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Ein Sonntagsbekenntnis über die Liebe

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"Es ist was es ist sagt die Liebe...". Aber dabei ist es auch was es ist, wenn es gar keine Liebe ist. So wie jetzt. Es ist keine Liebe, aber es ist schön. Ein Gefühl von Geborgenheit und Vertrauen. Ich mag ihn. Trotzdem lässt mich meine erste Liebe immer noch nicht los. Ganz unbewusst schleicht sie sich wieder und wieder in meine Gedanken. Auch Jahre später. Man sollte meinen ich hätte es überwunden. Nach außen sieht es auch so aus. Innerlich längst nicht. Inzwischen haben wir Kontakt. Sporadisch. Davor lange Zeit gar nicht.


Dann hast du dich plötzlich gemeldet. Ganz unverfänglich und doch hast du keine Ahnung, was du damit angestoßen hast. Ich vermisse dich mehr denn je. Es ist verrückt, aber es ist, wie es ist - sagt in dem Fall die Liebe. Und es ist hoffnungslos. Ich frage mich, ob ich dieses Gefühl zu dir jemals los werde und ob nur für mich noch eine besondere Verbindung existiert?


Ich wüsste so gerne, wie es für dich ist. Ich kenne dich überhaupt nicht mehr. Sehe nur die groben Rahmenbedingungen deines Lebens die sich im Laufe der Zeit verändern. In unserer vernetzten Welt kein Kunstwerk und schon gar nicht außergewöhnlich, aber vielleicht zu verletzend für mich. Ein Umzug in die Stadt, in die es dich schon früher zog. Zu Zeiten, in denen ich noch Teil deines Lebens war.


Ich habe es einfach nicht zu schätzen gewusst. Uns und unsere Beziehung. Dich. Manchmal habe ich mich sogar für dich geschämt. Das tut mir unendlich Leid. Ich wünschte du hättest eine Vorstellung wie sehr. Und jetzt? Jetzt würde ich dir alles gerne sagen. Meine anhaltenden Gefühle. Wissen, was schief gegangen ist. Wie unfair ich manchmal zu dir war. Aber ich kann nicht. Es ist viel zu lange her und es zu viel passiert. Wir führen getrennte Leben. Und sie sind gut, wie sie sind. Trotzdem: Selten aber manchmal bis in letzter Zeit sehr oft - denke ich an dich. Immer wenn mein Handy aufblinkt. Bis du drei SMS später wieder verstummst und ich da sitze und nicht verstehe, was du eigentlich von mir willst.


Ich hoffe, irgendwann hört es auf. Alle Verbindungen zu dir zu löschen habe ich jahrelang versucht. Hat nichts geändert. Am Ende stand ich mit nicht weiniger Liebe zu dir dar als schon am Anfang. Ich liebe dich scheinbar - noch immer. Und gleichzeitig weiß ich, dass unsere gemeinsamen Zeiten längst die Vergangenen sind.


Sonntag ist ein Stinkefinger

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Die ganze Welt schimpft auf den Montag. Ich selbst natürlich auch - jedenfalls immer dann, wenn mich der Wecker um 7 Uhr morgens weckt, das Wochenende reich an Bilderbuchmomenten war und mir wirklich alles verlockender erscheint, als mich im Halbdunkeln auf dem Weg zum 8 - stündigen Arbeitstag zu begeben.
Und trotzdem: Wenn der Montag ein Arschloch ist, dann ist der Sonntag definitiv der dreckige Stinkefinger, der nicht selten drohend wie das Damoklesschwert über mich kreist und mich aperolbitter fragt: Was hast du diese Woche eigentlich geschafft? Denn während der Montag immerhin noch irgendwie ein kleines Gefühl von Aufbruch und Neuanfang vermitteln kann (à la "Heute ist der erste Tag der neuen Woche - ab jetzt starte ich voll durch.") und unter der Woche zumindest als kleines Fluchtziel zu dienen vermag ("Am Montag höre ich aber wirklich mit dem Rauchen auf"), zieht der Sonntag gnadenlos Bilanz - Was machst du, was kannst du, was willst du?
Das mag sicher auch daran liegen, dass der Sonntag oftmals ein Gespräch oder Treffen mit den lieben Eltern mit sich bringt, die irgendwo zwischen Stolz, Hoffnung, Zweifel und immerwährende Sorgen das liebe Kind betreffend, einen genau mit diese Fragen konfrontieren.
Und obwohl ich nun bereits 22 Jahre auf der Welt bin, mich einigermaßen weiß zu benehmen, herausgefunden habe, wann man das Richtige sagt und wann man besser schweigt, ich eine grobe Ahnung davon besitze, was gut und falsch in der Welt läuft, habe ich doch noch immer keine wirkliche Antwort darauf gefunden, wer ich bin und wie sich das Leben, das ich besitze, mit dem, was ich mir erträume (vorzugsweise in langweiligen Univeranstaltungen) vereinbaren lässt.
Es sind genau diese Fragen, denen ich unter der Woche durch Verabredungen, Veranstaltungen, Kaffeepausen, sportliche Betätigung, Feierei und amourösen Geschichten schaffe wegzulaufen, nur um dann irgendwann am Sonntag feststellen zu müssen, dass sie die ganze Zeit in meiner Wohnung bereits auf mich gewartet haben. Er kreist mal wieder, der Stinkefinger!


Nachtabbau

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Genau wie kurz vor einer Vorstellung ist auch ein Nachtabbau etwas Besonderes. Das Gefühl, nach einem langen Arbeitstag und zwei oder drei Stunden Abbau langsam zum Ende zu kommen und danach (um ein, zwei oder drei Uhr morgens) trotzdem noch auf ein Getränk im dunklen Foyer zusammen zu sitzen ist speziell.
Als letzter im Saal das Licht auszumachen und abzuschließen... diese Ruhe. Nachts ist einfach immer eine andere Stimmung als am Tag. Man ist kaputt, müde aber auch hellwach und freut sich aufs Bett.
Da wir ein komplett verglastes Foyer haben, ist die Stimmung gerade im Winter, wenn es schneit, genial.
Nur, dass man dann nicht raus in die Kälte möchte und im schlimmsten Fall erst um 7 Uhr morgens nach Hause kommt...

Das Millionen-Stimmen-Projekt

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Es war eine skurrile Situation, die Rupal Patel von der Northeastern University in Boston vor ein paar Jahren auf einer Technikmesse für behinderte Menschen beobachtete. Ein kleines Mädchen unterhielt sich mit einem erwachsenen Mann, und beide sprachen mit der gleichen Stimme. Es war keine echte, sondern eine künstliche, roboterähnliche Stimme, erzeugt von kleinen Sprechcomputern. „Mir wurde auf einen Schlag klar, dass das eigentlich nicht sein darf“, sagt Patel. „Wie ungenügend diese Computerstimmen sind: Sie sind austauschbar und passen einfach nicht, weder zum Körper noch zur Persönlichkeit.“ Selbst die weltweit wohl berühmteste Computerstimme, die des Physikers Stephen Hawking, war auf dieser Messe gleich zigmal zu hören.



Nur wenige Menschen haben so schöne und geschulte Stimmen wie diese Chorknaben von der St. Paul's Cathedral in London. Doch manche Menschen wären froh, wenn sie überhaupt noch eine eigene, persönliche Stimme hätten.

Das Erlebnis war die Initialzündung für ein Forschungsprojekt (vocalid.org). Gemeinsam mit dem Biomediziner Tim Bunnell vom Kinderkrankenhaus Nemours in Wilmington, Delaware, entwickelte Patel eine Methode, mit der sich persönliche Stimmen erzeugen lassen. Die Forscher machen sich zunutze, dass viele Menschen mit schweren Sprachbehinderungen durchaus noch charakteristische Laute von sich geben und diese auch in Tonlage, Tempo und Lautstärke variieren können. Die oft dumpf klingenden Laute entstehen im Kehlkopf, wo Atemluft die Stimmbänder zum Schwingen bringt. Mit dem Alter werden diese Stimmlippen dicker, und die Töne verändern sich. Auch ohne Worte ist der Unterschied zwischen Kinder- und Erwachsenenstimme deutlich zu hören.

Diese ganz persönliche Stimmessenz mischen die Forscher nun im Computer mit Sprachaufnahmen von jemandem, der das gleiche Geschlecht hat, ähnlich alt und groß ist wie der Sprachbehinderte. „Wir borgen uns sozusagen den Filter einer gesunden Stimme“, erklärt Patel. Gemeint ist der Vokaltrakt, der Resonanzraum aus Luftröhre, Rachen und Mundraum, denn erst hier bekommen die im Kehlkopf produzierten Töne einen klaren Klang und werden zu Vokalen und Konsonanten, zu Wörtern und ganzen Sätzen geformt. Die Stimmenspender müssen etwa drei Stunden im Aufnahmestudio verbringen und möglichst ohne Betonung rund 3200 Sätze sagen wie „Der Himmel ist blau und wolkenlos“, „Gestern Nacht war es dunkel“. Diese Sätze zerlegen die Wissenschaftler in winzige Wortschnipsel und speisen diese in eine Datenbank. Aus dem Archiv lassen sich dann mit geeigneter Software beliebige Sätze bilden – gesprochen von einer ganz persönlichen Kunststimme. Sie klingt sehr natürlich und angenehm. Allerdings fehlen ihr die Dynamik und Sprachmelodie einer gesunden Stimme.

„Das ist ein tolles Projekt, denn unsere Stimme hat einen ganz großen Einfluss darauf, wie uns andere Menschen wahrnehmen“, sagt Hartwig Eckert, emeritierter Professor der Universität Flensburg und Kommunikationstrainer in Hamburg. Sie sei Ausdruck der Persönlichkeit und oft wichtiger als das, was wir sagen. Doch eine Computerstimme wirkt oft unnatürlich und unangenehm. „Um ihr gerne zuzuhören, muss der Gesprächspartner erst einmal eine innere Barriere überwinden“, so der Sprachforscher.

Hinzu kommt, dass Menschen sich unbewusst in ihr Gegenüber hineinfühlen, sich zum Beispiel räuspern müssen, wenn dieser mit heiserer Stimme redet. Der Effekt der internen Simulation ist Eckert zufolge gerade im Vokaltrakt sehr ausgeprägt. „Wenn mich ein Kind mit einer künstlichen Erwachsenenstimme anspricht, werde ich ganz automatisch wie zu einem Erwachsenen sprechen und zum Beispiel in eine tiefere Tonlage rutschen“, erklärt er. „Eine solche Unterhaltung kann eigentlich nur schiefgehen.“

Die Produktion der Sprechhilfen mit persönlichem Klang ist allerdings noch nicht im großen Stil möglich. Zurzeit arbeiten Patel und Bunnell noch mit einem Prototypen im Labor. „Das heißt leider auch, dass alle Spender für die Aufnahmen zu uns kommen müssen“, bedauert Patel. So hätten sie bisher nur einige wenige Stimmen aufnehmen und erst drei Menschen mit maßgeschneiderten Computerstimmen versorgen können, darunter ein Kind. Mehreren Hundert Interessenten mussten die Forscher dagegen eine Absage erteilen, ihnen fehlte es an Spenderstimmen. Deshalb entwickeln die Forscher jetzt Programme für Tablets und Smartphones, die Aufnahmen sozusagen vom Sofa aus ermöglichen. Und als Motivation für ganz junge Stimmspender gibt es auch ein paar Spiele. Mit der neuen Software wollen sie nun weltweit auf Stimmenfang gehen. „Unser Ziel ist es, eine Million Stimmen zu sammeln“, betont die Forscherin. Bisher haben sich rund 12000 Menschen als Spender registrieren lassen.

Mit etwas ganz Ähnlichem beschäftigt sich Eduardo Mendel, Physiker an der Universität Oldenburg, schon seit Langem. Als vor 14 Jahren ein Freund an Kehlkopfkrebs erkrankte, begann er, dessen Worte aufzunehmen, sie in Silben zu schneiden und diese über ein Computerprogramm wie Legosteine wieder zu ganzen Sätzen zusammenzufügen. So wollte er dem Freund eine knarzige Roboterstimme ersparen. Irgendwann stellte er fest, dass sich etwa 95 Prozent der deutschen Wörter aus nur rund 3000 Silben konstruieren lassen. Die beiden Amerikaner Patel und Bunnell sowie der Physiker aus Norddeutschland sind sich vor Jahren sogar auf einem Fachkongress begegnet.

Mendel konserviert mit seiner Methode Stimmen von Menschen, die zwar noch sprechen können, aber wissen, dass sie in absehbarer Zeit auf eine Kunststimme angewiesen sein werden (meine-eigene-stimme.de). Zum Beispiel weil sie Kehlkopfkrebs haben oder wie Stephen Hawking an der Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) erkrankt sind, die zu schweren Lähmungen führt und oft sogar einen Luftröhrenschnitt zur künstlichen Beatmung erfordert. „Die Patienten und ihre Familien schätzen die Möglichkeit, die persönliche Stimme auch weiterhin hören zu können“, berichtet der Physiker.

Mehr als 230 Menschen haben ihre Stimme schon aufgenommen, und mehr als 130 Systeme sind oder waren im Einsatz. Mendel hat mittlerweile auch eine spanische Version entwickelt, eine englische ist noch in Arbeit. „Das größte Problem ist, die Technologie bekannter zu machen“, klagt er. „Nicht einmal jeder Hundertste, der profitieren könnte, weiß auch etwas davon.“

ohne worte, weil stille rundrum

Enkel auf Bewährung

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Die Sprungbrettfrage bekommt Benjamin Otto oft gestellt. Ob er denn gar nicht die von Großvater Werner Otto gegründete Firma leiten möchte, wird der 38-Jährige gerne gefragt. Und falls doch: Wann er denn endlich in die Fußstapfen seines Vater treten wolle? Der 71-jährige Michael Otto hat den Mittelständler aus Hamburg zu Europas größter Versandhandelsgruppe ausgebaut, nun leitet er den Aufsichtsrat.



Benjamin Otto möchte eigene Wege gehen. Deshalb baut er eine Internetplattform auf, auf der sich alles um Mode für Frauen zwischen 20 und 40 Jahren dreht.

Am Montag kommt die Sprungbrettfrage wieder: Benjamin Otto steht in einer auf neu gestylten Fabrikhalle in Hamburg und schaut auf die Journalisten runter, die auf Schemeln aus Pappe vor ihm hocken. Eben hat der Junior das jüngste Projekt der Otto-Gruppe vorgestellt: aboutyou.de heißt die Internetplattform, auf der sich alles um Mode für Frauen zwischen 20 und 40 Jahren dreht. Eine dreistellige Millionensumme steckt der Konzern in dieses Start-up. Das ist viel, und es ist eine Ansage an aggressive Rivalen wie Zalando und Amazon. Aber ist der Shop auch eine Bewährungsprobe der besonderen Art für den Chef? Soll der Jungunternehmer einmal den Otto-Konzern mit zwölf Milliarden Euro Umsatz leiten, wenn der Online-Shop boomt?

Der Filius, in Jeans und Hemd, tut das, was er sich für solche Fragen angewöhnt hat: Er nimmt den Druck raus. „Für mich steht das derzeit nicht zur Debatte“, sagt er freundlich. „Alles Weitere, was kommt, lasse ich auf mich zukommen.“ Klingt gut, doch ist das alltagstauglich? Wie kann ein Kronprinz etwas auf sich zukommen lassen, wenn die Kollegen genau hinschauen? Vater Michael Otto hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er den Sohn in ein paar Jahren gern an der Spitze sähe. Dort steht jetzt der externe Manager Hans-Otto Schrader, dessen Vertrag bis 2016 läuft.

Bisher hat der Junior gezögert. Ebenso wie Schwester Janina, sie engagiert sich in der Entwicklungshilfe. „Ich bin stolz auf meine Familie, aber ich gehe immer meine eigenen Wege“, betont Otto auch am Montag. Aufgewachsen in Hamburg, machte er nach dem Abitur eine Lehre als Bankkaufmann bei der Berenberg-Bank. Dann studierte er Wirtschaftswissenschaften an der European Business School in London und schloss mit einem Bachelor ab. Später gründete er mehrere Firmen, darunter einen Betrieb für digitale Haustechnik.

Ins großväterliche Unternehmen ist Otto 2012 eingestiegen. Seit Juni 2013 hat er das geheim gehaltene Start-up aufgezogen, gemeinsam mit Co-Chef Tarek Müller. Die neue Firma heißt Collins GmbH, benannt nach dem US-Managementexperten Jim Collins. Lange vor Ottos Einstieg hatte der Vorstand über das Projekt gegrübelt. Als der Vater ihm von der „radikalen“ Idee erzählt habe, sei er „Feuer und Flamme“ gewesen, erzählt Benjamin Otto.

Gut 140 Menschen haben an der Plattform getüftelt. Externe Entwickler sollen mit geringem Aufwand eigene Programme anbieten können und werden am Umsatz beteiligt. Etwa an einer App namens Nachteule: Eine Deutschlandkarte zeigt Großstadt-Klubs und deren Dresscodes – für alle, die dort erstmals hingehen. 50000 Artikel gibt es zu kaufen, und der Chef muss sich nicht um die Logistik sorgen: Dahinter steckt der Mutterkonzern. Der betreibt bereits 100 Online-Shops und erwirtschaftet im Netz sechs Milliarden Euro pro Jahr.

Eines ist klar: Benjamin Otto muss das alles nicht tun, um zu überleben. Er hält Anteile an der Otto GmbH & Co KG, ist Multimillionär und einer der reichsten jungen Männer des Landes. Doch warum und wie genau bringt er sich in das Start-up ein? Co-Chef Müller, 25, beantwortet das so: Benjamin Otto wolle dauerhaft Werte schaffen, das Start-up solle nicht einfach schnell boomen und wieder verkauft werden. Langfristigkeit und Mitarbeiter stünden im Fokus, und das lebe Benjamin Otto vor: „Der hat das Otto-Gen.“

Wegfahrsperre mit Tücken

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Alain Caparros probiert gern Neues aus. Ob Sushi-Bars in Supermärkten, Fingerfood an Tankstellen oder Sticker-Alben mit Wildtieren – kaum ein Angebot ist dem Rewe-Chef zu exotisch, um die Kunden trotz Online-Handels weiter in die Märkte zu locken. Besser Neues als gar nichts wagen, lautet seine Botschaft.



Wegfahrsperre für den Einkaufswagen: Gut gedacht, aber schlecht gemacht.

Daran dachten wohl auch die Manager eines kleinen City-Supermarktes in Köln. Sie verfielen auf eine Idee, die bestechend klang: eine Wegfahrsperre für Einkaufswagen. Schon länger war aufgefallen, dass dort monatlich fünf bis zehn Wagen verschwanden. Erstaunlich ist das nicht: Die rollenden Drahtkörbe können in vielen Lebenslagen hilfreich sein – vor allem in Köln, wo sie hübsch dekoriert gern mal im Karnevalsumzug mitfahren. Kölsch-Flaschen und Kamellen lassen sich kaum praktischer transportieren.

Diese Art Frohsinn kam bei den Rewe-Managern im Laufe der Zeit immer weniger an. Der Verlust ist nicht nur lästig, sondern auch teuer – ein Einkaufswagen kostet etwa 100 Euro, bessere Modelle bis zu 250 Euro. Da traf es sich gut, dass die Wanzl Metallwarenfabrik, Weltmarktführer bei Einkaufswagen, neulich auf einer Messe etwas anzubieten hatte, das schnelle Abhilfe versprach: ein Sicherungssystem, das die Räder der Einkaufswagen sofort blockiert, sobald eine Magnetschiene überfahren wird. Zum Testgebiet wurde jener City-Supermarkt in Köln-Sülz erklärt.

In Großbritannien ist das System Wanzl zufolge ein großer Erfolg. Dort müssen Supermarktbesitzer hohe Strafen zahlen, wenn einer ihrer Wagen in freier Natur gefunden wird. Die Bußgelder seien so hoch, dass Wanzl in Großbritannien auch bereits eine Tochterfirma gegründet hat, die gute Geschäfte mit der Suche nach Einkaufswagen macht, sagt Marketing-Chef Olaf Mörk.

Selbst eine App gibt es schon: Wer einen verlassenen Einkaufswagen sieht, schickt ein Smartphone-Foto an Wanzl. Per Satellitennavigation GPS findet ein Suchtrupp dann den Wagen – und bringt ihn zurück. „In Großbritannien sind unsere Wegfahrsperren sehr beliebt und werden verstärkt eingesetzt“, sagt Mörk. In Deutschland hingegen habe sich das System noch nicht recht etablieren können.

Wer in dem Rewe-Test-Supermarkt in Köln einkauft, ahnt, woran das liegen könnte. Dort wurde die Magnetschiene am Ausgang des Supermarktes in den Boden eingelassen. Wer mit dem Einkaufswagen diese Grenze überschreitet, der kommt nur noch zentimeterweise voran, so stark blockieren die Räder. Wagen kommen jetzt zwar nicht mehr weg. Taschen und Getränkekisten muss der Kunde aber bis zum Auto selbst schleppen.

Inzwischen ist dort der Getränkeabsatz nach Angaben eines Rewe-Sprechers um einen zweistelligen Prozentsatz eingebrochen. Fünf Monate testet Rewe das System nun schon in diesem einen Supermarkt. In den nächsten 14 Tagen werde die Magnetschiene wieder abgebaut. Test beendet. In einigen Supermärkten der Konkurrenz hat sich das System hingegen bewährt. Dort wurde die Wegfahrsperre auch nicht am Ausgang des Ladens installiert, sondern an der Parkplatzausfahrt.

Der Unsinn des einsamen Gary

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Wie brav er ausschaut, der Gary. Und dann guckt er so lieb und sagt: "I have 422 friends. Yet I’m lonely." Wie konnte das passieren? Arbeitet er zu viel und hat keine Zeit für seine Freunde? Ist er umgezogen und noch nicht richtig angekommen in der neuen Stadt? Riecht er nicht gut und die 422 halten darum Abstand?

Nichts davon. Gary Turk ist bloß noch einer in der langen Phalanx der Kulturpessimisten und Technikskeptiker und behauptet: Weil wir den ganzen Tag auf unsere Smartphones und Computer und Tablets starren, geht uns die "echte" soziale Interaktion verloren, verpassen wir das "wahre" Leben. Der Spoken-Word-Artist Turk hat diese Behauptung in ein Gedicht gekleidet. Es heißt "Look up" und das Video dazu wurde in den vergangenen Tagen auf YouTube fast 20 Millionen Mal angeklickt und massenweise auf Facebook und Twitter geteilt. Es erzählt, hinterlegt mit atmosphärischer Musik und in pathetischen Bildern, von der "generation of idiots, smartphones and dumb people", die wir Turks Meinung nach sind. Von den Chancen im Leben, die wir verpassen, wenn wir auf der Straße aufs Telefon schauen. Denn Gary Turk trifft eine tolle Frau, weil er sie nach dem Weg fragt, heiratet sie, bekommt eine zauberhafte Tochter mit ihr, die auch wieder ein Baby bekommt, und hält die Hand der tollen Frau, als sie im Sterben liegt. Am Ende dann das Gegenszenario: Gary Turk schaut an der Straßenecke auf sein Smartphone. Die tolle Frau geht vorbei. Er bleibt einsam zurück.

http://www.youtube.com/watch?v=Z7dLU6fk9QY "Look up" von Gary Turk - ein Gedicht gegen die Technisierung

Ich möchte ehrlich sein: Ich habe ein bisschen rumgeschrien, nachdem ich dieses Video angeschaut habe. Es ist ja nicht das erste dieser Art. Der Kurzfilm "I Forgot My Phone" zum Beispiel wurde ebenfalls sehr oft geteilt und hat mittlerweile mehr als 41 Millionen Klicks – darin sieht man die Protagonistin in vielen verschiedenen sozialen Szenen, in denen sie am Ende immer alleine ist, weil die anderen mit ihrem Telefon herumspielen. Aber "Look up" ist besonders schlimm. Denn erstmal möchte ich mir nicht von einem Nachwuchs-Prediger sagen lassen, alle meine Freunde und ich seien "Idioten" und "dumme Menschen". Zweitens verbreitet dieses Video die seltsame These, es gäbe auf der ganzen Welt nur diesen einen Menschen, mit dem man wirklich glücklich wird, und wenn man ihn verpasst (weil man zum Beispiel grade "Stehe an einer Straßenecke" twittert), dann wird das Leben nur halb so schön. Und drittens wiederholt der Text die viel zu kurz gedachte These, das Internet und unsere technischen Geräte würden uns zu unsozialeren und schlechteren Menschen machen. Hätte ich drei Wünsche frei, gäbe ich zwei ja gerne für Weltfrieden und nirgendwo mehr Hunger her, aber der dritte ginge auf jeden Fall dafür drauf, solche Texte von der Welt zu wünschen!  

Aber gut, dann eben noch einmal, anscheinend kann man es nicht oft genug sagen: Nein, es ist nicht schrecklich, dass die Menschen in der S-Bahn auf ihre Telefone schauen. Ohne die Telefone würden sie eben in die Zeitung schauen. Oder aus dem Fenster. Oder ins Nichts. Als hätten die Menschen früher dauernd miteinander gesprochen, in Bahnen und auf Straßen! Und nein, Liebe entsteht nicht immer nur in tollen "Ein erster Blick und es hat gleich gefunkt"-Momenten an der Straßenecke. Während Mrs. Right an ihm vorbeihastet, flirtet Gary Turk vielleicht gerade online. Mit seinem Smartphone. Beruhigt euch. Das Leben ist halt nicht so romantisch, wie ihr es gerne hättet. Es ist unendlich profan, voller Zufälle und ja, auch voller Telefone. Deal with it.  

Gary Turk geht aber nicht nur in der Liebe in die Vollen mit seinem Technik-Bash, er drückt natürlich auch noch auf den Nostalgie-Knopf und reimt über: die Kindheit. Er habe früher Baumhäuser gebaut und sich die Knie aufgeschrammt. Heute aber sei es in den Parks schaurig still und die Schaukeln hingen reglos da. Frage: In welche Parks geht Gary Turk? Zweite Frage: Wieso sollen Kinder nicht mit technischen Geräten umgehen können? Es geht doch wie immer und überall bloß um das richtige Maß. Auch Gary Turks Kindheit wäre sicher nicht die spannendste gewesen, hätte er ausschließlich Baumhäuser gebaut, und auch sicher nicht die gesündeste, hätte er sich täglich beide Beine aufgeschrammt.  

Es ist dieser seltsame, nostalgische Entweder-Oder-Gedanke, dem Turk und so viele andere, die das Video teilen, anhängen. Die Vorstellung davon, dass man "reale Welt" und Technik nicht vereinbaren könne. Dabei ist doch genau diese Vereinbarung das schöne, große Wunder unserer Gegenwart. Der Welt wurde durch die Smartphones in den Hosentaschen nichts weggenommen, ihr wurde etwas hinzugefügt. Die Möglichkeit, alles überall wissen zu können. Mit Freunden sprechen zu können, die ganz woanders sind, auch, während man mit anderen Freunden am gleichen Ort ist. In der Bahn ohne Zeitung Zeitungsartikel lesen zu können, zu chatten oder Scrabble zu spielen. Klar, die Welt hat sich dadurch natürlich auch verändert. Aber falls es jemand noch nicht mitbekommen hat: Das macht sie regelmäßig, seit es sie gibt. Heute geht eben ab und zu jemand zum Telefonieren raus, wenn man zusammen in der Bar sitzt. Oder ist drei Minuten abwesend, weil er jemandem zurück schreibt. Oder zwei treffen sich und spielen dann Quizduell gegeneinander. Aber ich habe noch nie erlebt, dass deswegen etwas zwischen Menschen kaputtgegangen wäre. Ich habe mich deswegen noch nie einsam gefühlt. Und auch noch nie das Gefühl gehabt, etwas zu verpassen. Vielleicht wären manche Gespräche ohne Smartphones auf dem Tisch anders verlaufen. Aber Gespräche sind auch 1954 anders verlaufen als 1994 und 1994 anders als heute. Aber sie sind nie verebbt. Meine Eltern haben sich lange Zeit darüber beklagt, dass ihre Töchter immer wieder auf ihre Telefone schauten, wenn sie daheim zu Besuch waren – das störe die Kommunikation, sagten sie. Seit sie selbst Smartphones besitzen, sind sie ganz begeistert. Weil wir eine Familien-Messenger-Gruppe gegründet haben. So oft wie dort haben wir wegen verschiedenster Wohnorte in den vergangenen Jahren selten alle auf einmal miteinander gesprochen.  

Lieber Gary Turk, vielleicht solltest du dir mal Spike Jonzes wunderbaren Film "Her" anschauen. Er erzählt aus einer technisierten Zukunft, in der sich der Protagonist Theodore in ein Betriebssystem verliebt. Trotzdem – nein, natürlich hat er auch noch Freunde in der "echten" Welt. Sehr gute Freunde sogar, an die er sich jederzeit wenden kann. Und dann gibt es da diese schöne, kleine Szene, die mich sehr glücklich gemacht hat: Theodore rennt durch die Stadt und eine Treppe hinauf. Um ihn herum viele Menschen mit technischen Geräten in den Händen und mit Knöpfen im Ohr. Theodore stolpert, Theodore fällt hin. Und sofort ist da dieser Mann, einer der vielen technisierten Männer, reicht ihm die Hand, hilft ihm auf und fragt, ob alles in Ordnung sei. Denn es ist ja so: Wenn du hinfällst und dir jemand nicht aufhilft, dann liegt es daran, dass er unhöflich ist. Nicht daran, dass er auf sein Telefon schaut. Und darum, Gary Turk, ist auch nicht dein Telefon Schuld an deiner Einsamkeit.

Kein Nachfolger, nirgends

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Es war ein Angriff, der dann doch keiner wurde. Das mag absurd klingen, aber so geht es zu in der Berliner SPD, die in der Hauptstadt seit mehr als 25 Jahren mitregiert und seit fast dreizehn Jahren den Regierenden Bürgermeister stellt. Intern ist von einem gescheiterten Putschversuch die Rede, aber auch von einem Schurkenstück. Anfang April hatte es plötzlich so ausgesehen, als sollte der erst seit zwei Jahren amtierende Berliner SPD-Vorsitzende Jan Stöß intern einen Herausforderer bekommen. Erst wurde geraunt und angedeutet, dann wie eine Tatsache behandelt, dass der Fraktionschef Raed Saleh auf dem Landesparteitag Mitte Mai gegen Stöß antreten würde. Es hätte eine wichtige Richtungsentscheidung mit Blick auf die Nachfolge von Klaus Wowereit sein können, der offen lässt, ob er zur Wahl 2016 noch einmal antritt.



Klaus Wowereit ist seit fast 13 Jahren Regierender Bürgermeister von Berlin. Ob er 2016 noch einmal antritt, lässt er offen.

In der Parteispitze gibt es kaum jemanden , der an eine erneute Kandidatur Wowereits glaubt. Der Regierende Bürgermeister steckt seit Langem in einem dramatischen Umfragetief. Sein Ansehen hat arg gelitten seit dem Fiasko um den Hauptstadtflughafen BER, und auch die erhoffte Erholung stellt sich nicht ein. Derzeit müsste man von einem Amtsmalus sprechen. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge wollen nur 31 Prozent der Berliner, dass Wowereit 2016 noch einmal antritt, im Oktober waren es noch 38 Prozent. Dabei sind jetzt 64 Prozent gegen eine erneute Kandidatur, auch eine Mehrheit der SPD-Anhänger äußerte sich ablehnend. Konstant desolat sind zugleich die Umfragewerte der Partei. Sie liegt bei 23 Prozent, die CDU – ihr kleiner Partner in der Koalition – hat in Umfragen inzwischen einen großen Vorsprung, sie würde von 30 Prozent gewählt.

Für Wowereits Nachfolge gibt es keinen Favoriten in der SPD. Fast könnte man sagen, es gibt gar keinen Kandidaten, zumindest keinen aussichtsreichen. Aber weil es ja irgendwer werden müsste, wurden zuletzt vor allem zwei Namen gehandelt, eben Saleh und Stöß. Der Parteitag hätte einen Showdown bieten können: zwischen dem rauflustig forschen Verwaltungsrichter und Parteichef und dem stets vorsichtig um Ausgleich bemühten Fraktionsvorsitzenden, der anders als Stöß gern seine Loyalität zu Wowereit betont.

Als Taktiker gelten sie beide, diesen Ruf haben sie in den vergangenen Wochen ausgebaut, mit unterschiedlichem Erfolg. Wie diese Geschichte ablief, das war ein Schaustück über das Innere der Berliner SPD, die sich in einer schwierigen Lage den Luxus gönnt, sich selbst der größte Gegner zu sein. Das Gerücht, Saleh könnte kandidieren, griff Parteichef Stöß geradezu lustvoll auf und drängte den möglichen Kandidaten, sich zu erklären. Die Parteizentrale tat eilig kund, dass schon die Säle gebucht würden, in denen die Kandidaten sich der Basis stellen sollten. Wowereit ließ die Geschichte derweil unkommentiert und gelassen geschehen. Sein Verhältnis zu Stöß gilt als schwierig.

Das Ganze hatte etwas von einer Zwölf-Uhr-mittags-Situation, allerdings hinter irgendeiner Berliner Kneipe. Nur Saleh wollte nicht Duell spielen. Wohl war zu hören, dass ihn viele Genossen drängten, auch namhafte. Dabei wurde in Parteikreisen geklagt über den Zustand der Berliner SPD unter Stöß, auch über den erbitterten Kleinkrieg in wichtigen Bezirken, den man ihm kaum anlasten kann. Aber Saleh sagte kein Wort zur Kandidatur. Nicht einmal, dass er darüber nachdächte. Er ließ sich zwei Wochen Zeit. Bis er dann, in der letzten Woche, kurz erklärte, dass es keine Kandidatur geben werde und er Stöß unterstütze. Seither sortieren Berlins Sozis die Scherben, und wie es sich für sie gehört, geht dabei immer mehr zu Bruch.

Es geht um die Deutung des Ränkespiels, besonders um die Frage, wer gewonnen hat, wobei immerhin beiden Lagern klar ist, dass die SPD dabei nicht zu den Siegern zählt. Gibt es überhaupt einen? Interne Gegner Salehs spotten, er habe sich verzockt. Er habe wohl zwei Wochen die möglichen Stimmen der Delegierten auf dem Parteitag durchgezählt und darüber die Lust am Putsch verloren. Die Mehrheiten wären eben auf der Seite von Stöß gewesen. Dann wäre das Spiel für Stöß aufgegangen. Man konnte von Beginn an den Eindruck gewinnen, dass eigentlich er Saleh herausforderte. Ob und wie sehr Saleh wirklich wollte, weiß man nicht. Er wirkte zögerlich, übervorsichtig. Nach dem Verzicht auf die nie erklärte Kandidatur erntete er Häme von Parteifreunden.

Stöß gönnte sich Triumphgefühle. „Manche denken wohl wie die Kicker-Legende Rolf Rüssmann“, schrieb er auf Twitter und zitierte den einstigen Haudegen: „Wenn wir nicht gewinnen können, treten wir wenigstens den Rasen kaputt.“ Er sieht sich gestärkt, das sagt er auch. Saleh sagt nichts. Gibt es Gewinner? Forsa fragte die Berliner, wer ein guter Nachfolgekandidat für Wowereit wäre. Eine Mehrheit gibt es für niemanden. Besonders schlecht schnitt freilich Saleh ab. Den Fraktionschef sehen 27 Prozent der Befragten als geeigneten Nachfolger, 55 Prozent lehnen ihn ab.

Andere stehen nicht viel besser da, noch am besten schneidet Stöß ab, den auch eine Mehrheit ablehnt. Auch bei ihm überwiegt sogar unter den SPD-Anhängern die Skepsis. „Der ganze Prozess hat der Partei sicherlich nicht genutzt“, sagt er. Stöß weiß, dass er einen passablen Parteitag am 17. Mai brauchen wird. Die Ränke sind erst mal ausgesetzt. „Jetzt müssen wir uns um Geschlossenheit bemühen“, sagt er. Sein Triumph, Saleh vorerst abgeschüttelt zu haben, wird Stöß nur nutzen, wenn er auf dem Parteitag ein gutes Ergebnis bekommt. Bisher hat er nur: keinen Gegenkandidaten. Aus dem Umfeld von Saleh heißt es, dass man Stöß unterstütze. Das könnte für diesen Tag stimmen.

klau|s|ens erlebt den übersmarten herrn thomas middelhoff im gericht zu köln beim oppenheim-prozess

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klau|s|ens, er kam dann.


ja, als zeuge, aber sagte dann doch nichts.


warum? wieso?


angeblich wegen einer ganz aktuellen veröffentlichung in FOCUS und FOCUS ONLINE zu seiner person. das schien aber nur vorgeschoben, denn die berichte über ihn und und das thema “prozesse” sind ja zigfach.


er sollte doch aussagen.


ja, aber der eine anwalt von ihm berief sich dann doch (für alle dann überraschend) auf § 55 der strafprozessordnung:


§ 55
(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.


dann war alle mühe umsonst?


oh ja, oh ja. aber herr middelhoff hatte einen fernsehauftritt erster güte: der dunkelblaue nadelstreif, dazu seine größe, die braune gesichtsfarbe, die ganze erscheinung. eigentlich eine spielfilmfigur. man stellt ihn sich als spieler oder gegenspieler in einem james-bond-film vor.


und so kam er dann ins gericht. groß und alert.


auch ins fernsehen. (ich sah ihn eben noch auf n-tv.)


aber gesagt hat er nichts. also nichts eigentliches, außer angaben zu seinem namen, seinem alter, seinem wohnsitz, seinem beruf.


der oberstaatsanwalt war stocksauer und zeigte es auch in worten. (die anderen waren wohl auch sauer, aber sprachen es nicht aus. die richterin blieb freundlich-cool wie immer.) denn man hatte ja im vorfeld alles abgeklärt, termine gefunden, und eben wohl auch angefragt, ob er überhaupt aussagt. (denn ansonsten macht alles keinen sinn. dann hätte man ihn gar nicht erst vorladen müssen.)


man ging davon aus: herr middelhoff kommt und sagt aus.


ja, aber er tat es dann überraschend doch nicht.


da waren dann alle mühen umsonst.


eben! auch die volle pressebank, die vielen fotografen, die endlich mal wieder vollen bänke im zuschauerbereich: alles umsonst.


middelhoff konnte aber durch diesen auftritt am 5.5.2014 publizistisch einleiten, dass er heute (6.5.) in essen wieder im gericht ist.


ja, heute aber als beschuldigter.


und die (wieder ein extra ding) anderen ermittlungen in bochum, das war die sache, auf die sich der anwalt in köln berief.


da ist das thema “insolvenzverschleppung”. das wiederum stand auch in den gesamten medien. (und es steht auch weiterhin dort. nicht nur im FOCUS.)


herr middelhoff hat viele prozesse zugleich zu bestreiten.


oh ja. eine große ansammlung. da zeuge, hier beklagter, dort selber klagender: zivilrecht und strafrecht. alles ist vertreten.


wie fandest du ihn?


sagte ich doch: er ist zuallererst eine erscheinung für den spielfilm. (er passt auf jede yacht.) zu allem anderen äußere ich mich nicht. da mögen die gerichte ihr werk tun.


und sein wohnsitz? er soll doch in gütersloh oder bielefeld oder wo sich abgemeldet haben.


im gericht gab er an: saint-tropez.


ein schöner, sonniger wohnsitz.


gewiss, zmal wenn man ununterbrochen nach deutschland muss, um in dieser oder jener funktion vor gerichten zu stehen. (obwohl: bei zivilprozessen lässt man meist die anwälte allein das ding vor ort tun.)


ein schöner wohnsitz, auch wenn man es sich mit dem einen gericht in köln irgendwie schon total verscherzt hat.


gewiss, aber § 55 StPO ist sein recht. – jedoch: er hat es zuvor anders kommuniziert, und die haben sich da endlos auf dessen befragung vorbereitet, alle seiten. dann diese “nullnummer”. (der oberstaatsanwalt nannte es dann beim namen. unverschämtheit. so kann man sagen. erbärmlich. so auch.)


was schrieben wir?


unter anderem:


DER ZEIGLING


Braun wie der
Urlaub gebrannt
Scheut das Kind
Nicht die Größe
Der Haltung das
Breite des Grinsens
Und den Zugruß
Selbst zu einem
Von der Pressebank


LIVE GEDICHTET. Copyright Klau|s|ens in allen Schraibwaisen und Schreibweisen, u.a. als Klau/s/ens oder Klausens oder Klau-s-ens, am 5.5.2014, Montag, gegen 9:57 und 9:58 Uhr MESZ, 5.5.2014, Montag. Middelhoff samt einem (der später zwei) Anwälte nun im Gerichtssaal selbst. Diverse Fotografen auch im Saal. Um 10:00 Uhr soll der Prozess beginnen.






HOMEPAGE VON KLAU|S|ENS:
http://www.klausens.com

Was muss ich beim Gebrauchtradkauf beachten?

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Immer, wenn ich in eine neue Stadt komme, will ich am liebsten sofort ein Fahrrad haben. Weil einen das Radeln die unbekannten Orte viel schneller kennen lernen lässt. Man findet heraus, wie Stadtteile zusammenhängen und kann spontan in Straßen abbiegen, die einem interessant erscheinen. Manchmal leihe ich mir deshalb an neuen Orten ein Rad von Freunden. Noch lieber aber kaufe ich mir ein gutes Gebrauchtrad. Das aber ist nicht immer ganz leicht, weil man schnell zu viel für ein Schrottrad bezahlt, wenn man sich mit Fahrrädern nicht auskennt.

„Beim Gebrauchtradkauf muss man sehr viel beachten“, sagt auch Andi Spielmann aus der Fahrradwerkstatt „Cycleclinic“ in München Schwabing. Deshalb sollte man sich für den Fahrradkauf unbedingt Zeit nehmen und eventuell sogar jemanden dabei haben, der im Zweifel bei der Kaufentscheidung helfen kann. An gebrauchte Räder kommt man leicht über Radlflohmärkte, städtische Versteigerungen, über Kleinanzeigen im Internet oder sogar Fahrradläden. Da sind die Räder zwar meist teurer als beim Privatverkauf, man kann aber sicher sein, dass sie vom Fachmann überprüft worden sind. 

Generelle Fragen, die man dem Verkäufer stellen sollte: Wofür wurde das Rad früher benutzt? Wie viel Laufleistung hat es schon mitgemacht? (Im Durchschnitt hält ein Fahrrad circa acht bis zehn Jahre.) Die Deutschen fahren durchschnittlich 300 Kilometer pro Jahr. Ein gut gepflegtes Rad kann aber auch länger halten. Wenn ein Rad viel gefahren wurde, musst man sich die Stoßdämpfer und Naben genauer ansehen, die dann stärker strapaziert wurden. Wie gut das Rad gepflegt wurde, lässt sich auch mit der Frage herausfinden, ob es draußen oder drinnen geparkt wurde.  

Zu den wesentlichen Stellen, die man am Rad überprüfen sollte, gehören auf jeden Fall die Reifen. Wie sieht ihr Profil aus? Sind sie trocken und porös? „Am besten ist es, die Luft abzulassen und den Reifen zusammenzudrücken“, sagt Andi. Dann dürfen keine Risse zu sehen sein. Auch müssen sie fest in der Verankerung sitzen – Schwingungen von über etwa zwei Millimetern sind ein No-Go. „Sie dürfen kein seitliches Spiel haben“, sagt Andi. Er empfiehlt, das Rad anzuheben, den Reifen zu drehen und mit den Fingern nah am Reifen zu fühlen, ob er sich ungleichmäßig bewegt. Auch wenn das Rad schnell aufhört, sich zu drehen, ist das kein gutes Zeichen. Wie gepflegt ein Fahrrad ist, kann man unter anderem an den Felgen erkennen: Sind sie rostig? Kann man einen Bremsverschleiß erkennen?  

Einen guten Eindruck vom Gesamtzustand des Fahrrads gibt zudem der Rahmen: Wenn der Risse oder Dellen hat oder sich Rost an den Schweißnähten ansetzt, sollte man das Rad eher nicht kaufen – oder zumindest keine 50 Euro dafür ausgeben.  

Die Bremsleitungen sind vor allem auf Höhe des Lenkers anfällig, wo sie aneinander reiben können. „Die Seilzüge müssen gleichmäßig laufen“, sagt Andi. Die einfachste Methode zum Prüfen der Bremsen ist, sie im Stehen mehrere Male anzuziehen und zu spüren, ob der Druckpunkt sich verändert.  

Es gibt noch einige Stellen, die Laien womöglich vergessen sich anzusehen: Dazu gehören die Pedalen und die Kurbel, die fest, aber leicht beweglich sein sollten, und die Lichtanlage. „Da darf nichts flackern“, sagt Andi. Auch das Radlager und die Naben dürfen beim Fahren nicht knirschen oder schleifen.  

Beim Preis gilt eine einfache Faustregel, wie der ADFC erklärt: Ein Fahrrad verliert beim Neukauf bereits etwa 20 Prozent an Wert. Nach zwei Jahren sollte der Preis nur noch bei der Hälfte liegen. Danach halbiert er sich noch mal etwa alle vier Jahre.  

Schließlich solltest du natürlich auch Probefahren – denn was hilft ein gutes Fahrrad, wenn du dich auf ihm nicht wohlfühlst?

Nicola Staender, 22, hofft, am Wochenende auf dem Flohmarkt ein gutes Rad zu finden.

Fünf Tipps für den Kauf eines gebrauchten Fahrrads:

1. Zeit nehmen. Du solltest das Rad genau überprüfen können, bevor du dich für oder gegen den Kauf entscheidest.


2. Ist das Rad an irgendeiner Stelle rostig? Hat der Rahmen Risse oder Dellen? Das sind schlechte Zeichen, die dich vom Kauf abhalten sollten.

3. Wichtig sind die Reifen: Sind sie porös? Drehen sie sich ungleichmäßig? Sehen die Felgen gut aus? Und funktionieren die Bremsen und das Licht gleichmäßig?

4. Der Preis eines Fahrrads sollte zwei Jahre nach dem Neukauf bereits nur noch etwa die Hälfte des Originalpreises betragen.

5. Auch hier gilt: Wissen ist Macht! Frag den Verkäufer zu Beginn, ob das Rad Mängel hat. Alles, was er nicht nennt, kannst du nutzen, um den Preis herunterzuhandeln.

"Je älter man wird, desto mehr Hornhaut entwickelt man."

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Charlotte: Hallo Opa! Ich hatte dir vorab ja die ganze Diskussion um BR-Klassik vs. Puls gemailt – was hältst du als eingefleischter Klassikhörer denn davon?

Opa: Die Diskussion trifft auf mich einfach nicht richtig zu. Ich höre Klassik bereits über Digitalradio und im Auto habe ich schon lange kein Radio mehr gehört. Das stört mich. Man wird der Musik nicht gerecht und gleichzeitig vom Verkehr abgelenkt. Man sollte generell überlegen, ob Radio die Sicherheit im Auto nicht gefährdet. Als Fahrer hat man doch bereits Abwechselung durch die sich bewegende Außenwelt. Aber mit dieser Meinung stehe ich wohl ziemlich quer, oder?

Ich befürchte schon. Wobei es diese Debatte ja wohl tatsächlich mal gab, als das Autoradio erfunden wurde...
Opa: Dass die Leute jetzt alle immer Kopfhörer aufhaben, sehe ich übrigens auch als Problem an. Seien es Radfahrer oder die Menschen im Wartezimmer beim Arzt – die nehmen kaum noch Außengeräusche wahr und gucken nur noch auf ihre Tablets. So gibt es keine Unterhaltungen mehr, das finde ich schade.

Hast du nicht selber auch Kopfhörer?
Opa: Ja, aber die brauche ich, um überhaupt Musik hören zu können. Ich hatte in jungen Jahren mal eine OP am Ohr. Nichts Bösartiges, aber dafür mussten sie das Ohr einmal ausräumen und wieder neu aufbauen. Danach haben mir alle Ärzte gesagt: „Oh, das Ohr ist aber gut aufgebaut – nur Stereo können sie damit leider vergessen.“ Seit ich jetzt aber auch noch so ein tolles Hörgerät habe, geht auch das wieder. Man könnte sagen, ich höre dank der Technik noch besser als in jungen Jahren! Doll, oder?

Absolut! Wir sollten auch noch über den April sprechen – Stichwort Heiligsprechung von zwei Päpsten. Wie fandest du das?
Opa: Das finde ich nicht gut, davon sollte man runterkommen. Papst Franziskus spricht doch immer von einer neuen Bescheidenheit – dann könnte er jetzt auch ein Zeichen setzen und die Heiligsprechungen einschlafen lassen. In diesem Fall war das natürlich schwierig, es war ja bereits alles vorbereitet. Aber sich anzumaßen, dass jemand einen besonders guten Draht zum Himmel hat und man ihn deshalb anrufen sollte – das finde ich schwierig. Die waren ja zugegebenermaßen nicht alle ganz heilig und auch die Sache mit den Wundern wird zukünftig immer schwerer werden. Auch wenn man nicht alles naturwissenschaftlich erklären kann, muss es nicht automatisch ein Wunder gewesen sein.

Ein weiteres Riesenthema ist immer noch die Ukraine...
Opa: Das ist eine schlimme Sache. Putin kann sich nicht mehr zurückziehen, er hat gegen zu viele Regeln verstoßen und dadurch ist eine unhaltbare Situation geschaffen worden. Man darf jetzt nicht mehr darauf hoffen, dass Putin etwas daran ändert, immerhin sind bereits Gewalt und Waffen im Spiel. Deshalb finde ich es auch so schrecklich, dass Gerhard Schröder Putin an seinem Geburtstag besucht und umarmt hat – das ist wie eine Ohrfeige für den Außenminister Steinmeier. Ich fürchte aber, Schröder erkennt gar nicht mehr, was das Problem daran sein könnte. Je älter man wird, desto mehr Hornhaut entwickelt man. Bei Schröder muss sie sehr dick sein.

Was wäre denn eine Lösung für den Konflikt aus deiner Sicht?
Opa: Es darf auf jeden Fall nicht passieren, dass die Staaten um Russland herum nicht mehr frei entscheiden können, ob sie zum Osten oder zum Westen gehören wollen. Gleichzeitig muss klar bleiben, dass niemand ein Interesse daran hat Russland anzugreifen.
(Im Hintergrund Knarren, Oma kommt hereingerollt und ruft „genau!“)

Oma, du bist ja auch da?Oma: Ich war noch in der Küche, Erdbeeren putzen. Leider sehe ich nicht mehr so gut, aber wo das Grüne auf dem Roten ist, kann ich noch erfühlen.

Eine eiserne Oma bist du!Oma: Ja, das sagt meine Ärztin auch manchmal zu mir. Leider knarrt mein Körper lauter als eine Tür mittlerweile. (Oma lacht).

Am 25. Mai ist ja Europawahl. Wir haben oft in der Redaktion das Gefühl, dass sich kaum jemand für das Thema so richtig begeistern kann. Was bedeutet euch Europa?
Oma: Keinen Krieg!
Opa: Genau! Man kann sich sicher sein, dass kein Volk in Europa dem anderen direkt an die Gurgel gehen wird. Sie werden immer erst versuchen, miteinander zu sprechen und Dinge auszudiskutieren. Außerdem kann man dank Europa ohne Schlagbäume und Geldwechseln reisen. Das ist doch herrlich! Vielleicht ist das Problem auch, dass die Journalisten zu einseitig über Europa berichten?

Inwiefern?
Opa: Naja, schlechte Meldungen werden ja wohl immer lieber gedruckt und gelesen, als gute. Die ganze Diskussion, dass in Brüssel so viel Bürokratie sei und die sogar die Gurken maßregeln wollen – das scheint ja alles gar nicht mehr so zu stimmen. In den Köpfen der Leute ist es aber immer noch so – vielleicht, weil es da nur negative Meldungen gibt?

Dann sollten wir jetzt vielleicht mit einer positiven Meldung aus den letzten Wochen enden - „Wetten, dass...?“ wird abgesetzt!
Opa: Ja, das wurde ja auch höchste Zeit!
(Oma kichert im Hintergrund)

Opa: Aber es stimmt doch? Das war doch früher mal eine akzeptable Sendung und mittlerweile haben sogar wir das nicht mehr angemacht. Aber gut, dass das ZDF zumindest darauf reagiert hat.

Normalität mit Hitlerbild

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Felix Hansen ist Mitarbeiter beim Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz) und engagiert sich seit dem Beginn des NSU-Prozesses am 6. Mai 2013 für die Initiative NSU Watch, die unabhängig den NSU-Prozess verfolgt. Er ist zum Teil selbst im Gerichtssaal und koordiniert von Berlin aus die Arbeit von NSU Watch. Unter anderem schreiben die ehrenamtlichen Helfer jeden Tag ein Protokollund veröffentlichen es auf Deutsch, Englisch und Türkisch. Im Strafprozess werden, im Gegensatz zum Zivilprozess, keine Protokolle angefertigt.


1. Gänsehaut im Gerichtssaal


„Am bewegendsten war für mich, als Ismail Yozgat, der Vater des Opfers Halit Yozgat, im Gericht beschrieb, wie er seinen Sohn tot in seinem Internet-Café auffand. Ismail Yozgat sprang auf, lief durch den Saal, er schrie immer wieder: „Er (sein Sohn, Anm.d.Red.) hat nicht geantwortet! Er hat nicht geantwortet!“ Ismail Yozgat legte sich auf den Boden, im Gericht, um zu zeigen, wie er seinen Sohn auffand. Er war von seinen eigenen Gefühlen überwältigt. Seine Frau richtete sich in einem Appell an Beate Zschäpe. Sie sagte, dass sie seit dem Mord an ihrem Sohn keine Nacht mehr durchgeschlafen habe. Die Familien der Opfer sind ihr Leben lang gezeichnet. Erst im Gericht haben wir begriffen, was die NSU-Mordserie bedeutet.“

2. Die unaufgeräumte Wohnung


„Als es um die einzelnen Morde ging, wurden Fotos von den Tatorten an die Wand im Gericht projiziert. Ein Ermittler kommentierte jeweils die Fotos, manche ausführlicher, manche sehr knapp. Im Fall Abdurrahim Özüdogru, den der NSU 2001 in Nürnberg tötete, wurden Fotos vom Tatort, aber auch von der Wohnung des Opfers gezeigt. Da meinte dann der Ermittler im Gericht darauf hinweisen zu müssen, wie unaufgeräumt die Wohnung des Mordopfers doch war. Das hat keinerlei Bedeutung für dieses Verfahren! Die Fotos führen einem die Grausamkeit der Verbrechen vor Augen – und ihm erscheint es wichtig, dass die Wohnung nicht ordentlich war.“



Seit 110 Prozesstagen beschäftigt sich das Oberlandesgericht München mit Beate Zschäpe und dem NSU. Bisher wurden Zeugen, Angehörige und Ermittler der neun Morde und im Moment vor allem Zeugen aus dem Umfeld und Unterstützer der Angeklagten angehört.

3. Moment der Selbstermächtigung


„Die Nebenkläger haben das Recht, den Zeugen Fragen zu stellen. Normalerweise machen das ihre Anwälte. Ismail Yozgat tat das persönlich. Er fragte den Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas T., was er sah, als er im Internet-Café war. Er saß ja im Hinterzimmer, als der Mord geschah. Andreas T. will dann rausgegangen sein, will von dem Mord nichts bemerkt und den erschossenen Halit Yozgat nicht gesehen haben. Ismail Yozgat antwortete ihm, dass es nicht so gewesen sein kann, weil der Ermordete so hinter dem Schreibtisch lag, dass Andreas T. ihn gesehen haben muss. Im Gericht glaubt niemand Andreas T.s Geschichte. Ich weiß nicht, ob jemals geklärt werden kann, wie es wirklich war. Aber dieser Moment der Selbstermächtigung, dass Ismail Yozgat aus seiner Rolle als Opfer herausging, war bis jetzt einer der stärksten im ganzen Prozess.“

4. Normalität mit Hitlerbild


„Der Begriff der Normalität taucht im Verfahren immer wieder auf. Anja S., eine frühere Freundin vom Angeklagten André E., sagte aus, die rechte Kultur in ihrer Jugend im Erzgebirge sei ‚doch völlig normal’ gewesen. Mit 15, 16 war sie mit André E. befreundet. Der hatte damals schon Nazi-Tattoos. Sie nahm das in ihrer Jugend nicht als auffällig wahr, sondern als Normalität. Nachbarn von Beate Zschäpe in Zwickau, die immer wieder mit ihr zusammen waren und mit ihr im Partykeller Prosecco tranken, beschrieben ein Bild von ihrer Normalität – in der ein Hitlerbild an der Wand hängt. Eine Nachbarin aus der Polenzstraße, die über Jahre Kontakt mit Zschäpe hatte, wurde damit konfrontiert, dass ihr Ehemann auf seinem Facebook-Profil rassistische Kommentare und Hetzgedichte postet. Sie sagte, ihr Ehemann habe eine ‚normale politische Gesinnung’.“

5. Gespielte Naivität


„Ich finde es erstaunlich, wie häufig Zeugen aus der Neonazi-Szene mit ihrer gespielten Naivität durchkommen. Sie wollen wirklich nichts zu einer Aufklärung beitragen. Mandy S. hatte in der frühen Anfangszeit Kontakt zu den drei Untergetauchten, Zschäpe benutzte eine Weile ihre Identität. Mandy S. hat als Kennzeichen BH 88. Der Richter fragte sie, wofür das stehe. Sie antwortete: ‚Für Bike-Halterin Honda Hornet.’ Wir wissen, dass die Szene sehr gerne mit Codes spielt, dass BH für ‚Blood and Honour’ und 88 für ‚Heil Hitler’ steht, weil H der achte Buchstabe im Alphabet ist. Mandy S. kannte die ganzen Szenegrößen, sie war bei Aufmärschen dabei. Aber im Gericht wollte sie über Zschäpe, Böhnhardt und Mundlus gar nichts gewusst haben. Sie sagte, sie habe ihnen nur eine Wohnung vermittelt, die Politik in der Szene habe für sie keine Rolle gespielt. Es ist eine schrecklich naive, völlig unglaubwürdige Rolle, die sie da spielt - ohne Konsequenzen für sie.
Bisher hat der Richter Götzl nur einmal mit Beugehaft beziehungsweise Strafgeld gedroht. Thomas R., bei dem die Drei eine Zeit lang wohnten, antwortete immer nur mit drei Worten. Götzl fragte ihn nach der Gruppe ‚88er’ in Chemnitz, bei der er Mitglied war, was ‚88’ bedeute. Eine Minute lang überlegte er ganz angestrengt, dann sagte er, er wisse es nicht. Da wurde Götzl wütend.“

6. Wichtige Nebenklage-Anwälte


„Im Gericht geht es vor allem um die fünf Täter. Die Nebenklage versucht eine umfassende Aufklärung, die Struktur, das Umfeld des NSU zu beleuchten. Ich finde das wichtig, um das System des NSU zu verstehen. Manchmal wird gestöhnt im Gerichtssaal, weil die Nebenklage viel nachfragt. Besonders deutlich wurde das, als ein früherer Neonazi vorgeladen war, der für die Drei eine Wohnung angemietet hatte. Im Gericht sagte er, es sei ihm egal gewesen, ob sie einen Schokoriegel geklaut oder jemanden umgebracht hätten. Die Nebenklage fragte dann, welche Gedanken er sich machte, als er 2011 erfuhr, dass die drei tatsächlich Morde begangen haben. Da intervenierte die Bundesanwaltschaft und sagte, es stehe der Nebenklage nicht zu, diese Frage zu stellen: ‚Wir sind hier nicht beim jüngsten Gericht.’
Aber es wird besser. Am Anfang fragte nur die Nebenklage nach militanten Strukturen, nach ‚Blood and Honour’, auch nach dem Kennzeichen von Mandy S. Aber inzwischen fragt auch der Richter akribisch nach.“

7. Solidarität im Gerichtssaal


„Am Geburtstag von Ralf Wohlleben waren vier Neonazis aus Thüringen im Gericht. Sie versuchten, sich ganz vorne auf der Empore hinzusetzen, damit er sie auch sehen kann. Er sah sie dann auch, sie tauschten Blicke, winkten sich zu. Solche Solidaritätsbekundungen beobachten wir immer wieder, das stärkt natürlich das Selbstbewusstsein der Angeklagten. Manchmal sitzen Neonazis auf den Besucherplätzen und tragen T-Shirts mit den Aufschriften „Ich hab’s gewagt“ (Rudolf Heß’ Grabsteininschrift) oder ‚Gefangenenhilfe – Gemeinschaft statt Isolation’. Das Gericht hat durchaus die Möglichkeit, auf die Kleidung der Besucher einzuwirken und das zu verbieten. In München hat noch kein Besucher deshalb Konsequenzen gespürt. Menschen, die Solidarität mit den Angehörigen und den Nebenklägern zeigen, sind leider nur selten da.“

8. Ohnmächtiges Gericht


„Drei der Angeklagten sind frei. Ein irrer Anblick: Sie stehen mittags in der Sonne und rauchen. Die Angehörigen kommen zwei Meter hinter den Angeklagten aus dem Gerichtssaal heraus. Regelmäßig kommen Neonazis ins Gericht und unterhalten sich in der Mittagspause vor dem Gebäude mit André E. Das Gericht ist nicht in der Lage, die Angehörigen da zu schützen.“  

9. Zschäpe und die Waffe „Walli“


„Eine Zeugin, mit der Zschäpe um 1996 zusammen in der Disco war, erzählte im Gericht, dass Zschäpe damals mit einer Waffe am Gürtel herumlief, dass sie einmal nach Hause trampten und Zschäpe der Person, die sie dann mitnahm, die Waffe zeigte und sie bedrohte. In Zschäpes Wohnung wurde ein ganzes Waffenlager gefunden. Die Zeugin erzählte, dass Zschäpe immer eine Gaspistole bei sich hatte und sie liebevoll ‚Walli’ nannte. In der Gesellschaft existiert das Bild von Uwe Mundlos als Waffennarren, als Gewalttätigen der Drei, und die Vorstellung, dass Neonazis, speziell militante Neonazis, männlich sind. Bei Zschäpe sieht man, dass das nicht der Fall ist.“

10. Struktureller Rassismus


„Der langjährige Leiter der Münchner Mordkommission Josef Wilfling, der die Münchner NSU-Morde bearbeitet hat, wurde im Gerichtssaal gefragt, wieso er nicht in der rechtsextremen Szene ermittelt habe, sondern ausschließlich im persönlichen Umfeld und nach Mafia-Verbindungen. Tötungsdelikte von rechts, antwortete Wilfling, das seien alles laute und brutale Angriffe, das sei hier nicht der Fall, und jetzt soll man bitte nicht so tun, als ob es keine türkische Drogenmafia gäbe. Dieser rassistische Blick, dieser strukturelle Rassismus begegnet uns oft im Gerichtssaal.“

+++  

Alles über den NSU-Prozess findest du hier.  

Das SZ Magazin veröffentlichte Ende 2013 ausgewählte Protokolle aus dem ersten Jahr NSU-Prozess. Und machte daraus einen grandiosen Film:  

http://www.youtube.com/watch?v=49EpcfdZApU

Dein Herz ist ein mieser Dealer

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Kleine Geschichten beginnen immer groß: Du warst der Held in meinem Lieblingsfilm, hast mich Javier Bardem vergessen und bei alten Ehepaaren träumen lassen, Philipp Poisel sang nur von uns beiden und überhaupt: Überall warst du.
Nur ich habe es leider nie über eine Komparsenrolle in deinem Leben hinaus geschafft, ich ließ dich im Scheinwerferlicht strahlen und blieb mit meinen Gefühlen stets nur eine Randfigur, hängen geblieben irgendwo in Szene fünf.
Im so genannten wahren Leben bist du vielmehr Dorian Gray und ich Alice im Wunderland, die mit Anlauf in dein Spiegelbild gefallen ist. Denn während ich uns bereits in ein paar Jahren sah, hast du dich nur im Spiegel angeschaut. Und trotzdem hast du dich an mich geheftet wie kussfester Lippenstift, sogar noch Monate nach all dem was hätte werden und hätte sein können und was schließlich war und was noch nicht einmal das war, arbeite ich mich an dir ab wie meine Zahnbürste am Zahnschmelz. Dabei bist du doch im Grunde viel zu schön für mich, viel zu glatt und angepasst, ja, ich habe schon viele Fehler an dir entdeckt, ich weiß, dass du mit deinem Herzen dealst, du zarte Worte und Berührungen für Bewunderung verkaufst, du deine Hände niemals bei dir lassen kannst und du dir Gefühle mit Zahnseide vom Leib hältst. Du verkaufst so schlechten Stoff und dealst dabei so verdammt gut, deine Küsse wie Kokain lassen mich nach wie vor noch viel zu gut wissen, wie es sich in deinen Armen anfühlt, wie leicht es sein kann, neben dir alles und vor allem mich selbst zu vergessen und wie schön sich der Himmel in deinen Augen wiederspiegelt. Ich bin ein dopaminverseuchtes Opfer, das noch immer dein mieses Herz als Dealer sucht.


 


 

Zwei ganz allein

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Es war ein langer Abend, der Film dauerte ewig, der Kick, mit Dir aus einem Strohhalm zu trinken, war gewaltig und danach wäre es Zeit fürs Hotel gewesen. Aber ich lerne ja. Wir gingen etwas trinken, ganz zivilisiert, wir unterhielten uns über dies und das und auch über jenes und das driftete dann schnell in allzu persönliche Dinge, denn wenn wir ehrlich sind, kennen wir uns jetzt über zwei Jahre und das ziemlich gut. Aber gesprochen haben wir selten. Alles, was ich über Dich weiß, weiß ich von flüchtigen, aber sehr wichtigen Umarmungen beim Kommen und Gehen an unserer Tür, dem Geruch deiner Haut, wenn Du mich streifst im Vorübergehen und wenigen Momenten beim Lachen und Spielen sinnloser Brettspiele oder beim Zeigen nutzloser Apps.

Wir tranken aus und ich nahm ein Taxi, allein. Nach Hause.

Hey, was willst Du von mir? Du bist ein Abstauber, ein Narzißt, ein Vergleicher, Optimierer, ein Getriebener, ein Mann, der sich an die Frau seines Freundes heranmacht, obwohl er eine Freundin hat, bloß weil Aufmerksamkeit und körperliche Nähe Dir wie Luft zum Atmen sind. Woher ich das weiß? It takes one to know one.

Aber jetzt weiß ich gar nichts mehr, das alles war zuviel an dem Abend und doch so viel zu wenig, das Wunschvakuum wird größer und größer und gleichzeitig sind alle Alarmanlagen auf Rot. Finger weg. Herz weg.

Worüber hast Du gesprochen? Da kam [Liebe] drin vor. Ich dachte wir sind ganz woanders. Und jetzt hab ich Bauchweh.

"Brüste, Vaginas und Titten sind zwei verschiedene Dinge" oder auch "Vorspiel: kann man sich auch nix von kaufen."

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Viele Frauen wünschen sich ja Männer, die klüger sind, als sie selbst. - Das ist sehr klug von Ihnen. Das Dumme ist: dass ist voll klug, gerade im Vergleich zu Männern. Auch deswegen kann man Frauen mögen. Und vermissen.


Das Tröstende daran, jemanden auch morgen nicht zu sehen, ist ja, dass man den dann "nur" weiter, nicht aber neu vermisst. Vermissen tut man ihn natürlich trotzdem. Andererseits: Das Gute daran, jemanden auch morgen nicht zu sehen ist ja, dass man sich dann länger auf den- oder diejenigen vorfreuen kann.


Man kann sich natürlich auch darauf freuen, jemanden wieder zu sehen, wenn der- oder diejenige gerade da ist. Man kann denjenigen natürlich auch vorvermissen, wenn er oder sie gerade da ist. Frauen zum Beispiel. Ich mag Frauen. Grundsätzlich. Sie riechen gut. Nicht alle. Nicht immer. Liegt natürlich manchmal auch am Duschgel. Ich mag Frauenduschgel. Nicht jedes. Nicht immer. Aber grundsätzlich. Wie auch immer.


Sich darauf freuen, dass man jemanden wiedersieht, bzw. traurig sein, dass man denjenigen bald nicht mehr sieht: Eins von beiden geht immer. Das gilt auch für Duschgel oder PartnerInnen: Unabhängig davon, ob man eine hat oder nicht kann man sich auf die die Nächste freuen, bzw. die Letzte vermissen.


Aber wenn man eine Freundin hat, dann ist "Nein es gibt keine andere Frau" voll der gute Satz, wenn man sich von ihr trennt, weil man festgestellt hat, dass man eigentlich schwul ist. Wobei ich persönlich ja - also jetzt sexuell gesehen - keine Männer mag. Die Penisse sind mir einfach zu klein. Frauen sind da wenigstens konsequent. Ich meine, bei Frauen ist das so ein: Penisse: Ich kann´s nicht, dann lass ich es halt. Aber Männer, wenn Männer etwas nicht können, die können sich das nicht eingestehen: "jaaaah, das ist ein entführtes Passagierflugzeug, aber klar kann ich damit durch New York fliegen, wird schon gut gehen, wird schon keiner merken, doch, da ist noch Platz, ich komm locker an den Türmen vorbei, ach Gottchen, ich bin immerhin an Einem vorbeigekommen" Männer halt! Holzfällerhemd aber nix drunter (was ich nicht generell kritisieren möchte).


Aber Exkurs Penisgrößen: Menschen die gerne über ihre Penisgröße reden, würden hier vielleicht mit gespielter Unschuld so was sagen wie: Früher wusste ich ja gar nicht, wie Penisse ausschauen, da kannte ich nur meinen Eigenen und erst als ich dann Pornos sah, wurde mir bewusst, dass es die auch in Klein gibt... Exkurs Ende.


Wie auch immer. Wenn man der Freundin dann sagen würde, dass man schwul geworden ist, da kann die dann nix gegen sagen: sich wegen Umorientierung trennen, da kann sie traurig sein, aber kann sie nix gegen sagen, das wäre ja dann homophob und eine homophobe Freundin darf man doof finden, soll man sogar. Da dürfte sie sich nicht wundern, wenn ich mich von ihr trennen würde, da könnte ich dann sagen: "Ha! das war nur ein Test auf Homophobie und Du bist durchgefallen, jetzt trenne ich mich." Sexistisch wäre das wahrscheinlich auch von Ihr.


Manchmal weiß ich ja auch nicht genau, was jetzt sexistisch ist und was das Gegenteil, wenn man zum Beispiel in einem Vortrag: "Liebe Lesben" sagt, dann ist das ok, wenn man jetzt aber gendert und stattdessen sagt "Liebe Lesbinnen und Lesben", dann regen sich wieder einige Menschen auf. Meiner Meinung nach: Peter ist nicht mehr als Petra! Peter oder Petra: das ist doch egal. Und Schwul oder Hete ist bitte schön auch egal. Ich mag ja eigentlich beides nicht. Die Schwulen nehmen mir die hübschen Männer weg und die Heten die Frauen und die Lesben nehmen mir auch die hübschen Frauen weg, alles doof.


Wenn man sich das so überlegt, dann mag ich vor allem mich selbst. Das ist auch gut so, denn ich bin ja auch ein bisschen Pole, und wenn ich mich nicht mögen würde, das wäre ja rassistisch irgendwo und ich mag keine Rassisten. Will sagen: wenn ich mich nicht mögen würde, dann würde ich mich nicht mögen, aber schon aus Prinzip.


Der Vollständigkeit halber, muss ich aber sagen, dass ich nicht nur Probleme mit Frauen, Schwulen und Rassisten habe, ich könnte auch, nur mal so zum Beispiel niemals mit einem Blinden zusammen sein. Nichts gegen Blinde, aber ich finde, gemeinsames Nordic-Walking im Wald gehört einfach dazu. Und nein, dass was Blinde mit ihren Stöcken machen ist für mich kein Nordic- Walking.


Außerdem gibt es da auch immer Fettnäpfchen. Blinde mögen es zum Beispiel nicht, wenn man ihnen Lebensmittelfarbe zum Geburtstag schenkt, obwohl Lebensmittelfarbe voll cool ist. Großes Geschrei und Gezeter und zwar nicht wegen Geburtstag, sondern wegen der Farbe. Dabei sehen die das gar nicht! Da erzählen die immer, man solle sie behandeln wie normale Menschen, und wenn man es dann tut, dann Peng!, ist´s auch Scheisse. Und dann will man sich vielleicht versöhnen und schlägt ´ne Runde Twister vor, aber gut. Wenigstens können Blinde Kissenschlacht - wenn auch nicht gut. Anderseits: gut genug.


(Aber gut. Es muss ja nicht immer nur um Menschen gehen. Ich zum Beispiel arbeite ja auf einem Bauernhof. Ich würde dort gerne mal nach meiner sexuellen Orientierung gefragt werden. Einfach nur um dann wahrheits- wenn auch nicht kontextgemäß zu antworten: "Hej, ich bin Stadtmensch. Ich seh bei den Tieren eh keinen Unterschied". Aber das nur nebenbei. Außerdem: Tiere sind nett. Natürlich nicht alle. Gemse zum Beispiel. Aber das ist eine andere Geschichte.)


Mit diesem Text will ich eigentlich für Toleranz werben, er endet nun alsbald. Ich sage das, weil ich ja manchmal verwundert bin, dass nicht alle Menschen wissen, dass Dinge endlich sind. Als meine Mitbewohnerin zum Beispiel mal mein Ex-Auto verunfallte, da hat sie mir mit großen Augen erzählt, dass ihr da die Endlichkeit von Dingen bewusst geworden sei. Was ich seltsam fand. Ich meine, sie ist 1,59! Da müsste man doch wissen, dass Dinge endlich sind? Mitbewohnerin, sollte man eh nix mit anfangen.


Deswegen noch mal in einfachen Worten was ich ausdrücken will. Auch weil Mitbewohnerin vielleicht da ist.


Rassismus finde ich Scheisse, Sexismus finde ich auch Scheisse. Autoritarismus und Autismus auch. Audismus und Apfelmus finde ich ok, will ich auch mal sagen dürfen. Diskriminierung ist doof. Ich mag Diskriminierung ganz allgemein nicht. "Diskriminierer diskriminieren, Diskriminierinnen diskriminieren!" würde ich als Motto vorschlagen, auch und gerade weil es keinen Sinn macht. Ich mag Sinn machen, aber nicht hier.

Vor dem Kinder-Tribunal

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Ich bin kein Astronaut und bewohne kein Baumhaus. Ich schätze mal, ich habe verkackt.  

In einer nachdenklichen Stimmung am vergangenen Wochenende fragte ich mich: Was wäre, wenn ich heute vor mein junges Ich treten müsste und ihm Rede und Antwort stehen? Wäre der achtjährige Lucas froh, den erwachsenen Lucas so zu sehen, wie er in den 20 vergangenen Jahren geworden ist? Wäre er enttäuscht? Oder, schlimme Vorstellung: entsetzt?!





Als Kind war ich sicher: Mein beruflicher Werdegang würde mich früher oder später zur NASA führen (möglicherweise mit Umwegen über eine Privatdetektei oder das Sondereinsatzkommando). Was meinen Lifestyle als künftiger Erwachsener anging, hatte ich den festen Plan, mit meinem besten Freund zusammenzuziehen (in ein Baumhaus), Pferdeschwanz sowie Cowboystiefel zu tragen. Frauen würden in meiner bzw. unserer Zukunft keine Rolle spielen. Arbeit im eigentlichen Sinne auch nicht.

Insofern wäre ich als Achtjähriger wohl enttäuscht von meinem derzeitigen Ich: kein Waffenschein im Geldbeutel, kein Monstertruck vor der Tür - dafür ein Schreibtischjob, der mich nur selten in akute Lebensgefahr bringt. Kein Tattoo, keine langen Haare. Obendrein eine WG mit zwei Mädchen, die jeweils feste Partner haben. Ich sehe mein junges Ich angesichts dieser Nachrichten nur stumm und bitter den Kopf schütteln.

Nun hat man als Kind ja durchaus interessante Maßstäbe, was ein gelungenes Erwachsenenleben ausmacht. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass ein entfernter Cousin mich auf Familienfeiern regelmäßig stark beeindruckte. Er trug Ohrringe, raspelkurze Haare, dunkle Blousonjacken und fuhr Motorrad. Er war jahrelang mein Lieblingsverwandter: Sein Lifestyle war am nächsten dran an dem, den ich von Comics und Fernsehserien kannte. Erst sehr viel später erfuhr ich, dass ebendieser Cousin in jenen Jahren ein Hooligan mit nebulösen Kontakten zur rechten Szene war. Dass ich diesem Vorbild heute nicht entspreche, stimmt mich eher froh.

Jetzt aber du: Wenn du heute dein Ich vor 20 Jahren treffen würdest – was würde dieser junge Mensch von dir denken? Hielte er dich für ein angepasstes Würstchen? Für einen doch überraschend hart gekochten Typen? Wofür würde dein Kindheits-Ich dich bewundern, abgesehen von deinem Bart oder deinen Brüsten? Und, andersrum: Was würde es dir nicht verzeihen?

Tagesblog - 7. Mai 2014

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http://www.youtube.com/watch?v=9lAVeeuwRiI&feature=player_embedded

17:30 Uhr: Was für die Ohren: Die Fünf Songs sind online! Michel hat schöne Alternativen zum ESC-Gedöns rausgesucht. Zum Beispiel das neue Video von Elbow. Hier geht's lang!

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[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/DNdDrzp.gif" imagesrc="http://i.imgur.com/DNdDrzp.gif"] (Quelle)

17:12 Uhr:
Animierte Filmplakate, warum ist da bis jetzt niemand drauf gekommen?

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17:05 Uhr:
Hey, Swarm Intelligence! Am Sonntag ist ja Muttertag, für mich vor allem Omatag. Hab ich leider erst gestern bemerkt. Was schenkt/macht ihr da so? Ich würde gern was schenken, brauche dafür aber noch dringend Inspiration!

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16:52 Uhr:
Diese Wachstraßenaussicht ist verantwortlich für die Schlechtwettermelancholie. Fehlt nur noch die Bürste.

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16:20 Uhr:
Zeit für eine User-Text-Empfehlung! Weil es so gerade so gut zu meiner Regen-Melancholie passt: "Zwei ganz allein". Von jetzt-Userin Schwatzwaldkirsche. Hach!

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(Foto: Gereon Rahnfeld)

15:35 Uhr: Eine neue Folge unserer Literaturkolumne ist online! Dieses Mal hat
Dorian mit Fabian Hischmann über zwei Bücher gesprochen. Ein neues von Lorenz Langenegger und ein weniger bekanntes Buch vom sehr bekannten J.D. Salinger.

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[plugin imagelink link="http://www.thehipsteralphabet.com/assets/typewriter.png" imagesrc="http://www.thehipsteralphabet.com/assets/typewriter.png"] (Quelle)

15:00 Uhr:
Ein bisschen Hipster-Nachhilfe gefällig? Das Hipster Alphabet wird gerade wild in meiner Facebook-Timeline geteilt. Sehr hübsch jedenfalls.

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14:25 Uhr:
zurück aus der Mittagspause und was hab ich für einen Link-Tipp in meinem Postfach?
Voilà:

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/rwBck9I.jpg" imagesrc="http://i.imgur.com/rwBck9I.jpg"]
(via FM4)

So sähe das aus, wenn männliche Krieger in Videospielen angezogen wären wie weibliche. Ziemlich bescheuert, was?

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12:50 Uhr:
Das Zeit Magazin hat jetzt eine eigene, ziemlich schöne Seite im Internet. Ich hab mich schon immer gefragt, warum das bisher nicht so war. Da klicke ich mich jetzt mal durch. Und, noch ein Lesetipp von der Zeit beziehungsweise Zeit Online, weil mich dieser Prozess so fesselt: die interaktive NSU-Terror-Karte, auf der die Geschichte des NSU anhand der Orte, die dafür eine Bedeutung hatten, erzählt wird. Sehr toll!

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[plugin imagelink link="https://i.imgur.com/GHeXkBR.jpg" imagesrc="http://i.imgur.com/GHeXkBR.jpg"]

12:20 Uhr: Katzen-Content zu Mittag! Ich mag ja keine Katzen. Ja, ich weiß, furchtbar. Diese Woche haben mir aber schon zwei Katzen-Contents gefallen. Dieses Foto, das Jan eben rumgeschickt hat. Und das Vine-Video, das uns Nadja gestern mit einem "Das macht ja so Spaß!" weitergeleitet hat. Macht es wirklich!

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(Foto: dpa)

11:55 Uhr: Ein neuer Text ist auf unserer Startseite. Und er bringt sogar mir den Eurovision Songcontest ein bisschen näher. Michel und Chris haben sich die einzig interessante Figur beim ESC näher angesehen: die österreichische Teilnehmerin Conchita. Die beiden haben zehn Faktenüber sie gesammelt, in ihrem Text steht auch, warum sie (oder er) so heißt. Und sein Lied kann man auch anhören.

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11:10 Uhr:
So, unsere Konferenz ist auch vorbei. Hat ein bisschen länger gedauert, weil wir zwei Gäste hatten. Dirk von Gehlen, der uns etwas über Facebook, Twitter und noch mehr Social-Media-Sachen erzählt hat.

Und diese hier:





Riechen leider betörend, deshalb stelle ich sie lieber wieder auf Jakobs Platz, der die mitgebracht hat.

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10:00 Uhr:
In diesen Minuten beginnt unsere Konferenz. Langsam wird das Zimmer auch voll. In München ist nämlich gerade riesiges S-Bahn-Chaos. Jan war deswegen eine Stunde länger unterwegs als sonst. Der Foto-Beweis:





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09:55 Uhr: In meiner Facebook-Timeline habe ich noch Posts von US-amerikanischen Webseiten von gestern Abend. Gestern vor zehn Jahren lief nämlich das Finale von Friends. Mashable hat zu diesem Anlass die 55 schönsten Momente der Serie in GIFs gesammelt. Phoebe war die Beste! Und Joey! Und Chandler! Ich will sofort - zum dritten Mal oder so - die Serie durchschauen.

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09:40 Uhr:
So, Milchkaffee leer. Zum Mitreden am Morgen gut zu wissen:

* Wer dachte, schlimmer als 200 von Terroristen entführte Mädchen geht nicht. Geht doch.
* Gurlitts Kunsterbe soll laut seinem Testament ins Ausland gehen.
* "Chinas Amazon" heißt Alibaba und könnte bald den größten Börsengang aller Zeiten schaffen.
* Monica Lewinsky äußert sich morgen in der US-Zeitschrift "Vanity Fair" über ihre Affäre mit Clinton.
* Und Eurovision Song Contest-Halbfinale war auch.

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(Illustration: Sarah Unterhitzenberger)

09:25 Uhr: vor den News aber noch schnell unser schöner Ticker: Wir wollen wissen, was dein junges Ich von dir denken würde, wenn du es heute Mittag treffen würdest. Hier geht's lang zum Kinder-Tribunal.

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09:05 Uhr:
Guten Morgen! Ich komme eben aus der SZ.de-Konferenz. Die Meldung, bei der auch ich Morgenmuffel wach wurde: UPS hat - anscheinend - aus Versehen eine Militärdrohne an eine Privatperson geschickt. Wert: 400.000 US-Dollar. Wach wurde ich vor allem, weil alle wegen des Kommentars des Wirtschaftsredakteurs lachten: "UPS, I Did It Again".

Mehr Banales - und dann auch Seriöses - gibt's, wenn mein Milchkaffee leer ist. Heute wieder aus München, von wo aus ich verfolge, was ich in Berlin alles verpasse. Bitte trösten!





Die Heimkehr des Erzählers

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Warum kennt in Deutschland, Tatort-Land, eigentlich kaum jemand diesen Mann? Diesen Krimiautor, der Hollywood seit Jahren beliefert. Mit rauen Geschichten, mit Romanen vom Rande der Gesellschaft, mit Stoffen, die die Bilderfabrik am Laufen halten: „Mystic River“, „Shutter Island“, „Gone, Baby, Gone“. Verfilmt von Clint Eastwood, Martin Scorsese und Ben Affleck. In den Hauptrollen Leonardo DiCaprio, oder Sean Penn. Bei uns aber ist er ein Geheimtipp. Wenn überhaupt. Dennis Lehane. Wer?



Martin Scorsese (links) hat Regie geführt, Leonardo Dicaprio die Hauptrolle gespielt: Die Romanvorlage für "Shutter Island" schrieb Dennis Lehane.

Dennis Lehane, 48, schreibt auf eine Weise, die es dem Leser schwer macht – seine Bücher wieder beiseitezulegen, wenn man erst mal einmal angefangen hat zu lesen: „Ein paar Jahre später fand sich Joe Coughlin auf einem Schlepper im Golf von Mexiko wieder. Seine Füße steckten in einem Block Zement. Zwölf bewaffnete Kerle warteten darauf, dass sie endlich weit genug draußen waren, um ihn über Bord werfen zu können, während Joe dem Tuckern des Motors lauschte, den Blick auf das schäumende Kielwasser gerichtet.“ So beginnt Lehanes neuer Roman „In der Nacht“. Ein Kritiker schrieb: „Man liest sich geradewegs in einen Rausch.“

Jetzt sitzt Dennis Lehane im Bayerischen Hof in München. Ein Mann, der besser auf Barhocker passt als auf samtbezogene Sessel. Bei dem man glaubt, der Geruch des Pubs hänge noch an ihm. Diogenes, Lehanes neuer Verlag, hat das Bibliothekszimmer gemietet. Teppichboden, der die Schritte schluckt. Wände, ausgekleidet mit Holz. Auf dem Regal Goldschnittbücher. Der Sohn eines Lagerarbeiters aus Boston ist zum ersten Mal in Deutschland. Vier Tage dauert die Lesereise, dann geht es zurück nach Los Angeles. Diogenes verlegt die Klassiker der Kriminalliteratur: Raymond Chandler, Patricia Highsmith, Georges Simenon. Für die große Lehane-Offensive des Verlags soll es auch Neuübersetzungen geben, der jüngste Roman ist immerhin schon sein zehnter.

„Ich muss jeden Tag drei Stunden schreiben“, brummt Dennis Lehane. Was dabei herauskommt, ist ihm egal. Aber tun muss er es trotzdem. „Es ist wie Training“, sagt er, „wie Muskeltraining. Deshalb musst du täglich schreiben.“ Da ist sie noch, die Moral der Arbeiterklasse. Klimmzüge an Gedankenstrichen.
Dennis Lehane wuchs als das fünfte Kind einer irisch-katholischen Familie in Boston auf. Nicht im Harvard-Boston mit seinen Häusern aus rotem Klinker. Sein Viertel hieß Dorchester, ein raues Arbeiterquartier, die Bronx der Stadt. Der Vater brachte sein Leben als Lagerarbeiter zu, im Versandhaus Sears & Roebuck, 40Jahre lang. Die Mutter arbeitete in einer Schulkantine. Wenn der junge Dennis Lehane von den Prügeleien auf der Straße zurück nach Hause kam, roch er praktisch noch den Torf. So irisch war das Elternhaus.

Dann der erste Glücksfall: Lehanes Jesuitenschule hatte eine Bücherei, seine Mutter besorgte ihm eine Ausleihkarte. „Ich würde hier nicht sitzen“, sagt Dennis Lehane in München, „hätte ich diesen Ausweis nicht gehabt.“ Büchern verdanke er alles. Denn außer einem Lexikon gab es keine Bücher bei den Lehanes. Und Schreiben war erst recht kein anständiger Beruf. Geschichten hörte der Junge im Pub, wenn er mit dem Vater ging, der dort am Wochenende auf ein Guinness vorbeischaute. Die Anekdoten der Thekenhelden kannte er bald auswendig. Aber manchmal gab es eine neue Wendung, frische Details, und die alten Geschichten wurden noch lebendiger.

„Ohne Dorchester und seine Kneipen wäre ich wohl nie Schriftsteller geworden“, sagt Dennis Lehane. Dort schnappte er auf, wie das Erzählen geht, oder zumindest, was es dafür braucht: Dialoge, die nur so knallen, und Figuren, die man nicht wieder vergisst. Den Stallgeruch der Arbeiterklasse. Später fragte ihn ein Freund, warum er nie über die Mittelschicht schreibe, über Intellektuelle. Und Lehane sagte nur: „Weil ich nicht weiß, wie es in deren Küchen zugeht.“ Dennis Lehane war der Erste aus seiner irisch-katholischen Familie, der auf das College ging. Er probiert es mit Lehramt. Mit Journalismus. Dann schrieb er sich am Eckerd-College ein, St. Petersburg, Florida. Studiengang: Kreatives Schreiben. Lehane wollte das Erzählen lernen. Jetzt offiziell.

Der Anfang aber war eine Katastrophe. „Ich schrieb beschissene Geschichten über reiche Menschen aus der Mittelschicht, denen irgendwie langweilig geworden war“, flucht Lehane. Dann entdeckt er Krimis, und die Struktur aus Verbrechen und Aufklärung gab ihm Halt. Also wechselte er das Genre. Weg von der Neurosen-Literatur, zurück zu seinen Wurzeln, zur Arbeiterklasse, zu den Verbrechen der Viertel, in die kein Boston-Tourist jemals kam. Hardboiled Krimis, knallharte Thriller.

„Es war wie eine Heimkehr“, sagt Lehane über diese Zeit. Die ersten fünf Romane bestritt er mit Patrick Kenzie und Angela Gennaro, ihres Zeichens Privatermittler, die auch von dort kamen, wo ihre Verbrechen spielten, aus der Bronx von Boston. Und als Lehane gerade „Regenzauber“ abgeschlossen hatte, das fünfte Buch, stieg plötzlich Bill Clinton aus seiner Air Force One, in der Hand den neuen Lehane-Roman. Die Verkaufszahlen schnellten nach oben. Und der 34-Jährige war jetzt bekannt, angekommen in Amerikas erster Liga der Krimiautoren.

Zwei Jahre später probierte er etwas Neues, keine Privatermittler mehr, das Duo Kenzie/Gennaro hatte sich erschöpft. Der neue Roman hieß „Mystic River“. Bald darauf klingelte das Telefon, Clint Eastwood am Apparat, er wollte die Filmrechte.

„Mystic River“ erzählt die Geschichte von Jimmy, Sean und Dave, Jugendfreunde im rauen Teil von Boston. Die Lebenswege kreuzen sich nach Jahren wieder: Jimmys Tochter wurde ermordet, und Sean ist der Polizist, der den Fall aufklären soll. Der Verdacht fällt auf Dave, der als Kind, vor den Augen seiner Freunde, in ein Auto stieg und erst nach Tagen wieder auftauchte: missbraucht und gezeichnet für sein Leben.
„Mystic River“ schlug ein, der Roman wie auch die Eastwood-Verfilmung, diese düstere, hoffnungslose Geschichte von Freundschaft, Liebe, Hass und Kindesmissbrauch. Wenn man so will, steckt darin die Essenz von Dennis Lehane: Der Stolz und die Not der Arbeiterklasse, die sich in schmalen Häusern um die nächste Monatsrate sorgt, während das Blaulicht der Streifenwagen durch die Fenster flackert. „Boston und seine Viertel sind mein Material“, sagt Lehane, „als Schriftsteller profitiere ich enorm.“ Diogenes will als erstes „Mystic River“ neu übersetzen.

Krimis und Thriller gelten in Amerika nicht ganz als Literatur zweiter Klasse, aber einen Graben gibt es schon. Mit „Mystic River“ hat Dennis Lehane eine Brücke geschlagen. „Andere Krimiautoren sind mir heute noch dankbar“, brummt der Autor. Auch die Literaturkritiker der New York Times schrieben jetzt: Ja, auch das ist Literatur. Und mit Clint Eastwood kam auch der Ruhm. 2007 verfilmte Ben Affleck „Gone, Baby, Gone“. 2010 brachte Martin Scorsese „Shutter Island“ auf die Leinwand, den ersten Lehane-Psychothriller. Die Romane erscheinen in mehr als 30 Sprachen.

Inzwischen wohnt Dennis Lehane in Santa Monica, mit Frau und zwei Kindern, zehn Meilen entfernt von Hollywood. Denn Lehane-Romane sind Steilvorlagen für Hollywood. Und in Hollywood wissen sie das.
Ben Affleck arbeitet gerade an „In der Nacht“, einem Gangster-Epos zu Zeiten der Prohibition. In der Hauptrolle: Leonardo DiCaprio, wieder einmal. Eine andere Lehane-Geschichte, „The Drop“, kommt im Herbst in die US-Kinos. Ein Boston-Thriller mit „Sopranos“-Star James Gandolfini in seiner letzten Rolle, der Schauspieler starb im vergangenen Jahr. Und an „Aufruhr der Tage“, einem weiteren Lehane-Roman, hält Warner Brothers die Rechte.

Dass Hollywood so heiß auf seine Stoffe ist, liegt vielleicht daran, dass Lehane seinen Plots so viel erzählerischen Raum gibt, wie sie brauchen. Drei Serienkiller auf einmal, das gibt es bei ihm nicht. Dafür Armut, Kindesmissbrauch, Rum und Whiskey, korrupte Cops. Der amerikanische Schriftsteller Tim O’Brien sagte einmal zu ihm: „Dennis, was ich an deinen Romanen so liebe, sie sind echt.“

Mensch, Anna

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Und Anna Wintour weinte. Die „Eiskönigin“, der „Prada-Teufel“, „Nu-clear Wintour“, sie lag in den Armen von Michelle Obama, sie hielt Obamas Handgelenk so fest umklammert, dass die Fingerknöchel kalkweiß hervortraten, und unter diesem berühmten, seit Menschengedenken fest um ihr Antlitz betonierten Bob, der Karl Lagerfeld vor zwei Saisons zu einer sehr albernen Chanel-Haube inspirierte, unter der Wintour-Frisur also löste sich eine nun für alle Welt sichtbare Träne. Im Publikum wurde geblinzelt. Manche Berichterstatter schrieben von „Annas Menschwerdung“. Aber wenn die Eis-Lady am Montag im New Yorker Metropolitan Museum of Art tatsächlich ein wenig weggeschmolzen ist, dann wohl eher aus Ergriffenheit von sich selbst.



Selbst Vogue-Chefin Anna Wintour, die "Eiskönigin" und "Prada-Teufel" genannt wird, zeigt manchmal Gefühle. Aber nur, wenn ihr ein Denkmal gesetzt wird. 

40 Millionen Dollar hat die Renovierung des zum Metropolitan gehörigen Costume Center gekostet, das eine historische Sammlung von mehr als 35000 Kleidern, Kostümen und Accessoires beherbergt. Und es war Anna Wintour, Chefredakteurin der US-Vogue, die einen Teil dieser Millionen eingetrieben hat. Und es war die First Lady der Vereinigten Staaten, Wintours Vertraute, die bei der feierlichen Eröffnung in Anwesenheit des kompletten Fashion-Hochadels das Band durchschnippelte. Aber es war Bee Shaffer, Wintours Tochter, die das Foto bei Instagram postete, das dies alles auf den Punkt brachte: „Anna Wintour Costume Institute“. In Stein über den neuen Museumstrakt gemeißelt.

Was bedeutet das, in dieser Vita? Auf dem Mode-Olymp sitzt die 64-jährige Britin seit zwei Dekaden wie festgegipst, in bevorzugt mädchenhaft bunten Kleidern, mit geradem Rücken und strengem Blick. Aber ein Denkmal, das hat ihr noch gefehlt. Jetzt hat sie eins. Da kann man schon mal weinen, nicht?

Auf den Festakt folgte der „Met-Ball“, den seit 1995 ebenfalls Wintour organisiert und aus dem sie dank exzellenter Kontakte das New Yorker Glamourding schlechthin gemacht hat. Wie in jedem Jahr wird im Costume Institute eine Ausstellung gezeigt (diesmal „Charles James: Beyond Fashion“), und wie in jedem Jahr ging es vor allem darum, wer am Eröffnungsabend die 28 Stufen zum Museumsportal hinaufstöckelte.
Im Prinzip: alle. Das Event mit den Oscars zu vergleichen, wäre unfair, denn die Gäste waren besser angezogen: Beyoncé in einem ebenso hoch- wie tiefgeschlitzten Kleid von Givenchy Couture, Rihanna bauchfrei in Stella McCartney, Gisele Bündchen in einem Gespinst von Balenciaga, Lupita Nyong’o in Prada, Anne Hathaway in Calvin Klein und Victoria Beckham in Victoria Beckham. „Fashion’s Biggest Night“, jubelte vanityfair.com und täuschte sich: Die Nacht gehörte nicht der Mode, sondern einer Frau – in Chanel Couture übrigens, was sonst.

Dass Menschen, die Dolce & Gabbana für einen Süßwarenfabrikanten halten, heute wissen, wer Anna Wintour ist, hat natürlich mit dem Film zu tun. „Der Teufel trägt Prada“ brachte Meryl Streep 2007 eine Oscar-Nominierung und der Originalvorlage diesen eisigen Ruhm, nach dem man sich nicht unbedingt verzehrt. Wintour hat später versucht, dieses Image zu korrigieren, indem sie ein paar Talk-Auftritte absolvierte und sich von einem Dokumentarfilmer bei der Arbeit zusehen, keinesfalls aber in die Karten blicken ließ. Immerhin konnte man da miterleben, wie ihr der damalige Designer bei Yves Saint Laurent, Stefano Pilati, aufgeregt wie ein Schuljunge seine noch unfertige Kollektion vorführte und mit einer Frage vernichtet wurde: „Sind alle Kleider so dunkel?“

Kein einzelner Mensch war im Multimilliardengeschäft der Mode je einflussreicher als Wintour. Nicht nur, dass sie bei vielen Kollektionen ein Wörtchen mitzureden hat, sie hat auch schon diverse Designer auf den Chefsessel bugsiert (zuletzt Alexander Wang bei Balenciaga) oder auch heruntergeschubst. Die exklusivsten Fotografen, die begehrtesten Make-up-Künstler, die teuersten Models arbeiten für Wintour – und auch nur für sie, wenn sie das will. Wer in der US-Vogue mit ihrer Auflage von 1,2Millionen Exemplaren gefeatured wird, hat es offiziell geschafft.

Während einige in der Branche – im Flüsterton natürlich – diese Machtfülle beklagen, spricht vieles dafür, dass der Regentin das Gewand der Mode längst zu eng geworden ist. Für insgesamt vier Präsidentschaftskampagnen der Demokraten hat sie so viele Spenden eingesammelt, dass sie zuletzt als Anwärterin auf einen US-Botschafterposten gehandelt wurde. Warum auch nicht, fand der Guardian, Bürgermeisterin von New York sei sie ja schon. Da ist was dran. Grace Coddington, ihre Kreativchefin und engste Mitarbeiterin seit 25Jahren, hat einmal erzählt, wie sie am Tag nach 9/11 in der Redaktion eintraf. Dort saß die Vogue-Chefin mutterseelenalleine und fragte: „Wo sind denn alle? Wir müssen diese Stadt wieder aufbauen!“

Sollte Anna Wintour jemals zweifeln, ob New York sie auch ordnungsgemäß zurückliebt, kann sie jetzt ins Metropolitan gehen und es nachlesen. Aber Zweifel, seien wir ehrlich, sind nicht wirklich ihr Ding.
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