahr sorgte. Thomas Müller dribbelte auf der linken Seite, passte den Ball in die Mitte, Schürrle schoss – Sergio Romero parierte (37.). Es folgten bis zur Pause kurzweilige Minuten, beide Teams hatten nun gute Gelegenheiten. Drei Minuten später dribbelte Lionel Messi über die rechte Seite nach vorne, er wurde im Fünfmeterraum gerade so gestoppt von Jérôme Boateng. Drei Minuten später eroberte Miroslav Klose den Ball, Özil passte zu Kroos, der schoss aus der Distanz, zu schwach. Dann, es lief bereits die Nachspielzeit, gab es eine letzte Ecke für die deutsche Elf. Kroos trat sie, am Fünfmeterraum schraubte sich Höwedes in die Luft, wuchtete den Ball mit dem Kopf – gegen den Pfosten.

Die zweite Halbzeit. Es blieb intensiv, ruppig, körperlich. Weiter passten sich Löws Spieler den Ball ruhig zu, manchmal zu ruhig, sie hatten weiter kaum Chancen. Und die Argentinier konterten weiter gefährlich, in der 47. Minute schlich Messi Boateng davon, sah im Tor vor sich Neuer. Messi schoss knapp am Pfosten vorbei.

Die Argentinier dagegen stellten weiter die Räume zu, engmaschig, konsequent, ruppig. Doch Löws Spieler passten sich weiter den Ball ruhig zu, sie ließen sich nicht verunsichern. Einmal kombinierten sie schnell durch dieses Defensivnetz, Müller passte zu ungenau zu Schürrle (71.). In den letzten zehn Minuten der regulären Spielzeit wurde das deutsche Passspiel flinker, überraschender. Nach einem feinen Zuspiel von Özil stand Kroos frei an der Strafraumgrenze, er schoss, zu schwach, zu ungenau, am Pfosten vorbei (82.).

Es ging in die Verlängerung. Die Spielerbeine wurden müde, die Spielerköpfe langsamer. In der 97. Minute verschätzte sich Hummels, plötzlich stand Rodrigo Palacio frei vor dem Tor, lupfte den Ball über Neuer. Und am Tor vorbei.

Dann lief die 113. Minute. Schürrles Dribbling. Schürrles linker Fuß. Götzes Brust. Götzes linker Fuß. Götzes Schuss in den Winkel. Ein spätes, ein schönes, ein historisches Tor.

Tagesblog - 14. Juli 2014

Woher der Hass? Tandems

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Wenn man auf der Parkbank sitzt und erst ein Fahrrad, dann ein Fußgänger und dann ein Tandem vorbeikommt – dann denkt man einen kurzen Moment, man hätte sich gerade verguckt. Zwei Leute, die hintereinander auf einem absurd langen Fahrrad sitzen und synchrone Strampelbewegungen machen? Echt jetzt?
 
Klar, Tandems müssen bei irgendwem beliebt sein, sonst würde ja niemand auf einem vorbeifahren. Aber die meisten Menschen radeln lieber auf Einsitzern und machen sich lustig über Doppelsitzer. Sie können nicht mal „Tandem“ sagen, ohne zu schmunzeln, und schwören, dass sie sich niemals draufsetzen würden, weder hinten noch vorne. „Albern“ seien Tandems, sagen die Tandem-Hasser, und es stimmt schon: Menschen auf Tandems sehen aus, als strampelten sie gerade durch den Sat.1-Fun-Freitag oder seien eine Slapstick-Einlage, die zwar lustig gemeint ist, über die aber trotzdem keiner lacht.
 


Sinnbild eines verhassten Beziehungsmodells: ein Tandem.


Hinter der Tandem-Ablehnung steckt aber noch mehr. Zum einen eines der quälendsten menschlichen Gefühle: die Fremdscham. Also das Wissen darum, dass etwas gerade peinlich aussieht, die Betroffenen das aber anders sehen. Oder, noch schlimmer, dass sie es wissen, diese Peinlichkeit aber irgendwie „witzig“ finden. Im Forum einer Datingseite im Internet schreibt ein User: „Ich finde Tandemfahren lustig, aber ich finde ich ja auch Partnerlook cool! ;)“ Ein Zwinkersmiley! Der meint Tandemfahren ironisch! Dabei vergisst er, dass Ironie nur in Verbindung mit Würde funktioniert. Wenn jemand ironisch ein Kassenbrillengestell auf der Nase tragen will, muss er mehr Haltung bewahren als jeder andere Brillenträger – sonst wirkt das Kassengestell bloß noch geschmacklos. Nun ist Würde schon auf einem normalen Fahrrad schwer zu bewahren. Auf einem Tandem ist sie unmöglich.
 
Die Überschrift des Forum-Beitrags lautet: „Welche Sportart eignet sich für Paare?“ Und das ist der zweite Hass-Anzünder: Tandems werden meist von Paaren gefahren. Nun sind Heterosexuelle Paare an sich schon ein leichtes Ziel. Weil sie sich viel zu häufig in einen symbiotischen Organismus verwandeln und gar nichts mehr allein entscheiden. Heterosexuelle Paare, die „etwas zusammen machen“ wollen und dafür ein Tandem besteigen, sind noch viel angreifbarer. Weil man sich bei ihrem Anblick sofort vorstellt, wie sie gesagt hat: „Wenn wir zusammen Rad fahren, fährst du immer 300 Meter voraus, das nervt!“ Wie er gesagt hat: „Du hängst doch immer 300 Meter zurück, das nervt!“ Und wie dann die Lösung nicht etwa lautete, dass einer langsamer beziehungsweise schneller fährt und zwei erwachsene Menschen einen Kompromiss finden, weil die Liebe sogar unterschiedliche Radfahrgeschwindigkeiten überwindet. Sondern weil beide sich lieber pragmatisch zusammenketten, die Selbstbestimmung aufgeben, vorne der Mann, hinten die Frau, das Tandem als Sinnbild eines verhassten Beziehungsmodells.
 
Besser wäre, der eine fährt, der andere sitzt auf der Stange. Da hat man immerhin Körperkontakt und alles ist so improvisiert, dass man zusammen lachen muss. Und wenn man umfällt, kann man einfach knutschen.


Lass dich drücken

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Ein bisschen umständlich sieht es aus, wenn sich Temple Grandin ihre Streicheleinheiten abholt. Die resolute Dame ist weit über 60, trotzdem kriecht sie regelmäßig auf allen Vieren in einen selbst gezimmerten Kasten aus Holz. Mindestens einmal in der Woche macht sie das noch heute. „The big squeeze“ steht auf der Vorrichtung – „das große Drücken“ oder „die kräftige Umarmung“ müsste man den Titel wohl übersetzen, den sie auf ein kleines Emaille-Schild an der Holzkiste hat gravieren lassen.



Das feste In-den-Arm-genommen-Werden vermittelt Geborgenheit - und ein Gefühl der Sicherheit

Den Druck, mit dem die Polster innerhalb des Holzkastens ihren Körper in die Mangel nehmen, kann Grandin mit der Hand steuern. „Da bleibe ich zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde drin, danach bin ich entspannter und fühle mich angenehm geborgen“, sagt sie. „Früher wollten die Lehrer und meine Mutter mir das Ding wegnehmen, weil sie dachten, ich bin verrückt. Aber ich war so süchtig nach diesem Gefühl – ich wollte meine Maschine nie wieder hergeben“, erzählt sie in einer BBC-Dokumentation.


Grandin ist Autistin. Sie verhielt sich auffällig als Kind. Die ersten Wörter sprach sie erst, als sie fast vier Jahre alt war, sie lachte nicht, weinte nicht, ließ sich nicht anfassen, beschmierte die Wände mit Kot. Ärzte vermuteten einen Hirnschaden bei dem kleinen Mädchen. In den 1950er-Jahren – Grandin wurde 1947 geboren – gab es nicht mal eine Diagnose für ihre Auffälligkeit. Gegen den Rat der Doktoren gaben ihre Eltern sie nicht in ein Heim, sondern ließen sie von Privatlehrern unterrichten. Später studierte die eigenwillige junge Frau und machte sogar ihren Doktor. Mittlerweile ist sie seit vielen Jahren Dozentin an der Universität Colorado und gilt als weltweit führende Expertin für die Haltung von Tieren, besonders von Rindern.

Als Achtjährige sah Grandin auf der Ranch ihrer Tante, wie Rinder sich spontan beruhigten, als sie zum Impfen in eine Vorrichtung mussten, in der sie seitlich gedrückt und fixiert wurden. Daraufhin krabbelte das Mädchen selbst hinein – und genoss es. Anfangs wollte Grandin von der Maschine ganz stark gedrückt werden, sodass es fast schon wehtat. Sie wollte Halt spüren. Berührungen von anderen Menschen konnte sie hingegen überhaupt nicht ertragen. Selbst auf Kleidung reagierte sie extrem empfindlich, besonders bei der Unterwäsche. Neue Hemden oder Blusen wusch sie zehnmal, so lange, bis sie weicher waren und nicht mehr auf der Haut kratzten.

Nach und nach stellte sie ihre Umarmungsmaschine auf sanfteren Druck ein. „Die Maschine macht mich zu einem angenehmeren Menschen. Ohne sie wäre ich schroff und kalt“, ist Grandin überzeugt. „Ich brauchte diese körperliche Erfahrung, um überhaupt Nähe empfinden zu können.“ Grandin weiß mittlerweile, was ihr guttut.

„Inzwischen hat die Wissenschaft zeigen können, wie wichtig der Druck ist, mit dem wir berührt werden, und welche unterschiedlichen Auswirkungen das hat“, sagt der Psychologe Dougal Hare von der Uni Manchester. Demnach führen leichte, zarte Berührungen mit nur sanftem Druck dazu, dass wir aufgeregt sind und im Körper eine Art Stressreaktion abläuft: Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz steigen, weil das sympathische Nervensystem aktiviert wird. Das Stresshormon Kortisol wird vermehrt ausgeschüttet. Es befeuert die Kampf- und Fluchtreaktion.

Kräftiger Druck bewirkt hingegen das Gegenteil. Er beruhigt und senkt die Stressantwort des Körpers; das parasympathische Nervensystem überwiegt. Der Blutdruck sinkt, der Puls ebenfalls. Andere Körperfunktionen verlangsamen sich auch. Inzwischen gibt es sogar Hinweise dafür, dass starker Druck („deep touch“) bei psychischen Leiden wie Depressionen hilfreich ist und die Angst lindert, wie Seelenärzte kürzlich zeigen konnten (Journal of Psychiatric Practice; Bd.20, S.71, 2014).

Wer keine Umarmungsmaschine wie Temple Grandin und auch keinen geeigneten Partner zur Hand hat, aber wieder mal so richtig gedrückt werden will, steht vor der Wahl: Auf eine der in Mode gekommenen Kuschelpartys gehen oder zum Gaudi-Raufen? Zarte Streicheleinheiten oder handfeste Rangeleien? Im Angebot hat die Berührungsindustrie mittlerweile beides, denn die Nachfrage nach mehr Körperkontakt ist enorm. Regelmäßig geben etwa die Hälfte der Deutschen an, dass sie sich nach Berührungen sehnen. Nur: Woher nehmen in einer Gesellschaft, in der es 40 Prozent Single-Haushalte gibt und auch Menschen mit Partner oft nicht die Berührungen bekommen, die sie bräuchten?

Eigentlich ist die Diagnose ziemlich zutreffend: „Der Mensch ist nicht nur ein geistiges, sondern auch ein körperliches, emotionales und soziales Wesen“, schreibt der selbst ernannte „Kuschelmeister“, der in und um München „Kuschelpartys“ für diverse Zielgruppen organisiert. „Und er hat entsprechende Bedürfnisse, die er in unserer Gesellschaft häufig nicht oder nur sehr oberflächlich befriedigen kann. Absichtsloses Kuscheln unter qualifizierter Anleitung kann dem so entstehenden Mangel entgegenwirken.“ Kuschelenergie – so nennen die Veranstalter das, was während der Treffen entsteht. Wildfremde Menschen finden sich zusammen, nennen sich allenfalls beim Vornamen und nach einer Aufwärmphase fassen sie sich an. Erotische Berührungen und Sex sind tabu bei diesen Events. Alle sind leger und bequem gekleidet, und der Körperkontakt soll einfach nur guttun und glücklich machen.

Glaubt man den Teilnehmern, finden sie auf derartigen Veranstaltungen endlich das, was sie im Alltag so vermissen: Nähe, ohne bedrängt zu werden. Sich einfach anschmiegen können, ohne dass mehr daraus wird. Man lehnt sich Rücken an Rücken und setzt sich in den Schoß des anderen, manchmal hintereinander wie bei Kindern, die Eisenbahn spielen. Zum Schluss legen sich alle auf das Matratzenlager und streicheln beim Gemeinschaftskuscheln drauflos. Vorher duschen ist erwünscht, aufdringliche Parfums sind es nicht. Wenn möglich, sollen die Teilnehmer „absichtslos“ kommen, schreibt ein Anbieter von Kuschelpartys. Aber was heißt das schon, denn eine Absicht verfolgen ja alle hier: unbedingt angefasst zu werden.

Gab es anfangs nur Treffen für sanfte Berührungen, finden sich jetzt auch handfeste Zusammenkünfte im Angebot, etwa das Gaudi-Raufen. Es geht also nicht nur um streichelnde Berührungen, auch an zünftigen Handgreiflichkeiten besteht offenbar Mangel. „Normalerweise ist der körperliche Umgang ja eher distanziert“, berichtet eine Teilnehmerin von ihren Erfahrungen beim „Rauftreff“ in der Nähe Münchens. „Aber hier kann ich meine Kraft nach außen bringen. Ich darf dabei auch laut sein und meine Anstrengung und meine Gefühle zum Ausdruck bringen.“

Menschen schätzen unterschiedliche Formen der Berührung. Das ist schon bei kleinen Kindern zu spüren. Manche wollen ganz fest in den Arm genommen werden, andere lieben es hingegen, sanft gestreichelt zu werden. Wiederum andere brauchen wenig Kontakt, ohne dass sie deswegen gefühlskalt wären. Und manches Kind mag am liebsten ständig gestreichelt werden. „Es gibt Cuddler und Nicht-Cuddler“, sagt Florian Heinen, Chefarzt für Neuropädiatrie und kindliche Entwicklung am Haunerschen Kinderspital der Uni München. „Die einen kuscheln viel und gerne, andere brauchen das nicht so, ohne dass daraus auf ihren Charakter oder ihre Entwicklung geschlossen werden könnte.“

Bei Erwachsenen und in Liebesdingen verhält es sich nicht anders. Jeder Mensch hat andere Vorlieben und Körperregionen, die bei ihm empfindlich sind und an denen sich besondere Wonnen auslösen lassen. Spezielle Tastkörperchen überall im Körper melden über verschieden schnell leitende Nervenbahnen an das Gehirn, ob wir behutsam oder heftig berührt werden, ob wir mit etwas Weichem oder Hartem Kontakt haben. Forscher sprechen inzwischen davon, dass der Tastsinn nicht nur taktile Reize von außen an das Gehirn weiterleitet, sondern auch der „affektiven Berührung“ dient, das heißt, über Haut-zu-Hautkontakt emotionale, hormonelle und andere Reaktionen im Körper stimuliert.

Während besonders schnell leitende Nervenfasern rasch Schmerzreize, Hitze und Druck weiterleiten, sodass die Hand sofort von der Herdplatte gezogen werden kann, gibt es spezielle Bahnen, die „soziale“ Berührungseindrücke langsam weiterleiten, wie Forscher in diesem Frühjahr im Fachblatt Neuron gezeigt haben (Bd.82, S.737, 2014). So als ob sie sich Zeit lassen, besondere Gefühle in aller Ruhe ankommen zu lassen.

Über die Ursachen dafür, dass Berührungen so unterschiedlich wirken, spekulieren Forscher noch. Leichter, behutsamer Körperkontakt findet ja auch beim liebevollen Austausch von Zärtlichkeiten statt, und dass Blutdruck und Puls im Reizgewitter in die Höhe schnellen, ist hinlänglich bekannt. Andere Forscher vermuten hingegen, dass leichte Berührungen eher zu einer Stressreaktion führen, weil sie – aus evolutionärer Sicht – auf die Berührung von Giftspinnen, Insekten und anderem lästigen Getier hinweisen und dann höchste Alarmbereitschaft geboten ist.

Für den Hausgebrauch ist es hilfreich herauszufinden, welche Form von Berührung gefällt. Die Schweizer Psychologin Anik Debrot kam nach langjährigen Studien über die Auswirkungen von Berührungen an der Universität Fribourg jedenfalls zu dem praktischen Schluss: „Los, nehmt eure Partner in den Arm – damit tut ihr beiden von euch etwas Gutes!“ Die Wissenschaft gibt für beide Formen von Berührungen ihren Segen, egal ob sanftes Streicheln oder kräftiger Druck gerade das Erwünschte ist.

Den Milliarden auf der Spur

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Paul Krugman bestellt Burger. Der Wirtschaftsprofessor und Nobelpreisträger hat einen jungen Ökonomen zum Mittagessen nach New York eingeladen: Gabriel Zucman, 27, französischer Juniorprofessor an der renommierten London School of Economics. Krugman interessieren dessen Studien zur Vermögensverteilung in den USA. Zucmans Zahlen zeigen, wie vor allem die reichsten 0,1 Prozent immer reicher werden.



Geld, das dem Staat entgeht: Zucman regt ein Umdenken im Umgang mit Steueroasen an

Nun isst er einen Salat und plaudert mit dem Nobelpreisträger über seine Ungleichheitsforschung. Nebenbei erwähnt er, dass er noch ein anderes Thema bearbeitet: Steueroasen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht wirklich bekannt ist, wie viel Kapital von Vermögenden in Steueroasen geparkt ist. Das Bankgeheimnis lässt nicht nur Finanzämter abprallen, auch Statistiker rätseln: Welchen Schaden richtet das Schwarzgeld an? Ökonom Zucman wertete internationale Kapitalströme aus, um den Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen. Eigentlich müssten die Kapitalausfuhren aller Länder genauso groß sein wie die weltweiten Kapitaleinfuhren – so wie ein Betrag bei jeder Überweisung auf zwei Konten auftaucht, einmal als Eingang und einmal als Abbuchung.

Doch die offiziellen Kapitalstatistiken sind falsch, sie weisen zu wenig Vermögen aus. Geld verschwindet, ohne irgendwo anzukommen. Das sind die Milliarden, die in Steueroasen angelegt werden.
Nach dem Mittagessen mailt Zucman eine PDF-Datei an Krugman. Der schreibt nach der Lektüre einen euphorischen Eintrag über Zucmans Arbeit in seinem Blog. „Das erzählt uns etwas darüber, wie die Welt wirklich funktioniert.“ Zucmans Weltsicht, die Krugman so beeindruckt hat, geht so: Einige Staaten – allen voran die Schweiz – stehlen anderen Ländern Geld, mithilfe von kriminellen Bankern. Der Forscher nennt aktuelle Daten, auch für Deutschland, nachzulesen in seinem Buch „Steueroasen“, das jetzt auf Deutsch erscheint, bei Suhrkamp. Demnach liegen bei Schweizer Banken derzeit 1000 Milliarden Euro, deren Eigentümer europäische Kunden sind. Der größte Teil, ein Fünftel, gehört Deutschen. Eine ebenso große Summe liegt auf Konten in Singapur, Hongkong, Luxemburg und anderen Steueroasen. Die Frage ist nun: Welche Menge wird an die heimischen Finanzämter gemeldet?

Geld im Ausland verwalten zu lassen, ist grundsätzlich nicht illegal. Das wird es erst, wenn das Sparkonto verheimlicht wird. Zucman geht davon aus, dass 80 Prozent des Offshore-Vermögens nicht deklariert werden. Das leitet er aus einer Statistik der Schweizer Banken ab. 80 Prozent klingt nach viel, doch die Größenordnung könnte realistisch sein, wie der Fall der Großbank Credit Suisse zeigt. Ermittlungen des US-Senats gegen Credit Suisse hatten ergeben, dass um die 90 Prozent der amerikanischen Konten nicht freiwillig angegeben wurden. Auf Deutschland übertragen kommt Zucman so auf ein illegales Offshore-Vermögen von 360 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plant, dieses Jahr 300 Milliarden Euro auszugeben.

Viel Geld also, das eigentlich allen Bürgern zusteht. Deswegen hört Zucman nicht mit der Präsentation von Zahlen auf, sondern schlägt Lösungen vor. „Im Kampf gegen die Steueroasen stehen wir erst ganz am Anfang“, sagt er der Süddeutschen Zeitung. Sein Vorgehen, trockene Daten mit politischen Forderungen zu verknüpfen, erinnert an das Auftreten von Thomas Piketty, der sein Doktorvater ist. Piketty stieß im Frühjahr mit seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ eine weltweite Debatte über Ungleichheit an.

Er erläutert auf rund 900 Seiten, dass das Vermögen der Reichen schneller wächst als das Einkommen der Mittelklasse – und sich so die gesellschaftlichen Schichten entzweien werden, wenn die Staaten nicht gegensteuern. Im Vergleich zu Pikettys Monstrum, das seitenweise Romane von Honoré de Balzac zitiert, hat Zucman ein dünnes Büchlein geschrieben, das deutlich verständlicher ist. Seine Forderungen sind allerdings nicht weniger radikal. Er begrüßt Pikettys Idee, mit einer Vermögensteuer gegen die aus seiner Sicht „explosionsartig zunehmende Ungleichheit“ vorzugehen.

Dem muss allerdings vorausgehen, dass das Geld nicht in Steueroasen versteckt ist – und hier setzt Zucman an. Er fordert ein Grundbuch für Vermögen. Während der Französischen Revolution habe die Nationalversammlung 1791 ein Kataster geschaffen, um den gesamten Immobilienbesitz zu erfassen. So wollten die Revolutionäre die Nicht-Besteuerung von Adel und Klerus unterbinden. Im 21. Jahrhundert müsse dieser Ansatz auf das Kapital übertragen werden, so Zucman. Übernehmen solle diese Aufgabe der Internationale Währungsfonds.

Allerdings werden die Steueroasen freiwillig wohl keine Informationen über ihre Kunden rausrücken. „Das Geschäft mit der Steuerhinterziehung ist sehr lukrativ“, sagt Zucman. „Einige Schweizer Banker haben das über Jahrzehnte betrieben und sind damit reich geworden. Wenn ihren illegalen Aktivitäten keine Kosten gegenüberstehen, werden sie nicht damit aufhören.“ Deswegen schlägt er Strafzölle gegen die Schweiz vor – in ebenjener Höhe, in der die Eidgenossenschaft vom geheimen Offshore-Geld profitiert.

Angemessen wäre, wenn Frankreich, Deutschland und Italien 30 Prozent auf Importe aus der Schweiz aufschlagen würden, erklärt Zucman. Das würde hauptsächlich die Chemieindustrie betreffen, außerdem die Hersteller von Maschinen und Uhren. Eine ähnliche Idee hat bereits Kai A. Konrad vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht vorgelegt, nur unter anderem Vorzeichen. In dessen Modell sollen die Steueroasen nicht zur Aufgabe gezwungen werden, sondern mit einer finanziellen Entschädigung zum Einlenken überredet werden. Für Zucman ist das keine Option: „Warum sollten wir die auch noch belohnen, die kriminell sind?“
Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA sollte die EU laut Zucman durch Gespräche über die Besteuerung von internationalen Konzernen ergänzen. Wenn sich Steuersparmodelle wie Apple oder Amazon durchsetzten, würden sonst irgendwann nur noch kleine Firmen Steuern zahlen, die auf nationalen Märkte aktiv sind, warnt er.

Mit den USA verhandelt die Europäische Kommission – und deren Chef soll ausgerechnet Jean-Claude Juncker werden, der ehemalige Premierminister von Luxemburg, der Steueroase mitten in der Europäischen Union. Die Kommission ermittelt gerade gegen Luxemburg, weil das Land Fiat einen zu günstigen Steuer-Deal angeboten haben könnte. „Junckers Vorgeschichte ist sehr schlecht“, sagt Zucman. „Aber geben wir ihm eine Chance.“

Vorsicht Kamera

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Ken Denman zieht Grimassen. „Ich mache jetzt mal einen großen Gesichtsausdruck der Freude“, sagt er und strahlt in seine Laptopkamera mit breitem Grinsen. „Oft sind Gesichtsausdrücke natürlich ein bisschen schneller.“ Denman lässt seine Mundwinkel ganz kurz nach oben zucken. Der Laptop reagiert, der grüne Streifen, der Freude misst, zuckt nach oben wie eine Herzfrequenz-Messung.



Unsere Mimik verrät uns: Lächeln wir beim Einkauf von Erdbeeren?

Wenn es stimmt, was Denman hier auf der Start-up-Konferenz in San Francisco erzählt, sieht so die Zukunft des Handels aus. Supermärkte oder Bekleidungsketten könnten Kameras vor den Regalen und Kleiderständern installieren und mit der Software von Denmans Start-up Emotient direkt erfahren, was die Kunden denken und fühlen. Emotient misst sieben sogenannte Primär-Gefühle: Ärger, Geringschätzung, Ekel, Angst, Freude, Traurigkeit und Überraschung – und Mischungen dieser Emotionen. Komplizierte Algorithmen messen Mimik wie zusammengekniffene Lippen oder hoch gezogene Augenbrauen. Wenn man also am Shampoo schnuppert und es stinkt, können die Supermarkt-Mitarbeiter es aus den Regalen nehmen. Oder wenn man über den niedrigen Preis einer Bluse frohlockt, kann der Laden die Preise erhöhen.

Emotient gibt es seit 2012. Sechs Doktoranden der University of California in San Diego haben das Unternehmen gegründet, alle haben zu verwandten Themen an der Uni geforscht. Das Start-up arbeitet auch an einer App, die auf der Datenbrille Google Glass laufen soll, es gibt schon eine Testversion, die recht gut funktioniert, sagt Denman. Dann kann man mit der Datenbrille die Gefühle des Menschen gegenüber ablesen – und Maschinen könnten das oft zuverlässiger als Menschen, die von ihren eigenen Emotionen beeinflusst werden.

Im Februar hat das kleine Unternehmen seine zweite Finanzierungsrunde abgeschlossen und sechs Millionen Dollar bei Wagniskapitalgebern eingesammelt. Ein Großteil des Geldes stammt von Handbag, einer Venture-Capital-Firma, die der Silicon-Valley-Investor Seth Neiman gegründet hat. Zuerst will sich das Unternehmen auf die Handelsbranche konzentrieren; aber auch andere Bereiche, etwa Werbung und die Gesundheitswirtschaft, seien langfristig interessant. „Die Fähigkeit, in Echtzeit Kundengefühle zu messen und dann Konsequenzen für Kundenbetreuung, Produkte und Merchandising zu ziehen, ist eine riesige Chance für Geschäfte, sich besser zu fokussieren und so die Verkäufe anzukurbeln“, sagt Denman.

Für Einzelhändler seien Informationen über die Gefühle der Shopper vor den Regalen entscheidend, sie geben bessere Auskünfte als Kundenbefragungen. Oft könne man Gefühle im Gesicht nur für den Bruchteil einer Sekunde ablesen, weil wir unsere Gefühle so schnell verdecken, sagt Denman. „Was wir sagen und was wir tun, sind zwei verschiedene Dinge.“ Dafür gebe es natürlich viele Gründe, aber: „Wichtig ist, dass wir einfangen können, was Leute wirklich denken und fühlen.“ Darum sei es wichtig, dass die Software blitzschnell arbeitet, „wenn unser Unterbewusstsein spricht und wir die Kaufentscheidungen treffen“.

Es gibt bereits einige Kritik an Unternehmen wie Emotient und den Gefahren des Missbrauchs der Software für die Gefühlserkennung. Technik entwickelt sich meist deutlich schneller als Regulierung, bisher hat der Gesetzgeber kaum auf Möglichkeiten der Gesichtsemotion-Erkennung reagiert.

Als Deutschland das letzte Mal Weltmeister wurde...

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1990...



… kostete der Liter Normalbenzin 1,14 DM...


... eine Halbe 99 Pfennig...


… und eine Kugel Eis rund 50 Pfennig.


... war Deutschland noch bis Oktober geteilt.

... sah Barack Obama so aus...


[plugin imagelink link="http://www.thesundaytimes.co.uk/sto/multimedia/archive/00018/Obama-Harvard-580_18738a.jpg" imagesrc="http://www.thesundaytimes.co.uk/sto/multimedia/archive/00018/Obama-Harvard-580_18738a.jpg"]

... und Angela Merkel so:


[plugin imagelink link="http://img1.brigitte.de/asset/Image/beauty/look-der-woche/angela-merkel/imago50256494h-250.jpg?cache=1703073600" imagesrc="http://img1.brigitte.de/asset/Image/beauty/look-der-woche/angela-merkel/imago50256494h-250.jpg?cache=1703073600"]


... sah so ein Mobiltelefon aus:


[plugin imagelink link="http://www.tagesspiegel.de/images/heprodimagesfotos84120120701soicm200318_05_300dpi-jpg/6819332/2-formatOriginal.JPG" imagesrc="http://www.tagesspiegel.de/images/heprodimagesfotos84120120701soicm200318_05_300dpi-jpg/6819332/2-formatOriginal.JPG"]

... und so beide zusammen:


[plugin imagelink link="http://dreisechsnull.telekom.de/fileadmin/user_upload/Redaktion/Bildarchiv/Mobilfunk_Angela_Merkel_768.jpg" imagesrc="http://dreisechsnull.telekom.de/fileadmin/user_upload/Redaktion/Bildarchiv/Mobilfunk_Angela_Merkel_768.jpg"](Foto: Fabrizio Bensch / Reuters)


… war "Die neuen Bundesländer" Wort des Jahres...


… und Helmut Kohl Bundeskanzler. 


... wurde Nelson Mandela nach mehr als 27 Jahren aus der Haft entlassen und läutete damit das Ende der Apartheid in Südafrika ein.



... tanzte man zu Rap noch so:


[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/11rIergnpiYpvW/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/11rIergnpiYpvW/giphy.gif"]

... und so:


[plugin imagelink link="http://www.reactiongifs.com/wp-content/uploads/2013/10/vanilla-ice-ice-baby.gif" imagesrc="http://www.reactiongifs.com/wp-content/uploads/2013/10/vanilla-ice-ice-baby.gif"]


... hatte Surfen nur mit Wasser und nichts mit dem Internet zu tun.


http://www.youtube.com/watch?v=4I-fMM9RESM

… war (im WM-Monat Juli) das hier Nummer eins in Deutschland: 


http://www.youtube.com/watch?v=x6q0ciiqyG0  

... sah das Bravo-Cover in der Finalwoche so aus:


[plugin imagelink link="http://brav0.de/bilder/508xx35/bravo-titelbilder-1990-bild-28-42jk-WQfb.jpg" imagesrc="http://brav0.de/bilder/508xx35/bravo-titelbilder-1990-bild-28-42jk-WQfb.jpg"] (Foto: Heinrich Bauer Smaragd KG)


... gewann Toto Cutugno in Zagreb mit dem Lied "Insieme: 1992" für Italien den 35. Grand Prix Eurovision de la Chanson (so hieß das damals!):  


http://www.youtube.com/watch?v=eGlJyCXNu_M&feature=kp

... sah Michael Jackson so aus:


http://www.youtube.com/watch?v=VUKpWgqmsXs

… lief das im Fernsehen:  


[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/5CneX2xXm7fUI/giphy.gif " imagesrc="http://media.giphy.com/media/5CneX2xXm7fUI/giphy.gif "]

[plugin imagelink link="https://38.media.tumblr.com/d7f8c4840a247ff07c6aeb27a84e242a/tumblr_n5vzdrZP771qcm0m3o1_500.gif" imagesrc="https://38.media.tumblr.com/d7f8c4840a247ff07c6aeb27a84e242a/tumblr_n5vzdrZP771qcm0m3o1_500.gif"]

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[plugin imagelink link="http://media2.giphy.com/media/UuDxS2EBRZSyA/200.gif " imagesrc="http://media2.giphy.com/media/UuDxS2EBRZSyA/200.gif "]

...kam "Edward mit den Scherenhänden" ins Kino.


[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/mJ1PvGTDcEn9m/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/mJ1PvGTDcEn9m/giphy.gif"] 

... war Arnold Schwarzenegger noch ein geiler Typ...


http://www.youtube.com/watch?v=WFMLGEHdIjE

... und DAS waren noch super Animationen.  


[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/YBLriyXJXP3vW/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/YBLriyXJXP3vW/giphy.gif"]

... kehrte "Chucky die Mörderpuppe" zurück und raubte uns den Schlaf.


[plugin imagelink link="http://38.media.tumblr.com/8f03e64f8c74d949ea96648a1b9796ee/tumblr_mqt0bau1hD1rjrao4o1_400.gif" imagesrc="http://38.media.tumblr.com/8f03e64f8c74d949ea96648a1b9796ee/tumblr_mqt0bau1hD1rjrao4o1_400.gif"]

 … war der wichtigste Move:  


[plugin imagelink link="https://31.media.tumblr.com/a8edf17cf3c02637215c0153b5d5c572/tumblr_n8nrn4hDO21tedsgho1_400.gif " imagesrc="https://31.media.tumblr.com/a8edf17cf3c02637215c0153b5d5c572/tumblr_n8nrn4hDO21tedsgho1_400.gif "]

... und Yoshi schlüpfte das erste Mal aus dem Ei:


[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/1ORxrBqFw1fVu/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/1ORxrBqFw1fVu/giphy.gif"]

... war Playback für manche noch kein Problem...


http://www.youtube.com/watch?v=lTaXtWWR16A

... für andere schon:


http://www.youtube.com/watch?v=EdRrCZ9DDcw

... rief der Vatikan zum Boykott von Madonnas Konzerten auf, weil sie bei "Like A Virgin" Masturbation simulierte.


http://www.youtube.com/watch?v=VUYzA-kBXWw


... fand das Wacken-Festival zum ersten Mal statt.


… erfolgte neun Monate nach der WM ein Einbruch in der Geburtenrate - vielleicht, weil es damals noch kein Public Viewing gab?


… wurde der Grüne Punkt eingeführt...  


... und die Diddl-Maus von Thomas Goletz zum ersten Mal skizziert.


… wurden innerhalb eines Jahres sowohl auf Wolfgang Schäuble als auch auf Oskar Lafontaine Attentate verübt, bei denen beide jeweils lebensgefährlich verletzt wurden.


... hieß Twix noch ein Jahr lang Raider.


... kamen Toni Kroos, Cro, Emma Watson und Jennifer Lawrence zur Welt.


... waren die beliebtesten Vornamen für Mädchen: Julia, Lisa, Sabrina, Melanie, Sarah, Vanessa, Jennifer, Laura und Katharina. Und für Jungs: Alexander, Jan, Marcel, Tobias, Christian, Sebastian Philipp, Daniel und Kevin.


... lief die letzte Folge "Alf".


[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/OpGnYefnLfNkc/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/OpGnYefnLfNkc/giphy.gif"]

... gewann "Miss Daisy und ihr Chauffeur" den Oscar als bester Film.


... kosteten Ortsgespräche zur Hauptzeit (8-18 Uhr) 2,9 Pfennige die Minute, zur Nebenzeit 1,9.



... war bei Männern der Vokuhila noch okay.


[plugin imagelink link="http://mediadb.kicker.de/1990/fussball/spieler/xl/396_15_20121119152141968.jpg" imagesrc="http://mediadb.kicker.de/1990/fussball/spieler/xl/396_15_20121119152141968.jpg"] (Quelle: kicker.de)

... und der "Rattenschwanz" hielt sich bei Jungs sogar noch bis Mitte der Neunziger.


[plugin imagelink link=" http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/18/Cornelius_Zopf.JPG" imagesrc=" http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/18/Cornelius_Zopf.JPG"]

... war das optisch bei Mädchen angesagt:


[plugin imagelink link="http://cdn.maedchen.de/bilder/cover-maedchen-08-1990-426x600-1268099.jpg " imagesrc="http://cdn.maedchen.de/bilder/cover-maedchen-08-1990-426x600-1268099.jpg "](Bild: maedchen.de)

... und Tom Cruise war "Sexiest Man Alive".


[plugin imagelink link="http://img2.timeinc.net/people/i/2007/specials/sexiest_man/covers/7_23_90_300x400.jpg" imagesrc="http://img2.timeinc.net/people/i/2007/specials/sexiest_man/covers/7_23_90_300x400.jpg"]

"Oft kritzeln wir auf eine Kekspackung"

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Die Setlist als Kunstwerk und Bastelbogen: Unsere Fotos zeigen Listen mit Songs der Berliner Indieband Bonaparte. Sie stammen aus dem Bildband "Three years in the heart of Bonaparte".





Kool Savas


  „Ich bin ein ziemlicher Setlist-Nazi. Schon zu Beginn meiner Karriere habe ich mir tagelang den Kopf darüber zermartert, mit welcher Song-Reihenfolge ich meine Konzerte spielen soll. Die Ansprüche an die Setlist sind situationsabhängig: Wie groß ist das Repertoire? Wie viele Hits hat man? Welche Art Crowd erwartet einen? Wie lange geht die Show?

  Mit zunehmender Erfahrung entwickelt man aber ein Gespür dafür, wie die perfekte Setlist auszusehen hat. Und es gibt bestimmte Regeln. Bevor wir auf Tour gehen, schreibe ich beispielsweise alle live-tauglichen Songs auf Post-its und hänge sie in den Proberaum. Die richtigen Live-Banger, also die Songs, die bei einem Konzert in der Regel gut ankommen, hebe ich noch einmal mit andersfarbigen Post-its ab. Dann baue ich mir Blöcke aus zwei bis vier Songs zusammen – je nachdem, wie viele raptechnische Abfahrten ich mir zumuten kann. Jede Show proben wir bis zu 20 Mal, dabei fallen uns immer wieder Schwächen in der Setlist auf, die wir dann korrigieren. Aber auch während der Tour stellen wir die Setlist manchmal noch um.

  Wichtig ist ein Intro, das zum Motto des aktuellen Albums und der Tour passt. Und natürlich der erste Song, der im Optimalfall einen richtigen Knalleffekt erzeugt. Tracks, die zu alt sind und nicht mehr funktionieren, weil die Konzertbesucher sie nicht mehr kennen, lasse ich unberücksichtigt – es sei denn, sie sind mir persönlich wichtig.

  Man darf nicht vergessen: Eine miese Setlist kann selbst einen guten Künstler in ein schlechtes Licht rücken. Ich war zum Beispiel mal bei einem Jamiroquai-Konzert, auf dem er vorwiegend neue Songs gespielt hat, die niemand kannte. Seine großen Hits hingegen liefen, wenn überhaupt, als Remixes. Technisch war das zwar alles gut, aber es hat niemanden wirklich gecatcht.

  Am wichtigsten bei einem Konzert ist ein funktionierender Spannungsbogen. Ich beginne gerne ruhig, ganz kurz, und dann: Boom! Dann muss ein Song kommen, der ganz viel Energie hat; Energie, die ich dann für zirka zehn Minuten zu halten versuche. Zwischendurch braucht man aber immer auch ein paar ruhige Songs, um das Publikum durchatmen zu lassen. Am Ende mündet ein Konzert dann in drei bis fünf Songs, die in der Regel jeder kennt – also Hit-Singles und Klassiker. Letztlich ähnelt ein gutes Konzert vom Aufbau her einem guten Film. Richtig oder falsch gibt es dabei nicht – solange die Besucher am Ende glücklich nach Hause gehen.

  Am schwierigsten sind Konzerte vor „fremdem“ Publikum – also Shows, bei denen die Besucher nicht allein wegen dir gekommen sind, wie bei einem Festival. Wenn man dann nicht eine Wahnsinns-Performance hinlegt, kann das schon mal in die Hose gehen. Aber manchmal muss man bloß die richtigen Dinge sagen, um das Publikum auf seine Seite zu ziehen.“
 



Bosse


„Nach so vielen Konzerten geht es meiner Band und mir immer öfter darum, uns selbst zu überraschen. Das bedeutet, dass wir zwischen unseren gesetzten Liedern, neue, sehr alte oder überarbeitete einbauen. Dazu gehört es auch, im Konzert Sachen umzuschmeißen. Das hält die Gehirne wach.

  Nach der ersten Tour zu unserem neuesten Album „Kraniche“, bei der wir immer dasselbe Set gespielt hatten, hätte man mich nachts aufwecken können und ich hätte die Reihenfolge der Songs ohne nachzudenken runtergebetet. Das muss man kaputt machen. Man findet sich sonst selbst langweilig und das fühlt sich schon im Ansatz schlimm an.

  Trotzdem gibt es, wenn ich drüber nachdenke, seit Jahren eine wiederkehrende Struktur bei unseren Setlisten. Die Kurve verläuft in etwa so: Hallosagen, antanzen, sehr dolle tanzen, runterfahren – hier und da akustisch –, zuhören, hart tanzen, Abschied in Ruhe. So haben wir das intuitiv oft gemacht und das ist, mit all diesen Höhen und Tiefen, auch für den Körper fair und super. Für den des Zuschauers und für den eigenen: Mit 23 konnten wir noch zwei Stunden ballern. Heute ist das für mich unvorstellbar.

  Im besten Falle sollte die Setlist also einen unterhaltsamen Konzertabend abstecken, der dich fängt, anpackt, durchschüttelt, froh und traurig gleichzeitig macht und dich irgendwann mit all dem nach Hause schickt. So versuche ich sie also Abend für Abend neu zu schreiben.“

Auf der nächsten Seite: Einer der ersten deutschen Rapper erklärt, warum er seine Setlist schon Wochen im Vorhinein schreiben muss.
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Smudo


„Die beiden ersten Fragen sind immer: In welchem Rahmen spielen wir? Und: Wie lang soll die Show sein? Auf unserer Tour spielen wir rund zwei Stunden vor Fanta-4-Fans, die natürlich ganz anders über unser Repertoire informiert sind als Festivalbesucher. Doch auch bei denen gibt’s feine Unterschiede: Rock am Ring bietet ein breit ausgelegtes Rock-Pop-Programm, beim Sonne-Mond-Sterne-Festival darf’s gerne elektronisch sein und beim Open Flair auch ein wenig bekifft. Dass wir traditionell immer schon aus allen Genres entlehnte Musik machen, ist da ein klarer Vorteil.

Als wir Ende der Neunziger als Support von U2s „PopMart“-Tour engagiert wurden, war klar, dass wir das am Nachmittag noch beim Grillwurst-Essen befindliche U2-Publikum, das bestenfalls unsere Singles kennt, nicht mit einem „Peng! Hallo, da sind wir“-Entrée verscheuchen dürfen. Also haben wir Thomas Ds Live-Kracher „Krieger“, der normalerweise immer als eine Art Abkühlung zwischen zwei Abgeh-Blöcken platziert wird, gleich als Intro benutzt. Sprich: Langsames Rangeschleiche – und der U2-Kunstinteressierte wurde neugierig. Hat gut funktioniert.





  Eine Setlist wird nach einer Reihe verschiedener Grundregeln erstellt. Wichtig ist, die aktuellste Single möglichst rasch zu spielen. Mich nervt’s immer ungemein, wenn eine Band ihren aktuellen Kracher in die zweite Zugabe verdrängt. Das ist übrigens auch eine Regel: Niemals einen zweiten Zugabenblock! Das langweilt die meisten und man läuft Gefahr, einen Gutteil des Publikums mit dem ziellosen Gefühl zurückzulassen, dass es vor zehn Minuten noch geil war, nun aber Müdigkeit und Kondition an der eigenen Unterhaltungsfähigkeit nagen. Zu viele Zugaben sind die pure Eitelkeit.

  Ein gutes Set sieht für uns folgendermaßen aus: Ein toller Opener zum Reinkommen, die aktuelle Single zum Warmwerden und dann ein bis drei okaye Sachen für die verschiedensten Geschmäcker. Dann der erste Abgeh-Rumspring-Part, gefolgt von etwas Besinnlichem, Musikalischem oder eventuell Kuriosem für die Bandbreite. Der daran anschließende Abgeh-Part zieht in jedem Fall wieder hoch, bevor dann ein solider Runterkomm-Song vor der Zugabe kommt. Die wird dann mit Abgehen aufgerissen, darauf folgen ein bis zwei klassische Hits zum Verschmelzen mit dem Publikum; dann eventuell noch ein geheimnisvoller schräger Song, und dann wird das Publikum mit großem Hurra-Party-Mitgrölspaß entlassen. Bewährte Abgehklassiker sind bei uns zum Beispiel „Was Geht“ und „Populär“, Mitgröl-Hymnen beispielsweise „Troy“ und „Es könnte alles so einfach sein“.

  Manchmal, auf großen Festivals mit vielen Bands oder bei TV-Ausstrahlungen, muss man minutengenau aufhören. Dann kann es sein, dass wir einen Song extra ins Set aufnehmen und dann auf kurzen Zuruf wieder rausnehmen müssen, vorzugsweise in der Zugabe – das wird dann noch schnell besprochen. In all den Jahren hat sich eine gute Faustformel ergeben: Liederanzahl multipliziert mit 4,5 ergibt die Länge des Sets in Minuten, inklusive Moderationen.

  Manchmal entstehen gut funktionierende Kombinationen, die wir zum Teil jahrelang spielen – zum Beispiel der Übergang von „Yeah Yeah Yeah“ zu „MfG“, den wir 2010 zur damaligen Tour gebastelt haben und der heute noch ein Highlight in unserem Festival-Set ist. Es kommt auch vor, dass wir uns in der Wirkung eines Liedes verschätzen, und manchmal werden aus unscheinbaren Füllern doch Live-Kracher, die dann eine dementsprechende Position im Set erhalten. Genauso gut kann es aber auch sein, dass ein Track auf Tour tot gespielt wird und nie wieder in ein Set gelangt.

  Jede Setlist wird in den Laptop getippt und für alle Gewerke des Abends ausgedruckt – also für Front-of-House-Mischer, Monitor, den Mitarbeiter auf der Bühne, Lichtregie und gegebenenfalls anwesende Filmcrews. Manchmal müssen Setlisten schon Wochen vor dem tatsächlichen Abend fertig sein, weil natürlich nur die dafür entsprechende Hardware in die Trucks geladen wird. Gerade bei Festivals sind die Bühnenpläne sowie Licht- und Videohardware-Listen stark von den Songs abhängig.“
 



I Heart Sharks


  „Wir würden nie dieselbe Show noch mal spielen. Täten wir das, wären wir in eine gefährliche Routine geraten. Die gilt es unbedingt zu vermeiden. Die Setlist ist eine dieser Sachen, die leben und sich ständig verändern sollen. Schon direkt nach einem Konzert und kurz vor der ersten Zugabe rufen wir uns hinter der Bühne zu, was wir beim nächsten Mal bei der Reihenfolge anders machen sollten, weil es vielleicht besser funktioniert.

  Jede Setlist muss eine Maßanfertigung sein. Sie muss perfekt zum Kontext passen, in dem wir stattfinden. Das heißt nicht, dass wir uns beim Erstellen der Setlist nur noch nach anderen richten. Aber wir müssen uns natürlich anders präsentieren, wenn wir in einem Fernsehstudio sind und für Leute spielen, die zu Hause auf den Sofas sitzen, als wenn wir um Mitternacht irgendwo vor einer Horde betrunkener Teenager spielen.





  Frank Zappa hat mal gesagt, dass das Wichtigste an Kunst der Rahmen sei. Wenn der nicht gut gewählt sei, würden sich die Leute fragen: „What’s that shit hanging on the wall?“ Wir sind zwar keine großen Zappa-Fans, aber damit hat er es auf den Punkt gebracht.

  Manchmal planen wir unsere Setlist schon Tage vor dem Konzert, und es passiert, dass wir Minuten vor der Show noch mal alles umschmeißen und die neue Setlist schnell auf eine leere Kekspackung kritzeln, bevor wir damit vor ein paar tausend Leute treten. Klar, wir können nicht erwarten, dass jeder, der zu unseren Shows kommt, all unsere Songs kennt – vor allem dann nicht, wenn wir auf einem Festival auftreten. Dort ist es wichtig, die Leute zu überraschen und etwas mit ihnen zusammen zu machen. Sie sollen eingebunden werden, auch wenn sie schon seit sieben Uhr morgens saufen und sich von der Sonne verbrennen lassen.

  Einzig unseren Song „Neuzeit“ spielen wir immer, und immer am Ende. Weil den einfach die meisten schon mal gehört haben und sogar mitsingen können – und das, obwohl der Refrain in ganz miesem Deutsch gehalten ist."
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