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Damit konnten Sie rechnen

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Ist das nun ein Tabubruch oder ist es ganz normal? Im Januar 2012 veränderte Facebook bei fast 700000 zufällig ausgewählten Nutzern den Algorithmus, nach dem das Netzwerk Posts von Freunden und abonnierten Seiten anzeigt. Eine Text-Software kategorisierte die Nachrichten je nach den darin verwendeten Wörtern als positiv oder negativ. Bei einem Teil der Nutzer wurden die positiven Nachrichten reduziert, bei einem anderen Teil die negativen, dazu gab es Kontrollmechanismen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern im Dienst von Facebook und von zwei amerikanischen Universitäten wollte herausfinden, ob das Netzwerk Einfluss auf die Gefühle der Nutzer nehmen kann. Das Ergebnis war: es kann. Die Auswirkungen waren gering, aber statistisch signifikant.



Eine Gruppe von Wissenschaftler wertete Posts von zufällig augewählten Nutzern aus. Diese hat Facebook teilweise manipuliert.

Zahlen zu dem Experiment wurden vor etwa einem Monat in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht und gingen als Nachricht weltweit durch die Medien. Nun, einen Monat später, angestoßen durch das liberale Ostküstenmagazin „The Atlantic“, hat der Aufsatz jedoch eine weitere, neue Welle ausgelöst, diesmal eine Welle der Empörung über Facebook und die dort wirkenden Wissenschaftler. Der Vorwurf lautet, sie hätten unwissende Nutzer als Versuchskaninchen benutzt. Das haben sie auch, daran kann kaum Zweifel bestehen, die Frage lautet nun vielmehr: durften sie das?

Bei erster ethischer Betrachtung scheint klar: Es ist, vorsichtig ausgedrückt, äußerst fragwürdig, Informationen, die Menschen erhalten, zu manipulieren, um die Menschen selbst zu manipulieren. Das lässt sich auch relativ einfach mit Kant begründen. Denn Menschen wurden in diesem Fall wirklich zum Mittel für die Forschung gemacht. Utilitaristisch, nach der in den angloamerikanischen Ländern weit verbreiteten Nützlichkeitsethik, die auf das Glück der Menschen abstellt, ist die Argumentation schon schwieriger. Zwar wurde die Hälfte der Teilnehmer absichtlich unglücklicher gemacht, aber zu einem guten Zweck. Man kann die gewonnenen Ergebnisse nun verwenden, um Menschen insgesamt glücklicher zu machen. Allerdings beraubt man sie damit ihrer Freiheit, was John Stuart Mill, einer der Begründer des Utilitarismus, in seiner Schrift „On Liberty“ als Mittel, sie glücklich zu machen, vehement ablehnte.

Das Ganze ist auch wissenschaftsethisch fraglich, weil die „Versuchspersonen“ nicht informiert wurden, sie also kein Einverständnis damit erteilen konnten, was zum wissenschaftlichen Standard gehört. Facebook ist gewohnt, sich für seinen Umgang mit Daten rechtfertigen zu müssen. Deshalb verweist die Firma auf ihre Nutzungsbedingungen. Dem kann man nicht widersprechen. Klickt man sich durch etliche Seiten und Unterseiten, stößt man auf den einschlägigen Passus. In den deutschsprachigen Nutzungsbedingungen erklärt man sich laut „Datenverwendungsrichtlinien“ damit einverstanden, dass Facebook die „Vielzahl an verschiedenen Informationen“ über die Nutzer „beispielsweise“ „für interne Prozesse, u. a. Fehlerbehebung, Datenanalyse, Tests, Forschung und Leistungsverbesserung“ verwenden kann. Aber ist das auch schon eine ausreichende Grundlage für das Experiment, jenseits der rechtlichen Fragestellung? Offenbar nicht für alle. „Nein, Facebook, das ist NICHT, was informed consent bedeutet“ oder: „Zeit, meine Internet-Safety policies zu updaten: Nutzungsbedingungen lesen, nur für den Fall, dass sie beim nächsten Mal auch Organentnahme beinhalten“, lauten Twitternachrichten, die in den Medien zitiert werden.

Hier eröffnet sich jedoch auch zugleich ein allgemeines Problem von psychologischen Experimenten. Sie können oft nicht funktionieren, wenn die Versuchspersonen vorher vollständig aufgeklärt wurden. Werden etwa Münzen in öffentlichen Fernsprechern zurückgelassen, um die Reaktion der Finder unter verschiedenen Bedingungen zu untersuchen, kann man sie nicht vorher darauf hinweisen, dass sie mit dem Erblicken der Münzen schon Teilnehmer einer Studie geworden sind. Auch weiß man zum Beispiel, dass bestimmte Düfte Menschen zum Kaufen verleiten, das wurde durch Versuche herausgefunden und wird laufend angewendet. Kein Kunde wird darauf hingewiesen, dass das Kaufhaus, das er betritt, die Luft mit Duftessenzen anreichert oder bestimmte Musik spielt, um ihn in Kauflaune zu bringen.

Es zeigt sich ein paradoxer Effekt: Die Empörung scheint größer zu sein, wenn die Manipulation zu Forschungszwecken erfolgt, die Menschen also nicht zu einem bestimmten erwünschten Verhalten selbst gebracht werden sollen – wie es in der Wirtschaft gang und gäbe ist. Jede Bedienung etwa weiß, dass sie mehr Trinkgeld bekommt, wenn sie freundlich ist oder es zumindest vorspielt, und tut deshalb genau das. Auch dazu gibt es wieder Untersuchungen, die ohne vorherige Einverständniserklärung erfolgt sind: Gäste geben mehr Trinkgeld, wenn der Kellner oder die Kellnerin sie am Arm berührt oder ein Smiley auf die Rechnung malt.

Natürlich eröffnet all das Missbrauchsmöglichkeiten ohne Ende – bis hin zu Horrorszenarien von Orwellschem Ausmaß. Das ist aber letztlich nicht so sehr das Problem des nun in der Kritik stehenden Versuchs, sondern ein allgemein menschliches Problem. Wir haben in der deutschen Geschichte mehr als leidvoll erfahren, wie sehr Menschen durch Medien manipuliert werden können. Der frühere italienische Ministerpräsident Berlusconi hat so etwas wie das Facebook-Experiment mit seiner Medienmacht auf nationaler Ebene durchgeführt und nicht zuletzt dank der Selektion von Nachrichten und ungleicher Medienpräsenz wiederholt seine Wahlen gewonnen. Man kann Berlusconis Erfolg im Nachhinein fast nur noch belächeln, wenn man sieht, was gerade in der Türkei oder in Russland geschieht, um nur die aktuellsten Beispiele zu nennen. Im Grunde gehört genau dieses Vorgehen zum längst bewährten Werkzeugkasten aller Mächtigen in Ländern mit einem Demokratiedefizit.

Die Manipulation funktioniert – wie stark oder schwach, sei dahingestellt. Daran hat vermutlich niemand gezweifelt. Nun jedoch wird diese eine Studie zum Stein des Anstoßes, die Empörung ist groß. Ein bisschen hat man das Gefühl, es ist der Überbringer der schlechten Nachricht, der geschlagen wird. Vermutlich führt Facebook laufend hunderte, wenn nicht tausende derartiger Versuche durch, vor allem um mithilfe der Ergebnisse die Klickhäufigkeit, die Verweildauer und die Werbe-Effektivität zu steigern. In abgewandelter Form machen das wohl alle größeren Webseiten. Nur weil dieser eine spezielle Versuch wissenschaftlich begleitet und veröffentlicht wurde, kommt es nun zur großen Empörung.

Bei nüchterner Betrachtung kann man aus dem Ganzen zwei Schlüsse ziehen. Zum einen muss ich gestehen, dass ich, obwohl ich nicht umhin komme, das Experiment als unethisch abzulehnen, nicht in dem Maße empört bin. Vermutlich vor allem deshalb, weil es mich nicht überrascht hat und ich nicht überrascht bin. Meines Erachtens muss jeder kritisch denkende Mensch damit rechnen, ja davon ausgehen, dass so etwas geschieht und in gewissem Ausmaß Teil jedes modernen Marketings ist. Vor diesem Hintergrund erscheint eine derartige Manipulation über eine Woche als ein eher geringer Eingriff – auch wenn zumindest eine nachfolgende Information hätte erfolgen sollen. Zudem weiß jeder Facebook-Nutzer aus eigener Erfahrung, dass die Postings gesiebt werden, von Automatismen, die man nicht durchblickt und die laufend verändert und optimiert werden. Optimiert dann wohl im Sinne Facebooks, das ja wachsen will, Umsätze generieren und seine Nutzer binden. Anderes anzunehmen, wäre darum mehr als blauäugig.

Vor allem aber kann man das Experiment umgekehrt sehen und einordnen: Die Wissenschaft hat in diesem Fall ihren Job gut gemacht, sie hat ganz im Sinne der Aufklärung gehandelt, um zu Kant zurückzukehren. Nimmt man seine berühmten Definition: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“, dann haben das Experiment, seine Veröffentlichung und die Diskussion darüber die Menschen im besten Sinne aufgeklärt. Sie haben den Menschen geholfen zu erkennen, dass und wie sie manipuliert werden können – und auch manipuliert werden. Dank dessen können sie sich nun besser wehren, haben also einen Ausgang aus der Unmündigkeit der Manipulierbarkeit aufgezeigt bekommen. Alleine schon durch die Information, welche Manipulationen möglich sind und wie sie funktionieren. Wenn wir aber diesen Ausgang nicht erkennen und mit wachem Bewusstsein nutzen, sind die Unmündigkeit, die weitere Beeinflussung und Manipulation ohne unsere Gegenwehr wirklich selbst verschuldet.

Enthüllung des Rechts

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Nichts schürt die Emotionen so zuverlässig wie ein Rechtsstreit um religiöse Symbole. 1995 schlitterte das Bundesverfassungsgericht in eine Krise, als es die Kruzifix-Pflicht in bayerischen Klassenzimmern kassierte. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sein Trauma mit dem Kreuz: Sein Urteil von 2009, mit dem er Kruzifixe in Klassenzimmern verbot, hatte in Italien einen Sturm der Entrüstung entfacht. Erst im zweiten Durchgang lenkte der Gerichtshof ein und ließ die Kreuze hängen.



Zwei verschleierte Frauen in Offenbach.

Das Prinzip der maximalen Aufregung könnte den Menschenrechtsgerichtshof erneut treffen. An diesem Dienstag urteilt er über das Burka-Verbot in Frankreich, dem Land der erstarkten Rechtspopulisten. Das Gesetz stammt vom April 2011, Frankreich gab sich als Vorreiter im Kampf gegen den Schleier. Geklagt hat eine junge Französin – die sich laut ihrem Anwalt nicht unterdrückt fühlt. Sie habe sich freiwillig für die Verhüllung ihres Gesichts entschieden und trete leidenschaftlich „für die Republik“ ein.

Die Frage, ob muslimische Frauen sich verschleiert in der Öffentlichkeit bewegen dürfen, treibt die Politik europaweit um. 2011 hat Belgien ein Burka-Verbot erlassen, 2012 folgten die Niederlande; damals hatten die Rechtspopulisten Einfluss auf die dann gescheiterte Minderheitsregierung. Auch Barcelona sowie der Schweizer Kanton Tessin haben den Vollschleier verboten, und in Italien gilt ein altes – seinerzeit nicht auf Muslime gemünztes – Vermummungsverbot in öffentlichen Einrichtungen.

Das französische Burka-Gesetz führt mitten in eine integrationspolitische Debatte. Dass die Vollverschleierung nicht gerade von gelungener Eingliederung in eine westliche Gesellschaft zeugt, darüber herrscht zwar weitgehend Einigkeit, nur: Darf man den Verzicht auf die Gesichtsverhüllung per Gesetz und Geldstrafe erzwingen? Noch dazu wenn es um eine winzige Minderheit geht: In Frankreich schätzt man, dass sich 2000 bis 4000 Frauen verschleiern wollen, in Belgien und den Niederlanden sollen es ein paar Hundert sein. In der Anhörung im November 2013 warf ein Richter die Frage auf: Dient das Burka-Verbot wirklich dem gesellschaftlichen Zusammenhalt? Oder verschärft es nicht eher soziale Spannungen?
Überhaupt schien die Verhandlung vor dem Straßburger Gerichtshof gegen die französische Regierung zu laufen. Zwar mühten sich Frankreichs Vertreter, nicht antimuslimisch zu klingen. Das unverhüllte Gesicht sei das „Vertrauensminimum“ , um „die Beziehungen zwischen menschlichen Wesen zu erhalten“.

Andererseits ist das angebliche Komplettverbot durch Ausnahmen durchlöchert, zum Beispiel zugunsten des Karnevals. Narren dürfen Masken tragen, Muslime nicht, kritisierte der Klägeranwalt.

Über Burkas hatte der Menschenrechtsgerichtshof bisher noch nicht zu entscheiden, wohl aber über Kopftuchverbote. Solche Gesetze hat er wiederholt gebilligt – allerdings galten sie auch nur für Schulen und Universitäten. Einen allgemeinen, nicht auf öffentliche Einrichtungen beschränkten Bann auf religiöse Kleidung hat er dagegen im Jahr 2010 verworfen. Doch damals ging es nur um Turban und Pluderhose, die Gesichter waren gut zu erkennen.

Ende der Waffenruhe

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Berlin – Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wird die am Montagabend ausgelaufene Waffenruhe in der Ostukraine nicht verlängern. Das teilte der Staatschef in einer Fernsehansprache mit. Stattdessen werde die „Anti-Terror-Operation“ der Armee gegen die prorussischen Separatisten fortgesetzt, sagte Poroschenko. „Wir werden in die Offensive gehen und unser Land befreien.“ Die Chance auf die Umsetzung seines Friedensplans sei durch „kriminelle Handlungen“ der prorussischen Separatisten zunichte gemacht worden, hieß es in der Erklärung weiter.



Seinen Friedensplan sieht er durch die prorussischen Separatisten zunichte gemacht. Jetzt will Poroschenko in die Offensive gehen.

Am Wochenende hatten nach ukrainischen Regierungsangaben die Separatisten trotz der Waffenruhe Stellungen der Armee in der Nähe von Slawjansk angegriffen. Die Rebellen warfen den Soldaten vor, einen Marktplatz und ein Wohnhaus beschossen zu haben. In der Nacht zum Montag sei bei Donezk ein Kameramann des russischen Fernsehens erschossen worden, teilte der Sender Erster Kanal mit.

Am Montagnachmittag hatte es noch Zeichen für eine Entspannung der Lage gegeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte mit den Präsidenten aus Russland, der Ukraine und Frankreich eine Telefonkonferenz abgehalten. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert stimmten alle vier Seiten überein, dass die Kontaktgruppe aus der Ukraine, Russland und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) „so schnell wie möglich“ wieder mit Vertretern der Separatisten verhandeln sollte. „Vorrangiges Ziel solle die Vereinbarung über einen beiderseitigen Waffenstillstand sein“, hieß es in der Mitteilung.

Regierungssprecher Seibert hatte aber deutlich gemacht, dass Deutschland und die anderen Europäer von Poroschenko, der unter starkem innenpolitischen Druck steht, keine Verlängerung des Waffenstillstandes um jeden Preis erwarteten. „Eine Waffenruhe darf nicht missbraucht werden, um einseitig neue Fakten zu schaffen. Genau das ist geschehen“, sagte Seibert.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte sich nach deutschen Angaben zuvor bereit erklärt, ukrainischen Grenzbeamten den Zutritt auf russisches Territorium zu gestatten. Gemeinsam mit ihren russischen Kollegen sollten sie die Grenze an den Orten kontrollieren, an denen die Separatisten auf ukrainischer Seite Grenzposten besetzt halten. Zudem sollen auch OSZE-Beobachter künftig auf russischer Seite ihrer Aufgabe nachkommen können. Die Vereinbarungen sahen nach Angaben des Elysée-Palastes ferner die Freilassung von Geiseln und Gefangenen auf beiden Seiten vor. Nach Angaben des Kremls hatte sich Putin für eine erneute Verlängerung der Feuerpause ausgesprochen. Der Kremlchef habe zudem gefordert, die OSZE in die Überwachung einzubeziehen.

Ende vergangener Woche hatten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union Russland wegen seiner Ukraine-Politik mit weiteren Sanktionen gedroht. Regierungssprecher Seibert sagte, eine der Forderungen der EU, die Freilassung festgehaltenen OSZE-Beobachtern, sei am Wochenende erfüllt worden.
Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Verkauf von zwei Kriegsschiffen an Russland sind am Montag etwa 400 russische Marinesoldaten im westfranzösischen Saint-Nazaire zur Schulung eingetroffen. Bis Oktober sollen sie für den Betrieb der beiden Hubschrauberträger trainiert werden, die Frankreich für einen Preis von 1,2 Milliarden Euro an Russland verkaufen will. Vor allem die USA hatten das Geschäft kritisiert, das auch bei östlichen Nato-Partnern Besorgnis auslöste.

Das Monaco-Prinzip

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München – „A bissel was geht immer“ – legendär, der Spruch des Franz Münchinger alias Helmut Fischer alias Monaco Franze in der gleichnamigen Kultserie aus den Achtzigern. Monaco Franze hatte den Satz seinerzeit vornehmlich auf das weibliche Geschlecht bezogen, dem er bekanntlich mehr als ein bissel zugetan war.



Private Spender sollen Nachwuchssportler unterstützen. Dafür bekommen sie kleine Gegenleistungen.

Mit ihrer Crowdfunding-Plattform verfolgen die Unternehmer Norman Messina, 34, und Maximilian Breböck, 35, ein ganz ähnliches Motto. Privatleute oder Firmen sollen talentierte Nachwuchssportler finanziell unterstützen. Von den Sportlern bekommen sie eine kleine Gegenleistung: Etwa ein Foto, einen selbst geschriebenen Brief oder, wie im Fall der Münchner Tennisspielerin Vivian Heisen, eine Trainingseinheit. Dafür müssen potenzielle Mäzene in die Tasche greifen: Eine Lehrstunde kostet mindestens 250 Euro. Prinzipiell sind der Förderung nach oben und unten keine Grenzen gesetzt. Auch eine Ein-Euro-Spende ist möglich.

Von dem Geld behalten Messina und Breböck 20 Prozent, um ihr Projekt zu finanzieren. Pro Jahr gibt es zwei Ausschüttungen an die Sportler.

2010 gründeten Breböck und Messina „Monaco Sports“, ihre eigene Sportmarketing-Agentur – der Name entstand in Anlehnung an Münchens italienischen Namen Monaco di Baviera und, natürlich, an ihr Idol, den Monaco Franze. Sie überlegten zunächst, ambitionierte Nachwuchsathleten an US-Colleges zu vermitteln, ihnen Stipendien zu verschaffen. Mit der Zeit fragten immer mehr Eltern, ob sie nicht ihr Kind beraten könnten. Das Netzwerk wurde größer, sie gingen auf Sponsorensuche. „Wir hatten zwar einige Erfolge, haben uns aber vor allem viele blutige Nasen geholt“, sagt Breböck. Für unbekannte Sportler wollte niemand zahlen. Sie packten es anders an und entwickelten die Internet-Plattform, die nun seit Mitte März online ist.

15 Einzelsportler und Teams haben Breböck und Messina bislang in ihrem Förder-Pool, darunter drei Lohhofer Beachvolleyball-Duos und das Tennis-Talent Heisen. Die 20-Jährige spielt seit dieser Saison bei Zweitligist Iphitos München, will aber 2014 auch um die 25 Turniere auf der ITF-Tour spielen. Ihre Eltern finanzieren einen Großteil der Kosten, den Rest verdient sich Heisen durch die Spiele bei Iphitos. Das reicht nicht, weshalb sie einige Turniere kurzfristig absagen musste – und jetzt auf Unterstützung hofft.
Die Kriterien, um aufgenommen zu werden, beschreibt Breböck so: „Der Sportler sollte schon etwas geleistet haben, aber große Ziele und hohe Ambitionen sind ebenso wichtig.“ Von Tennis über Frauenfußball bis zu Behindertensport ist alles im Angebot. Nur Männerfußball nicht: „Da ist das Geld und die Medienpräsenz ohnehin so groß, dass es nicht glaubwürdig wäre“, findet Breböck.

Nicht viel anders als Heisen geht es den Beachvolleyball-Talenten Sandra Ittlinger und Yanina Weiland, beide 20, die am Wochenende in Wolfenbüttel bereits ihr drittes A-Top-Turnier dieser Saison gewonnen haben. Auch sie eilen im Sommer von Turnier zu Turnier – im Winter fahren sie ins Trainingslager. Ihr Heimatverein, der SVLohhof, und der bayerische Verband übernehmen einen Teil der Kosten, doch Sponsoren fehlen auch ihnen. Ittlinger und Weiland passen perfekt ins Portfolio: Sie sind jung, attraktiv und erfolgreich, ihr forsches Ziel lautet Olympia 2016. Doch beide wissen, dass es schwer werden dürfte, die Ziele zu erreichen, sportlich wie finanziell. Dank eines guten Netzwerks stehen sie immerhin bei knapp 2000 Euro Einnahmen. Und sind damit die Spitzenverdiener der 15 Geförderten, die seit dem Start der Plattform insgesamt rund 5000 Euro gesammelt haben. Auch Vivian Heisen will sich nicht beklagen, obwohl sie erst 363,17 Euro gesammelt hat, acht Prozent ihrer Zielmarke von 5000 Euro. Als Einzelsportlerin falle es ihr nicht so leicht, Unterstützer zu finden, sagt sie. Aber die Nummer 823 der Welt will nichts unversucht lassen, um dereinst in die Top 20 vorzustoßen.

Für andere ist der Weg noch weiter: Am Ende der Geldrangliste rangiert Ken Hoffmann, der als sportliches Ziel „DTM & Formel 1“ angibt. Er hofft auf 350000 Euro Fördersumme. Derzeit steht er bei 11,20Euro.

Wie schütze ich mich wirksam gegen Spam?

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Mit „1.000 Euro täglich von zu hause aus verdienen“, locken mich unbekannte Menschen in der Betreffzeile. „Wir machen Sie reich“, steht da. Oder auch „Hallo! Bist Du Single?“. Wieder andere gaukeln mir vor, ich hätte eine Reise in die Südsee gewonnen.

Tausende solcher unerwünschten Nachrichten werden täglich im Netz versandt. Im Jahr 2002 waren mehr als 50 Prozent und 2007 etwa 90 Prozent des weltweiten E-Mail-Aufkommens Spam, wie das britische Beratungsunternehmen pingdom ermittelte. Seither gehen die Zahlen wieder zurück.

„Heute sind knapp 70 Prozent aller Mails, die versendet werden, Spam“, sagt Andreas Hentschel, stellvertretender Chefredakteur des Computermagazins „Chip“. Der Grund dafür, dass Spam-Mails wieder weniger werden, sind die Email-Provider, die im Gegensatz zu früher, die elektronische Nachrichten relativ wirksam filtern, bevor sie in den privaten Postfächern landen. „Die Provider ermitteln den so genannten Hash-Wert von Emails“, erklärt Hentschel, einen Code, der aus Zahlen und Buchstaben besteht. Stimmt der bei einer großen Zahl von Mails überein, erkennt der Provider Spam und eliminiert die unerwünschte Nachricht.

Was trotzdem im Spam-Filter des Email-Programms landet, sind Mails, bei denen sich der Provider nicht sicher war. „Auf keinen Fall sollte man der eigenen Neugier nachgeben und Mails im Spamfilter öffnen, die nicht ausdrücklich für einen bestimmt sind“, sagt Hentschel. Das Öffnen komme einer Lesebestätigung gleich. Der Sender erfährt so, dass meine Mailadresse aktiv ist. Mehr Spam ist unter Umständen die Folge. „Im schlimmsten Fall enthalten solche Mails Viren“, warnt Hentschel außerdem. Oder es handelt sich um so genannte Phishing-Mails, also um gefakte Schreiben von der Bank, dem Paypal-Konto, der Post oder der Telekom, die einen so auf ebenfalls gefakte Seiten lotsen wollen, um an geheime Zugangsdaten zu gelangen. Pfui!

Was aber kann man tun, um überhaupt keine Spam-Mails mehr zu bekommen? „Man sollte verantwortungsbewusst mit seiner Email-Adresse umgehen“, sagt Hentschel. Will heißen: Die eigene Mailadresse nicht leichtfertig im Internet veröffentlichen, auf Onlineforen zum Beispiel. Und nicht wahllos Gewinnspiele ausfüllen, bei denen man eine Mailadresse angeben muss. Das gleich gilt für Probeabos und Kundenkarten. Nur wenn im Kleingedruckten zugesichert werde, dass die Adresse nicht an Dritte weitergegeben wird, sei man in Deutschland vor dem Verkauf von Mailadressen einigermaßen sicher, sagt Hentschel.

Wer auf Nummer Sicher gehen will, richtet sich eine zweite Email-Adresse ein, um sich in Onlineforen anzumelden, oder um bei Gewinnspielen mitzumachen. Auch so genannte Wegwerf-Mailadressen gibt es, die nur für den kurzzeitigen Gebrauch gültig sind. „Die lassen sich mit einer kurzen Google-Recherche schnell finden“, so Hentschel. Jedoch müsse man abwägen, ob man später wirklich nicht mehr zu erreichen sein wolle.

Auch die direkte Konfrontation mit dem Absender ist möglich. Es gilt das Auskunftsrecht. „Jeder User hat das Recht, zu erfahren, woher ein Absender seine Email-Adresse hat“, sagt Hentschel. Kann der Sender dazu keine Auskunft geben, könne man sich beim Datenschutzbeauftragten des jeweiligen Bundeslandes beschweren. „Das schützt einen zwar nicht vor Spam, der Absender muss aber unter Umständen mit einer Geldstrafe rechnen – und wird sich in Zukunft vielleicht überlegen, weiter Spam-Mails zu verschicken.“

Auch spezielle Programme gegen Spam gibt es auf dem Markt. „Das ist aber nicht mehr unbedingt nötig“, sagt Hentschel. Dafür seien die Spam-Filter der Provider mittlerweile zu gut. Wer trotzdem ein solches Programm installieren möchte, kann mit „Spamassassin“ oder „Spamihilator“ auf kostenlose Open-Source-Programme zurückgreifen.

Autorin Marlene Halser, 36 Jahre, amüsiert sich meist sehr über die Betreffzeilen in ihrem Spamfilter. Vielleicht bastelt sie eines Tages ein dadaistisches Wortkunstwerk daraus.

Fünf Tipps gegen Spam

1. Verantwortungsvoll mit der eigenen Mailadresse umgehen und diese nicht wahllos im Netz veröffentlichen. Das gilt für Chatforen ebenso wie für Gewinnspiele und Log-Ins.

2. Auch in der Offlinewelt sollte man sparsam mit der eigenen Mailadresse umgehen. Nur dort eintragen, wo im Kleingedruckten zugesichert wird, dass die Adresse nicht an Dritte weitergegeben wird.

3. Ein zweite Mailadresse zulegen, die man ausschließlich für Foren und Gewinnspiele verwendet. Oder gleich nach so genannten Wegwerf-Mailadressen googeln und diese verwenden, wenn man keinen Wert darauf legt, später kontaktiert werden zu können.

4. Mails im Spamfilter keinesfalls aufmachen. Das Öffnen kommt einer Lesebestätigung gleich und belegt, dass die Mailadresse aktiv ist. Im schlimmsten Fall enthalten Spam-Mails Viren oder es handelt sich um so genannte phishing-Mails, also um gefakte Schreiben von der Bank, dem Paypal-Konto, der Post oder der Telekom, die einen so auf ebenfalls gefakte Seiten lotsen wollen, um an geheime Zugangsdaten zu gelangen.

5. Wer besonders sicher gehen will, installiert einen zusätzlichen Spam-Filter auf dem Rechner – am besten ein kostenloses Open-Source-Programm.

Mies bezahlt und unverzichtbar

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Anna*: sechs Monate Praktikum in einer städtischen Pressestelle, Wochenarbeitszeit: 39 Stunden, Gehalt: 430 Euro. Weil sie davon nicht leben konnte, nahm sie zusätzlich für zehn Stunden in der Woche einen Nebenjob an.
Tobias: sechs Monate in einer Werbeagentur, Wochenarbeitszeit: bis zu 60 Stunden, Gehalt: 400 Euro. Nach drei Monaten brach er wegen gesundheitlicher Probleme ab.
Sandra: zwei Monate bei einer großen Buchhandelskette, Wochenarbeitszeit: 40 Stunden, auch samstags, Gehalt: keines. Sie erledigte ausschließlich Aushilfstätigkeiten, entsorgte den Müll, füllte Regale auf und schleppte Bücherkisten ins Lager.  

Von Praktikumserfahrungen wie diesen hört man oft. Wir haben in den vergangenen Wochen auf unserem Tumblr „Was Praktikanten verdienen“ anonym Praktikumserfahrungen gesammelt. (Die drei Beispiele sind Auszüge daraus.) Wir wollten wissen: Was verdienen Praktikanten? Was müssen sie dafür tun? Lernen sie dafür etwas? Oder werden sie als billige Arbeitskräfte missbraucht?

Knapp 150 ehemalige und aktuelle Praktikanten haben uns bisher ihre Erfahrungen per Email geschickt. Das ist natürlich keine repräsentative Studie, zeichnet aber ein gutes Bild der Lage von Praktikanten. Viele, die uns schrieben, haben tolle Praktika absolviert, viel gelernt und ausprobiert. Viele ersetzten aber auch Festanstellungen oder durften nur Aushilfstätigkeiten erledigen, für die sie überqualifiziert waren, und fühlten sich ausgenutzt.  

Letzteres will die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit dem Mindestlohnändern. 2015 wird der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt, spätestens 2017 müssen sich alle Branchen daran halten. Auch für Praktikanten soll das gelten. Ein Beispiel: Bei einer 40-Stunden-Woche und 25 Arbeitstagen im Monat wären das 1.700 Euro im Monat.  

Es Unternehmen schwer bis unmöglich zu machen, Praktikanten auszunutzen, ist ein hehres Ziel. Doch von denjenigen, die die Debatte betrifft, den Praktikanten und Studenten, ist bisher der große Jubel über den Mindestlohn ausgeblieben. Warum, auch das wollten wir mit unserem Tumblr herausfinden. Haben wir auch. Jetzt zur Bilanz. Fünf Dinge, die wir auf unserem Tumblr gelernt haben:   

1. Freiwillige Praktika kann nur machen, wer reiche Eltern hat


Die meisten Praktikanten, die uns schrieben, bekamen beziehungsweise bekommen kein Gehalt oder verdienten bis zu 400 Euro im Monat. Zu dem Ergebnis kam auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2011: Derzufolge bekommen 40 Prozent der Praktikanten gar kein Geld für ihre Arbeit. Die 60 Prozent, die etwas verdienen, kriegen durchschnittlich 3,77 Euro die Stunde.  

Wer nicht noch nebenbei arbeitet, von den Eltern unterstützt wird oder Bafög bekommt, kann sich ein längeres Praktikum finanziell nicht erlauben. „Während des Studiums konnte ich mir ein unbezahltes Praktikum nicht leisten, obwohl ich von meinen Eltern 400 Euro pro Monat bekam“, schrieb uns Martina (2 Monate bei einer PR-Agentur, 400 Euro), und Sabrina (3 Monate bei einem Foschungsinstitut, 100 Euro): „Praktika können nur Kinder machen, die reiche Eltern haben.“  
Bei einem Vollzeit-Praktikum nichts oder so wenig zu verdienen, dass man sich kein WG-Zimmer, Lebensmittel und die U-Bahnfahrkarte leisten kann, ist unzumutbar. Und es ist unfair, wenn sich nur bestimmte Studenten ein Praktikum „leisten“ können.    

2. Jahrespraktikanten sind die billigeren Aushilfskräfte  


Die Unternehmen argumentieren gerne, dass sie nicht erwarten oder einplanen können, dass Praktikanten Leistungen erbringen und diese deshalb keinen Anspruch auf (mehr) Geld oder den Mindestlohn haben. Die eigentliche Idee des Praktikums ist ja ein Lern-, kein Beschäftigungsverhältnis. Für Praktikanten, die monatelang im selben Unternehmen, sogar in derselben Abteilung arbeiten, dürfte das aber nicht gelten. Laut der Studie der Hans-Böckler-Stiftung dauern die Praktika der Hochschulabsolventen nach dem Abschluss durchschnittlich vier bis fünf Monate. Es dürfte auch nicht gelten, wenn Abteilungen aus fünf Festangestellten und sieben Praktikanten bestehen – die das zum Beispiel Kunden gegenüber nicht kommunizieren dürfen. Oder wenn Praktikanten eigene Projekte für die Firma verantworten. Lisa (6 Monate bei einem Mobilfunkanbieter, 880 Euro) schrieb uns, dass sie während ihres Praktikums ein eigenes Sonderausstellungskonzept entwarf, und Nathalie (6 Monate bei einem privaten Klinikkonzern, 400 Euro): „Im Laufe der Zeit hat man mir sehr viel Eigenverantwortung übertragen und ich habe eigene Projekte betreut, die auch eine der Vollzeitkräfte hätte übernehmen können.“ Es ist zum Erfolgsmodell geworden, dass Unternehmen fertig ausgebildeten jungen Menschen und Uni-Absolventen „Jahrespraktika“ anbieten, als Einstieg, heißt es dann oft, mit der Aussicht auf, aber sicher nicht der Garantie einer Festanstellung.    

3. Die Erfahrung „viel gelernt“ und „Burnout“ liegen im Praktikum nah beieinander  


Die meisten Praktikanten arbeiten 40 Stunden und mehr in der Woche, einige sogar bis zu 60, auf jeden Fall so lange wie ihre Vorgesetzten. Viele Praktikanten empfinden auch ihre Aufgaben wie die von Festangestellten. Karin (7 Monate bei einem lokalen Fernsehsender, 300 Euro), schrieb, sie habe „wertvolle Arbeitsproben gesammelt“ und sich „trotz Praktikantenstatus wie eine richtige Redakteurin gefühlt“. Und Nathalie: „Natürlich könnte man das dem Unternehmen auch vorwerfen, aber ich habe richtig viel gelernt und konnte so aufgrund meiner Erfahrungen nach dem Studium ohne Startschwierigkeiten noch während meiner Masterarbeit ins Berufsleben starten.“   Die meisten freuten sich darüber, eigenständig zu arbeiten, darüber, was sie alles machen „durften“ und dass sie „nicht wie Praktikanten“ behandelt wurden. Zu diesem Ergebnis kam auch die Studie über die „Generation Praktikum“ des Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung: Dabei gaben zwei Drittel der Befragten an, dass sie die Arbeitsaufgaben im Praktikum sehr gut oder gut fanden.   Einige, die uns ihre Praktikumserfahrungen schickten, fühlten sich allerdings von der Verantwortung, die man ihnen im Praktikum übertrug, überfordert. Stefanie (4 Monate bei einem Start-up im Bereich interkulturelle Weiterbildung, 400 Euro), schrieb zum Beispiel: „Es war die totale Ausbeutung, ich stand kurz vor Burn-out.“ Sie machte fast jede Woche unbezahlte Überstunden und musste auch am Wochenende arbeiten. Nach drei Monaten brach sie ihr Praktikum ab.       

4.  Wie eine „Redakteurin fühlen“ oder Toiletten putzen – die Definitionen eines Praktikums gehen weit auseinander.  



Wenn Praktika als schlecht empfunden werden, hat das nicht immer mit der Bezahlung zu tun, sondern auch mit den Aufgaben, die Praktikanten erledigen müssen. Während die einen selbstständig arbeiten oder sogar Verantwortung übernehmen, dürfen andere ausschließlich Aushilfstätigkeiten übernehmen: kopieren und Kaffee kochen, eine Praktikantin musste regelmäßig das Auto des Chefs putzen, eine andere der kranken Ehefrau des Chefs Essen nach Hause bringen, weil dieser keine Zeit hatte. Martin (6 Monate bei einer Eventagentur, kein Gehalt) musste sogar die Toiletten putzen.    

5. Praktika sind unverzichtbar  


Auch wenn die meisten ihr Praktikum ungerecht entlohnt finden, die Angst, dass in der Folge des Mindestlohns keine Praktika mehr angeboten werden, überwiegt. Und das würde passieren. In geistes- und sozialwissenschaftlichen Studienfächern sind bisher meistens keine Pflichtpraktika vorgeschrieben. Praktika von maximal sechs Wochen, die ebenfalls vom Mindestlohn ausgeschlossen werden sollen, lohnen sich für die Unternehmen kaum, weil die Einarbeitungszeit dann im Verhältnis zur Praktikumsdauer zu lange dauern würde. In der Folge würden weniger Praktika angeboten werden, das befürchtet man auch bei der Hochschulrektorenkonferenz.   Ein Großteil der Praktikanten, die sich auf unserem Tumblr meldeten, findet die Erfahrung, die man in Praktika macht, unverzichtbar. Die meisten geben an, dass sie viel gelernt haben, sich zum ersten Mal ausprobieren, und, speziell Studenten geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer, herausfinden konnten, ob das, was sie mit ihrem Studium anfangen wollen, auch zu ihnen passt. Franziska (6 Monate bei einer Kommunikationsagentur, 350 Euro, ab dem 3. Monat 500 Euro), schrieb zum Beispiel: „Ich finde, das Praktikum ist eine große Chance, weil es in vielen Berufen unabdinglich ist, Berufserfahrung zu haben, die man so im Studium nie sammeln kann.“    


Fazit:  


Es muss sich was tun für die Praktikanten. 600.000 arbeiten im Moment in Deutschland. Das sind viele, wenn auch keine „Generation Praktikum“. Laut der Studie der Hans-Böckler-Stiftung macht längst nicht jeder Hochschulabsolvent nach seinem Abschluss noch einmal ein Praktikum, sondern etwa 16 Prozent von ihnen. Der Großteil der Praktikanten geht noch zur Schule, hat sie gerade abgeschlossen, macht während des Studiums ein Pflichtpraktikum – oder ein freiwilliges Praktikum in den Semesterferien oder einem Urlaubssemester. Und dagegen ist nichts einzuwenden.  

Am Donnerstag wird im Bundestag über den Mindestlohn und die Ausnahmen, unter anderem für Praktikanten, abgestimmt. Lange wollte Andrea Nahles nur Pflichtpraktika und Praktika, die nicht länger als sechs Wochen dauern, von dem Gesetz ausschließen. Inzwischen klingen immer mehr mögliche Ausnahmen durch. „Wir werden bis zur letzten Stunde dafür kämpfen, dass es keine Ausnahmen geben wird“, sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Reiner Hoffmann am Montag im ARD-Morgenmagazin.  

Doch eine Frist, ab der Unternehmen an Praktikanten den Mindestlohn zahlen müssen, wäre eine Möglichkeit, die Institution der freiwilligen Praktika nicht ganz abzuschaffen und ausbeuterische Jahrespraktika trotzdem zu verbieten. Momentan ist im Bundestag eine Frist von drei Monaten im Gespräch.  
Wenn man sich die Praktikumsberichte auf unserem Tumblr durchliest, merkt man: Der Mindestlohn kann die Situation von Praktikanten nicht richten. Einige fänden ihn gut, einige nicht. Bei einem Punkt sind sich alle einig: Praktika, die gar nicht oder so schlecht bezahlt sind, dass man auf Unterstützung angewiesen ist, sollten verboten werden. Das ist aber nicht alles. Praktika müssen besser definiert und ähnlich wie Ausbildungsplätze von den Industrie- und Handelskammern überwacht werden. Das ist aufwändiger als mit oder ohne Ausnahmen den Mindestlohn für Praktikanten einzuführen. Aber es lohnt sich.      


* Alle Namen sind der Redaktion bekannt und wurden vor der Veröffentlichung geändert.


Mehr über die aktuellen Entwicklungen zum Thema Mindestlohn findest du
hier.


Übrigens sammeln wir auf unserem
Tumblr weiter Praktikumserfahrungen. Über die Suchfunktion kannst du nach Branchen und Unternehmen suchen. Hier steht, wie du selbst mitmachen kannst. Oder du schickst eine Email mit den folgenden Informationen an kathrin.hollmer@jetzt.de.

Wo:
(In welchem Unternehmen und/oder in welcher Branche hast Du das Praktikum gemacht?)
Wann: (In welchem Jahr war das Praktikum und wie lange hat es gedauert?)
Praktikum Nummer: (Dein wievieltes Praktikum war das?)
Gehalt: (Wie viel hast Du dabei verdient?)
Arbeitsstunden pro Woche:
Aufgaben: (Was hast Du als Praktikant dort gemacht?)
Das war gut: (Hast Du viel gelernt? Hast Du Kontakte geknüpft? usw.)
Das war schlecht: (Hast Du dich z.B. ausgebeutet oder als billige Arbeitskraft ausgebeutet gefühlt? usw.)
Weitere Informationen: (optional)

Videopremiere: Alle Farben - She Moves unplugged

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Mit Matrosenshirt und Hafenarbeitermütze am Kanal: Frans Zimmer aka Alle Farben (rechts) und Sänger Graham Candy.

Es gibt Momente, da macht es einen Unterschied, ob man Musik nur hört oder auch sieht, wie sie gemacht wird. Wenn man Graham Candy dabei zusieht, wie er „She Moves“ auf der Gitarre spielt, ist das so ein Moment.

She Moves ist der wohl bekannteste Song von „Alle Farben“, eines der erfolgreichsten Berliner Exporte im Bereich elektronischer Musik. Die Zeitung Die Welt hat Frans Zimmer, wie der Kreuzberger Produzent und DJ mit bürgerlichem Namen heißt, den „Star der Generation ‚Voll Schön!’“ genannt, und da ist schon was dran: Seine Musik klingt meist wie ein Sommerrave in einem Berliner Park, mit Seifenblasen und Mädchen mit Glitzer im Gesicht.

Das Tolle ist: Wenn man Graham Candy den „She Moves“ auf der Gitarre zupfen und mit seiner fast unwirklichen Stimme singen hört, so ganz allein und versunken, dann bekommt der Rave-Gassenhauer noch mal eine ganz andere Kraft. Man spürt dann, dass es wahrscheinlich stimmt, was viele Berlin-Techno-Kenner schon geschrieben – und zum Teil beklagt – haben: dass Frans Zimmer aka Alle Farben vielleicht wirklich gar kein richtiger Techno- oder Elektro-Berliner ist. Sondern ein ziemlich guter Songschreiber.  

https://www.youtube.com/watch?v=zQAr3__aSn0 

Bei all der Freude über diese Akustikpremiere soll natürlich die Originalversion nicht zu kurz kommen. Auch hier gibt es Neues: ein Making-of des sehr gelungenen „She Moves“-Videos, das ja fast ein bisschen Wes-Anderson-artig rüberkommt. Und, haha, ein bisschen ironischer Witz ist auch mit drin: Denn ausgerechnet einer, der den Künstlernamen „Alle Farben“ gewählt hat, dreht sein Video komplett in einer Greenscreen-Box.

https://www.youtube.com/watch?v=5COtL_7Jx1Q 

Sex in Zeichentrick und real

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iPad-Sex - so richtig physisch
Irgendwann haben wir euch hier schonmal das "Fleshlight" vorgestellt - eine Art Taschenmuschi in Taschenlampenform. Irgendwie war ja klar, dass das Ding sich ähnlich wie ein Pokémon weiterentwickelt. Wir präsentieren: Das Launchpad, mit dem man die Stabmuschi ans iPad klemmen kann. Der Spot dazu ist fast schon Satire - welche Freundin würde sich nicht freuen, wenn ihr Fernbeziehungsfreund sich auf ihr Video unterm Bildschirm einen runterholt? Was wir uns aber vor allem fragen: Was sieht die Freundin, während die Kamera läuft? Seinen wippenden Bauch?
http://www.youtube.com/watch?v=6cBu5MthjfU

Traumwelt
Hui, so viel politisches Statement hätten wir dem deutsche Studentenwerk gar nicht zugetraut! Der Verband ruft jedes Jahr einen Plakatwettbewerb zu einem vorgegebenen Thema aus. Dieses Jahr war das Stichwort: Diversity. Gewonnen haben Popeye und Batman, die Hand in Hand laufen. Alle weiteren Bilder gibt es übrigens auch als Fotostrecke bei sueddeutsche.de
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Albtraumwelt
Bei Disney ist immer alles schön. Alle singen, haben sich lieb und wenn doch mal jemand rummuckt oder Übles im Schilde führt, wird kurzer Prozess gemacht. Kein Szenario, in dem man sexuelle Gewalt vermutet. Der britische Künstler Saint Hoax hat sich diese Idee zu eigen gemacht und Plakate gestaltet, auf denen Disney-Prinzessinnen von ihren eigenen Vätern geküsst werden. Slogan: "46 Prozent aller vergewaltigten Minderjährigen waren Opfer von Familienmitgliedern." Disney hat sich zu der Idee bislang nicht geäußert.
[plugin imagelink link="http://www.sainthoax.com/uploads/2/5/4/2/25423795/320407_orig.jpg" imagesrc="http://www.sainthoax.com/uploads/2/5/4/2/25423795/320407_orig.jpg"]

Bradley und ich
Auch Schauspieler Bradley Cooper ist mal zur Schule gegangen und dort hatte er, Überraschung, auch Klassenkameraden. Einer, nämlich Danielle Davis, scheint er dabei besonders im Gedächtnis geblieben zu sein: Seit die beiden in einem Theaterstück spielten, kann sie nur noch an Bradley denken. Er meldete sich bisher aber nicht bei ihr, weshalb die patente Frau eine ganz eigene Lösung fand: Sie schnippelte sich ihren lebensgroßen Bradley aus einem Stück Pappkarton zurecht und nun begleitet er sie Tag und Nacht. Ihre Kinder finden's (noch) lustig, ihr Mann ist (noch) geduldig und Bradley hat sich trotzdem (noch) nicht zurückgemeldet. So lange das so bleibt, befüllt Danielle aber weiter ihren Instagram-Account mit ihm.




Bitte die Dildo-Kämpfe einstellen
Die korrekte Lagerung von Waffen ist nicht nur in den USA ein Riesenthema: Viele Schießereien passieren, weil Papas Panzerschrank nicht richtig verschlossen war und ein Kind "nur mal anfassen" wollte (eine komplette Liste dieser Vorfälle gibt es auf Tales of Dumbassy). Dieses schwierige Thema hat jetzt die Organisation Evolve in einem sehr klugen Spot aufgegriffen: Dort finden Kinder nämlich Mamis Sexspielzeug. Slogan: "If they find it, they'll play with it".
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=qKHeXC7L85s

Hoax der Woche
Gefälschte Primark-Hilferuf-Etiketten, ein Kind, das doch nicht bei KFC rausflog - überrascht es da noch, dass auch das "Nicht-Masturbieren-Kreuz" mit dem Hashtag #Stopsatan2014 für Kinder ab fünf Jahren erfunden war? Wer die Organisation "Stop Masturbation Now" bei Google sucht, stößt dabei auch schnell auf "Fappy, den Nichtwichsen-Delfin". Der war aber auch nicht echt.
[plugin imagelink link="http://www.stopmasturbationnow.org/wp-content/uploads/2014/06/Cross-620x264.jpg" imagesrc="http://www.stopmasturbationnow.org/wp-content/uploads/2014/06/Cross-620x264.jpg"]

Wann wirst du zum Per?

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Eigentlich hat der arme ZDF-Reporter Boris Büchler nach dem fast verpatzten WM-Spiel nur seinen Job gemacht, man kann ihm also nichts vorwerfen. Es ist nun mal sein Beruf, kritische Fragen zu stellen, vor allem nach so einer Leistung. Für Glückwünsche sind dann die Fans, die Freunde und die Merkel da. Trotzdem behandelte der verschwitzte Mertesacker den hartnäckigen Journalisten richtig pampig. Und darüber diskutiert man noch immer ausgiebig.  



Man behandelt sie schnippisch, laut und unfair - genau wie Per Mertesacker es tat. Dabei machen die armen Berufsdeppen nur ihren Job.

Was dabei niemand anspricht: Dieselbe Geschichte passiert jeden Tag vielen anderen Berufsdeppen. Damit meine ich die armen Menschen, die beim Arbeiten mies von uns behandelt werden. Zum Beispiel der glatzköpfige Berliner Fahrkartenkontrolleur, der zur falschen Zeit in die falsche Ringbahn (meine) gestiegen war und mich beim Schwarzfahren erwischt hatte. Dass ich 40 Euro bezahlen musste, war meine Schuld. Ich hatte kein Ticket gelöst, während der Herr nur seinen Job machte. Trotzdem wurde ich laut und schnippisch. Ich schimpfte, als wäre er verantwortlich für die teuren Bahnpreise, die komplizierten Automaten und das gemeine Schicksal. Dabei fühle ich mich sonst viel zu ausgeglichen und zu jung für unbegründetes Gemeckere. Egal, in diesem Fall war ich wohl Mertesacker und der Kontrolleur Boris Büchler.

Das Benehmen von Mertesacker und mir halte ich für ungerecht, aber weit verbreitet. Es ist nun mal so, dass manche Berufsgruppen die laute Wut der Menschen schüren. Mir fallen neben Journalisten und Kontrolleuren sofort Lehrer und die Polizei ein. Irgendwie kollidiert ihr Berufsverständnis, so ehrenwürdig es auch sein mag, oftmals mit unseren Interessen.

Was die anderen Geschichten angeht, frage ich lieber in den Kosmos: Bei wem wurdest du schon mal zum Mertesacker? Welchen Berufsdeppen habe ich in meiner Aufzählung vergessen? Findest du Mertesackers, dein und mein Verhalten in Ordnung - oder müssen wir uns dafür schämen? Vielleicht hast du ja auch Vorschläge, wie man diese Berufswut abbauen kann. Dafür wäre ich dankbar.

Start von der Pole-Position

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Istanbul. Das Wahlkampf-Logo der türkischen Regierungspartei AKP ist ein Tunnel – das Licht an seinem Ende ist Recep Tayyip Erdoğan. Die islamisch-konservative Partei rief am Dienstag ihren Gründer und Vorsitzenden zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aus und präsentierte Erdoğan wie einen Erlöser.



Der Premier Erdoğan ist ein Fan von großen Auftritten - und tritt zur Präsidentschaftswahl an.

Der Premier begann seine Rede vor rund 4000 jubelnden Anhängern mit der Anrufung Allahs und beendete sie auch mit einem Gebet. „Wir sind für Allah in die Politik gegangen, wir sind für das Volk in die Politik gegangen.“ Die Türkei, so erklärte Erdoğan in seinem einstündigen Auftritt, werde mit einem direkt vom Volk gewählten Präsidenten „stärker werden“, er werde eine „neue Türkei bauen“. Den von den zwei größten Oppositionsparteien aufgestellten Gegenkandidaten Ekmeleddin Ihsanoğlu, 70, einen konservativen, muslimischen Intellektuellen, nannte er einen „Statisten“. Seinen Widersachern hielt Erdoğan entgegen: „Wir sind die Nation, wer seid ihr?“

Erdoğan ließ keinen Zweifel daran, dass er davon ausgeht, die erste Volkswahl eines türkischen Präsidenten zu gewinnen. Umfragen mehrerer Institute, die am Dienstag veröffentlicht wurden, sagen einen Sieg des 60-Jährigen bereits in der ersten Runde voraus, allerdings nur mit einer knappen Mehrheit von 51 bis 54 Prozent. Erreicht kein Kandidat am 10.August mehr als die Hälfte der Stimmen, gibt es am 24.August eine Stichwahl.

Die Kurdenpartei HDP hat ebenfalls einen Bewerber aufgestellt, ihren Parteichef Selahattin Demirtaş. Der 41-Jährige dürfte nach Meinung des Massenblattes Hürriyet auch Stimmen von Linken, Aleviten – auch aus dem Ausland – bekommen, denen Ihsanoğlu „zu religiös“ ist und die mit dem neuen Wahlbündnis von republikanischer CHP und rechtsnationaler MHP nicht einverstanden sind.
Sollte es zu einer zweiten Wahlrunde kommen, dürften die Kurden zum Zünglein an der Waage werden. Erst vor wenigen Tagen hat die AKP ein neues Gesetzespaket angekündigt, mit dem sie offen um die Unterstützung der Kurden wirbt. Darin wird Anhängern der kurdischen Guerilla PKK die Rückkehr zu ihren Familien in Aussicht gestellt.

Die Volkswahl des Präsidenten hat erst eine 2010 von Erdoğan in Gang gesetzte Verfassungsänderung ermöglicht. Gleichzeitig wurde die Amtszeit von sieben auf fünf Jahre reduziert. Zwei Perioden sind möglich. Erdoğan könnte damit theoretisch bis zum 100-jährigen Jubiläum der Republik 2023 amtieren. „Unsere Vision und unsere Ziele für 2023 werden machbarer“, sagte er am Dienstag in seiner Rede. Laut Verfassung darf der Präsident keiner Partei angehören. Yalçın Akdoğan, ein Berater Erdoğans, stellte in der Zeitung Star aber klar: Die AKP werde einen neuen Vorsitzenden erhalten, der „Anführer der Bewegung“ aber bleibe Erdoğan.

Der Wahlkampfsong der AKP hat einen Refrain: „Recep Tayyip Erdoğan“. Im Text wird der Kandidat als „Mann des Volkes“ und „Albtraum der Schurken“ besungen. Ein minutenlanges Video, das bei der Nominierungsfeier präsentiert wurde, zeigt Erdoğans Karriere im Zeitraffer: Kindheit in einem Istanbuler Armenviertel, die Versuche, Profifußballer zu werden. Dann als Bürgermeister von Istanbul, mit Vorliebe bei der Einweihung neuer Straßen, als Premier und Wahlkampfredner vor jubelnden Massen und dazwischen, auffallend kurz, bei Auslandsbesuchen. Gattin Emine Erdoğan saß in der ersten Reihe des bis auf den letzten Platz gefüllten Saales und wischte sich sichtlich gerührt die Augen.

Abdullah Gül hingegen, der amtierende Präsident, fehlte bei der Erdoğan-Show. Er hat die AKP mit Erdoğan im August 2001 gegründet, als Präsident musste er sie verlassen. Erst vor zwei Tagen ließ Gül wissen, dass er nicht ein zweites Mal für das höchste Staatsamt kandidieren werde.

Über Güls Zukunft ist offiziell nichts bekannt. Mehrmals hatten sich Gül und Erdoğan in den vergangenen Wochen getroffen. Türkische Medien berichteten einmal, Gül werde den Parteivorsitz übernehmen; dann hieß es wieder, Erdoğan wolle Gül verdrängen, um einen gefügigen Nachfolger zu finden. Gül hat zwar alle umstrittenen Gesetze der Regierung unterzeichnet, einschließlich der neuen Internetkontrollen. Aber er hat sich auch mehrmals kritisch geäußert, beispielsweise gegen das Twitter- und Youtube-Verbot, das Erdoğan durchgesetzt hatte. Erst vom Verfassungsgericht wurde es wieder aufgehoben.

Am 28.August wird der neue Präsident seinen Eid ablegen. Danach wird nach geltendem Recht zunächst Erdoğans Vize Mehmet Ali Şahin Parteichef, bis zu einem Parteitag der AKP. Die Regierungsgeschäfte übernimmt Vizepremier Bülent Arınç, bis der neue Präsident einen Regierungschef ernennt. Der Präsident ist laut Verfassung auch Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats, er kann das Parlament auflösen und sogar, wenn er es für nötig erhält, den Vorsitz des Kabinetts übernehmen.

Es ist bekannt, dass Erdoğan die Rechte des Präsidenten noch ausweiten möchte. Ihm schwebt ein Präsidialsystem vor wie in den USA oder in Frankreich. Für eine Verfassungsänderung aber bräuchte die AKP im Parlament eine Zweidrittelmehrheit, die sie derzeit nicht hat, oder Verbündete. „Eine neue Verfassung ist unsere Priorität“, kündigte Erdoğan jetzt an.

In Twitter-Kommentaren kritisierten türkische Journalisten die „Ein-Mann-Show“ der AKP. Tufan Türenç nannte den Personenkult der Regierungspartei „geschmacklos“. Der Kommentator Alper Taş kritisierte Erdoğans großzügigen Gebrauch religiöser Formeln und meinte, „er versucht damit zu beweisen, dass er noch gläubiger ist als der Gegenkandidat Ihsanoğlu“.

Eine Idee mit Loch

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Kouassi Kongokro – Die Kinder wissen natürlich Bescheid. Wohin verschwindet der Kot? „Der Regen nimmt ihn mit!“, ruft Marie Grace, sechs Jahre alt. Und das Mädchen neben ihr, die Haare zu kleinen Würmern geflochten, ergänzt: „Der Kacke-Roller!“ Großes Gelächter. Gemeint ist der Skarabäus-Käfer, der in diesen Breitengraden tief im Regenwald der Elfenbeinküste gute Bedingungen vorfindet, unter dunklem Blattwerk oder fauligem Obst. Und ja, auch er ist mitverantwortlich dafür, dass ein Haufen, den ein Mensch hier diskret hinter Elefantengras oder anderem Gestrüpp zurücklässt, sich so schnell und rückstandslos verflüchtigt.



Toilette, Spülung, dreilagiges Klopapier: Im Regenwald der Elfenbeinküste sind die Menschen ohne ausgekommen.

Es ist so gesehen eine seltsame Vorstellung, über welche die Erwachsenen im Dorf Kouassi Kongokro jetzt diskutieren: Vor das eigene Haus soll man künftig koten, oder sogar ins Haus selbst – und das soll sauberer sein? Im Dorf schauen sie sich etwas belustigt an, als der Besuch kommt, der von dieser fixen Toiletten-Idee überzeugt ist. Die gesamte Dorfgemeinde hat sich unter einem Schatten spendenden Baum versammelt, Männer, Frauen und Kinder. Aber die Kinder verziehen die Mienen, viele Erwachsene tun es auch: Mal ehrlich, es hat ja gut geklappt bisher mit dem Austreten ins Grüne.

Die Natur rund um das Dorf Kouassi Kongokro ist dicht und fruchtbar. Man muss nicht weit laufen, bis man völlig aus dem Blick verschwindet und für sich ist, hinter Palmwedeln, Mangobäumen, Termitenhügeln. Es gibt hier Bäume, deren Stämme so dick sind, dass sich acht Kinder gleichzeitig dahinter verstecken können, und es gibt keine festen Plätze im Busch, die eigens als Toilette ausgewiesen werden müssten, sondern hier und da nur ein paar alte Plastiktüten, Getränkekartons, Mangoschalen, zerknülltes Toilettenpapier: Müllhaufen. Es gibt Orte im Wald, an welche eher die Männer gehen, und Orte, an welche eher die Frauen gehen. Und es gibt viel Regen, der alles schnell fortwäscht, und ein ständiges pralles Wachstum, das den Busch laufend umpflügt.

In den verdreckten europäischen Städten des Mittelalters, wo Nachttöpfe auf die Straßen gekippt wurden, mag das Prinzip Toilette, als es im 17. und 18. Jahrhundert populär wurde, ja eingeleuchtet haben. Deckel drauf, Gestank weg, Gefahr von Krankheiten gebannt. Aber im Regenwald?

Es riecht nach Rauch. Die Äste, die in kleinen Feuerstellen kokeln und Töpfe warm halten, sind so feucht, dass man glaubt, den trägen Qualm mit den Händen greifen und formen zu können. Fetzen davon schweben zwischen den Hütten, die aus Ästen und schwarzer Plane gezimmert sind. Es riecht nach Hund, ein wenig auch nach süßlichem Schweiß. Aber unhygienisch wirkt hier auf den ersten Blick überhaupt nichts. Weder stinkt der Müll, noch sind die Fliegen im Dorf sich einig, wo man sich versammeln soll.
Die Sozialarbeiter, die aus der großen Stadt nach Kouassi Kongokro gekommen sind, legen sich also ins Zeug, um zu werben für die Idee von Toiletten. Eine von ihnen, Elise Yao Aya, holt dazu einen Teller mit Essen aus ihrem Jeep: Couscous mit Fisch. Den Teller stellt sie auf dem Boden ab, inmitten der Dorfversammlung – und daneben stellt sie einen kleinen Haufen Kot. Die Kinder kreischen, als die braune Masse aus einer Plastiktüte auf den Boden fällt.

Es dauert nur wenige Momente, bis die ersten Fliegen kommen und zwischen beiden Attraktionen hin- und hersurren, vom Kot zum Essen und zurück zum Kot. Die Botschaft der Sozialarbeiterin: Genau dasselbe passiert, wenn ihr euch unter freiem Himmel im Busch erleichtert und dann die Fliegen ins Dorf kommen. Diarrhöe, Cholera, die sogenannten Schmutzige-Hände-Krankheiten verlaufen oft tödlich in den Tropen.
Die Sozialarbeiterin ist selbst eine Ivorerin, aber sie kommt von einer Hilfsorganisation mit Hauptsitz in New York, dem International Rescue Committee. Es geht ihr darum, die Gesundheit der Landbevölkerung zu verbessern. Bei ihrem Besuch entspinnt sich dann tatsächlich eine Diskussion über das Für und Wider einer technischen Innovation.

Die Sozialarbeiterin fragt: Welche Krankheiten kann man bekommen durch den Kontakt mit Kot? Aids ist die erste Antwort, die einem Kind einfällt. Die zweite ist Bauchweh.

Im Nachbardorf Konankro, wo sie vor einem Jahr Latrinen für alle Familien gebaut haben, 82 Stück für 741 Einwohner, sind die Krankheitsfälle bereits zurückgegangen. Das bestätigt der Arzt Ndrama Louis, 34, der für dieses Dorf und noch drei weitere verantwortlich ist. Auf seinem Schreibtisch stehen ein Insektenspray und ein medizinisches Lexikon von 1997, vor seiner Tür warten vor allem Frauen mit kleinen Kindern.
Es hat sich dort auch etwas verändert im gesellschaftlichen Leben, sagt eine dieser Frauen: „Wenn man früher Gäste hatte, konnte man ihnen ein großes Essen anbieten, aber wenn sie sich anschließend erleichtern wollten, war man beschämt, sie in den Busch schicken zu müssen.“

Die neu gebauten Latrinen in diesem Dorf sind simpel, es sind Hock-Aborte, eine Betonplatte auf dem Boden mit einem Loch in der Mitte. Die Latrine hat vier Wände. Am Eingang hängt eine Plastikflasche voll Wasser, in deren Boden jemand ein kleines Loch gepiekst hat: Drückt man die Flasche, spritzt ein Wasserstrahl heraus, zum Händewaschen.

Es ist eine einfache Erfindung, aber sie hat das Dorf zusammenrücken lassen, sagt der Dorfälteste: „Wenn jemand auf die Toilette muss, der gerade weit entfernt ist von seinem Haus“, so erklärt er, „dann ist er willkommen, sich auch bei anderen Dorfbewohnern zu erleichtern.“ Die Zuhörer stutzen. Der Dorfälteste ist nicht wirklich der Älteste, in dieser Hinsicht wird die Tradition recht flexibel gehandhabt, er ist 55 Jahre alt, heißt Nana Amani Koffine und trägt eine dicke goldfarbene Kette mit einem filigran gearbeiteten Anhänger in Form eines Elefanten. Jeder Dorfbewohner dürfe jede Latrine benutzen – „solange er nachher Bescheid sagt“. Andächtiges Schweigen.

Stille Örtchen mitten im Ort: In dem Dorf Konankro, wo diese großstädtische Idee seit einem Jahr ausprobiert wird, hat man allerdings auch ein Problem entdeckt, das bereits im Hintergrund lauert. Man hat nämlich unter jedem Hock-Abort ein drei Meter tiefes Loch ausgehoben. Das ist zwar tief genug, um Gerüche zu vermeiden und das Thema lange Zeit auf Abstand zu halten, aber irgendwann werden auch diese Löcher voll sein. Und dann? Eine Kanalisation gibt es im Regenwald nicht. Maschinen zum Abpumpen auch nicht. Eine Antwort haben auch die Sozialarbeiter nicht. Vielleicht tickt da in Wahrheit bereits eine Hygiene-Zeitbombe unter der Erde? Das vermutet jedenfalls ein Dorfbewohner in Konankro, woraufhin die versammelte Gemeinde in Gemurmel ausbricht.

Der Dorfälteste, Nana Amani Koffine, neigt nur nachdenklich den Kopf, die Augen geschlossen, so als horche er in sich hinein, oder als röche er gerade einem ganz feinen Duft nach.

Schneesturm aus Wörtern und Papier

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Der lachende Mann ist eine berüchtigte Figur des dokumentarischen Kinos. Die DDR-Regisseure Walter Heynowski und Gerhard Scheumann hatten den als „Kongo-Müller“ bekannten Söldner und Schlächter Siegfried Müller in einem Film porträtiert. Den muss man nicht kennen, um zu wissen, dass ein Lächeln mehr verbergen kann als Worte, dass es auch mehr erschrecken kann.



Zweimaliger Verteidigungsminister und einer der Drahtzieher für den : Donald Rumsfeld.

Donald Rumsfeld lächelt viel in Morris’ Filmporträt. Aber was ist das für ein Lächeln? Der 81-jährige zweimalige amerikanische Verteidigungsminister (unter den Präsidenten Gerald Ford und George W.Bush), einer der Drahtzieher des „War on Terror“, mitverantwortlich auch für die Folterungen in Guantanamo und Abu Ghraib, sieht im manchen Momenten wie ein netter älterer Herr aus, dann wie ein schlauer Fuchs und Staatsmann, manchmal aber auch wie ein selbstgefälliger böser Grinser. An diesem Lächeln prallt der Blick ab. Das muss auch Morris so empfunden haben, der aber trotzdem nicht aufhört hinzusehen.

Es ist dieser hartnäckige, unerschrockene, kalt analytische Blick, der auch diesen Film des Oscarpreisträgers auszeichnet. Seit drei Jahrzehnten rückt Morris damit recht undurchsichtigen Personen auf den Leib, darunter ist ein weiterer US-Verteidigungsminister, Robert S.McNamara, den Morris 2003 in „The Fog of War“ porträtierte, ferner der Konstrukteur von Hinrichtungsmaschinen und Holocaustleugner Fred A. Leuchter („Mr. Death – The Rise and Fall of Fred A. Leuchter“, 1999) oder der vermeintliche Polizistenmörder in „The Thin Blue Line (1988), der aufgrund von Morris’ Recherchen begnadigt wurde.

Hundert Minuten erleben wir nun Donald Rumsfeld, wie er die eigene Karriere und die jüngere amerikanische Geschichte sieht. Morris lässt ihn Auszüge aus jenen Zehntausenden Memos vorlesen und kommentieren, die Rumsfeld als Parlamentarier, Berater von vier US-Präsidenten und zweimaliger Verteidigungsminister verfasst hat. Hochspannende Momente der jüngeren amerikanischen Geschichte werden da beleuchtet, etwa ein Kommentar Nixons über Rumsfeld auf einem der Watergate-Bänder oder eine Botschaft Rumsfelds an Condoleezza Rice.

„Snowflakes“ nennt Rumsfeld seine weißen Notizzettel. Und es wirbelt gewaltig in der Schneekugel, die Morris immer wieder zwischen die Gesprächssequenzen schneidet. Der Schneesturm aus Wörtern und Papier entspricht der langen, bewegten Karriere, auf die Rumsfeld zurückblickt, und den politischen Stürmen, die er erlebt hat, darunter Vietnam, das Attentat von 9/11, der Irakkrieg und der Schock, als die Folterfotos aus Abu Ghraib öffentlich wurden. Das Wirbeln erinnert aber auch an den fog of war, den Nebel des Krieges, von dem Morris’ Film über Robert McNamara erzählt. Morris versucht diesen Nebel zu durchdringen, er will in die Köpfe seiner Figuren schauen und ist dabei so hartnäckig wie ein Ermittler.

So hermetisch wie Rumsfeld aber hat sich ihm noch kein Gesprächspartner präsentiert. Während McNamara in „The Fog of War“ eigene Entscheidungen in Zweifel zieht, sich und die Geschichte befragt, ob er vielleicht anders hätte handeln sollen, bleibt das Bild, das Rumsfeld von sich entwirft, undurchdringlich. Da hilft auch Morris’ berühmtes „Interrotron“ nicht, jene selbst konstruierte Kamera, bei der durch einen Spiegel das Gesicht des Regisseurs auf die Linse projiziert wird, wodurch Interviewer und Interviewter direkten Blickkontakt haben. Rumsfelds Fassade bleibt wie aus einem Guss – für den Zuschauer ist das frustrierend.

Immer wieder will man dazwischenrufen, Lügen zurechtrücken und wolkige Ausreden zerstreuen. Hätte Morris nicht härter fragen müssen? Hätte der Panzer dieses Kriegstreibers nicht unbedingt geknackt werden müssen? Es wäre ja auch so einfach gewesen, Rumsfeld in die Enge zu treiben, bis dieser... Ja, was? Das Gespräch abgebrochen hätte? Witzig den Gesprächspartner niedergebügelt hätte, wie so oft in Interviews, die Morris als Archivaufnahmen dazwischenschneidet?

Stattdessen lässt Morris Rumsfeld reden, überlässt ihm die ganz große Bühne, wie sie ihm nur ein so berühmter Filmemacher bieten kann. Rumsfeld dankt es ihm mit Charme, Esprit und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Und merkt nicht, dass er sich – geistreich philosophierend, mit der Sprache spielend, den entscheidenden Fragen wortreich ausweichend – gerade dadurch um Kopf und Kragen redet. Ein paar Kenntnisse der jüngsten amerikanischen Geschichte sollte der Zuschauer allerdings mitbringen, um Rumsfeld Ausführungen nicht blind folgen zu müssen, aber das ist nicht zu viel verlangt.

So sehr sich Morris beim Interview zurücknimmt, so deutlich wird er in der Montage.Einmal scheint aus der Kälte, mit der er Rumsfeld betrachtet, kalte Wut auf. Da erzählt dieser, wie er einen schwerverwundeten Soldaten und dessen Familie auf einer Intensivstation besuchte. Die Ärzte hätten den Mann abgeschrieben, erzählt Rumsfeld, dessen Frau aber hätte an sein Überleben geglaubt. Und der Soldat hätte überlebt! Rumsfeld hat Tränen in den Augen. Das wirkt wie eine üble Schmierenkomödie, wie der (Selbst)betrug eines Falken, der ein Happy End des Krieges herbeizureden versucht. Morris kommentiert das so präzise wie böse mit dem Schnitt auf einen Soldatenfriedhof.

„The Unknown Known“ ist auch die konsequente Fortführung von Morris’ „Standard Operating Procedure“, in dem sich der Regisseur 2008 mit der Folter in Abu Ghraib beschäftigte. Lynndie England oder Sabrina Harman erscheinen darin wie Ausführende eines Systems, das Folter mindestens billigte, als das letzte Glied in einer Kette, an deren anderem Ende Politiker wie Rumsfeld stehen. Nun sitzt dieser im selben Studio wie die beiden Soldatinnen und will sich rausreden.

Morris lässt seine Wörter und Sätze in einer animierten Sequenz buchstäblich in einem schwarzen Loch verschwinden. Rumsfeld – das ist „The Unknown Known“, eine Black Box, die am Ende aber nichts Faszinierendes mehr hat, nur noch leer wirkt in ihrer Abweisung von Skrupeln oder Einsicht. Mit dieser Haltung wurde Weltpolitik gemacht. Das ist das Schlimme daran.

The Unknown Known, US 2013 – Regie, Buch: Errol Morris. Kamera: Robert Chappell. Schnitt: Steven Hathaway. Musik: Danny Elfman. Verleih: Filmwelt, 102Minuten.

Tagesblog - 2. Juli 2014

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18:31 Uhr: Ich mach mich jetzt auf den Heimweg und vergieße vielleicht ein, zwei Tränchen wegen der null Herzen, die ich heut bekommen hab. Wenigstens frzzzls Kommentar tröstet mich ein wenig.





Drückt mir jetzt wenigstens die Daumen, dass es nicht wieder zu regnen anfängt. Ich hab nämlich nicht nur Sandalen an, sondern bin auch noch mit dem Fahrrad da...

Morgen begrüßt euch hier die wunderbare Charlotte Haunhorst. Habt einen schönen Abend!

++++

18:15 Uhr: Ein bisschen Serien-Nostalgie kurz vor Feierabend:

1. Sailor Moon ist zurück. Aber irgendwie macht mir das nur Lust, die alten Folgen wieder anzusehen. Naja. Eine oder so.

http://www.youtube.com/watch?v=I0B5gnKvHKQ#t=64

2. Endlich wissen wir, was aus den Darstellern aus "Eine himmlische Familie" geworden ist (Ruthie!)!

++++





17:58 Uhr:
Endlich gibt es eine neue Folge von "Frag Opa"! Dieses Mal hat Charlottes liebenswürdiger Opa das neue Buch von Christian Wulff gelesen und ist nun sehr schlecht auf die Medien zu sprechen. Außerdem geht es um den geretteten Höhlenforscher, den Mindestlohn und - natürlich - WM-Erkenntnisse. Hier geht's lang zum Interview.

++++

17:38 Uhr: Ahhhhh, so viele Texte, die ich noch in offenen Tabs liegen habe... Ich teile sie mal mit euch, dann vergesse ich hoffentlich heute Abend nicht, sie noch zu lesen bzw. anzusehen.

* Hakan über Ramadan.
* Etwas über junge Menschen und Parteien (und das Partykondom)
* Drei Frauen, die erzählen, wann und warum sie schon mal die Pille danach genommen haben. (Der Bundestag befasst sich heute mal wieder mal mit der Rezeptpflicht.)
* Gedanken übers Zugfahren. Auf einem neuen Blog, das ich mir bookmarken muss.
* Und Fotos von crazy Bäckereien auf der ganzen Welt.

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17:05 Uhr:
Ich wollte euch ja noch was fragen. Wir planen zusammen mit SZ.de gerade ein Projekt und brauchen dafür eure Unterstützung. Es geht ums Studentenleben - als erstes um das in München.

Was fällt euch dazu ein? Welches ist zum Beispiel das schönste Studentenwohnheim? Welche Studentenpartys könnt ihr empfehlen? Wo trefft ihr euch nach der Uni? Wenn ihr nicht in München aufgewachsen seid: Womit habt ihr euch schon mal in der Stadt, vor Münchnern blamiert? Wohin macht ihr am liebsten Ausflüge? Was unternehmt ihr, wenn eure Eltern zu Besuch kommen? Was ist euer Kultur-Geheimtipp?

Vielleicht mögt ihr ja was in diesem Text kommentieren. Oder ihr mailt mir (kathrin.hollmer@jetzt.de). Ich würd mich freuen!

+++





16:45 Uhr: Nein, ich hab natürlich alle Karten zurückgegeben. Und jetzt hätte ich gern eine Überleitung auf den Text von der morgigen Münchenseite, der eben bei uns online ging. Hab ich aber nicht, drum muss es auch so gehen: Lili zeigt uns ihre Straße, die Pfeuferstraße in Sendling. Schlimm, wenn man Hunger hat und über Perfekte phô lesen muss.

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16:20 Uhr:
Ich bin reich! (Das sind unsere Zugangskarten, auf die wir auch Geld laden, um damit zum Beispiel in der Kantine zu zahlen. Und bevor ich eben nach unten ging, um mir einen Kaffee zu holen, gaben mir die Kollegen einige Aufträge, was sie gern mitgebracht bekommen wollen.)

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16:06 Uhr: Im Kosmos ist heut aber nicht viel los! Gerade wollte ich mich durch ein paar Uertexte lesen - aber da tut sich nichts! Außer Digital_Datas Hinweis auf das Tippspiel. Viertelfinale und so. Oh. Und Streifen_Hoernchens Von-der-Leyen-Karikatur. Passt optisch auf jeden Fall zu seinem Profilbild.

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/st/streifen_hoernchen/text/regular/1020757.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/st/streifen_hoernchen/text/regular/1020757.jpg"]

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15:35 Uhr: Nach Oli Pocher, dem rappenden Opa und der Furz-App jetzt wieder ein bisschen mehr Ernst! Ein wirklich krasses Projekt ist "If We Were Syrian". Kanadische Journalisten zeigen in einer Grafik, wie zum Beispiel Deutschland aussehen würde, wenn Deutschland Syrien wäre: Alle Einwohner Leverkusens wären tot. Jedes Kind, das jünger ist als sieben Jahre, wäre auf der Flucht.

[plugin imagelink link="https://pbs.twimg.com/media/BpNNJofCUAA5Uxz.jpg" imagesrc="https://pbs.twimg.com/media/BpNNJofCUAA5Uxz.jpg"]
(Quelle und größere Ansicht)

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15:13 Uhr: Nein, das wars natürlich noch nicht mit Per. Oli Pocher hat auch was dazu beigetragen. Naja.

http://www.youtube.com/watch?v=pi4OQyPy-1g

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14:39 Uhr:  Hat wer 400.000 Dollar übrig? Dann könnte sie/er sich ihr/sein eigenes Dorf - mit dem Namen Swett - in South Dakota kaufen. Bürgermeisterposten ist inklusive. Ein Schnäppchen!

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14:10 Uhr:
Ich bin wieder zurück aus der Mittagspause. Und finde meine Facebook-Timeline gefüllt mit Links auf dieses Video vor:

http://www.youtube.com/watch?v=t66h8GWm7MU (via Hakan/SZ)

Jetzt ist die Mittagspause ja bei allen vorbei. Oder? Sonst: Sorry!

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12:40 Uhr:
Vielleicht seid ihr gerade in der Mittagspause, für diese kann ich euch die Lektüre unseres neuen Herzensbrechers wärmstens empfehlen. Dieses Mal geht es um Fremd-Peinlichberührtsein. Wenn nämlich Mercedes sieht, wie jemand stolpert oder aus Versehen gegen einen Poller läuft, macht es "Knack" und ihr bricht das Herz entzwei. Ganz schlimm!

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11:55 Uhr: Ich mag das ja immer irgendwie, wenn andere sich ein bisschen (nur ein bisschen!) ekeln. Ich erzähle zum Beispiel gern ausführlich von der Blutspende. Heute hab ich zwei andere Sachen aus dieser Kategorie geschickt bekommen, passenderweise kurz vor der Mittagspause. Aber es haben auch beide Themen mit Essen zu tun. Irgendwie.

Zum einen die "Fondue Slipper". Die werden so gemacht, was sich ziemlich eklig anfühlen muss:

[plugin imagelink link="http://satsuki.co/fondue00.jpg" imagesrc="http://satsuki.co/fondue00.jpg"]

Und sehen dann so aus:

[plugin imagelink link="http://satsuki.co/fondue1.jpg" imagesrc="http://satsuki.co/fondue1.jpg"]

Ich würd mir dafür ja nicht meine Füße mit Plastik einsauen lassen.

Und dann gibt es noch die App "Fart Code", ein Barcode-Scanner, der einem im Supermarkt sagt, wie, nun ja, nach dem Genuss des Gerichts mögliche Pupse klingen (und auch, an welchen Inhaltsstoffen das liegt, also voll wissenschaftlich).

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(Foto: suze/photocase.de)

11.30 Uhr:
Es folgt wieder etwas Eigenwerbung. Lucas hat für uns einen Textmarker geschrieben. Dieses Mal geht es um den Backpacking-Trend unter jungen Leuten. Laufen wir mit dem Rucksack vor der Krise weg? Für die Antwort bitte hier entlant.

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10:55 Uhr: Die Konferenz ist vorbei, ich höre mich gerade durch ein paar Musikvideos, die eins gemeinsam haben: Die Musik wird von Hirnströmen erzeugt. Von Hirnströmen! Ich habs auch noch nicht ganz kapiert.

Das klingt zum Beispiel so:

http://vimeo.com/65175792

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09:50 Uhr:
So, heute müsst ihr wissen:

* Die Verteidigungsministerin von der Leyen will jetzt doch bewaffnete Drohnen einsetzen KÖNNEN. Wird sie heute im Bundestag erläutern. Ist ja noch WM, gell.
* Man muss Nicolas Sarkozy (gerade verhaftet worden) wirklich nicht sympathisch finden. Aber der rechtsextremen Front National gönne ich keinen Grund zur Freude!
* Heute nimmt der Untersuchungsausschuss zur Kinderpornografie-Affäre um den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy seine Arbeit auf.
* Ottmar Hitzfeld hat gestern seine Karriere beendet.
* Der US-Torhüter Tim Howard wurde gestern auf Wikipedia kurzfristig zum US-Verteidigungsminister gemacht:

[plugin imagelink link="https://pbs.twimg.com/media/Brfpmp6IUAASzDP.jpg" imagesrc="https://pbs.twimg.com/media/Brfpmp6IUAASzDP.jpg"] (via Usatoday.com)

* Und Obama sieht aus wie Pharrell Williams' Papa:

[plugin imagelink link="http://www.drlima.net/wp-content/uploads/2014/07/10429238_2267813009940604_8150641240076999423_n.jpg " imagesrc="http://www.drlima.net/wp-content/uploads/2014/07/10429238_2267813009940604_8150641240076999423_n.jpg "] (via Drlima.net)

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(Foto: flo-flash/photocase.com)

09:20 Uhr:
Bevor ich für euch zusammentrage, was an diesem Mittwoch wichtig wird, noch ein Hinweis auf unseren Ticker. Wir wollen wissen: Wann werdet ihr zum Per? Ihr wisst schon:

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=bMJJMpufE2g

Wen habt ihr schon mal angemotzt, obwohl er oder sie nur ihren Job gemacht hat? Erzählt es uns hier!
In den Kommentaren unter dem Ticker habe ich schon ein paar Schlagworte entdeckt, die mir im Nachhinein auch ein schlechtes Gewissen bereiten. Call-Center-Mitarbeiter (danke, lakrizia_borgia), Verkaufs- und Gastroservicepersonal (danke, eha). Und jetzt ihr!

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09:00 Uhr:
Superpünktlich sag ich: Guten Morgen! Meine Ohren sind nach der SZ.de-Konferenz jetzt wieder aufgetaut (auf dem Fahrrad auf dem Weg ins Büro sind sie quasi schockgefrostet worden). Und ich freu mich, dass wieder bzw. immer noch ganz viele Mails mit superspannenden Praktikumsberichten eintreffen.

Herr der Schulbücher

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Natürlich fällt einem in diesem Moment am Eingangstor zum Klett-Verlag Helmut Schmidt ein. Der Alt-Kanzler ist wohl der einzige, der noch im Fernsehen rauchen darf und sonst überall. Stets bleibt da der Eindruck vom nicht gerade gesundheitsförderlichen, aber vielleicht doch inspirierenden Müßiggang, von vergangenen Zeiten, als noch die zu Ende gedachten Ideen zählten und die guten Gespräche und nicht so sehr das Drumherum und orthodox beachtete Regeln. Heute ist das meist anders, das mit dem Rauchen, das mit den Gedanken, zumal in den wirtschaftlichen Institutionen, in denen die Chefs ambitioniert an Business-Runs teilnehmen.



Ein deutsch-französisches Geschichtsbuch für Abiturienten von der Klett-Gruppe.

Insofern wirkt dieser Mann, der da in Stuttgart am Tor steht, irgendwie aus der Zeit gefallen: Philipp Haußmann, 48, zündet sich erst einmal eine Zigarette an, eine von den richtig starken, erzählt davon, dass im Hinterhof einst Robert Bosch und seine Leute die Zündkerze erfanden und steigt dann mit einer neuen glimmenden Fluppe in den Aufzug. Als Chef des größten Schulbuchverlags der Republik und eines Konzerns mit 450 Millionen Euro Umsatz. „Das darf jeder bei uns, das haben wir so entschieden“, sagt er bloß. So einer will Vorbild sein, für Schüler und Mitarbeiter?

Aber so ist das eben bei Klett. Hier läuft einiges anders, als bei anderen Unternehmen – aber, soviel sei bereits gesagt, durchaus nicht schlechter, eher im Gegenteil. Und ja, vielleicht hat das auch ein bisschen was mit den Zigaretten zu tun, die für eine Freiheit stehen, die selten zu finden ist.

2880 Menschen arbeiten für dieses Familienunternehmen, von dessen Büchern wohl so ziemlich jeder schon einmal eines in der Hand gehalten haben dürfte. Sei es eines der Greenline-Schulbücher zum Englischlernen, die Schriften von Jean Amery, oder der Fantasy-Klassiker „Herr der Ringe“. Insgesamt veröffentlicht Klett jährlich 3000 Printtitel, 41000 sind lieferbar. Die Ursprünge des Unternehmens gründen auf einer Druckerei, die hier einst stand und von Ernst Klett 1897 übernommen wurde. Die Verlegerei war ein Nebengeschäft – bis 1945 die amerikanische Militärregierung Ernst Klett junior eine Verlagslizenz gewährte und vor allem Papier zur Verfügung stellte. Und weil der Mann kein Nazi war, durfte Klett als einer der ersten Schulbücher für das Nachkriegsdeutschland verlegen. Es war der Beginn des Aufstiegs in die Oberliga der Verlagswelt.

Eine Druckerei gibt es heute nicht mehr, aber dafür ein Konglomerat von knapp 60 Tochterunternehmen, denen inzwischen die vierte Generation vorsteht: Philipp Haußmann ist Urenkel des Gründers. Und Haußmann ist einer, der Klett als einen Konzern im besten Sinne leitet: In der Zentrale, dem Haus R77, gegenüber des pittoresken Feuersees, finden sich nur die Buchhaltung, die Pressestelle und die Geschäftsführungsbüros. Überschaubar. Die außen herum und an anderen Standorten verteilten Tochterfirmen haben bewusst so viele Freiheiten, dass sie hier mitunter nicht sofort auf dem Stand sind, was Pläne und Zahlen anbelangt. Aber das ist eingerechnet: „Mein Ziel ist es, dass die Bürokratie nicht größer wird“, sagt Haußmann.

Er will den anderen Platz lassen, im räumlichen und im gedanklichen Sinne, ihnen den Rücken freihalten. Ist er denn dann überhaupt Verleger? „Im funktionalen Sinne nicht“, sagt Haußmann. Er erkenne zwar „Schrott“, wenn er ihn nach Erscheinung lese, soweit reiche es, aber er führe keine Gespräche mit den Autoren, wähle keine Programme aus, das was den klassischen Verleger kennzeichne. Aber: der reine Unternehmer ist Philipp Haußmann auch nicht, das merkt man, wenn man in die gediegene Stadtvilla auf dem Gelände geht, in dem Klett-Cotta untergebracht ist, der Literatur- und Sachbuchableger. Exposés liegen auf den Tischen, eine Büste von Ernst Jünger steht im Empfang. Ernst Jünger, der umstrittene Autor mit dem Ruch des Nationalismus? „Wir sind liberal hier in einem altertümlichen Sinne“, sagt Haußmann, „intelligente Meinungen jedes Spektrums finden bei uns Platz.“ Es ist Ausdruck schwäbischen, bürgerlichen Liberalismus: Skeptisch sein, aber doch am Gemeinwohl orientiert und am gesellschaftlichen Diskurs. Er ascht gerade ab, da geht eine Tür auf und sogleich ist er umringt von jungen Lektoren, die dieses oder jenes mit ihm besprechen wollen. Wobei es beim Blick auf die anderen Klett-Aktivitäten gerade im Bildungsbereich schon stimmt, dass Haußmann kein reiner Verleger ist: Unter seiner Leitung vertreibt die Klett-Gruppe zunehmend nicht nur Unterrichtsmaterialien, sondern nutzt sie auch selbst: 90 Schulen und Fachhochschulen betreiben die Schwaben mittlerweile; eine der jüngsten ist die Galileo-Grundschulen in Stuttgart, die ihren Pausenhof auf dem Dach hat und bei der eine ehemalige Penthouse-Wohnung zum Musikzimmer umfunktioniert wurde.

Eigene Schulen sind eine Möglichkeit in dem Bildungsmarkt zu wachsen, der wettbewerbsintensiv ist, in Deutschland etwa mit der Konkurrenz von Cornelsen oder Westermann, und bei dem sich nur wenige Inhalte in andere Länder und damit andere Lehrpläne übertragen lassen. Zwar bringen die Klett-Schulen keine große Rendite, sind doch die Gebühren nach Einkommen gestaffelt und auch Stipendien werden oft vergeben. Diese Institution sollen sich „nicht nur Eltern leisten können, die dann mit Jeeps und großen Limousinen vorfahren“. Aber es ist ein beständiges Geschäft, denn Schulen wird es immer geben, und vor allem macht es Spaß. „Endlich können wir selbst umsetzen, wie wir uns sehr guten Unterricht vorstellen“, sagt Haußmann. Natürlich, am Ende geht es meist um das Abitur, aber es soll eben um mehr als Wissen drehen: Auch Motorik, Frustrationstoleranz und Sozialverhalten stehen im Mittelpunkt. „Wir wollen die Kinder zu Menschen machen, die eine Haltung haben“, sagt Haußmann, der Verleger, der damit gewissermaßen auch Schuldirektor ist und Bildungsunternehmer.

In dem abbruchreifen Gebäude hinten rechts am Radlständer hat er einst angefangen. Als Küchenjunge. Hunderte Eier mit Senfsoße hat er dort bereitet – ohne dass die Leute auf Anhieb wussten, dass da einer aus der Verlegerfamilie schaffte: Ein Haußmann ist eben nicht auf Anhieb als Urenkel des Verlagsgründers Ernst Klett erkennbar. Im Landerziehungsheim, sehr christlich, sehr aufgeklärt, lernte er für’s Abitur, studierte dann Recht und Romanistik. Und kehrte, mit 30 Jahren, in den Verlag zurück, diesmal als Trainee und rückte einige Jahre später in den Vorstand auf. Die Gesamtführung war eigentlich nicht vorgesehen.

Doch ein installierter Fremdgeschäftsführer scheiterte. Der Mann der dritten Familiengeneration, Michael Klett, übernahm wieder, weil das Unternehmen „in kürzester Zeit auch menschlich so in Unordnung geraten“ war, wie er selbst einmal erklärte. Und übergab den Laden alsbald in die Hände seines Neffen Philipp, der von sich sagt: „Ich bin hier quasi zu Hause.“ Deswegen ist das mit dem Rauchen schon in Ordnung. Und: So etwas wie bei der Verlegerfamilie Bertelsmann, die einst an einen Thomas Middelhoff übergaben, passe eben nicht zu Klett: „Ein Manager, der 25 Prozent Rendite verspricht, der arbeitet in einer Art, die nicht mit diesem Unternehmen vereinbar ist.“

Einstellig dürfte derzeit die Umsatzrendite sein, aber das ist in Ordnung, sagt Haußmann. Gewinn sei eine notwendige Nebenbedingung. Aber nicht das Ziel; nur ein kleinerer Teil fließt angeblich an die Erben ab. „Die Vernichtung der Dumpfheit, das ist es, was wir tun, wobei wir helfen.“ Entsprechend sei ihm wie auch den Vorgängern etwa Klett-Cotta so wichtig. Die Sparte macht zwar nur fünf Prozent vom Umsatz, aber spiegelt eben doch auch den theoretischen Überbau, den etwa die große Schulbuchsparte praktisch vermittelt.

Das mit der Dumpfheit klingt ein wenig pathetisch. Aber es ist Haußmann völlig ernst. Wenn die Bildungsmesse Didacta alle Jahre in Stuttgart Station macht, kann man das erleben. Dann lädt er so wie in diesem März eine kleine Runde von Lehrern und Autoren in sein Privathaus auf der Karlshöhe, von der man beinahe auf das Verlagsgelände sehen kann. Drumherum wohnen viele der Familie, sein Cousin David Klett ist gekommen, ein promovierte Philosoph. Ohne viel Aufhebens kündigt der Hausherr zwei Impulsvorträge in seinem Wohnzimmer an; er ist nicht der große Conférencier, der sich in den Mittelpunkt stellt. Klavier wird gespielt, einige Flaschen Wein werden aufgemacht.

Und im Zigarettenqualm gewinnt dann eine Diskussion über die richtige Inklusion von behinderten Kindern an Fahrt und wie das die Denker der Frankfurter Schule gesehen hätten. Zu Google und Amazon geht es und deren Versuch, auch die Kultur und die Bildung zu beeinflussen. „Hochgefährlich“, kommentiert Haußmann und gibt zu bedenken: Wem nützt diese Entwicklung inwiefern? Dabei hält ja sein eigener Verlag ja auch immer mehr digitale Unterrichtsblätter oder multimedial aufgehübschte Schulbücher bereit. Den Lehrern und den Schülern möglichst viele Angebote machen, aber unabhängig von der Infrastruktur, das ist seine Haltung dazu. Wahrscheinlich werde man zum Ende des Jahrzehnts digital Vokabeln lernen und Landkarten auf dem Computer ansehen. „Aber das gedruckte Schulbuch bleibt doch“, sagt er. Als Leitplanke für alle, abgesegnet von den Kultusministerien. Es ist ein Satz, in dem wohl Hoffnung mitschwingt, ist das doch weiter das Hauptumsatzfeld, und das Einverständnis, dass die Leitlinien der Bildung neutral organisiert werden sollten.

Es ist eine der seltenen Runden mit Nachdenklichkeit, aber auch Entschiedenheit und Haltung in dieser von der Autoindustrie und Umsatzzahlen allzu sehr geprägten Stadt. Als sich die Gäste verabschieden, ist es schon eher Morgen als Abend. Und Haußmann lädt noch zu einer letzten Zigarette, vor dem Alltag in ein paar Stunden.

„Auch wir haben mit Paket-Drohnen gespielt“

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Düsseldorf – Nur 30 Minuten vom Anklicken des „Kaufen“-Knopfes im Internet bis zur Lieferung an der Haustür. Das wäre absoluter Rekord. Länger soll es nach dem Willen von Amazon-Gründer Jeff Bezos bald nicht mehr dauern, bis seine Kunden die gerade erst im Internet bestellte Ware in den Händen halten. Wie das gehen soll, führte Bezos Ende vergangenen Jahres in den USA vor: Drohnen, die fliegenden Riesenspinnen ähneln, sollen die Pakete künftig beim Kunden zu Hause abliefern. In vier bis fünf Jahren könne es in den USA schon soweit sein, meint Bezos.



Drohnen können nicht nur zur Verteidigung, sondern auch in der Landwirtschaft und für die Zulieferung von Paketen eingesetzt werden.

Die Ankündigung wirbelte die Paket-Branche weltweit durcheinander. Fast jedes Unternehmen hatte plötzlich schon mit Paket-Drohnen experimentiert, auch die Deutsche Post DHL. Gleich am Tag nach Bezos’ Botschaft musste Kurt Kuehn, Vize- und Finanzchef des US-Paketdienstes UPS mit 55 Milliarden Dollar Umsatz und fast 400000 Beschäftigten, in der morgendlichen TV-Börsensendung „squawk box“ Rede und Antwort stehen. Dabei machte er eine neue Erfahrung: „Über Drohnen zu sprechen, ist eine hervorragende Möglichkeit, Publicity zu bekommen.“

Ganz so euphorisch wie der Amazon-Gründer ist Kuehn aber nicht: „Auch wir haben mit Paket-Drohnen gespielt“, sagt er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, „es ist aber schwer vorstellbar, wie sie flächendeckend so eingesetzt werden können, dass keine Gefahr von ihnen ausgeht.“ Lediglich in besonderen Fällen, bei speziellen Kundenwünschen und in entlegenen Regionen, könnte die Lieferung per Drohne in Zukunft eine Rolle spielen.

Doch Drohnen sind nicht alles, womit Amazon-Chef Bezos die Logistiker zurzeit unter Druck setzt. Seit einigen Monaten macht der Onlinehändler den Paketdiensten Konkurrenz und liefert in den USA auch selbst Pakete aus. Amazon will die Kunden noch am selben Tag bedienen und damit schneller sein als UPS, Fedex und andere. „Die Märkte werden sich durch Amazon stark verändern“, ist Kuehn überzeugt. Doch sein Unternehmen sei davon weniger betroffen als andere, glaubt er. „Ist Amazon ein Konkurrent für UPS? Nein, solange wir die Bedürfnisse unserer Kunden besser erfüllen, nicht.“ Pakete noch am selben Tag auszuliefern, wie Amazon es tut, hat aus Kuehns Sicht zurzeit für den Marktführer UPS keinen Sinn: „Die meisten Kunden bestellen im Internet nach drei Uhr nachmittags, daher konzentrieren wir uns auf das Geschäft mit Lieferungen am Folgetag.“ Auch glaubt er nicht, dass Amazon komplette eigene Logistik-Netzwerke aufbauen will. Amazon sei nur mit dem Service der Zustelldienste in Einzelfällen nicht zufrieden. „Daher testen sie zurzeit ein wenig das Geschäft mit Lieferungen am selben Tag.“

Tatsächlich hält sich die Bedrohung durch Amazon angesichts des rasant zunehmenden Online-Handels laut Branchenstudien in Grenzen – noch. Aktuell wächst das Geschäft mit Waren im Internet nach einer Analyse von Credit Suisse viermal schneller als die Weltwirtschaft. Von einem Verdrängungswettbewerb kann daher noch keine Rede sein. Zumindest nicht in den nächsten fünf Jahren.

In Europa und insbesondere in Deutschland kämpft UPS vor allem mit einem Konkurrenten – der Deutschen Post DHL. Gegenüber dem ehemaligen Staatsunternehmen kann sich Kuehn, der 1977 als einfacher Fahrer bei UPS anfing, einen Seitenhieb nicht verkneifen: „Wir vergleichen uns nicht ständig mit der Deutschen Post, einem Konzern, der ein staatlich subventioniertes Monopol hat.“ Den Rivalen hatte UPS in einem EU-Verfahren vor einiger Zeit bereits auf Rückzahlung illegaler Beihilfen im Briefgeschäft verklagt.

Nun setzt UPS erneut zum Angriff auf die Deutsche Post an. In den vergangenen Monaten hat Kuehn, der unter anderem die Eliteuniversität Yale besuchte, eine neue Strategie entwickelt: „In den nächsten drei bis fünf Jahren wollen wir in Europa eine Milliarde Dollar investieren.“ Ein Großteil davon fließe nach Deutschland, „einen unserer stärksten Wachstumsmärkte weltweit“, wie Kuehn betont. Geplant sei, die Logistik-Kapazitäten auszubauen, also etwa in neue Verteilzentren zu investieren. Am Flughafen Köln/Bonn unterhält UPS sein wichtigstes Drehkreuz für Lieferungen in Europa. Schon 2013 hatte UPS dort 200 Millionen Dollar in den Ausbau und in eine neue Frachthalle investiert.

Teil der neuen Konzernstrategie, die im November vorgestellt werden soll, sind aber auch Übernahmen. „Wir halten vor allem Ausschau nach Zukäufen im Bereich Healthcare“, wird Kuehn konkret. Der Transport von Medikamenten sei eine besondere logistische Herausforderung, da sie empfindlich gegen Temperaturschwankungen seien. Auch die Pflege älterer Menschen zu Hause führe dazu, dass mehr Medizin hin- und hertransportiert werden müsse.

In Europa hatte UPS bei der Expansion zuletzt einen schweren Rückschlag erlitten. Die Amerikaner hatten 5,2 Milliarden Euro für die Übernahme des niederländischen Konkurrenten TNT Express geboten. Damit wären die Amerikaner in Europa zur Nummer eins aufgestiegen. Nach monatelanger Hängepartie untersagten jedoch die EU-Wettbewerbshüter den Deal. „Weil wir uns sehr intensiv mit der Übernahme beschäftigt haben, sind wir in Europa vorübergehend strategisch ins Hintertreffen geraten“, räumt Kuehn nun ein. Jetzt verfolge UPS daher den Plan B: Wachstum durch kleinere Übernahmen und aus eigener Kraft.
Den Privatkunden in Deutschland will das US-Unternehmen schon bald ein ganz neues Angebot machen. Ein Angebot, das in den USA unter dem Namen „UPS My Choice“ zwei Jahre nach Einführung bereits neun Millionen Menschen nutzen. „Die Kunden können dabei den Weg ihres Pakets nicht nur im Internet verfolgen, sondern selbst eingreifen und den Zustellort oder die Zustellzeit ändern.“ Also etwa bestimmen, dass das Päckchen ins Büro geliefert wird statt nach Hause. Dazu müssen sich die UPS-Kunden lediglich vorher im Internet registrieren lassen.

Als Alternative würde sich ein Paketkasten anbieten. Eine solche Box, die sich Kunden in den Vorgarten stellen können, hat die Deutsche Post seit Kurzem im Angebot. Die Idee: Leute, die im Internet bestellen, müssen nicht zu Hause bleiben oder Nachbarn verständigen, wenn der Paketbote kommt. Wie beim Briefkasten entnehmen sie abends ihr Päckchen einfach der Box. Doch die Deutsche Post will bisher nur ihren eigenen Boten Zugang zum Kasten verschaffen – aus Datenschutzgründen, wie die Bonner argumentieren.

Kuehn ist über diesen Alleingang verärgert: „Die Paketboxen in Deutschland sind ein gutes Beispiel dafür, wie die Post ihre Monopolstellung und ihre dominante Marktposition ausnutzt.“ Besser für alle, vor allem für die Kunden, wäre aus seiner Sicht eine Box, zu der alle Paketdienste Zugang haben. Er hegt sogar Zweifel, ob das Vorgehen der Post überhaupt rechtens ist: „Ob die Paketbox mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar ist, darüber müssen andere entscheiden.“ Sollten die Bonner nicht einlenken, werde UPS voraussichtlich zusammen mit Wettbewerbern eine alternative Paketbox anbieten, die dann allen offenstehen soll – auch der Deutschen Post.

Die Vorbereitungen der Konkurrenten laufen schon auf Hochtouren. Wie aus Branchenkreisen verlautete, arbeiten Wettbewerber wie GLS, DPD, Hermes und UPS in Deutschland schon konkret an einem gemeinsamen Paketkasten. Damit wollen sie wiederum auch dem Onlinehändler Amazon zuvorkommen.

Nicht, dass Jeff Bezos eines Tages noch selbst auf die Idee kommt, den Kunden einen Amazon-Paketkasten anzubieten.

Kurt Kuehn fing 1977 beim Paketdienst UPS als einfacher Fahrer an und arbeitete sich bis zum Finanzchef hoch. 1999 begleitete er den Börsengang, der als größter des 20. Jahrhunderts gilt.

Von der Leyen bereit für Kampfdrohnen

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Berlin – Die Bundeswehr soll künftig unter bestimmten Bedingungen Kampfdrohnen einsetzen können. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach sich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung dafür aus, der Truppe bewaffnungsfähige Drohnen zur Verfügung zu stellen. Komme es zu einem Kampfeinsatz, hätte das Parlament dann die Option, „mit dem Mandat und auf den konkreten Fall bezogen auch die Frage der Bewaffnung der Drohne zum Schutz der entsandten Truppen zu entscheiden“, so die Ministerin.



Bezieht erstmals Stellung in der Debatte über Kampfdrohnen: Ursula von der Leyen.

Von der Leyen positioniert sich damit erstmals in der kontrovers geführten Debatte über Kampfdrohnen. Sie skizzierte ihre Vorstellungen in zwei Schritten. Zur langfristigen Perspektive sagte sie: „Ich bin der Überzeugung, dass wir in die Entwicklung einer europäischen bewaffnungsfähigen Drohne einsteigen müssen. Für ein solches Projekt, das mindestens ein Jahrzehnt dauert, werden wir nun Partner suchen.“ Sie hob zugleich den zivilen Nutzen einer solchen Entwicklung hervor.

Auf die Frage, wie sie die Zeit bis zur Einsatzreife der europäischen Drohne überbrücken wolle, hob von der Leyen die Vorteile einer Leasing-Lösung hervor, wie die Bundeswehr sie in Afghanistan praktiziert. Dort setzt sie unbewaffnete israelische Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron ein, der Leasingvertrag läuft im nächsten Jahr aus. „Eine solche Lösung hat sich bewährt“, sagte die Ministerin: „Sie hat den Vorteil, dass man hierzulande keine eigene Zulassung braucht.“ Sie fügte an: „Wir könnten jederzeit flexibel darauf reagieren, was künftige Einsätze von uns verlangen. Und da die neueren Modelle ohnehin bewaffnungsfähig sind, stünde uns damit künftig nicht nur die dringend benötigte Aufklärungsdrohne zur Verfügung.“ Über eine Bewaffnung entscheide dann das Parlament. Zwar sollten die Abgeordneten auch künftig nicht über die Ausrüstung der Truppe abstimmen. „Aber sie entscheiden zum Beispiel heute schon darüber, ob Luftnahunterstützung zum Schutz der Truppe am Boden zulässig ist oder nicht.“

Für ein Leasing-Modell im Fall konkreter Einsätze spricht aus von der Leyens Sicht auch, dass sich „im Augenblick“ kein neuer Einsatz abzeichne, bei dem man Drohnen brauche. Damit kommt sie dem Koalitionspartner entgegen. Die SPD steht Kampfdrohnen kritisch gegenüber. Ihre Verteidigungspolitiker hatten zuletzt deutlich gemacht, dass sie derzeit keinen Bedarf für diese Waffensysteme sähen.

Von der Leyen versicherte, dass die Bundeswehr im Fall eines Leasings auch zwischen den Einsätzen mit Drohnen üben könnte. „So wie heute auch könnte das Training außerhalb von Deutschland stattfinden.“ Vor diesem Hintergrund spricht viel für die israelische Drohne Heron TP, das Nachfolgemodell der derzeit genutzten Heron. Auch das US-Modell Predator Bwar zuletzt in der engeren Auswahl gewesen.

Die Ministerin bestätigte zudem erstmals, dass sie die Unternehmensberaterin Katrin Suder von McKinsey ins Ministerium holen will: „Ich kann bestätigen, dass ich dem Kabinett Frau Suder als für den Rüstungsbereich zuständige Staatssekretärin vorschlagen möchte.“

Mit dem Rucksack aus der Krise

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Angestrichen:  
Under these circumstances, it makes sense that we'd travel now, instead of saving travel for a future that is in no way guaranteed.

Wo steht das? 
In der Online-Ausgabe des US-Magazins The Atlantic.    

Worum geht es?  
Um die unersättliche Reiselust von uns "Millenials", also der heute 16- bis 34-Jährigen – und was die mit unserer Zukunftsangst zu tun hat. Unsere Reisegewohnheiten unterscheiden sich nämlich dramatisch von denen unserer Vorgänger, sagen verschiedene aktuelle Studien. Tenor: Monatelange Weltreisen sind heute überwältigend beliebter als je zuvor.  

Die Autorin Amanda Machado, mit 26 Jahren selbst mittendrin im Millenials-Pool, versucht nun, diesen Trend zu erklären. Mit einem erstmal widersprüchlichen Gedanken: Unsere Generation, bekanntermaßen krisengeplagter und mit weniger Aussicht auf Festanstellung und/oder einen gesicherten Rentenplan denn je, ist nicht trotz der wirtschaftlichen Widrigkeiten extrem reiselustig - sondern gerade deshalb. Wir reisen jetzt mehr, so die These, weil unsere Zukunft so ungewiss ist wie nie.  

Kurz die Zahlen der Marktforscher: 200 Millionen Touristen auf der Welt sind in unserem Alter, das ist jeder fünfte. Diese jungen Massen bescheren der Touristikbranche 180 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr – ein Drittel mehr als noch 2007. Keine Gruppe wächst schneller und keine bleibt länger auf Reisen, nämlich im Schnitt 58 Tage.



Und tschüs! Je weniger uns die Arbeitswelt zu bieten hat, desto weniger sind wir bereit, Kompromisse dafür zu machen.

Fragt sich nur, wie man diesen Zahlenwald deutet. Zum Beispiel so, dass Erfindungen wie Airbnb, Couchsurfing oder Skyscanner das Reisen bequemer, günstiger und insgesamt weniger riskant gemacht haben. Junge Leute sind folglich deutlich offener gegenüber der Vorstellung, mit dem Rucksack tiefer in die weite Welt zu dringen als ihre Eltern. Anderer Aspekt: In immer mehr Schwellenländern wachsen die Löhne, da entstehen Heerscharen neuer Millenials, die plötzlich Geld für Rucksäcke und Flugtickets haben. Und weil die Backpacker-Industrie ohnehin nie stärker war, dritter Aspekt, ist eine Weltreise längst nicht mehr den Reichen vorbehalten.

Es gibt aber noch eine Meta-Erklärung und die lautet: Die Aussichten junger Leute auf dem Arbeitsmarkt waren selten so düster wie heute. Die Geldspeicher der Sozialversicherungen schmelzen angesichts der Überalterung, immer weniger Firmen zahlen Pensionen, immer weniger Firmen stellen überhaupt noch junge Leute fest an. Früher war der Ruhestand schon mit dem ersten Arbeitsvertrag im Großen und Ganzen abgesteckt, man wusste: Zwei Wochen Strandurlaub im Jahr sind drin, dafür arbeite ich 40 Jahre und habe dann einen goldenen, zumindest bequem aufgepolsterten Lebensabend. Heute kann keiner genau sagen, wie viel Geld ihm später mal zur Verfügung steht, und wenn doch, wieviel das dann noch wert sein wird. Immer mehr Leute ahnen: Könnte eng werden mit dem Häuschen am Strand, den weißgedeckten Brunchtischen und was die Fernsehspots der Rentenversicherer sonst so versprechen.  

Die Folge: Wir reisen lieber jetzt, als das Reisen auf später zu verschieben. Wer weiß, ob es später nicht finanziell noch enger wird. Und ob wir später nicht doch zu bequem sind, um noch in Achtbettzimmern zu schlafen und vier Stunden an guatemaltekischen Bushaltestellen zu warten.

Der Begriff Prokrastination, der uns Millenials und unserer neuen Laptop-Arbeitswelt ja sonst in jeder Feuilletonisten-Diskussion wie angegossen sitzt: Er scheint gerade beim Reisen völlig aufgehoben. Wir schieben da lieber nichts mehr auf später, weil da vielleicht nichts mehr kommt. Weil wir vielleicht draußen in der Welt auf neue Inspiration treffen. Und weil wir ohnehin eine neue Vokabel gelernt haben, die unseren Eltern noch unbekannt war: Work-Life-Balance. Denn wer nach der Uni erstmal zwei Jahre in einem 60-Stunden-Job gerödelt hat und merkt, wie wenig er von seinen Freunden noch zu Gesicht bekommt, zieht viel schneller die Handbremse als früher, als die Jobs zwar vielleicht auch nicht mehr Spaß machten, aber immerhin noch ein fester Rentenplan mit zum Paket gehörte.  

Je weniger die Arbeitswelt uns bietet, desto weniger bereit sind wir, Kompromisse dafür zu machen. Statt ein Jahr zu ackern für zehn Tage Strandurlaub jobben wir lieber quartalsweise und reisen dann drei Monate durch Kambodscha. Ob das langfristig die Situation verbessert, ist die Frage. Aber zumindest eines dürfte sich mit dem Trend ändern: Eine mehrmonatige Weltreise im Lebenslauf wird immer weniger zum Problem im Vorstellungsgespräch, je mehr junge Leute eine haben. Vorausgesetzt, sie werden irgendwann mal Personalchefs.

Was mir das Herz bricht: Die Scham der Anderen

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In der Öffentlichkeit steht man unter Beobachtung. Das weiß man, deshalb bohrt man da nicht in der Nase, kratzt sich nicht untenrum und passt auch sonst sehr stark auf, dass man nicht durch irgendwelche Kleinigkeiten als „Bürger out of control“ auffällt. Das kriegt man normalerweise ganz gut hin. Bis einem passiert, was jedem mal passieren kann: ein unvorhergesehenes Missgeschick.

Man stolpert zum Beispiel über die Bordsteinkante, fährt mit dem Fahrrad aus Versehen gegen einen Mülleimer, verschluckt sich in der dichtgedrängten U-Bahn an der eigenen Spucke oder erschrickt sich vor der einsetzenden Krankenwagensirene. Es gibt aberhunderte solcher schlimmer Momente. Das Gute ist: Sie passieren einem nicht nur selbst. Sie passieren auch anderen, täglich und überall. Das ist aber auch das Schlimme daran. Zeuge davon zu werden, wie anderen etwas peinlich ist, tut mindestens genauso weh, wie wenn einem selbst etwas peinlich ist.



"Peng". Und dann "Knack".

Man sieht, wie jemand energischen Schrittes gegen eine Glastür rennt. Oder im Laden gegen eine Spiegelwand. Man bekommt mit, wie in einem Geschäft jemand glaubt, zu seinem Begleiter zu sprechen, aber erst nach einer ganzen Weile merkt, dass die Person neben ihm nicht sein Begleiter, sondern ein Fremder ist, der schon ganz betreten auf ein bestimmtes Produkt guckt, um nicht sagen zu müssen: „Du, ich bin’s gar nicht.“

Nach so einem kleinen Schock reagiert man leider nie cool, hat nie sofort einen lustigen Spruch auf den Lippen oder lacht ehrlichen Herzens über sich selbst. Das geht immer erst später, wenn man unter Freunden ist. In dem Moment, in dem einem die eigentliche Peinlichkeit passiert, ist man mit sich allein und hat niemanden, an dessen Schulter man seinen Kopf hauen und „Peinlich, peinlich“  rufen und mit dem man drüber lachen kann. Man muss die Scham dann mit sich selbst ausmachen und am besten geht das, denkt man, indem man so tut, als wäre gar nichts gewesen. Man will schnell zurück ins Kostüm der Unantastbarkeit und versucht, so entspannt und gleichgültig wie möglich auszusehen, während es in einem natürlich nur so gärt vor schlimmer Pein. Und weil gerade in solchen Momenten unter sich ansonsten gänzlich fremden Menschen noch die Telepathie funktioniert, hören die anderen Menschen dieses Gären. Sie hören, wie es aus dem Herzen des Betroffenen laut und bestürzt „Ohneinnohgottbittenichtwiepeinlichhoffentlichhatmichkeinergesehen“ heraus schallt, während er einen auf cool macht, aber leider gar nicht mehr cool wirkt.

Was tut man also? Natürlich weggucken. Man will ihn ja entlasten. Man weiß ja, wie weh das tut, sich allein zu schämen. Nur ist der Telepathie-Kanal unter den Anwesenden noch immer eingeschaltet, das heißt: Der Betroffene weiß, dass alle nur weggucken, um ihn zu entlasten. Und jetzt potenziert sich die große Scham über ein so unwichtiges, nichtiges, eigentlich doch sogar sympathisches kleines Missgeschick auf allen Seiten ins Unermessliche.

In solchen Momenten wird mir klar, dass wir Menschen ein Haufen kleiner Trottelchen sind, die jeden Tag aufs Neue sehr angestrengt versuchen, supersouverän durch unsere Leben zu gehen, es aber nie ganz schaffen und uns dann immer wieder aufs Neue dafür schämen. Als wüssten wir gar nicht, dass wir mit dieser Scham und Fehlbarkeit doch überhaupt nicht allein sind. Und am liebsten würde ich, um mit diesem Muster zu brechen, dann einfach immer hingehen zu einer von einem blöden Zufall gedemütigten Person und ihr lässig und ha-haaaa-mäßig auf den Rücken schlagen und sagen: Ach du, ist alles überhaupt kein Problem, mir passiert das daaauuuernd, und sogar noch viel schlimmer!

Aber man kann eben nicht zu jemand Fremdem hingehen, ihn streicheln und ihm ungefragt die Geschichten der eigenen Unsouveränität aufdrängen. Also guckt man lieber weg. Und der andere bleibt allein. So wie wir alle immer allein und untröstlich bleiben in unserer Scham. Und das bricht mir das Herz.

Meine Straße: Pfeuferstraße

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Ich wohne seit einem Jahr in Sendling. Man denkt ja immer, das sei total weit weg von allem, aber ich muss nur mit dem Rad die Theresienhöhe runterrollen und schon bin ich mitten im Zentrum. Und im Herbst finde ich es ein cooles Gefühl, so nahe der Wiesn zu wohnen, die gehört dann so richtig zum Alltag und man kann nachmittags mal schnell hingehen und sich einen Schoko-Erdbeerspieß kaufen. Und von den Besoffenen verirren sich zum Glück nur die Allerwenigsten bis zu uns in die Pfeuferstraße.



Lili in der Pfeuferstraße

 
Mir gefällt aber auch diese gewisse altmünchnerische Atmosphäre hier oben, das ist so eine Mischung aus Arbeiterhäusern und bäuerlichem Erbe. Der alte Stemmerhof ist gleich nebenan, bis 1992 war der noch in Betrieb und es gab sogar Kühe, die gleich dahinter auf einer großen Wiese standen. In dem Hof gibt es heute einen alten Bioladen, einen Laden mit „Italian Streetfood“ und einen etwas gehobeneren Imbiss mit regionalem Essen. Und an der Kreuzung zur Lindwurmstraße erinnert ein altes Denkmal an den Bauernaufstand der sogenannten Blutweihnacht von 1705. Von vorn sieht die Statue aus wie ein alter griechischer Adonis. Von hinten sieht man dann aber sehr gut, dass er Lederhosen trägt.
 
Ansonsten gibt es in meiner Straße vor allem viele Beautyangebote, ein Fitnessstudio, Massage- und Nailstudios, man kann sich also austoben. Gleich  bei mir hat gerade ein uigurischer Imbiss eröffnet, da gibt es eine köstliche Mischung aus chinesischer und orientalischer Küche. Ich esse gern die Laghman-Nudeln, die zieht die Mama da drinnen immer frisch aus und sie schmecken sehr gut. Gegenüber ist das Spektakel, eine bayerische Wirtschaft, die so ein bisschen auf modernen Landhausstil und „Erlebnisgastronomie“ macht. Einmal saßen wir da zu einer Besprechung und plötzlich kamen Donnergeräusche aus den Lautsprechern und die Lichter fingen an zu blitzen und es hieß, das sei jetzt die Simulation eines „hochalpinen Gewitters“. Besser sitzt man definitiv in dem schönen Biergarten der Wirtschaft. Aber das Essen kann man leider vergessen – drinnen und draußen.
 
In der Maytap-Bar kann man sich nach Ladenschluss noch Bier holen. Früher war das die Keyef-Bar. Der Besitzer ist derselbe geblieben, aber nun hat er sich das Konzept „Design meets Drinks“ vorgenommen, was draußen auch groß drangeschrieben steht. Drinnen äußert sich das in einer glänzenden Tapete mit Flügeln drauf, und auf der Bar stehen Absolut-Vodka-Flaschen im Discokugellook. Irgendwie vermute ich ja, dass da drinnen noch etwas anderes als „Design meets Drinks“ vor sich geht. Und dann gibt es noch den Camly, da sagen immer alle: Krass, du wohnst beim Camly! Weil den alle eigentlich nur als Bestellservice und damit nur vom Namen her kennen. Kein Laden, in den man sich gern setzt, weil alles blinkt und immer die gleichen fünf vietnamesischen Klimpersongs auf Dauerschleife laufen. Es sitzt auch tatsächlich selten jemand drin. Das Essen ist schon ganz okay, aber nicht von gleichbleibender Qualität. Nur auf die Phô kann man sich verlassen!
 

Im Eispresso kann man gut Eis essen und Kaffee trinken, das wird von einem sehr freundlichen italienischen Pärchen betrieben und man trifft dort immer die Schüler der französischen Schule. Am Ende der Pfeuferstraße, da, wo sie schon in die Ganghofer übergeht, führt eine Fußgängerbrücke rüber in den Westpark. Da kann man super joggen und im Sommer auch grillen.

Opa und die Medienschelte

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Charlotte: Opa, du klingst missmutig. Was ist los?
Opa Gottfried: Hast du das neue Buch von Christian Wulff gelesen?  

Nein, nur die Medienberichte darüber.

Das solltest du aber. Hans Leyendecker hat neulich in eurer Zeitung geschrieben: „Jeder war bemüht, den größten Stein zu werfen“. Das stimmte. Die Journalisten waren da übermächtig und das ist schlimm. Dass es überhaupt möglich ist, dass gegensätzliche Zeitungen ihre Chefredakteure einfach so austauschen – Blome von der Bild zum Spiegel zum Beispiel – da ahnt man bereits, was da im Hintergrund alles läuft. Die FAZ hängt auch mit drin. Alle haben geschrieben "wie wir gehört haben“ aber nichts Konkretes. Da gab es einen Wettlauf, wer die Meldung zuerst hat, ohne eingehend zu recherchieren. Das macht mich richtig depressiv. Eigentlich war das üble Nachrede und Rufmord, was ihr da mit dem Wulff gemacht habt.  

Naja, für Vieles wird es schon Quellen gegeben haben. Es ist halt problematisch, wenn die Quellen selbst Gründe hatten, Wulff zu diskreditieren.
Wenn man das genauer nachliest, merkt man, dass das alles damit zusammenhängt, dass bestimmte Medien und Kreise den Wulff nicht wollten. Die Kirchen wollten ihn auch nicht mehr, nachdem er sich für eine Aussöhnung der Gesellschaft mit den Mohammedanern und Immigranten eingesetzt hat. Das finde ich schlimm.  

Aber bei manchen Dingen hat er sich ja nicht korrekt verhalten. Zum Beispiel bei seiner Lüge vor dem Landtag. 

(Opa unterbricht): Nein! Charlotte, du musst das lesen, um es zu verstehen und etwas dazu sagen zu können. In dubio pro reo. Bei der Anfrage vom Landtag sollte er nun einmal auf bestimmte Fragen antworten und auf nichts anderes. Wenn also gefragt wird: „Haben Sie mit Herrn Geerkens Geschäftsbeziehungen?“, dann muss er mit „Nein“ antworten, denn etwas anderes wurde nicht gefragt!  

Das sehe ich anders und er vermutlich mittlerweile auch, schließlich hat er sich ja dafür öffentlich entschuldigt.

Frau Schausten ist doch auch noch "im Amt", obwohl sie fälschlicherweise behauptet hat, von Freunden Geld für Übernachtungen zu nehmen. Das alles zerstört bei mir jegliches Vertrauen. Der Staatsanwalt von Hannover sollte in die kleinste, unwichtigste Justizbehörde Deutschlands versetzt werden!  

Das Verfahren hat Wulff ja zumindest gewonnen.

Aber es bleibt immer etwas hängen! Und das kann nicht wieder gut gemacht werden. Der Journalistenverband sollte sich bei ihm entschuldigen!  



Ein paar Medien haben das ja auch getan. Bevor wir nun aber an Christian Wulff kleben: Diese Woche wird über den Mindestlohn abgestimmt, der zum Teil auch für Praktikanten gelten soll. Wir haben dazu eine Umfrage gemacht, und die meisten Praktikanten verdienen nur 400 Euro, arbeiten aber 40 Stunden die Woche.
Na, dein Cousin hat da aber viel mehr verdient!  

Der ist ja auch Ingenieur...
Ja, vielleicht sollten die Leute das studieren, was gefragt ist! Das ist so festgefahren, viele studieren unwirtschaftliche Sachen. Aber natürlich sollten die Leute für ihr Können angemessen bezahlt werden, das finde ich am Mindestlohn gut. Man sollte das stufenweise versuchen, damit nicht Menschen von heute auf morgen entlassen werden müssen.

"Mir liegt es nicht so, in der Menge die Hemmung zu verlieren."


Ein weiteres Thema diesen Monat ist ja Fußball...
Mir liegt es nicht, in der Menge die Hemmung zu verlieren. Wenn ich dann Menschen so schreien sehe, finde ich das schlimm. Andererseits genießen die Leute es, enthemmt zu sein. Ich bewundere am Fußball außerdem die Massenkommunikation. Die Leute auf dem Spielfeld wissen immer, wer gerade bereit ist und wo man hinschießen kann, und die Zuschauer im Stadion kommunizieren mit den Spielern. Das hat etwas Urtümliches, wie ein Vogelschwarm der auch ganz intuitiv ohne Chef weiß, wie er wo hinkommt.    

Wie sehr hast du die Spiele bisher verfolgt?

Am Montag habe ich Deutschland gegen Algerien gesehen. Mein kleiner Enkel war unglücklich, dass er das so spät nicht mehr gucken konnte, also habe ich es für ihn aufgenommen. Das war ziemlich schwer, weil das Spiel ja kein festgelegtes Ende hatte, wegen möglichen Verlängerungen. Da musste ich die Technik überlisten, dass sie die gegebenenfalls noch mit aufzeichnet.

Also hast du es zwei Mal geguckt?
Beim ersten Mal habe ich immer wieder mal hingeguckt, beim zweiten Mal dann nicht mehr so sehr. Wenn ich aber einmal in so einem Spiel drin bin, finde ich es auch ganz spannend. Die erste Halbzeit war schlecht und lahm, die zweite war aber klasse! Die Algerier haben mir imponiert, die waren so fix!  

Dann hast du ja bis nachts um halb eins Fernsehen geschaut...

Ich war mir nicht sicher, ob es wirklich aufgenommen wird. Deshalb bin ich dabeigeblieben. Nicht, dass der Fernseher sich einfach ausschaltet!  

Momentan kursiert ein Video, in dem der Spieler Per Mertesacker einen Reporter nach dem Spiel ziemlich anpflaumt. Der hatte die üblichen Fragen gestellt – warum sie so schlecht gespielt hätten und so weiter.

Die Fragen sind manchmal aber auch wirklich bescheuert, das kann ich gut verstehen! Dann fragen die „Was haben Sie dabei gedacht?“. Verflixt noch mal, das wissen die Spieler doch selbst nicht mehr.  

Dann gab es im Juni noch den geretteten Höhlenforscher!

Man sollte mal hinterfragen, ob es noch notwendig ist, dass Menschen da überall reingehen. Man kann ja auch die Ränder von Vulkanen erforschen. Die Menschen wollen dann immer noch näher ran und dann bekommen sie vielleicht doch was auf den Kopf. Könnte man nicht stattdessen einen Roboter oder eine Videokamera runterschicken? Sich selbst da durchzuzwängen und zu hoffen, dass man wieder rauskommt, finde ich schwierig. Der Aufwand für die Rettung war ja auch sehr groß – aber vielleicht haben sie ja durch die vielen Zuschauer und Leser, die das interessiert hat, auch ein bisschen Geld mit der Rettung eingenommen? Es wäre zu hoffen!  

Gab es denn noch etwas, das dich diesen Monat bewegt hat?

Ja, einen abschließenden Gedanken habe ich mir noch auf meinem Zettel notiert: Man sollte eine Gruppe gründen, die sich dazu verpflichtet, eine Woche lang keine Bild-Zeitung zu kaufen!  

Warum?
Weil die Rufmord begehen, zum Beispiel beim Christian Wulff! Und man denen mal zeigen muss, dass man nicht alles hinnimmt, was die schreiben. Ich würde im Gegenzug auch eine Woche lang den Spiegel sabotieren, der Fairness halber. 
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