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Albtraumfabrik

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Ein Tee für den Regisseur aus dessen Lieblingsladen: 3,2 Kilometer Fußmarsch. Eine Kerze mit einem besonderen Duft für den Hauptdarsteller: eine Tagesaufgabe. Ein Praktikum bei einer Hollywood-Produktion: unbezahlbar. Vor allem aber: unbezahlt. Das sind die Regeln für junge und bisweilen auch nicht mehr so junge Kurzzeitpraktika in der Filmindustrie von Hollywood. Sie erledigen Aufgaben, auf die festangestellte Mitarbeiter keine Lust haben, in den Stellenanzeigen wird häufig vermerkt, dass es vor allem darum geht, Kopien zu erstellen, Besorgungen zu erledigen, Anrufe entgegenzunehmen. Als Gegenleistung erhalten sie keinen Gehaltsscheck, dafür aber einen exklusiven Einblick in die Produktion sowie die Gelegenheit, Menschen kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen, sich womöglich für einen bezahlten Job beim nächsten Projekt zu empfehlen. Es gibt nicht wenige Beispiele mittlerweile mächtiger Menschen in Hollywood, die einst als Botenjunge, Kabelträger oder Chauffeur angefangen haben.



Eric Glatt wollte als Praktikant bei den Dreharbeiten zum Film Black Swan mit Natalie Portman (links) und Vincent Cassel dem Regisseur über die Schulter schauen. Stattdessen war er nur Laufbursche. 

Eine Win-win-Situation also, wie es scheint. Die Produktionsfirma bekommt kostenlos höchst motivierte Arbeitskräfte, dafür dürfen die einen Fuß in die ansonsten verschlossene Tür stellen und durch diesen Spalt auch hindurchsehen. In Hollywood war es bislang üblich, Praktikanten nicht zu bezahlen – die Unternehmen konnten sich das auch deshalb leisten, weil es deutlich mehr Bewerber als offene Stellen gab. Laut einer Studie der University of California, Los Angeles, sind 90 Prozent aller Praktika bei Produktionsfirmen unbezahlt. Mittlerweile sieht es jedoch so aus, als wäre dieses Arrangement eher eine Win-Situation für die Unternehmen und eine Lose-Situation für die Praktikanten. Viele fühlen sich ausgenutzt, betrogen, missbraucht – und gehen nun juristisch gegen die Unterhaltungsindustrie vor. In den vergangenen Monaten gab es Klagen gegen Musikunternehmen, Zeitungsverlage und Produktionsfirmen.

Für Aufsehen sorgt vor allem der Fall von Eric Glatt, der im Jahr 2010 als Praktikant bei der Produktion „Black Swan“ mit Natalie Portman gearbeitet und die Produktionsfirma Fox Searchlight Pictures später wegen Verstößen gegen den Fair Labor Standards Act (FLSA) verklagt hat. Mittlerweile wurde gar eine Sammelklage zugelassen, bei der es nicht mehr nur um Bezahlung und Schadensersatz geht, sondern auch darum, wie die Unterhaltungsindustrie und auch andere Branchen mit Praktikanten umzugehen haben.

Doch von vorne: Glatt, 44, hatte damals seinen gut bezahlten Job bei einer Versicherungsfirma aufgegeben, er wollte jedoch unbedingt kreativ tätig sein, bestenfalls in der Filmindustrie. Er bezahlte 5500 US-Dollar für einen Kurs im Filmeschneiden und bekam anschließend ein Praktikum für den Film „Black Swan“. Er hatte sich erhofft, den Cuttern bei der Arbeit zusehen zu dürfen und bestenfalls ein paar Tipps von Regisseur Darren Aronofsky zu bekommen. Doch es kam anders: Er hatte zwar mit Aronofsky zu tun, doch ging es nicht um das Timing beim Schneiden eines Films, sondern eher um allergiefreie Kissen, wohlriechende Kerzen und erlesenen Tee – das alles musste Glatt innerhalb der neun Monate immer wieder besorgen. „Das Einzige, was ich gelernt habe: Ein Praktikant hat keine Fragen zu stellen“, sagt Glatt.

Er fühlte sich ausgenutzt und reichte im Jahr 2011 Klage ein. Der FLSA besagt, dass ein Praktikum vor allem dem Praktikanten nutzen soll und nicht dem Unternehmen. „Ich bin kein weinerliches Kind, das nicht arbeiten möchte“, sagt Glatt, der mittlerweile an der Georgetown University Jura studiert. „Die Arbeitgeber glauben, sie können etwas für umsonst haben, nur weil sie als Gegenleistung anbieten, dass es cool sein könnte, sich in der Nähe von jemandem wie Aronofsky aufzuhalten.“ Bezirksrichter William Pauley urteilte im vergangenen Jahr, dass Glatt und seine Kollegen wenigsten den Mindestlohn hätten erhalten müssen – und gestattete gar eine Sammelklage. In der Urteilsbegründung heißt es: „Searchlight hat von der unbezahlten Arbeit profitiert, für die sie ansonsten bezahlte Angestellte gebraucht hätten.“

Das Unternehmen hat dagegen nun Berufung eingelegt, in einem Schreiben der Anwälte heißt es: „Dadurch würden die zahlreichen unbezahlten Praktika eingestellt, die für die Teilnehmer von großer Bedeutung sind und ihnen Erfahrungen und Möglichkeiten zukommen lassen, die sie sonst nicht bekommen würden.“ Zahlreiche ehemalige Praktikanten wie etwa Alex Footman haben sich mittlerweile der Klage angeschlossen, doch es gibt nicht nur Befürworter. Footman sagt, er habe viele Briefe und E-Mails erhalten, in denen ihm vorgeworfen wird, dass er die Filmindustrie für alle anderen ruinieren würde.

Das Urteil, das erst im kommenden Jahr erwartet wird, dürfte weitreichende Konsequenzen haben – nicht nur für die Unterhaltungsindustrie. Es geht ganz grundsätzlich um die Frage: Wer profitiert von so einem Praktikum? „Die Gesetzgebung ist eindeutig“, sagt Ross Perlin, Autor des Buches „Intern Nation“: „Wenn ein Praktikum bei einer Firma mit Gewinnabsicht unbezahlt ist, dann muss sich dieses Unternehmen um ein pädagogisches Umfeld kümmern.“ Er schätzt, dass es in den Vereinigten Staaten etwa 500000 Praktika gibt, die gegen diese Regel verstoßen – und dass dadurch die Unternehmen etwa zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr sparen. Falls Glatt und seine Mitstreiter recht bekommen, dürften sich auch Praktikanten in anderen Branchen gegen die fehlende Honorierung ihrer Arbeit wehren.

Immerhin haben die vielen Klagen der vergangenen Jahre – Hospitanten hatten (meist erfolglos) Musikunternehmen wie Atlantic Records, Produktionsfirmen wie NBC Universal und Zeitungsverlage wie Hearst verklagt – dafür gesorgt, dass vor allem die großen Firmen in der Unterhaltungsindustrie mit der Tradition gebrochen haben: Fox Entertainment Group, Universal Pictures, Warner Bros., Paramount Pictures, Walt Disney Studios und Sony Pictures Entertainment bieten bezahlte Praktika an. Das ist nur rechtens, zeigt aber auch: Wer ein Praktikum bei einer Filmfirma absolviert, der soll nicht unbedingt etwas lernen, Kontakte knüpfen oder gar einen Fuß in die Tür bekommen. Er soll vor allem unliebsame Aufgaben erledigen. Nun eben zum Mindestlohn.

love is everywhere.. ♫.♫

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(Mist, jetzt habe ich nen uralten Song im Ohr - Caught in the Act*... sagt das noch jemandem was?)

Fit für die Liebe?


Sind wir nicht alle auf der Suche nach der einen, wahren Liebe? Oder zwei, oder drei ... whatever. 
Vergesst Disney, das war eh viel zu unrealistisch - die gute alte Bravo-Foto-Lovestory feiert ihr Comeback (behaupte ich)!


Vorteile gegenüber den Disney-Schnulzen


Ganz klar - echte Menschen, wie du und ich, mit denen man sich identifizieren kann.
Das wird sogar dadurch vereinfacht, dass man sich eingangs, bevor man sich beginnt durch die mega spannende Lovestory zu klicken, die sehr ausführlichen Steckbriefe der einzelnen Protagonisten durchlesen kann.
Hier erfährt man alles, was man über die Personen so wissen muss: Sternzeichen, Körbchengröße, Lieblingsfarbe, Anzahl der Amalgamfüllungen.

Wenn man sich mit den Mädelz und Bois vertraut gemacht hat und schon mal ausgecheckt hat, wer eher Looser und wer besonders cool und Anhimmel-Material ist, kanns auch schon losgehen.
Aber Vorsicht! Manchmal trügt der Schein und der heimliche Favorit entpuppt sich als totaler Reinfall. Also nicht immer von Äußerlichkeiten blenden lassen! (Gute Lektion fürs Real-Life, merken!)


Die meisten Stories spielen zum Glück auf dem Schulhof und nicht in irgendwelchen pompösen Schlössern, da fällt die Identifikation schon mal leichter. Wer von uns Otto-Normal-Liebenden lebt schon so feudal wie Aschenputtel?
Und der Style der Disney Prinzessinnen ist doch eh von vorgestern. Das war vielleicht noch nach Fluch der Karibik tragbar, aber heute sind wieder Buffalos und Kunstfellwesten angesagt. (Styling- Tipps zum Nachmachen gibts als Werbung rechts von der Story - anklicken und inspirieren lassen!)


Der größte Bonus der Bravo-Foto- Lovestories ist, dass sie jedes Mal durch krasse Realitätsnähe überzeugen. 
Hier wird nicht einfach nur das hässliche Entlein durch Zauberstabwedeln, Feenstaub oder den Kuss der wahren Liebe zur Prinzessin und geliebten Auserwählten - olle Kamellen!
Hier wird der Traumboi, von der Freundin wie von Zauberhand gemalt, zum Real-Life-Lover. Ganz echt und fleischig und in 3D zum Anfassen (das ist beyond Prince Charming).
Traummänner, die Goldschmuck zum Halbjährigen verschenken und Frauen, die endlich mal sagen, was sie denken. Was das Herz begehrt, direkt ausm Leben gegriffen.


Die Liebesgeschichten sind generell sehr viel zeitgemäßer und näher am Real-Life als die schnulzigen Disney-Geschichten. Hier lernt man, dass nicht etwa die Stiefschwestern, die Stiefmutter oder gähnende Schlafzauber junge Liebende vor ernsthafte Probleme stellen, sondern dass wir mit Cliquenstress, Anerkennungs- und Machtkämpfen oder etwa Entscheidungsschwierigkeiten bei der großen Auswahl an Bois im Schwimmbad zu kämpfen haben.
Ab und an werden auch ziemlich kritische Streitpunkte von normalen Beziehungen angesprochen, etwa wenn ein Liebespaar im Wasser am See herumtollt und dabei lachend feststellt, dass es viel schöner an der frischen Luft sei, als vor dem Rechner in den virtuellen Spiele-Welten von WoW zu versumpfen.


Da wird krass gut rübergebracht, womit viele junge Leute heute zu kämpfen haben.
Internetsucht, Handyabhängigkeit - davon ist bei Disney ja nie die Rede gewesen!
Ich finde es auch nicht toll, wenn mein Dreamlover bei unseren Dates mehr an seinem Handy als an mir herumspielt, aber dass das voll normal ist, habe ich erst jetzt verstanden..


Alles in allem habe ich von den Bravo- Fotolove- Stories sehr viel mehr gelernt, als bei jedem einzelnen Disney-Film, den ich je in meinem Leben gesehen habe.
Ich kann euch die liebevoll gestalteten, in Echtzeit aufgenommenen (kennt man schon von Serien wie 24) Lovestories echt nur wärmstens ans Herz legen.


Klickt euch durch, es lohnt sich! 





Nächstes Mal: Bravo-Fotolove-Stories vs. Liebesschnulzen von Lars von Trier.

Beitragsbild: Screenshot
Quelle: Screenshot http://www.bravo.de/lifestyle/foto-lovestory/lucys-traumboy/ex/page/50

(Ich hoffe, der Screenshot verrät nicht zu viel!)


* Für alle 90er Kids: http://www.youtube.com/watch?v=jKuC74CBVV8&feature=kp

[Mehr von mir]

Schöne Grüße aus dem Gezi-Park

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Vor einem Jahr, wenige Tage nach Beginn der Gezi-Proteste, schreibt eine knapp 30-jährige Istanbulerin auf Facebook: „Ich sehe Kurden mit Türken. Ich sehe Atheisten, die betende Muslime vor Polizisten schützen. Zum ersten Mal sind alle Menschen vereint. Zum ersten Mal glaube ich an die Macht der Zivilgesellschaft.“ Tausende solcher Kommentare fluten in jenen Tagen die sozialen Netzwerke. Sie klingen wie Jubelschreie – hastig getippt auf dem Smartphone, gesendet direkt aus Beyoğlu und anderen Stadtteilen, die in Istanbul an den zentralen Taksim-Platz angrenzen, tausendfach geteilt auf Facebook und Twitter. Geht es anfangs noch um den Erhalt von ein paar Bäumen im Gezi-Park, fordern die Demonstranten bald schon Veränderung im Großen. Sie wollen eine sozialere Stadtentwicklung, mehr Freiheit, Demokratie, vor allem wollen sie nicht mehr bevormundet werden von Premierminister Recep Tayyip Erdoğan und seiner konservativ-islamischen Partei, der AKP.



Zum Jahrestag gedachten Türken dem Beginn der Gezi-Proteste.


Für viele, vor allem jüngere Türken ist die Protestwelle ein prägendes politisches Moment. Euphorisch bejubeln sie, was sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit auf die Beine gestellt haben: modernen, kreativen Widerstand, der meistens friedlich bleibt, obwohl die Staatsmacht mit aller Härte vorgeht. Die Medien, auch ausländische, sprechen schon bald von einer „Generation Gezi“. Von überall her kommen Solidaritätsbekundungen. Auch hierzulande verfolgt die türkische Community das Geschehen – am Bildschirm, am Telefon, manche reisen in die Türkei, um an den Demonstrationen teilzunehmen. Für viele Deutschtürken ist der Gezi-Aufstand ein Einschnitt in ihrem Verhältnis zu dem Land, in dem sie, ihre Eltern oder Großeltern geboren sind.

In diesem Frühjahr sind mehrere Bücher zum Thema erschienen, von denen drei einiges gemeinsam haben: Sie wurden von deutschtürkischen Autoren geschrieben und sind in kleinen, linken Verlagen erschienen. Die Autoren bekennen sich zu ihrer Subjektivität, sie sympathisieren mit der Gezi-Bewegung und verweben Interviews, Augenzeugenberichte und eigene Eindrücke zu einer vielstimmigen Darstellung. Tayfun Guttstadt allerdings verzettelt sich dabei etwas mit der Wundertütenhaftigkeit seines Buches „Çapulcu“ – der Titel ist eine Anspielung auf Erdoğans Beschimpfung der Demonstranten als „Marodeure“ – diese griffen den Ausdruck auf und nannten sich fortan selbst so. Die Vorgeschichte der Proteste und den schwer durchschaubaren Sumpf aus Korruption, Abhör- und Justizskandalen in der türkischen Politik breitet Guttstadt aber in einer Detailfülle aus, die den Leser eher verwirrt zurücklässt. Was folgt, ist ein Sammelsurium: eine Chronologie der Ereignisse, Interviews, Aufsätze anderer Autoren sowie auf wenigen Seiten eine „ganz kurze Geschichte der Türkei“.

Denkanstöße finden sich dennoch. So widmet sich Guttstadt der Frage, warum viele Kurden den Protesten skeptisch gegenüberstanden, und lässt eine kurdische Anwältin zu Wort kommen, die den Gezi-Leuten Geschichtsvergessenheit vorwirft: „Als wenn früher alles gut war, und dann kam die AKP und diese ganzen Probleme mit ihr.“ Im Gegenteil: Für Kurden, die unter diesem Staat zu leiden hatten, seit er gegründet wurde, seien die AKP-Jahre keineswegs die schlimmsten gewesen. Schließlich habe Erdoğans Regierung die Macht des Militärs beschnitten, eine Kerninstitution des türkischen Nationalismus.

Mit der deutschen Perspektive und dem übernationalen Charakter der Gezi-Bewegung beschäftigen sich die Journalistinnen Ebru Taşdemir und Canset Içpinar in „Ein ‚türkischer‘ Sommer in Berlin“. Ihre Frage lautet: Warum haben die Proteste so viele Deutschtürken mobilisiert? „Waren wir etwa Integrationsverweigerer, die die Türkei mehr liebten als Almanya? Wohl kaum.“ Die Autorinnen zeichnen ein Stimmungsbild der türkischen Community in Berlin. Sie räumen ein, dass keineswegs alle mit der Gezi-Bewegung einverstanden gewesen seien, konzentrieren sich aber auf den großen Unterstützerkreis, dem sie sich selbst zurechnen: „Wir waren im Delirium, waren verzaubert, ja fast verliebt in die Çapulcus der Türkei.“ Die Autorinnen lassen Sympathisanten zu Wort kommen, verschweigen aber nicht, dass es auch hierzulande eine Gegenbewegung gab: Pro-AKP-Kundgebungen, die größte mit 10000 Teilnehmern in Düsseldorf.

Kritik üben die Autorinnen an der deutschen Berichterstattung, die wohlwollend, aber vereinfachend gewesen sei: „Wer protestiert, war modern und gegen Erdoğan und somit auch gegen den Islam“, habe der Tenor gelautet. Tatsächlich aber sei die Bewegung vielfältiger gewesen. Taşdemir und Içpinar führen etwa die „Antikapitalistischen Muslime“ als Beleg dafür an, dass Gezi keine antireligiöse Bewegung war, sondern auch muslimische Gruppen umfasste, die den Regierungsstil und den knallharten Kapitalismus der AKP kritisch sehen. Daher, so die Autorinnen, „war es eine Bereicherung, dass auch viele türkeistämmige KollegInnen aus Deutschland zu den Protesten vor Ort gereist sind“.

Zu ihnen gehörte der taz-Autor Deniz Yücel, der Mitte Juni 2013 aus Istanbul berichtete und Szenen wie diese beschreibt: „Ich sah, wie eine mit Knüppeln bewaffnete Gruppe von AKP-Leuten aus Kasımpaşa kam und vor den Augen der Polizei auf Menschenjagd ging. Wer solche Beobachtungen aufschreibt, gerät leicht in den Verdacht, einseitig zu berichten. Aber Gummigeschosse aus zwei Meter Entfernung abzufeuern, ist auch eine einseitige Angelegenheit.“

Monate später kehrt er für die Recherchen zu seinem Buch „Taksim ist überall“ in die Stadt zurück. Er will herausfinden, wer die Demonstranten waren und was sie antrieb. In lebendiger, präziser Sprache schreibt er über seine Begegnungen: mit Mitgliedern des berüchtigten Beşiktaş-Fanklubs Çarşı, mit kurdischen Teeverkäufern, Juden und Armeniern; er spricht mit gläubigen Muslimen, mit Schwulen und Transsexuellen, Studenten, Unternehmern, mit Linken und Liberalen, Jüngeren und Älteren – wie ein Mosaik entsteht so ein Bild von den bis zu 3,5 Millionen Menschen, die im vergangenen Sommer auf die Straße gegangen sind. Und so unterschiedlich deren Motive auch gewesen sein mögen: Sie alle haben die Nase voll von einem Staat, der die Zivilgesellschaft nicht achtet, sondern seine Bürger als Bedrohung empfindet, gegen die es sich mit Tränengas und Wasserwerfern zu verteidigen gilt.

Was hat Yücel, den Almancı (die türkische Bezeichnung für Deutschtürke), in den Tagen des Protests nach Istanbul getrieben? Es war, schreibt er, eine Herzensentscheidung. Für die meisten Almancıs sei die Türkei ein besonderes Land. Dank der Çapulcus war es plötzlich möglich, mit Stolz zu dieser Bindung zu stehen: „Wir können uns zur Türkei, zu diesem Teil der Türkei, bekennen, ohne uns von irgendwelchen Sarrazins nach unserer Integrationsbereitschaft ausfragen lassen zu müssen.“ Jener Teil der türkischen Gesellschaft, der sich im Gezi-Park zeigte, brauche den Vergleich mit der westlichen Welt nicht zu scheuen. „Als kollektive Referenz für die weiß Gott notwendigen Veränderungen ist Gezi nicht schlechter als die EU.“
Ganz ähnlich formulieren es Taşdemir und Içpinar: „Die deutsche Seite im Kopf schaute plötzlich bewundernd auf eine junge, zornige, aber dennoch sehr humanistische Seite der Türkei und nickte anerkennend.“

Deniz Yücel: Taksim ist überall. Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei. Edition Nautilus, Hamburg 2014. 224 Seiten, 12,90 Euro.

Ebru Taşdemir und Canset Içpinar: Ein „türkischer“ Sommer in Berlin. Die Gezi-Bewegung und der Traum von Demokratie. Orlanda Frauenverlag, Berlin 2014. 175 Seiten, 14,90 Euro.

Tayfun Guttstadt: Çapulcu. Die Gezi-Park-Bewegung und die neuen Proteste in der Türkei. Unrast-Verlag, Münster 2014. 325 Seiten, 18 Euro.

Das Dorf, das Feld und der Tod

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Der alte Bauer aus dem Schwarzwald war einst Pionier der landwirtschaftlichen Ökobewegung – und gibt jetzt auf. Nicht seine Landwirtschaft, aber die Öko-Zertifizierung. Zu viel Arbeit. Dabei wird sich die Qualität seiner Produkte keinesfalls verändern. Der nächste, ein Schweizer Ex-Banker, erhofft sich Rendite aus Bio-Investitionen in Rumänien für seine Anleger – und er meint es sicher nicht böse, wenn er zu bedenken gibt, es sei unmöglich, Großkunden mit den Erzeugnissen aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft zu beliefern.



Geht's diesem Bio-Schwein besser als seinen Artgenossen auf einem normalen Bio-Bauernhof? Die Antworten in "Die Bio-Illusion" machen nicht immer glücklich.

Die dritte hatte einst versprochen, was er nie zu halten gedachte: einen ökologischen Umbau seiner thailändischen Garnelenzucht, bezahlt auch aus den Mitteln der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ (heute GIZ), also mit Mitteln des deutschen Steuerzahlers. Und die vierte begleitet man auf ihrem Buchbinder-Wanninger-haften Weg, ein Biosiegel zu bekommen für ein Produkt, das sie in Deutschland auf den Markt bringen will; bei ihrem Kampf mit Dokumenten, Unterlagen, in Gesprächen, die, man weiß es eigentlich fast schon, nicht zu ihrer Zufriedenheit ausgehen werden.

Dazwischen sieht man: gequälte Tiere in angeblichen Bioställen. Verzweifelte Kleinbauern, die den großen „ökologischen Landräubern“ gegenüberstehen. Ausgebeutete Feldarbeiter und Landschaften, die so gar nicht hineinpassen wollen in die schöne, heile Welt der biologisch zertifizierten Nahrung – Landschaften wie das sogenannte Mar Del Plástico in der spanischen Provinz Almería, in der Biologisches direkt neben hochtechnisierter kommerzieller Landwirtschaft angebaut wird. Heißt es.

Es ist nun nicht ganz neu, was Christian Jentzsch in seiner Dokumentation Die Bio-Illusion zusammengetragen hat – spätestens beim nächsten Bio-Eier-Skandal wird all das auf den Tisch gebracht werden, was auch beim letzten Bio-Eier-Skandal diskutiert wurde. Und natürlich werden sich nach diesem Film all diejenigen bestätigt fühlen, die immer schon gewusst haben, dass Bio sowieso Humbug ist.

Was dem Film allerdings wirklich sehr Unrecht tun würde. Denn es ist etwas anderes, mal hier ein Detail zu lesen und mal dort, also den Wald baumweise zu erkunden. Oder eben, wie in der Bio-Illusion, ohne moralische Besserwisserei einmal den großen Blick darauf zu wagen, was es eigentlich bedeutet, wenn aus einer Nischenbewegung auf einmal eine Sache für jedermann werden soll. Und das sollte sie doch, würde sich doch jeder ökologisch angehauchte Bürger wünschen.

Doch wie so häufig steckt genau darin die Crux. Wie soll für die große Masse biologisch, nachhaltig, fair produziert werden, wenn gleichzeitig ein enormer Preisdruck von Konsumenten, Discountern, Großhändlern auf die Produzenten ausgeht? Ein Kleinbauer mit einem jahreszeitlich wechselnden Agrarsortiment kann einen kleinen, exklusiven Bioladen beliefern. Große Discounter wie Aldi oder Lidl, bei denen inzwischen 64 Prozent aller Biokonsumenten einkaufen, können und wollen sich das gar nicht leisten. Die gleichbleibende Qualität der Waren muss ja gewährleistet werden. Und die EU-Öko-Vorschriften? Die sind, wie alles in der EU, hochkomplex.

Also passiert das Gegenteil des Erwünschten. Bio wird inzwischen so kommerziell und fabrikmäßig produziert wie herkömmliche Lebensmittel. Ist das unausweichlich? Eine zufriedenstellende Antwort gibt es nicht. 

Die Bio-Illusion, Arte, 20.15 Uhr.

Krawall im Kopf

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Immer wieder fällt in diesen Tagen ein böses Wort, wenn von Berlin die Rede ist. Also von jener Stadt, die bis vor Kurzem noch als freiester, lässigster, geilster Ort der Welt gefeiert wurde. Das Wort lautet: Stillstand.



 Sind zurück mit neuem Album: Bonaparte.

Man liest es in Zeitungen und Twitter-Kommentaren, wenn es um das Ergebnis des Volksentscheids gegen die geplante Bebauung des Tempelhofer Flugfeldes geht. Auf einen Schlag demoliert dieses Wort den ganzen Mythos von Berlin als utopischem Möglichkeitsraum, von dem die Stadt so lange gezehrt hat. Wohnungsbau? Ja klar, sagen die hippen Stadtbewohner – aber nicht auf diesem wundervoll anarchistischen Brachland mitten in der Stadt.

Egal wie man zu diesem Votum steht – in jedem Fall führt es auf den Slogan zurück, der in zahlreichen Berlin-Nachrufen der jüngeren Zeit zu lesen war. Vom amerikanischen Rolling Stone bis zur New York Times sind sich die Trendspürnasen nämlich sicher: Berlin is over.

An dieser Stelle soll es aber nicht um Berlins zahlreiche größere und kleinere Miseren gehen, von der Gentrifizierung bis zum Clubsterben, sondern um die Band Bonaparte. Jenes Bandkollektiv um den 36-jährigen Exilschweizer Tobias Jundt also, das mit seinem opulent übersteuerten Garagen-Punk-Pop und seinen wilden Live-Performances die hedonistische Partystimmung Berlins in den letzten Jahren wie keine zweite Band zu bündeln wusste.

In diesen Tagen, in denen lautstark der Untergang Berlins prognostiziert wird, veröffentlichen Bonaparte ihr viertes Studioalbum. Und passenderweise heißt es in einem der Songs: „I wanna do better/ In small doses“. Verbesserung? Gerne. Aber bitteschön in ganz kleinen Schritten.

„Bonaparte“ ist das Album schlicht betitelt, was nach Nabelschau klingt, Selbstfindung erahnen lässt, vielleicht sogar Erwachsenwerden. Es ist aber doch wieder das tanzbare Elektro-Punk-Geballer, mit dem Bonaparte seit dem Debütalbum „Too Much“ 2008 über Berlins Subkultur hinaus berühmt wurden: Techno-Bums, simple Gitarrenakkorde und wunderbare Gaga-Parolen, im Schreigesang vorgetragen.

Freilich hat man das Phänomen Bonaparte nie mit der Musik allein erklären können. Die Geschichte der Band ist untrennbar mit dem Berlin der Nullerjahre verwoben – genauer: mit der Bar 25. Hier verschmolz in den Jahren bis zur Schließung 2010 Vaudeville-Freakshow und Neohippietum mit Technokultur und Easyjet-Partytourismus. Inmitten dieser irrsinnigen Partyorgien am Spreeufer entstand bei improvisierten Liveshows die Idee zum Bonaparte-Konzept. Hier wurden die Bandmitglieder groß, hier führte Frontmann Jundt in Tierkostüm und Zirkusjäckchen der Legende nach sogar für Quentin Tarantino sein schweißtreibendes Spektakel auf. Musik für taumelnde Neoexistenzialisten in den Zwanzigern, die alle wichtigen Jugendbewegungen der Popkultur verpasst hatten und die das Loch der Entscheidungslosigkeit weniger füllen, als rauschhaft erleben wollten. Der moderne Mensch – bei Sartre noch der ewig Handelnde – wurde hier zum Dauer-Performer, der die Augenringe unter Glitzerkonfetti verbarg und drei Tage standhaft durchtanzte. Wenn es aber diesen Partynukleus an der Spree nicht mehr gibt und die Scharen der Tänzer von damals mittlerweile als hippes, neues Großstadtbürgertum die Mieten in Kreuzberg und Neukölln in die Höhe treiben – was vermag Tobias Jundt, der auf seine irrsinnige Art immer ein begabter Zeitdiagnostiker war, dann eigentlich noch zu berichten über die Städter der Gegenwart?

Zunächst einmal: gar nichts. Im Eröffnungsstück „1 - 800“ erklingen zum Warmwerden erst mal nur eine einfallslose Gitarre und heimeliges Fiepen aus dem analogen Synthesizer. Zu Wort meldet sich der Schreihals Jundt erst mit „I Wanna Sue Someone“, in dem es um Langeweile und eine vage Sehnsucht nach mehr geht: „I want some something/ And Iwant another one.“ Soweit zum modernen Optimierungswahn. Weiter geht es mit „Me So Selfie“, einer hübschen Persiflage auf die Selbstdarstellung der Smartphone-Generation, und mit „Into The Wild“, dem vielleicht zeitgeistigsten Song des Albums: „Cut awire/ Be abird/ Shoot the messenger“, rufen Bonaparte auf. Ein paar Kabel soll man kappen, die alten Pfade der Algorithmen, die uns transparent machen, verlassen, um wieder vogelfrei zu werden. Danach erschöpfen sich die Stücke dann in eher verschlissenen Punk-Parolen („Out Of Controll“, „Riot In My Head“) und erotischem Lustgesäusel („Wash Your Thighs“).

Vielleicht, so könnte man meinen, erzählt die Band gar nicht mehr von Berlin, sondern längst von anderen Orten: Das Album hat Jundt, mittlerweile Familienvater, im New Yorker Szenebezirk Williamsburg aufgenommen. Die Videoclips dreht er in China und Texas. Und trotzdem wird man beim Hören das Gefühl nicht los, dass das Album davon handelt, wie geil und frei und gut es in Berlin vor gar nicht allzu langer Zeit einmal war. Vielleicht hallt das böse S-Wort der letzten Tage aber auch einfach nur laut in der Ohrmuschel nach.

klau|s|ens versteht nicht diese allgegenwärtigen superveranstaltungen mit 100 spielorten in 1 nacht

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klau|s|ens, überall ist das nun.


was?


dieses zu viel vom guten. du sollst an einem tag … noch lieber in einer nacht … 70 oder 80 oder 90 oder 100 oder noch mehr orte aufsuchen.


wann denn?


bei der theaternacht oder bei der museumsnacht oder bei der clubnacht.


aber ich kann mich doch nicht vierteilen. bzw. hundertteilen!


so aber sind die events dieser zeit: in jeder stadt hecheln nun alle hinterher. man will den supervent, wo an besonders vielen orten alles zugleich stattfindet, aber niemand wirklich etwas mitbekommt.


jetzt hörte ich vom ruhrgebiet und dieser “extraschicht”. 28. juni.


>>Die Nacht der Industriekultur


Wenn mehr als 50 Spielorte und 500 Events zusammen im Zeichen ganz großer Unterhaltung antreten, wenn ca. 190 Shuttlebusse rund 37.000 Buskilometer in einer Nacht zurücklegen, wenn ehemalige Industrieanlagen, neue Kreativstandorte, zukünftige Abwasserkanäle und Straßenbahnen zu Bühnen werden, wenn Streetart-Gruppen, Symphoniker und Improvisationstheater auf dem Programm stehen, wenn zu Aquaphonie, Kopfhörer-Party, Feuershows und Klaviermarathon eingeladen wird und regionale Kulturinstitutionen mit nur einem Ticket erlebt werden können, dann bedeutet das: Es ist ExtraSchicht!


ExtraSchichtler erleben eine Metropole in Bewegung und reisen von 18 bis 2 Uhr früh mit Shuttlebus oder Straßenbahn, per Kanalschiff, Fahrrad oder zu Fuß von Spielort zu Spielort. Mehr als 200.000 Besucher erleben ein einzigartiges Sommer- und Kulturfest – und damit die ganze Vielseitigkeit der Metropole Ruhr.


Lassen Sie sich von der außergewöhnlichen Atmosphäre dieser Nacht faszinieren und gehen Sie am 28. Juni 2014 auf Entdeckungsreise durch das Ruhrgebiet!<<


es ist dasselbe in grün oder rost. man wird zugehämmert mit superevents, die noch mehr super sind als alle anderen. und an möglichst vielen spielstätten soll alles und jenes zugleich sein. niemand soll hinsehen oder zuhören. hauptsache: alles in bewegung, und jeder wird erwähnt.


wo sollen wir mit unserem kopf und all der aufmerksamkeit denn hin? wohin wenden? was alles tun? in einer nacht? wie etwas verarbeiten?


es gibt nichts anstrengenderes als das leben in der freizeit eines bundesdeutschen menschen in den jahren nach 2000.


ich schlage einen neuen event vor: “1000 filme in einer minute”. na, wie findest du?


ein großartiger vorschlag, ja, ja. problem ist nur: du wirst in einer minute nicht mal einen einzigen film sehen können. geschweige denn 1000!


die events sind nicht für die rezipienten dar, sondern für die stadtwerbung und das regionsmarketing. da ist egal, wie es nachher de facto ist. wichtiger ist, wie es zuvor klingt. 1000 klingt toll! toller als 100 oder 50!





HOMEPAGE VON KLAU|S|ENS:
http://www.klausens.com

Fünf Filme: Erste Coffeeshops und erste Male

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Sprung ins Ungewisse  
Zu jeder Sache muss es einen Menschen geben, der sie als Erster macht. Ein besonders nervenkitzelndes allererstes Mal hat Chris Sigglekow hinter sich, der Erfinder des Bungeesprunges. Eine Dokumentation zeigt in drei Minuten, wie aus newtonschem Halbwissen, Kartoffelsack-Pretests und männlichem Draufgängertum in den 1980ern eine Extremsportart entstand.

http://vimeo.com/96025187

Kinderleben für den Fußball 
Ein Ball, elf gegen elf Spieler, zwölf Stadien und Milliarden jubelnde Fans auf der ganzen Welt: so einfach könnte man die kommende Fußball-Weltmeisterschaft zusammenfassen. Wenn man aber die Folgen für viele Brasilianer berücksichtigt, wird die Sache viel komplexer. In der Dokumentation „The Price of the World Cup“ beschäftigt sich der dänische Journalist Mikkel Keldorf mit vertriebenen Familien und dem Leiden der Straßenkinder. Im Netz löste das einen Aufschrei aus. Die halbe Stunde, die das Video dauert, ist gut investiert.

http://www.youtube.com/watch?v=8Er_mwgfW_Q

Geht’s noch, Frau Merkel?
Sie haben es tatsächlich geschafft unseren Facebook-Newsfeed zu erobern, die Öffentlich-Rechtlichen. Und dann auch noch ungewollt zum wenig klicktauglichen Thema Europawahl.  Der Journalist Rolf-Dieter Krause wirft Angela Merkel in einem Tagesthemen-Kommentar Betrug an ihren Wählern vor und fragt: „Ja, geht’s noch?“ Der Grund: Die Kanzlerin zögerte nach der Wahl, sich endgültig auf den europäischen Spitzenkandidaten der Konservativen, Jean-Claude Juncker, als zukünftigen Kommissionspräsidenten festzulegen. Nach der öffentlichen Kritik an ihrem Verhalten hat sich Merkel auf dem Katholikentag in Regensburg dann doch zu Juncker bekannt.

http://www.youtube.com/watch?v=XzSk8evEz90

Ein offizieller Fail
 
Bei den Jugendlichen hat die Polizei nicht nur mit Verbrechen, sondern auch mit einem miesen Image zu kämpfen. Als diese (also die Polizei) sich mit einem Rap bei potenziellen Auszubildenden anbiederte, machte sie das ohnehin angeknackste Verhältnis nur schlimmer. Zugegeben, die Werbung ist schon etwas älter, darf sich aber seit der Verleihung des Webvideopreises am Samstag offiziell „Fail“ nennen – dank mieser Paarreime, fehlgeschlagenem Bouncen und mangelnder Glaubwürdigkeit hat sie diese undankbare Kategorie gewonnen.

http://www.youtube.com/watch?v=4r_JG6NXoWQ

Der Legalistator in Berlin 
Wenn die Berliner am 21. Juni pünktlich zum Sommeranfang in den Görlitzer Park strömen werden, erwartet sie dort ein weit gereister Bus oder auch: der erste mobile Coffeeshop der Stadt. Das verkündet der Drogenaktivist Oliver Becker alias „der Legislator“ und streckt wie zum Beweis die Gewerbeanmeldung für den Verkauf und Import von marokkanischem Haschisch in die Kamera. Sollte ihn jemand an dieser Aktion zu hindern versuchen (und das ist nach seiner feierlichen Erklärung sicher), will der selbst ernannte Ghandi in einen Hungerstreik treten.

http://www.youtube.com/watch?v=XUXbGLUVf1w

Bedrohte Kampfkunst

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Könnte sein, dass die Boatengs ein Kapitel Kreuzberger Geschichte von der Brandmauer grätschen. In anderen Stadtteilen haben sie das schließlich schon getan: Im Wedding zum Beispiel ließ Nike die Gesichter der Fußballer in schwarz-weiß auf eine riesige Fassade pinseln. Andernorts ziert ein entschlossen dreinblickender Christiano Ronaldo auf knallrotem Grund ganze Häuserwände. Sieht wie Street Art aus – ist aber Werbung. Konzerne wie Nike versuchen, sich mit solchen Scheingraffiti einen verruchten Anstrich zu verpassen, um in angesagten Vierteln zu punkten.  


[plugin bildergalerie Bild1="Die Wände dieser Häuser in der Kreuzberger Adalbertstraße wurden von Hausbesetzern bemalt. Ginge es nach den Eigentümern des linken Hauses, würde hier bald großflächige Werbung prangen" Bild3="In Neukölln wirbt Nike mit Cristiano Ronaldo" Bild2="Vor dieser frischen Werbung steht noch das Baugerüst"]

In Kreuzberg hat dieser Versuch jetzt eine Debatte losgetreten. Am Anfang des Streits steht ein Altbau in der Adalbertstraße. Seine Brandmauer ist mit teilweise stark verblichenen abstrakten Malereien der linken Hausbesetzerszene bedeckt, die den Bezirk in den Siebziger- und Achtzigerjahren nachhaltig prägte. Jetzt – so zumindest will man im Kiez herausgefunden haben – will die Eigentümergesellschaft des Hauses die Mauer an Nike vermieten. Angeblich will das Unternehmen eine Dauerwerbung darauf platzieren, ähnlich der mit den Boatengs im Wedding. Die etwa 30 Jahre alten Hausbesetzer-Gemälde würden verschwinden.   Seit das Gerücht kursiert, ist es ein wenig so, als sei der Häuserkampf von einst erneut ausgebrochen. Auf der einen Seite steht ein milliardenschwerer Großkonzern, der den Flair des alternativen Szenebezirks zu Geld machen will. Auf der anderen Seite stehen die Anwohner des Kiezes, die teilweise empört auf die Aussicht reagieren, bald überlebensgroße Fußballmillionäre vor der Nase zu haben. „Wir sind zugeschissen von Werbung“, ärgert sich einer im Berliner Lokalfernsehen.  

Auch die örtliche Politik ringt um den Umgang mit den Malereien. CDU und SPD sehen keinen Anlass, die Spuren der Hausbesetzer zu erhalten. „Wir reden hier ja nicht von der Berliner Mauer, die wirklich eine historische Bedeutung für Berlin hat“, winkt ein Kreuzberger SPD-Politiker in einer Berliner Boulevardzeitung ab. Ein Sprecher der CDU sagt demselben Blatt: „Bei besetzten Häusern handelt es sich um gesetzwidrige Aktionen.“ Schmierereien, die in ihrem Dunstkreis entstanden sind, gehörten deshalb nicht geschützt. Die Grünen, von denen viele selbst in der Hausbesetzer-Szene aktiv waren, fordern genau das. Am kommenden Mittwoch wollen im Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg einen Antrag einbringen. Er soll prüfen, ob die Wandgemälde unter Denkmalschutz gestellt oder durch eine ähnliche Regelung gesichert werden können.  

„Ich gehe auch davon aus, dass wir eine Mehrheit zusammenkriegen“, sagt Paula Riester, Vorsitzende der örtlichen Grünenfraktion, der stärksten Kraft im Bezirksparlament. Für den Erhalt der Wandgemälde nennt sie zwei Argumente: Erstens handele es sich bei den Bildern um Kunstwerke. Zweitens seien sie Dokumente einer Zeit, die Kreuzberg zu dem gemacht habe, was es heute ist. „Viele haben nicht auf dem Schirm, dass ohne die Hausbesetzer viele Altbauten abgerissen worden wären oder der Stadtautobahn hätten weichen müssen“, sagt Riester. „Trotzdem wollen alle in diesen Altbauten wohnen.“  

Tatsächlich dämmerte Kreuzberg in den Siebzigerjahren dem Niedergang entgegen. Häuser standen leer oder wurden dem Verfall überlassen. Ganze Straßenzüge sollten der Abrissbirne zum Opfer fallen und durch Neubaublocks ersetzt werden. Aber dann waren da plötzlich die Hausbesetzer. Binnen weniger Monate nahmen sie – teils von deren Besitzern toleriert, teils illegal – über 100 verlassene Altbauten in Beschlag. Unter dem Motto „Instandbesetzung“ widmeten sie sich der Rettung der verrottenden Riesen. Auf den Fassaden der besetzten Gebäude trugen sie den Häuserkampf in die Stadt.  

Die Anwohner haben keine Wahl: Sie müssen auf Werbung gucken


Die Geschichte dieser Form des Protests kennt Ilaria Hoppe von der Berliner Humboldt-Universität. Die Malereien hätten ihre Wurzeln im Mexiko der Zwanzigerjahre, erklärt die Kunsthistorikerin. In sogenannten murales führten Maler wie Diego Rivera die mexikanische Revolution an Häuserwänden fort. In den Sechzigern griffen die amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen die Tradition wieder auf. Dann schwappte sie auch ins Hausbesetzer-Milieu deutscher Städte. „Das hatte einen ähnlich revolutionären Hintergrund.“  

Es ist vor allem ihre Geschichte, die Bilder wie die in der Adalbertstraße in Hoppes Augen erhaltenswert macht. Die künstlerische Qualität spiele für ihren Schutz eine untergeordnete Rolle. Street Art oder Graffiti ebenfalls unter Denkmalschutz zu stellen, lehnt Hoppe allerdings ab. „Es liegt nicht in ihrer Natur, zu überdauern“, erklärt sie. „Die Künstler rechnen sogar damit, dass sie früher oder später übermalt werden.“ Außerdem seien Street Art und Graffiti per se illegal, während die Protestkunst der Hausbesetzer-Szene meist von den Eigentümern geduldet wurde.  

Seit sie um die Jahrtausendwende begonnen hat, sich mit Berlins Street Art zu beschäftigen, konnte Hoppe beobachten, wie die Bilder an den Wänden ein Wirtschaftsfaktor wurden. Heute locken sie Kunstinteressierte und Touristen aus aller Welt in die Stadt. Zunehmend beobachtet Hoppe aber auch, wie Mobilfunkanbieter, Modelabels oder Limonadenbrauereien Methoden der Street Art abkupfern. Die Wände, sagt Hoppe, seien „Seismographen ihrer Gegend“ geworden. Man könne an ihnen ablesen, wie sich ein Stadtviertel entwickelt. „Erst kommt die Street Art, dann die Gentrifizierung und schließlich die Investoren und Konzerne.“  

Für die Anwohner bedeutet das, dass sie im Straßenbild immer häufiger keine Wahl haben: Sie müssen auf Werbung gucken. Auf dem kleinen Platz vor der Brandmauer in der Adalberstraße stößt der Vorschlag der Kreuzberger Grünen an einem warmen Abend vor ein paar Tagen in erster Linie deshalb auf Zustimmung. Auf Steinbänken haben sich junge Eltern, ein paar rauchende Altachtundsechziger, zwei türkischstämmige Schülerinnen und ein paar Hipster niedergelassen. Ihr Urteil ist einhellig: Egal ob Nike oder ein anderes Unternehmen – keine Werbung soll die Wandgemälde verdrängen. Die Geschichte der Bilder kennen sie allerdings nicht.  

Grünenpolitikerin Paula Riester möchte darüber aufklären, zum Beispiel mit Zeitzeugen aus der Hausbesetzerszene, die erzählen, worum es ihnen damals ging. Es könnten dann auch Parallelen zu heute gezogen werden. „Das Thema Wohnungsnot ist ja wieder aktuell.“  

Vor der Diskussion im Bezirksparlament haben die Grünen die Eigentümergesellschaft des Altbaus in der Adalbertstraße angeschrieben, um ihn in die Debatte einzubinden. Die antwortete, sie wolle wegen der Anwohnerproteste von der Vermietung absehen. Ihren Antrag werden die Grünen trotzdem einbringen, um auch Hausbesetzerkunst an anderen Wänden zu schützen. Nike ist einfach ein paar Häuser weitergezogen - und lässt die Boatengs jetzt an einer Wand in der Köpenicker Straße grätschen. 


Mango

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Bei uns hat eine EisManufaktur aufgemacht. (Schleichwerbung, Schleichwerbung!!) Ich habe mir vorgenommen diesen Sommer jede angebotene Sorte zu probieren (die mir nicht vollkommen eklig vorkommt, dazu später mehr) bevor ich anfange Lieblingssorten doppelt zu essen. Und da ich schon anfange zu vergessen was ich schon probiert habe und was nicht: tadaa! Hipsterblogeintrag über Eis. So.

Aus der Erinnerung, Sorte Nr. 1: Mango 

Ich wollte eigentlich Pistazie, hatte ich doch durchs Schaufenster Matcha unkorrekt als diese identifiziert. Plan B ist Mango, denn Mango schmecht immer. Mango ist gut, um lokale Eislokale eiskalt zu entjungfern. (Und außerdem kenne ich Mango schon aus einer anderen Filiale und manchmal darf man einfach keine Risiken eingehen.)
Mango hat eine wunderhübsche Farbe, die Konsistenz ist prima, Mango schmeckt nach Mango. Keine Überraschungen, keine Enttäuschungen, ich bin zufrieden. Und fasse oben stehenden kühnen Plan. Sommer kann kommen.

Pistazie und karamellisierte Walnuss

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Oooh, yeah Baby! Pistazie und karamellisierte Walnuss waren vorgestern, nach einer 40km Fahrradtour/5km Spaziergang. (Die Erinnerung an Namen zwischenzeitlich stattgefundener Sorten muss ich erst mit einem erneuten Besuch auffrischen. Also unchronologisch.) Konnten beide ordentlich was. Auch wenn Pistazie einige doch recht festgefrorene Stellen hatte. Längst noch nicht vergleichbar mit Eiskristallen in minderwertigem Eis, aber dennoch. Ein cremiges Leckerlebnis war es nicht. (Wie gut, dass ich immer Waffel UND Löffel nehme!) Karamellisierte Walnuss hätte nussiger sein können, aber mind you, wir legen hier einen ordentlich hohen Maßstab an! Karamellisierte Walnuss hatte Karamell, es hatte Nüsse, es verschwand viel zu schnell und ließ die vor Furcht zitternde Pistazie zurück. 

Kurzer Exkurs zu ekligen Sorten: I. hatte - Obacht - Weiße Schokolade-Parmesan. (Ihgitt.) Sowas probier ich nicht! Dafür hab ich 1) furchtlose Mitbewohner und 2) nicht genug Toleranz für misslungenes Eis. Auch alle Sorten mit Ingwer werden hier kein Review erhalten.

Nur

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Nur du und ich und keiner,
der uns in unserer Einigkeit stören würde,
nur deine Augen, deine Lippen, deine Wörter,
das Behagen, das du versprichst und hältst,
mehr soll da nicht sein,
in seiner reinen Schlichtheit,
ich will nur das Glück fühlen,
und nur mit dir.

ich habe schon lange keine sterne mehr gesehen.

Tag und Nacht in München

Dokument verlegt?

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Chaos sogar dort, wo dem Selbstverständnis nach eigentlich Zucht und Ordnung herrschen sollten: Die NPD hat einen Grundschuldbrief verlegt. Aufgrund der Unordnung im braunen Haus müssen nun acht Mitarbeiter der Bundesparteizentrale entlassen werden. 

Rückblick: Der 2009 gestorbene Anwalt und NPD-Vize Jürgen Rieger hatte der Partei vor seinem Tod 200.000 Euro geliehen – und sich mit besagtem Grundschuldbrief die Rückzahlung des Geldes garantieren lassen. Der Kredit ist zwar längst getilgt, die Partei aber nicht in Besitz des Grundschuldbriefes, der das NPD-Haus in der Berliner Seelenbinderstraße belastet. Weil nun keine finanzielle Sicherheit nachgewiesen werden kann und ohnehin noch Forderungen ausstehen, zahlt die Bundestagsverwaltung die Parteifinanzierung nicht aus. Die Doofen sind die Mitarbeiter der Parteizentrale, die aufgrund der nationaldemokratischen Schlampigkeit seit vergangener Woche auf der Straße stehen. 


Na? Wo ist nochmal das Abizeugnis abgeblieben?

Zugegeben: Unser Mitleid – sowohl mit den Angestellten als auch mit der chronisch klammen Partei – hält sich in Grenzen. Doch zeigt diese Parabel doch auch Sinn und Unsinn einer ordentlichen Buchführung. Vor allem, wenn Dokumente betroffen sind. Einmal verlegt, hat man schlechte Karten bei den Behörden. Und auch sonst den ein oder anderen Nachteil.

Als ich zum Beispiel vor ein paar Jahren nach Prag in den Urlaub wollte, ist mir kurz vorher aufgefallen, dass mein Personalausweis im Portemonnaie fehlt. Trotz offener Grenzen wollte ich aber nicht ohne reisen – und musste kurzfristig für viel Geld einen Übergangs-Perso beantragen. Und dann, für noch mehr Geld, einen neuen Ausweis. Den alten habe ich nach der Reise natürlich sofort wiedergefunden. 

Welche Dokumente hast du irgendwann mal verlegt? Abitur-Zeugnis? Lohnsteuerkarte? Flugticket? Und welche Konsequenz hatte deine Unordnung? Musstest du gleich acht Mitarbeiter entlassen? Oder, so wie ich, einfach ein paar Euro für ein neues Exemplar zahlen?

Tagesblog - 4. Juni 2014

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17:48 Uhr: Kurz vor Feierabend noch mal kurz Aufregung in der Redaktion. Alle gucken aus dem Fenster:



Und was gucken sie an? Das Fotoshooting der SZ-Band "Deadline", die gerade auf dem Hochhaus-Vorplatz posiert:



Ich mach mich jetzt auf den Heimweg und versuche, denen nicht durchs Bild zu radeln. Habt einen schönen Abend und freut euch auf Jakob, der euch morgen an dieser Stelle begrüßt. Tschüß!

+++

17:17 Uhr:
Zweieinhalb Stunden haben Jan und Jakob mit fünf Münchner DJs aus drei Generationen gesprochen, noch viel länger haben sie das Gespräch anschließend transkribiert. Jetzt ist es fertig und supergut! Wer Clubs und Partys in München und ihre Geschichte mag oder etwas darüber lernen will, dem empfehle ich das dringend als Lesestoff.


Viele DJs, ein Thema: DJ-sein.

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16:43 Uhr:
jetzt-User vaus hat neue Nachbarn. Und ich finde es bemerkenswert, dass Vögel überhaupt SO machen können. Also so wie der kleine Vogel. Mit den Flügeln.
[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/va/vaus/text/regular/1019112.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/va/vaus/text/regular/1019112.jpg"]

16:03 Uhr:
Nachrichten aus Sexy-Land! Frauen, die sich untenrum angucken, Babys, die nicht Bambi heißen dürfen, minikleine Mini-Kondome - ganz schön großer Blumenstrauß aus Topsexlistenblüten, den uns die Kollegin Kolber da zusammengschrieben hat.
Zum Anteasern hier schon mal das Vagina-Video:
http://www.youtube.com/watch?v=eC4dVe8pIGY

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15:40 Uhr:
Es ist wieder Verlagsvorschauen-Zeit. Zwei mal im Jahr liegt dann hier ein großer Stapel auf meinem Tisch und ich suche im Frühjahrs- beziehungsweise Herbstprogramm nach Büchern, die für jetzt.de interessant sein könnten (oder die ich gerne mal lesen würde). Jetzt sind meine Lieblinsgkataloge eingetroffen: die von den unabhängigen Verlagen. Die kommen immer als Paket zusammen und sehen immer besonders schön aus. Ich möchte daraus dann laufend Geburtstagskarten basteln.




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14:52 Uhr:
Unser Praktikant, nein, wie Jan sagen würde, POWERPRAKTIKANT Michel hat mir grade folgendes sehr, sehr lustiges Video geschickt, auf dass es euch nicht vorenthalten werde. Ryan Lewis, die zu seinem eigenen Leidwesen oft missachtete zweite Hälfte des Hip-Hop-Duos Macklemore&Ryan Lewis, ist im Auftrag von Jimmy Fallon auf die Straße gegangen und hat die Menschen dort gefragt, wie sie Ryan Lewis finden. Und ob sie ihn auf einem Foto erkennen würden. Ich habe gerade sehr laut gelacht und Charlotte lacht grade ebenso laut neben mir, während sie es anguckt.
https://www.youtube.com/watch?v=p66rxHQK0qc

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14:17 Uhr: Es ist passiert: "Gangnam Style" ist seit dieser Woche das meistgesehene YouTube-Video der Welt. Es hat über zwei Milliarden Klicks. Der Economist hat ausgerechnet, dass das bei einer Länge von vier Minuten und 12 Sekunden bedeutet, dass "Gangnam Style" bereits 16.000 Jahre lang gelaufen ist! Und dann haben sie gleich noch ausgerechnet, was man in dieser Zeit alles hätte machen können. 20 Empire State Buildings bauen zum Beispiel. Oder vier Pyramiden. Oppa!
[plugin imagelink link="http://cdn.static-economist.com/sites/default/files/imagecache/original-size/images/2014/06/blogs/graphic-detail/20140607_gdc103.png" imagesrc="http://cdn.static-economist.com/sites/default/files/imagecache/original-size/images/2014/06/blogs/graphic-detail/20140607_gdc103.png"]

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13:41 Uhr:
Mittagspause auch schon vorbei. Wo bleibt heute nur die Zeit? Dafür jetzt endlich ein Foto für frzzzl: Die Redaktion nach dem Mittagessen bei Kaffee und Eis in der Sonne. Wie die Hühner.


v.l.n.r: Jakob, Chris, Kathi, Charlotte, Kathrin, Daniela, Michel
Und MsAufziehvogel hat übrigens eine Karte für Chuck Ragan heute Abend abzugeben. Münchner, die hier mitlesen: Bitte bei ihr melden, wenn ihr die haben wollt.

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12:48 Uhr:
Komme zu nix heute, aber einen neuen Text gibt es trotzdem: Maximilian Zierer hat für uns mit vier jungen Spaniern gesprochen, die am Montag gegen die Monarchie demonstriert haben. Sie erzählen warum und welches Spanien sie sich wünschen. Und sehen auch noch schrecklich sympathisch aus dabei. Lesen!




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11:08 Uhr:
Huiui, so ein langes Schweigen, tut mir leid! Erst war noch eine Konferenz und dann irgendeine technische Umstellung, während der wir nichts auf der Seite machen durften. Aber jetzt wieder. Und dann auch gleich mit der Lösung eines der größten Rätsel der Menschheit: Wie man den Namen der Marke "Nike" ausspricht. Die einen sagen "Neik", die anderen "Neiki". Zwei Briten haben die Ungewissheit nicht mehr ertragen und etwas getan, was längst hätte getan werden müssen: Sie haben dem Gründer Phil Knight geschrieben und um Aufklärung gebeten. Et voilà, das Ergebnis:
[plugin imagelink link="http://cdn.solecollector.com/media/up/2014/06/images/nike_post(1).jpg" imagesrc="http://cdn.solecollector.com/media/up/2014/06/images/nike_post(1).jpg"]

09:43 Uhr:
Konferenz vorbei, dann noch ein Telefonat, dann Passbildvergleich mit Charlotte, die einen neuen Perso hat. Ganz schön viel zu tun hier!

Damit ihr auch was zu tun habt, hat Michel euch einen Herzensbrecher geschrieben: langsame Jogger, die in voller Funktionskleidungsmontur und auf Gelsohlen in unseren Wäldern unterwegs sind. Also, ich habe geweint.


Da macht's Knack!

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08:32 Uhr:
So, mit Ruhepuls noch zwei Hinweise vor der Konferenz:

1. Die NPD hat ihren Grundschuldbrief verschlampt! Tut uns nicht leid. Aber aber auch nette Menschen verlieren ja mal Dokumente. Du auch? Das fragt Michel im heutigen Ticker.

2. Heute vor 25 Jahren wurde in China die Demokratiebewegung brutal niedergeschlagen. Bis heute ist nicht bekannt, wie viele Menschen dabei ums Leben gekommen sind. Und in China wird jede Form der Erinnerung zensiert und unterdrückt. Für die neue Reihe 360° hat sueddeutsche.de eine interaktive Reportage über das Massaker auf dem Tiananmen-Platz und die Zensur der Erinnerung erarbeitet. Unbedingt angucken!

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08:29 Uhr:
Guten Morgen jetzt.de! Heute Früh gab es so wenig Wind, dass ich mit Fug und Recht behaupten kann, schneller hergefahren zu sein als er. Danach bin ich acht Stockwerke Treppen gesprintet. Jetzt schnaufe ich. Melde mich wieder, wenn meine Atmung sich normalisiert hat.


Brandgefährlich: Fotografieren während des Radfahrens. Swooosh!

Weg mit der Google-Brille

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Es wäre zu einfach, Julian Oliver einen Entwickler zu nennen. Er selbst sieht sich als kritischer Entwickler. Als einen, der viel von Technik versteht. Und einen, der überzeugt ist, dass nichts unsere Gesellschaft so stark verändert wie Technik. Deshalb, so hat er es in einem Manifest niedergeschrieben, sei es seine Aufgabe, darauf zu achten, dass Technik nicht missbraucht wird.

Alles klar?



"Glassholes" lautet das Schimpfwort für die Menschen mit den Datenbrillen.

Nun, wie das genau aussehen kann, zeigt Oliver gerade mit einem Computerprogramm, das darüber wacht, wer sich zum Beispiel in ein Wlan-Netz einwählt. Das Programm sucht alle 30 Sekunden nach Menschen, die eine Google Glass tragen. Wird eine Datenbrille in dem Netzwerk gefunden, fliegt sie umgehend raus. Kein Internet für „Glassholes“.

Dieses Schimpfwort gilt der sonderbaren Spezies, die sich seit einiger Zeit mit ihrer Datenbrille im schummrigen Licht der Bars von San Francisco herumtreibt. Menschen, die dort Fotos schießen und Videos aufnehmen – und alle jene nerven, die einfach nur ein Bier trinken wollen. Die Geräte gelten als teures Spielzeug für elitäre Technikfreaks. Google selbst hat seinen Glasses eine Art Knigge beigelegt, der Empfehlungen gibt, wie man sich mit einer Datenbrille verhalten sollte.

Julian Oliver ist also nicht der Erste, der daran Kritik übt. Aber mit seiner Aktion hat er trotzdem für so viel Aufmerksamkeit gesorgt, dass er Interviews auf 15 Minuten begrenzen muss. Dann wartet schon der Nächste, der mit ihm sprechen will. Er sagt: „Google Glass kann vieles sein, aber es ist auch eine ausgesprochen hinterhältige Kamera, die nicht einmal anzeigt, ob sie gerade aufnimmt oder nicht.“ Die Reaktion auf seinen Programmiercode sei größtenteils positiv ausgefallen – mit Ausnahme der Google-Glass-Anhänger natürlich. Die haben sich beschwert.

Oliver ist 40 Jahre alt, wurde in Neuseeland geboren und lebt mittlerweile in Berlin. Sein Architekturstudium hat er abgebrochen. Seither hat er in Spielestudios gearbeitet – und in Australien, Kroatien, USA, Spanien und Schweden an virtuellen Realitäten geforscht. Was genau bedeutet es, wenn sich der Alltag zunehmend ins Netz verlagert? Das ist die Frage, die Oliver umtreibt. Die Antworten, die er darauf findet, sind kurios – und technische Meisterstücke. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Für die Tate Modern in London waren sie so interessant, dass er dort über sein Werk referieren durfte.

Da ist zum Beispiel sein Projekt Newstweek. Eine Installation, mit der Nachrichten manipuliert werden. Weil Menschen zunehmend zu ihrem Tablet und ihrem Smartphone greifen, um zu sehen, was in der Welt passiert, sei es einfach, Nachrichten zu verändern, so Oliver. Er führt das mit einem kleinen Kasten vor, den er in der Nähe des Wlan einstöpselt. Wählt sich nun ein Gerät ins Internet, kommuniziert dieses auch mit dem Kasten. Doch darin steckt ein kleiner Computer, den Oliver kontrolliert und dazu nutzt, manipulierte Nachrichten einzuspielen. „Queensland wurde überflutet“, steht dann beispielsweise auf der Homepage der britischen BBC. Und der unbedarfte Leser ahnt nicht, dass es gar keine Überschwemmungen gab.

Oliver macht einen schleichenden Prozess sichtbar. Sei es nun, indem er Nachrichten ändert oder Menschen mit Googles Datenbrille einfach aus einem Netzwerk schmeißt. Privatsphäre bedeute, frei wählen zu können, welche Seite man von sich in der Welt zeigt, sagt der Künstler, und:

„Google Glass will uns diese Möglichkeit nehmen.“ Und auch wenn Oliver das nicht verhindern kann, er kann es dem Konzern zumindest schwerer machen. Ein paar Zeilen Programmiercode reichen dafür schon aus.

Im Auftrag des teuflischen Torwarts

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Rio de Janeiro – Es regnet in Strömen, und die Menschen auf der Rua Voluntários da Pátria strömen aus dem Schlund der Metrostation oder in ihn hinein. Rutschig und zäh ist das Gedränge in der abendlichen Rush Hour. Doch es gibt einen Ort im nassglänzenden Stadtteil Botafogo, wo sich eine Schlange besser gekleideter Leute bildet, die lang und länger wird, bis sie vorbei an den aufgeweichten Biertischen am Straßenrand und fast bis zum Metroeingang reicht. Die Menschen unter den aufgespannten Schirmen wirken aufgekratzt, das stundenlange Warten nehmen sie gern in Kauf. Es erhöht die gruselige Vorfreude: Hier, in der Livraria da Travessa wird heute das Fußballdrama des Jahrzehnts präsentiert; auf den Markt kommt das Buch Indefensável – „Unentschuldbar“, nicht zu verteidigen. Das Unentschuldbare bildet den packenden Prolog dieser WM, und das beschränkt sich nicht nur auf die halbe Tausendschaft aus der gehobenen Mittelschicht, die sich hier geduldig in Zweierreihen dem Tisch am Ende der prallvollen Bücherei entgegen schiebt. Dort signieren sich drei Autoren die Finger wund.



Die brasilianische Nationalmannschaft wird ohne Bruno spielen.

Nur der Hauptdarsteller für diesen Volksauftrieb fehlt. Das aber liegt in der Natur der Sache. Bruno Fernandes das Dores Souza ist für die nächsten Jahre verhindert, Brasiliens größte Torwarthoffnung in diesem WM-Jahrzehnt hockt hinter Gittern in Belo Horizonte, wo er an einem Besuchstag während des Confed-Cups 2013 – die Seleção mühte sich im Halbfinale mit Uruguay ab –, seiner Freundin vorjammerte: „Dort könnte ich jetzt sein.“

In der Tat. Er hätte am Montag, als die brasilianische Seleção ihre Trikotnummern für die WM verteilte, die Nummer eins abgreifen können. Ja, sollen – es gab wenig Zweifel in der Fachpresse daran, dass Bruno der beste Ballfänger des Landes ist und rasch seinen Weg in die Auswahl machen würde. Sogar der AC Mailand war 2010 auf ihn aufmerksam geworden, kurz zuvor hatte Bruno dem beliebtesten Klub im Land, Flamengo Rio de Janeiro, den Meistertitel festgehalten. Aber Bruno blieb, dem Kapitän lagen sie beim Traditionsklub so tief zu Füßen, dass selbst seine Eskapaden umstandslos zur Vereinsfolklore umgearbeitet wurde: Vom provozierenden Spiel in den Torwarthandschuhen des Marktrivalen bis zu den vielen Bacchanalien mit Schnaps, fliegenden Fäusten und leichten Mädels auf Brunos berüchtigter Farm; irgendwo im Hinterland von Minas Gerais. Bruno durfte alles. Er war das Idol von Flamengo, er war unantastbar.

Auf Brunos Farm ist im Juni 2010 dann das Ungeheuerliche passiert. Ein Mord, so scheußlich, dass sogar die Hartgesottenen unter den Polizeiermittlern sagten, ihnen sei das Blut eingefroren. Enthüllt werden musste eine Geschichte, die alles birgt, was den brasilianischen Fußballtraum (und nicht nur den) ausmacht: Der Aufstieg aus der Elendsbannmeile einer Favela in glitzernde Gesellschaftskreise, die archaische Heldenverehrung durch die Fans, der Machismo, der just in Lateinamerikas Fußball die Grundtönung ist und Maßlosigkeit zum Daseinsprinzip erhebt: rasches Geld, absurder Ruhm, Affären im Dauertakt.

Platzhirsch Bruno war immerzu mit diversen „Maria Chuteiras“ zugange. So wird jener kontaktselige Typ Groupie genannt, der auf Prominente zielt und auch hierzulande als erste Stufe der „Spielerfrau“-Karriereleiter firmiert; weiterführend zum Berufsbild Model oder B-Sternchen. Zeitweise vier Marias beglückte der verheiratete Bruno nebenher, was meist mit aufreibenden Nebeneffekten verbunden ist: Eifersucht, Schwangerschaften, Erpressungsversuche. Denn es geht immer ums Geld.

So war es auch bei Eliza Samudio. Die 25-jährige Nackttänzerin hatte Bruno auf der Party eines Flamengo-Teamkollegen kennengelernt, bei einer flotten Menage à trois verzichtete der Torwart aufs Kondom, die Dinge nahmen ihren Lauf. Eliza wurde schwanger, Bruno drängte sie – gar mit einer brutal verabreichten Substanz – zum Abbruch. Vergeblich. Trotz aller Drohungen brachte sie einen Jungen zur Welt, den sie nach dem Vater nannte: Bruninho. Der Torwart stritt die Vaterschaft für Klein-Bruno ab, wurde aber nach Eliza Samudios Klage zur Zahlung verurteilt. 3500 Reais (ca. 1100 Euro) flossen pro Monat, dazu gab es eine Mietwohnung. Für Bruno, dessen Grundgehalt bei Flamengo gut 100000 Euro betrug, eine erträgliche Belastung. Nicht ertragen mochte der jähzornige Kicker angebliche Erpressungsversuche des Nacktmodells Eliza: Mehr Geld habe sie gewollt, und damit gedroht, ihre Geschichte in der Presse auszubreiten. Es gab auch heftige Szenen in Flamengos Teamquartier.

All das passte nicht in Brunos Welt. Der Junge aus Ribeirão das Neves, dem Elendsquartier von Belo Horizonte, hatte seinen Vater nie kennengelernt, die Mutter verstieß ihn nach der Geburt; aber jetzt war er unterwegs in die bessere Gesellschaft. Der Status als Idol jenes Klubs, in dem fast jeder Junge Brasiliens gerne spielen würde, und dessen schwarzrot-gestreifte Leibchen das deutsche Nationalteam für diese WM listig als Nationaltrikot adaptiert hat, um die Sympathien im Veranstalterland auf sich umzuleiten – dieser Status hatte ihm die Tür geöffnet; verbunden hatte er sich mit einer Zahnärztin. Die neue Frau sollte nichts erfahren von der folgenschweren Dreier-Geschichte. Anfang Juni 2010 verschwand Eliza spurlos. Sie war zuletzt auf Brunos Farm gesehen worden.

Der Verdacht fiel früh auf Bruno, aber vorerst blieb er unantastbar, während die Medien den Fall tagtäglich zu einer monströsen Fortsetzungsstory aufbliesen: Ein Mordfall ohne Leiche, im Zentrum einer der prominentesten Kicker des Landes. Und dann die gruselige Aufklärung, die nach Brunos Verhaftung und vor Gericht zutage trat: Ein Auftragsmörder, ein ehemalige Polizist mit dem Spitznamen OBola – der Ball – hatte Eliza beseitigt. Ein Martyrium. Die erneut schwangere Frau war monatelang beobachtet und telefonisch bedroht worden; ehe sie auf Brunos Boden landete, dort tagelang gefoltert und schließlich erstickt wurde. Gefunden wurde die Leiche nie. Der Killer soll sie an seine Kampfhunde verfüttert haben.

Den Auftrag hatte OBola aus Brunos Umfeld erhalten, von Luiz Enrique Romarão. Dieser, genannt Maccarrão, war die hündisch ergebene rechte Hand des teuflischen Torwarts. Als es eng wurde, wies ihn Bruno sogar brieflich an, „Plan B“ zu aktivieren und alle Schuld auf sich zu nehmen. Doch der Brief wurde abgefangen. Und der Torwart war geschlagen.

Klein-Bruno lebt bei der Oma. Eines Tages, sagt sie, werde er wissen wollen, wer sein Vater ist. Das kann ihm heute ganz Brasilien beantworten.

Im „geheimen Informationskrieg“

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Zum 18. Mal haben engagierte Bürgerrechtsgruppen ihren Grundrechte-Report vorgestellt, aber irgendetwas war diesmal anders. Dabei ist das Ritual seit Jahren in Stein gemeißelt. Ein kleiner Raum im immer gleichen Karlsruher Mittelklassehotel, ein großer Name, der das weiße Büchlein mit dem roten Titel präsentiert – diesmal war es die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Oft genug sind die Beiträge alarmierend, manchmal auch nur alarmistisch, und meist ist die Tonlage ein bisschen schrill. Eben wie es sich gehört für einen „alternativen Verfassungsschutzbericht“.



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stellt den neuen Grundrechte-Report vor: Aus dem Grundgesetz lasse sich eine Pflicht des Staates herleiten, für eine vor Spähangriffen geschützte Kommunikation seiner Bürger zu sorgen.

Neu ist: Im Jahre eins nach Bekanntwerden der Massenüberwachung durch amerikanische und britische Geheimdienste wirkt das Schrille plötzlich angemessen. Die zugespitzte, ätzende Kritik der acht Bürgerrechtsgruppen: Angesichts der Maßlosigkeit, mit der NSA & Co die Daten unverdächtiger Bürger absaugen, kommt sie wie ein Ausbund an Verhältnismäßigkeit daher. Man zuckt noch kurz zusammen, wenn der Bürgerrechtler Rolf Gössner von einem „geheimen Informationskrieg“ schreibt. Doch trifft seine Diagnose im Grunde den Kern des Problems: „Wir befinden uns ... in einem permanenten präventiven Ausnahmezustand, der seinen Ausnahmecharakter längst verloren hat und zum rechtlichen Normalzustand geworden ist.“

Auch Leutheusser-Schnarrenberger beherrscht diese Tonlage. „Ein freiheitlicher Rechtsstaat kann es nicht dulden, dass die im Geheimen agierenden Dienste den einzelnen Menschen zum bloßen Objekt ihrer Informationsbegehrlichkeiten entwürdigen“, sagt sie. Um sich dann den Konsequenzen aus diesem Befund zuzuwenden, also zum Beispiel der Frage, ob Generalbundesanwalt Harald Range in Sachen NSA nun Ermittlungen aufnimmt oder nicht. Die Botschaft der Ex-Ministerin, die Range vor zweieinhalb Jahren zum Generalbundesanwalt ernannt hat, ist unmissverständlich: Einen Anfangsverdacht zu verneinen, wäre aus Sicht der Politikerin „fast kurios“ und jedenfalls erläuterungsbedürftig – und ganz sicher ein „verheerendes Signal“.

Doch die Politikerin will die Verantwortung nicht allein beim obersten Ermittler abladen. Skandalös wäre aus ihrer Sicht, wenn Ermittlungen an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Sicherheitsbehörden scheiterten. Ein klarer Fall für ein Machtwort der Regierung: Denn dass es in den Behörden kein Material zu den Überwachungsaktivitäten der NSA geben sollte, wäre nicht nachvollziehbar.

Auch der Grundrechte-Report fordert Konsequenzen aus der NSA-Affäre: „Abrüstung“ der Geheimdienste, internationale Abkommen zur Sicherung der Kommunikationsfreiheiten, Stärkung der parlamentarischen Kontrolle. Leutheusser wird an einigen Punkten konkreter. Aus dem Grundgesetz lasse sich eine Pflicht des Staates herleiten, für eine vor Spähangriffen geschützte Kommunikation seiner Bürger zu sorgen. Damit greift sie auf, was die Ex-Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem und Hans-Jürgen Papier vor zwei Wochen im NSA-Untersuchungsausschuss thematisiert haben: Grundrechtsschutz durch Aufbau einer sicheren Kommunikationsinfrastruktur.

Überhaupt lohnt es, mit dem Grundrechtsschutz zu Hause anzufangen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat in Berlin gerade die Ausspähung des Datenverkehrs in Netzwerken wie Facebook und Twitter durch deutsche Nachrichtendienste verteidigt. „Die Nutzung verlagert sich stark vom klassischen Telefon in soziale Netzwerke“, sagte er der ARD. „Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, warum soll dann nicht ein Dienst auch auf diese Dienste zugreifen dürfen?“ Seine einstige Kabinettskollegin bezweifelt freilich, dass es im BND-Gesetz dafür überhaupt eine Rechtsgrundlage gebe. Da sollte man sich nicht an den US-Amerikanern messen. „Deutschland muss nicht Weltmeister im Ausspähen und Überwachen von Menschen werden.“

Immerhin lobte sie de Maizière für seinen Einsatz zugunsten der geplanten EU-Datenschutzgrundverordnung. Denn obwohl die vorgesehenen Regeln nicht für Geheimdienste gelten sollen, könnten sie den Datensammlern so manche Fessel anlegen. Nach dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum „Recht auf Vergessen“ sind auch Unternehmen wie Google – sofern sie in Europa agieren – den europäischen Datenschutznormen unterworfen. Wenn die Betreiber von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken aber zugleich dem US-Geheimdienst Zugriff auf ihre Daten erlauben – dann geraten sie in einen Zwiespalt zwischen amerikanischen Spähaktivitäten und europäischem Datenschutz. Die EU-Verordnung könnte also so manche Hintertür schließen, durch die sich die NSA bisher Zutritt zur digitalen Welt verschafft hat. Wirtschaft

Bodenstation des Bösen: Die NSA betrieb jahrzehntelang in Bad Aibling eine Abhörstation. Am Freitag wird offiziell bekanntgegeben, was alle schon wussten – der BND ist dort in gleicher Mission aktiv. Bisher firmierte das Gelände unter dem Tarnnamen „Fernmeldeweitverkehrsstelle der Bundeswehr“.

Der Weckruf

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Was passiert, wenn einer den Vorhang wegzieht und dahinter eine dunkle Welt zum Vorschein kommt? Vor einem Jahr kamen die ersten Dokumente des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden an die Öffentlichkeit. Seitdem ist das Gefühl allgegenwärtig, die eigene Kommunikation auf digitalen Kanälen sei nicht mehr sicher. Erst kam der Schock, dann die Empörung – und schließlich der Versuch, sich vor den gierigen Geheimdiensten zu schützen: Viele Verbraucher suchen Sicherheit, der Druck auf Konzerne und Politiker ist gestiegen. Was hat sich getan seit der ersten Enthüllung im vergangenen Juni?



In Hannover fordern Demonstranten Asyl für Snowden.

Nachrüsten

Lange klagten diejenigen, die in den Unternehmen die IT verantworteten, dass sie sich den Finanzwächtern unterwerfen mussten – und die vor allem an der Sicherheit sparen würden. Ihnen hat Edward Snowden nun die Überzeugungsarbeit erleichtert: Das Bewusstsein dafür, dass Investitionen in die Sicherheit von Unternehmensdaten wichtig, ja sogar notwendig sind, ist im Laufe des vergangenen Jahres gestiegen.

Ein gutes Drittel der hiesigen Unternehmen haben die Enthüllungen zum Anlass genommen, ihre IT-Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, wie eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom zeigt. Sie kontrollieren inzwischen genauer, wer auf welche Daten überhaupt Zugriff hat, aber auch ihren Virenschutz und ihre Firewalls haben sie verbessert und Notfallpläne für ein Datenleck entwickelt.

Auch große Technologiekonzerne in den USA schließen Sicherheitslücken. Denn nicht immer fragt die NSA dort erst nach – ausgestattet mit einem Beschluss des geheimen Fisa-Gerichtes wie bei dem von Snowden aufgedeckten Prism-Programm. Der US-Geheimdienst konnte mithilfe des britischen Dienstes GCHQ auch Informationen abfangen, die zwischen den gut gesicherten Rechenzentren von Google und Yahoo hin- und hergeschickt wurden. Unter anderem wurde dadurch die Nutzung des E-Mail-Dienstes Gmail unsicherer. Google verkündete deshalb, Daten auf den Wegen zwischen den Rechenzentren zu verschlüsseln. Auch Microsoft verschlüsselt besser und erklärte Schnüffelei von Regierungen zur „fortgeschrittenen, dauerhaften Bedrohung“ – ein Status, den der Konzern zuvor für Schadsoftware und Cyberattacken reserviert hatte.

Abschotten

Europa fühlt sich in der NSA-Affäre als Opfer amerikanischer und britischer Allmachtsphantasien. Eine Reaktion: der Ruf nach Abschirmung. Die Telekom wirbt für ein sogenanntes Schengen-Routing. Der Schengen-Raum, in dem sich Menschen frei bewegen können, ohne Grenzkontrollen, umfasst den Großteil der EU, aber nicht Großbritannien. Auch die Arbeit des britischen Geheimdiensts GCHQ sollte das Schengen-Routing also erschweren. Daten, die nur von Amsterdam nach Athen geschickt werden, sollen den Schengen-Raum gar nicht mehr verlassen und keine Umwege über Amerika und Asien machen, wenn es nach der Telekom geht. Die hofft auch auf einen Teil des Geschäfts, den US-Anbieter verlieren könnten. Auch Kanada und Brasilien denken über eigene Netze nach. Skeptiker fürchten allerdings eine „Balkanisierung“ des Internets. Vor allem aber zweifeln sie daran, dass regionales Routing überhaupt hilft. Schließlich seien auch europäische Internetseiten mit US-Konzernen verflochten, etwa über Facebooks Like-Button, der auf vielen Webseiten installiert ist. Zudem betrieben auch amerikanische Anbieter wie Google auf dem europäischen Festland Rechenzentren. Zu den dort gespeicherten Informationen können sich US-Geheimdienste mit ihren Vollmachten Zugang verschaffen – weil Google ein US-Unternehmen ist.

Die Idee überzeugt nicht jeden. EU-Kommissarin Neelie Kroes, eine scharfe Kritikerin der NSA, hält nichts von einem Schengen-Internet: „Der Versuch könnte das offene Internet gefährden.“ Auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff rät davon ab, das Netz technisch abzuschotten. Geschätzte 88 Prozent der Daten mit Start und Ziel im eigenen Land würden ohnehin durch Deutschland geleitet. Sinnvoller sei der „verbreitete Einsatz von modernen Verschlüsselungsalgorithmen“, heißt es aus Voßhoffs Büro. Klar ist: Solange die Menschen auf Google und Facebook nicht verzichten wollen, hat der US-Geheimdienst immer einen Fuß in der Tür.

Verschlüsseln

Edward Snowden hat der Welt nicht nur gezeigt, wie hemmungslos Geheimdienste Daten aus dem Netz fischen. Sondern auch wie leicht es viele Menschen den Agenten machen. Mittlerweile sind viele vorsichtiger geworden. Sie schützen sich inzwischen etwas besser vor den allzu neugierigen Blicken. So hat sich im Laufe des vergangenen Jahres der Anteil des verschlüsselten Datenverkehrs in Europa mehr als vervierfacht, in Lateinamerika sogar mehr als verfünffacht, wie der Netzausrüster Sandvine in seinem jüngsten Bericht festhält. Auch Nordamerika verzeichnete einen Anstieg, allerdings fiel er dort nicht ganz so deutlich aus. Und, auch dies gehört zur Diagnose, noch immer ist es nur ein kleiner Teil der Daten, die verschlüsselt durchs Netz geschleust werden: In den meisten Regionen ist dieser Anteil an der gesamten Datenmenge noch nicht einmal ein zweistelliger Prozentsatz. Ein Grund für den Anstieg dürfte darin liegen, dass mit Facebook eine Seite, über die ein großer Teil des Datenverkehrs läuft, im Laufe des vergangenen Jahres standardmäßig auf das HTTPS-Protokoll umgestellt wurde. So versucht das soziale Netzwerk auch, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Aber es gibt durchaus auch Anzeichen dafür, dass sich mehr und mehr Menschen auf eigene Faust nach Verschlüsselungstechnik umsehen. Mehrere Anbieter von VPN-Technik melden steigende Nutzerzahlen. Solche Diensten schicken die Daten durch einen abgeschirmten Tunnel. Und der Branchenverband Bitkom verwies im vergangenen Dezember darauf, dass neun Prozent aller Deutschen, die im Netz unterwegs sind, ihre E-Mails verschlüsseln. Sogar noch etwas mehr, nämlich 13 Prozent, surfen anonym – etwa über Dienste wie Tor.

Trotzdem ist der Einsatz von Verschlüsselungstechnik hierzulande noch immer eher die Ausnahme als die Regel. Der Bitkom-Umfrage zufolge liegt dies vor allem daran, dass die Menschen diese Dienste für zu aufwendig halten. Es ist weniger eine Frage des Geldes.

Wechseln

Die Gewinner des neuen Sicherheitsbedürfnisses sind vor allem jene Anbieter, die nicht im Verdacht stehen, mit dem US-Geheimdienst NSA zu paktieren. Die amerikanischen Konzerne spürten hingegen einen Dämpfer, auch wenn der nicht immer eindeutig auf Snowdens Enthüllungen zurückzuführen war. Schätzungen zufolge könnten den amerikanischen Cloud-Computing-Anbietern durch den Vertrauensverlust innerhalb der nächsten drei Jahre bis zu 35 Milliarden Dollar verloren gehen. Denn beim Cloud Computing geht es darum, Daten, die einst auf dem eigenen Computer abgespeichert wurden, in fremde Rechenzentren auszulagern und übers Internet darauf je nach Bedarf zuzugreifen. Das spart einerseits Energiekosten und macht Firmen flexibler. Aber es erleichtert Fremden auch den Zugriff auf sensible Informationen – zumindest wenn diese unzureichend geschützt sind.

Die Delle im Geschäft mit Cloud Computing lässt sich allerdings nicht allein damit begründen, dass nach Snowdens Enthüllungen Aufträge storniert wurden. Die großen Technologieunternehmen kommen sich mit ihren Angeboten immer stärker in die Quere, zugleich wollen auch kleinere Anbieter ein Stück vom wachsenden Markt. Insgesamt werden die Umsätze mit Cloud Computing nach Prognose des Marktforschungsunternehmens Gartner bis 2018 deutlich zulegen – auf dann etwa 294 Milliarden Dollar. Der Rückzug aus der digitalen Welt ist für die Wirtschaft also keine Option. Daran haben auch die Enthüllungen von Snowden nichts geändert.

Was mir das Herz bricht: Dampflok-Jogger im ICE-Kostüm

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Am Anfang steht ein Vorsatz. Und ehe man sich versieht, steht der Vorsatzmachende an der Kasse eines Sportgeschäfts. Auf dem Laufband: eine „Windstopper Active Shell“-Jacke, ein T-Shirt „Pro Combat Core Compression Mock 2.0“ und eine Dreiviertel-Laufhose mit „Quick-Dry-Funktion“. Nicht zu vergessen: neue Treter (Gelsohle) und Pulsuhr. Kostenpunkt: knapp 600 Euro.



Knack!

Wer je versucht hat, sich selbst das Gitarrespielen beizubringen, weiß, wie es läuft. So wie ich vor drei Jahren: Zu Beginn war meine Motivation riesig. Euphorisiert habe ich die Gitarre gekauft, Tutorials und Musikvideos geschaut und für mich gedacht: Das kann ich auch bald. Jeden Tag 20 Minuten üben, dann wird das schon. Einfach dranbleiben. So habe ich mich diszipliniert, wieder und wieder die gleiche Akkordfolge geübt und – irgendwann die Lust verloren. Die Fingerkuppen fingen an zu schmerzen, ehe ich vom John-Frusciante-Solo überhaupt träumen konnte. Mein Antrieb verkümmerte regelrecht. 

Auf den Waldwegen der Nation sind derweil jene unterwegs, die gerade noch das Sportgeschäft leer räumten. Hier sieht man sie in den frühen Abendstunden, eingepackt in Windstopper, Core Compression und Gelsohle. Am Hüftgürtel hängt eine dieser Plastik-Trinkflaschen, um den Kopf herum spannt ein weißes Schweißband. Es ist eine neonfarbene Ausrüstung, die schreit: Hier kommt Ironman. 

Nur: Auf den zweiten Blick stimmt etwas nicht mit diesen Ambitions-Schleudern. Da ist eine Kluft, so groß wie zwischen SPD und AfD. Man weiß: Das wird nie zusammengehen. Dabei ist es unerheblich, ob der Läufer groß, klein, dick, dünn, rund oder schmal ist. Es geht nicht um Fitness. Es geht darum, dass diese besondere Spezies des Joggers mit der Wahl des Equipments in die Welt brüllt, was sie gerne wäre. Sie wäre gerne: ein ICE. Aber sie ist: eine Dampflok.

Und genauso sieht das dann auch aus. Schwerfällig setzen sie sich in Bewegung, stöhnen kurz auf und geraten in einen behäbigen Trab. So, als hätte gerade jemand eine Schippe Kohlen nachgelegt.  Sie schnaufen und japsen. Und werden kurzdrauf schon wieder langsamer. Die Kohlen sind aus. Mit wenigen Schritten konterkarieren sie all das, was ihre Kleidung proklamiert. Nein, sie sind kein ICE. Ein Ironman schon lange nicht. 

Auch ich, der ich mir vor einigen Jahren das Gitarrespielen beibringen wollte, sah es irgendwann ein: Nein, ich bin kein John Frusciante. Nicht einmal ein drittklassiger Punk-Gitarrist. Aber, und das ist der Unterschied zwischen mir und all den Joggern, die die deutschen Parks bevölkern: Mein Scheitern war privat, das der anderen geschieht in aller Öffentlichkeit. Es bricht mir das Herz.
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